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Konjunkturforschungsstelle Swiss Institute for Business Cycle Research Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Service public in der Schweiz Studie im Auftrag der Ebenrain-Konferenz Andres Frick Tel. 044 632 51 57; Email: [email protected] Jochen Hartwig Tel. 044 632 73 31; Email: [email protected] Aniela Wirz Tel. 044 632 51 78; Email: [email protected] KOF/ETH Zürich, 4. September 2006

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Konjunkturforschungsstelle Swiss Institute for Business Cycle Research

Die volkswirtschaftliche Bedeutung des

Service public in der Schweiz

Studie im Auftrag der Ebenrain-Konferenz

Andres Frick Tel. 044 632 51 57; Email: [email protected]

Jochen Hartwig Tel. 044 632 73 31; Email: [email protected]

Aniela Wirz Tel. 044 632 51 78; Email: [email protected]

KOF/ETH

Zürich, 4. September 2006

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Executive Summary

Die Höhe der Staatsausgaben wird in der öffentlichen Diskussion seit einiger Zeit zunehmend

problematisiert. Dabei drohen die Vorteile öffentlicher Leistungen in Vergessenheit zu geraten.

Diese Studie geht deshalb der Frage nach der volkswirtschaftlichen Bedeutung des «Service

public» nach.

Nach gängiger ökonomischer Auffassung ist der Markt grundsätzlich ein effizientes Instrument

zur Steuerung und Koordination der Güterversorgung einer Gesellschaft. Vorausgesetzt wird

dabei, dass effektiver Wettbewerb auf den Märkten herrscht. Es gibt jedoch Situationen, in

denen eine optimale Güterversorgung durch den Markt nicht gewährleistet wird – Fälle von

sog. «Marktversagen».

In solchen Fällen sind Staatseingriffe grundsätzlich angesagt. Sie verbessern die «allokative

Effizienz», d.h. die Versorgung der Gesellschaft mit erwünschten Gütern. Bei dieser

Betrachtung wird die Einkommensverteilung als gegeben hingenommen, d.h.

verteilungspolitisch motivierte Staatsaktivitäten sind hier weitgehend ausgeklammert, ebenso

wie z.B. stabilitätspolitische Begründungen für Staatseingriffe.

Die wichtigsten Fälle von «Marktversagen» sind:

• Öffentliche Güter, also Güter, für die es keine privaten Anbieter gibt, weil niemand von der

Nutzniessung ausgeschlossen werden kann (z.B. öffentliche Sicherheit).

• Natürliche Monopole, d.h. Situationen, in denen ein einzelner Anbieter den Markt am

günstigsten versorgen kann (z.B. Versorgungsnetzwerke).

• Bereiche, bei denen starke positive Externalitäten (Spillovers) zu verzeichnen sind, weshalb

private Anbieter zuwenig von der entsprechenden Leistung produzieren (z.B. Bildung,

Gesundheit).

• Private Informationsdefizite, die dazu führen, dass Private den Nutzen eines Gutes

unterschätzen (z.B. Alterssicherung, Bildung und Kultur).

Auf der Basis dieser Kriterien werden hier die folgenden Produktionsbereiche zum «Service

public» gezählt:

• Öffentliche Verwaltung (inkl. Justiz/Polizei), Verteidigung, Sozialversicherungen;

• Energie- und Wasserversorgung; Abwasser- und Abfallbeseitigung; Post und Bahn;

• Gesundheits- und Bildungswesen; Kulturbetriebe, Rundfunk.

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Diese Bereiche umfassen ungefähr 22% der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in der

Schweiz. Etwa gleich hoch liegt der Anteil des «Service Public» am Total der Beschäftigten, d.h.

jede/jeder fünfte Beschäftigte arbeitet in diesem Bereich. Im internationalen Vergleich liegt der

Anteil der Schweiz etwas unter dem Durchschnitt; die Unterschiede sind aber – anders als beim

Anteil der gesamten Staatsausgaben – relativ gering. International vergleichende Studien

messen dem schweizerischen «Service public» jedoch eine hohe Effektivität und einen

wichtigen Beitrag zur Standortqualität bei.

Bei der Frage des optimalen Umfangs öffentlicher Dienstleistungen ist zwischen konsumtiven

Verwendungen und produktiven Vorleistungen zu unterscheiden. Bei den konsumtiven

Verwendungen ist er abhängig von den Präferenzen der Nutzer, wird also im demokratischen

Entscheidungsprozess bestimmt. Bezüglich der produktiven Vorleistungen können

Wirkungsanalysen Anhaltspunkte für das optimale Ausmass öffentlicher Dienstleistungen

abgeben.

Empirische Untersuchungen zum Einfluss staatlicher Aktivitäten auf das gesamtwirtschaftliche

Wachstum sind allerdings wenig schlüssig. Positive Effekte lassen sich für Einzelbereiche wie

Infrastruktur (Transport und Kommunikation), Bildung (v.a. F&E) und Gesundheit feststellen.

Überraschenderweise ist auch kein negativer Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum

und Steuerbelastung nachweisbar. Theoretisch wäre ein umgekehrt U-formiger

Zusammenhang zwischen Staatsausgaben und Wirtschaftswachstum zu erwarten, mit

positiven Effekten bis zu einem Optimum und negativen danach. Schätzungen eines solchen

Optimums weisen aber ebenfalls eine recht breite Streuung der Ergebnisse auf. Es gibt keinen

Anlass zur Vermutung, dass das Optimum in der Schweiz überschritten wäre.

Die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen kann grundsätzlich auch durch Private

erfolgen. Damit das öffentliche Interesse gewahrt ist, braucht es aber eine entsprechende

regulatorische Aufsicht, die umso umfassender sein muss, je spezifischer und strategisch

bedeutsamer die Aufgabe ist. Die damit verbundenen Kosten können die allfälligen Vorteile

einer Privatisierung mehr als aufwiegen. Empirisch lässt sich eine effizienzsteigernde Wirkung

von Privatisierungen nicht schlüssig nachweisen. Entscheidend ist dagegen das Ausmass von

Wettbewerb auf oder um den entsprechenden Markt. Effizienzsteigerungen lassen sich auch

im staatlichen Sektor durch Reformen mit marktähnlichen Elementen erzielen. Die Frage, ob

private Produktion der staatlichen effizienzmässig überlegen ist, muss deshalb im Einzelfall

umfassend abgeklärt werden.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...................................................................................................................................................................... 1 1.1 Problemstellung............................................................................................................................................. 1 1.2 Definition und Abgrenzung des Service public ................................................................................ 1 1.3 Aufbau der Studie......................................................................................................................................... 3

2. Ableitung der Rolle des Staates in der Wirtschaft durch die Theorie der Wirtschaftspolitik .. 5 2.1 Optimalität marktmässiger Allokation ............................................................................................... 5 2.2 Die der Ableitung der Markteffizienz zugrundeliegenden Annahmen und die

Folgen ihrer Lockerung ..............................................................................................................................8 2.3 Ordnungspolitische Priorität für die marktmässige Koordination ....................................... 10 2.4 Marktversagen und allokationspolitischer Handlungsbedarf .................................................12

2.4.1 Externe Effekte .............................................................................................................................12 2.4.2 Öffentliche Güter ....................................................................................................................... 14 2.4.3 Natürliche Monopole.................................................................................................................15 2.4.4 Private Wettbewerbsbeschränkungen ............................................................................. 16 2.4.5 Private Informationsdefizite...................................................................................................17

2.5 Konkrete Abgrenzung des Service public ......................................................................................... 18 2.6 Der optimale Umfang des Service public ........................................................................................ 20

3. Die empirische Bedeutung des Service public in der Schweiz und im internationalen Vergleich.....................................................................................................................................................................22 3.1 Service public in der Schweiz.................................................................................................................22 3.2 Internationaler Vergleich ....................................................................................................................... 26

4. Empirische Evidenz für den Beitrag der Staatstätigkeit zum Wirtschaftswachstum...............32 4.1 Transmissionsmechanismus basierend auf der Allokationstheorie ....................................32 4.2 Makroökonomische Erklärungsansätze............................................................................................ 33 4.3 Resultate zur Wachstumswirkung der gesamten Staatstätigkeit........................................ 35 4.4 Resultate zur Wachstumswirkung einzelner Komponenten der Staatsausgaben........45 4.5 Resultate für die Schweiz ....................................................................................................................... 50 4.6 Schlussfolgerungen................................................................................................................................... 53

5. Zur Effizienz der staatlichen Leistungserbringung .................................................................................. 55 5.1 These des Staatsversagens..................................................................................................................... 55 5.2 Ansätze zur Reform des öffentlichen Sektors ................................................................................58 5.3 Schwierigkeiten bei der empirischen Überprüfung ................................................................... 59 5.4 Ergebnisse aus der Evaluationsliteratur........................................................................................... 61 5.5 Die Position des Schweizer Service public im internationalen Vergleich.......................... 64 5.6 Schlussfolgerungen zur Effizienz staatlicher Leistungserstellung ...................................... 65

6. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen.............................................................................................67 6.1 Fragestellung und Abgrenzung des Service public ......................................................................67 6.2 Ableitung der Rolle des Staates in der Wirtschaft durch die Theorie der

Wirtschaftspolitik ..................................................................................................................................... 68 6.3 Optimaler Umfang des Service public ................................................................................................71 6.4 Empirische Bedeutung des Service public in der Schweiz und im internationalen

Vergleich .........................................................................................................................................................71 6.5 Volkswirtschaftlicher Beitrag des Service public .......................................................................... 72 6.6 Zur Effizienz der staatlichen Leistungserbringung...................................................................... 73 6.7 Fazit .................................................................................................................................................................. 77

7. Literatur.......................................................................................................................................................................79

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1. Einleitung

1.1 Problemstellung Der Umfang der Staatstätigkeit wird in den Industrieländern seit Beginn der 1980er Jahre, vor

dem Hintergrund eines deutlichen Anstiegs der Staats- und vor allem der Sozialausgaben,

verstärkt problematisiert (s. z.B. Tanzi/Schuknecht 2000). Kritikpunkte sind einerseits die Höhe

der Staatsquote und die damit verbundene Steuerbelastung, anderseits wird eine geringe

Effizienz staatlicher Leistungserbringung vermutet. Daraus ergeben sich die Forderungen nach

einer generellen Beschränkung des Umfangs der Staatstätigkeit sowie der Einführung

privatwirtschaftlicher Steuerungsinstrumente bis hin zur Privatisierung bei den öffentlichen

Dienstleistungen. Bei einer kosten- und effizienzzentrierten Diskussion drohen aber die Vorteile

öffentlicher Dienste aus dem Blickfeld zu geraten. Diese Studie soll deshalb der Frage nach der

volkswirtschaftlichen Bedeutung öffentlicher Dienste (Service public) nachgehen.

