gro neberg 1986
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Die sumerisch-akkadische Inanna/Ištar: Hermaphroditos?Author(s): Brigitte GronebergReviewed work(s):Source: Die Welt des Orients, Bd. 17 (1986), pp. 25-46Published by: Vandenhoeck & Ruprecht (GmbH & Co. KG)Stable URL: http://www.jstor.org/stable/25683215 .Accessed: 04/08/2012 21:36
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Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar:
Hermaphroditos?1)
Von Brigitte Groneberg, Tubingen
Virginia Woolf erzahlt in ihrem Roman ?Orlando" die Vita eines wun
derschonen englischen Adeligen, Orlando, der im Alter von dreiBig Jah ren nach einem tagelangen trance-ahnlichen Zustand zu einer ebenso schonen jungen Frau wurde, die schlieBlich sogar einem Knaben das Le ben schenkte.
Nach seiner Metamorphose stand Orlando: ?splitternackt da. Kein menschliches Wesen hatte seit Anbeginn der Welt je hinreiBender ausge sehen. Seine Gestalt vereinte die Kraftigkeit eines Mannes mit der An
mut eines Weibes. Orlando war ein Weib geworden. Aber in jeder ande ren Hinsicht blieb Orlando genau, wie er gewesen war. Der Wechsel des
Geschlechts anderte zwar die Zukunft der beiden, bewirkte aber nichts, was ihre Identitat geandert hatte"2).
Virginia Woolf verarbeitet hier in einem Klassiker der Weltliteratur eine Idee der Menschheitsgeschichte, die ihren Vorlaufer in den Mythen der Antiken Welt um Leukippos oder Tiresias hat3). Auch sie verbindet das Motiv des Geschlechtertausches mit Themen der ?verkehrten Welt", indem sie z. B. Orlando iiber Jahrhunderte hinweg leben laBt, die Toten zum Leben erweckt und schlieBlich ihren Roman auch noch ?biogra phisch" nennt. Bezeichnenderweise wechselt Orlando sein Geschlecht in der geheimnisvollen Welt des Orients, wahrend eines Aufenthaltes in
Konstantinopel, bevor er in die neue Welt, nach England, zuruckkehrt.
I.
Die Idee der Vereinigung beider Geschlechter in einer Person, des
?doppelten Geschlechtes" - eines Gottes oder eines Menschen - kann dem Ethnologen Baumann zufolge nicht nur bei vielen Naturvolkern (in
1) Uberarbeitete Fassung der Antrittsvorlesung vor der Fakultat fiir Kulturwissen
schaften, Tubingen. -
Abkurzungen richten sich, wenn nicht anders angegeben, nach
dem Abkurzungsverzeichnis des Akkadischen Handworterbuches.
2) V. Woolf, Orlando. Eine Biographic Roman Fischer (1983), S.98. Das gleiche Motiv findet sich bei Ingeborg Bachmann, Malina. Suhrkamp (1978)2.
3) M. Delcourt, Hermaphrodite. Mythes et Rites de la Bisexualite dans l'Antiquite
Classique (Paris 1958).
26 Brigitte Groneberg
heutiger Sieht) nachgewiesen werden, sondern ist auch in den archai schen Hochkulturen Asiens, Afrikas und teilweise in Mittelamerika be
zeugt. Baumann widmete der Dokumentation dieser Idee 1955 ein umfas sendes Werk, welches auch heute noch als Standard gilt4).
In einer Zusammenfassung der empirischen Daten zum ?doppelten Geschlecht" fiihrt er aus, daB die bisexuelle Idee in verschiedener und unterschiedlich ausgepragter Form gedeutet werden kann. In formulier ter Konzeption liegt sie oft in Kosmogonien vor, in denen die Spaltung von Urgottheiten, der ideellen Einheit, in die Zwei-Geschlechter begriin det wird5). Diese Konzeption kann eng verbunden sein mit einer dualen
Weltauffassung, die ihren religiosen Ausdruck findet in der Verehrung bi-polarer Numinosa, seien es bisexuelle6) oder komplementar sexuelle
Gottheiten7). Oft, so weist er nach, geht die Ausformung dieser Idee im
Kultisch-Religiosen einher mit Kleidertauschriten, da in bestimmten Ge sellschaften Geschlechtsumwandlungen von ausgewahlten Individuen iiblich sind, die als Mittler zwischen der gottlichen und der menschlichen
Welt bzw. der Unterwelt und der diesseitigen Welt fungieren8). Das Vorhandensein dieses Konzeptes hat in der Nachbardisziplin, der
Agyptologie, durchaus Beachtung gefunden. So etwa in der Behandlung der Urgotter im Lexikon der Agyptologie oder in einer Studie Westen dorfs zur hermaphroditischen Gestalt Amenophis IV., dessen mannweib liche oder a-sexuelle Darstellungen bis dahin Spekulationen hervorge rufen hatten, daB er von einer schweren Krankheit heimgesucht worden
sei9).
4) H. Baumann, Das doppelte Geschlecht. Ethnologische Studien zur Bisexualitat
in Ritus und Mythos. (Berlin 1956). M. Eliade, Morphologie et Fonction des Mythes. Traite d'Histoire des Religions (Paris 1949) 359ff.
5) Baumann, a.a.O. S.255. Vgl. zur mesopotamischen Kosmogonie W.Lambert, R1A VI (1980-83) 218-222 (besonders S.210 zu duri-dari ?ever-ever").
6) Vgl. Baumann, a.a.O. S.326ff.; Delcourt, a.a.O. (Anm.2) pp.; Jessen, Art. Her
maphroditos in RE 8 (1912) Sp. 714-721.
7) Unter komplementar sexuellen Gottheiten werden z. B. Zwillingsgottheiten ver
standen, von denen die eine weiblich, die andere mannlich ist, vgl. Baumann, a.a.O. S.
337 ff. Zu einer kurzlich erschienenen Studie zu Zwillingsgottern und -helden in Meso
potamien s. R. Kuntzmann, Le Symbolisme des Jumeaux au Proche-Orient Ancient.
Naissance, Fonction et Evolution d'un Symbole (Paris 1983).
8) Baumann, a.a.O., S. 131 u.6.. Vgl. M. Eliade, Schamanismus und archaische Ek
stasetechnik. stw 126 (Tubingen 19613) 91 ff. 9) Vgl. W. Westendorf, Gotter, androgyne, Lexikon der Agyptologie, Bd. II, Sp.
633-635; ders.: Amenophis IV. in Urgottgestalt. Pantheon. Internationale Zeitschrift
fur Kunst,21/V(1963) 269-277. Diese Deutung ist nach freundlichem Hinweis von
Prof. Dr. Dr. H. Brunner umstritten. Er wies mich jedoch darauf hin, daB die Gotter
Ptah und Neith als androgyn bezeichnet werden, K. Sethe, Amun und die acht Urgotter von Hermopolis, (Berlin 1929) 33 unten mit Anm. 2 und E.Otto, Die Lehre von den
beiden Landern Agyptens in der agyptischen Religionsgeschichte, An.Or.17 (1938) 27 f.
Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar 27
Innerhalb der Altorientalistik aber wurde diese Idee in den letzten 60 Jahren kaum gewiirdigt. Dabei vermutete schon Jeremias 1932 bisexuelle
Vorstellungen bei solchen mannlichen Gottern, deren erstes Element mit dem Wort NIN = Herrin gebildet wird10), und auch Meissner wies schon 1925 auf Kleidertauschriten im Istarkult hin11), die erst kurzlich wieder von Romer in seiner Studie zu Deuteronomium 22,5 zusammengestellt wurden, ohne daB er die altorientalischen Belege in einem weltanschauli chen Zusammenhang sieht12).
Nur W. G. Lambert verweist innerhalb eines Kongressberichtes in aller Kiirze auf den - zumindest zeitweise - bisexuellen Charakter des Boten
gottes Ninsubur13). In einem erst kurzlich erschienenen Artikel geht er ausfuhrlicher ein auf den komplementar sexuellen Charakter der Urgot ter Lahmu und Lahamu14). Diese vereinen als Zwillingsurgotter in sich die weibliche und mannliche Schopfungspotenz und flankieren in histo rischer Zeit als bi-polare Schutzmachte die Eingange von Palast und
Tempel ahnlich den Schutzgenien lamassu und sedu, die ihrerseits das weibliche Potential, lamma oder lamassu, und das mannliche Potential, udug oder sedu, verkorpern.
Die Charakterisierung der lamassu als eine Halfte eines doppelten Wesens findet sich in dem Artikel lamma des Reallexikons der Assyriolo gie15), in dem sonst jedoch Hinweise auf androgyne Gottheiten etwa un ter dem Stichwort Hermaphrodit oder Inanna/Istar fehlen. Diese sind fur den mesopotamischen Kulturkreis sub voce Hermaphroditos in ei nem Artikel Wolfgang Fauths im Kleinen Pauly nachzulesen16).
Fauths Argumentation fiir das Vorkommen von Hermaphroditen in
Mesopotamien stiitzt sich vor alien Dingen auf vier Belege: 1. auf einen Priester ?5a/z/Arwra", den die Gelehrten Driver-Miles
193617) aufgrund einer semantischen Analyse des Ausdrucks als Frau
10) Vgl. A.Jeremias, Der Alte Orient 32/1(1932) 12 (Der Artikel: ?Die eine Ma
donna" kann sonst vernachlassigt werden.)
n) Vgl. B.Meissner, Babylonien und Assyrien, II (Heidelberg 1925) 67.
12) Vgl. W. Ph. Romer, Randbemerkungen zur Travestie von Deuteronomium 22,5. Festschrift Beek. Travels in the World of the Old Testament. (Assen 1974) 217-222.
13) W.G.Lambert, Introductory considerations, OrNS 45 (1976) 12: ?Up to the
reign of Hammurabi the gender of this vizier is variable. Rim-Sin's inscriptions attest
the deity in both genders and so far there is no explanation of this phenomenon". S. auch schon J.vDijk, SGL. II 52ff. und vgl. Verf.: Eine Einfuhrungsszene in der altba
bylonischen Literatur: Bemerkungen zum personlichen Gott. K.Hecker, W. Sommer feld (Hg.) Keilschriftliche Literaturen (Berlin 1986) 95.
14) W.G.Lambert, The Pair Lahmu-Lahamu in Cosmology, OrNS 54 (1985) 189-202, besonders S. 190.
15) Draffkorn-Kilmer/Foxvog/Heimpel, LAMMA, R1A VI (1980-83) 447.
16) Der Kleine Pauly 2, Sp. 1066-1067.
17) G. Driver - Sir Charles Miles, The sal-zikrum woman in Old Babylonian Texts, Iraq 6 (1936) 66-70.
