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IV. Med. Klinik - Geriatrisches Zentrum
PD Dr. med. H. Burkhardt:
Die klinische Bedeutung des
Gebrechlichkeitssyndroms –
eine geriatrische Perspektive
Alle altern – aber nicht alle gleich
Bedrohungen: Gebrechlichkeit Demenz Isolation ……
Do you still like me when I´m old? Do you still respect me when I´m old?
Die geriatrischen Syndrome
• Immobilität • Inkontinenz • Stürze • Verwirrtheit bzw. kognitive Defizite
----------------------------------------------- • Malnutrition • Depression • Iatrogene Störungen (UAW – Pharmakotherapie) • Störungen im Flüssigkeitshaushalt • Visusprobleme - Hypakusis
Das Altern bringt mehr chronische Erkrankungen
Kategorien nach M. Gillick
• Der robuste ältere Mensch / Patient • Der gebrechliche ältere Mensch / Patient (Frailty) • Der Demenz-kranke ältere Mensch / Patient • Der sterbende ältere Mensch / Patient
Klinische Entscheidungen sind nicht nur durch Organfunktion determiniert. Die richtige Lösung kann nur in einem individuellen Diskurs mit dem Patienten und seinem Umfeld gefunden werden
The story of Ben Frank He fell on the floor and couldn´t get up. He was on the floor for twelve hours- my brother called him on the phone a couple of times…. So what did they find in the hospital? Nothing much. The doctor said he had a touch of congestive heart failure. So he put him on medication to get fluid out and send him home. I don´t see what the fluid had to do with falling. ..all these changes, which Susan was shocked to discover when she spent a weekend with her father, were telltale signs of his slide into frailty. Aus: Muriel Gillick, Lifelines, W.W. Norton & Company, New York, 2001
Sturzereignisse sind im Alter sehr risikoreich
• Jeder 3. über 65 Jahre stürzt mindestens einmal pro Jahr. • 20-45% aller Patienten in Institutionen stürzen
mindestens einmal während des Aufenthaltes. • Bei über 65jährigen sind Stürze das häufigste Unfallgeschehen. • Die häufigste schwere Sturzfolge ist die Hüftfraktur • Mortalität durch Stürze auf 100 000 / Jahr Einwohner gerechnet:
65 Jahre: <50 75 Jahre: 150 >85 Jahre: 525
Das Selbstverständnis der aktuellen Medizin
• Verstehen der Symptomatik unter den Gesichtspunkten der Organdysfunktion (klassische Pathophysiologie)
• a man is as old as his arteries (Thomas Sydenham) • Bedeutung der Muskulatur für Prognose und
Morbidität • Demenz als Komorbidität
Auswirkungen auf Diagnostik und Therapie
Auftrag für den interprofessionellen Dialog und die diskursive Weiterentwicklung der Medizin
Muster im Verlauf der
Funktionalität Daten aus der EPESE-Kohorte US retrospektive Analyse N=4190 65+ Jahre alt im ersten 6Jahres-Beobachtungs-zeitraum verstorben Lunney et al. 2003
Plötzlicher Tod Tumorerkrankung
Organversagen Frailty
Das Frailty-Konzept im Kontext klinischer und allgemeiner Aspekte
Vulnerabilität – Resilienz
Psyche - Soma
Kognitive Ressource Lokomot.
Ressource
Emotionale Ressource
Soziale Ressource
Organbez. Ressourcen
„Fit“ versus „frail“ Formulierung des Frailty-Konzept
Biologisches Alter
Chron. Erkrankungen
Fehlgebrauch
Physiologische Kapazität Frailty 1.: Neurologische Def. 2.: Muskuloskeletale Def. 3.: Energie-Stoffwechsel andere: Niere, Leber etc.