1.2 Definition und Abgrenzung des Service public Zunächst muss bestimmt werden, was unter Service public zu verstehen ist. Darüber existieren

unterschiedliche Vorstellungen in der Literatur und in der öffentlichen Diskussion. Ein

pragmatisches Vorgehen wäre, davon auszugehen, was der Staat effektiv an Leistungen

erbringt (institutionelle Abgrenzung, z.B. nach dem Kriterium öffentlich-rechtlicher

Anstellungsverhältnisse). Dazu schreibt Naschold (Naschold/Bogumil 2000, 66): «Es gibt fast

keine gesellschaftliche Aufgabe, die nicht irgendwo schon einmal entweder staatlich oder

privat organisiert worden wäre.»

Aus volkswirtschaftstheoretischer Sicht erscheint uns deshalb eine funktionale Definition

eindeutiger, die sich auf die Rolle öffentlicher Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft bezieht.

Dabei stützen wir uns auf die ökonomische Standardtheorie («Mainstream»), welche die

grundsätzliche Optimalität des Marktes als Lenkungs- und Koordinationsinstrument einer

Volkswirtschaft postuliert. Allerdings braucht der Markt eine Ergänzung durch den Staat. Ihm

obliegt zunächst einmal die Herstellung der gesellschaftlichen Ordnung und rechtlichen

Rahmenbedingungen (namentlich Eigentumsrechte), unter denen eine wettbewerbliche

Marktwirtschaft überhaupt möglich ist. Diese müssen definiert und durch die öffentliche

Verwaltung, Justiz und Polizei (sowie gegen aussen durch das Militär) garantiert werden; die

damit verbundenen Tätigkeiten gelten als klassischer Kernbereich der Staatstätigkeit in einer

Marktwirtschaft.

Zusätzlich gibt es eine Reihe von Situationen, in denen eine optimale Güterversorgung

(«Allokation») durch den Markt nicht gewährleistet wird. Ein Handlungsbedarf des Staates wird

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in der ökonomischen Theorie dort gesehen, wo eine Marktlösung für ein erwünschtes Gut

entweder überhaupt nicht zustande kommt oder nicht unter optimalen Bedingungen erfolgt

(sog. «Marktversagen»). Die standard-ökonomische Theorie behandelt die Frage öffentlicher

Dienstleistungen also unter dem Aspekt der allokativen Effizienz. Sie definiert damit einen

Minimalstandard öffentlicher Aufgaben. Diese Definition zeichnet sich durch den Vorteil aus,

dass darüber ein allgemeiner Konsens besteht. Eine weitergehende Position stellt z.B. die

französische Sichtweise des Service public dar, nach welcher der Staat als Verkörperung des

«interêt general» grundsätzlich für alle Belange des gesellschaftlichen Wohlergehens

zuständig ist (s. z.B. Löwenberg 2001).1

Mit der Konzentration auf die allokative Funktion des Staates – Gewährleistung einer

optimalen Güterversorgung in Fällen von Marktversagen – bleiben andere Gründe für

staatliche Interventionen in die Wirtschaft ausgeklammert; diesbezüglich werden in der

finanzwissenschaftlichen Literatur insbesondere die verteilungspolitische und die

stabilitätspolitische Funktion des Staates genannt (s. z.B. Zimmermann/Henke 2001, 3ff. oder

Blankart 1998, 2). Das heisst nicht, dass solchen Aspekten bei der konkreten Ausgestaltung des

Service public nicht auch eine Bedeutung zukommen würde. Namentlich verteilungspolitische

Gerechtigkeitsüberlegungen spielen beim Service public eine prominente Rolle. Dies kommt im

häufig angeführten und auch vom schweizerischen Bundesrat vertretenen

«Universalitätsprinzip» zum Ausdruck, wonach der Service public «für alle

Bevölkerungsschichten und Regionen eines Landes nach gleichen Grundsätzen in guter

Qualität und zu angemessenen Preisen» zur Verfügung stehen soll (Bundesrat 2004). Einen

spezifischen verteilungspolitischen Aspekt stellt auch die von Arbeitnehmerseite postulierte

besondere Verpflichtung öffentlicher Arbeitgeber zur Gewährleistung guter

Arbeitsbedingungen (Vorbildfunktion öffentlicher Unternehmen) dar. Obschon die Vermeidung

übermässiger Einkommensunterschiede durchaus mit einem volkswirtschaftlichen Nutzen

verbunden sein kann, indem sie den sozialen Frieden fördert und deshalb geringere Ausgaben

zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit ermöglicht, lassen sich über

verteilungspolitische Fragen auf der Grundlage der ökonomischen Theorie aber keine

eindeutigen Aussagen machen. 2

1 Interessanterweise kommt aber dem privaten Sektor bei der Bereitstellung öffentlicher

Dienstleistungen im Rahmen von Public-Private-Partnerships in Frankreich ein hoher Stellenwert zu;

so erfolgt z.B. die Wasserversorgung durch private Anbieter (Perrot/Chatelus 2000). 2 Unter dem Aspekt der Versicherung gegen das Risiko der Verarmung kann staatliche Umverteilung

aber ebenfalls zu einer Erhöhung der volkswirtschaftlichen Effizienz führen (s. für eine kurze

Übersicht Thöny 2005).

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Bestehende öffentliche Dienstleistungsproduktionen werden auch oft mit zusätzlichen Zielen

versehen, wie z.B. die regionale Beschäftigungsförderung durch dezentrale Auftragsvergabe im

Falle von Post und SBB, ökologische Zielsetzungen (z.B. bei den Elektrizitätswerken) oder die

Beschaffung von Finanzmitteln für die Staatskasse, wie z.B. historisch in den Anfängen des

Postbetriebs (z.B. Blankart 1998, 247), bei der Verstaatlichung der kommunalen

Versorgungswerke zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Schweiz (Pasquier 2004) oder aktuell

in der Diskussion um die Privatisierung der Swisscom. Bezogen auf die volkswirtschaftliche

Funktion des Service public handelt es sich dabei aber jeweils um Nebenaspekte.

In dieser Studie soll der Service public als die Summe aus den Kernaufgaben des Staates und

den Aufgaben, die sich aus allokativem Marktversagen ergeben, definiert werden. Nicht zum

Service public gehören nach dieser Abgrenzung die staatlichen Sozialtransfers (z.B.

Altersrenten, Familienzulagen, Arbeitslosenentschädigung, Sozialhilfe usw.); die damit

verbundene staatliche Verwaltungstätigkeit kann jedoch zu den Kernaufgaben gezählt werden.

Offen bleibt dabei die Frage, ob die eigentliche Leistungserstellung durch den Staat selbst oder

durch Private wahrgenommen wird; deren Beantwortung bedingt zusätzliche

Effizienzüberlegungen. Die folgende Tabelle soll die Relation zwischen Funktion und

Trägerschaft des Service public illustrieren.

Tabelle 1.1: Abgrenzung des Service public

Leistungen, die von Privaten erbracht werden

Leistungen, die vom Staat erbracht werden

Aufgaben, die vom Markt gewährleistet werden können

Marktgüter Marktgüter

Aufgaben, die nicht vom Markt gewährleistet werden können

Service public

Service public

1.3 Aufbau der Studie Die Studie ist wie folgt aufgebaut: Im zweiten Abschnitt wird die theoretische Bestimmung der

Bereiche, in denen staatlicher Handlungsbedarf gegeben ist, gemäss dem eben erwähnten

Ansatz vorgenommen. Der dritte Abschnitt ist der empirischen Bedeutung des Service public in

der Schweiz und im internationalen Vergleich gewidmet. Neben anderen Indikatoren

konzentriert sich die Sichtweise auf die Wertschöpfung des Service public gemäss der

vorgenommenen theoretischen Abgrenzung. Im vierten Abschnitt erfolgt eine Übersicht über

Studien zu den Wirkungen der staatlichen Tätigkeit auf das Wirtschaftswachstum im Ausland

und speziell in der Schweiz. Der fünfte Abschnitt befasst sich mit der Frage der Effizienz

staatlicher im Vergleich zu privatwirtschaftlicher Leistungserbringung; dabei wird auch auf

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4

verschiedene Modelle zur Reform der Staatstätigkeit eingegangen. Abschnitt 6 fasst die Studie

zusammen.