28 Brigitte Groneberg
Mann-Wesen deklarierten, d.h. als einen Eunuchen, der als Frau verklei det gewesen sei. Schon sie verweisen auf Parallelen im Kult der venus barbata auf Zypern, die Verkleidungsriten an sich zog18).
Zur Unterstutzung ihrer These, daB dieses auch im Alten Orient denk bar ware, ziehen sie ein archaologisches Denkmal heran, welches zu je ner Zeit gerade im Diyalagebiet gefunden worden war.
2. Dieses Relief zeige eine Figur, die mit einem Bart als Mann gekenn zeichnet sei, aber ein Frauengewand trage, namlich den iiber eine Schul ter geschlagenen Frauenrock.
3. Als weitere Indizien fiir androgyne Gottheiten in Mesopotamien fuhrt Fauth Abbildungen einer vermeintlich bartigen ?Mondg6ttin" auf Luristanbronzen an und schlieBlich - als letzten Punkt -
4. den bisexuellen Charakter der Gottin Istar in ihrer Anrede als ?bar
tige Istar".
II.
Bei einer Uberpriifung dieser vier Punkte zeigt es sich, daB einerseits zwar W. Fauths Uberlegungen in ihrer Tendenz einen wichtigen Aspekt der Gottin Istar treffen, andererseits aber die dafiir angefiihrten Beweise bis auf den zuletzt genannten Beleg nicht zutreffen.
ad 1. Das Pseudologramm sa,zi.iK.rum steht fur die Bezeichnung einer bestimmten Priesterinnenklasse, die sekretu1**). Wortlich sind es die ?Ab
geschlossenen". Darunter sind wohl Tempeldienerinnen im Istarkult zu
sehen, die von der Offentlichkeit abgesondert zu leben hatten, ohne daB Naheres iiber ihr privates und kultisches Leben bekannt ist20); sekretu kann jedoch auch zur Bezeichnung einer Haremsdame dienen, oder als
Epitheton von Gottinnen verwendet werden in dem Sinne, daB sie ?Ha remsdamen" des Konigs sind. Daraus schlieBe ich, daB die sekretu tat
sachlich, wie es die Bedeutung der zugrundeliegenden Verbwurzel (se keru =
abschlieBen) vermuten laBt, Damen sind, die zuriickgezogen leb ten. Die Zeichenfolge salzi.ik.rum steht demnach nicht fur sal = Frau und zikrum = Mann, sondern besteht aus den Elementen sal, Kenn
zeichnung der Begriffsklasse Frau und der Berufs- oder Standesbezeich
nung sekretu. Hinweise darauf, ob das Pseudologogramm zi.ik.rum auf
Kleidertauschpraktiken deutet, fehlen vollig. ad 2. Ahnlich den vermeintlichen Transvestiten $*lzikrum hat auch der
in ein Frauengewand gehullte mannliche Gott vermutlich keinen Beruh
rungspunkt mit Kleidertauschriten. Diese Weihplatte aus dem Nintu
18) Zu diesem Kult s. Delcourt, Hermaphrodite S.43ff. nach L. Farnell, Cults of
Greek Statues II, 628 und 755 (dort Quellenzitate).
19) Vgl. CAD S, S.215ff. und R. Borger, BAL I, Komm. zu Sanherib I 31.
20) Vgl. zur Priesterinnenklasse der sekretu R.Harris, Ancient Sippar.A Demogra
phic Study of an Old Babylonian City (1894-1595 B.C.) (Istanbul/1975) 314f.
Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar 29
Tempel in Chafagi behandelte zuletzt Boese in seiner Studie von 197121). Auch er laBt nicht unerwahnt, daB das Gewand eigentlich ein Frauenge wand sei, dem die Kennzeichnung seines Tragers als Mann mit Bart wi
derspreche22). Er kann dieses Gewand jedoch auch noch an zwei altsu merischen Mannerstatuetten nachweisen23), an der Statue des Konigs Isgi-Mari24) und an der Statue des Botengottes alla25). Auch diese Abbil
dung gibt also keinen Beleg fiir Geschlechtsmetamorphosen oder Klei dertauschriten in Mesopotamien26), ebensowenig wie eine vermeintlich bisexuelle Gottheit auf Luristanbronzen.
ad 3. In dieser Figur sah Potratz 1952 tatsachlich eine Mondgottin, die
gelegentlich einen Bart tragen konnte. In der Tat wirkt die Stilisierung der Figur mit Briisten (?) und einem Backenbart (?) wie ein Hermaphro dit27) fiir den Betrachter, der eine naturalistische Darstellung vermutet.
Typologie und Bedeutung der Darstellung einzelner Elemente aber ist fiir diese Kunstgattung noch keineswegs zusammengetragen und gesi chert28). So ist es denkbar, daB eine bestimmte Form des ?Bartes", d.h. ein lang ausgezogenes Kinn, auf die GuBtechnik der Bronzen zuriickzu fiihren ist. Die Kennzeichnung einer Frau durch Briiste liegt zwar nahe; es fallt aber auf, daB die Figur, der angeblich die gleiche Idee, wohl die der potnia theron, zugrundeliegt, mal mit ?Briisten" und mal ohne ge
21) J.Boese, Altmesopotamische Weihplatten. Eine sumerische Denkmalsgattung des 3. Jahrtausend, Tf.6 Abb. 2. Beschreibung S. 178: CN 6.
n) Boese, a.a.O. S. 109-110.
23) Boese, a.a.O. S.89 unten mit Anm. 469-475.
24) E.Stommenger - A. Hirmer, Mesopotamien, Abb. 100. Zur Lesung des Namens
Isgi-Mari statt Lamgi-Mari vgl. M. Krebernik, Zur Lesung einiger fruhdynastischer In
schriften aus Mari, ZA 74 (1984) 164-167.
") Vgl. hierzu E. Strommenger, ZA 19 (1959) 46 ff. Boese bezweifelt a.a.O. (Anm. 23), daB es sich um einen Gott handele, da ihm keine altsumerische Gotterstatue be
kannt sei, die keinen Bart trage. Dieser Annahme widerspricht, daB der Name des
Botengottes mit dem Gottesdeterminativ ausgezeichnet wurde. (Wahrscheinlich ist er, ebenso wie der Botengott Ninsbur, bisexuell zu denken und tragt deshalb keinen Bart).
26) Auffallenderweise tragt der Konig Isgi-Mari auf seiner Schulter eine Widmung an inanna.uS: ?inanna.Mann". Deshalb konnte vermutet werden, daB die Gewandung dieses Konigs beabsichtigt war und doch mit Kleidertauschriten in Zusammenhang ge bracht werden sollte. Dem widersprechen aber m. E. andere Statuetten aus dem Istar
Tempel in Mari - sie stammen allerdings aus der altbabylonischen Zeit, - die ebenfalls
eine Widmung an inanna.uS auf der Schulter tragen und dennoch mit dem iiblichen
Manner-Halbrock bekleidet sind, s. A. Parrot, MAM I, Le Temple dTstar (1956) 73-74
(Statue des Idi-Narum und des Ebih-U).
27) Vgl. die Abbildung Tf. XVIX Nr.69 bei H.Potratz, Das ?Kampfmotiv" in der
Luristankunst, OrNS 21 (1952) 24.
28) GroBen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Calmeyer, der freundlicherweise diese
Punkte mit mir diskutierte.
30 Brigitte Groneberg
staltet wird29). Die sichere Abbildung einer Frau liegt nur in Abb. 5 vor, in der ein Geburtsvorgang gezeigt wird30).
Die Gestaltung des Kinns, in der runden oder langen Form mit Ritz
zeichnungen versehen31), der Knoten um den Hals32), suggerieren eine
sinnbezogene, naturalistische Darstellung, der aber schon die in Spiralen auslaufenden Arme33) (ein Fullmotiv? oder stehen die Spiralen fiir die Idee der paarweise auftretenden Tiere?) widersprechen.
ad 4. So bleibt als bisher einziges sicheres und wohl als wichtigstes Ar
gument fiir das Vorkommen von Hermaphroditen im Vorderen Orient die Titulierung der Gottin Istar als ?bartige Istar'4 iibrig. Sie ist die Istar, die ?wie Assur einen Bart tragt", wie es in einem Gebet Assurbanipals heiBt34).
Jedoch auch in diesem Fall lehnt Wolfgang Heimpel in einem 1982 er
schienenen Aufsatz zu den Near Eastern Venus Deities eine androgyne Interpretation der Gottin ab35).
Heimpel identifiziert die semitische Istar mit dem Morgenstern, der von den Semiten mannlich gesehen wurde36) und die sumerische Inanna mit dem Abendstern, der von den Sumerern weiblich verstanden wurde. Die weibliche Inanna von Uruk sei die Hierodule, die Fruchtbarkeitsgot tin, wahrend die Istar von Akkade und die von Babylon mannliche Ziige trage und eine kriegerische Gottheit verkorpere. Er sieht in den verschie den sexuellen Epiphanien der Inanna/Istar den Konflikt zwischen der
semitischen, mannlichen Gestirnsgottheit, wie sie als Attar und ahnlich im kulturellen Umfeld Mesopotamiens
- namlich in Siidarabien, Syrien und Kleinasien -
bezeugt sei und der weiblichen sumerischen Venus. Wende sich der Konig in einem Gebet an den Morgenstern, so richte er
sein Gebet an Istar ?mit dem Bart"; wende er sich aber an den Abend
stern, so bete er zur weiblichen Gottheit. Damit impliziert Heimpel, daB man sich jederzeit der genetischen Verschiedenheiten beider Istar-Mani festationen bewufit war und sie keineswegs zu einer bisexuellen Gotter
gestalt vermischt habe. Tatsachlich laBt sich nicht ausschliefien, daB in den zwei scheinbar wi
derspriichlichen Istar-Manifestationen ein Synkretismus verschiedener
29) Vgl. H.Potratz, a.a.O. (Anm.27) Tf. II Abb.4 und 6 (ohne Briiste).
30) Vgl. H.Potratz, a.a.O. Abb.5 (hier mit Briisten).
31) Vgl. H.Potratz, a.a.O. Tf. XVIII Abb.66.
32) Vgl. H.Potratz, a.a.O. Tf. VII Abb.25, Tf. VIII Abb.30.
33) Vgl. H.Potratz, a.a.O. Tf. VII Abb.25.
34) ABRT 1,7 (K 1286)6: a-ki An-sdr ziq-ni zaq-nat {nam-ri-ri hal-pat): ?die wie A.
einen Bart tragt (mit Schreckensglanz gekleidet ist)".
35) SMS Vol.4 (1982), Issue 3, 9-22.