Behinderung
Modifizierende Variablen: psychosoziale Aspekte, Umwelt, Interventionen (z.B. Rehabilitation)
Buchner und Wagner 1992
Klinische Bedeutung des Frailty-Konzeptes
Kohorte in US Cardiovascular Health Study
N > 5000 Kriterien: Handgriff, Gehgeschwindigkeit Gewichtsverlust körperl. Aktivität Erschöpfung
Fried L. 2001
Screening
Prophylaxe
Intervention
Das Frailty-Konzept nach Fried
Kritisches Kompartiment Muskulatur
Gewichtsabnahme >5kg / Jahr
Erschöpfung (gemessen auf der GDS-Skala >2 Punkte)
Schwäche (Handgriff-Stärke niedrigste 20%)
Gehgeschwindigkeit (5m niedrigste 20%)
körperliche Aktivität (kcal/Woche, niedrigste 20%)
3 oder mehr Kriterien positiv = Frailty (1-2 Kriterien = Prä-Frailty) Kriterien nach L. Fried 2001
Diagnostik: Körperkompartimente funktionelle Aspekte
Vom Frailty-Index zur FRAIL-scale
Frailty-Index FI aus der Canadian Study of Health and Aging Bis zu 90 Variablen eingeschlossen – Funktionalität und Morbidität Mitniski und Rockwood 2001
Gewichtsabnahme >5kg / Jahr
Erschöpfung (gemessen auf der GDS-Skala >2 Punkte)
Schwäche (Handgriff-Stärke niedrigste 20%)
Gehgeschwindigkeit (5m niedrigste 20%)
körperliche Aktivität (kcal/Woche, niedrigste 20%)
3 oder mehr Kriterien positiv = Frailty (1-2 Kriterien = Prä-Frailty) Kriterien nach L. Fried 2001
Abellan van Kan et al. 2008
Frail-Scale Fatigue – Schwäche 1 Absatz Treppe gehen 1 Block gehen mehr als 5 Krankheiten Gewichtsverlust über 5% in 6 Monaten
Beziehung des Frailty-Konzeptes zu anderen wichtigen Aspekten der Morbidität
Fried 2001
Aktivtäten des täglichen Lebens Anzahl der aktiven
Diagnosen
Muskelkraft Ernährungszustand Ganggeschwindigkeit
Veränderung von Körperkompartimenten mit dem Alter
• Fettgewebe nimmt zu • Skelettmuskulatur nimmt ab • Wasseranteil im Körper nimmt zu
Puig M 1996
Verlauf der Muskelmasse über die Altersdekaden
Sayer et al. 2008
Prophylaxe?
Intervention?
Epidemiologie der Sarkopenie
Daten aus NHANES III
4818 Erwachsene in den USA repräsentative Querschnittsstudie
Verwendete die Body-Impedanz-Analyse BIA
Janssen I et al. 2002
Diagnostischer Diskurs - Kriterien Sarkopenie Muskelmasse Muskelkraft Muskelperformance Formel Einteilung Grenzwerte Janssen et al. 2002
SkelettmuskelmasseKörpergewicht
x 100 Sarkopenie Klasse I: 1-2 SDa unterhalb einer Referenzpopulation Sarkopenie Klasse II: >2 SDa
unterhalb einer Referenzpopulation
Männer: 37% bzw. 31 % Frauen: 28% bzw. 22%
nein nein
Janssen et al. 2004
Skelettmuskelmasse
Körpergröße²
ROC-Analyse zur Ermittlung von Grenzwerten, welche mit moderatem (1) und hohem (2) Risiko für körperliche Behinderung verbunden sind
Männer: 8,51-10,75 kg/m² bzw. ≤8,50 kg/m² Frauen: 5,76-6,75 kg/m² bzw. ≤5,75 kg/m²
nein nein
Baumgartner et al. 1998
ExtremitätenmuskelmasseKörpergröße²
>2 SD unterhalb einer Referenzpopulation
Männer: ≤7,26 kg/m² Frauen: ≤5,45 kg/m²
nein nein
Delmonico et al. 2007
ExtremitätenmuskelmasseKörpergröße²