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2. Ableitung der Rolle des Staates in der Wirtschaft durch die Theorie der Wirtschaftspolitik

2.1 Optimalität marktmässiger Allokation Im Gegensatz zur angelsächsischen ökonomischen Literatur existiert im deutschsprachigen

Raum die Konzeption einer Theorie der Wirtschaftspolitik, die sich von der allgemeinen

ökonomischen Theorie abhebt. Während der ökonomischen Theorie die Funktion zugewiesen

wird, ökonomische Phänomene zu erklären, soll die Theorie der Wirtschaftspolitik – unter

Beizug der ökonomischen Theorie – herleiten, wie angestrebte gesellschaftliche Zustände

politisch herbeigeführt werden können. Anders als die sogenannte Ökonomische Theorie der

Politik (oder Public Choice-Theorie), welche auch die Wirtschaftspolitiker als

Eigennutzenmaximierer ansieht, vertritt die Theorie der Wirtschaftspolitik traditioneller Weise

die Auffassung, dass die Wirtschaftspolitik auf das Allgemeinwohl hin orientiert ist. Wo die

ökonomische Theorie Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufdecken will, ist die Theorie der

Wirtschaftspolitik an Mittel-Zweck-Beziehungen interessiert. Anstelle der Erklärungsfunktion

von Wissenschaft, steht die Instrumentalfunktion im Vordergrund. Grafiken 2.1 und 2.2 fassen

das Gesagte zusammen. Allerdings sollte beachtet werden, dass eine absolute Trennschärfe

nicht gegeben ist. De facto sind sowohl deskriptive/erklärende als auch normative Elemente in

allen erwähnten Ansätzen vorhanden.

Ökonomische Theorie Theorie der Wirtschaftspolitik

Vorgabe: Konkrete (ökonomische) Phänomene

Vorgaben: 1) Gewünschte Zustände (Allgemeinwohl), 2) Mikro-/Makro-ökonomik

Gesucht: Ursachen Gesucht: Instrumente zur Errei-chung der gewünschten Zustände

Ursache-Wirkungs-Beziehungen Mittel-Zweck-Beziehungen Wissenschaft in ihrer Erklärungsfunktion

Wissenschaft in ihrer Instrumentalfunktion

Grafik 2.1: Ökonomische Theorie vs. Theorie der Wirtschaftspolitik

5

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Theorie der Wirtschaftspolitik Ökonomische Theorie der Politik

Annahme: (Wirtschafts-)Politik willdas Allgemeinwohl erhöhen.

Übertragung der Annahme derEigennutzenmaximierung von derWirtschaft auf die Politik

Annahme: Träger der Wirtschafts-politik haben die Möglichkeit dazu.

Wähler sind nur an ihrem eigenemNutzen interessiert.

Von Hindernissen wird abstrahiert.Wirtschaftspolitiker als „benevolentdictators“

Politiker sind Stimmenmaximierer.

Wirtschaftspolitik soll auf wissen-schaftlicher Grundlage beratenwerden.

(Wirtschafts-)Politik soll, ausgehendvon einfachen Annahmen, erklärtwerden.

Grafik 2.2: Theorie der Wirtschaftspolitik vs. Ökonomische Theorie der Politik Die Theorie der Wirtschaftspolitik könnte sich im Sinne Max Webers als «wertfreie»

Wissenschaft verstehen, wenn sie sich die Vorgaben über die anzustrebenden gesell-

schaftlichen Zustände von aussen, etwa vom politischen System, vorgeben liesse. Es ginge ihr

dann nur noch um die Entwicklung von Techniken zur Erreichung der exogen vorgegebenen

Ziele. Allerdings verbietet es sich die Theorie der Wirtschaftspolitik nicht, selbst Aussagen über

den anzustrebenden Zustand zu machen; dies ist die normative Komponente dieser Theorie. Ihr

zufolge muss das von der Wirtschaftspolitik anzustrebende Ziel die Maximierung der

gesellschaftlichen Wohlfahrt sein.

Das Postulat der Maximierung der «gesellschaftlichen Wohlfahrt» spiegelt die Grundannahme

der Mikroökonomik, dass die Individuen Nutzenmaximierer seien. Der Nutzen der individuellen

Produzenten ist ihr Gewinn; der (Netto-) Nutzen der Konsumenten besteht in der Differenz

zwischen ihrer individuellen Zahlungsbereitschaft für ihr Konsumgüterbündel und dem, was

sie tatsächlich dafür bezahlen müssen. Der Gewinn wird auch als «Produzentenrente»

bezeichnet und der Netto-Nutzen der Konsumenten als «Konsumentenrente». Das

Wohlfahrtsmaximum ist derjenige gesellschaftliche Zustand, in dem die Summe der

individuellen Renten maximal ist. Grafik 2.3 illustriert die Konzepte.

6

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Grafik 2.3: Wohlfahrtsmaximum

Hinter den Neigungen der aggregierten Angebots- und Nachfragekurve verbergen sich

bestimmte Annahmen. Hinter der positiven Steigung der Angebotskurve steht die Annahme

abnehmender Faktorgrenzerträge. Im Punkt B ist das Preisniveau so tief, dass nur der

produktivste Anbieter seine Kosten decken kann. Das Angebot ist marginal. Mit steigendem

Preisniveau werden auch die unproduktiveren Anbieter konkurrenzfähig. Da es sich bei der

Angebotskurve um die Grenzkostenkurve handelt, entspricht die Fläche unterhalb der Kurve

(das Integral) den Kosten. Die Produzentenrente ist somit der Gewinn (Umsatz minus Kosten).

Hinter der negativen Steigung der Nachfragekurve steht ebenfalls eine Annahme, nämlich dass

die individuellen Präferenzen nicht gleich-, sondern z.B. normalverteilt sind. Bei einem hohen

Preisniveau in Punkt A ist nur gerade ein Konsument zahlungsbereit. Mit sinkendem

Preisniveau kommen weitere Nachfrager hinzu. Die Angebots- und die Nachfragekurve

schneiden sich im Punkt G. Wenn die Menge XG zum Preis PG gehandelt wird, so brauchen auch

die Konsumenten mit den hohen Zahlungsbereitschaften für die von ihnen konsumierten

Einheiten jeweils nur PG zu bezahlen. Die Konsumentenrente ist die Differenz zwischen

Zahlungsbereitschaft und Preissumme.

Von zentraler Bedeutung ist nun, dass das Wohlfahrtsmaximum im Schnittpunkt von

Angebots- und Nachfragekurve – also im Marktgleichgewicht – liegt. Die Theorie der

Wirtschaftspolitik schlussfolgert, dass die Marktwirtschaft in der Lage ist, für eine optimale

«Allokation» (Zuweisung von Ressourcen auf Verwendungen) zu sorgen. So besagen es die

beiden Theoreme der Wohlfahrtsökonomik (vgl. Kasten 2.1)

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Kasten 2.1: Die beiden Theoreme der Wohlfahrtsökonomik

Erstes Theorem der Wohlfahrtsökonomik:

Ein Wettbewerbsgleichgewicht ist Pareto-optimal.

Zweites Theorem der Wohlfahrtsökonomik:

Jeder Pareto-optimale Zustand kann, ausgehend von einer ganz bestimmten Anfangs-

ausstattung mit Ressourcen, über Wettbewerb als ein gleichgewichtiges System relativer Preise

hergestellt werden.

Die Optimalität wird dabei anhand des sogenannten Pareto-Kriteriums bestimmt. Ein Zustand

ist «Pareto-optimal» (auch: «Pareto-effizient»), wenn keiner der Beteiligten mehr besser gestellt

werden kann, ohne dass ein anderer schlechter gestellt wird, wie es im Marktgleichgewicht der

Fall ist. Das Pareto-Kriterium begünstigt den verteilungspolitischen Status quo. Auch bei

extrem ungleicher Ausgangsverteilung der Ressourcen empfiehlt sich eine Umverteilung bei

Zugrundelegung dieses Kriteriums dann nicht, wenn «die Reichen» dadurch benachteiligt

würden. Die Wahl eines derart rigorosen Kriteriums ist konsistent mit dem Anspruch der

Wirtschaftswissenschaft, möglichst objektiv und «wertfrei» zu bleiben.

Die praktische Wirtschaftspolitik kann sich durch das Pareto-Kriterium allerdings nicht binden

lassen. Staatliche (Um-) Verteilungspolitik ist legitim, wenn sie im Einklang mit den

gesellschaftlichen Präferenzen und demokratischen Spielregeln erfolgt. Mit wissenschaftlicher

Neutralität lässt sich darüber aber wenig aussagen, so dass das Thema Verteilungspolitik hier

auch nicht vertieft wird.

Folgendes Zwischenfazit ist zu ziehen. Die Theorie der Wirtschaftspolitik weist nach, dass im

Marktgleichgewicht die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt maximiert wird. Dabei sind die

folgenden Aspekte von Bedeutung:

- Koordination individueller Wirtschaftspläne über den Markt-Preis-Mechanismus.

- Allokative Effizienz des Wettbewerbsgleichgewichts.

- D.h.: Gesellschaftliche Optimalität ohne zentrale Koordination, obwohl jeder nur

den eigenen Vorteil sucht. «Unsichtbare Hand» (Adam Smith) des Marktes.

- Es besteht kein Raum für wirtschaftliche Betätigungen des Staates, abgesehen von

der Herstellung geeigneter ordnungspolitischer Rahmenbedingungen.