36) Vgl. J. Henninger, Uber Sternkunde und Sternkult in Nord- und Zentralarabien, Arabica Sacra (1981) 48-117. Zur Diskussion einer mannlichen Attar (
= Astar) und ei
ner weiblichen INANNA = Istar s. auch H.B. Huffmon, Amorite Personal Names in
the Mari Texts. A Structural and Lexical Study (Baltimore 1965) 171 f. mit Literatur.
Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar 31
Gottheiten stattgefunden hat. Die mannliche ?semitische" Istar-Gestalt konnte dann (im dritten Jahrtausend?) aus dem Westen iiber Mari37) (und iiber Ebla?38)) in den stidmesopotamischen Raum gelangt sein, in
dem die weibliche, sumerische Inanna beheimatet war39). Fiir Heimpels Theorie der auch weiterhin deutlichen Trennung zweier
Istar-Manifestationen scheint auf den ersten Blick einiges zu sprechen. In der jungbabylonischen Omen-Sammlung ACh Istar heiBt es z. B.,
daB Venus am Morgenhimmel (im Osten) eine Frau(!) und am Abend
(im Westen) ein Mann(!) sei40). In dem Nanaja Hymnus41) LKA 37 + 42), in dem die Gottin unter verschiedenen ortlichen Manifestationen geprie
37) Zu Istar in Mari vgl. K.Gawlikowska. 'Estar et Istar a Mari au IIIe millenaire, Rocznik Orientalistyczny 41/2 (1980) 25-28 und W.G.Lambert, M.A.R.I. IV (1985) 537. Lambert vermutet, daB mit dem Wortzeichen dmu?: inanna gemeint ist und sich
unter der Schreibung dmus.za(.za) die semitische Istar verbirgt. -
[dMuS.za.za im aA mit
unerklarter Lesung neben dmus s. bei H.Hirsch, BAFO 2 (1972)2, 25]. In Emar-Texten
ist die Gottin unter den Schreibungen Astar und inanna bezeugt, vgl. die PN: ^As-tar
um-mi, A.Tsukimoto, Hiroyama Collection Cuneiform Tablets (= HCCT: in Vorbe
reitung) 26,6.9: m
As-tar-a-bu, D.Arnaud, Recherches du Pays d'Astaba.Emar VI
33,1 ;49,3; s. auch HCCT 22,1 (Hier offenbar ist Istar ?Mutter" bei weiblichen Namen
stragern und ? Vater" bei mannlichen Namenstragern, zu vergleichbaren Phanomenen
s. D.O.Edzard, ?Ningal-gamil, fIstar-damqat. Die Genuskongruenz in akkadischen
theophoren Personennamen, ZA 55 (1962) 113.
38) Bilinguen aus Ebla gleichen Astar mit dem Wortzeichen dMU?(iNANNA); vgl. F.
Pomponio, I nomi divini nei testi di Ebla, UF 15 (1983) 143 mit Anm. 16, s. MEE IV 4
(1982) 290:805 und M. Krebernik, Zu Syllabar und Orthographie der lexikalischen Texte aus Ebla, ZA 73 (1983) 31, der den Namen Istar auf ein Appellativ zuruckfiihrt
und ihn von der Wurzel: -t-r: ?reich sein" ableitet.
39) C. Wilcke tragt in seinem Artikel inanna, R1A VI (1976-80) 79-80 widerspriichli ches Material zusammen. Er verweist auf Listen, die charakterlich verschiedene und
verschiedenortliche iNANNA/Istar-Manifestationen nennen. Das Problem der verschie
denen Istar-Gestalten laBt sich losen, wenn man davon ausgeht, daB die Gottin ortlich
als Stadt-, Land- oder personlicher Gott berufen wird. Vgl. zum Thema B.Gladigow, Der Sinn der Gotter. Zum kognitiven Potential der personlichen Gottesvorstellung. In:
P. Eicher (Hg.) Gottesvorstellung und Gesellschaftsentwicklung (Miinchen 1979) 41-62.
40) Prof. E.Reiner wies mich freundlich darauf hin, daB das Zitat bei W.Heimpel, SMS 4/3,14 unten (ACh Istar 8,8f.), s. ebenso S.Parpola, LAS 5/2:69 + 71 r. 4', auf
einer fehlerhaften Zeilenteilung beruht. Mehrere Quellen bezeichnen Dilbat im Osten
als weiblich; im Osten als Frau und im Westen als Mann wird Dilbat in K 10566 r. 12 f.
(unveroffentlicht) genannt: (12) dDilbat ina duru.E sin-ni-sat: sig5 (13) Dilbat ina
dutu.Su.a zik-rat : barium ?Dilbat ist bei Sonnenaufgang Frau: gut(es Omen), Dilbat
ist bei Sonnenuntergang Mann: Aufstand"; s. auch zu ACh Suppl.2 Istar 51 :18 und
81-2-4,239:5' (unpubl.; die Texte wurden mit freundl. Erlaubnis E. Reiners zitiert).
41) Zur Gleichsetzung von Nanaja und INANNA/Istar vgl. schon Heimpel, SMS,
a.a.O., 15-17.
42) Vgl. schon Heimpel, a.a.O.; E.Reiner, JNES, 33 (1974) 224,3: ina unug^ ha-ri
ma-ku ...(4) ina Babili zi-iq-ni zaq-na-ku ... (Var.: zik-ra-ku): ?in Uruk bin ich ,Prosti tuierte' ... in Babylon bin ich mit einem Bart gekleidet (Var.: bin ich Mann)".
32 Brigitte Groneberg
sen wird, wird zwischen einer Istar von Uruk - mit iippigen Briisten43) -
und einer bartigen Istar, der Istar von Babylon unterschieden. Der friih
altbabylonische Konig Iddin-Dagan beruft um 1800 in einem Hymnus an Inanna ausdriicklich den Abendstern, die mannliche Istar-Manifestation als Partnerin zur Heiligen Hochzeit44).
Dabei versaumt er aber keineswegs, sie auch in ihrer Epiphanie als
Morgenstern anzurufen45). Zwar preist er in diesem Hymnus vornehm lich ihren Liebreiz und ihre Weiblichkeit, riihmt sie im gleichen Text aber auch als ?Heldin"46), die ?den Schlechten vernichtet"47) und ?unter den
Jtinglingen, den Helden" alleine zu nennen ist48). Wie aus diesem Text,
geht auch aus anderen Istar-Hymnen schon der altbabylonischen Zeit48a
hervor, daB die scheinbar widerspriichlichen Istar-Charaktere als
Aspekte einer Person aufgefaBt werden, die holistisch alle Spektren mannlicher und weiblicher Potenzen umfaBt.
Wiirde tatsachlich bei der Evokation der Astralgottheit zwischen einer weiblichen und einer mannlichen Istar unterschieden, so wiirde das be
deuten, daB den beiden Gottheiten nicht nur separate Kultorte, sondern auch differenziert unterschiedliche Kulte zugeschrieben wurden. Das scheint in anderen Kulturen mit einem ausgepragten Morgen- und Abendsternkult belegt zu sein49), m. W. jedoch nicht in Mesopotamien50). Nun sind direkte Informationen iiber Art und Ablauf des Istar-Kultes in
Mesopotamien so auBerst sparlich51), daB es schwer fallt, sich hieriiber
43) Vgl. E.Reiner, a.a.O. 244,3: tu-la-a kub-bu-ta-ku (Var.: tu-le-ia kab-bu-te): ?ich bin sehr gewichtig in Bezug auf meine Bruste (Var.: meine schweren Briiste (sind in
ON))".
44) Unter ihrem Sternnamen Ninsianna, s. W. Ph. Romer, SKIZ, 131: 83ff.: nin-an
usanx dinanna mah-am (84) ki.sikil dinanna me-tes mu-e-i-i(85)nin-an
usanax an-za-se [mah-am]: ?die Herrin des Abends, Inanna die Hochste, (84) die
Jungfrau Inanna preise ich alleine, (85) die Herrin des Abends, die bis ans Ende des
Himmels die Hochste ist. - Umschrift nach SRT 1 iii 83 ff. Vgl. den Kommentar zur
Ubersetzung bei Romer a.a.O., 162 und A.Sjoberg, OrNS 35, 301.
46) Vgl. W.Ph.Romer, a.a.O. Z. 126: ur-sag-am ?die Heldin (geht vom Himmel
aus ...)" 45) Vgl. a.a.O. Z. 110-113.
47) Vgl. W.Ph.Romer, a.a.O. Z. 118 ... hul-gal mu-un-gul-le.
48) Vgl. W.Ph.Romer, a.a.O. Z. 129: sul-la ur-sag-ga asax-ni he-pa-de.
48a) Vgl die Zusammenstellung bei B.Groneberg, Untersuchungen zum hymnisch
epischen Dialekt (Diss. Munster 1972), 8 ff.
49) Ich verdanke diesen Hinweis Prof. Dr.Th. Barthel.
50) Ebenso Wilcke, R1A IV, S.82 ?11 und S.81 ?9. 51) Vgl. zusammenfassend Wilcke, R1A a.a.O. S.78-79 ?4; s. B. Menzel, Assyrische
Tempel I (Rom 1981) 7f. zur Istar v. Arbela, S.70 zu Istar-Gestalten in Assur, S.114ff.
zur Istar v.Ninua u.a.m.; Menzel fragt, a.a.O., S.70, ob nicht die Tatsache, daB in
einer Stadt mehrere Istar-Tempel (heiBt das zwangslaufig auch verschiedene Kulte?)
bezeugt sind, darauf hinweise, daB zwischen mehreren Istar-Gestalten unterschieden
wurde. Tatsachlich ist es kein Widerspruch, wenn in der Residenzstadt der Konige ver
schieden ortliche und verschieden funktionale Istar-Gestalten in den Kapellen eines
Tempelbezirkes verehrt wurden: m.E. unterstreicht dieser Sachverhalt das Bedurfnis
Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar 33
ein eindeutiges Bild zu verschaffen. Da es aber zu den Merkmalen der
mesopotamischen Gesellschaft gehort, im Laufe ihrer Geschichte die ver
schiedenartigsten Kulturen zu adaptierten und weltanschaulich dazu zu
tendieren, Gotter und Gottinnen ahnlicher Funktionen zu synkretisie ren52), halte ich es fiir auBerst unwahrscheinlich, daB bis in das 1. Jahr tausend zwischen zwei verschieden funktionalen und verschieden ge schlechtlichen Istar-Gestalten unterschieden wurde. Dieses Bild ergibt sich zwangslaufig aus samtlichen Erwahnungen und Berichten iiber die
Gottin INANNA/Istar - seien es Mythen, Rituale oder Hymnen -, die immer die gleichen, wenn auch oft widerspruchlichen Aspekte der Gottin
ansprechen. DaB bestimmte Charakterisierungen von Fall zu Fall beson ders betont werden - wie z.B. in dem oben erwahnten Iddin-Dagan Hymnus
- ergibt sich zwangslaufig aus der besonderen Beanspruchung
der Gottin in dieser bestimmten Funktion. Bezeichnend scheint mir hier
gerade der Istar-Hymnus ABRT 1,7 zu sein, der schon von Heimpel, a.a.O. S. 15 - allerdings mit umgekehrten Argumenten
- zitiert wurde und in dem die ?weibliche" Istar von Niniveh, die in Niniveh mit Ninlil
gleichgesetzt wurde53), unter ihrem Astralaspekt als Istar mit dem Bart ti tuliert wird.
