· web viewi guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a...

149
Bern Info 34 8.3.13 Schulerfolg Warum ist das finnische Schulsystem so gut? Masterarbeit eingereicht an der Pädagogischen Hochschule Bern Institut Sekundarstufe I eingereicht bei: Prof. Dr. Jürg Schüpbach verfasst von: Irini Gasparis Dammweg 6 3714 Frutigen Bern Info 34Schulerfolg made in Finland: Masterarbeit PH Bern www.hansjoss.ch

Upload: others

Post on 04-Mar-2020

0 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

Bern Info 34

8.3.13

Schulerfolg

Warum ist das finnische Schulsystem so gut?

Masterarbeit eingereicht an der Pädagogischen Hochschule Bern

Institut Sekundarstufe I

eingereicht bei: Prof. Dr. Jürg Schüpbach

verfasst von: Irini Gasparis

Dammweg 6

3714 Frutigen

07-593-908

Frutigen, 19. Februar 2013

Bern Info 34 Schulerfolg made in Finland: Masterarbeit PH Bern www.hansjoss.ch

Page 2:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

2

Abstract

Bei der internationalen OECD-Vergleichsstudie PISA schnitten die finnischen Schülerin-

nen und Schüler sehr gut ab. Im Rahmen der Masterarbeit „Schulerfolg – made in Fin-

land. Warum ist das finnische Schulsystem so gut?“ wird den Gründen für

Finnlands Schulerfolg nachgegangen. Dabei stellt sich heraus, dass das schulische

Gelingen teil- weise auf eine grundlegende und gesellschaftlich tief verankerte

Einstellung zurückge- führt werden kann: nämlich auf Chancengleichheit in der

Bildung für alle. Dieses Para- digma widerspiegelt sich im Modell Gesamtschule, wie

es heute in Finnland vorzufinden ist. Dabei kommt den Strukturprinzipien „innere und

äussere Differenzierung“ eine sehr wichtige Rolle zu. Finnlands integrative Schulen

zeichnen sich durch eine gezielte För- derung in einer möglichst frühen

Lebensphase aus und verfügen über ein komplexes sonderpädagogisches

Förderprogramm. Dabei fällt auf, dass die schulpolitischen Ten- denzen sukzessive in

Richtung Inklusion führen. Weiter hat die Auseinandersetzung mit

Differenzierungsformen auf der Unterrichtsebene gezeigt, dass der Unterricht eine

signi- fikante Rolle für die guten Leistungen der Schülerinnen und Schüler spielt.

Zusammen- fassend deutet der Trend darauf hin, dass in Finnland eher der klassische

lehrerzentrier- te Unterricht stattfindet und Einzel-, Gruppen- und Partnerarbeiten

weniger zum Tragen kommen als in der Schweiz und in Deutschland. Gründe für den

Schulerfolg finden sich folglich weniger in didaktisch ausgefeilten Unterrichtseinheiten,

sondern eher im basis- demokratischen Denken der Finnen, welches in Form von

Gleichheitsdenken die suomi- sche Pädagogik durchdringt.

Page 3:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

3

InhaltsverzeichnisAbstract ........................................................................................................................ 2

1. Einleitung ............................................................................................................... 5

1.1 Einführung und Fragestellung ....................................................................................... 5

1.2 Motivation und Berufsfeldrelevanz ................................................................................ 6

1.3 Aufbau der Arbeit ......................................................................................................... 7

2 Einbettung der Thematik ......................................................................................... 8

2.1 Die PISA-Studie............................................................................................................ 8

2.1.1 Ernüchterung über Schweizer Leistungen .............................................................. 8

2.1.2 Finnland im Rampenlicht ...................................................................................... 11

3 Die Geschichte des finnischen Schulsystems ........................................................ 13

3.1 Finnlands Schule im 19. und 20. Jahrhundert ............................................................. 13

3.2 Die Jahrhundertreform: Gemeinschaftsschule ............................................................ 16

3.3 Das heutige finnische Bildungssystem im Überblick .................................................... 18

4 Fokus I: Ebene Schulsystem ................................................................................. 22

4.1 Differenzierung ........................................................................................................... 23

4.2 Selektion ................................................................................................................... . 26

4.3 Entwicklungsstufen schulischer Integration ................................................................. 30

4.3.1 Begriffsklärung Integration und Inklusion ................................................................. 31

4.4 Integration und Inklusion im finnischen Schulsystem ................................................... 34

5 Fokus II: Ebene Unterricht ..................................................................................... 37

5.1 Innere Differenzierung ................................................................................................. 37

5.2 Quality of Instruction in Physics (QuIP) ........................................................................ 40

5.2.1 Projektüberblick: Modell ....................................................................................... 41

5.2.2 Projektüberblick: Design und Stichprobe.............................................................. 43

5.2.3 Auswertung des Projekts: Zuwachs an Fachwissen ............................................. 44

5.2.4 Analyse der videographierten Unterrichtseinheiten................................................ 46

6 Schlussteil ............................................................................................................. 53

6.1 Diskussion.................................................................................................................. 53

6.2 Persönliches Fazit ...................................................................................................... 57

7 Quellenverzeichnis................................................................................................. 59

7.1 Literatur..................................................................................................................... . 59

Page 4:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

4

7.2 Internet....................................................................................................................... 61

8 Abbildungsverzeichnis ........................................................................................... 64

9 Anhang ................................................................................................................. 65

9.1 Fragebogen leer ......................................................................................................... 65

9.2 Fragebogen P.R. (8.10.2012) ..................................................................................... 67

9.3 Fragebogen A.Y. (08.10.2012) ................................................................................... 70

9.4 Fragebogen O.L. (11.10.2012) ................................................................................... 73

9.5 Fragebogen J.K. (27.12.2012) .................................................................................... 75

10 Selbständigkeitserklärung ................................................................................... 78

11 Erklärung zur Öffentlichmachung und Ausleihe .................................................... 79

 

Page 5:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

5

1. Einleitung

1.1 Einführung und Fragestellung

Regentropfen prasseln an die Scheibe des Zugs und verlaufen in wässrigen Fäden

eben in die Richtung, aus der ich gerade komme. Draussen ist es noch stockdunkel.

Ich nip- pe an meinem lauwarmen Schwarztee und weiss, dass sich der Herbst nun

definitiv ankündet. Der Schnellzug bringt mich nach Zürich-Kloten, wo mich um 10.55

Uhr der Flug AY858 nach Helsinki-Vantaa erwartet. Müde schliesse ich die Augen und

versuche mich zu entspannen. Meine Gedanken reisen nach Jyväskylä und ich frage

mich, was dieses Abenteuer in mir auslösen wird. In zwei Tagen werde ich in einem

finnischen Klassenzimmer sitzen und mich von den Eindrücken überraschen lassen,

die mir das pädagogische Ausland zu bieten hat. Was wird finnische Schulen von den

hiesigen un- terscheiden? Wie werden deren Lektionen wohl gestaltet sein? Was hat

es mit dem offenen Unterricht auf sich? Werden die Schülerinnen und Schüler

ständig alleine oder in Gruppen arbeiten? Und wie wird wohl die Integration

schwacher Schülerinnen und Schüler in der Praxis aussehen? Mit diesen Gedanken

im Hinterkopf und mit viel Schweizer Schokolade im Gepäck trete ich also meine

zweiwöchige Reise an. Die oben genannten Fragen stellen gleichzeitig die Grundlage

der vorliegenden Arbeit dar und werden im Folgenden besprochen und beantwortet.

Motiviert durch die Lektüre ver- schiedener Literatur habe ich mich entschlossen,

Finnlands Schulerfolg genauer auf den Grund zu gehen.

Spätestens seit der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse im Dezember 2001 sind al-

ternative Schulsysteme in bildungspolitischen Debatten in aller Munde. Die

unterschied- lichen Resultate haben die Frage auftreten lassen, welche Merkmale

von Bildungssys- temen für die unterschiedlichen Leistungen der einzelnen Staaten

verantwortlich sind. Stets wird dabei Bezug auf die Schulsysteme nordischer Länder

genommen. In diesem Zusammenhang wird oft auch von "innerer und äusserer

Differenzierung" und "integrati- vem bzw. inklusivem Unterricht" als wichtigen

Elementen für den Schulerfolg gespro- chen.

Page 6:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

6

Diese Aspekte sind Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit: Mich interessiert am Bei-

spiel Finnland wie der konkrete Unterricht eines in den PISA-Tests erfolgreich

abschnei- denden Schulsystems in Bezug auf Inklusion und Differenzierung in der

Praxis aussieht. Fallen Dinge wie alternative Unterrichtsformen, methodische und

didaktische Konzepte auf, welche für den eigenen Schulalltag übernommen werden

können?

Der Fragestellung liegt die Hypothese zugrunde, dass Finnlands Schulen deshalb so

erfolgreich sind, weil die innere Differenzierung des Unterrichts eine besonders wichtige

Rolle spielt. Es wird erwartet, dass der offene Unterricht als Form der inneren

Differen- zierung in Finnland vermehrt anzutreffen ist. Konkret werden kooperative

Lernanlässe, schülerzentrierte Aufgabenstellungen und differenzierte

Unterrichtsarrangements antizi- piert. Die Kapitel 1.3 und 1.4 verschaffen einen

genaueren Überblick über das gesamte Unterfangen und zeigen auf, wie an die

Beantwortung der Fragestellung und Hypothese herangegangen wird.

1.2 Motivation und Berufsfeldrelevanz

«Education is the most powerful weapon we can use to change the world.»Nelson Mandela 2003

Nelson Mandelas Zitat widerspiegelt eine der wichtigsten Überzeugungen, die mich

in meinem Beruf als Lehrerin begleiten. Die Ausübung der Aufgaben erfordert viel

Kreativi- tät, Entschlossenheit, Flexibilität, Empathie, Durchhaltewillen und auch Kraft.

Wir haben die anspruchsvolle Aufgabe, die Generation von morgen auszubilden und

sie auf ihr Leben und ihre Zukunft vorzubereiten. Dabei spielt die Bildung eine

zentrale Rolle. Sie ist die Grundlage des Denkens, Beurteilens und Begründens.

Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Bildung sich verändert von neuen Einflüssen,

Einstellungen und Aufga- benstellungen geprägt. Genauso sind die involvierten Akteure

ständig in Bewegung und von Veränderung betroffen. Als Lehrerin habe ich den

Anspruch an mich selbst, diesem Prozess reflektiert zu begegnen. Ich bin bemüht,

mein Wissen, Überzeugungen und Handlungen zu hinterfragen. Dazu gehört auch die

Auseinandersetzung mit dem eige- nen und fremden Schulsystemen. Das

Page 7:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

7

Durchlaufen eines Bildungssystems und einer Ausbildungsstätte in ein und

demselben Kanton widerspiegelt das ganze schulische

Page 8:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

8

Gebilde nicht ausreichend. Das Kennenlernen von neuen Gedanken, Positionen und

Grundsätzen in seiner ganzen Vielfalt ermöglicht mir neue Herangehensweisen in mei-

nem Schulalltag und öffnet mir den Blick für jetziges und künftiges Handeln.

1.3 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Literaturarbeit besteht aus fünf Teilen. In nachfolgender Übersicht

sollen diese kurz beschrieben werden:

Einleitend wird zuerst das Abschneiden Schweizer Schülerinnen und Schüler in

den PISA-Studien besprochen. Darauf basierend wird erörtert, welche Reaktionen die

PISA international auslöste und warum Finnlands Schulen in den

bildungspolitischen Diskussionen einen wichtigen Stellenwert einnahm. Daran

anknüpfend wird zweitens die Fragestellung der vorliegenden Arbeit präsentiert.

Nun widmet sich ein dritter Teil den geschichtlichen Hintergründen des finni-

schen Schulsystems und gewährt dem Leser einen Einblick in die Entwicklungen von

der Zeit der Schulreform bis hin zum aktuellen Schulmodell.

Das Kernstück der Arbeit gliedert sich viertens in zwei Schwerpunkte, und disku-

tiert die Strukturprinzipien „innere und äussere Differenzierung“. Kapitel Fokus I legt ei-

nen Schwerpunkt auf die Ebene des Schulsystems und setzt sich mit der äusseren Dif-

ferenzierung auseinander. In diesem Zusammenhang wird näher auf die Selektion als

einen Teil äusserer Differenzierung eingegangen. In Bezug auf das finnische

Schulsys- tem werden zudem die sonderpädagogischen Begriffe Inklusion und

Integration geklärt und in den schulischen Kontext gesetzt. In Fokus II wird der Blick

auf Differenzierungs- formen innerhalb des Klassenunterrichts gerichtet. Diesbezüglich

wird die Studie „Quali- ty of Instruction in Physics“ (QuIP), welche Merkmale

gelingenden Physikunterrichts in Finnland, Deutschland und der Schweiz untersucht,

vorgestellt.

Die Arbeit wird im Schlussteil mit einer Zusammenfassung, einer kurzen

Diskus- sion und einem Ausblick auf Anknüpfungsmöglichkeiten geschlossen.

Page 9:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

9

«Nicht das Kind soll sich der Umgebung

anpassen, sondern wir sollten die Umgebung dem Kind

anpassen.» Maria Montessori

2 Einbettung der Thematik

2.1 Die PISA-Studie

2.1.1 Ernüchterung über Schweizer Leistungen

Die im Dezember 2001 erstmals vorgestellten Ergebnisse des internationalen

Schulleis- tungsvergleichs PISA1 haben gezeigt, dass Schüler und Schülerinnen in

der Schweiz nur über durchschnittliche Lesefähigkeiten verfügten.

Der nüchterne Titel „Für das Leben gerüstet?“ der Pressemitteilung des Bundes-

amtes für Statistik vom Dezember 2001 artikulierte das, was die Bildungspolitik, Lehr-

1 Das Forschungsprojekt PISA (Programme for International Student Assesment) wurde von der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) mit dem Ziel lanciert, regelmässig das Schulwesen der Mitgliedstaaten und den teilnehmenden Partnerstaaten zu evaluieren. Im Dreijahreszyklus werden ausgewählte Grundkompetenzen von Jugendlichen im Alter von 15 Jah- ren der Mitglieds- und Partnerstaaten in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften geprüft. Alle drei Jahre wech- selt der Schwerpunkt auf einen der oben genannten Bereiche. Im Jahr 2000 stand die Lesefähigkeit im Zentrum der internationalen Erhebungen. Eine wiederholte Überprüfung der verschiedenen Bereiche und Kompetenzen ist die Voraussetzung, um Tendenzen zu verfolgen und allfällige bildungspolitische Massnahmen auf ihre Wirkung hin zu überprüfen. Vgl. Overesch 2007:

Page 10:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

10

13 und vgl. Pressemitteilung Bundesamt für Statistik 2001: 3. Bundesamt für Statistik OECD PISA 2008 URL: ht t p : // www . p i s a . adm i n . ch/ b f s / p i s a/de/ i ndex / 01/01/ 02 . htm l (Stand 25.10.2012, 11.53 Uhr)

Page 11:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

11

personen und Autoren noch lange beschäftigen würde.2 Demnach konnte jede fünfte

getestete Person am Ende der Schulzeit „höchstens einen einfachen Text

verstehen“3 und war für den bevorstehenden Berufseinstieg schlecht vorbereitet.

Ebenfalls durch- schnittliche Leistungen erbrachten die schweizerischen Jugendlichen

in den Naturwis- senschaften. Überdurchschnittlich gute Resultate wurden hingegen

in der Mathematik erreicht.4

Nach den Messungen in den Jahren 2000 und 2003 schloss sich der erste Zyklus des

mehrjährigen OECD Programms im Jahr 2006. Anschliessend zur Lesekompetenz

standen im Jahr 2003 die Mathematik und 2006 die Naturwissenschaften im Fokus der

internationalen Erhebungen. 5 In diesen Testreihen schlossen die schweizerischen

Neuntklässler und Neuntklässlerinnen gut bis sehr gut ab. In den Naturwissenschaften

wurde das gute und in der Mathematik die sehr gute Ergebnis von PISA 2000 und

2003 bestätigt.

Seit 2009 ist nun die zweite Projektserie am Laufen. Das vom Bund und den

Kantonen ko-finanzierte OECD-Programm begann wiederum mit dem Schwerpunkt

Lesen. Bei den Erhebungen von PISA 2012 bildete Mathematik den Schwerpunkt.

Die nachfolgende Tabelle zeigt eine Übersicht der im Fokus stehenden Kompetenzen

von

PISA 2000-2012.

2000 Les en Mathematik Naturwissenschaft

2003 Lesen Mathematik Naturwissenschaft

2006 Lesen Mathematik Naturwissenschaft

2009 Lesen Mathematik Naturwissenschaft

2012 Lesen Mathematik Naturwissenschaft

Abbildung 1: Übersicht Kompetenzbereiche (vgl. www .p is a 2012 .c h )

2 Pressemitteilung BFS 2001: 13 Pressemitteilung BFS 2001: 14 Pressemitteilung BFS 2001: 1

5 Während den langjährigen Untersuchungen der drei Kompetenzbereiche bildet das Konzept „des lebenslangen Lernens“ das gemeinsame Element. Nebst den fachlichen Fähigkeiten wird also auch die „literacy“ der Lernenden gemessen. Dies umfasst einen Begriff, „der nicht nur die Kenntnisse in den einzelnen Fächern umfasst, sondern auch die Fähigkeit, über eigene Kenntnisse und Erfahrungen zu reflektieren und dieses Wissen bei der Bewältigung alltäglicher Herausforderungen anzuwenden.“ Vgl. Konsortium

Page 12:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

12

PISA (2010, 2011): PISA 2012. Kompetenzmessung bei 15-Jährigen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften.URL: www . p i sa2012 . c h (Stand 15.11.2012, 11.27 Uhr)

Page 13:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

13

Versucht man eine Gesamtbilanz aus den verschiedenen PISA-Studien zu gewinnen,

bekräftigt sich zwar die Wichtigkeit, sich international in den drei ausgewählten

Fachbe- reichen positionieren zu können, gleichzeitig zeichnen sich aber auch

Grenzen des OECD-Programms ab. So unterschieden sich die Länder zum Zeitpunkt

der Erhebun- gen beispielsweise in der Anzahl erteilter Wochenlektionen im getesteten

Bereich, was die Vergleichbarkeit beeinträchtigt. Andere Kritiken richten sich an die

unterschiedlichen demographischen und soziokulturellen Verhältnisse der Länder,

welche bei den Tests nicht berücksichtigt wurden.6 Es ist jedoch nicht das Ziel

dieser Arbeit, die Grenzen, Erhebungen und Ergebnisse des OECD-Programms im

Detail zu diskutieren. Die PISA- Studie hat in dieser Arbeit nur einen kleinen

Stellenwert. Vielmehr geht es um das gros- se öffentliche und mediale Interesse, das

international durch PISA ausgelöst wurde. Denn offenbar herrschte auch in der

Schweiz Nachholbedarf in verschiedenen Berei- chen der Bildung, wie oben am

Beispiel der Lesekompetenz gezeigt wurde.

Das Schulwesen wurde zu einem öffentlich diskutierten Thema gemacht,

alterna- tive Bildungssysteme und deren Qualität rückten ins Zentrum der Debatten

und Fragen zu Massnahmen betreffend Weiterentwicklung unseres Schulsystems

wurden verfolgt. In diesen Ausführungen rückten Finnlands Schulen ins Interesse vieler

Studien und bil- dungspolitischen Auseinandersetzungen. Das nordeuropäische Land

scheint einen Weg gefunden zu haben, Bildungsdefizite auszugleichen und ein gutes

Bildungsniveau zu erreichen.

Die sich daraus ergebende Motivation dieser Arbeit besteht darin, Gründe für

den finnischen Schulerfolg zu finden und an konkreten Beispielen aus dem Schulalltag

zu begründen. Der direkte Vergleich zwischen dem finnischen und dem schweizeri-

schen Schulsystem wird im Folgenden unumgänglich sein. Es soll jedoch darauf

hinge- wiesen sein, dass diese Gegenüberstellungen keine Bewertungen im Sinne

von „bes- ser“ oder „schlechter“ darstellen. Das Hervorheben von gemeinsamen und

unterschied- lichen Faktoren bietet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit für

Anknüpfungspunk-

te für die im Folgenden diskutierten Aspekte.

Page 14:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

14

6 vgl. Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektion (EDK) 2007: 1f

Page 15:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

15

2.1.2 Finnland im Rampenlicht

Mit den exzellenten Resultaten seiner Schüler und Schülerinnen hatte Finnland bei den

PISA-Folgestudien Schlagzeilen gemacht. Mit der auffällig hohen Schreib- und Lese-

kompetenz der finnischen Jugendlichen in den Jahren 2000 und 2003 wurde vor zwölf

Jahren die Reflexion über Bildung und ihr Kerngeschäft angestossen – und dauert bis

heute an. Etliche Publikationen, „zahlreiche Besuche von Experten in Finnland sowie

Seminare und Konferenzen auch ausserhalb Finnlands“7 zeugen vom internationalen

Interesse am finnischen Schulsystem.