2.2 Die der Ableitung der Markteffizienz zugrunde liegenden Annahmen und die Folgen ihrer Lockerung

8

Die im vorigen Abschnitt dargestellte Herleitung der allokativen Effizienz marktwirtschaftlicher

Koordination beruht auf einigen starken Annahmen, welche zum Teil als unrealistisch

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bezeichnet werden müssen. Bereits erwähnt wurden die Annahmen hinter der Angebots- und

Nachfragekurve des Marktmodells. Zusätzlich muss aber auch angenommen werden, dass der

Markt «perfekt» ist. Perfekte Märkte zeichnen sich insbesondere aus durch:

- Homogenität der Güter,

- atomistische Marktstruktur («vollständige Konkurrenz»),

- vollständige Markttransparenz,

- unbegrenzte Mobilität von Gütern und Faktoren («Punktförmigkeit» des Marktes),

- fehlende Barrieren für den Marktzu- und -austritt,

- unendlich hohe Anpassungsgeschwindigkeit.

Aber nicht nur über den Markt als Tausch-Ort, sondern auch über den Menschen als

denjenigen, der am Markt agiert, müssen gewisse Annahmen getroffen werden, um die

allokative Effizienz marktmässiger Koordination herleiten zu können. Es sind dies insbesondere

die folgenden Annahmen:

- Die menschlichen Bedürfnisse sind prinzipiell unbegrenzt. (Aus dieser Annahme

resultiert das ökonomische Problem der Knappheit.)

- Der Mensch verhält sich als individualistischer Nutzenmaximierer.

- Der Mensch verhält sich rational.

- Der Mensch ist vollinformiert (bildet «rationale Erwartungen»)

o über seine Präferenzordnung,

o über seine Handlungsmöglichkeiten,

o über alle Handlungsfolgen. Es liegt auf der Hand, dass reale Märkte und Menschen diesen Annahmen kaum je

entsprechen. Sind aber eine oder mehrere der Annahmen in der Realität verletzt, so wird das

Marktergebnis nicht mehr wohlfahrtsmaximierend sein. Die Begründung staatlicher

Wirtschaftpolitik in der Realität wird daher an der Verletzung der oben aufgezählten Annah-

men ansetzen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Behebung von «Marktversagen»

durch die Wirtschaftspolitik. Der betreffende Teilbereich der Wirtschaftspolitik wird als

«Allokationspolitik» bezeichnet, weil die bei Marktversagen ineffiziente marktliche Allokation

verbessert werden soll. Die prinzipielle Notwendigkeit staatlicher Allokationspolitik ist unter

Ökonomen weitgehend unbestritten. In Abschnitt 2.4 werden die wichtigsten Fälle von

Marktversagen und der aus ihnen folgende allokationspolitische Handlungsbedarf dargestellt.

Marktversagen legitimiert staatliche Eingriffe in die Wirtschaft selbst aus einer liberalen Sicht,

weil die Marktlösung ineffizient ist.

Jedoch reicht der blosse Vergleich der Realität mit dem hypothetischen Ideal des

Marktgleichgewichts nicht aus, um wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf zu begründen.

Eine solche Vorgehensweise wird nach Demsetz (1969) als «Nirwana-Ansatz» bezeichnet, da

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bewusst das Marktgleichgewicht als Strohmann aufgebaut wird – es kann leicht gezeigt

werden, dass perfekte Märkte nirgendwo existieren –, um dann nach Staatseingriffen zu rufen.

Die Theorie des «Marktversagens» kann nur notwendige Bedingungen identifizieren, unter

denen ein wirtschaftspolitischer Eingriff sinnvoll ist. Sie identifiziert jedoch keine

hinreichenden Bedingungen. Notwendige Bedingung für einen wirtschaftspolitischen Eingriff

ist, dass rein preisgesteuerte Transaktionen über den Markt nicht zum Wohlfahrtsmaximum

führen. Hinreichende Bedingung für wirtschaftspolitische Eingriffe ist, dass durch diese auch

tatsächlich ein besseres Ergebnis realisiert werden kann als es sich am Markt ergibt. Selbst wo

rein preisgesteuerte Transaktionen über den Markt nicht ideal sind, heisst das nicht auto-

matisch, dass sich im Wettbewerb nicht Vertrags- bzw. Organisationsformen entwickeln, die

allfällige Probleme überwinden können. Auch ist nicht gesagt, dass durch einen staatlichen

Eingriff die Situation auch tatsächlich verbessert wird, denn auch staatliche Eingriffe sind mit

Kosten verbunden und können Idealzustände nicht herbeizaubern. «Staatsversagen» kann

analog zu Marktversagen auftreten, weil auch staatliche Entscheidungsträger mit

Informations- sowie evtl. mit Anreizproblemen konfrontiert sind (s. Abschnitt 5).

2.3 Ordnungspolitische Priorität für die marktmässige Koordination Arbeitsteilung erhöht die Arbeitsproduktivität, worauf bereits Adam Smith hinwies. Damit

vermindert Arbeitsteilung das ökonomische Grundproblem der relativen Knappheit der

Ressourcen/Güter – gemessen an der (unterstelltermassen unendlich grossen) Summe der

menschlichen Bedürfnisse. Allerdings impliziert Arbeitsteilung Produktion für andere. Hieraus

entsteht ein Koordinationsproblem. Wirtschaftsordnungen unterscheiden sich nach der Art

und Weise, wie sie dieses Koordinationsproblem lösen. Reale Wirtschaftsordnungen liegen in

einem Intervall, dessen Grenzen die Idealtypen «völlig zentralisierte Koordination» («geplante

Ordnung») und «völlig dezentralisierte Koordination» («ungeplante Ordnung») bilden. Mit der

Frage, welche Position ein Land im Spannungsfeld zwischen reiner Marktwirtschaft und

Planwirtschaft einnehmen sollte, befasst sich die Theorie der Ordnungspolitik, ein Teilgebiet

der Theorie der Wirtschaftspolitik.

Die überwältigende Mehrheit der Ordnungstheoretiker gibt der «ungeplanten Ordnung»

(Marktwirtschaft) den Vorzug vor der «geplanten Ordnung» und tendiert somit in die Richtung

des «Ordoliberalismus» (Walter Eucken). Der Vorrang marktmässiger Koordination in

arbeitsteiligen Volkswirtschaften leitet sich von den allokativen Effizienzeigenschaften der

marktmässigen Koordination ab, m.a.W. von der Tatsache, dass in Marktgleichgewichten die

ökonomische Wohlfahrt maximiert wird. Gelegentlich wird dieses wissenschaftlich begründete

Argument auch mit dem Werturteil verknüpft, dass in «ungeplanten Ordnungen» eine höhere

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persönliche Freiheit gewährleistet sei.3 Staatliche Eingriffe in die Marktkoordination sollen sich

folglich auf Fälle des Marktversagens beschränken und auch nur solche Marktversagensfälle

adressieren, in denen der Staatseingriff auch tatsächlich eine Verbesserung der Allokation

herbeiführen kann.

Die schweizerische Wirtschaftsverfassung befindet sich im Einklang mit den Prinzipien des

Ordoliberalismus. Artikel 27 BV garantiert das Grundrecht der «Wirtschaftsfreiheit», und Art. 94

BV verpflichtet die Gebietskörperschaften, die Wirtschaftsfreiheit zu garantieren. Gemäss

vorherrschender Auffassung enthält das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit mehr als nur ein

grundsätzliches Bekenntnis zur «ungeplanten Ordnung» (Marktwirtschaft). Die

Wirtschaftsfreiheit ist ein Abwehrrecht, das der Privatwirtschaft einen staatsfreien Raum

sichern soll (vgl. Hotz-Hart et al. 2001, 46ff.). Prinzipiell wird jeder staatliche Eingriff in die

Wirtschaft als Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit interpretiert. Salopp gesagt, heisst

«Wirtschaftsfreiheit» in der Schweiz: Die Privaten dürfen im Bereich der Wirtschaft a priori

machen, was sie wollen; der Staat darf a priori gar nichts machen. Natürlich gibt es

Einschränkungen und Ausnahmen; Staatseingriffe sind aber nur in jenen Bereichen erlaubt, die

abschliessend in der Bundesverfassung aufgelistet sind. Gerade in der Schweiz gilt, dass jede

wirtschaftliche Aktivität des Staates unter besonderem Rechtfertigungszwang steht. Im

nächsten Abschnitt wird daher gefragt, für welche der wirtschaftlichen Betätigungen des

Staates sich allokationstheoretische Begründungen geben lassen. Nur solchermassen

begründbare staatliche Aktivitäten werden im Weiteren dem Service public zugerechnet. Die

Tatsache etwa, dass ein Unternehmen sich im Staatsbesitz befindet, genügt noch nicht, um die

betreffenden Beschäftigten dem Service public zuzuordnen. Ansonsten würden ja bspw. in

Frankreich die Beschäftigten von Renault – einem Staatskonzern – zum Service public gehören,

aber ihre Kollegen von PSA (Peugeot-Citroën, einem Privatunternehmen) nicht, was absurd

wäre. Es gilt, an der Tätigkeit anzusetzen und zu überprüfen, ob Marktversagen vorliegt und ob

die Übernahme der Tätigkeit durch den Staat gegenüber der Marktlösung – sollte eine solche

überhaupt zustande kommen – zu einer Wohlfahrtsteigerung führt.