III.
AuBer in ihrer direkten Charakterisierung durch Epitheta, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, laBt auch das begleitende Personal der Gottin ein ambivalent mannlich-weibliches Wesen der INANNA/Istar ver muten. Verschiedene Belege deuten daraufhin, daB die Kultdiener der
Istar, die kurgarru und assinnu5*), bisexuell verstanden werden und
nach Integration historisch und geographisch unterschiedlicher religioser Erfahrungen. An weiterer Literatur zum Kult der Istar s. J. Plessis. fitudes sur les textes concernant
Istar-Astarte (Paris 1921) und W. F. Leemans, Istar of Lagaba and her dress (Leiden
1952). Nils Nilsson, fetudes sur le Culte dTstar, Archives d' fetudes Orientales, Vol.2
(1911) 1-20 stiitzt sich lediglich auf die Autoren der Klassischen Antike.
52) Das ergibt sich z.B. aus den Hymnen KAR 109, JNES 33,224ff., und OrNS
36,105 ff., die vermutlich in der gelehrten Priestertradition des 1. Jahrtausends standen.
Der gleiche Eindruck entsteht bei einer Durchsicht der Epitheta einzelner Gotter, wie
sie in der jetzt iiberholten, aber noch unersetzten Studie von K.Tallquist, Akkadische
Gotterepitheta, StOr 7 (Helsinki 1938) zusammengetragen wurden. Auch hier trifft sei
ten ein Epitheton auf nur einen Gott zu (so ist z.B. ein Epitheton, das ausschlieBlich
Adad charakterisiert nur die Wendung: musaznin zunnim ?der Regen regnen laBt..."). Zu einer differenzierten Diskussion uber ,Gleichsetzungstheologie' in Mesopotamien vgl. W.G.Lambert, R1A III (1957-71) 545 lk. Spalte und 2.Abschnitt bei S.546.
53) Vgl. Menzel, A(ssyyrische) T(empel) I, 114ff.
34) Vgl. CAD K s.v. und ausfuhrlich mit Lit. Romer, SKIZ, S. 155:74. Der kurgarru wird in lexikalischen Listen mit dem pi-li-pi-li und dem zabbu geglichen. Etymolo gie und Bedeutung des Wortes pilipili sind m.E. unklar: es konnte lautmalend sein oder zu pi.la ?schmutzig, anders sein"? gestellt werden, wie jetzt auch K.v.d.Toorn,
34 Brigitte Groneberg
Transvestien durchfuhren oder Transvestien symbolisieren, als deren Verursacher die Gottin gesehen wird.
Einer der friihesten Belege fiir Kleidertauschriten im Umfeld des Istar kultes ist der schon vorhin zitierte Hymnus des Iddin-Dagan mit Erwah
nung des hieros gamos. In diesem Text wird ein Ritual geschildert, wel ches am Neumondstag aufgefiihrt wird55).
Die Kleidertauschriten werden hier wie folgt beschrieben:
?Die assinnu5*) schmiickten sich(?) fiir sie - sie treten vor die heilige Inanna ... (51) die rechten Manner (lu.zi)57) (treten) zur hochgemuten Herrin ... stellen sich ihr mit der Spindel (?)58), die am Unterkorper (ge tragen wird), zur Seite ... machen den Schwertgurt59), ?den Arm der
Schlacht", zur Umgurtung ... nehmen den Bogen60), ?den Arm der Schlacht" in ihre Hand (60) ihre rechte Seite kleiden sie mit Manner
kleidung ... ihre linke Seite bedecken sie mit Frauenkleidung. Mit
Sin and Sanction in Israel and Mesopotamia.A Comparative Study. (Assen 1985) 29
annimmt. Der zabbu ist nach CAD Z s.v. wohl ein Ekstatiker.
Zu dem assinnu (und kulu'u) - ebenfalls mit der sumerischen Entsprechung pi-li
pi-li und den akkadischen Gleichsetzungern mahhu und zabbu vgl. CAD s.v.. S. auch
zu dem bisher (nur in lexikalischen Listen?) bezeugten parru AHw s.v. Zu einer Cha
rakterisierung dieser Kultdiener s.A. L.Oppenheim, OrNS 19 (1950) 135 Anm.l.
55) Es bleibt hier m. E. unklar, ob es sich um einen jeden Neumondstag handelt (wie Z.27 vermuten laBt) oder nur um den Neumondstag des neuen Jahres, an dem das
Akltu-Fest stattfand.
56) lu sag.ur.sag = assinnu, vgl. Romer, SKIZ 157 zu 45 und Sjoberg, ZA 65, 233 zu 81; s. jedoch auch kritisch ders. a.a.O. zu 88, denn sag.ur.sag kann auch bedeuten:
?der rechte Held".
57) Vgl. zur Diskussion, wer mit dem lu.zi gemeint sein kann (der Konig? oder die
Kultdiener?) Romer, a.a.O. zu Z. 51.
58) Zur Diskussion des Terminus <8i?>bala (gis wurde erganzt!) s. Romer, a.a.O. zu
Z.53. Romer entscheidet sich fiir 8*bala = Stilett, ich nehme aber an, daB mit s^bala
die Spindel gemeint ist, vgl. im Ritual ?K6nig gegen Feind" bei Menzel, AT II T 82, Rs.3 die Phrase: [lu]gal &*pi-lag-rgu^ ina mas.sjl-?i/riLn ?der Konig hebt die Spindel an seiner Hufte empor" aus der hervorgeht, daB man die Spindel an die Seite hing. Vgl. zu 8?bala vDijk, OrNS 41, 347(!) und in Verbindung mit Kleidertauschriten ausfuhr
lich Sjoberg, a.a.O., 224 mit Anm. 14 und 15.
59) S. Romer, a.a.O. 161 zu Z.55 zu '"Bni.la ?Wehrgehange". In profanen Texten
meint der Terminus wohl ein Wollkleid, s. J. Bauer, Altsumerische Wirtschaftstexte aus
Lagas (Rom 1972) 656. 60) Zu 8?gid.da s. Romer, a.a.O. zu Z.57. Vgl. auch Bauer, a.a.O. 604 und A. Falken
stein, Die Neusumerischen Gerichtsurkunden, III 116. Unter den <sa> ar-ka-a-ti in ei
ner Reihe mit anderen Gefolgsleuten der Gottin Istar oder Nanaja (s. z. B. zu BA 5/5:4
I Z.8f.) sind moglicherweise trotz des Kontextes von Musikanten nicht ?die der langen Floten" zu sehen, sondern ?die der Langholzer", d. h. Kultdiener der Istar, die im Wett
kampf eifern - [ vielleicht ist auch die Phrase: etlu uktapparu sa ki ar-ka-tim" Ag. A III
1-2 (s. Verf., RA 75 [1981] 109) in diesen Zusammenhang zu stellen und arkatim be
deutet nicht ?so wie die Friiheren" sondern (?die Manner reinigen sich kultisch) ahn
lich den ,Langholztragern'" -].
Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar 35
Springseilen61) und bunten Bandern spielen sie einen Wettkampf vor
ihr."62) In den seleukidischen Festzeremonien LKU 51 und Race 115 verklei
den sich die kurgarru (und assinnu6*). Nach Race 115 7-8 handelt es sich hierbei um Bekleidungsstucke der elamischen Gottin Narundi (/Na hundi)64), die im Geburtsritual BAM 3,248 als apotropaischer Genius, der das ?heilbringende lebensspendende Wasser" tragt, angesprochen wird65). Ahnlich den Schutzgenien Lamassdte treten auch die Narundi als komplementare Gottheiten auf66).
Wahrend diese Zitate den Anschein erwecken, als ob die assinnu und
kurgarru nur kultische Kleidertauschriten durchfuhrten, geht aus ande ren Textstellen hervor, daB sie eine vollstandige Transvestie erfahren konnen. Bei den Schilderungen des Kultes der Istar von Uruk heiBt es im
Erra-Epos:
?was Uruk betrifft, Sitz des Anu und der Istar, Stadt der kezretu, sam hatu und harimatu, denen Istar den Mann weggenommen hat, um sie
ganz in ihre (sic) Hande zu nehmen, Sutaer und Sutaerinnen stoBen jarr wri/ta-Schreie aus. Sie bringen die kurgarru und issinnu(
= assinnu) in
Eanna zum Aufstehen, deren Mannlichkeit Istar, um den Menschen Furcht einzufloBen, zur Fraulichkeit wandelte".67)
Auch in anderen Texten, vornehmlich Hymnen an die Gottin Istar, fin den sich Charakterisierungen beider Kultdiener, die auf einen vollstandi
gen Geschlechtertausch deuten68). Aus anderen Kulturen ist in einem sol
61) Zum Springseil als Insignium der Istar vgl. weiter unten.
62) S. Romer, a.a.O. S. 13 = Z.45 und Z.57ff.; vgl. mit modifizierter Ubersetzung
Sjoberg, ZA67 (1975-76) 224.
63) Race. 115 Rs.7: lu kur.gar.ra lu ur.sal sa tille Narudu raksu" die kurgarru und assinnu legen die Kleidung der Narundi an"; LKU 51,18: ?lu kur.gar.ra res-su irak
kas": ?der k. maskiert seinen Kopf.
64) Vgl. D.O.Edzard, WdM I 125:2 und 55. und W.G.Lambert, AS 16, 284f. und
Iraq 31 (1969) 33 ff. 65) Vgl. J. v. Dijk, OrNS 41 (1972) 343 zu den Tragern des magischen Wassers fiir die
Gebarende und s. zu BAM 3, 248,3.36. - Zur Rekonstruktion des Mythos vom Mond
gott und der Kuh s. W. Rollig, Der Mondgott und die Kuh, OrNS 54 (1985) 263 A25
u.D. bis S.29 u.D.
66) Vgl. v. Dijk, a.a.O. Die Tatigkeit der Narundi erinnert hier an die lebensschop fende Funktion der kurgarru, als sie, von Enki geschaffen, versehen mit dem heilbrin
genden Wasser, in die Unterwelt gesandt werden, um inanna zum Leben zu erwecken.