In diesem Zusammenhang lag es nahe, selbst nach Finnland zu fahren, und ei-

gene Eindrücke, Erfahrungen und Antworten auf meine Fragen zu sammeln. So

reiste ich im September 2012 für zwei Wochen nach Jyväskylä. Ich hatte die einmalige

Gele- genheit, dem Unterricht verschiedener Lehrpersonen und Fächer der

zentralfinnischen Sekundarschule Viitaniemen beizuwohnen. Daraus ergaben sich viele

Möglichkeiten, mit Lehrpersonen, die gegenwärtig den Unterrichtsalltag mit ihren

Schülern bestreiten, ins Gespräch zu kommen. Auf die Frage nach der Ursache des

guten Abschneidens in den PISA-Studien bekam ich von einer Lehrperson folgende

exemplarische Antwort:

„Finnish society has a rather flat hierarchy. There are no obvious societal classes. The school system reflects this, and there is very little formality between students and teachers, which makes the atmosphere relaxed. Everyone learns a little bit of everything. (We often use the term "yleissivistys" or Allgemeinbildung.) In some countries, students specialize very early, so it is no wonder they will lack some of the skills measured in PISA.“8

Die Lehrperson, welche Mathematik und Physik an der Sekundarschule Viitaniemen in

Jyväskylä unterrichtet, verweist auf die „flache Hierarchie“, welche typisch für die finni-

sche Gesellschaft ist. Auch O.L., der Schulleiter, sieht den Grund für den

finnischen Schulerfolg im demokratischen Umgang zwischen Schülern/Schülerinnen

und Lehrper- sonen. Er meint: „For learning it is good that we have certain

democracy between tea- cher and his [sic!] pupils. That helps the pupils to discuss

and even argue with the tea- cher”.9

Die persönlichen Aussagen der beiden Lehrpersonen artikulieren indirekt ein Para-

digma, welches tief in der finnischen Gesellschaft und der Schulstruktur verankert zu

Page 16:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

16

7 Sarjala/Häkli 2008: 58 P.R. Fragebogen vom 8. Oktober 2012 (siehe Anhang)9 O.L. Fragebogen vom 11. Oktober 2012 (siehe Anhang)

Page 17:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

17

sein scheint und an dieser Stelle auch mit wissenschaftlicher Literatur belegt werden

soll. Aho beispielsweise beschreibt die Ansicht, dass

„[...] alle Mitglieder der Gesellschaft in der Zukunft eine gleich lange und mit hauptsächlich gleichen Lerninhalten besetze Grundbildung benötigen werden, unabhängig davon, in wel- chen Teilen des Landes sie wohnen, aus welcher Art von Elternhaus und Umfeld sie kom- men und in welchen Aufgaben sie später ihren Platz in der Gesellschaft finden werden.“10

Dieses demokratische Grundprinzip der finnischen Bildungsphilosophie lässt vermuten,

dass kulturelle und geschichtliche Faktoren eine wesentliche Rolle für das

Verstehen des finnischen Schulsystems spielen. Um erfassen zu können, wo dieses

zentrale Cre- do des finnischen Bildungswesens seine Wurzeln hat, lohnt es sich,

einen Blick zurück

in die Geschichte des Schulwesens zu werfen.

Page 18:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

18

10 Aho 1974: 197. In: Erkki Merimaa 2009: 138

Page 19:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

19

«We take care of the weak students but the problem is how to support

the talented pupils at the same time. That leads me and perhaps many other

teachers to ponder some better ways of supporting the talented.»J.K., Sonderschullehrer an der Sekundarschule Viitaniemi, Jyväskylä

3 Die Geschichte des finnischen Schulsystems

3.1 Finnlands Schule im 19. und 20. Jahrhundert

Das finnische Volk gehört zu den herausragenden Völkern Europas gemessen an der hohen Lesekompetenz, die man in unserem Volk finden soll. Als ich vor 18 Jahren den Mut auf- brachte, einigen Zweifel an der rechten Qualität und Quantität dieser ach so ausgezeichne- ten Lesekompetenz anzubringen, erhob sich grosses Geschrei gegen mich und man be- schuldigte mich, mit Absicht sowohl die Pfarrer als das ganze Volk zu beschämen.11

Dieses Zitat stammt von Uno Cygnäus (1810-1888), der noch heute gerne als „Vater

der finnischen Volksbildung“12 bezeichnet wird. Die Geschichte des finnischen Schulwe-

sens kann als ein „Ringen verschiedener gesellschaftlicher Mächte“13 beschrieben wer-

den, welches sich zwischen Kirche, Zentralstaat und den regional wirkenden Kommu-

11 Uno Cygnäus Brief vom 29. September 1876. Übersetzt von Rainer Domisch. In: Domisch, Rainer 2012: 51f

Page 20:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

20

12 Domisch 2012: 5013 Skiera/Matthies 2009: 13

Page 21:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

21

nen abspielte. Bis ins frühe 20. Jahrhundert war Finnlands Geschichte geprägt von

Fremdherrschaften und Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarstaaten Schweden

und Russland. Nach der russischen Oktoberrevolution erklärte Finnland seine Unab-

hängigkeit, welche 1917 von Russland akzeptiert wurde. Demzufolge ist es kaum ver-

wunderlich, dass in der Zeit „als Finnland Teil des schwedischen und des

russischen Königreiches war, die eigene Sprache ein besonders wichtiges Symbol

der finnischen Kultur war“.14 Konsequenterweise war die Schule während ihrer

Reform in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Ort, „in dem das eigene

finnische Erbe entwickelt, ge- pflegt und [...] zur Bildung einer nationalen Gesinnung

fruchtbar gemacht werden konn- te und sollte“.15 Finnlands wirtschaftliche

Unterlegenheit gegenüber seinen Nachbar- staaten muss den Wunsch nach

Unabhängigkeit umso mehr verstärkt „und den Aufbau eines professionellen

Bildungssystems“ 16 vorangetrieben haben. Die „politisch-

emanzipatorische Dimension der Schule [...] hat historisch tief verankerte Wurzeln“,17 so

Skiera und Matthies.

Dieser emanzipatorische Grundgedanke kann unter anderem auch auf Cygnäus’ Zeit-

genosse und Gesprächspartner Johann Vilhelm Snellman (1806-1881)

zurückgeführt werden. Er vertrat nämlich das Hauptanliegen, ein aufgeklärtes und

demokratisches gesellschafts- und Politikverständnis im Bewusstsein der finnischen

Bevölkerung zu verankern. Aufgrund der anstehenden politischen und

wirtschaftlichen Veränderungs- prozesse plädierte Snellman dafür, dass der

allgemeine Bildungsstand der Bevölkerung angehoben werden müsse.18 Ein gutes

Bildungssystem war ebenfalls hilfreich, damit die wenigen wirtschaftlichen Ressourcen

mittels hochqualifizierter Fachkräfte effizient ge- nutzt werden konnten.19 „Zudem

konnten durch das professionelle Bildungssystem die Qualität der Bildung und damit

die sprachliche Fähigkeiten aller Bürger verbessert wer- den, was wiederum zur

Festigung kultureller Identität beitrug“.20

Die nationalpolitische Orientierung im Bildungswesen hielt die finnischen Päda-

gogen jedoch nicht davon ab, den Blick auch auf die Nachbarländer und Mitteleuropa

zu werfen. Cygnäus’ Vorstellung, der sich für „ein möglichst langes gemeinsames Ler-

14 Pfeifer 2006: 2015 Skiera/Matthies 2009: 1516 Pfeifer 2006: 20

Page 22:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

22

17 Skiera/Matthies 2009: 1518 vgl. Domisch 2012: 5419 vgl. Pfeifer 2006: 2020 Pfeifer 2006: 20

Page 23:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

23

nen aller Kinder und Jugendlichen eines Jahrgangs“21 ausgesprochen hatte, konnte sich

damals jedoch noch nicht etablieren.

In der Realität setzte sich zunächst die „alte Schule“22 durch, welche einen

Schülerjahr- gang in zwei Bildungsgänge teilte. In den Ausführungen von Domisch

sind die Merkma- le der autoritären und hierarchischen Schule des frühen

Finnlands folgendermassen beschrieben:

„Nach vier gemeinsamen Schuljahren wechselte eine kleine Minderheit der Kinder an die Oberschule, während die meisten Schülerinnen und Schüler die oberen Klassen der Volks- schule absolvierten. Die Oberschulen hatten acht Klassen und waren in der Regel schwe- dischsprachig. Nach einer Schulreform kam 1891 eine fünfklassige sogenannte Mittelschule hinzu, die in den ländlichen Regionen die einzige Alternative zur Volksschule blieb, denn fast alle achtklassigen Oberschulen befanden sich damals in den Städten.“23

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde dann ein entscheidender Grundstein für

die spätere finnische Bildungspolitik gelegt: Die Schulen und die kommunale

Schulpolitik trugen nämlich einen erheblichen Anteil „an der Überwindung der

finnischen Ständege- sellschaft“ bei, indem durch die Zusammenarbeit

verschiedener gesellschaftlicher Gruppen die Trennung der ökonomischen Klassen

im sozialen Leben der Gemeinde verringert werden konnte.24 Sarjala bezeichnet die

Zeit von der Unabhängigkeit Finn- lands 1917 bis zur Schulreform der 1970er-Jahre

als „Wachstumsphase“,25 da in der Mitte des 20. Jahrhunderts grundlegende

Bewegungen in der Bildungsdiskussion ein-

setzten.

21 Domisch 2012: 5522 vgl. Skiera/Matthies 2009: 1523 Doisch 2012: 54

Page 24:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

24

24 vgl. Skiera/Matthies 2009: 1525 vgl. Sarjala 2008: 49

Page 25:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

25

3.2 Die Jahrhundertreform: Gemeinschaftsschule

Nahezu fünfzig Jahre nach der Demokratisierung der Bildung wurde in den Jahren

1962 bis 1968 über eine Schulstrukturreform debattiert, welche letztendlich „in der

Einführung von Gemeinschaftsschulen im ganzen Land“ endete.26 Inspirationen und

Informationen zur Umstellung vom Parallel- zum Gesamtschulsystem holten sich die

finnischen Exper- ten unter anderem auf Reisen in die DDR, wie die Professorin für

Pädagogik Pirjo Linna- kylä sagt.27

Man war sich einig, dass Teilreformen nicht zum gewünschten Ziel führen wür-

den und man sich radikal von dem bestehenden parallelen Schulsystem trennen muss-

te.28 Die Kritiken am damals gültige Schulsystem richteten sich teils gegen philoso-

phisch-ideologische Aspekte, teils gegen praktische Probleme. Die hierarchischen

Schulstufen wurden als Relikt der Ständegesellschaft des 19. Jahrhunderts

betrachtet und gerieten unter Legitimationsdruck. Wie sollte ein Schülerjahrgang in

zwei „Kasten“ aufgeteilt werden, dem das Schulwesen verschiedene Fähigkeiten für

das Leben, des- sen Weiterbildung und Berufsausübung vermittelte? Die Zweiteilung in

eine theoretische und eine handwerkliche Ausbildung mochte in einer agrarisch

geprägten Gesellschaft begründet sein, hielt aber den steigenden Anforderungen

bedingt durch den Struktur- wandel der letzten Jahrzehnte nicht stand. Die im

damaligen politischen Denken veran- kerten Forderungen nach Teilhabe und Gleichheit

verlangten nach einem Neubeginn im schulpolitischen Gebilde. Das hinter dem

hierarchischen Schulsystem stehende Men- schenbild wurde als wirklichkeitsfremd

und zufällig betrachtet. Zudem verlangte die zu- nehmende Internationalisierung mehr

Fremdsprachenkenntnisse und den Ausbau von Kompetenzen im mathematisch-

naturwissenschaftlichen Bereich. Die gesellschaftliche Notwendigkeit für eine

Umstrukturierung des Schulsystems war also gegeben. Nach langwierigen

Diskussionen wurde die umfassende Strukturierungsreform endgültig im Jahr 1962

unter Zustimmung aller grossen Parteien mit einer überwältigenden Mehrheit

im Parlament verabschiedet. 29

Page 26:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

26

26 vgl. Domisch 2012: 5527 vgl. Fuchs 2007: 128 Domisch 2012: 5629 vgl. Domisch 2012: 56 und Sarjala 2008: 52

Page 27:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

33 Domisch 2012: 57

17

Die Strukturreform hatte folgende drei Motive:30

- Es wurde für wichtig erachtet, Kindern und Jugendlichen eine kostenfreie und gleiche schulische Grundausbildung zu ermöglichen, unabhängig von Wohnort, sozialer Herkunft und finanzieller Lage der Familie.

- Man hatte erkannt, dass die Gesellschaft durch den Wirtschaftsaufschwung und den hö- heren Lebensstandard dringend ein neues Ausbildungssystem benötigte.

- Das Bildungsniveau der gesamten Bevölkerung sollte nachhaltig angehoben werden, insbesondere im Bereich der politischen Bildung.

Der zentrale Bezugspunkt der Schulreform war die Umsetzung der Gleichberechtigung

in der Bildung. Alle sollten die Möglichkeit haben, in dem Gemeinschaftsschulsystem

weiterzukommen, von der Grundschule bis zur universitären Bildung. Die Grundlage

sollte durch die Grundschule, welche zugleich die Lernpflichtschule ist, gebildet

werden. Wie die Volksschule sollte die Grundschule eine kommunale Schule sein.31

Bevor die Gesamtschulreform jedoch ganz umgesetzt werden konnte, vergingen vier

weitere Jahre. Die Durchführung der Neuorganisation wurde durch Unstimmigkeiten

auf verschiedenen Seiten erschwert. Reformgegner befürchteten eine

Leistungsnivellierung und damit eine Senkung des gesamten Leistungsniveaus.

Gemäss Sarjala entsprang diese Angst dem Gedanken, dass die „Lerngruppen zu

heterogen würden und der Un- terricht entsprechend den Fähigkeiten der langsam

lernenden Schüler angelegt werden müsse“.32 Eine weitere Gruppe von

Reformkritikern, welche aus Gymnasiallehrer be- stand, befürchtete eine

Herabsetzung ihres Berufsstandes.

Der Widerstand gegen die anstehende Reform zeigte sich je nach Ort unter-

schiedlich. So wurden vor allem in grösseren Städten Protestveranstaltungen durchge-

führt, welche teilweise sogar in Schulstreiks mündeten. Die Angestellten des Bildungs-

ministeriums entschlossen sich darauf hin, verstärkt vor Ort präsent zu sein, um

„Fragen aus der Bevölkerung zu beantworten und vor allem den Eltern die geplante

Umstellung des Schulsystems nahezubringen“.33 Das oben erwähnte

Differenzierungsproblem wur- de so gelöst, „dass die Schüler der Sekundarstufe I ihre

Fächer zum Teil wählen konn-

ten (Pflichtfächer und Wahlfächer) und dass sie andererseits bei als schwierig empfun-

Page 28:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

33 Domisch 2012: 57

18

30 vgl. Domisch 2012: 56f31 vgl. Kuikka 2009: 75f32 Sarjala 2008: 55

Page 29:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

18

denen Fächern – Fremdsprachen und Mathematik – berechtigt waren, zwischen

Kursen in zwei oder drei verschiedenen Anforderungsstufen zu wählen“.34

Der Übergang in das Gemeinschaftsschulsystem geschah nach Bezirken. Da

die Schulreform bemüht war, Ungleichheiten in den Zugangsvoraussetzungen für

Jugendli- che auf dem Land auszugleichen, fand das Gemeinschaftsschulsystem hier

die meisten Fürsprecher. Nordfinnische Kommunen und Lappland begannen als erste

mit der Um- stellung, andere Verwaltungsbezirke folgten und schliesslich führten 1977-

78 die letzten Schulen in Helsinki und der Hauptstadtregion die Reform durch.35

Die bereits weiter oben zitierte Pirjo Linnankylä, heute Professorin an der Universität

Jyväskylä, war in den 1970er Jahren als junge Lehrerin an einem Gymnasium tätig. Im

Gespräch mit Rainer Domisch berichtet Linnankylä:36

[...] sie sei damals allein von der Vorstellung schockiert gewesen, nicht mehr nur ausgewählte Schüler zu unterrichten, sondern im Klassenzimmer heterogene Gruppen vor sich zu haben. Sie erinnert sich: „Es dauerte fast ein ganzes Jahr, bis ich verstanden hatte, dass nicht die Schüler für mich, sondern ich für die Schüler da bin. Und von da an ging es bergauf.“ Heutzu- tage würde sie nicht mehr zu einem parallelen System zurückkehren wollen. Grund für diesen Einstellungswandel sei die positive Erfahrung, dass tatsächlich alle Schülerinnen und Schüler egal welcher Kategorie von dem gemeinsamen Unterricht profitierten. Das neue System be- deute nicht weniger Bildung für gute Schüler, sondern mehr Bildung für den gesamten Schü- lerjahrgang. Tatsächlich führe eine Schule für alle keineswegs zu einer Nivellierung des Bil- dungsstandes [...], sondern bringe alle Schülerinnen und Schüler zu besseren Leistungen.

Die Tatsache, dass ein derartiger struktureller Wechsel grosse Mühe bereitete,

erstaunt wenig. Schliesslich wurde damalige Schule komplett neu gedacht. Wie diese

Neuerun- gen aussahen beziehungsweise bis heute den finnischen Schulalltag

bestimmen, soll im nächsten Abschnitt erläutert werden.

3.3 Das heutige finnische Bildungssystem im Überblick

Die folgenden acht Merkmale die Gemeinschaftsschulen betreffend, stützen sich auf die

Ausführungen von Domisch und Sarjala:37

34 Sarjala 2008: 55

Page 30:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

19

35 vgl. Domisch 2012: 58 und Kuikka 2009: 7636 Domisch 2012: 58f37 vgl. Domisch 2012: 59ff und Sarjala 2008: 54f

Page 31:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

20

1. Grundgerüst des Schulsystems ist die neunjährige Gemeinschaftsschule, ihre

Lerninhalte sind im Kernbereich gleich für die gesamte Altersstufe.

2. Die Gemeinschaftsschule gliedert sich in eine sechsjährige Unterstufe

(Primarstu- fe) und eine dreijährige Oberstufe (Sekundarstufe I). Den Unterricht

in der Unter- stufe erteilen spezifisch ausgebildete Primarstufenlehrer, in der

Sekundarstufe I Lehrer mit einem Fachlehrstudium (wie an den gymnasialen

Oberstufen finni- scher Schulen).

3. Die Verantwortung für die Organisation der Gemeinschaftsschule wird auf die

Kommunen übertragen. Allen in der Kommune wohnhaften schulpflichtigen

Kin- dern muss ein Schulplatz zur Verfügung stehen. Private Anbieter von

Oberschu- len dürfen ihre Schüler nicht mehr aussuchen, sondern müssen alle

Schüler ohne Aufnahmeverfahren aufnehmen. Die Lehrpläne der einzelnen

Schulen müssen dem kommunalen Lehrplan entsprechen.

4. Die Gemeinschaftsschule ist kostenfrei und muss soziale Förderung bieten: kos-

tenlose Lehrbücher, Schulmahlzeiten, Schülertransport, bei Bedarf Unterbrin-

gung für Schüler mit weiten Anfahrtswegen, Gesundheitsversorgung und Schü-

lerberatung.

5. In der Unterstufe sind die Unterrichtsfächer für alle gleich, in der Sekundarstufe I

gibt es obligatorische Fächer und Wahlfächer.

6. Kinder, die aufgrund von Behinderungen, wegen Krankheit oder sonstiger Grün-

de anders lernen, müssen Förderung erhalten. Dabei hat sich der Unterricht

an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler zu orientieren. Der

sonderpäda- gogische Unterricht kann so erfolgen, dass die Schüler am

allgemeinen Unter- richt teilnehmen, aber eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten in

einer eigenen Grup- pe unterrichtet werden. Es können auch an einer Schule

Sonderklassen gebildet werden oder diese Schüler können in besonderen

Situationen auch an einer Schule mit speziellem Förderschwerpunkt

zusammengefasst werden.

7. Bei vorübergehendem Zurückbleiben muss mit individuellem Förderunterricht

eingegriffen und geholfen werden.

8. Alle Kinder und Jugendliche im Land müssen an der Schulbildung

teilnehmen können. Um zu lange Schulwege vor allem für kleine Schülerinnen

und Schüler zu vermeiden, wurden viele kleine Grundstufen 1 bis 6

Page 32:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

21

geschaffen, von denen die Schülerinnen und Schüler dann in die 7. Klasse der

Oberstufe des Schulzent-

Page 33:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

22

rums in der nächstgelegenen Gemeinde übertreten. Dort befindet sich

mittlerwei- le meist eine gymnasiale Oberstufe.

Das Bildungssystem in Finnland ist in drei Stufen unterteilt: Grundlegender

Unterricht, Sekundarstufe II und Hochschulausbildung. Überdies gibt es drei weitere

Formen der Schulausbildung: Die frühkindliche Erziehung, d.h. die Tagesbetreuung

der Kinder, die ausserschulische Kunsterziehung für Kinder und Jugendliche sowie die

breit gefächerte Erwachsenenbildung.