3 In diesem Sinne äussert sich z.B. ein führender Vertreter des Seco auf der Seco-Homepage:

«Ordnungspolitik ist damit aber Ausdruck der Tatsache, dass die Schweiz ein liberaler Staat sein will,

welcher die Wirtschaftsfreiheit – ein Menschenrecht – gewährleistet. ... Die Wirtschaftsfreiheit kann

[aber] nicht nur als Grundrecht verstanden werden, sondern auch rein instrumental, als Weg zur

Wohlfahrtsmaximierung. Auch in einem andern Staatsverständnis, das das gesamtgesellschaftliche

Wohlergehen ohne langen Bezug zu den Individualrechten in den Vordergrund rückt, hat deshalb das

Abstellen auf die Mechanismen des freien Marktes seinen Platz» (Peter Balastèr, vgl.

http://www.seco.admin.ch/imperia/md/content/analysenundzahlen/

strukturanalysenundwirtschaftswachstum/schema_erklaerung_d.pdf).

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12

Für alle Bereiche in denen der Staat ökonomische Aktivitäten entfaltet, obwohl kein

Marktversagen vorliegt, impliziert die ordnungspolitische Priorität der marktmässigen

Koordination in Verbindung mit dem Verfassungsauftrag an die Gebietskörperschaften, die

Wirtschaftsfreiheit zu gewährleisten, dass der betreffende Bereich zu liberalisieren und für den

Wettbewerb zu öffnen ist. Die Sicherung des Wettbewerbs ist generell eine zentrale Aufgabe

der Ordnungspolitik in ungeplanten Ordnungen, da Wettbewerb konstitutiv für solche

Ordnungen und Voraussetzung für deren Optimalität ist (s. Abschnitt 2.4.4).

2.4 Marktversagen und allokationspolitischer Handlungsbedarf In der Literatur zur Theorie der Wirtschaftspolitik (vgl. z.B. Streit 2005, Kap. 3) werden

Marktversagens-Tatbestände diskutiert, welche einen allokationspolitischen Handlungsbedarf,

also einen Staatseingriff in den Wirtschaftsprozess, nicht nur legitimieren, sondern – zur

Verbesserung der Allokationseffizienz – erfordern. Die wichtigsten Marktversagens-

Tatbestände sind:

- externe Effekte,

- öffentliche Güter,

- natürliche Monopole,

- private Wettbewerbsbeschränkungen,

- private Informationsdefizite.

In den folgenden Unterabschnitten werden diese fünf Marktversagens-Tatbestände einzeln

erläutert, und es wird diskutiert, inwieweit aus ihnen auf die Notwendigkeit einer staatlichen

Leistungsbereitstellung – bzw. eine Bereitstellung durch den Service public – geschlossen

werden kann. Diese Diskussion wird eine theoretische Begründung liefern für staatliche

Aktivität in der Wirtschaft. In Abschnitt 2.6 wird auf die Frage des optimalen Umfangs dieser

staatlichen Aktivität bzw. des Service public eingegangen.

2.4.1 Externe Effekte

Der «klassische» Marktversagens-Fall, welcher bereits von Pigou (1920) thematisiert wurde, ist

das Auftreten sogenannter externer Effekte. Mankiw (2001, 221) definiert den externen Effekt

als «Auswirkung ökonomischen Handelns auf die Wohlfahrt eines unbeteiligten Dritten, für die

niemand bezahlt oder niemand einen Ausgleich erhält». Eine positive Externalität liegt vor,

wenn jemand etwas erhält, ohne dafür zahlen zu müssen. Eine negative Externalität liegt vor,

wenn jemand geschädigt wird, ohne dafür kompensiert zu werden. In beiden Fällen sind die

sogenannten sozialen Kosten nicht identisch zu den bezahlten Kosten. Ein typisches Beispiel für

eine Aktivität mit negativen externen Effekten ist der Strassenverkehr. Er verursacht vielfältige

Kosten bei anderen, z.B. Gesundheitsausgaben, Kosten für Lärmdämmung, Gebäude- und

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13

Waldschäden und die Folgekosten des Klimawandels, für welche die Verursacher nicht aufkom-

men. Diese «sozialen» Kosten würden verringert, wenn die Autofahrer ihre Aktivitäten

einschränken würden. Der Markt versagt bei der Allokation der sozialen Kosten auf ihre

Verursacher mit der Folge, dass, gemessen am Wohlfahrtsmaximum, zu viel gefahren wird. Die

durch die marktmässige Koordination erreichte Allokation ist ineffizient.

Negative externe Effekte taugen allerdings kaum zur Begründung der Notwendigkeit eines

Service public, da es hier nicht darum geht, eine Leistung bereitzustellen, sondern im Gegenteil

darum, Aktivitäten unter dasjenige Niveau zu senken, welches sich bei marktmässiger

Koordination ergibt. Die «Internalisierung» externer Effekte kann durch den Staat erfolgen, z.B.

durch Regulierung oder die Erhebung sogenannter Pigou-Steuern, welche die Aktivität mit

negativen externen Effekten verteuern, so dass letztere reduziert werden. Das

Marktgleichgewicht kann so näher an das Wohlfahrtsmaximum herangeführt werden.

Allerdings ist dem Coase-Theorem zufolge eine staatliche Regulierung unter bestimmten

Bedingungen nicht nötig. Externalitäten können durch private Verhandlungen internalisiert

werden, wenn damit keine oder nur geringe Transaktionskosten verbunden sind. Der Staat

kann sich dann auf seine ordnungspolitische Aufgabe zurückziehen, Eigentumsrechte

eindeutig zu definieren.

Anders steht es im Fall positiver Externalitäten. Diese äussern sich auf makroökonomischer

Ebene in Form sogenannter Spillover-Effekte. Bestimmte Leistungserbringungen zeichnen sich

dadurch aus, dass sie die Leistungserbringung anderer Produktionsfaktoren positiv

beeinflussen. Ein Beispiel ist die Produktion respektive der Konsum von

Gesundheitsdienstleistungen. Zahlreiche empirische Untersuchungen bestätigen einen

positiven Einfluss des Gesundheitszustands der Bevölkerung auf den langfristigen

Wachstumstrend der Wirtschaft.4 (Gegenteilige Befunde gibt es kaum.) In einem privaten

Gesundheitsmarkt ergibt sich in Abhängigkeit der Preise für Gesundheitsdienstleistungen ein

Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage, dem ein bestimmter Gesundheitszustand der

Bevölkerung entspricht. Im Wissen um die positiven Spillover-Effekte des Gesundheitszustands

hat der Staat in so gut wie allen entwickelten Ländern entschieden, im Gesundheitssektor

bestimmte Marktgesetze ausser Kraft zu setzen. In einigen Ländern (z.B. Finnland) ist der

Gesundheitssektor grösstenteils verstaatlich worden. Allokationstheoretische Begründung für

eine solche Massnahme ist, dass durch kostenfreien5 Zugang zum Gesundheitswesen die

Nachfrage erhöht, der Gesundheitszustand der Bevölkerung verbessert und über die Spillover-

4 Vgl. Knowles/Owen (1995, 1997), Rivera/Currais (1999a, 1999b, 2003, 2004), Bloom et al. (2001),

Bhargava et al. (2001), McDonald/Roberts (2002), Tompa (2002) und Abschnitt 4 dieser Studie.

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14

Effekte das Wirtschaftswachstum angeregt werden kann. Das Marktgleichgewicht würde einer

Unterversorgung entsprechen; Marktversagen liegt vor. Das Gesundheitswesen kann daher

zum Service public gezählt werden.

In der Schweiz erfolgt eine direkte staatliche Leistungsbereitstellung zwar nur in der

stationären Versorgung, während die ambulante Versorgung privatwirtschaftlich organisiert

ist. Jedoch sorgt die Prämienregulierung auch in der Schweiz für eine weitgehende

Entkoppelung der Inanspruchnahme von Leistungen von der direkten Zahlung. Auch in der

Schweiz sind die Marktgesetze im Gesundheitswesen weitgehend ausser Kraft gesetzt; Preise

und z.T. Mengen (Zulassungsstopp für Ärzte) werden staatlich reguliert. Da auch für die

Schweiz davon ausgegangen werden kann, dass ein privates Marktgleichgewicht einer

Unterversorgung entspräche, wird das Gesundheitswesen in dieser Studie zum Service public

gerechnet.

2.4.2 Öffentliche Güter

Kennzeichen öffentlicher Güter sind die Nicht-Rivalität im und die Nicht-Ausschliessbarkeit

vom Gebrauch. Nicht-Ausschliessbarkeit bedeutet, dass die Konsumenten öffentliche Güter

konsumieren können, ohne etwas dafür zu bezahlen (sog. «Trittbrettfahrer»-Problem).6 Private

Anbieter werden diese Güter nicht in sozial optimaler Menge bzw. gar nicht produzieren, da sie

ihre Kosten nicht über den Preis decken können. Im Nicht-Zustandekommen eines

entsprechenden Angebots besteht das Marktversagen. Als Allokationsfolge ergibt sich eine

Unterversorgung mit bzw. eine Übernutzung öffentlicher Güter. Nicht-Rivalität bedeutet, dass

die Inanspruchnahme eines Gutes durch einen Benutzer die Nutzungsmöglichkeiten aller

anderen nicht einschränkt (z.B. Hören einer Rundfunksendung). Aufgrund dieser Tatsache ist

ein Ausschluss zusätzlicher Hörer Pareto-ineffizient, selbst wenn sie sich weigern, dafür etwas

zu bezahlen. Diese zusätzlichen Benutzer verursachen nämlich keine zusätzlichen Kosten,

hätten aber einen Nutzen. Die Gesamtrente wird bei ihrem Ausschluss nicht maximiert. Die

privatwirtschaftliche Praxis des Ausschlusses über den Preismechanismus impliziert in diesem

Fall Marktversagen.