67) Vgl. L.Cagni, Erra, S. 110, 52ff.: sd VRVKkisu-bat da-nim u dis-tar al ke-ez-re-e
[//'] sam-ha-a-tu u ha-ri-ma-ti (53) sd dis-tar mu-ta i-te-ru-si-na-ti-ma im-nu-u qa-tus-*
s[a] (54) su-ti-i su-ta-a-tu na-du-u ia-ru-ra-t[i] (55) de-ku-u e-an-na kur-gar-rilu i-sin-ni
(56) sd ana sup-lu-uh nis?*1 dlstar zik-ru-su-nu u-te-ru ana sinnisiiti. Vgl. ders. in SANE
1 fasc. 3 (1977) 52. Ich habe aus inhaltlichen Erwagungen die Lesung der Z.53 (umalla
qatuss[a] statt qatuss[in] von S.Parpola, AOAT 5/2, S.316 Anm.574 iibernommen.
68) Vgl. im Mythos Inanna und Ebih, H.Limet, Le poeme epique ?Ininna et Ebih".
Une Version des Lignes 123 a 182, OrNS 40(1971)18, Z.175: ?pi-li-pi-li sag su-bal
36 Brigitte Groneberg
chen Fall bekannt, daB die Transvestiten das soziale Leben fiihren, wel ches ihrem angenommenen Geschlecht entspricht69). DaB dieses auch fiir
Mesopotamien denkbar ist, laBt ein Omen der Serie summa alu vermu
ten, in dem von der Kopulation der assinnu mit Mannern die Rede ist70). Sehr aufschluBreich ist auBerdem ein Zitat des astrologischen Omens ACh Adad 12,12f.:
?wenn der Wettergott Adad inmitten des Sternbildes GroBer Bar sein Geschrei ausstoBt und es regnet Cardamum71), dann werden die Manner und die kurgarru in dem Haus sich niederlassen und die kurgarru wer
den den Mannern gebaren."72) Die Ubersetzung ?Buhlknaben", die fiir diese und andere vergleich
bare Personen73) im ?Akkadischen Handworterbuch" gegeben wird, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, selbst wenn sie die Funktion dieser Kultdiener zu einseitig umreiBt74).
Ihre gemeinsame Tatigkeit in dem seleukidischen Ritual Race S. 115 und im Ritual ?K6nig gegen Feind", Menzel AT II T 82 sowie die Tatsa
che, daB sie binare Schutzgenien symbolisieren konnen, deutet darauf
hin, daB sie als (komplementare?) Zwillingswesen verstanden wurden, die alleine oder (nur in offiziellen Ritualen?) zu zweit als Symboltrager agieren.
Aber sie spielen nicht nur eine Rolle im offiziellen Tempelkult der
Istar, sondern werden auch bei apotropaischen Ritualen herangezogen. In diesen privaten magischen Ritualen nehmen sie das Ubel oder ein
Symbol des Ubels an sich, tragen es fort - in die Unterwelt? - oder zu
mu-ni-in-ak: s. Sjoberg, ZA 65, 63, Z.81-82 mit Kommentar zur Zeile, s. auch zu
Z.88: der pi-li-pi-li der nita.gin ?wie ein Mann ist" und der bal ?gewechselt" ist; zu
bal ?verandern" s. G. Farber-Flugge, AOAT 25 (1976) 180.
69) Vgl. Baumann, a.a.O. 17 ff. der berichtet, daB die mannweiblichen Schamanen
einen Mann heiraten konnen und sogar das Kinder-Gebaren simulieren.
70) CT 39,45,32: summa amelu ana as-sin-ni ithi (te) ?wenn ein Mann Verkehr mit
einem a. hat".
71) Zu sahlu = Cardamum s.M. Stol, Cress and its Mustard, JEOL 28 (1985) 24ff.
72) Vgl. ACh Adad 12, 12 f. ,Jumma dAdad ina murub ki.min.ma sahlu (zA.m-Lisar) $UR-nun nita.meS kur.gar.ra.meS ina e ku.me?-w0 kur.gar.ra.mes' ana nita.meS
u.tu.[me?].
73) Vgl. oben Anm. 54 und ausfuhrlich zur Bezeichnung und Funktion der kurgarru und assinnu -
allerdings unter anderen Gesichtspunkten als hier - D.O.Edzard in
Festschrift E.Reiner (im Druck).
74) Es ist fraglich, ob es weibliche kurgarru gab, wie von CAD K, 559 (Diskussion) angenommen wurde. Ich denke eher daran, daB es sich mit der Bezeichnung sal.kur.
gar.ra um diesen Beruf ausiibende Manner handelt, die die Transvestie ganz durch
gefuhrt haben. AuBerdem wird daran zu denken sein, daB die kurgarru und assinnu
die im Kultdienst beschaftigt waren, ein anderes Leben fiihrten, als die Kultdiener, die
unter Umstanden ?privatwirtschaftlich" (d.h. nicht im Auftrag des Tempels) arbeite
ten.
Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar 37
mindest hinaus aus dem Tor (des Hauses)75). Sie erfullen somit die niitzli che Funktion derjenigen, die Tabus verletzen und dadurch einerseits das
Ubel abwenden und Heilung bringen, andererseits aber auch selbst ver
unreinigt sind. Deshalb werden sie hochgeachtet und gleichzeitig verach tet und gefiirchtet.
Das geht deutlich hervor aus dem Mythos ?Inannas Gang zur Unter welt" in dem die Aitiologie beider Funktionstrager gegeben wird. Der
Schopfergott Ea/Enki erschafft sie aus dem Schmutz seiner Nagel und vertraut ihnen gleichzeitig das heilbringende Wasser (bzw. die heilbrin
gende Pflanze) an, mit dem (/der) sie die leblose Istar in der Unterwelt wieder zum Leben erwecken sollen76). Als bisexuelle Wesen, die sich hau
fig in der Nahe asexueller Wesen befinden77), ist es ihnen moglich, die Grenzen der Unterwelt zu iiberwinden und zu den Lebenden zuriickzu
kehren; ein ungeheurer Vorgang, der sonst nur noch den geschlechtslo sen Damonen78) vorbehalten bleibt.
In der akkadischen Fassung des Mythos von Inannas Unterweltsgang werden sie wegen dieser Tabu-Verletzung von der Herrin der Unterwelt
verflucht, wobei sie wohl eine realistische Schilderung eines Aspektes ih res sozialen Lebens gibt79). Sie sagt namlich: ?Du hast einen Wunsch ge auBert, den man nicht wunschen darf (... Wohlan, Asusunamir: (des
75) Vgl. Farber, BID, 64-65, Z.19: assinna tusessib inhl-su unnah: ?den A. laBt du
sich setzen, seine Seufzer seufzt er: lizziz assinna-ki marustT lissi: ?dein (Istar!) A! soil
sich ,hinstellen\ meine Krankheit soli er fortheben"; vgl. Farber, BID, 69, Z.50-51: ka
mdna sa pan Gula u gisrinna assinna tusassama baba tusessT-su: ?den Kuchen, der der
Gula angeboten war, laBt du den assinnu nehmen und laBt ihn durch das Tor hinaus
gehen".
76) Vgl. W. R.Sladek, Inanna's Descent to the Netherworld, (diss.: Univ. Microfilm, 1974) 131, Z.222ff. In der sumerischen Fassung werden die kur.gar.ra und gala.tur.
ra geschaffen. Wahrend das Logoprogramm kur.gar.ra noch bis in das 1. Jahrtausend fur den kurgarru verwendet wird, ist die Bezeichnung des assinnu als gal.la.tur.ra
?kleiner Damon" nicht ublich. In der akkadischen Fassung des gleichen Mythos, ist es dann allerdings der assinnu,
- bzw. der kulu'u, der in die Unterwelt hinabsteigt, um
Istar zu befreien, s. zum Text Borger, BAL I, S. 100 Z.92 u. Var.
77) In dem Sinne, daB biologische Zwischenstufen, wie sie durch Zwitterwesen auf treten konnen (vgl. Baumann, a.a.O., S.379) weder die mannliche Zeugungskraft noch die weibliche Potenz des Gebarens besitzen. In diesem Sinn sind realistischerweise auch Geschlechterumwandlungen als Schritt zur Asexualitat zu sehen.
78) Vgl. hierzu V. Haas, Magie und Mythen in Babylonien. Von Damonen, Hexen
und Beschworungspriestern (1986) 136 u.6.
79) S. Borger, BAL I 101 Z.102ff. und Anm. S. 144 (in der ninevitischen Version): te ter-sa-an-ni e-ris-tum la e-re-si... aklT^epinnet dli lu a-kal-ka du&ha-ba-na-at dli lu ma
al-ti-it-ka silli duri lu-u man-za-zu-ka as-kup-pa-tu lu mu-sa-bu-u-ka sak-ru u sa-mu-u
lim-ha-su le-et-ka. (zu einer anderen Interpretation von e-pi<ne>-et > epitu ?baker woman", s. E. Reiner, City Bread and Bread Baked in Ashes, in: Languages and Areas: Studies presented to George v. Bobrinskoy (1967), 116 ff.).
- Weitere Hinweise auf den
negativen Aspekt dieser Personen geben ihre Namen, vgl. oben zu Anm. 54.
38 Brigitte Groneberg
halb) will ich dich mit einem groBen Fluch verfluchen): Das Brot der
,Stadtsaatpfluge4 soil dein Essen sein (d. h. die Krumen, die die Besen zu
sammenkehren?), die Abzugsrohren der Stadt dein Getrank. Der Schat ten der Mauer sei dein Sitzplatz, die Schwelle der Hauser sei deine Woh
nung. Beide, der Betrunkene und der Nuchterne, sollen deine Wange schlagen".
Andererseits sind die Kultdiener Bestandteil der sozialen und kulti schen Ordnung. Sie nehmen Teil an offiziellen Tempelkulten nicht nur der Inanna von Uruk80) (d. h. der ?weiblichen Istar") sondern auch ande rer ortlicher Istarmanifestationen, wie z. B. der Istar von Babylon81) (d. h. der ?mannlichen Istar"). Vermutlich aber sind sie an alien Istarkulten be
teiligt - auch wenn die Texte hieriiber keine Auskunft geben, da sie un
trennbar zur Istar gehoren, wie schon aus der Liste der ?me", hervor
geht, in denen sie als gottliche Attribute der Inanna aufgezahlt werden82). In Kult und Konigsritualen verrichten die Kultdiener Tatigkeiten, die
auch von anderen Tempelangestellten bekannt sind, wie das Absingen von Liedern, das Niederknien und Rezitieren bestimmter Formeln sowie das ?Seufzen", eine Form der Klage83). Zu ihren besonderen verbalen
AuBerungen gehoren das ?Wehklage rufen" oder Jarruriitu ausstoBen", welches zwischen assinnu und kurgarru in einer Art Wechselrede stattfin det.