Im Schema auf der nächsten Seite werden die zentralen Teile des

Bildungssystems vorgestellt. Vereinfacht kann das finnische Bildungssystem

folgendermassen beschrie- ben werden:38

- Freiwillige frühkindliche Erziehung (Tagesbetreuung): Der Vorschulunterricht wird

den Kindern im letzten Jahr vor dem Beginn des regulären Unterrichts erteilt.

- Einheitliche Schulausbildung im Rahmen der Lernpflicht: Der gemeinsame

grundlegende Unterricht dauert neun Jahre.

- Zweigliedrige Ausbildung der Sekundarstufe II: Die Sekundarstufe II umfasst die

gymnasiale sowie die berufsqualifizierende Ausbildung.

- Zweigliedrige Hochschulausbildung: Die höhere Bildung wird an Fachhochschu-

len und Universitäten erteilt.

- Ein vielfältiges Angebot der Erwachsenenbildung.

38 vgl. Juva 2008a: 58f und finnisches Unterrichtsministerium 2006: 2f

Page 34:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

23

Abbildung 2: das Bildungssystem in Finnland (vgl. Bildungsministerium Finnland)

Page 35:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

24

«Kinder gleich zu behandeln heisst darum, sie nicht gleich zu behandeln»Dr. A. von der Groeben, Pädagogik 55. Jahrgang Heft 9/Sept. 2003

4 Fokus I: Ebene Schulsystem

Differenzierung, Integration, Inklusion und Selektion – Dies sind wichtige Schlagwörter,

die bei der Betrachtung des heutigen Schulsystems in Finnland unumgänglich sind. Der

folgende Teil gliedert sich in zwei Schwerpunkte und analysiert genauer, was durch

die oben erwähnte Jahrhundertreform ausgelöst wurde.

Im Fokus I werden die eingangs genannten Fachausdrücke zunächst auf der

übergeordneten Ebene – der Systemebene – betrachtet. Dabei werden die Begriffe

Dif- ferenzierung, Integration, Inklusion und Selektion geklärt und einander

gegenüber ge- stellt. Anschliessend folgt eine Betrachtung dieser Termini, wie das

finnische Schulsys- tem diese behandelt.

Im Fokus II wandert der Blick vom Grossen ins Kleine und widmet sich einer

klei- neren Einheit: Dem konkreten Unterricht. Nach der Klärung des Begriffs „innere

Diffe- renzierung“ wird eine tri-nationale Studie vorgestellt, welche Merkmale

gelingenden Physikunterrichts in den Ländern Deutschland, Finnland und Schweiz

untersucht.

Page 36:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

4.1 Differenzierung

Im schulischen Zusammenhang wird bei der „Differenzierung“ zwischen innerer und

äusserer Differenzierung unterschieden. Das untenstehende Gliederungsschema orien-

tiert sich an Bönsch39 und gibt Aufschluss über die verschiedenen Unterformen der in-

neren und äusseren Differenzierung.

Unterrichtsdifferenzierung

äussereDifferenzierung

innereDifferenzierung

Leistungsdifferenzierung Interessens- differenzierung

methodischeDifferenzierung

medialeDifferenzierung

thematisch- intentionale

Differenzierung soziale

Differenzierung

Setting Streaming Fächerwahl Kurswahl Themenwahl interessens-orientiert

leistungs- orientiert

Fachleistungs- klassen flexible

Differenzierung

Abbildung 3: Gliederungsschema Differenzierung (vgl. Bösch 1995)

Zu den Fachbegriffen der Differenzierungstabelle:40

- Setting: fachspezifische Leistungsdifferenzierung. Es werden fachspezifische Leis- tungskurse eingerichtet. Ein Schüler kann in verschiedenen Fächern verschiedenen Ni- veaugruppen angehören.

- Streaming: fachübergreifende Differenzierung. Ein Schüler befindet sich in allen Fächern in der gleichen Niveaugruppe.

- Soziale Differenzierung (leistungsorientiert/interessensorientiert): orientiert sich an der Zusammensetzung der Lerngruppe (Gruppenarbeit, Partnerarbeit, Einzelarbeit). Die Zu- sammensetzung der Lerngruppe kann nach dem Leistungsniveau oder den Interessen der Schüler erfolgen.

- Methodische Differenzierung: Variation in der Art der Hilfe durch die Lehrperson, z.B.durch Hilfsmittel oder unterschiedliche Zeitvorgaben.

39 Bönsch 1995: 25. In: Pfeifer 2006: 3440 Bönsch 1995: 25. In: Pfeifer 2006: 34

23

Page 37:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

24

- Mediale Differenzierung: Arbeit mit verschiedenen Medien (Audio, Video, Bilder, Ar- beitsblätter etc.)

- Thematisch-intentionale Differenzierung: inhaltlich unterschiedliche Aufgaben; kann imSchwierigkeitsgrad variieren, muss aber nicht.

Die äussere Differenzierung fasst Schüler und Schülerinnen mit bestimmten

Eigenschaf- ten zu möglichst homogenen Lerngruppen zusammen und trennt diese

räumlich und zeitlich von anderen Lerngruppen. Gemäss Hopf41 gibt es eine Reihe

leicht erkennbarer Merkmale oder „Differenzierungskriterien“, nach denen gruppiert

wird:

- das Alter des Kindes, das den Zeitpunkt seines Schuleintritts und, bis zu einem gewis- sen Grade, seine Klassenzugehörigkeit bestimmt;

- das Geschlecht, sofern am Schulort neben Koedukationsschulen auch reine Jungen- oder Mädchenschulen existieren;

- die Religionszugehörigkeit, nach der, abgesehen von den Konfessionsschulen, gele- gentlich die Aufteilung in verschiedene Klassen innerhalb derselben Schule erfolgt.

Kennzeichnend für die oben aufgeführten Merkmale sind leichte Erkennbar- und Mess-

barkeit. Dies gilt jedoch in einem viel geringeren Masse für andere Merkmale, nach

de- nen „Schüler in unserem Schulsystem gruppiert werden, wie zum Beispiel für

Schulleis- tung, Begabung, Interessen, Neigungen“.42 Die schulische Leistung ist in

vielen Schul- systemen das Differenzierungskriterium par excellence.

Der Fachausdruck „äussere Differenzierung“ steht für „Massnahmen, die lern-

gruppenübergreifend (klassenübergreifend) Unterricht differenziert organisieren.“43 Be-

fürworter der äusseren Differenzierung sind der Ansicht, leistungsstarke sowie leis-

tungsschwache Schüler und Schülerinnen besonders gut zu fördern, wenn sie jeweils in

gesonderten Klassen in homogenen Gruppen unterrichtet werden.

Im allgemeinen Sinn lässt sich dieses Prinzip in selektionierenden

Schulsystemen als gröbste Form äusserer Differenzierung finden. Beispiele solcher

selektiven Schulty- pen wären der Unterricht im Kanton Bern ab der Sekundarstufe I,

wo die Schüler und Schülerinnen vom 7.-9. Schuljahr in den Niveaustufen Real-,

Sekundar- und spezielle Sekundarklassen unterrichtet werden oder die Aufteilung in

Realschule, Hauptschule

und Gymnasium ebenfalls ab der Sekundarstufe I in Deutschland.

Page 38:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

25

41 Hopf 1976: 1342 Hopf 1976: 1343 Bönsch 1995: 25. In: Pfeifer 2006: 42

Page 39:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

26

Über die Mittel der äusseren Differenzierung ist man sich jedoch nicht einig. Zum

einen ist die Definition und Festlegung der Merkmale, nach welchen die Schüler und

Schüle- rinnen sinnvoll in Lerngruppen eingeteilt werden sollen, mit Schwierigkeiten

verbunden. Diesem Problem wird mit der milden Differenzierung Rechnung getragen

und kann Fehldiagnosen durch Umgruppierung etwas nivellieren. Je nach

Durchlässigkeit des Schulmodells44 können die Schüler und Schülerinnen in den

Kernfächern das Niveau wechseln, was die äussere Differenzierung etwas

abschwächt.

Zum anderen ist die Wirksamkeit des „besseren Lernens“ in homogenen Grup-

pen wissenschaftlich umstritten. Passow kritisierte 1972 die Wirksamkeit der

Leistungs- differenzierung und bezog sich dabei auf Untersuchungen der 1930er

Jahre. Er fasste zusammen: „Was die Leistung betrifft, so gibt es keine klaren

Beweise, dass die homo- gene Differenzierung entweder vorteilhaft oder nachteilig

wäre. Aus den Untersuchun- gen scheint hervorzugehen, dass eine homogene

Klassifizierung wirksam sein kann, wenn sie zusammen mit einer entsprechenden

Ausrichtung der Mittel und Methoden einhergeht“.45

Jahre später ergänzte Klafki die Befunde von Passow und stellte fest, dass es

sich bei Passows resümierten Untersuchungen zum Teil um widersprüchliche Ergebnis-

se handelte. Diese wurden fast durchweg an Streamingsystemen durchgeführt, das

heisst an Schulsystemen mit fächerübergreifender Differenzierung mit besonders leis-

tungsstarken Schülergruppen. Diese Schüler mussten fächerübergreifend in allen Berei-

chen das höhere Niveau erreichen, was die Forschungsergebnisse verfälscht haben

könnte.46

44 1992 gab der Kanton [Bern] den Gemeinden die Möglichkeit, auf dieser Stufe [Sekundarstufe I] teilweise oder durchwegs ge- meinsamen Unterricht anzubieten (Art. 46 Abs. 3 VSG). Hauptzielsetzung der Einführung dieser verschiedenen „Zusammenarbeits- formen“ war es, die Durchlässigkeit zwischen dem Sekundar- und dem Realniveau zu erhöhen, d. h. den Entscheid betreffend den Übertritt von der Primar- zur Sekundarstufe I zu entschärfen.Im Modell 1 folgen Sekundar- und Realschülerinnen und -schüler dem Unterricht in getrennten Klassen, wie es vor der Einführungder Zusammenarbeitsformen üblich war.Im Modell 2 besuchen Real- und Sekundarschülerinnen und -schüler getrennte Klassen. Allerdings können sie in diesem Modell in einem oder mehreren Fächern gemeinsam unterrichtet werden (ausgenommen sind die Niveaufächer Deutsch, Französisch und Mathematik).Das Modell 3a oder „Modell Manuel“ sieht eine grundsätzliche Trennung in Real- und Sekundarklassen – so genannte Stammklas- sen – vor. Eine Schülerin oder ein Schüler kann jedoch maximal eines der drei Niveaufächer auf dem jeweils anderen Niveau besu- chen.Im Modell 3b oder „Model Spiegel“ werden alle Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs in „Stammklassen“ zusammen unterrich- tet. In den Niveaufächern besuchen sie den Unterricht entsprechend ihren Leistungen getrennt in Real- und Sekundarniveau.Im Model 4 oder „Modell Twann“ werden alle Schülerinnen und Schüler in allen Fächern gemeinsam unterrichtet. Die Lehrperson unterscheidet die Leistungsniveaus in den Niveaufächern klassenintern, also ohne zeitliche oder räumliche Trennung. Vgl. Hunger- bühler et al. 2007: 15f

Page 40:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

27

45 Passow 1972. In: Pfeifer 2006: 46f46 vgl. Pfeifer 2006: 47

Page 41:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

28

Hingegen stellte Teschner bei seinen Untersuchungen im Jahr 1971 an einer

Berliner Gesamtschule fest, dass während der zweijährigen Untersuchungszeit eine

„relativ hohe Durchlässigkeit und Flexibilität zwischen den Kursen gewährleistet

blieb“.47 Seine Er- kenntnisse relativieren die Kritik gegen die Einteilung in

homogene Lerngruppen ein weinig.

Zuletzt sollen an dieser Stelle noch die zwar umstrittenen, aber in Hinblick auf

die Forschungsergebnisse relevanten Thesen von Hurrelmann aufgeführt werden. Er

stellte nämlich fest, dass „sich die Bildung von homogenen Gruppen für schwächere

und mit- telmässige Schüler ungünstig auswirkt“. Hurrelmann konnte nachweisen,

dass keine Leistungssteigerungen zu erkennen waren oder sich die Leistungen gar

verschlechter- ten. Ausserdem habe der Lerngewinn bei den leistungsstärkeren

Schülern in homoge- nen Klassen nicht wesentlich höher gelegen als in heterogenen

Klassen.48

4.2 Selektion

Die Selektion ist das grundlegende Element der äusseren Differenzierung und bringt

Schulen sowie Lehrpersonen in ein Spannungsfeld zwischen „Fördern“ und „Auslesen“.

Streckeisen et al. diskutieren in ihrer Studie die Kontroversen, denen Lehrpersonen

durch die doppelte Aufgabe des individuellen Förderns und Selektionierens ausgesetzt

sind und analysieren Hintergrundüberzeugungen – s.g. „Deutungsmustertypen“ 49 – auf

welche die Lehrpersonen zurückgreifen, wenn sie der widersprüchlichen Aufgabenstel-

lung nachkommen müssen. Schulpolitische Debatten kreisen in Bezug auf die

Selektion auch immer um die Frage der Chancengleichheit. So schreiben

Streckeisen et al. zu den Diskussionen über die Gestaltung des Bildungswesens, vor

allem aber auch der Volksschule: „[...] ob genung und ‚richtig’ gefördert

beziehungswiese ob genug (oder allenfalls: zu viel) und ‚richtig’ selegiert wird. Die in

der Aufbruchstimmung der 1960er und 1970er Jahre ausgelösten Debatten waren

von der Irritation gespeist, dass die schulische Praxis dem Selbstverständnis der

modernen Gesellschaft widerspreche, wonach alle Menschen dieselben

Bildungschancen haben und soziale Ungleichheit

durch die Schule abgebaut wird.“

Page 42:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

29

47 Pfeifer 2006: 4748 Pfeifer 2006: 4749 Streckeisen et al. 2007: 9

Page 43:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

30

Mit Blick auf die finnische Schulgeschichte in Kapitel 3 erstaunt der hier zitierte An-

spruch auf gleiche Bildungschancen wenig. Auch in der Schweiz erstarkte zur

gleichen Zeit wie in Finnland der politische Wille, „die hierarchische und

hierarchisierende Struk- tur der Schule zu überdenken und die qua Selektion

erfolgende Aufteilung der Schüle- rinnen und Schüler auf die verschiedenen

Schultypen neu zu gestalten, um so die Chancengleichheit zu erhöhen

beziehungsweise ein ‚Funktionieren’ des Leistungsprin- zips zu ermöglichen.“50 Die in

den 1980er und 1990er Jahren eingeführten Schulstruk- turen, welche noch heute in

der Schweiz vorhanden sind, weisen jedoch nach wie vor eine „vertikale Gliederung“

auf, welche die Selektion der Schüler und Schülerinnen er- fordert.

Im Folgenden werden die insgesamt fünf Deutungsmustertypen von Lehrpersonen,

die mit dem Handlungsproblem „Fördern“ und „Auslesen“ umzugehen haben, zusam-

menfassend vorgestellt.

- Typ 1 „Auslese der Besten“: Lehrpersonen des Typ 1 verstehen sich als „Voll-

strecker“ einer „quasi natürlich verlaufenden schulischen Auslese“. Sie haben

besonders die starken Schüler und Schülerinnen im Blick und fokussieren deren

Positivselektion, weil sie davon ausgehen, „frühzeitig und intuitiv richtig einschät-

zen zu können, welche Schüler und Schülerinnen zu den ‚wirklich Guten’ gehö-

ren und (dereinst) entsprechend positiv zu selegieren sind.“ Die „Elite“ und die

übrigen Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich in den Augen dieser

Lehr- personen „fundamental hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit, ihres

Arbeits- und Lernverhaltens sowie ihres Verhaltens generell.“ 51

- Typ 2 „Selektion als Platzanweisung“: Lehrkräfte dieses Deutungsmustertyps

konnotieren die Selektion positiv, als „im Dienste der bestmöglichen

Förderung aller Schülerinnen und Schüler stehend“. Sie betrachten die

Selektion als Vo- raussetzung dafür, dass die Schüler und Schülerinnen nach

„ihrer Art“ gefördert werden können und ihren Fähigkeiten entsprechend den

„richtigen Platz“ im Schulsystem zugewiesen bekommen. Dies trifft ihrer

Ansicht nach auch für die Negativselektion zu, da sie „der Motivation der

Schülerinnen und Schüler zur

Leistungserbringung keinen Abbruch tue bzw. die ‚Kränkung’ bloss von vo-

Page 44:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

31

50 Streckeisen et al. 2007: 1051 vgl. Streckeisen et al. 2007: 109 und 289

Page 45:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

52 vgl. Streckeisen et al. 2007: 142f und 289f53 vgl. Streckeisen et al. 2007: 178f und 290

28

rübergehender Dauer sei“. Die Lehrkräfte denken überwiegend in den

organisa- torisch-institutionellen Kategorien der schulischen Selektion und

glauben an die Legitimität, Verlässlichkeit und Richtigkeit dieses Schulsystems.52

- Typ 3 „Disziplinierung“: Lehrerinnen und Lehrer des Typ 3 begegnen dem Prob-

lem von „Fördern und Auslesen“ mit der Deutung, dass Selektion in Form eines

„Disziplinierungsinstruments“ auftritt. Je nachdem wie der Selektionsdruck als

Hilfsmittel eingesetzt werden soll, lassen sich in diesem Deutungsmuster zwei

Deutungsmuster-Varianten definieren: Einerseits die Disziplinierung im „Dienste

der Ordnung“ und andererseits die Disziplinierung „im Dienste der Leistungser-

bringung“. Gemäss Lehrpersonen der Variante 1 besteht die Gefahr, dass in der

Schule jene „Bedingungen der Ordnung“ fehlen, die einem „normalen

Schulehal- ten“ vorausgesetzt sind und es den Schüler und Schülerinnen an

„Halt“ und

„Orientierung“ fehle. Die Untersuchungen zeigten, dass sich vor allem habituell

wenig gefestigte Lehrpersonen auf diese „kontrollierende Disziplinierung“ beru-

fen. Auf die zweite – leistungsorientierte – Variante greifen hingegen habituell si-

cherer Lehrpersonen zurück. Sie stellen bei den Schüler und Schülerinnen eine

„mangelnde Leistungsmotivation sowie fehlende Bereitschaft zu

Triebverzicht“ fest und halten den Druck – oder das „Ausüben eines

‚Fremdzwangs’ (Elias)“ – für notwendig, damit die Lernenden Leistung

erbringen.53

- Typ 4 „Ringen um das Arbeitsbündnis“: Anders als die oben vorgestellten

Typen ist bei den Lehrpersonen des Typ 4 eine Auffassung festzustellen,

wonach Se- lektion „problematisch und das Verhältnis zwischen Fördern und

Auslesen ein widersprüchliches ist.“ Sie führen ihre Aufgabe mit der

Überzeugung aus, dass sie den Lernenden durch das Treffen von negativen

Selektionsentscheiden pä- dagogisch sinnlosen Schmerz zufügen.

Ausserdem sehen sie das selektive Schulsystem als mitverantwortlich für

die Reproduktion sozialer Ungleichheit. Wegen der Widersprüchlichkeit ihrer

pädagogischen Praxis bemühen sich diese Lehrkräfte um eine „möglichst

‚verträgliche’ Ausgestaltung des Zustandekom- mens der

Page 46:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

52 vgl. Streckeisen et al. 2007: 142f und 289f53 vgl. Streckeisen et al. 2007: 178f und 290

29

Selektionsentscheide“. Dies zeigt sich vor allem auf der Interaktionse- bene mit

ihren Schülerinnen und Schülern, „[...] im Wissen darum, dass dies ei-

Page 47:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

56 vgl. Streckeisen et al. 291f

29

nen praktisch aussichtslosen Unterfangen gleichkommt, ‚ringen’ sie [...] um das

Arbeitsbündnis mit ihrer Klientel“.54

- Typ 5 „Fördern jenseits der Selektion“: Lehrpersonen dieses Typs sehen das

Problem der Selektion auf der Ebene der Organisationsform des Bildungswe-

sens, was eine innerliche Abgrenzung gegenüber dem Schulsystem zur

Folge hat. Mit dem negativen Selektionsentscheid für leistungsschwache und

sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler konnotieren sie ein

schädigendes Übel und einen pädagogisch sinnlosen Schmerz für die

Schülerinnen und Schüler. Daher tendieren sie zu einer möglichst späten

Selektion oder gar zu einer völlig selektionslosen Schule. Sie „identifizieren

sich mit den ‚Selektionsopfern’ und haben den Anspruch, diese jenseits der

Selektion [...] möglichst individuell zu fördern“.55

Beim Vergleich der oben aufgeführten Typologie sollen hier die zwei „extremsten“ Pole

– das heisst die Deutungsmuster Typ 1 „Auslese der Besten“ und Typ 5 „Fördern

jenseits der Selektion“ – herausgegriffen werden. Bei beiden Typen kann eine fast

vollständig

„reibungslose“ Handhabung des Selektionsproblems konstatiert werden. Beide Deu-

tungsmustertypen verschliessen sich nämlich gänzlich vor dem Handlungsproblem.