Beispiele für öffentliche Güter sind die kollektive Sicherheit, welche im Innern durch Justiz und

Polizei bzw. gegen aussen durch die Armee hergestellt wird, oder die Strassenbeleuchtung.

Auch bei der Infrastruktur (z.B. die Verkehrs-, Ver- und Entsorgungsnetze) ist die

5 Finanziert werden muss ein solches Gesundheitswesen natürlich auch, aber eben über Steuern und

nicht über die Bepreisung der Leistungen. 6 Unter Umständen ist ein Ausschluss zwar technisch möglich, aber prohibitiv kostspielig.

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15

Ausschliessbarkeit teilweise nicht geben bzw. nur unter hohen Ausschlusskosten möglich7, und

unterhalb der Grenze der Kapazitätsauslastung besteht Nicht-Rivalität. Die Bereitstellung,

Pflege und Weiterentwicklung der Infrastruktur obliegt deshalb ebenfalls der staatlichen

Verwaltung.8

Es ist unumstritten, dass der Staat öffentliche Güter entweder selbst anbieten oder ihr Angebot

durch private Unternehmen zumindest finanzieren muss. Öffentliche Güter sind die

Kerndomäne des Öffentlichen Dienstes; ihre Produktion gehört zu den Aufgaben des Service

public. Dem funktionalen Ansatz dieser Studie entsprechend, ist es dabei unerheblich, ob der

Staat die Produktion öffentlicher Güter selbst an die Hand nimmt – d.h. dass Staatsbedienstete

die Produktion übernehmen – oder ob das entsprechende Angebot an private Dienstleister

outgesourced wird. Im letztgenannten Fall würde der Service public aus eben jenen privaten

Dienstleistungsangeboten bestehen.

2.4.3 Natürliche Monopole

Ist eine Produktion mit hohen Fixkosten (bzw. irreversiblen Kosten) und niedrigen Grenzkosten

verbunden, wie es für Netzwerke (Telefonnetze, Stromversorgungsnetze usw.) typisch ist, kann

ein Anbieter die absetzbare Gesamtmenge kostengünstiger (effizienter) als viele Anbieter

herstellen (sog. «subadditive Kostenfunktion» bzw. fallende Durchschnittskosten über die

gesamte Ausbringungsmenge).9 Dieser eine Anbieter kann einerseits nicht nach der Regel Preis

= Grenzkosten bepreisen, da er unterhalb der Durchschnittskosten bliebe und Verluste machen

würde, will es andererseits auch nicht, da er den Monopolpreis ansetzen kann. Es kann zwar

einen privaten Anbieter, aber keinen Wettbewerb geben. Man spricht von «natürlichen»

Monopolen. Allokationspolitische Konsequenz ist, dass der Staat die Güter natürlicher

Monopole entweder selbst anbieten oder dass er zumindest deren Angebot regulieren muss.

Auch aufgrund dieser Überlegungen werden hier die öffentlichen Versorgungsunternehmen

(Strom, Wasser, Gas ...) zum Service public gezählt, nicht jedoch die Swisscom. Denn die

7 Zudem ist nach dem Universalitätsprinzip ein Ausschluss auch politisch nicht gewollt. Dies trifft sich

im Falle von Netzwerken mit den Interessen aller Benutzer an einer möglichst breiten Abdeckung. 8 Die Bereitstellung der Infrastruktur durch den Staat lässt sich nicht nur mit dem Charakter der

Infrastruktur als öffentliches Gut, sondern darüber hinaus mit den positiven externen Effekten der

Infrastruktur begründen (vgl. Abschnitt 2.4.1). Zahlreiche empirische Studien belegen, dass öffentliche

Infrastrukturinvestitionen einen eigenständigen positiven Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten

und eine hohe Kapitalrendite abwerfen (vgl. dazu Abschnitt 4 und Schips/Hartwig 2005).9 Neben der Minimierung der Produktionskosten kann die Erstellung des Angebots durch einen

einzigen Anbieter u.U. auch die Transaktionskosten der Konsumenten minimieren (Such- und

Informationskosten, Kompatibilitätsprobleme usw.).

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16

Definition des natürlichen Monopols ist dynamisch und hängt sowohl von der technischen

Entwicklung als auch von der Entwicklung der Nachfrage ab. Technische Neuerungen wie der

Mobilfunk und die Telefonie über Internet und Kabel haben das Monopol des Festnetzanbieters

im Bereich der Sprachtelefonie gebrochen. Deswegen war die Öffnung des Schweizer

Telefonmarktes – angesichts der ordnungspolitischen Priorität marktmässiger Koordination –

ordnungspolitisch konsequent. Umgekehrt kann allerdings die technische und nachfrage-

seitige Dynamik auch einmal dazu führen, dass bislang privatwirtschaftliche Aktivitäten unter

die Fittiche des Staates gelangen müssen. Im Bereich der Unterhaltungsmedien sind

Entwicklungen im Gang, die dem vormals privaten Gut «musikalischer Tonträger» zunehmend

den Charakter eines öffentlichen Gutes verleihen (Nicht-Ausschliessbarkeit vom Gebrauch

aufgrund des Vorhandenseins in Internet-Tauschbörsen sowie Nicht-Rivalität im Gebrauch).

Gegenwärtig versucht zwar der Staat, diese Dynamik mit Strafandrohungen zu brechen. Sollten

solche Bemühungen allerdings langfristig keinen Erfolg haben, so würde im Extremfall die

Musikindustrie ihre Vermarktungsaktivitäten einstellen, da sie an der Kasse keine Einnahmen

mehr generieren könnte. In einem solchen Fall würden dem Staat im Bereich der

Unterhaltungsmusik Aufgaben wie in anderen Bereichen der Kulturförderung zuwachsen.

2.4.4 Private Wettbewerbsbeschränkungen

Monopole implizieren nicht nur dann Marktversagen, wenn sie durch eine subadditive

Kostenfunktion bedingt – also «natürlich» – sind, sondern in jedem Fall. Die Mikroökonomik

lehrt, dass ein Monopolist eine geringere Menge zu einem höheren Preis anbietet, als sich im

Wettbewerbsgleichgewicht ergäbe. Gegenüber letzterem resultiert im Monopol ein

Wohlfahrtsverlust. Die Allokation ist ineffizient; der Markt versagt. Dasselbe trifft in

abgeschwächter Form auch auf sogenannte Oligopole zu, bei denen zwar mehr als ein, aber

nur einige wenige Anbieter am Markt auftreten.

Marktversagen in Form privater Wettbewerbsbeschränkungen wird tendenziell durch

Marktprozesse selbst hervorgebracht. Etablierte Anbieter wollen den Wettbewerb als

(möglicherweise existenzbedrohende) «Quelle von Unsicherheit und Gefahr» (M. Streit)

möglichst ausschalten. Zudem gilt, dass ein Monopolist einen höheren Gewinn erzielt als ein

Unternehmen im Wettbewerbsgleichgewicht. (Im langfristigen Wettbewerbsgleichgewicht ist

der Gewinn sogar gleich null.) Wettbewerb, so fassen es Ahrns/Feser (1987, 18) zusammen, «ist

weder bequem noch risikolos. Er nötigt die Produzenten zu ständiger Anpassung an die

Konsumentenwünsche und die kostengünstigste Produktionsmethode. Misslingt diese

Anpassung, drohen Verluste (im Extremfall der Konkurs). Wettbewerb scheint der Realisierung

der Gewinnmaximierungsabsicht geradezu im Wege zu stehen». Daher haben Unternehmen –

sowie auch der Staat im Interesse der (einheimischen) Unternehmen – zahlreiche Formen von

Wettbewerbsbeschränkungen entwickelt, von denen die wichtigsten das abgestimmte

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17

Verhalten (Kartellbildung), die missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht sowie die

Unternehmenskonzentration sind (vgl. Ahrns/Feser 1987, 51-65).

Aufgrund der marktinhärenten Tendenz zu Wettbewerbsbeschränkungen muss der Staat den

Schutz des Wettbewerbs in der Wirtschaftsverfassung verankern und den Wettbewerb auch

tatsächlich durchsetzen. Denn bei gegebener Ressourcenausstattung ist Wettbewerb eine

denknotwendige Voraussetzung dafür, dass jede Ressource auf die Verwendung alloziert wird,

wo sie den grössten Nutzen stiftet bzw. am effizientesten eingesetzt werden kann. Die

wettbewerbspolitische Behörde – in der Schweiz die Wettbewerbskommission (Weko) – ist

daher ein notwendiger Bestandteil des Service public.10

2.4.5 Private Informationsdefizite

Im Gegensatz zu der in Abschnitt 2.2 genannten neoklassischen Modellannahme der

Vollinformiertheit der Marktteilnehmer sind in der Realität Informationsdefizite die Regel. Die

Theorie der Wirtschaftspolitik leitet aus Informationsdefiziten einen ganz spezifischen – und

nicht unumstrittenen – allokationspolitischen Handlungsbedarf ab. Musgrave (1959) hat den

Begriff der «meritorischen» bzw. «demeritorischen» Güter geprägt. Seiner Argumentation

zufolge schätzen Konsumenten systematisch ihren Nutzen aus dem Konsum bestimmter Güter

falsch ein und konsumieren daher entweder zu wenig (bei Unterschätzung des Nutzens) oder

zu viel (bei Überschätzung des Nutzens) von dem betreffenden Gut. Meritorische Güter sind

solche, von denen mehr konsumiert werden müsste, wenn die Konsumenten ihre «wahren»

Präferenzen kennten; von demeritorischen Gütern müsste weniger konsumiert werden. Die

sich am Markt einstellende Allokation ist nicht wohlfahrtsmaximierend; Marktversagen liegt

vor.