80) Vgl. zu Anm. 63.
81) Vgl. K 9876: ?... Seite an Seite der Istar von Babylon gehen mdlilu, assinnu und
kurgarru (s. CAD K 558 a: Pallis, Akitu PI. 8:11); unklar ist, auf welche Istar-Manife
station sich das Ritual Menzel, AT II T 83ff.: ? Konig gegen Feind" bezieht; da (a.a.O.
Z.7) die gaSan-dunani erwahnt ist, diirfte damit in diesem apotropaischen Ersatzritual
wohl die ?Herrin des Ersatzes" (ein Synonym fiir Istar?!) gemeint sein; s. zu dunanu =
dinanu = Ersatz CAD D s.v. 149 3* b\
82) Vgl. G. Farber-Fliigge, Der Mythos ?Inanna und Enki" unter besonderer Beriick
sichtigung der Liste der ME, (Rom 1973), 233 und S.247f.; J.v.Dijk, in: Asmussen -
Lassoe - Colpe, Handbuch der Religionswissenschaften I (Gottingen 19712) 478.
83) Ihre Tatigkeiten sind nach Menzel, AT Bd. II T 83 ff. und Lambert, Love Lyrics III Z.16f. (in: Godicke, Unity and Diversity): melulT qablu melulTtahazu iqabbi: ?mein Spiel ist der Kampf, mein Spiel ist die Schlacht, wird er sagen" (die Deutung ?Spieler" fiir ?melulu in CAD M/2, 17a ist hier m. E. abzulehnen); kinsisu ikkammisma: ?er
beugt sein Knie"; tenindi inaddi, inhi inahhi: ?er klagt", itebbima : ?er erhebt sich", izammur: ?er singt" ... ahames umattahu: ?sie heben zusammen (etwas) auf, kurgarru tusari imallilu: ?die kurgarru spielen den Kampf, milha imallihu: ?sie reifien die m.
heraus" (CAD M/2, 66 uniibersetzt); kiskillate imahhasu: ?sie schlagen die A:.-Instru
mente"; iarrurute ?ub.meS-w: ?sie stoBen die /-Klage aus"; sa ahames imattahhuma
usasbaru : ?was sie zusammen herausgerissen haben ?befliiBtern sie"" (vgl. Verf., RA
80 (1986), 189 f.): ina zu.ab SuB-iu ana Anunnaki ipqidusu : ?im Apsu laBt er ihn (wen?)
wohnen, dem A. vertrauen sie ihn an"; assinnu jarrurutu usahharu: ?die assinnu weisen
die jarrurutu-Klage zuriick" (d.h. sie antworten den kurgarru, die gesungen haben
?mein Spiel ist der Kampf ihrerseits mit der jarrurutu Wehklage).
Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar 39
Dartiberhinaus aber symbolisieren sie Eigenschaften und Machte der Gottin. So tanzen sie und spielen den Kampf. Das ?Kampfspielen" (me lulu qablu) und ?Tanzenlassen des Feindes" (sutraqqudu ajjdbi) sind aber
Eigenschaften der kriegerischen Istar. Symbol des Kampfvermogens ist eines ihrer Insignien, das Springseil, keppu, von dessen rituell-kultischer Funktion schon im Hymnus des Iddin-Dagan die Rede war84).
AuBer in diesen Schaukampfen, in denen der Feind symbolisch besiegt wurde, ?fliistern" und ?zirpen" sie. Das Ausiiben dieser Gerausche wird im Akkadischen mit den Verben habdbu und sabaru ausgedriickt, die in
gewisser Weise Synonyma sind, weil sie beide das Summen, Flustern oder Raunen von Tieren oder des Wassers bezeichnen. habdbu ist dar iiberhinaus auch noch Euphemismus fur den ?Beischlaf ausiiben", wobei der Terminus immer dann angewandt wird, wenn ein sexuelles Tabu be troffen ist85).
Bei der Tatigkeit der kurgarru und assinnu vermute ich, daB das Verb in konkreter Bedeutung zu verstehen ist und ein Brummen oder Summen
bedeutet, welches die Kultdiener beim Kampfspielen ausstoBen. Es scheint mir denkbar, daB sie sich durch diesen Vorgang in Ekstase verset zen. Das wiirde zu ihrer Einordnung in lexikalischen Listen passen, in denen sie bei den mahhu und zabbu aufgefiihrt werden, die beide als Ek statiker bekannt sind und darauf verweist auch die kurze Erwahnung ei ner Selbstmutilation der kurgarru im Iddin-Dagan-Hymnus86).
IV.
Auch die Gottin Istar fliistert und raunt. So ?fliistert" sie in der Vision einer Ekstatikerin im altbabylonischen Terqa in ihrer Gestalt als kriegeri
84) Das ? keppu" der Istar, welches das ?melultu": ?Spielzeug" der Gottin ist (s. CAD K s.v.), gehort neben dem kisallu ?Astragal" und der pilakku ?Spindel" zu ihren
Insignien. Vgl. eSemen = keppu als Instrument der Kultdiener im Iddin-Dagan-Hym
nus bei Romer, SKIZ 164 zu 64. Zu keppu und kisallu s. auch B. Landsberger. Einige unerkannt gebliebene oder verkannte Nomina des Akkadischen, WZKM 56 (1960) 119 ff. Zum Symbolgehalt des Tanzens und Spielens (nam.hub.dar; nam.kar.kid) vgl. B.Eichler, AOS65 (1984) 99 Anm. 35-36.
85) Vgl. Verfasser, RA 80 (1986), 189 f. 86) Vgl. Romer, SKIZ, S. 131 Z.76: giri us duU.duh. e ?der das Schwert mit Blut
befleckt". Ich deute diesen Beleg mit Farber-Fliigge, a.a.O. s.v. kurgarru als Hinweis auf eine SelbstversUimmelung; in diesem Sinn s. auch B. Landsberger, MSL 9, 207, da
gegen aber die andere Auffassung des CAD K zu der o.g. Stelle s.v. kurgarru, S.558f.:
?performing some sword dance" und wiederum die Bemerkungen des CAD Z 7b zu den zabbu, die sich selbst verstummeln. kurgarru (und die assinnu?: vgl. zu Cagni, Erra a.a.O. 110, 57 ff.) tragen patru, naglabu (bzw. patarru), quppu und surtu ?Messer, Schermesser, Winzermesser und Feuerstein-Messer".
40 Brigitte Groneberg
sche Istar-AnnunTtum iiber dem Konig von Mari und verheiBt ihm den
Sieg iiber seinen Feind87). In einer Fluchformel unter einem Vertrag des neuassyrischen Konigs
Asarhaddon mit seinen Vasallen heiBt es: ?mogen die Gotter euch wie die Spindel ,surren' lassen, euch angesichts euerer Feinde zu Frauen ma
chen"88).
Der Wortlaut dieses Fluches spricht dafiir, daB das zweite Insignium der Gottin, die Spindel, als Symbol ihrer Macht verstanden wird, Trans vestien durchzufiihren89).
Zwar wird der Istar nicht nur das Vermogen zugeschrieben, Manner in Frauen zu verwandeln, sondern auch Frauen zu Mannern zu machen. Da diese Phrase aber nur im parallelismus membrorum auftritt90), nehme ich
an, daB sie als Stilfigur zu sehen ist ohne konkrete soziale Komponente, da es sicherlich nicht wunschenswert war, wenn Frauen mit mannlicher Macht ausgestattet wurden. In Fluchformeln jedenfalls wird ausschlieB lich die Verwandlung des starken und potenten Feindes in eine unkriege rische und schwache Frau gewiinscht. Ein weiterer Fluch Asarhaddons lautet: ?seine Mannlichkeit moge Istar, die Herrin des Kampfes und der Schlacht weiblich machen und ihn gebunden zu FiiBen seines Feindes sitzen lassen."91) In dem (unpublizierten) kultischen(?) Text UM 29-16-229 II 4ff.92) wird die Verwandlung wie folgt geschildert: ?sie (die
87) ARM(T) 10,8:(5) i-na E An-nu-ni-tim sa li-ib-bi a-lim (6) PN ... (7) im-ma-hi-ma
ki-a-a-am iq-bi ... (10) a-na-ku e-li-ka (11) a-ha-ab-bu-ub (12) na-ak-ri-ka a-na qa-ti-ka u-ma-al-la etc.: ?im Tempel der A. inmitten der Stadt geriet die PN ... in Raserei (und)
sagte so: ?ich (d.h. AnnunTtum) werde iiber dir ,flustern' (und) deine Feinde in deine
Hand geben".
88) Vgl. D.J.Wiseman, Iraq 20 (1958), S.75, Z.616: ki-i (sa) pilaqqi lu-sd-as-bi-ru-ku
nu (Var.: lu-sd-as-bir-ku-nu, lu-sd-sa-bir-ku-nu)ki-i sal ina igi lu.kur-ku-nu li-pa-su ku-nu S. aber mit anderer Interpretation der Wurzel sabdru s. CAD S, S.4:5.
89) Vgl. zur fliegenartigen Form der Spindel den Kommentar bei Parpola, AOAT
5/2, 315 zu 308,11. Zum Symbolgehalt der Spindel als Kennzeichen der Frau, s. Sjo
berg, ZA 65, 224 Anm. 14 und H. Hoffner, Symbols for Masculinity and Feminity. Their Use in Ancient Near Eastern Sympathetic Magic Rituals, JBL 85 (1966) 326-334.
90) Vgl. die einschlagigen Belege bei Sjoberg, ZA 65, 224ff. und s. noch W.G.Lam
bert, The Hymn to the Queen of Nippur, zikir sumim. Assyriological Studies presented to F.R.Kraus (Leiden 1982) 173ff. besonders 214 zu Z. Ill 70: [mu-te]r-ret zik-ri ana
sin-nis u sin-nis-tu ana zik-r[i] ?die den Mann zur Frau wandelt und die Frau zum Mann".
91) Vgl. Borger, BAFO 9, S.99 Rs. 56: Istar be-let qabli u tdhazi zik-ru-su sin-nis-a-nis
lu-sd-lik-ma ina sapal lu nakri-su lu-se-sib-su. S. zu mehr Belegen CAD S s. v. sinnisa
nis und N.Na'aman, The Istar Temple at Alalah, JNES 39 (1980) 209 Z.19f.: Istar
sag.ur.sag pa-ra(-)u-ra-am i-na bi-ir-ki-su li-teA-eb-bi: ?Istar mdge assinnu und pa ra'uru in seinem Geschlecht vers en ken". W.von Soden deutet in AHw s.v. das ha
pax parauru in Anlehnung an parru als ?Homosexueller", wahrend Na'aman wohl an
ein undeutbares para(= parru?) und an wrw" die weibliche Scham" denkt.