Während sich die Lehrkräfte des Typ 1 auf die einseitige Auslese der Besten

konzentrie- ren und eine Selektion in der Schule vehement befürworten, verschliessen

bzw. distan- ziert sich Typ 5 innerlich von der selektiven Organisationsform des

Schulsystems und nimmt eine „fundamental kritische“ Position ein.56

Ausgehend von der letzten Position soll an dieser Stelle auf das Kapitel 3.2

verwiesen werden. Der oben beschriebene Konflikt, welcher von Lehrpersonen des

Typ 5 durch- laufen wird, könnte zu einem gewissen Teil die Motivation der

bildungspolitischen Aus- einandersetzungen in Finnland gewesen sein. Sicher ist

jedoch, dass die skeptische Einstellung gegenüber der Selektion die Ausganslage

für deren Überwindung war. In einem mehrjährigen Prozess wurde mit den

unmessbaren und viel kritisierten Merkma- len der äusseren Differenzierung

gebrochen und eine „Schule für alle“ geschaffen. Es

war ein ausgesprochen hohes Ziel, allen Mitglieder der Gesellschaft eine gleich

Page 48:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

56 vgl. Streckeisen et al. 291f

29

lange

54 vgl. Streckeisen et al. 2007: 212 und 290f55 vgl. Streckeisen et al. 2007: 242 und 291

Page 49:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

30

und mit hauptsächlich gleichen Lerninhalten besetzte Grundbildung zu ermöglichen.

Dies sollte weder von der sozialen oder geografischen Herkunft noch von der berufli-

chen Zukunft abhängig sein.

Chancengleichheit, Demokratieerziehung im Klassenzimmer, eine „Schule für alle“ –

alles Grundsätze, welche die aktuellen schulpolitischen Diskussionen prägen.

Im Zuge solcher Überlegungen rückt die Erkenntnis, dass der Zugang von Min-

derheiten zu wichtigen Positionen in der Gesellschaft durch Hindernisse erschwert wird,

immer mehr in den Fokus. Die Teilhabe bzw. Teilnahme (Partizipation) oder eben Aus-

grenzung (Exklusion) geistig sowie körperlich behinderter Menschen in sozialen Zu-

sammenhängen prägt die gegenwärtige Schulpolitik. Die Forderung nach Chancen-

gleichheit in der Bildung erfordert die Integration bzw. Inklusion der „anderen“ oder wie

Domisch formuliert: „Nicht mehr die Individuen sollen sich assimilieren, sondern

Schule soll sich an Vielheit anpassen und Verschiedenheit Rechnung tragen.“57 Der

Grundge- danke dahinter ist, jedem Individuum in einer heterogenen Lerngruppe

gezielt und ge- recht zu fördern.

An dieser Stelle lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die sonderpädagogi-

schen Begriffe Inklusion, Integration, Segregation und Exklusion zu werfen und diese

im Bezug auf das finnische Schulsystem näher zu betrachten.

4.3 Entwicklungsstufen schulischer Integration

Richtet man den Fokus auf die schulische Situation von Kindern und Jugendlichen

mit Behinderung, lassen sich die Begriffe Inklusion, Integration, Segregation und

Exklusion differenziert darlegen. Dabei wird von Bürlis „Entwicklungsphasen der

Sonderpädago- gik“ ausgegangen. In seinem Modell sind qualitative

Veränderungen des Systems

„Schule“ enthalten. Es reicht von einem auf Homogenität ausgerichteten Schulmodell

hin zu einem die Heterogenität und die Individualität des Schülers bejahenden System.58

Page 50:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

31

57 Domisch 2012: 15958 vgl. Häberlein-Klumpner 2009: 42

Page 51:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

32

Abbildung 4: Entwicklung der Sonderpädagogik nach Bürli59 (links)

Abbildung 5: Schema der Entwicklungsstufen schulischer Integration60 (rechts)

4.3.1 Begriffsklärung Integration und Inklusion

Hinsichtlich der Begriffe Integration und Inklusion soll dieses Modell genauer

betrachtet werden. In der Literatur werden die beiden Fachausdrücke nicht differenziert

genug ge- handhabt und teilweise miteinander vertauscht.

Für das Verständnis bzw. die Abgrenzung der beiden Termini soll zunächst eine

etymologische Klärung herbeigezogen werden. Beide Worte stammen ursprünglich aus

dem Lateinischen. Includere bedeutet übersetzt „einschliessen“ (auch: einlassen, hin-

eingeben). Inclusus ist das Partizip Perfekt Passiv von includo. Inclusio ist „das Einsper-

ren“ oder „die Einschliessung“ und „inklusiv“ heisst eingeschlossen bzw.

einschliesslich. Anders verhält es sich bei der Herkunft des Wortes „Integration“. Es

bezieht sich näm- lich auf das lateinische Wort integer, was mit „unversehrt“ oder

„unberührt“ übersetzt werden kann. Anders als beim Inklusionsbegriff wird der Fokus

bei der Integration auf das „Ganz-Sein“ resp. „Unverletzt-Sein“ gelegt.61

Gemäss Kasztantowicz bedeutet Integration „die Vervollständigung eines unvoll-

ständigen Ganzen, die Einbeziehung und Eingliederung von etwas, durch welches das

59 Bürli 1997. In: Wohlhart 2010: 1360 Gemeinsam leben, gemeinsam Lernen – Olpe plus e.V. (2013).URL: http : //www .i nk l us i on-o l pe . de/ i nk l us i on . ph p (Stand: 14. Februar 2013. 21.03 Uhr)61 vgl. Kastl 2012: 7

Page 52:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

33

Ganze erst seine eigentliche Vollständigkeit erhält“.62 Eine differenziertere Definition des

Integrationsbegriffs ist bei Boban und Hinz zu finden, sie kontrastieren die

„Andersartig- keit“ viel mehr in dem sie sagen: „ [Integration bedeutet, I.G]

Einbeziehung einiger Schü- lerInnen mit Beeinträchtigung und/oder mit

Migrationshintergrund, die eigentlich zum Ganzen gehören, aber bisher davon

ausgeschlossen waren oder von Ausschluss be- droht sind; in der Praxis zuweilen mit

einer Vorstellung zweier Gruppen verbunden, von denen die mehrheitliche 'die

Eigentlichen' sei.“63

Demgegenüber schreiben Hollenbach und Kober zur schulischen Inklusion: „Eine

inklusive Schule zeichnet sich dadurch aus, dass sie allen Kindern offen steht. Sie ist

eine Schule, in der Kinder und Jugendliche gemeinsam lernen, ohne dass sie

aufgrund ihrer individuellen Besonderheiten voneinander getrennt werden“.64 Weitere

Aspekte zur Inklusion werden bei Boban und Hinz genannt. Bei ihnen geht es darum,

„alle Barrieren in Bildung und Erziehung für alle SchülerInnen auf ein Minimum zu

reduzieren.“65 Auf dieser Basis wird, unabhängig von Stärken und Schwächen des

Einzelnen anerkannt:66

- die Vollwertigkeit eines jeden Menschen- das Recht auf Gleichberechtigung aller bei gleichzeitiger Pflicht, andere Menschen als

gleichberechtigt anzuerkennen,- das Bedürfnis aller auf Entwicklung in der dialogischen, kooperativen und kommunikati-

ven Gemeinschaft,- das Bedürfnis und das Recht eines jeden Menschen, als Subjekt seines Lebens und Ler-

nens von sich aus kompetent zu handeln,- das Recht aller auf prinzipielle Teilhabe und Nicht-Aussonderung.

Hier zeigt sich, dass nach der Auffassung der Inklusion „selektive Massnahmen zu kei-

ner Zeit der Entwicklung einer Person gerechtfertigt sind und dass keine Person,

unab- hängig vom Grad des Andersseins, von der Zugehörigkeit zur allgemeinen

Gruppe aus- geschlossen werden darf.“67 In Hinblick auf die gesellschaftlichen

Rahmenbedingungen wird bald klar, dass der inklusive Gedanke nicht vorausgesetzt

werden kann. Es bedarf vorher eines grundlegenden Bewusstseinswandels oder wie

Domisch dies formuliert:

„Es scheint nicht ganz einfach zu sein, Behinderung neu zu denken, weil damit ja Ge-

Page 53:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

34

62 Kasztantowicz 1982. In: Rüegg, Roland, Catrin Maler 2010: 1263 Boban und Hinz 2003: 11664 Hollenbach und Kober 2011: 1165 Boban und Hinz 2003: 1166 Bintinger und Wilhelm 2001. In: Häberlein Klumpner67 Häberlein-Klumpner 2009: 41

Page 54:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

35

sellschaft insgesamt neu gedacht werden muss.“68 Nach Boban und Hinz muss der

Wandel auf drei Ebenen erfolgen:69

- Inklusive Kulturen schaffen: Gemeinschaft bilden, inklusive Werte verankern,- Inklusive Strukturen etablieren: Eine Schule für allen entwickeln, Unterstützung für Viel-

falt organisieren;- Inklusive Praktiken entwickeln: Lernarrangements organisieren, Ressourcen mobilisie-

ren.

Auf der eidgenössisch unterstützen Internetplattform zum Thema „Integration und

Schule“ lässt sich eine hilfreiche Gegenüberstellung der Begriffe „Inklusion“ und „In-

tegration“ finden. Die Begriffsdefinition dieser Projektgruppe70 soll den Unterschied ab-

schliessend noch einmal erläutern:

[...] unter dem Begriff Integration [wird, I.G.] die möglichst weitgehende gemeinsame und wohnortnahe Schulung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne besonderen Bildungs- bedarf in der Regelschule verstanden. Dazu werden entsprechende pädagogische und son- derpädagogische Angebote und Ressourcen innerhalb der Regelschule bereitgestellt. Inklu- sion geht einen Schritt weiter. Inklusion bezeichnet die Vision einer gemeinsamen Schule für alle Kinder und Jugendlichen. Der gemeinsame Unterricht in heterogenen Klassen ist Selbstverständlichkeit. Die Lehrpersonen gestalten gemeinsam mit ihren vielfältigen Kompe- tenzen anregende und an die Lernvoraussetzungen der Kinder angepasste Lernumfelder und kompetenzorientierten Unterricht. Eine inklusive Schule nimmt alle Lernenden ihres Ein- zugsgebietes – unabhängig ihrer körperlichen, geistigen, emotionalen und sozialen Entwick- lung; unabhängig ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihres religiösen Hintergrunds oder ihrer familiären Situation – in ihren Unterricht auf.

Vor dem Hintergrund der Ausführungen zu den Begriffen Integration und Inklusion lässt

sich nun die Frage stellen, wie das finnische Schulsystem diesbezüglich aussieht.

Die folgenden Angaben beziehen sich auf die Aussagen der finnischen Professorin

Alia- Leena Matthies. Sie setzt sich mit dem Thema „Von der Integration zur Inklusion

im fin-

nischen Schulsystem“ auseinander.

68 Domisch 2012: 16169 Boban und Hinz 2003: 15f

70 Diese Webseite wurde erstellt durch eine Projektgruppe: insieme Schweiz, Pro Infirmis Schweiz, Netzwerk Integrative Schulungs- formen (koordiniert vom Institut für Schule und Heterogenität ISH der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz PHZ Lu-

Page 55:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

36

zern), Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH, Hochschule für Heilpädagogik HfH Zürich, Vereinigung Cerebral, vpod und pulsmesser mit finanzieller Unterstützung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung URL: http : //www .i ntegrat i onundschu l e . c h (Stand 08.02.2013, 09.24 Uhr)

Page 56:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

37

4.4 Integration und Inklusion im finnischen Schulsystem

Geht man dem Erfolg finnischer Schulen nach, stösst man bald auf die These, dass

unter anderem der integrative Unterricht an den Gesamtschulen dafür

verantwortlich sein soll. „Integration“ an sich ist jedoch noch keine Erklärung,

vielmehr wirft dieses Konzept Fragen auf. Wie können Schüler und Schülerinnen in

Finnland mit unterschied- lichen Leistungsniveaus in eine Klasse integriert werden?

Wie und wo werden finnische Kinder mit Behinderung unterrichtet? Wie wird mit

Lernverzögerung umgegangen? Matthies’ grundlegende These zum strukturellen

Rahmen des Sonderunterrichts be- sagt: „[...] dass durch gezielte Förderung in einer

möglichst frühen Phase unnötige und kostenintensive Sonderwege der schulischen

Biographie vermieden werden können.“71

Dass die finnischen Schüler und Schülerinnen die einheitliche Schulform, wo die

Differenzierung erst nach der neunten Klasse stattfindet, passieren können, ist

gemäss Matthies den „umfangreichen und systematischen Formen des Förder- und

Sonderun- terrichts“ zu verdanken.72 Die spezifische Förderung finnischer Kinder

beginnt jedoch nicht erst nach dem Schuleintritt, sondern bereits im Säuglingsalter.

Das Vorsorgesys- tem „neuvola“ enthält regelmässige vorbeugende und

multiprofessionelle Beratungs- und Untersuchungstermine für Kinder und deren Eltern.

Ziel dieser kinderärztlichen Vor- und Einschulungsuntersuchungen ist es, „eine

möglichst frühe Intervention und syste- matische Zusammenarbeit aller professionellen

Stellen mit der Familie bei auftretenden Problemen der Entwicklung des Kindes [...]“ zu

schaffen.73 Die „neuvola“ ist jedoch nicht das einzige vorschulische Angebot für

finnische Kinder. Es bestehen ausserdem zahl- reiche Möglichkeiten für Kinder ab

sechs Jahren, eine freiwillige Vorschule zu besuchen, wo das soziale Verhalten und das

Konzentrationsvermögen geübt werden.

Nach der Einschulung kommen vor allem drei präventive und fördernde Angebote zur

Geltung: Das Schülerfürsorge-Team, die Lernberatung/das Coaching und der Förder-

bzw. Sonderunterricht. Auf das letztgenannte Angebot wird im Folgenden näher einge-

gangen.

Die Trennung zwischen den Stufen des allgemeinen Unterrichts, zeitweisen För-

derunterrichts, teilweisen Sonderunterrichts und umfassenden Sonderunterrichts ist

Page 57:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

38

71 Matthies 2003: 172 Matthies 2003: 173 Matthies 2003: 2

Page 58:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

39

fliessend. Der in Gruppen oder dem Klassenverband stattfindende „allgemeine Unter-

richt“ (yleisopetus) ist der „normale“ Unterricht. Die Inanspruchnahme des sonderpäda-

gogischen Unterrichts ist allerdings genauso verbreitet und „normal“.

Schüler und Schülerinnen der neunjährigen Grundschule, die geringe und vorüberge-

hende Lern- und Anpassungsschwierigkeiten haben, besuchen den zeitweisen Förder-

unterricht (osa-aikainen ertyisopetus). In den meisten Fällen machen die Kinder vor al-

lem in den ersten Monaten und Jahren ihrer Schulkarriere von diesem Angebot Ge-

brauch. Der zeitweise Förderunterricht findet in diversen Formen im Rahmen des allge-

meinen Unterrichts statt, so zum Beispiel in individuellen oder kleingruppenförmigen

Förderstunden während, vor oder nach dem Unterricht. Häufigste Gründe für den Be-

such des zeitweisen Förderunterrichts sind Lese- und Schreibschwächen oder Sprech-

probleme.74

Schüler und Schülerinnen, bei denen man feststellt, dass die erste Stufe der

För- dermassnahmen nicht ausreichend ist, werden in den umfangreichen

Sonderunterricht (kokoaikainen erityisopetus) verlegt. Je nach Lernschwierigkeiten

wird individuell ent- schieden, ob das Kind nur in einem oder in mehreren

Fächern Sonderunterricht braucht. Diese sonderpädagogischen Massnahmen

werden bei Kindern mit Behinde- rung, Krankheit, Entwicklungsverzögerung oder

emotionaler Störung, die im allgemei- nen Unterricht und dem zeitweisen

Förderunterricht Schwierigkeiten haben, ergriffen. Je nach Lernkapazität lernen die

Sonderschüler und Sonderschülerinnen nach einem mo- difizierten Lernplan und

erbringen individuell reduzierte Leistungen. Zur Zeit entscheiden die Kommunen

selber, ob der Sonderunterricht im Rahmen des allgemeinen Unter- richts, in

getrennten Sondergruppen oder –klassen oder in einer Sonderschule stattfin- det.75

Bis zum heutigen Zeitpunkt wurde es in Finnland weitestgehend erreicht, dass

praktisch kein Kind wegen Leistungsunterschieden, Lernverzögerungen oder wegen

emotionaler und sozialer Auffälligkeit in eine gesonderte Schule verlegt wurde. Auf

Grund integrie- render Fördermöglichkeiten können solche Schwierigkeiten

aufgefangen werden. Ten-

denzen zeigen, dass der Sonderunterricht immer mehr an allgemeinen Schulen stattfin-

Page 59:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

40

74 vgl. Matthies 2003: 2f75 vgl. Matthies 2003: 3

Page 60:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

76 vgl. Matthies 2003: 477 Juva 2008b: 125

36

det, was bewirkt, dass die Anzahl der Sonderschulen zurückgegangen ist.76 Um jedoch

das Ziel der Chancengleichheit – einer „Schule für alle“ – zu erreichen, zielen

aktuellste Bemühungen Richtung Inklusion, insbesondere von schwerbehinderten

Kindern oder von Kindern mit schweren Verhaltensstörungen. Man sieht es als wichtig

an, „[...] dass die Familie, die Schule und die ganze Gesellschaft diese Lernprozesse

unterstützen und als gleichberechtigten Bestandteil der gemeinsamen Schule

wertschätzen.“77

Dass es sich bei der Integration in Richtung Inklusion nicht um ein idealistisches Bild

handelt, zeigt sich bei der Schule Viitaniemen in Jyväskylä. Die Schule besteht aus ca.

21 Klassen, zählt rund 500 Schüler und Schülerinnen und 50 Lehrpersonen. Dazu ver-

fügt sie über fünf festangestellte schulische Heilpädagogen, welche Schülerinnen und

Schüler mit Lernschwierigkeiten im Einzel- oder Kleingruppenunterricht unterstützen.

Diese Lektionen finden meist parallel zum regulären Unterricht statt und erinnern stark

an die ILF-Lektionen, wie sie beispielsweise an Schulen im Kanton Bern angeboten

werden. Jedoch sind die Gruppen (bestehend aus ca. 3-4 Lernenden) Alters- und Inte-

ressensdurchmischt. Jedes Kind löst Übungen in dem Fach, wo es

Lernschwierigkeiten hat und wird dabei von der heilpädagogischen Lehrperson

unterstützt. Ferner verfügt die Sekundarschule über eine Spezialklasse für autistische

Kinder. Diese befinden sich räumlich im gleichen Schulhaus wie alle anderen Kinder,

lernen jedoch nach einem ei- genen Plan, verfügen über ein eigenes Klassenzimmer

mit spezieller Infrastruktur und werden von einer eigens für sie angestellten

Heilpädagogin betreut. Hier bestätigt sich dann auch das Bild der Integration: eine in

sich geschlossene Gruppe ist in einem Gros eingebettet, funktioniert aber für sich

selbst. Schliesslich fielen die insgesamt zehn Leh- rerassistenten auf, welche auch

einen wichtigen Beitrag zur Integration leisten. Je nach Bedarf begleitet ein Assistent /

eine Assistentin die Lehrperson und unterstützt sie im Unterricht, indem sie sich

beispielsweise um eine Gruppe oder einzelne Schüler und Schülerinnen kümmert.

Dies ist jedoch nicht zu verwechseln mit dem Teamteaching, weil es sich bei den

Assistenten nicht um ausgebildete Lehrpersonen handelt.

Page 61:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

81 Patschkowski 2003: 3

37

«I’d like them to learn how to behave themselves, how to cope with difficulties in life,

how to learn to trust oneself, how to make friends and be sociable.» A.Y., Schulleiterin der Sekundarschule Viitaniemi, Jyväskylä

5 Fokus II: Ebene Unterricht

5.1 Innere Differenzierung

Eine grundlegende Definition für innere Differenzierung oder Binnendifferenzierung bietet

Klafki: „Innere Differenzierung meint all jene Differenzierungsformen, die innerhalb

einer gemeinsam unterrichteten Klasse vorgenommen werden [...]“.78 Sie ist meist

fachbezo- gen und betrifft didaktisch-methodische Massnahmen innerhalb des

Klassenunterrichts, die darauf abzielen, „den individuellen Begabungen, Fähigkeiten

und Interessen der Schüler gerecht zu werden.“79 Bönsch spricht im gleichen

Zusammenhang der inneren Differenzierung von einem „variierenden Vorgehen in der

Darbietung von Lerninhalten.“80

Betrachtet man den Unterricht mit innerer Differenzierung als ein Gegenstück zum

Fron- talunterricht, „so liegt der ausschlaggebende Unterschied in der Planung der

Lernstra- tegien“ 81 , meint Patschkowski. Der lehrerzentrierte Frontalunterricht

zeichnet sich

dadurch aus, dass er den Lernenden die Lernstrategie vorgibt und alle zur selben Zeit

Page 62:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

81 Patschkowski 2003: 3

37

78 Klafki 1993: 173. In: Pfeiffer 2006: 34f79 Sitte und Wohlschlägl 2001: 19980 Bönsch 1995: 21. In: Patschkowski 2003: 3

Page 63:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

85 vgl. Sitte/Wohlschlägl 2001: 201f

38

mit dem gleichen Unterrichtsmaterial die gleichen Bedingungen erfüllen.