unterhalb der 20. Perzentile der Verteilung
Männer: ≤7,25 kg/m² Frauen: ≤5,67 kg/m²
nein nein
Newman et al. 2003
lineare Regression der Extremitätenmuskelmasse in Abhängigkeit von Körpergröße und Fettmasse
unterhalb der 20. Perzentile der Verteilung der Residuen
keine Angabe nein nein
Kelly et al. 2009
ExtremitätenmuskelmasseKörpergröße²
>2 SD unterhalb einer Referenzpopulation
Männer: ≤6,19 kg/m² Frauen: ≤4,73 kg/m²
nein nein
SIGb 2010
ExtremitätenmuskelmasseKörpergröße²
unterhalb der 20. Perzentile Männer: ≤7,25 kg/m²
Frauen: ≤5,67 kg/m² nein Gehgeschwindigkeit
≤0,8 m/s IWGSc 2011
ExtremitätenmuskelmasseKörpergröße²
unterhalb der 20. Perzentile Männer: ≤7,25 kg/m²
Frauen: ≤5,67 kg/m² nein Gehgeschwindig
keit ≤1,0 m/s EWGSOP*d 2010
ExtremitätenmuskelmasseKörpergröße²
>2 SD unterhalb einer Referenzpopulation
Männer: ≤7,26 kg/m² Frauen: ≤5,45 kg/m²
Männer: <30 kg Frauen: <20 kg
Gehgeschwindigkeit ≤0,8 m/s
Ganggeschwindigkeit
Schappert S., unpublizierte Daten
Sprint 12,2 m/sec Maximal 5,5 m/sec Joggen 2,8m/sec Gehen 1,4m/sec Ampel 1m/sec
63 akutgeriatrische Patienten, erhaltene Mobilität, ohne frühreh. Behandlungsbedarf
Handkraft
Schicker A., unpublizierte Daten
Kohorte Akutgeriatrie 184 gehfähige Patienten, Bisher selbständig lebend
BMI ← Anthropometrie (Gewicht-Größe)
SMI ← Körperzusammensetzung (BIA)
MNA ←Kombination Assessment Anthropometrie
Bezüge zwischen Sarkopenie und Malnutrition
• Frühzeitiges Erkennen von mangelnder Eiweißaufnahme
• Ernährungsanamnese • Apparative Messung
Körperkompartimente • Anthropometrie • Labormarker • Kraft • Alltagskompetenz
Kohorte Akutgeriatrie 62 gehfähige Patienten Alter 79 (67-96) ADL 90 (35-100) MMSE 28 (17-30) MNA 24 (12-30) BMI 26,7 (16,4- 42,3)
Schicker A. 2012
Befunde zur Zellalterung • Akkumulation von DNA-Schäden • Akkumulation von mitochondrialen Schäden • Störungen des Proteingleichgewichts (Proteostase) • Akkumulation von oxidativ veränderten Lipidmolekülen
(oxidative Stressoren)
Telomer-Dysfunktion
Wachstums-hemmung, Seneszenz, Apoptose
Mitochondr. Dysfunktion; Stoffwechsel-
änderung Stammzellen,
Postmitotische Gewebe
Altern Nach Sahin 2011 Nature
Mitochondrien als Quelle der reaktiven Sauerstoffspezies und Motoren der zellulären
Dysfunktionalität
Aus: Wallace DC 1999
ROS
Zell. Dysf.
Regulation der Proteinsynthese in der Muskelzelle
Aus : Rensing & Rippe 2014
Interventionen: Training Aminosäuren - Leucin Insulin Ghrelin Testosteron Mirtazapin alpha-Tocopherol Omega-3-Fettsäuren Vitamin-D ..
Das Phänomen des Deconditioning
• Hillary Siebens: One of man´s unique attributes is his vertical posture during stance and gait. When upright posture and physical activity cannot be maintained, multiple physiologic changes occur. A person becomes „deconditioned“, and less „physically fit“. - Plasma Volumen nimmt ab - Muskelmasse und -kraft nimmt ab - Knochendichte nimmt ab - Obstipation - Störung der Blasenfunktion - ........................