92) Vgl. Umschrift und Ubersetzung bei Sjoberg, ZA 65, 224 unten.
Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar 41
Gottin) soil die rechte Seite in die linke verwandeln; sie soil sie in das ...
Kleid einer Frau stecken, sie soil die Rede einer Frau in ihren Mund le
gen und ihnen eine Spindel und eine Haarklammer geben". Zur magischen Nutzung dieser Macht der Gottin, Virilitat, die sich
als das Positive, Machtvolle, Staatserhaltende hinstellt, in Fe mi nit at zu
verkehren, die nach den gerade erwahnten Texten negativ und schwach
gesehen wurde, ist - bisher - ein Ritual93) iiberliefert. In ihnen besiegt der
Konig symbolisch den Feind. Mit Hilfe der kurgarru und assinnu, die in der vorher beschriebenen Weise agieren, vernichtet er den Feind mit dem Pfeil des Pest- und Unterweltsgottes Nergal, zusammen mit der magi schen Kraft der Spindel der Istar, die er an seiner Hiifte befestigt und mit der er den Pfeil des Gottes Nergal manipuliert94).
Durch dieses Ritual wird ebenso wie durch die Fluchformeln der neu
assyrischen Konige deutlich, daB die Hierodule Istar, mit ihrem mogli cherweise orgiastischen Kult - ich ziehe ekstatisch vor95)
- mit der kriege rischen Istar, dem Kriegsgott vieler Konige, in engen semantischen Bezii
gen gesehen werden kann. Wie in vielen Kulturen wird sexuelle Potenz in einen funktionalen Zusammenhang mit dem Kampfen und Kriege-Fiih ren gestellt.
V.
Die Gottin Inanna/Istar ist neben den fruhen sumerischen Getreide und Fruchtbarkeitsgottinnen96) eine der wenigen Gottinnen, die nicht nur Partnerin ?wichtiger" mannlicher Gotter ist, sondern in sich das weibli
93) In mehreren Textzeugen und Varianten iiberliefert. Gemeint ist das Ritual, das
Menzel, AT II T 82 ff. als ?Konig gegen Feind" bezeichnet.
94) Menzel, a.a.O (Rs.3): [lu]gal &pi-lag-r gu^ ina ma?.?il-su r\C (4) &lsil-ta-hu i
mah-har 3-su u-sa-as-bar (5) i-na-siq ... ?der Konig hebt (befestigt) die Spindel zu (an) seiner Hiifte, empfangt den Pfeil (des Nergal, s.Z. 15"), laBt ihn dreifach ,schwirren4
(oder ,flustern4), kuBt (ihn).
95) Vgl. die einschrankenden Bemerkungen zu den vermeintlichen ,Prostituierten' kezertu bei H.Guterbock, AOS 65 (1984) 159:12 und 22 (: in hethtitischen Texten eher eine Zofe) und zur qadistu (nu.gig) bei W.G.Lambert, a.a.O., 65 (keine Verbindung zur Prostitution, eher zu Hebammen). Eindeutig Promiskuitat beschreibt der Text HS
1879 (unp. neubabylonische Abschrift einer altbabylonischen Vorlage?), in dem sich:
60 x 60 an Istar's Scham berauschen: ? 7 pa-an-ti-sa 7 qa-ab-li-sa 60 su-si u 60 su-si ip ta-na-as-sa-hu a-na u-ri-is".
%) In diesem Sinn verstehe ich z. B. die Gottinnen Nisaba, Ninhursaga, Nintu, MAH und vergleichbare Mutter-Gottinnen; S. D.O.Edzard, WdM I 115 f. und R1A VI s.v. Getreidegottin.
- Im 2. und 1.Jahrtausend ist neben Istar als unverwechselbare Gottin (s. hierzu auch Th.Jacobsen, Treasures of Darkness [1976] 135 ff.) nur noch Gula zu nennen, mit der sie als Heilsgottin gemeinsame Ziige haben kann. Vgl. z. B. die
Bemerkungen von H. L. Vanstiphout, Lipit Estar's Praise, JCS 30 (1978), 44 :4 zu den 7 Hunden der Istar, die eigentlich die Attributtiere der Gula sind.
42 Brigitte Groneberg
che Vermogen zur Fruchtbarkeit vereint mit kriegerischen, mannlichen Potenzen.
Mit Sicherheit wurde sie als Frau verstanden. Das geht daraus hervor, daB auf sie mit den Suffixen der zweiten oder dritten Person Femininum
Singular referiert wird. Handlungen und Zustande, die sie tragt, werden mit den entsprechenden morphologischen femininen Verbformen wieder
gegeben97). Innerhalb ihrer Familienstrukturen ist sie weibliche Gottheit, da sie
Gattin, Mutter und Schwester verschiedener Gotter sein kann - je nach
lokalem Pantheon98). Sie ist Zwillingsschwester des Sonnengottes99). Im hieros gamos ist sie Partnerin des Konigs100).
Sie kann in Hymnen und Gebeten - wenn auch seiten - als Mutter titu liert werden; wie alle Gotter ist sie barmherzig und Fursprecherin der
Menschen.
In der mythischen Literatur sowohl der Sumerer als auch der Akkader ist sie ganz uberwiegend Herrin und Krieger. Sie wird als agressive Got tin dargestellt, die ?Hilfsmacht des Heeres ist", den ?Kampf liebt" und
?den Aufstand". Sie kann als ?Held" berufen werden mit dem entspre chenden Nomen im Maskulinum, qurddu. Sie ?tanzt umher in ihrer Mannlichkeit" und nur sie ?ist alleine mannlich", An ?hat ihr Manne stum in Himmel und Erde verliehen"101). Im Mari der friihdynastischen und altbabylonischen Zeit wird ausdriicklich eine inanna.uS ?inanna. Mann" verehrt102).
Alle diese Epitheta, die sich auf den kriegerischen, mannlichen Aspekt der Istar beziehen, lassen sich kaum fiir eine andere Gottin nachwei sen102a. Sie nimmt hier eine Funktion ein, die sonst den mannlichen Gott heiten besonders in ihrer Aufgabe als Stadt- oder Staatsgott zukommt.
VI.
Wohl infolge ihres bi-polaren Wesens ist es vor alien Dingen die Got tin inanna/Istar, die bestehende Ordnungen umkehren und doch als ne
gativen und positiven Pol eines geordneten Ganzen in sich vereinen
97) Das fiihrt z.B. zu unlogischen Ausdrucken wie ?ziqnu zaqnat", wortlich ?mit
Bart ist sie gebartet" oder zi-ka-rat" ?sie ist Mann".
98) Vgl. C.Wilcke, R1A, a.a.O., S.80 ?8.
99) S. CAD M/l, 402 zu c2\ 10?) Zur Heiligen Hochzeit s. J.Renger, RI A IV (1972-75) 251 ff. und W.W. Hallo,
AOS 65 (1984) 178 Anm.l. 101) Vgl. Verfasser, Einfuhrungsszene, a.a.O. (Anm. 13) 104 mit Zitaten.
102) Vgl. Charpin, M.A.R.I 3 (1984) 44 zu 2.1.
102a) Lediglich fiir Gula lassen sich Epitheta sarru ?Konig" und belu ?Herr" in dem
jB Hymnus OrNS 36, 116, 54.57 nachweisen, s.a. Anm.96.
Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar 43
kann. In manchen Hymnen und Gebeten wird die Gottin abschnittweise in Kontrastanalogien gepriesen. So ist sie z.B. die Gottin, die: ?zerstort und wieder aufbaut, des Liebreizes und der Libido, der Giiter und des
Besitzes, des finanziellen Verlustes und des Defizits, des Terrors und des
Krieges ... Sie vermag den Brutalen und den Starken mit dem Schwa chen und Armen zu vertauschen, das Tal mit dem Berg, die Steppe mit der Stadt"103). In diese Reihe der Motive der verkehrten Welt, die Hed
wig Kenner 1970104) exemplarisch zusammenstellte, gehort auch das Mo tiv der Geschlechtsmetamorphosen, ein Thema, welches nur in Istar
hymnen auftritt. Es wird hier haufig verbunden mit einer rechts-links Symbolik, die sich
als links = weiblich und rechts = mannlich verstanden sehen will105). Da in der Synonymenliste Antagal C 140ff.106) die rechte Hand als die
?reine, richtige" Hand bezeichnet wird, wahrend die linke Hand die
?kranke, schlechte Hand" ist, scheint mir im Zusammenhang mit Ge
schlechtsumwandlungen und Kleidertauschriten dieser Zuordnung auch eine negative und positive Bewertung zugrundezuliegen. Die rechte Seite ware dann die mannliche, richtige Seite, wahrend mit der linken, weibli chen Seite etwas Bedrohliches, Falsches assoziiert wird. Dieses Bewer
tungsschema ist jedoch offenbar an einen bestimmten Kontext gebunden, denn andere rechts-links Analogien sind bewertungsfrei107). So stehen zu beiden Seiten des Menschen zwei gleichwertig gute mannliche und weib liche Prinzipien108). Wie der bi-polare, androgyne Charakter der Istar, sind auch die paar
weise auftretenden Genien und die bisexuellen oder zweigesichtigen Bo
103) Vgl. Sjoberg, ZA 65, 189 ab Z.115ff. und passim: s. auch W.G.Lambert, Fest schrift Kraus, a.a.O., 197 Kolumne III passim. Keine Kontrastanalogien kommen vor
in den bisher bekannten Zeilen des Istar-Hymnus Lambert, AfO 19,50ff. (Klage/Bitt gebet) oder z. B. im Agusayahymnus, in der der Gottin zwar ihr Platz unter den Gottin nen eingeraumt wird, sie aber vornehmlich kriegerisch ist. Der ?Sitz im Leben" dieser
Kontrastanalogien, die wohl in einem engen Zusammenhang mit Istar-Ritualen gese hen werden sollten, laBt sich vorerst nicht genauer eingrenzen.
104) H.Kenner, Das Phanomen der verkehrten Welt in der Griechisch-Romischen Antike (Klagenfurt 1970).
105) Vgl. Zitat aus dem Iddin-Dagan-Hymnus weiter oben S. 19: ?ihre linke Seite be decken sie mit Frauenkleidung".
106) Vgl. CAD I 136 s.v. imnu lex. section und M.Civil, AOS 65, S.46b und 47a.
107) Das Problem der rechts-links Bewertungen im Zusammenhang mit dualen Be
wertungsschemata ist zu komplex, als daB es hier erortert werden konnte. Zu diesem Thema bei anderen Volkern s. R. Needham (Hg.), Right and Left. Essays on Dual Sym bolic Classification (Chicago 1973) und G.E.R. Loyd, Polarity and Analogy. Two Ty pes of Argumentation in Early Greek Thought. (Cambridge 1966).