Demgegenüber werden die Lernenden im Unterricht mit innerer Differenzierung nicht

als homogene Gruppe betrachtet.82 Die innere Differenzierung verfolgt gemäss

Pfeiffer das Ziel, „eine optimale Förderung aller Schüler bei der Aneignung von

Erkenntnissen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erreichen.“83 Weiter wird

die Selbständigkeit der Schüler und Schülerinnen gefördert mit dem Ziel, „das Lernen

lernen zu lassen“. Die Fähigkeit des sozialen Lernens und in diesem Rahmen die

Kooperationsfähigkeit zu entwickeln, ist ein weiteres Ziel der inneren Differenzierung.84

Die Organisation und Umsetzung des Unterrichts mit innerer Differenzierung stellt

daher hohe Ansprüche an alle Beteiligte. Realisierungswege, wie in differenzierender

Weise an die individuellen Ausgangslagen der Lernenden angeknüpft werden kann, gibt

es viele. Wie das Modell von Bönsch auf Seite 23 zeigt, variiert die innere

Differenzie- rung im Einsatz von Medien und Methoden sowie in den Sozialformen

und dem stoffli- chen Umfang. Diese Aspekte orientieren sich an denjenigen Aufgaben,

die im Unterricht zu bewältigen sind. Eine Lerngruppe kann sich also mit einer

Thematik in Form von Partner-, Gruppen- oder Klassenarbeit befassen und nach

verschiedenen Kriterien zu- sammengesetzt sein (soziale Nähe oder Distanz,

Schulleistung, Pultnachbarschaft u.Ä.).

Bei lernschwachen Schülerinnen und Schüler kann mit einer Vereinfachung der

Sachverhalte (d.h. Anpassung der Lernziele) und mit der Verwendung geeigneter Lern-

materialien gearbeitet werden. Zu deren Bearbeitung individuell viel Zeit zur

Verfügung steht. Zusätzlich kann durch vorübergehende Einzelbetreuung (sei es

durch die Lehr- person oder leistungsstarke Klassenkameraden) und vertieftem Üben

viel erreicht wer- den. Lernstärkere Schülerinnen und Schüler sollen hingegen nicht

nur mehr Stoff ver- mittelt bekommen, sondern diesen auf einem kognitiv höheren

Niveau (d.h. komplexere Inhaltskomponente oder vertiefte bzw. erweiterte

Auseinandersetzung mit dem Thema) bearbeiten können. Dabei können je nach

Möglichkeiten der Lernenden schwierigere oder einfachere Lernmaterialien

(kompliziertere thematische Karten, komplexere Bilder,

anspruchsvollere Texte usw.) herbeigezogen werden.85

Page 64:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

85 vgl. Sitte/Wohlschlägl 2001: 201f

38

82 vgl. Pfeiffer 2006: 3683 Pfeiffer 2006: 3984 vgl. Pfeiffer 2006: 39

Page 65:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

39

Im Zuge der Diskussionen über innere Differenzierung ist die Synopsis mit dem Unter-

richtsprinzip „offener Unterricht – geschlossener Unterricht“ unumgänglich. Der ge-

schlossene, lehrerzentrierte Unterricht wird dabei offenen Lernformen gegenüberge-

stellt. Das Lernen wird „vielmehr arrangiert, d.h. die Schülerinnen und Schüler sollen

angeregt werden, mit vorhandenen Aufträgen und Lerngegenständen eigene Lernwege

zu gehen. Lehrpersonen helfen ihnen dabei.“86 Es wird also ersichtlich, dass

bestimmte Formen der inneren Differenzierung im offenen Unterricht umgesetzt werden

können. In diesem Zusammenhang kommt dem „kooperativen Lernen“ als Form des

offenen Un- terrichts eine wichtige Bedeutung zu. Das kooperative Lernen entspricht

dem Bedürfnis nach Kommunikation und Kooperation junger Menschen. Gemäss

Niggli ist es „not- wendig, im Kontakt mit anderen zu lernen“, da dies der Forderung

nach Teamfähigkeit in der Wirtschaft und am Arbeitsplatz entspreche. Lehrpersonen

sind darum herausge- fordert, „soziales Lernen und inhaltliche Fragen (die Aneignung

von Kenntnissen, Fähig- keiten und Fertigkeiten) didaktisch angemessen zu

arrangieren.“87 Damit kooperatives Lernen stattfinden kann, muss ein „gemeinsames

Ziel“ vorhanden sein. Das Vorhaben der Gruppe steht dadurch im Zentrum des

kooperativen Unterrichts. Zur „positiven In- terdependenz“ (positive gegenseitige

Abhängigkeit) kommt es, wenn jedes Gruppen- mitglied das Gefühl hat, gemeinsam

mit den anderen zu profitieren.

An dieser Stelle wird vermutet, dass Finnlands Schulen deshalb erfolgreich

sind, weil in den Schulen der offene Unterricht in Form von kooperativen Lernanlässen,

schü- lerzentrierten Aufgabenstellungen und differenzierten Unterrichtsarrangements

prakti-

ziert wird.

Page 66:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

40

86 Niggli 200: 1787 vgl. Niggli 2000: 222

Page 67:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

41

5.2 Quality of Instruction in Physics (QuIP)

Dieses Kapitel widmet sich dem konkreten Unterricht finnischer Schulen und erklärt de-

ren Erfolg auf einer anschaulichen – gar alltäglichen – Ebene. Dabei wird

grösstenteils Bezug auf die Dissertationsarbeit von Johannes Börlin „Das Experiment

als Lerngele- genheit. Vom interkulturellen Vergleich des Physikunterrichts zu

Merkmalen seiner Quali- tät“ genommen. Seine Arbeit ist Teil der tri-nationalen

Videostudie „Quality of Instruction in Physics“ (QuIP)88, welche Merkmale gelingenden

Physikunterrichts in den Ländern Deutschland, Finnland und der Schweiz untersucht.

Insgesamt wurden 99 Doppelstun- den in Klassen des 9. und 10. Schuljahres aller

Schultypen zum Thema „Zusammen- hang zwischen elektrischer Energie und

Leistung“ gefilmt. Börlin legte bei seiner Arbeit den Schwerpunkt auf den Aspekt des

experimentellen Handelns, welches ein charakte- ristisches Merkmal des

Physikunterrichts bildet. Bei der Besprechung von Börlins Er- gebnissen als

Teilaspekt der QuIP-Studie, liegt der Fokus lediglich auf den Befunden des

Gesamtprojekts.

QuIP verfolgte zwei Hauptziele: 1. Die Identifikation von Qualitätsaspekten des

Physikunterrichts sowie 2. Die Erklärung der Leistungsunterschiede zwischen deut-

schen, finnischen und schweizerischen Schülerinnen und Schüler auf der Unterrichts-

ebene.89

Auslöser für die Videountersuchung waren die Testergebnisse der PISA-Studien,

in denen die finnischen Schüler und Schülerinnen bei den Leistungstests in den Natur-

wissenschaften signifikant besser abschnitten als die deutschen und

schweizerischen

Probanden und Probandinnen, wie die folgende Grafik anschaulich vor Augen führt:90

88 Hinter dem Projekt „Quality of Instruction in Physics“ und ihren Parnterorganisationen stehen: die Universität Duisburg-Essen (Deutschland), die Universität Jyväskylä (Finnland) und die Pädagogische Hochschule Bern und Pädagogische Hochschule der

Page 68:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

42

Fachhochschule Nordwestschweiz (Schweiz). Vgl. Börlin 2012: 2

89 vgl. Börlin 2012: 290 vgl. Labudde 2012: Folie 4

Page 69:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

43

Abbildung 6: Übersicht der PISA-Ergebnisse 2000-2006 im Bereich der Naturwissenschaften91

Neben all den anderen Forschungsarbeiten zum finnischen Schulsystem setzte die

QuIP-Studie mit ihren Untersuchungen genau dort ein, wo bisher eine Lücke klaffte,

nämlich die systematische Untersuchung, die das konkrete finnische Unterrichtsge-

schehen analysieren. Dazu wurden drei Hauptforschungsfragen aufgestellt: 92

1) Welche Charakteristika des Physikunterrichts machen Unterrichtsqualität aus?

2) Bestehen zwischen den Ländern bezüglich dieser Qualität Unterschiede?

3) Lassen sich länderspezifische Differenzen beim Zuwachs an Schülerleistung auf

Unterschiede der Unterrichtsqualität zurückführen?

5.2.1 Projektüberblick: Modell

Die Studie baut auf einem systematischen Modell für Unterrichtsqualität93 auf. Grundle-

gende Elemente bilden das Unterrichtsgeschehen und die darin enthaltenen Lernange-

bote, welche von der Lehrperson sowie den Schülern und Schülerinnen beeinflusst

werden. Beide Akteure werden durch Konstrukte wie Motivation, Ausbildung

(Lehrper-

son) und familiärem Hintergrund (Schüler und Schülerinnen) u.a. charakterisiert. Der

91 Das Diagramm zeigt die PISA-Ergebnisse der ersten drei Jahre (2000, 2003 und 2006) im Bereich der Naturwissenschaften. Gegenüber der Schweiz und Deutschland hat Finnland in allen drei Erhebungsjahren besser abgeschnitten, wie das Ranking der OECD veranschaulicht. Im Jahr 2006 erreichte Finnland einen Mittelwert von 563 Punkten und führte damit die Tabelle an. Deutsch- land erreichte 516 Punkte und die Schweiz folgte mit 512 Punkten. Vgl. OECD Kurzzusammenfassung 2007: 24. URL: http : //www . oecd . org/p i sa/39731064 . pd f (Stand 14. Februar 2013, 22.17 Uhr)

Page 70:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

44

92 Börlin 2012: 793 vgl. Lipowsky et al 2005. In: Börlin 2012: 42

Page 71:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

45

Output des Unterrichtsgeschehens wird durch Veränderungen der Schülerkompetenz

und -motivation erfasst.94

LEHRER Ausbildung

UNTERRICHT SCHÜLER

FamiliärerHintergrund

ProfessionellesWissen

Einstellungen

Enthusiasmus

Arbeits- bedingungen

Klassen- management

KognitiveAktivierung

ExperimentellesHandeln

Klassenklima

MotivationaleUnterstützung

Nicht-verbalesLehrerverhalten

KognitiveFähigkeiten

Kompetenz

Interesse, Motivation

OUTPUT Kompetenz

Interesse, Motivation

Abbildung 7: Systematisches Modell für Unterrichtsqualität (vgl. Lipowsky 2005)

Das QuIP-Projekt berücksichtigte bei der Erhebung alle Variablen des obigen

Modells. Bei der Diskussion der Forschungsergebnisse werden hier einzelne

Aspekte dieses Modells exemplarisch besprochen. Es wird dabei auf den

Leistungszuwachs, die Unter-

richtsmethoden, das Sozialverhalten und das experimentelle Handeln eingegangen.

Page 72:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

46

94 vgl. Börlin 2012: 42

Page 73:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

5.2.2 Projektüberblick: Design und Stichprobe

Die Datenerhebung dauerte ungefähr ein halbes Jahr. Sie erfolgte bei den meisten

Klas- sen im Wintersemester 2008/2009 und wurde im Sommersemester 2009

abgeschlos- sen. Damit die QuIP-Studie möglichst mit den Ergebnissen von PISA

vergleichbar war, wurden bei den nationalen Stichproben Klassen gewählt, die dem

Alter und dem sozio- ökonomischen Hintergrund von PISA entsprachen. In Finnland

und der Schweiz wurden die Probanden und Probandinnen im 9. und in Deutschland

im 10. Schuljahr getestet.

Der Klarheit halber soll hier erwähnt sein, dass pro Land nur eine bestimmte

Re- gion am Projekt beteiligt war. Aufgrund des grossen Aufwandes, die mit der

Erhebung einer für ganz Deutschland repräsentativen Stichprobe verbunden gewesen

wäre, wur- de die Untersuchung auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen

eingeschränkt. Auch in der Schweiz wurden nur bestimmte Klassen untersucht,

nämlich solche aus dem deutschsprachigen Teil des Landes. Für die Erfassung in

Finnland wurden Schulen aus Mittelfinnland (Region im Umkreis von 200 km um

Jyväskylä) berücksichtigt.

Die Erhebungen gliederten sich in eine Eingangserhebung (Pretest), die Video-

graphierung einer Doppelstunde zum Thema „Zusammenhang zwischen Elektrischer

Energie und Leistung“ und eine Nacherhebung (Posttest).

Halbjahr

Pr e t e s t

Vi d e o a u f n a h m e : I Do p p e l s t u n d e

Po s t te s t

LP SuS

LP SuS

LP SuS

Tests & Fragebogeno Hintergrundo Einstellungeno Fachwissen

kurzer Fragebogeno Motivation o Typikalität

Unterricht

Tests & Fragebogeno Fachwisseno Motivation

Abbildung 8: Zeitlicher Ablauf der Datenerhebung: Pretest, Videoaufnahme einer Doppelstunde und Posttest

(vgl. Börlin 2012: 44/Labudde 2012: 11)

Page 74:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

Die Vorerhebungen erfolgten unmittelbar vor Beginn der Unterrichtseinheit zur

Elektrizi- tät in Form von Fragebögen und Tests. Befragt wurden sowohl Lehrpersonen

wie auch die Schüler und Schülerinnen.

Im Fokus der Erhebungen stand die Physik-Doppellektion zum Thema „Zusam-

menhang zwischen elektrischer Energie und Leistung“, die in jeder teilnehmenden Klas-

se gefilmt wurde. Den Lehrpersonen stand es frei, wie sie die Unterrichtssequenz ge-

stalteten. Direkt nach der Videographierung der Doppellektion wurde eine Kurzerhe-

bung durchgeführt. Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schüler wurden befragt, ob

es sich bei der gefilmten Sequenz um eine typische Doppellektion gehandelt hatte.

Mindestens einen Monat nach der videographierten Doppellektion wurde

schliesslich der Posttest durchgeführt. Üblicherweise verstrich zwischen dem Pre- und

Posttest ein Halbjahr. Dieses Pre-Posttest-Design umfasste einerseits Fachwissen,

In- telligenz, Motivation und Interesse sowie den sozioökonomischen Status aller

Schüle- rinnen und Schüler. Andererseits Fachwissen, fachdidaktisches Wissen sowie

Motivati- on aller beteiligten Lehrpersonen.95

5.2.3 Auswertung des Projekts: Zuwachs an Fachwissen

Die Auswertung der Pre- und Posttests hatte gezeigt, dass die Stichprobe in allen

drei Ländern denjenigen von PISA sehr ähnlich war. Wie weiter oben bereits erwähnt

wurde, handelte es sich bei den Pre- und Posttests um Wissenstests. Dieser war

aus PISA- ähnlichen Aufgaben konzipiert.

Von besonderer Bedeutung ist die Gegenüberstellung der Testergebnisse: sie

zeigen, „dass sich bei den finnischen und Schweizer Schülerinnen und Schülern ein

signifikanter Leistungszuwachs [nach Erarbeitung des Themas, I.G.] ergibt, wobei erste-

re am besten abschneiden“.96 Des Weiteren kann aus dem untenstehenden Diagramm

entnommen werden, dass bei den deutschen Probanden kein signifikanter Leistungs-

zuwachs zu verzeichnen war.

95 vgl. Börlin 2012: 42f, Labudde 2012: 11f, Börlin et al. 2011: 23

Page 75:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

96 Börlin 2012: 149

Page 76:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

97 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2011: 2098 vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2011): Übersichtsraster Unterrichtsvorhaben

45

Abbildung 9: Diagramm zeigt das Fachwissen der Schüler und Schülerinnen im Pre- und Posttest nach Ländern

(vgl. Geller et al. In: Börlin 2012: 149)

Das bessere Abschneiden der deutschen Schüler und Schülerinnen beim Eingangstest

kann mit dem Curriculum erklärt werden. Die Lernenden starteten bereits mit einem

grösseren Fachwissen, da die Elektrizitätslehre teilweise bereits im 7. Schuljahr themati-

siert wird, wie im Kernlehrplan Physik für die Realschule in Nordrhein-Westfalen

nachge- lesen werden kann. Demnach müssen die westfälischen Schüler und

Schülerinnen am Ende der ersten Progressionsstufe, welche „in der Regel nach etwa

einem Drittel der bis Ende des Jg. 10 vorgesehenen Unterrichtszeit erreicht wird“97

bestimmte Kompetenzen im Bereich Physik beherrschen. Gemäss einem Beispiel für

einen schulinternen Lehr- plan des Schulministeriums NRW wird in der ersten Hälfte

des 8. Schuljahres auf das Thema „Stromkreis“ mit dem inhaltlichen Schwerpunkt

„elektrische Energie“ eingegan- gen.98

Page 77:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

103 vgl. Börlin et al. 20121: 24

46

Die Betrachtung des Lernzuwachses zwischen den Pre- und Posttests lässt zweierlei

Annahmen für die drei Länder zu:99

1. Der Unterricht spielt eine Rolle.

2. Die Qualität des Unterrichts bezogen auf den Erwerb des Fachwissens unter-

scheidet sich zwischen den Vergleichsländern.

Die Testergebnisse und das Projektdesign bieten demzufolge eine ideale Grundlage,

um „Merkmale des gelingenden Unterrichts“100 zu identifizieren. Diese werden im fol-

genden Kapitel näher besprochen.

5.2.4 Analyse der videographierten Unterrichtseinheiten

a) Oberflächenstruktur: Arbeitsformen

Die Analyse der Doppellektionen bezüglich der Interaktionsformen – sprich den Oberflä-

chen- resp. Sichtstrukturen101 – wurde in 20-Sekunden Intervallen durchgeführt. Dabei

zeigten sich länderspezifische Unterschiede, welche zur Übersicht im untenstehenden

Säulendiagramm dargestellt sind. Es konnte festgestellt werden, dass in Finnland ten-

denziell mehr Unterricht stattfindet. Von den 90 Minuten Unterrichtszeit wird in

Finnland effektiv 90 Minuten unterrichtet.102 In Deutschland und in der Schweiz fiel

diese Zeit fak- tisch etwas kürzer aus. Des Weiteren wurde zwischen den Ländern

ein signifikanter Unterschied in Bezug auf den Lehrervortrag beobachtet:

Gegenüber Deutschland ist der Anteil der Unterrichtszeit mit Lehrervortrag in Finnland

und in der Schweiz signifikant höher.103 Betrachtet man hingegen den Anteil an

Unterrichtszeit, welcher für Gruppen-,

Partner- und Einzelarbeit eingesetzt wird, fällt auf, dass der entsprechende Wert in Finn-

99 vgl. Labudde 2012: 16, Börlin et al. 2011: 24100 vgl. Börlin et al. 2011: 24

101 Der Begriff Oberflächen- resp. Sichtstruktur wurde von Oser in seiner Theorie „Basismodelle des Unterrichts“ geprägt. Es geht um die sichtbaren Lehr- und Lernhandlungen, welche er folgendermassen definiert: „Wenn ein Kind lernt, dann sind zwei Ebenen des inneren Handelns unmittelbar auffallend. Die erste Ebene bezieht sich auf die Sichtstrukturen, auf das, was eine Lehrperson als Bedingung der Möglichkeit von Lernen arrangieren kann. Sichtstrukturen haben mit der Aufteilung des Materials bzw. des Stoffes, mit den Anordnungen, wie gelernt wird, z.B. Einzelunterricht, Gruppenunterricht, Partnerunterricht etc., mit den Methoden des Unterrichts, z.B. darbietender Unterricht versus entwickelnder Unterricht, auch mit den Freiheitsgraden, mit denen Kinder ihr eige-

Page 78:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

103 vgl. Börlin et al. 20121: 24

46

nes Lernen gestalten, zu tun. Man kann als Sichtstruktur also alles bezeichnen, was unmittelbar zum Unterricht von außen beitragen kann.“ Vgl. Oser/Sarasin 1995: 1. URL: ht t p : // i n f o . ub . uni - po t s da m . de / z s r / ll f / LLF_ PD F / LLF_ 11 / O S ER SA R A . PD F (Stand 28.12.2012,14.55Uhr)

102 vgl. Labudde 2012: 17 und Börlin et al. 2011: 24

Page 79:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

104 Börlin et al. 2011: 24105 Börlin et al. 2011: 25

47

land gegenüber Deutschland signifikant tiefer liegt. Es ist wichtig, darauf

hinzuweisen, dass die Schweiz bezüglich Quantität104 stets zwischen Finnland und

Deutschland liegt. Börlin betont, dass es sich bei den genannten Unterschieden nicht

um Qualitätsmerk- male handelt. Er schreibt, „ob viel oder wenig Zeit für gewisse

Aktivitäten oder Arbeits- phasen verwendet wird, ist nicht allein entscheidend.