Siebens 1990
Kortebein 2009
Gefahr der bleibenden Behinderung
Kategorisierung von älteren Patienten nach Belastbarkeit –
Risiko-Nutzen-Abwägung
fit terminal frail
Nutzen Risiko
Komorbidität Organe allgemeine Ressourcen Patientenpräferenz Lebenserwartung
Geriatrisches Assessment zur Prognose-Abschätzung Chirurgie
Chikago, US monozentr. Prosp Kohorte
76 Patienten, mittl. Alter 67 Jahre Karnofsky-Index <90%: 21% Elektivoperation Pankreatikoduodenoektomie ASA, Fried-Kriterien, SPPB Dale et al. 2013
Unterschiedliche Phänomene führen zum Verlust der Muskulatur
Zeitdimension Genese
Sarkopenie Jahre Altern
Kachexie Monate Immunogenese / Inflammation
Hunger Monate Substratmangel
Deconditioning Wochen Akutphase - Immobilität
Schwerelosigkeit Wochen Mechanischer Stimulus fehlt
Sarkopenie
Hunger
Kachexie
Therapie und Prophylaxe des Lokomotionsrisikos und -defizits
Pharm.
Entwicklung der allgemeinen Alltagskompetenz in der ger. Frührehabilitation
138 Patienten Alter im Mittel 82 Jahre Apoplex 48% Sturz-Fraktur 16% Deconditioning 18% Δ-ADL≥10: 51% Burkhardt et al. 2011
Skaleneffekt
Ausgangswert-abhängigkeit
Körperliches Training bei Frailty
Theou O et al. 2011
Metaanalyse aus 47 Studien, unterschiedl. settings • Training ist allgemein gut
durchführbar, • Hohe Adherence-Raten, • 30-45 Minuten effektiv, • 3x/Woche, • Krafttraining wichtiger Anteil, • multimodale Konzepte eff., • Überwiegend günstige
Effekte, • Unterschiedliche settings
zeigen unterschiedliche Zuwächse (Skaleneffekte?)
ADL
MF
Vitamin-D Effekte auf die Muskulatur
• Muskelkraft wird verbessert • Muskelfunktion wird verbessert • Fasergröße wird verbessert • Zell-Differenzierung wird günstig beeinflusst • Schutz vor fettiger Degeneration • Schutz vor Insulin-Resistenz
Dirks-Naylor & Lennon-Edwards 2011
Vitamin-D zur Sturz-prophylaxe
0.77
Meta-Analyse aktueller Interventions-Studien, heterogene Kollektive Murad 2011
In Stage 17, Landis produced one of the greatest performances in cycling history, improbably roaring back into the lead pack after falling eight minutes behind the day before. His subsequent victory became the feel-good story that the Tour needed, particularly after the way the race had begun. New York Times 27.7.2006
Testosteron-Substitution bei Gebrechlichkeit
RCT – UK Männer 65+ N: 136/138 6 Monate transdermales Testosteron (verum) 50mg/d Endpunkt: musk. Funktion Fried-Kriterien pos. Subnormales Testosteron Verbesserung der musk. Funktion, teilw. auch Funktionalität Srinivas-Shankar 2010
Geriatrische Syndrome:
-------------------- Immobilität
Stürze kognitive Defizite
Inkontinenz Polypharmazie Malnutrition
---
Frailty Demenz
end-of-life
Alters-traumatologie
Geronto-pharmakologie
geriatrische Onkologie
geriatrische Palliativmedizin
---- etc.
Klinische Problemstellungen Vulnerabilität im Kontext des Alterns
Geriatrische Kooperation im interdisziplinären Diskurs
Vom klinischen Aspekt bis zum interdisziplinären Diskurs : Entwicklung und Potentiale geriatrischer Arbeit und Arbeitsfelder