108) Vgl. R. Borger, OrNS 51 (1985) 15 f.: der Gott kittu (soil) an deine rechte Seite
treten, der Gott misarum an deine linke Seite. Auch die Schutzgenien des Menschen zu
seinen beiden Seiten sind heilbringende Machte, vgl. Lit. zu Anm. 110.
44 Brigitte Groneberg
tengotter Ausdruck einer dualen Weltanschauung109), die sich besonders in den Oppositionspaaren oben/unten auBert - ein beliebter Topos vieler
Hymnen und Mythen -, und weniger in einer vorne-hinten, oder rechts links Teilung110).
Am ausgepragtesten sind die Gegensatze in der Istar vereint, die als Gestirn am Morgen und am Abend sichtbar ist, als parhedra des Him
melsgottes an Himmelsgottin ist und dennoch mit Partnern verbunden
wird, die der weltlichen Sphare angehoren111). Nur ihr wird es gestattet, der Unterwelt zu entkommen. In dieser Funktion, als Uberwinderin der Unheilmachte und des Chaos ist sie wohl auch Zwillingsschwester des
Samas, denn er durchzieht in seiner nachtlichen Fahrt die Unterwelt und
bringt den Toten Licht und Nahrung112).
VII.
Der mannliche, kriegerische Aspekt der inanna/Istar ist inschriftlich von ca. 2500 bis zur neuassyrischen Zeit um ca. 700 bezeugt. Schon die
Sargon-Tochter Enheduanna preist in ihren Hymnen die Gottin unter ih ren weiblichen und mannlichen Aspekten.
Da die inanna/Istar eine weibliche Gottheit ist, die nur im ubertrage nen Sinn mit mannlicher Potenz ausgestattet wurde und deren Symbol dieser Macht - wohl ebenso wie bei weiblichen Pharaonen - der Bart
war, ist sie in einem biologisch-konkreten Sinn ganz sicher nicht als mannweibliches Mischwesen verstanden worden. Sie war eine Gottin, der mannliche Macht zugeschrieben wurde. Es lag sicherlich an diesem
Aspekt, daB sie Funktionen zu erfullen hatte, die fiir andere Gottinnen nicht bezeugt sind. Ihre Fahigkeit, Geschlechtsmetamorphosen durchzu
fiihren, - als Strafe oder apotropaischer, magischer Akt-, mag einerseits
als ein Symbol verstanden worden sein, die Kluft der Polaritaten zu iiber
briicken; andererseits fuhrt ihre widerspriichliche Charakterisierung als unberechenbare Gottin und schlieBlich ihre Nahe zur Unterwelt dazu, sie
109) In dem Sinne, daB die Unterwelt ein Teil der Welt ist, teilt sich das Universum
in die Himmel und die Erde, vgl. H. Hunger, RI A VI (1980-83) 222 f. no) Vgl. zu elis-saplis die Hymnen: AfO 19,62,33; BWL 126, 2.4; KAR 109,3;
128,29; 304,21, s. besonders KAR 128, R.33 und 34 ebenso wie den klassischen Beginn des Weltschopfungsmythos: ?Enuma elis ... saplanu". Zu eldti-saplati vgl. BWL 126, 31.32 und s. CAD E 95. Zu pana-arkd s. CAD A/2 272, 2 b), zu imna-sumelu CAD I, 135 f. und zu imnu a.a.O., S. 136:2).
m) In der heiligen Hochzeit wird sie den Konigen verbunden und auBerdem ist ihr
Gatte der ursprunglich menschliche Dumuzi, vgl. Wilcke R1A VI, 806 ?8.
112) Vgl. ausfuhrlicher B.Janowski, RettungsgewiBheit und Epiphanie des Heils,
(Neukirchen-Vluyn, im Druck).
Die sumerisch-akkadische Inanna/Istar 45
zu damonisieren113). Wohl vornehmlich diesem bi-polaren Verstandnis der Gottheit ist es zuzuschreiben, daB sie in der mesopotamischen Reli
gion fast iiber 3 Jahrtausende eine ununterbrochen wichtige, ja einzigar tige Rolle spielte. Nicht zuletzt blieb sie wohl auch deshalb so bedeutend, weil ihr hervorragendster Aspekt nicht der der Muttergottin war114).
Da schon in Ebla die Verbindung von Astar und inanna hergestellt wird, sollte die Frage nach einer Entlehnung der mannlichen, westsemi tischen Venusgottheit nach Mesopotamien noch offenbleiben. Denn der Name Attr (= Estar) konnte auch lediglich als semitische Bezeichnung der sumerischen inanna im mesopotamischen Kulturland heimisch ge worden sein. Die Widmungen einiger Konige und hoher Beamten in Mari an die inanna.u?, die Mann-iNANNA, sind dann im Kontext der Be
anspruchung des besonderen mannlichen Vermogens der Istar zu sehen, wie es auch bei der Anrufung der Istar als ?Held" und ?wilder Stier"115) geschieht und nicht als Evozierung der mannlichen ?westsemitischen" Istar.
Bei der Idee der zweigeschlechtlichen Gottheit handelt es sich um ein weltweites Phanomen, das einen alten Traum der Menschheit themati
siert, der auch in Mesopotamien literarisch und kultisch formuliert wurde. Hierbei kann es das Wissen um die andersgeschlechtliche Venus
gottheit der West-Semiten sein, welches die ?bisexuelle" Sieht gerade die ser einen Gottin, der Istar/inanna, in Mesopotamien und Syrien beein
fluBte, und in ahnlichen oder anklingenden Formen in den Mittelmeer raum zuriickflieBen lieB. So erinnert z.B. die Vorstellung der kriegeri schen Anat Ugarits an die kriegerische Istar116) und die Charakterisie
113) Die Gottin konnte im 1. Jahrtausend Ziige der Damonin Lamastu annehmen,
vgl. W.Fauth, WdO 12 (1981) 21-36. 114) Delcourt, Hermaphrodite, 87ff. und L.A.May, Above her Sex: The Enigma of
the Athena Parthenos, Visible Religion III (1981) 106-130 halten die Idee des bisexuel len Wesens in hochkulturellen Gesellschaften fiir den Versuch dieser vornehmlich
mannlich orientierten Gesellschaften, auch noch die weiblichen Potenzen auf den Mann zu ubertragen.
- (L.A.May bezeichnet a.a.O. die Kleidung der Athena Parthe
nos als mannlich, was sicherlich nach C. J. Herington, Athena Parthenos and Athena Polias. A Study in Periclean Athens [1955] nicht zutrifft. ?Mannlich" war lediglich ihre
Bewaffnung) -. In der mesopotamischen Gesellschaft waren Frauen zwar geschaftsfa hig, traten aber aus der Vormundschaft ihres Vaters in die ihres Mannes iiber, vgl. C.
Saporetti, The Status of Women in the Middle Assyrian Period, SMANES Vol. 2/1
(1979) und s. V. Korosec, Handbuch der Orientalistik, Erganzungsband III (1964): Ori
entalisches Recht. II Keilschriftrecht, S. 105ff. zur altbabylonischen Zeit; s. J.Asher -
Greve, Frauen in altsumerischer Zeit, BibMes. 18, 168 ff. zur Situation der Frauen in
der ED-Zeit. (Fur die anderen historischen Epochen liegen m.W. noch keine zusam
menhangenden Untersuchungen zu diesem Thema vor.)
115) Vgl. im groBen Su'illa-Gebet an Istar, E.-Reiner, H.Guterbock, The Great
Prayer to Istar and its two versions from Bogazkoy, JCS 21 (1967) 255-267.
116) Umstritten ist, ob sie wie die Istar einen Bart tragt. Vgl. die kontroverse Litera tur zu dem Text KTU 1.5. VI 11 ff. der fast identisch ist (- bis auf die Morphemierung
46 Brigitte Groneberg
rung der Atargatis mit der Spindel und ihrem Kult der Galli, die sich durch Entmannung selbst in Frauen verwandeln117), assoziiert mesopota mische Kultgebrauche.
Die bildliche Darstellung der Gottin Istar ist unter dem Aspekt der Bi Sexualitat eher diffus zu nennen. In den bisher nur dreimal inschriftlich
gesicherten Darstellungen118) weist sie einmal lediglich ihr Halsband, dog collar genannt, als Gottin aus. Diese eher a-sexuelle Ikonographie ist aber sicherlich hier bei der Istar nicht signifikant, da in gleicher Weise auch andere Gottinnen abgebildet werden. Uberhaupt stellt ahnlich den
Hermaphroditen der Klassischen Antike119), auch die mesopotamische bildende Kunst keine doppeltgeschlechtlichen Wesen dar.
Diese Tatsache ist ein weiterer Hinweis darauf, daB auch in Mesopota mien120) die bi-sexuelle Idee nicht in konkreter, sondern in mythologi scher Sprache verstanden werden will.
der Verben mit den Femininformen -) mit KTU 1.5. VI 31 b-1.6 I 8a; die zuletzt ge nannten Zeilen beziehen sich auf Anat und wiederholen den gleichen Trauerritus, den
El einige Zeilen vorher ausfuhrt. Die strittige Passage: yhdy Ihm wdqn I thdy Ihm wdqn wird bei G. del Olmo Lete, Mitos y Leyendas de Canaan (Madrid 1981) 222 f, iibersetzt mit: ?(se)lacero las mejillas y el menton". Er iibersetzt somit dqn nicht mit Bart son
dern mit ?Kinn". Vgl. die Lit. zur Zeile a.a.O. und s. S. E. Loewenstamm, Did the
Goddess Anat wear Side-Whiskers and a Beard ?, UF 14 (1982) 119ff.; ders., AOAT
304 (1980) 459-462 mit weiterfuhrender Literatur. Tatsachlich bedeutet ziqnu wohl nur
im Akkadischen und Hebraischen (s. AHw. s.v., und KBL3 S.266f.: ?Bart", davon ab
geleitet ?alt, Greis") eindeutig ?Bart", wahrend das entsprechende Lemma im Arabi
schen sowohl fiir Bart als auch fiir Kinn stehen kann (s. H. Wehr, A Dictionary of Mo
dern Written Arabic (1971), 309: daqan, diqan = Bart und duqun
= Kinn.
117) Vgl. Monika Horig. Dea Syria. Studien zur religiosen Tradition der Fruchtbar
keitsgdttin in Vorderasien. AOAT 208 (1979).
118) Vgl. U.Seidl R1A V (1976-80) 87-89.
119) Marie Delcourt, a.a.O. 86 ff. bezeichnet die bildlichen Darstellungen der Her
maphroditen als ?un passage d la limite" von viriloid bis feminoid.
120) Vgl. Eliade, Traite a.a.O., 359 u.6.