Vielmehr sind die Art und Weise, die gesamte Orchestrierung und die Passung des

Unterrichts insgesamt für die Qualität

ausschlaggebend.“105

Zeit [min]90

Lehrervortrag

Diktat

Plenumsdiskussion

Still-/Einzelarbeit

Partnerarbeit

Gruppenarbeit

0

Deutschland Schweiz Finnland

Mehrere Arbeitsformen gleichzeitig Übergang

Andere

Abbildung 10: Das Säulendiagramm zeigt die Oberflächenstruktur der videographierten Doppellektionen in Bezug auf die Arbeits-

form nach Ländern (vgl. Labudde 2012: 17)

b) Oberflächenstruktur: Unterrichtsmethoden

Die QuiP-Studie zeigt auch statistisch signifikante Ergebnisse in Bezug auf den Lern-

prozess auf. Das in verschiedene Sequenzen oder Phasen eingeteilte Sich-

Aneignen von einem neuen Lerninhalt unterscheidet sich pro Land teilweise wesentlich.

Page 80:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

104 Börlin et al. 2011: 24105 Börlin et al. 2011: 25

47

An dieser Stelle ist die Erwähnung des in der Schuldidaktik gern zitierten PADUA-

Modells unumgänglich. Der Begründer des 5-Schritte Modells, Hans Aebli, verstand

Page 81:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

107 Schüpbach 2007: 164

48

unter dem Akronym PADUA folgende Lernphasen: P roblemstellung, A ufbauen, D

urch- arbeiten, U eben und A nwenden. Damit ist aber nicht ein fachlicher Inhalt

gemeint. Viel- mehr geht es im PADUA-Modell um die Form und Funktion des

betreffenden Lern- schrittes.106

Die folgende gekürzte Darstellung lehnt sich an Schüpbach an und fasst die

Funktion der fünf Schritte zusammen.107 Der Autor weist darauf hin, dass das

schulisch- systematische Lernen allerdings kaum so modellhaft und linear verläuft, wie

es präsen- tiert wird.

P Pr o b l e m s t e l l u n g / Pr ä s e n t a t i o n Genaues Formulieren des Problems,

A Au f b a u e n

Erfassen der einzelnen Teile

Schrittweises Zusammenfügen von Ele-menten zu einer neuen Struktur

D Du r c h ar b ei t en Bewusstes Anders-Anschauen und in neuen Zusammenhängen kennenlernen

U Ue b e n Erhalten, Konsolidieren, Automatisieren und Perfektionieren

A An w e n d e n Einsetzen des Verfügbaren in neuen Situa- tionen

Abbildung 11: Vereinfachte Darstellung des PADUA-Modells (vgl. Schüpbach 2007: 164)

Stellt man nun das PADUA-Modell den Forschungsergebnissen aus der QuIP-Studie

gegenüber, fallen wiederum länderspezifische Unterschiede auf.

Typischerweise wird der Schwerpunkt in den naturwissenschaftlichen Fächern

auf die Teilschritte Problemstellung, Aufbauen und Durcharbeiten gelegt. Die Studie

konnte diese Annahme bestätigen, indem sie zeigte, dass das Üben und Anwenden

kaum seinen Platz im Unterricht findet. Und doch weist der Physikunterricht in

Finnland diesbezüglich einige besondere Merkmale auf. Verglichen mit Deutschland

wird der

Lernstoff im finnischen Physikunterricht signifikant mehr wiederholt. Ähnlich verhält es

Page 82:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

108 Schüpbach 2007: 164

48

106 vgl. Aebli 1983: 275-382 in: Schüpbach 2007: 164ff

Page 83:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

108 Schüpbach 2007: 171

49

sich mit den Unterrichtsphasen „Zusammenfassen“ und „Prüfen/Leistungs-

/Hausaufgabenkontrolle“. Während in Finnland zwar nur ein kleiner Bruchteil des Unter-

richts dafür eingesetzt wird, werden diesen Sequenzen in der Schweiz kaum und in

Deutschland gar keine Zeit beigemessen.

Das heisst konkret, dass in Bezug zum restlichen Unterrichtsgeschehen die

oben aufgeführten Unterschiede nur einen kleinen aber sehr bedeutsamen Platz

einnehmen. Zugleich beweisen sie, dass in Finnland den zwei letzten Teilschritten

des PADUA-

Lernmodells, Üben und Anwenden, mehr Wichtigkeit beigemessen wird.

Zeit [min]90

Wiederholung

Einstieg/Einführung

Erarbeiten neuer Inhalte

Üben/Anwenden

Zusammenfassen

Prüfen/Leistungs-/ Hausaufgabenkontrolle

0 Andere

Deutschland Schweiz Finnland

Abbildung 12: Das Säulendiagramm zeigt die Oberflächenstruktur der videographierten Doppellektionen in Bezug auf den Lernpro-

zess nach Ländern (vgl. Labudde 2012: 17)

Das Vernachlässigen des Übens im Unterricht wirft Fragen auf. Wie kann es dazu

kommen, dass alle drei Länder – besonders aber die Schweiz und Deutschland – die-

sem wichtigen Element des Lernens so wenig Aufmerksamkeit schenken?

Didaktiker und Praktiker denken schon lange über dieses Phänomen nach.

Schüpbach beispielsweise geht der Frage nach, wie es zum Ungleichgewicht zwischen

Einführen/Aufbauen und Üben kommt. Er schreibt:108

Page 84:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

50

„Eigentlich sollte man meinen, Üben sei derart wichtig, dass dieser Phase im Lernprozess die nötige Gewichtung selbstverständlich zukomme. Aber vom Vorbereitungsaufwand her gesehen, den die meisten Lehrerinnen und Lehrer betreiben, und von der Realisierung im Schulalltag her, kommt man eher zum Schluss, die Einführung oder das Aufbauen sei viel wichtiger, denn da wird üblicherweise (und nicht a priori fälschlicherweise) viel Aufwand ge- trieben und viel Zeit investiert. Das Verarbeiten und Üben erscheint dann oft als Nebensache oder etwas, das man vernachlässigen zu können glaubt...“

Den Grund, dass das Verarbeiten und Üben im Schulalltag oft kürzer treten muss,

sieht der Autor bei den Lehrpersonen. Im Gegensatz zu den Schülern und Schülerinnen

ken- nen und können die Lehrenden den zu behandelnden Stoff bereits und verweilen

ent- sprechend ungerne lange daran. Sie vergessen, dass die Lernenden „dieses

Wegstück des Lernens auch gehen müssen“.109

Weiter bezieht sich Schüpbach auf Aebli, der das „Finden und Herstellen von

Sachbeziehungen zwischen bisher unverbundenen Elementen des Handelns und Den-

kens“ und „das Problemlösen, Forschen, Entdecken“ als „höheres Lernen“ bezeich-

net.110 Konsequenterweise zieht Schüpbach den Schluss, dass das Üben dementspre-

chend als „niedrieges [...] und daher weniger wichtiges Lernen“111 erscheint. Seine

Er- klärung leuchtet ein: „[...] denn mit dem Üben meinen viele Lehrende sich in

didakti- schen Niederungen zu bewegen. Und so kommt es, dass das Verhältnis von

Aufneh- men und Verarbeiten häufig nicht im Gleichgewicht ist.“112

c) Experimentelles Handeln

Ein wichtiger Teil des Physikunterrichts wird durch das experimentelle Handeln be-

stimmt. Das Experiment ist eine praktische Lerngelegenheit, welche dabei hilft,

physika- lische Gesetze und Regeln zu verstehen. Neben die Verständnisförderung

treten Aspek- te wie „[physikalische] Phänomene kennen lernen“ und „den Austausch

zwischen Ler- nenden zu fördern“.113 Gemäss Börlin können durch das experimentelle

Handeln „meh- rere unterrichtliche Dimensionen verbunden werden: Als wichtiger Teil

im Methodenre- pertoire des Physikunterrichts haben Experimente eine fachdidaktische

Dimension“.

Das Experiment, ein Kernstück der wissenschaftlichen Forschung, weckt bei den

Schülern und Schülerinnen „Neugierde und Motivation“ im Physikunterricht. Es bietet

109 Schüpbach 2007: 171110 Aebli 1983: 328f in: Schüpbach 2007: 171111 Schüpbach 2007: 171

Page 85:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

51

112 Schüpbach 2007: 171113 Börlin 2012: 11

Page 86:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

52

die Gelegenheit, „Themen aus Natur, Technik, Umwelt und der nachhaltigen Entwick-

lung auf originale, authentische, handelnde und erkundende Art zu erforschen.“114

Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hat im Juni

2011 einen Katalog mit Grundkompetenzen für die Naturwissenschaften

herausgegeben. Die Grundkompetenzen sind die „ersten nationalen Bildungsstandards

für die obligatorische Schule“ und „stellen einen wichtigen Beitrag zur

gesamtschweizerischen Harmonisie- rung der Ziele der Bildungsstufen dar.“115

Gemäss ihrem Modell müssen die Schüler und Schülerinnen bis zum Ende der

Sekundarstufe I über folgende Kompetenzen des Handlungsaspekts „Fragen und Un-

tersuchen“ – ergo experimentelles Handeln – verfügen:116

- Situationen und Phänomene mit mehreren Sinnen wahrnehmen, beobachten und be- schreiben und dazu verschiedenartige Fragen, Problemstellungen und einfache Hypo- thesen formulieren sowie Variablen für deren Überprüfung bestimmen (insbesondere im Zusammenhang mit Kraft und Gegenkraft, Energieerhaltung und -umwandlung, Strom- kreisen, Stoffumwandlungen, dem Aufbau von Zellen, dem Verhalten von Tieren, Bio- diversität);

- angeleitet Erkundungen, Untersuchungen und Experimente planen, durchführen und da- bei gezielt Schätzungen und Messungen vornehmen, Daten sammeln und auswerten und dabei zu Fragen und Hypothesen sachgemäss Stellung nehmen (insbesondere Kraftumwandlungen, mechanische und elektrische Leistung, chemische Reaktionen, Körperfunktionen, Bestimmung von Tieren und Pflanzen in Lebensräumen);

- beim Erkunden, Untersuchen und Experimentieren sowie beim technischen Konstruieren geeignete Werkzeuge, Instrumente und Materialien auswählen und einsetzen (insbeson- dere Instrumente zum Messen von Kraft, Stromstärke und Spannung; Instrumente zum Beobachten wie Mikroskop und Stereolupe);

- Ergebnisse aus Erkundungen, Untersuchungen und Experimenten in verschiedenen Formen darstellen (insbesondere als Skizze, Bericht, Protokoll, Tabelle, Diagramm, Graph, Plan);

- Erfolge und Mängel ihrer Planung, Durchführung und Auswertung einschätzen und Ver- besserungen vorschlagen.

Ein Teilprojekt der QuIP-Studie, Johannes Börlins Doktorarbeit, untersuchte

spezifisch die Qualität des experimentellen Handelns im Physikunterricht. Die Analyse

der Experi- mente im Unterricht erfolgte wiederum anhand der Videoaufnahmen. Das

„experimen- telle Handlungsmuster“ wurde mithilfe eines Kategoriesystems untersucht.

Die Ergebnisse zeigten, dass das Experimentieren im deutschen und schweizeri-

schen Unterricht signifikant mehr Unterrichtszeit in Anspruch nimmt als in Finnland.

114 EDK 2011: 13115 EDK 2011: 2116 EDK 2011: 33

Page 87:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

53

Konkret heisst dies, dass „rund die Hälfte der Unterrichtszeit (49min) im Kontext des

experimentellen Handelns stattfindet.“117 Diese Zeit umfasst jedoch drei verschiedene

Experimentierphasen: die Zeit für die Durchführung der Experimente sowie deren Vor-

und Nachbereitung.

Die signifikanten Unterschiede zwischen den drei Ländern haben sich wie folgt

gezeigt: in Deutschland und der Schweiz dominierte das experimentelle Handeln im

Unterricht. Beziffert bedeutet dies konkret, dass in Deutschland über zwei Drittel der

Unterrichtszeit (65min) für das Experimentieren eingesetzt wurde. In Finnland hingegen

wurde für das Experimentieren durchschnittlich 28 Minuten eingesetzt. Der Schweizer

Physikunterricht liegt mit 42 Minuten deutlich zwischen den beiden anderen Ländern.118

Betrachtet man die Phasen des experimentellen Handelns während des Unter-

richts, so fällt auf, dass in der Schweiz und in Finnland wenig Zeit für die Vor- und

Nachbereitung des Experiments eingesetzt wird. Zudem wird im finnischen

Unterricht dem qualitativen – im Gegensatz zum quantitativen – Experiment eine

grössere Bedeu- tung beigemessen. In Deutschland und teilweise in der Schweiz

konnten primär quanti- tative Experimente nachgewiesen werden. Die grosse Anzahl

an Versuchen kann auf das veraltete physikdidaktische Credo „jede Stunde ein

Experiment!“ zurückgeführt werden.119 Nach aktueller wissenschaftstheoretischer

Auffassung wird die Bedeutung des Experiments in der Physik geringer eingeschätzt,

als dies meist noch im herkömm- lichen Physikunterricht (und auch in den

Schulbüchern) dargestellt wird.

Börlin erstaunt dieser Befund ganz und gar nicht. Er vermutet, dass das Über-

wiegen des qualitativen Experimentierens in Finnland mit dem Lehrmittel begründet

werden kann. Die Analysen haben nämlich gezeigt, dass sich der Physikunterricht in

Finnland stark am Lehrmittel orientiert. Die starke Bindung der Lehrenden an das

Schulbuch beeinflusst logischerweise deren Planung. Beide Physiklehrmittel bieten

zum

Thema „Elektrizität“ ein qualitatives Experiment an.120

Page 88:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

54

117 Börlin 2012: 158118 vgl. Börlin 2012: 158f und Labudde 2012: 29119 vgl. Labudde 2012: 29120 vgl. Börlin 2012: 164

Page 89:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

55

6 Schlussteil

6.1 Diskussion

In diesem Kapitel wird die Arbeit abgerundet, indem die wichtigsten Ergebnisse kurz

zusammengefasst und auf die Fragestellung bezogen diskutiert werden. Das persönli-

che Fazit mit einem Ausblick bildet schliesslich den Schluss.

Um eine Basis zu schaffen, wurde zuerst kurz auf die Ergebnisse Schweizer

Schülerin- nen und Schüler in den PISA-Studien eingegangen. Dabei floss fortlaufend

die Erkennt- nis mit ein, dass die Resultate der OECD-Vergleichsstudie grosse

Auswirkungen auf die bildungspolitischen Auseinandersetzungen hatten und

Finnlands Schulen dabei einen wichtigen Platz einnahmen. Es folgte die

Feststellung, dass der schulische Erfolg in Finnland teilweise auf eine grundlegende

und gesellschaftlich tief verankerte Einstellung, nämlich der Chancengleichheit in der

Bildung für alle, zurückgeführt werden kann. Da- raufhin wurden die geschichtlichen

Entwicklungen des finnischen Schulsystems seit Ende des 19. Jahrhunderts bis

heute betrachtet, wo der Schwerpunkt vor allem bei der radikalen Umstellung vom

Parallel- hin zum Gesamtschulsystem in den 1970er Jahren gesetzt wurde. In

Verbindung mit dem Gesamtschulsystem in Finnland wurden die Strukturprinzipien

„innere und äussere Differenzierung“ umfassend betrachtet. Es wurde festgestellt, dass

eine integrative Schule, wie sie in Finnland vorzufinden ist, die äussere Differenzierung

weitestgehend überwunden hat. Des Weiteren lieferten die Befunde zur Selektion und

den fünf Deutungsmustertypen wichtige Inputs für das Verständnis dieser umfassenden

Reform. Die Erkenntnis, dass die finnische Schulpolitik trotz ihres integra- tiven

Charakters bestrebt ist, die Ausgrenzung geistig sowie körperlich behinderter

Menschen ganz zu minimieren, führte zur Klärung der sonderpädagogischen Begriffe

Inklusion, Integration, Segregation und Exklusion. Um dem Erfolg des finnischen Schul-

systems auf den Grund zu gehen, wurden die Begriffe Integration und Inklusion

näher betrachtet. Es stellte sich dabei heraus, dass sich die finnischen Schulen durch

gezielte Förderung in einer möglichst frühen Phase auszeichnen und über ein

komplexes son- derpädagogisches Förderprogramm verfügen. Bei der

Auseinandersetzung mit Diffe- renzierungsformen auf der Unterrichtsebene wurde die

Page 90:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

56

Hypothese aufgestellt, dass der

Page 91:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

57

schulische Erfolg mit dem offenen, schülerzentrierten und individualisierten Unterricht

begründet werden kann. Um dieser Annahme nachzugehen, wurden die Ergebnisse

der Studie „Quality of Instruction in Physics“ (QuIP), welche Merkmale gelingenden

Physik- unterrichts in Finnland, Deutschland und der Schweiz untersucht,

herbeigezogen. Die Auswertung der Studie konnte zwar belegen, dass der

Unterricht an den finnischen Schulen eine signifikante Rolle für gute Leistungen spielt,

widerlegte jedoch gleichzeitig die der Arbeit vorangegangene Annahme. Die

Hypothese wurde darum falsifiziert, weil belegt werden konnte, dass der Anteil der

Unterrichtszeit mit Lehrervortrag in Finnland signifikant höher liegt als in den

Vergleichsländern. Ähnlich markant waren die Befunde in Bezug auf Einzel-, Partner-

und Gruppenarbeit: für diese Sozialformen wird im finni- schen Physikunterricht

merklich weniger Unterrichtszeit eingesetzt.

Diese Befunde sind zugleich klare Elemente, welche im eigenen Unterricht

weit- gehend unabhängig des jeweiligen Fachs übernommen werden können. Auch

gibt die unterschiedliche Gewichtung des PADUA-Modells einen Hinweis, in welche

Richtung der eigene Unterricht reflektiert und allenfalls modifiziert werden könnte, um

dem finni- schen Vorbild näher zu kommen. Dies ist darum umsetzbar, weil die

einzelnen Lern- schritte Teil der inneren Unterrichtsdifferenzierung sind und von der

Lehrperson relativ autonom bestimmt bzw. gewichtet werden können. Die

Rhythmisierung der Lektionen unterliegt nicht dem Schulsystem per se. Die Befunde

zum experimentellen Handeln sind hingegen nur eingeschränkt bzw. lediglich

fachweise anwendbar, da das Experi- ment nicht Teil eines jeden Faches ist.

Zusammenfassend sei gesagt, dass die Fragestellung zur Arbeit beantwortet werden

konnte. Es wurde ein umfassendes Bild in Bezug auf Inklusion und Differenzierung im

finnischen Schulsystem skizziert. Die These, dass in Finnland vermehrt Formen des of-

fenen Unterrichts eingesetzt werden, konnte mit einschlägigen Beispielen aus der QuiP-

Studie widerlegt werden.

Eindeutige Stärke der erstellten Arbeit ist der Einbezug aktueller Studien, die ge-

rade erst abgeschlossen wurden oder im Laufe dieses Jahres noch zu Ende geführt

werden. Die im QuIP-Projekt durchgeführten Erhebungen und Stichproben weisen

eine hohe Repräsentativität auf und sind daher besonders wertvoll. Ferner sind die

persönli- chen Erfahrungen, die während dem zweiwöchigen Aufenthalt in Finnland

Page 92:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

58

gesammelt wurden, für die Qualität der Arbeit unerlässlich. Der Besuch einer finnischen

Schule ver-

Page 93:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

59

leiht der theoretischen und literaturbasierten Arbeit eine zusätzliche Tiefe, die anders

nicht erreicht werden kann.

Gleichzeitig zeigen sich in der Arbeit aber auch Grenzen und Lücken auf, die

klar benannt werden müssen. Grundsätzlich ist das Vorhaben, Merkmale eines

erfolgreich abschneidenden Schulsystems herauszufiltern und in einem ganz anderen

schulischen Kontext anzuwenden, nur bedingt umsetzbar. Zu gross sind teilweise

die kulturellen, politischen oder geschichtlichen Unterschiede, welche die

Schullandschaft bestimmen. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen

Sparmassnahmen und leb(e)haften Diskussi- onen bezüglich der kantonalen

Lohnstrukturen. Es reicht nicht, die Adaption nur an der Oberfläche, d.h. im

Unterricht, vorzunehmen. Die grundlegenden Unterschiede sind tiefer im

Schulsystem verankert. Überdies läuft man bei der Lektüre dieser Arbeit Ge- fahr,

Äpfel mit Birnen zu vergleichen: Die Befunde der QuIP-Studie stützen sich einzig auf

Untersuchungen, die im Physikunterricht zu einem einzigen Thema durchgeführt

wurden. Diese Ergebnisse lassen sich nur beschränkt verallgemeinern und müssen mit

Vorsicht genossen werden. Ebenso wurde die hier aufgestellte Hypothese mit einer

Studie widerlegt, was in einer möglichen Weiterarbeit unbedingt beachtet werden

müsste.