Als Beispiele für meritorische Güter werden Bildung und «Hochkultur» genannt.11 Die

staatliche Trägerschaft von Schulen, Hochschulen, Museen, Opernhäusern und Theatern – oder

aber die staatliche Subventionierung privater Bildungsträger und Kulturschaffender lässt sich

mit diesem Argument begründen. Auch die Alterssicherung gilt als meritorisches Gut.

Demnach würde der zukünftige Nutzen eines Alterseinkommens unterschätzt. Das staatliche

Rentenversicherungssystem sowie das Zwangssparen in der Zweiten Säule beziehen von

hierher ihre Legitimation.

10 In den USA waren Monopolmissbräuche speziell bei Versorgungsunternehmen («public utilities») der

Hauptgrund für deren Regulierung durch «regulatory agencies»; in Europa wurden diese auch z.B.

mittels Wettbewerbsrecht und Banken- und Versicherungsaufsicht angegangen (Nowotny 1998). 11 Als Beispiele für demeritorische Güter gelten Alkohol, Tabakwaren und andere Drogen.

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18

Allerdings ist das Konzept der (de)meritorischen Güter nicht unproblematisch, beruht es doch

auf dem paternalistischen Ansatz, dass «Vater Staat» besser weiss, was gut für uns ist, als wir

selbst. Vorstellungen von «mündigen Bürgern» sind kaum vereinbar mit jenen von

(de)meritorischen Gütern. Unter diesem Aspekt erscheint es nicht zwingend, dass z.B. das

Bildungswesen weitgehend in staatlicher Hand ist. Die Nachfrage nach Bildung scheint recht

preisunelastisch zu sein, was ein rein privates Bildungsangebot in den Bereich des Möglichen

rückt. Meistens wird die Notwendigkeit staatlicher (Hoch-)Schulen daher auch nicht mit

allokationstheoretischen Argumenten, sondern mit Gerechtigkeitsüberlegungen begründet.

Der Zugang zu Bildung soll nicht von der Zahlungsfähigkeit abhängen. Dieses Argument ist

aber nicht schlüssig, denn selbstverständlich könnten einkommensschwache Schichten in

einem rein privaten Bildungssystem staatliche Unterstützungen zum Bildungserwerb erhalten.

Obwohl allokationstheoretisch nicht einwandfrei begründbar, wird das Bildungswesen in

dieser Studie dem Service public zugeordnet. Denn bei Licht besehen ist das Konzept der

(de)meritorischen Gütern nicht ganz von der Hand zu weisen. Ferner gibt es empirische Evidenz

für positive externe bzw. Spillover-Effekte die von der Bildung ausgehen. Angeregt durch den

einflussreichen Aufsatz von Mankiw et al. (1992) haben zahlreiche Studien einen

eigenständigen positiven Beitrag des «Humankapitals» in Form von Bildung für das

Wirtschaftswachstum nachgewiesen.12 In diesem Fall ist, wie in Abschnitt 2.4.1 gezeigt wurde,

ein privater Bildungsmarkt ineffizient klein und eine staatliche Bereitstellung von Bildung

legitim.

2.5 Konkrete Abgrenzung des Service public Eine exakte Zuordnung konkreter öffentlicher Dienstleistungen zu den verschiedenen Formen

des Marktversagens ist oft nicht einfach, und ohne eine vertiefte Analyse des Einzelfalles, die

den Rahmen diese Studie übersteigen würde, bleiben Interpretationsspielräume. Bei der von

uns vorgenommen Einteilung ist also ein Element der Willkür nicht auszuschliessen. Auf der

Basis der vorstehenden Ausführungen zur Abgrenzung des Service public auf

allokationstheoretischer Grundlage werden in dieser Studie die folgenden Bereiche zum Service

public gezählt:

12 Allerdings kann die statistische Signifikanz der Bildungsvariablen in Wachstumsregressionen verloren

gehen, sobald das Humankapital in den beiden Dimensionen «Bildungsstand» und «Gesundheits-

zustand» dargestellt wird (vgl. Knowles/Owen 1995, 1997). Zum Versuch einer empirischen

Widerlegung vgl. Webber (2002); s. auch Abschnitt 4.

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19

- die Branchenzusammenfassungen «Öffentliche Verwaltung, Verteidigung,

Sozialversicherung» (NOGA13-Abteilung 75; darin enthalten sind auch Justiz und

Polizei) sowie «Abwasser- und Abfallbeseitigung und sonstige Entsorgung» (NOGA-

Abteilung 90) – aufgrund der Ausführungen in Abschnitt 2.4.2 und 2.4.4,

- die Branchenzusammenfassungen «Erziehung und Unterricht» (NOGA-Abteilung

80) und «Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen» (NOGA-Abteilung 85) –

aufgrund der Ausführungen in Abschnitt 2.4.1 und 2.4.5,

- die Branchenzusammenfassung «Energie- und Wasserversorgung» (NOGA-

Abteilungen 40 und 41) – aufgrund der Ausführungen in Abschnitt 2.4.3.

Hinzugezählt werden weiterhin die Post- und Bahndienstleistungen (NOGA-Abteilungen 64.11

und 60.10). Hierfür gibt es im Grunde keine zwingende allokationstheoretische Rechtfertigung.

Von Marktversagen ist in Bezug auf Transport- und Postdienstleistungen nicht auszugehen.

Zwar ist das Eisenbahnnetz ein natürliches Monopol, auf diesem Netz könnte sich aber

durchaus ein Wettbewerbsmarkt für Transportdienstleistungen etablieren.14 Trotzdem wird in

der Schweiz der Eisenbahntransport durch das Staatsunternehmen SBB dominiert. Im Hinblick

auf Postdienstleistungen sind überhaupt keine theoretischen Aspekte erkennbar, warum diese

nicht marktmässig koordiniert werden sollten. Trotzdem werden sie in der Schweiz durch die

öffentliche Anstalt «Die Post» dominiert. Die einzige ordnungspolitische Rechtfertigung für die

Staatsaktivität in diesen beiden Bereichen besteht im der Post und den SBB übertragenen

Grundversorgungsauftrag. Bei marktmässiger Koordination ist zu vermuten, dass Randgebiete

nicht länger mit Post- und Bahndienstleistungen versorgt würden, weil es unrentabel wäre.

Darin liegt kein Marktversagen; unrentable Angebote kommen in keinem Bereich der

Privatwirtschaft zustande. Dass für Post- und Bahndienstleistungen eine flächendeckende

Grundversorgung bestehen soll, ist offenbar auf bestimmte Präferenzen der Schweizer

Bevölkerung zurückzuführen, welche für diese Studie als Datum hingenommen werden.

Grundversorgungsaufträge, welche auch unrentable Angebote umfassen, können i.d.R. nur von

Staatsunternehmen oder staatlich subventionierten Unternehmen erfüllt werden.

Schliesslich enthält die NOGA-Branchenzusammenfassung 9192 «Interessenvertretung, Kultur,

Sport» neben überwiegend privaten Dienstleistungsanbietern – wie z.B. Berufsorganisationen,

Parteien, Kirchen, Kinos und Sportvereinen – auch einige Dienstleister, welche dem Service

public zuzurechnen sind. Die Ausführungen in Abschnitt 2.4.4 legen nahe, die NOGA-

Abteilungen 92.32A «Betrieb von Theatern, Schauspielhäusern, Opern und Konzerthallen»

13 NOGA = Nomenclature générale des activités économiques (Allgemeine Systematik der Wirtschafts-

zweige). 14 Selbiges gilt auch für die Energie- und Wasserversorgung.

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20

sowie 92.5 «Bibliotheken, Archive, Museen, botanische und zoologische Gärten» zum Service

public zu zählen. Die NOGA-Abteilung 92.2 «Rundfunkveranstalter, Herstellung von Hörfunk-

und Fernsehprogrammen» wird durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dominiert, welcher

ebenfalls als Produzent meritorischer Güter – und damit als Teil des Service public – gelten

kann. Ein rein privater schweizerischer Rundfunk- und insbesondere Fernsehmarkt würde

aufgrund seiner mangelnden Grösse wahrscheinlich hauptsächlich von ausländischen

Anbietern mitversorgt, was zur Folge hätte, dass Aspekte der schweizerischen Kultur nicht

ausreichend zur Geltung kämen.

2.6 Der optimale Umfang des Service public Für die Frage nach dem optimalen Umfang des Service public ist es sinnvoll, zwischen

konsumtiven Verwendungen und Vorleistungen zu unterscheiden.15 Die Frage des optimalen

Umfangs konsumtiver Verwendungen diskutiert die ökonomische Theorie der öffentlichen

Güter analog zum Entscheid über private Güter. Bei letzteren wird die optimale Menge auf dem

Markt über den Preis bestimmt, so dass dieser dem Nutzen des marginalen Käufers,

ausgedrückt in seiner Zahlungsbereitschaft, entspricht: Je höher der Nutzen, umso höher die

Zahlungsbereitschaft, der Preis und somit die angebotene Menge. Bei kollektiven Gütern gibt

es definitionsgemäss keinen Marktpreis. Hier wird die optimale Menge anhand der Summe der

Nutzen, welche die einzelnen Konsumenten aus dem öffentlichen Gut erhalten, definiert;

entscheidend ist also die kollektive Zahlungsbereitschaft. Die konkrete Ermittlung des Nutzens

öffentlicher Güter ist allerdings nicht einfach. Es gibt Versuche, diesen mittels Umfragen zu

eruieren (z.B. die deklarierte Zahlungsbereitschaft für die Benutzung eines öffentlichen Parks).