Die Auseinandersetzung mit diesem Thema hat jedoch auch Fragen aufkommen lassen,

welche hier nur noch am Rande und im Sinne eines Ausblicks aufgeführt werden

sollen. Diese Gedanken erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

- Laut dem finnischen Ministerium für Arbeit und Wirtschaft121 lag die

Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen unter 25 Jahren letzten August bei 7.0%. In der

Schweiz betrug diese Zahl lediglich 3.5%122. Dieser grosse Unterschied wirft viele

Fragen auf. In der Schweiz scheinen die Jugendlichen trotzdem besser auf die

berufliche Zukunft vor- bereitet zu sein. Gründe dafür könnten im dualen

Berufsausbildungssystem zu fin- den sein, das hierzulande erfolgreich zu sein

scheint und in Finnland noch Lücken aufweist und Verbesserungen nötig hat.

Ein Zusammenhang besteht allerdings

auch auf konjunktureller Ebene.

Page 94:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

60

121 Ministry of Employment and Economy www .t em .fi /emp l oymen t bu ll e tin (Stand: 14.02.2013, 14.56 Uhr)122 Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, 2012: 5. URL:ht t p : // www . b f s . adm i n . ch/ b f s / por t a l / de/ i ndex / t hem en/ 03/22/ pr es s . htm l ?pressID=8222 (Stand: 15.2.2013, 17.41 Uhr)

Page 95:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

61

- Ein wichtiger Schwerpunkt des Schulsystems ist der Beruf der Lehrperson. Es

wäre interessant, dem Professionsgedanken in beiden Ländern nachzugehen

und dies auf diversen Ebenen zu betrachten. Einerseits wäre die Stellung des

Berufsstandes in der Gesellschaft von Interesse, anderseits die Form der

Ausbildung. Ein geeigne- ter Anknüpfungspunkt wäre hier zum Beispiel das im

Kapitel 5 zitierte Modell von Lipowsky. Es zeigt nämlich auf, dass die Ausbildung

der Lehrperson deren Einstel- lung und Enthusiasmus in Bezug auf den Unterricht

klar beeinflusst.

- Um einen aussagekräftigen Vergleich zwischen den Schulsystemen der Schweiz

und Finnland zu erhalten, wäre die Betrachtung der vorhandenen finanziellen Res-

sourcen wichtig. Schlussendlich bestimmen die Finanzen über die

Möglichkeiten und Grenzen schulischer Entwicklung.

- Weiter könnte genauer gefragt und analysiert werden, welche Aussagekraft und

Wichtigkeit den PISA-Studien überhaupt zukommt und inwiefern deren Befunde

wirklich relevant sind. Bieten sich den Schülern und Schülerinnen der besser ab-

schneidenden Länder auch bessere Perspektiven?

- Interessant wäre zudem die Frage nach der Befindlichkeit finnischer Schüler und

Schülerinnen. Hat der Erfolg des Schulsystems eine Auswirkung auf das

Sentiment der Jugendlichen? Welchen Nutzen haben sie von der Bildung?

- Schliesslich wären natürlich auch die integrativen Bemühungen (rILZ, DaZ, Begab-

tenförderung etc.), die an Schweizer Schulen betrieben werden, von Interesse. Was

wäre diesbezüglich von HarmoS zu erwarten?

Page 96:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

62

6.2 Persönliches Fazit

„Thank you! Have a nice journey and enjoy your flight!“. Die Flugbegleiterin streckt mir

lächelnd das Ticket und die ID entgegen und lässt mich passieren. Minuten später

sitze ich im Flugzeug und warte auf den Abflug zurück in die Schweiz. Ich freue mich,

denn ich habe einen Fensterplatz. Es herrscht bereits reger Betrieb am Flughafen.

Nach einer Weile scheint unser Pilot endlich grünes Licht für den Abflug erhalten zu

haben. Wir rol- len übers Flugfeld und machen uns bereit für den Start. Dem lauten

Aufheulen der Tur- binen folgt eine plötzliche Beschleunigung, die mich tief in den

Sitz drückt. Der span- nende Moment des Abhebens dauert einige Sekunden, dann

befinden wir uns in der Luft und steigen in die Höhe. Auch wenn ich nicht unter

Flugangst leide, merke ich doch, wie sich eine innere Nervosität langsam löst.

Auf meinem Schoss liegt das Buch von Rainer Domisch. Etliche Stellen sind mit

Post-it Klebern markiert. Ich schlage das Buch auf und weiss, dass ich das

Geschrie- bene nun besser verstehen werde. Ein kleines Stück des Geheimnisses

„finnische Schule“ hat sich mir auf eine schöne Weise offenbart. Ich blicke

nochmals aus dem Fenster, die ersten Wolken ziehen bereits vorbei. Helsinki wird

immer kleiner.

Ich bin gelandet. Angekommen. Die Arbeit ist abgeschlossen. Grundsätzlich darf ich

sagen, dass ich mit dem Produkt zufrieden bin. Dies, weil ich sehr viel Zeit investiert

und einen grossen Aufwand betrieben habe. Mit bestem Willen habe ich mich ans

Lesen, Nachforschen, Schreiben, Revidieren, Korrigieren und Überarbeiten gemacht

und dabei alle möglichen Ressourcen eingesetzt.

Was die Organisation und Realisierung dieser Masterarbeit betrifft, musste ich

jedoch meine erste Planung nach und nach anpassen. Ich habe es mir leichter

vorge- stellt, eine meinen Ansprüchen entsprechende Arbeit neben der Tätigkeit als

Lehrerin zu verfassen. Die Herausforderung bestand darin, mit den zwei

aufeinander prallenden Welten (Schule und Studium) klar zu kommen und diese

professionell aneinander vorbei zu bringen. Gleichzeitig war dieser Kontrast eine

willkommene Abwechslung zum hekti- schen Schulalltag und ein gelungenes

Nachdenken über das Lehren.

Neben dem Wissenszuwachs, der meiner Meinung nach enorm ist, habe ich

Page 97:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

63

durch diese Arbeit vor allem auch eines gewonnen: Bekanntschaften in Finnland und

Page 98:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

64

Deutschland. Während meinem Aufenthalt in Jyväskylä durfte ich eine unglaublich

grosszügige Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft von allen Leuten erfahren. Ich habe

nicht nur Neues über Finnlands Schulen gelernt, sondern auch über dessen

Menschen und Kultur.

Page 99:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

65

7 Quellenverzeichnis

7.1 Literatur

- Aebli, Hans (1983): Zwölf Grundformen des Lehrens. Stuttgart: Klett Cotta

Ver- lag. In: Schüpbach, Jürg (2007): Nachdenken über das Lehren. Vorder-

und Hin- tergründiges zur Didaktik im Schulalltag. 3. Auflage. Bern,

Stuttgart, Wien: Hauptverlag

- Bönsch, Manfred (1995): Differenzierung in Schule und Unterricht. Ansprüche,

Formen, Strategien. München. In: Pfeifer, Michael (2006): Bildung auf

Finnisch. Anspruch. Wirklichkeit. Ideal – nach PISA. München: P. Kirchenheim

Verlag

- Börlin, Johannes (2012): Das Experiment als Lerngelegenheit. Vom

interkulturel- len Vergleich des Physikunterrichts zu Merkmalen seiner Qualität.

Berlin: Logos Verlag

- Börlin et al. (2011): Qualitätsmerkmale im Physikunterricht – Deutschland, Finn-

land und die Schweiz im Vergleich. In: Fachhochschule Nordwestschweiz, Pä-

dagogische Hochschule: Unterrichtsqualität und Unterrichtsentwicklung. For-

schungsbericht. Basel: Steudler Press. 24-27

- Erkki Merimaa (2009): Die allgemeine Grundschule – Neune Jahre

gemeinsames Lernen für alle. In: Matthies, Aila-Leena, Skiera, Ehrenhard

(Hrsg.): Das Bil- dungswesen in Finnland. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt

Verlag. 137-148

- Häberlein-Klumpner, Ramona (2009): Separation – Integration – Inklusion unter

problemgeschichtlicher Perspektive. In: Thoma, Pius, Cornelia Rehle:

Inklusive Schule. Leben und Lernen mittendrin. Bad Heilbrunn: Julius

Klinkhardt Verlag.

35-44

- Hollenbach, Nicole, Ulrich Kober (2011): Einleitung: Herausforderung Inklusion.

In: Bertelsmann Stiftung, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange be-

hinderter Menschen, Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.): Gemeinsam ler-

nen – Auf dem Weg zu einer inklusiven Schule. Gütersloh: Verlag

Bertelsmann Stiftung. 7-10

Page 100:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

66

- Hopf, Diether (1976): Differenzierung in der Schule. 2. Überarbeitete Auflage.

Stuttgart: Ernst Klett Verlag

Page 101:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

67

- Hungerbühler, Andrea et al. (2007): Beiträge für die Praxis – Nr. 1. Das Volks-

schulwesen des Kantons Bern. Politisch-organisatorische Zuständigkeiten. Insti-

tutioneller Aufbau. Aufgaben der Lehrperson. Biel: Ediprim AG

- Juva, Simo (2008a): Das finnische Bildungssystem im Überblick. In: Sarjala, Juk-

ka, Häkkli Esko (Hrsg.): Jenseits von PISA. Finnlands Schulsystem und seine

neusten Entwicklungen. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag. 58-78

- Juva, Simo (2008b): Förder- und sonderpädagogischer Unterricht in der Ge-

meinschaftsschulle. In: Sarjala, Jukka, Häkkli Esko (Hrsg.): Jenseits von

PISA. Finnlands Schulsystem und seine neusten Entwicklungen. Berlin:

Berliner Wis- senschafts-Verlag. 123-127

- Kuikka, Martti (2009): Das allgemeinbildende Schulwesen in historischer Sicht.

In: Matthies, Aila-Leena, Skiera, Ehrenhard (Hrsg.): Das Bildungswesen in Finn-

land. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag. 57-79

- Labudde, Peter (2012): Was macht Finnland anders? Unterlagen zum Gastvor-

trag vom 28. November 2012 an der Universität Zürich

- Matthies, Aila-Leena (2003): Von der Integration zur Inklusion im finnischen

Schulsystem. Vortrag an der Hochschule Magdeburg-Stendal

- Niggli, Alois (2000): Lernarrangements erfolgreich planen. Didaktische

Anregun- gen zur Gestaltung offener Unterrichtsformen. Aarau: Pädagogik bei

Sauerländer

- Overesch, Anne (2007): Wie die Schulpolitik ihre Probleme (nicht) löst. Deutsch-

land und Finnland im Vergleich. Münster: Waxmann Verlag GmbH

- Patschkowski, Mirja (2003): Innere Differenzierung des Unterrichts mit besonde-

rer Beachtung hochbegabter Schülerinnen und Schüler. Examensarbeit. Nor-

derstedt: GRIN Verlag

- Pfeifer, Michael (2006): Bildung auf Finnisch. Anspruch. Wirklichkeit. Ideal – nach

PISA. München: P. Kirchenheim Verlag

- Rüegg, Roland, Catrin Maler (2010): Umgang mit heterogenen Klassen.

Reader zur Veranstaltung. Pädagogische Hochschule Bern.

- Sarjala, Jukka (2008): Zur Geschichte des finnischen Schulwesens. In:

Sarjala, Jukka, Häkli, Esko (Hrsg.) (2008): Jenseits von PISA. Finnlands

Schulsystem und seine neusten Entwicklungen. Berlin: Berliner Wissenschafts-

Verlag.

Page 102:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

68

- Schüpbach, Jürg (2007): Nachdenken über das Lehren. Vorder- und Hinter-

gründiges zur Didaktik im Schulalltag. 3. Auflage. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt-

verlag

- Sitte, Wolfgang, Helmut Wohlschlägl (Hrsg.) (2001): Beiträge zur Didaktik des

„Geographie und Wirtschaftskunde“-Unterrichts. Wien: Institut für Geografie und

Regionalforschung, Universität Wien (= Materialien zur Didaktik der Geographie

und Wirtschaftskunde, Bd. 16)

- Skiera Ehrenhard/Matthies, Aila-Leena (2009): Das Bildungswesen Finnlands in

mehrperspektivischer Sicht. In: Matthies, Aila-Leena/Skiera, Ehrenhard (Hrsg.):

Das Bildungswesen in Finnland. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag, 13-21

- Streckeisen et al. (2007): Fördern und Auslesen. Deutungsmuster von

Lehrper- sonen zu einem beruflichen Dilemma. Wiesbaden: VS Verlag für

Sozialwissen- schaften

- Uno Cygnäus. Helsingissä suomalaisen Kirjallis. Seuran Kirjapanion Osakeyhtiö

1907, S. 107, veröffentlicht in: Opetushallitus 2008, übersetzt von Rainer Domi-

sch. In: Domisch, Rainer/Klein, Anne (2012): Niemand wird zurückgelassen.

Eine Schule für alle. München: Hanser Verlag

- Wohlhart, David (2010): Grundlagen der Integration in Österreich. In:

Holzinger, Andrea, David Wohlhart (2010): Schulische Integration. Innsbruck,

Wien, Bozen: Studien Verlag. 57-100

7.2 Internet

- Boban, Ines, Andreas Hinz (2003): Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in der

Schule der Vielfalt entwickeln. Halle-Wittenberg.

URL: http://www.eenet.org.uk/resources/docs/Index%20German.pdf (Stand:

15.02.2013, 17.55 Uhr)

- Bundesamt für Statistik, Pressemitteilung Januar 2001. Nr. 350-0111-00. URL:

http://www.pisa.admin.ch/bfs/pisa/de/index/04/01.html (Stand: 15.02.2013,

18.03 Uhr)

Page 103:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

69

- Bundesamt für Statistik, OECD PISA. URL:

http://www.pisa.admin.ch/bfs/pisa/de/index/01/01/02.html (Stand 25. Oktober

2012, 11.57 Uhr)

- EDK (2007) Pressemitteilung 4. Januar 2007. PISA: die erste Bilanz zum OECD-

Programm. Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren.

URL: http://www.pisa.admin.ch/bfs/pisa/de/index/01/01/02.html (Stand 25. Ok-

tober 2012, 11.57 Uhr)

- EDK (2011): Grundkompetenzen für die Naturwissenschaften. Schweizerische

Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. URL:

http://www.pisa.admin.ch/bfs/pisa/de/index/01/01/02.html (Stand 25. Oktober

2012, 11.57 Uhr)

- Finnisches Ministerium für Arbeit und Wirtschaft. Bulletin for Employement. UR:

www.tem.fi/employmentbulletin (Stand: 14.02.2013, 14.56 Uhr)

- Fuchs, Cornelia (2007): Wo der Fernseher beim Lesen hilft. URL: http://www.dr-

toman.de/HandoutFinnland220507.pdf (Stand 15.11.2012, 14.38 Uhr)

- Kastl, Jörg Michael (2012): Inklusion und Integration – oder: ist „Inklusion“ Men-

schenrecht oder eine pädagogische Ideologie? Soziologische Thesen. Berlin:

Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft / Fürst-Donnersmarck-Stiftung zu Ber-

lin. Vortrag in der Villa Donnersmarck – ergänzte Lserfassung (6.11.2012). URL:

http://www.imew.de/fileadmin/Dokumente/Volltexte/FriedrichshainerKolloquien/

Kastl_Inklusion_und_Integration_IMEW_Okt2012_END.pdf (Stand: 7. 02.2013,

14.22 Uhr)

- Mandela, Nelson (2003): Rede an der Witwatersand Universität in Johannesburg,

Südafrika. Lighting your way to a better future. URL:

http://db.nelsonmandela.org/speeches/pub_view.asp?pg=item&ItemID=NMS90

9&txtstr=education%20is%20the%20most%20powerful (Stand: 14.02.2013,

23.30 Uhr)

- Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen

(2011): Kernlehrplan für die Realschule in Nordrhein-Westfalen. Physik. URL:

www.schulministerium.nrw.de (Stand 27.12.2012, 15.15 Uhr)

- Montessori, Maria. In: Montessori-Lexikon. URL: http://www.montessori-

lexikon.de/montessori-zitate.php (Stand 15.02.2013, 20.18 Uhr)

Page 104:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

70

- OECD (2007): PISA 2006. Naturwissenschaftliche Kompetenzen für die Welt von

morgen. Kurzzusammenfassung. URL: http://www.oecd.org/pisa/39731064.pdf

(Stand: 14.02.2013, 22.56 Uhr)

- Oser, Fritz, Sarasin, Susanna (1995): Basismodelle des Unterrichts: Von der Se-

quenzierung als Lernerleichterung. Exzerpt. URL: http://info.ub.uni-

potsdam.de/zsr/llf/LLF_PDF/LLF_11/OSERSARA.PDF (Stand 28.12.2012,

14.55Uhr)

- Projektgruppe „Integration und Schule“. URL:

http://www.integrationundschule.ch (Stand 8.02.2013, 09.26 Uhr)

- Schweizerische Eidgenossenschaft und Schweizerische Konferenz der kantona-

len Erziehungsdirektoren (EDK). PISA 2012. Kompetenzmessung bei 15-

Jährigen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Ein gemeinsames Pro-

jekt von Bund und Kantonen. November 2011. URL: www.pisa2012.ch (Stand:

06.11.2012, 15.13 Uhr)

- Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Schweizerische Eidgenossenschaft

(Hrsg.) (2012): Die Lage auf dem Arbeitsmarkt. August 2012. Bern. URL:

http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/03/22/press.html?pressID

=8222 (Stand: 15.02.2013, 17.44 Uhr)

- Unterrichtsministerium Finnland (2006): Broschüre Bildung und Wissenschaft in

Finnland. Helsinki: Universitätsverlag (ISBN: 952-485-129-6 (pdf)). URL:

http://www.minedu.fi/export/sites/default/OPM/Julkaisut/2006/liitteet/sak_opm1

6.pdf

- Von der Groeben, Annemarie. Pädagogik 55. Jahrgang Heft 9/Sept. 2003. URL:

http://www.schulberatung-bs.de/Procedere/Ideen/Differenzierung.pdf (Stand

15.02.2013, 20.21 Uhr)

Page 105:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

71

8 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Übersicht Kompetenzbereiche ( www . p i s a 2012 . c h ).............................................. 9

Abbildung 2: Bildungssystem Finnland (Bildungsministerium Finnland).................................... 21

Abbildung 3: Gliederungsschema Differenzierung nach Bösch (Pfeifer 2006: 34).................... 23

Abbildung 4: Entwicklung der Sonderpädagogik nach Bürli (Wohlhart 2010: 13)..................... 31

Abbildung 4: Entwicklungsstufen schulischer Integration (Olpe plus e.V)................................. 31

Abbildung 6: PISA-Ergebnisse (Labudde 2012: 4)................................................................... 41

Abbildung 7: Modell für Unterrichtsqualität nach Lipowsky (Börlin 2012: 42)........................... 42

Abbildung 8: Ablauf der Datenerhebung (Börlin 2012: 44/Labudde 2012: 11)......................... 43

Abbildung 9: Fachwissen der SuS im Pre- & Posttest nach Geller (Börlin 2012: 149).............. 45

Abbildung 10: Oberflächenstruktur in Bezug auf Arbeitsform (Labudde 2012: 17)................... 47

Abbildung 11: PADUA-Modell (Schüpbach 2007: 164)............................................................48

Abbildung 12: Oberflächenstruktur in Bezug auf Lernprozess (Labudde 2012: 17).................. 49

Abbildungen auf den KapitelseitenKapitel 2: Wordle (erstellt auf www . w o r d l e . ne t )......................................................................... 8

Kapitel 3: Suomi Koulou ( h t t p : / / u t r e c h t i n s u o m i ko u l u . n l / ?page_id=2)....................................... 13

Kapitel 4: Selektion ( h tt p : // www . un p . m e / f 98 / f a i r - se l e c t i o n - 183153 /)....................................... 22

Kapitel 5: Education ( h t t p : // www . m a r s l ea r n i ngcen t e r . co m)..................................................... 37

Page 106:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

72

9 Anhang

9.1 Fragebogen leer

Questionnaire about the Finnish school system

This questionnaire is part of my master’s thesis, which I am writing at the teacher training col- lege in Bern, Switzerland. I am gathering information about the Finnish school system in order to find out why it is so successful, especially since the PISA studies.

Your opinion is a precious contribution to my work. Thank you!Please return your answers to the following email-address: irini. g as p a r i s @ g m a i l . co m

1. At the latest since the publication of the first PISA results in 2001, the Finnish school system is broadly discussed in Europe. In your opinion, what are the reasons for the success of your school system? Please give as many reasons as possible.

2. The Finnish Ministry for Education and Culture123 states that “all children are guaranteed opportunities for study and self-development according to their abilities, irrespective of their place of residence, language or financial status. All pupils are entitled to competent and high-quality education and guidance and to a safe learning environment and well- being”. How do you tackle the fact that you are teaching in an inclusive school system? How are the weak students taken care of? How does this affect your teaching meth- ods/attitudes/goals/...?

3. As a form of differentiation, the city of Jyväskylä has set up a three-tired support (Kolmi- portainen tuki). Please tell about your experiences you have made with this program. Where do you see its potential?

4. According to the Finnish Ministry of Employment and Economy124, the unemployment rate of Finnish people under the age of 25 years was 7.0% at the end of August. In Switzerland, however, the rate of unemployed people aged 15-24 was 3.5% at thesame time. A possible explanation for this data is the structure of the vocational training. How do you help your students to get ready for their professional future (i.e. are there any elements/topics/etc. in your lessons which support your student’s career choice)? If this is not the case, please give reasons why this is so.

5. With the national core curriculum as a framework, the local education authorities drew up a local curriculum. Your school has chosen to organise the syllabus in four periods.As a teacher, where do you see the good and bad sides in this setup?

123 Ministry for Education and Culture (3.10.2012) ht t p : // www . m i nedu . f i / O P M / K ou l ut us / kou l ut us j aer j es t e l m ae/ i ndex . htm l ?lang=en124 Ministry of Employment and Economy (3.10.2012): h tt p : // www . t e m . f i / f il e s / 34204 / AU G 12 . pd f

Page 107:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

73

6. Please name the things you would like to change in your school system. Where do you meet problems and why? Also try to describe your school in ten years. What kind of changes will there probably be?

Page 108:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

74

9.2 Fragebogen P.R. (8.10.2012)

This questionnaire is part of my master’s thesis, which I am writing at the teacher training col- lege in Bern, Switzerland. I am gathering information about the Finnish school system in order to find out why it is so successful, especially since the PISA studies.

Your opinion is a precious contribution to my work. Thank you!Please return your answers to the following email-address: irini. g as p a r i s @ g m a i l . co m

1. At the latest since the publication of the first PISA results in 2001, the Finnish school system is broadly discussed in Europe. In your opinion, what are the reasons for the success of your school system? Please give as many reasons as possible.

Finnish society has a rather flat hierarchy. There are no obvious societal classes. The school system reflects this, and there is very little formality between students and teachers, which makes the atmosphere relaxed. Everyone learns a little bit of everything. (We often use the term "yleissivistys" or Allgemeinbildung.) In some countries, students specialize very early, so it is no wonder they will lack some of the skills measured in PISA.

2. The Finnish Ministry for Education and Culture states that “all children are guaranteed opportunities for study and self-development according to their abilities, irrespective of their place of residence, language or financial status. All pupils are entitled to competent and high-quality education and guidance and to a safe learning environment and well- being”. How do you tackle the fact that you are teaching in an inclusive school system? How are the weak students taken care of? How does this affect your teaching meth- ods/attitudes/goals/...?

A little of everything for everyone applies here as well. I try to layer my topics so that everyo- ne gets a good overall picture, while there are deeper insights available for the talented stu- dents.

3. As a form of differentiation, the city of Jyväskylä has set up a three-tired support (Kolmi- portainen tuki). Please tell about your experiences you have made with this program. Where do you see its potential?

I only have little experience on it. I think its main idea is that problems are shared early on, and the teacher does not have to decide alone what to do. Thus it helps the inexperienced teacher, and ensures fair participation for everyone involved, such as the parents.4. According to the Finnish Ministry of Employment and Economy, the unemployment rate

of Finnish people under the age of 25 years was 7.0% at the end of August. In Switzer- land, however, the rate of unemployed people aged 15-24 was 3.5% at the same time. A possible explanation for this data is the structure of the vocational training. How do you help your students to get ready for their professional future (i.e. are there any ele-

Page 109:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

75

ments/topics/etc. in your lessons which support your student’s career choice)? If this is not the case, please give reasons why this is so.

This relates a lot to my answer to 1. Teaching a little of everything to everyone has the be- nefit that students can get some idea of a wide variety of professions, and thus help them find their own calling. On the other hand, it is hard to give a good picture of any single field. For example, in my science lessons I try to remind that this is not only for the future scien- tists, but also beauticians and mechanics. One problem, then, is that science teachers are scientists themselves. It is hard to promote vocational fields equally, when every teacher has a master's degree.

5. With the national core curriculum as a framework, the local education authorities drew up a local curriculum. Your school has chosen to organise the syllabus in four periods. As a teacher, where do you see the good and bad sides in this setup?

I think the system of periods has mostly benefits, and I would choose it any day. As a tea- cher, I feel confused if I have too many courses going on at the same time. I imagine it is not so different for the students. After all, we highlight the importance of focusing on one thing at a time and doing it well.

The general downside seems to be that students forget things sooner. For example, they have one course of physics in each of the 3 years here, so they have about a year between consecutive courses. Personally, I do not feel this is a huge issue; I think it is more important to "learn to learn" than to memorize facts forever. It also gives a nicer feel of starting and fi- nishing projects on time, and moving on with life.

6. Please name the things you would like to change in your school system. Where do you meet problems and why? Also try to describe your school in ten years. What kind of changes will there probably be?

Despite the general Finnish ideals of equality, I would like to see a little more specialization. For example, in a large school you could have 2 or 3 different levels of math teaching. These were around sometime in the past, but now they are basically forbidden. One problem was that they were often too rigid, and higher education was impossible for those in the lowest tier. Of course, the point would be to better match a student's ability and education, than limit their choices.

In practice, each group has a different level, because teachers are quite free to adjust their teaching to the overall level of a group. But it feels unfair to have a talented student in a lo- wer-level group, or vice versa, because of the random assignment of students into groups.

I still think that it is important to learn a bit of everything, but there should be more flexibility in matching the students' abilities and interests with the teaching.

Page 110:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

76

This might give some idea for a future scenario. The gap between weak/poor and weal- ty/talented students is widening, and I expect the latter to go more into private education. State schools will try to maintain the ideals of equality, for those that have seen the ideals fail. Meanwhile, those with talent and drive will find knowledge and employment completely outside the school system (at least in younger fields such as IT).

Page 111:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

77

9.3 Fragebogen A.Y. (08.10.2012)

This questionnaire is part of my master’s thesis, which I am writing at the teacher training col- lege in Bern, Switzerland. I am gathering information about the Finnish school system in order to find out why it is so successful, especially since the PISA studies.

Your opinion is a precious contribution to my work. Thank you!Please return your answers to the following email-address: irini. g as p a r i s @ g m a i l . co m

1. At the latest since the publication of the first PISA results in 2001, the Finnish school system is broadly discussed in Europe. In your opinion, what are the reasons for the success of your school system? Please give as many reasons as possible.

I believe that the elementary school teachers do the work! They are very professional and lay the ground. I don’t think we can do much in the secondary school. If the pupils have learned to learn at an early age they’ll go on in the same way. If not, we can’t do much.In the first Pisa-tests the Finnish children did well in reading and understanding what theyread. It has probably something to do with the Finnish language. It’s not difficult for children to learn to read Finnish because the words are often pronounced the way they are written. The children watch TV with subtitles and they are eager to pick up the words in order to un- derstand what Donald Duck is saying I’ve heard the following kind of explanations, too:

- teachers are well-educated- teacher’s profession is respected (I doubt this)- there are good libraries all over the country- we still have the tradition of reading bed-time stories to our children (well, that’s

true)

2. The Finnish Ministry for Education and Culture states that “all children are guaranteed opportunities for study and self-development according to their abilities, irrespective of their place of residence, language or financial status. All pupils are entitled to competent and high-quality education and guidance and to a safe learning environment and well- being”. How do you tackle the fact that you are teaching in an inclusive school system? How are the weak students taken care of? How does this affect your teaching meth- ods/attitudes/goals/...?

Theory and good ideas are not the same as reality. Of course we try to achieve the aims that are stated but we seldom succeed. Like I already mentioned I tend to teach in a way that the majority is able to follow. I can’t provide the good students with much extra materi- al, nor can I drag the weak students along with the others. The weak students are helped by our special education teachers, the good ones are on their own. If they are independent, motivated and hard-working they can score high, but usually they are content with the con- tents that we go through together.

Page 112:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

78

This is terrible – I almost sound cynical. But maybe and hopefully I’m just being realistic. But the truth is I’m doubtful about these academic goals. I’m more concerned about what kind of people we educate. I’d like them to learn how to behave themselves, how to cope with difficulties in life, how to learn to trust oneself, how to make friends and be sociable. And when thinking about these aspects I’m not cynical at all. I believe there’s something good in everybody and I believe that the teachers can make a difference. Not all the time but like I said, I’d like to think that later in life our students could agree with this: “Somewhere, at some point, some teachers did something good and that’s why I got this far.”

3. As a form of differentiation, the city of Jyväskylä has set up a three-tired support (Kolmi- portainen tuki). Please tell about your experiences you have made with this program. Where do you see its potential?

The only potential I see with this is that it makes the teachers co-operate with the families more. Otherwise I think it means an awfully lot of paperwork and bureaucracy. The basic idea was to ensure the students a fair evaluation of their abilities (so that they wouldn’t be‘transferred’ to special education class without a good reason) but I’m really not at all con- vinced about this model. For instance, I have a boy in the 7th grade whose school history is very difficult. He has received support from many different professionals over the years. Af- ter a couple of weeks I can see that studying Swedish in a normal class is going to be an obstacle for him but there is not much I can do except contact the parents (who definitely don’t want him to be excluded from the class) and start filling in those endless reports. I guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something that happened last year, too, to a boy, who from the very first word test showed having great difficulties.

By the way, this three-tiered support is a nation-wide concept. It’s stated in the new law and all school in Finland have to follow it.

4. According to the Finnish Ministry of Employment and Economy, the unemployment rate of Finnish people under the age of 25 years was 7.0% at the end of August. In Switzer- land, however, the rate of unemployed people aged 15-24 was 3.5% at the same time. A possible explanation for this data is the structure of the vocational training. How do you help your students to get ready for their professional future (i.e. are there any ele- ments/topics/etc. in your lessons which support your student’s career choice)? If this is not the case, please give reasons why this is so.

I don’t think I can answer this question. It’s very difficult to say but I’ll ask one of our student guidance teachers to write a couple of lines about that.

5. With the national core curriculum as a framework, the local education authorities drew up a local curriculum. Your school has chosen to organise the syllabus in four periods. As a teacher, where do you see the good and bad sides in this setup?

Page 113:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

79

I see more good than bad sides with this. I think the students can concentrate much better on the subjects, they have maybe less tests and definitely less books to carry. The problem is that if the amount of courses in a particular subject is low (like Swedish) there may be long breaks between the courses (for example if they start studying Swedish in the first period and the second course is studied in the fourth period).

Another nice thing is also that the students get four different timetables and four report cards every year. Variety is the spice of life.

6. Please name the things you would like to change in your school system. Where do you meet problems and why? Also try to describe your school in ten years. What kind of changes will there probably be?

I would like to abolish the three-tiered support (!) . The authorities and the parents should trust the teachers more and let them make the judgements. There was a research in Finland (carried out a couple of years ago) which showed that the teachers were the best ones to foresee how a pupil was going to succeed with his studies in the future. The parents of course were not able to be objective enough. And the teachers had a lot of experience and they could kind of tell what was the average or the ‘normal’ way. So with this three-tiered support we feel that we are just asked to motivate our opinions time after time in written form and still it’s not enough.

In ten years I hope there will be a completely different syllabus in Finnish schools. I hope that we’ll have a lot more practical subjects and much less theoretical ones. I hope that the basic principle ‘Everyone will learn everything’ is forgotten and that the pupils can concen- trate on studying things that interest them and where they can show their strengths. We need more joy in Finnish schools, more successful experiences for both students and teachers.

Page 114:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

80

9.4 Fragebogen O.L. (11.10.2012)

This questionnaire is part of my master’s thesis, which I am writing at the teacher training col- lege in Bern, Switzerland. I am gathering information about the Finnish school system in order to find out why it is so successful, especially since the PISA studies.

Your opinion is a precious contribution to my work. Thank you!Please return your answers to the following email-address: irini. g as p a r i s @ g m a i l . co m

1. At the latest since the publication of the first PISA results in 2001, the Finnish school system is broadly discussed in Europe. In your opinion, what are the reasons for the success of your school system? Please give as many reasons as possible.

There are no easy answers and I have not anything to compare. For learning it is good that we have certain democracy between teacher and his pupils. That helps the pupils to dis- cuss and even argue with the teacher. The teachers have wide academic studies. School and teachers have quite much freedom to make decisions how to carry out the lessons. Special teaching achieves good results.

2. The Finnish Ministry for Education and Culture states that “all children are guaranteed opportunities for study and self-development according to their abilities, irrespective of their place of residence, language or financial status. All pupils are entitled to competent and high-quality education and guidance and to a safe learning environment and well- being”. How do you tackle the fact that you are teaching in an inclusive school system? How are the weak students taken care of? How does this affect your teaching meth- ods/attitudes/goals/...?

In almost every class there are some pupils that have special needs. I try to give attention to his/her needs but it is not easy job. Many times it means that I have to make extra prepara- tions. My teaching methods may be better than before. I also think that the goals may be different: learning to learn instead of learning the facts.

3. As a form of differentiation, the city of Jyväskylä has set up a three-tiered support (Kol- miportainen tuki). Please tell about your experiences you have made with this program. Where do you see its potential?

We can see the difficulties when we write them down. After that we can see how we go ahead with them. But this is again more job to the teachers. It is not the main task that the teacher writes papers concerning his pupils.

4. According to the Finnish Ministry of Employment and Economy, the unemployment rate of Finnish people under the age of 25 years was 7.0% at the end of August. In Switzer-

Page 115:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

81

land, however, the rate of unemployed people aged 15-24 was 3.5% at the same time. A possible explanation for this data is the structure of the vocational training. How do you help your students to get ready for their professional future (i.e. are there any ele- ments/topics/etc. in your lessons which support your student’s career choice)? If this is not the case, please give reasons why this is so.

I encourage them to choose vocational school and maybe entrepreneur career. I hope they understand that you can be a good professional even you haven´t been a primus pupil in school.

5. With the national core curriculum as a framework, the local education authorities drew up a local curriculum. Your school has chosen to organise the syllabus in four periods. As a teacher, where do you see the good and bad sides in this setup?

Good sides: limited time and content of the courses (destination is not so far away), flexibil- ity, rhythm to the learning, not so many subjects going on in same timebad sides: there can be too easy and too heavy periods for pupils

6. Please name the things you would like to change in your school system. Where do you meet problems and why? Also try to describe your school in ten years. What kind of changes will there probably be?

We have too many subjects. Instead we should give different kind of task to the pupils. Not so much sitting in a chair, instead different kind of working and active doing.

The economic crisis may cause damages to our school system. There may be pupils who cannot learn. There may be big differences between poor and rich families.

The new curriculum is coming in 5 years but we don´t know what is coming. Just now it is only a plan. I am afraid there might be less freedom for schools.

Page 116:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

82

9.5 Fragebogen J.K. (27.12.2012)

This questionnaire is part of my master’s thesis, which I am writing at the teacher training col- lege in Bern, Switzerland. I am gathering information about the Finnish school system in order to find out why it is so successful, especially since the PISA studies.

Your opinion is a precious contribution to my work. Thank you!Please return your answers to the following email-address: irini. ga s pa r i s @ g m a il . c om

1. At the latest since the publication of the first PISA results in 2001, the Finnish school system is broadly discussed in Europe. In your opinion, what are the reasons for the success of your school system? Please give as many reasons as possible.

Our school system is very democratic. Education is free, school lunch is free. The school is for everybody. Education is highly valued in our society. Teachers have really been educa- tors, important members of different towns and villages.After the world war II we Finns wanted to build a good society and school has been veryimportant place for all of us.

2. The Finnish Ministry for Education and Culture states that “all children are guaranteed opportunities for study and self-development according to their abilities, irrespective of their place of residence, language or financial status. All pupils are entitled to competent and high-quality education and guidance and to a safe learning environment and well- being”. How do you tackle the fact that you are teaching in an inclusive school system? How are the weak students taken care of? How does this affect your teaching meth- ods/attitudes/goals/...?

I find our system mainly rather fair to all citizens. The pupils who need most special support really get it. Special education (special need education) and support teaching reach obvi- ously the biggest part of those who need it. We take care of the weak students but the problem is how to support the talented pupils at the same time. That leads me and perhaps many other teachers to ponder some better ways of supporting the talented. Different kind of tasks, more demanding kind of studying and perhaps more personal guidance outside the lessons for the gifted students.As a special education teacher I´m interested in helping those students who come to mygroups whether they are weak or talented, whether they have diagnosis or not. I just need to find the best possible way in that certain situation which makes the pupil to learn how he/she probably could manage to reach the new goals.

3. As a form of differentiation, the city of Jyväskylä has set up a three-tired support (Kolmi- portainen tuki). Please tell about your experiences you have made with this program. Where do you see its potential?

Page 117:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

83

We are just in the beginning in using this support system. It may help the whole school or- ganization to deal better with all kinds of problems but it causes more work for the teachers who deal with the reality.For a special need teacher this system brings a good help in the form of sharing work for more persons. It used to be a job for the special need teacher to gather all the information and also do the personal learning plan for every special need student. At least in junior high schools where I´ve been working the last 25 years all the coordinating work was actually done by the special need teachers.Now, I hope cooperation among teachers will grow and the school organization will learn as an organization too. So, the potential is in learning how to do our job better together.

4. According to the Finnish Ministry of Employment and Economy, the unemployment rate of Finnish people under the age of 25 years was 7.0% at the end of August. In Switzer- land, however, the rate of unemployed people aged 15-24 was 3.5% at the same time. A possible explanation for this data is the structure of the vocational training. How do you help your students to get ready for their professional future (i.e. are there any ele- ments/topics/etc. in your lessons which support your student’s career choice)? If this is not the case, please give reasons why this is so.

In many discussions I have with my pupils a common way of talking about work is what dads and mums do. Some tell me that they lie on the coach and drink beer. One of those histories happened long time ago. The pupil anyhow showed to her parents that it´s not her way of life and started working as a cleaning worker and searched an own home as soon as possible.Giving attention and being interested in the life of my students is one strong way to support the young people to begin to think the future, potential possibilities at least in our home town or sometimes even some other places.Explaining and telling why to study math, languages is a must every year, in every group.Talking about my own history interests many of the pupils. Giving words and pictures for the possible future is very important.

5. With the national core curriculum as a framework, the local education authorities drew up a local curriculum. Your school has chosen to organise the syllabus in four periods. As a teacher, where do you see the good and bad sides in this setup?

Well, I´ve had six periods and I´ve had one period. Six was too much, too busy. Perhaps this four is a compromise which works. For our students this brings four different timetables, so a little change anyway. One issue is that you don´t have to study everything all the time. Nine weeks this timetable and then a bit different. It is possible to develop our system into direc- tion where it would be more possible choices. I mean it would be good to have more op- tional courses. It is a fact that students really would like to do more their own choices and it would be wise to let them learn to make decisions. In the future they need skills like decision making, they need to be more self-directed and self-imposed.Also it must be said that high school in Finland has also 4-6 periods, so it´s important to be ready for some changes.

Page 118:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

84

6. Please name the things you would like to change in your school system. Where do you meet problems and why? Also try to describe your school in ten years. What kind of changes will there probably be?

The school system is not going to change much in ten years. There may be e-books and e- this and e-that. But the system is quite slow to change. Anyway I hope the school is going to a direction where possible course-system would be also in junior high schools. That should implicate more possibilities to make own choices in planning one´s studies. There would be perhaps more variation also in what the students actually study in even junior high schools. More options mean usually more motivation, and motivation is what all the pupils need. The talented and gifted students would be happy to take more their own kind of courses, in information technology, in math, in biology, in …Problems? We all would like to be good in what we do. I would like to be even better, I would like to do my job excellently. The truth is we all are not capable to meet young stu- dents as they should be met. Many of us do want to teach but in this kind of system where we have all kind of pupils in the same groups it´s important to be able to handle different learners. So, more guidance and support also to teachers and other stuff we have in the schools.

Page 119:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

85

10 Selbständigkeitserklärung

Name und Vorname Gasparis Irini

Matrikelnummer 07-593-908

Titel der Arbeit Schulerfolg «made in Finland» - warum ist das finnische Schulsystem so gut?

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbstständig erarbeitet habe. Des Weiteren

bestätige ich, sämtliche Zitate nach bestem Wissen als solche gekennzeichnet und die entsprechenden

Literaturquellen und elektronischen Quellen vollständig angegeben zu haben.

Datum 16. Februar 2013

Unterschrift

Es wird darauf hingewiesen, dass gemäss dem Statut der deutschsprachigen Pädagogischen Hochschu- le vom 19. Oktober 2005 (PHSt, Art. 46 Abs. 2) der Grundsatz der Lauterkeit in der Wissenschaft gilt. Ein Verstoss gegen den Grundsatz der Lauterkeit in der Wissenschaft liegt vor, wenn falsche Angaben ge- macht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt wird oder eine Forschungstätigkeit auf andere unlau- tere Weise beeinträchtigt wird. Je nach Schweregrad der Verletzung kann dies einen schriftlichen Verweis durch die Institutsleitung oder den Ausschluss vom Studium an der Pädagogischen Hochschule nach sich ziehen (PHSt, Art. 46 Abs. 3 - 5).

Page 120:   · Web viewI guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa- tion teacher will start his work with the student. That’s something

86

11 Erklärung zur Öffentlichmachung und Ausleihe