Da aber ein objektiver Vergleichsmassstab fehlt, ist es schwierig, die Zuverlässigkeit der

Ergebnisse solcher Befragungen abzuschätzen. Zwangsläufig wird deshalb in der Regel davon

ausgegangen, dass sich die gesellschaftlich optimale Menge öffentlicher Güter im

demokratischen Entscheidungsverfahren bestimmt. Theoretische Untersuchungen kommen

allerdings zum Schluss, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass es dabei zu

eindeutigen Lösungen kommt (Condorcet-Paradoxon).

Handelt es sich bei öffentlichen Dienstleistungen um produktive Vorleistungen (z.B.

Infrastrukturen), so besteht ihr Nutzen im Beitrag zu der entsprechenden Produktionsleistung.

Im konkreten Einzelfall kann versucht werden, diesen mittels Kosten-Nutzen-Rechnungen

abzuschätzen. Ein allgemeinerer Zugang zur produktiven Bedeutung öffentlicher

15 Dass eine eindeutige Abgrenzung nicht immer einfach ist, lässt sich am Beispiel der Bildung

illustrieren: Diese kann sowohl Selbstzweck (Konsum) als auch Voraussetzung für produktive

Tätigkeiten sein.

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Dienstleistungen besteht in der Abschätzung ihres Beitrags zum gesamtwirtschaftlichen

Wachstum. Auf diesen Punkt wird in Abschnitt 4 eingegangen.

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22

3. Die empirische Bedeutung des Service public in der Schweiz und im internationalen Vergleich

3.1 Service public in der Schweiz Der Anteil der Ausgaben des Staates (alle Gebietskörperschaften) und der öffentlichen

Sozialversicherungen betrug im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) im Jahr 2003 – dem

letzten Jahr für das endgültige Werte der Finanzstatistik vorliegen – 38.7%. Ohne die

Sozialversicherungen belief sich der Anteil auf 31.3%. Davon entfiel ein beträchtlicher Teil auf

Transferleistungen (Beiträge an Dritte). Wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich ist, entfielen

auf den Eigenbereich der Konsumausgaben (Personalaufwand und Sachgüterkäufe) und

Investitionsgüterkäufe Ausgaben in Höhe von 19.0% des BIP im Jahr 2003 gegenüber 17.7% im

Jahr 1990.

Tabelle 3.1: Anteil der Staatsausgaben am BIP nach Sachgruppen 1990 und 2003

1990 2003 Staatsausgaben insgesamt 26.4% 31.3%

Konsumausgaben 14.6% 16.4% Investitionsgüter 3.0% 2.5% Zusammen 17.7% 19.0%

Quelle: Öffentliche Finanzen der Schweiz

Die folgende Tabelle zeigt, wie sich die staatlichen Ausgaben im Eigenbereich (also ohne

Transferzahlungen) auf die einzelnen Aufgabenbereiche aufteilen.

Tabelle 3.2.: Staatsausgaben nach Aufgabenbereichen und Sachgruppen 2003

Anteile der Ausgaben- bereiche am Total

Anteile der Sachgruppen nach Ausgabenbereich

Konsumausgaben und Investitionsgüter Konsumausgaben Investitionsgüter

Allgemeine Verwaltung (1) 27.5% 92.4% 7.6% Bildung 28.6% 90.2% 9.8% Kultur und Freizeit 3.1% 78.9% 21.1% Gesundheit 20.7% 95.4% 4.6% Soziale Wohlfahrt 4.3% 95.3% 4.7% Verkehr 9.0% 44.4% 55.6% Umwelt und Raumordnung (2) 5.0% 66.8% 33.2% Volkswirtschaft (3) 1.8% 87.1% 12.9% Total (4) 100.0% 86.4% 13.6%

1) Inkl. Justiz, Polizei, Feuerwehr, Landesverteidigung und Beziehungen zum Ausland 2) V.a. Abwasser- und Abfallbeseitigung 3) V.a. Land- und Forstwirtschaft 4) Ohne Finanzen und Steuern (v.a. Schuldzinsen) Quelle: Öffentliche Finanzen der Schweiz

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23

Die Angaben der öffentlichen Finanzstatistik decken sich allerdings nicht vollständig mit der

Wertschöpfung des Service public, wie er im Abschnitt 2 definiert wurde. Um diese zu erfassen,

muss auf das Produktionskonto der Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) abgestellt

werden. Entsprechende Angaben stehen uns derzeit nur für die Jahre 1998 bis 2003 zur

Verfügung.16

Wir konzentrieren wir uns hier auf die direkte Wertschöpfung des Service public. In anderen

Studien zur volkswirtschaftlichen Bedeutung bestimmter Schweizer Branchen oder

Wirtschaftssektoren wird zu dieser direkten Wertschöpfung noch eine «indirekte» und

manchmal auch noch eine «induzierte» Wertschöpfung addiert, wodurch sich die

volkswirtschaftliche Bedeutung des betrachteten Sektors als deutlich erhöht darstellt. Bei der

indirekten Wertschöpfung handelt es sich um Wertschöpfung anderer Wirtschaftsabschnitte,

die durch die Nachfrage des jeweils betrachteten Sektors nach Vorleistungsgütern (oder

-dienstleistungen) ausgelöst wird. Ausserdem führt die Einkommensbildung im untersuchten

Sektor zu einer Nachfrage nach Produkten aus der übrigen Wirtschaft, was als induzierte

Wertschöpfung bezeichnet wird. Wir verzichten darauf, die indirekte und induzierte

Wertschöpfung des Service public auszuweisen, weil es sich hierbei streng genommen eben

gerade nicht um eine Wertschöpfung des Service public, sondern um Wertschöpfung anderer

Sektoren handelt. Wir halten es für methodisch nicht richtig, diese dem Service public

anzurechnen.

Aus Grafik 3.1 geht hervor, dass sich der Wertschöpfungsanteil des Service public in der Schweiz

bei etwa 22% bewegt. Die Wertschöpfung des Service public stieg zwar seit 1999 kontinuierlich

an, der Anteil reduzierte sich aber bis 2000 zunächst. Der Grund dafür ist, dass die

gesamtwirtschaftliche Bruttowertschöpfung bis 2000 stärker gewachsen ist als die

Wertschöpfung im Service public (Grafik 3.2). Ab 2001 kehrte sich das Verhältnis um. Bei der

Interpretation der Veränderung des Anteils des Service public ist die konjunkturelle

Entwicklung zu berücksichtigen. Sein Anstieg zwischen 2000 und 2003 ist nicht die Folge einer

besonders ausgeprägten Expansion des Service public, sondern davon, dass sich die

gesamtwirtschaftliche Entwicklung abschwächte, während sie beim Service public stabiler

verlief. Noch deutlicher kommt der konjunkturstützende Effekt des Service public in Grafik 3.3

zum Ausdruck, in welcher sein Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum

(Wachstumsrate gewichtet mit dem Anteil) dargestellt ist. Es zeigt sich, dass praktisch das

16 Das Bundesamt für Statistik (BfS) hat im Juli 2006 Zahlen für das Produktionskonto des Jahres 2004

vorgelegt und die Angaben für 2003 leicht revidiert. Diese Daten konnten für den vorliegenden

Bericht nicht mehr berücksichtigt werden.

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gesamte Wirtschaftswachstum in den Jahren 2001 und 2002 auf den Service public zurückgeht

und der Rückgang im Jahr 2003 ohne ihn noch ausgeprägter ausgefallen wäre.

Grafik 3.1: Wertschöpfung des Service public und Anteil an der Gesamtwirtschaft

70 000

75 000

80 000

85 000

90 000

95 000

100 000

1998 1999 2000 2001 2002 2003

Mio

. Fr.

20.00%

20.50%

21.00%

21.50%

22.00%

22.50%

23.00%

Wertschöpfung des Service publicAnteil des Service public an der gesamten Bruttowertschöpfung (rechte Skala)

Quelle: BfS

Grafik 3.2: Wachstum der Wertschöpfung des Service public und der Gesamtwirtschaft

-1.0%

0.0%

1.0%

2.0%

3.0%

4.0%

1999 2000 2001 2002 2003

Realwachstumsrate der unkorrigierten Bruttowertschöpfung (exklusive Gütersteuern,inklusive Gütersubventionen und unterstellten Bankdienstleistungen)Realwachstumsrate der Wertschöpfung des Service public

Quelle: BfS

24

Page 29: 060915 kof studie lang

Grafik 3.3: Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung und Wachstumsbeitrag des

Service public

-1.0%

0.0%

1.0%

2.0%

3.0%

4.0%

1999 2000 2001 2002 2003

Realwachstumsrate der unkorrigierten Bruttowertschöpfung (exklusive Gütersteuerninklusive Gütersubventionen und unterstellten Bankdienstleistungen)Wachstumsbeitrag des Service public (bezogen auf die unkorrigierteBruttowertschöpfung)

Quelle: BfS

Grafik 3.4 zeigt die Entwicklung der vollzeitäquivalenten Beschäftigung (Teilzeiterwerbstätige

auf Vollzeitstellen umgerechnet) und ihren Anteil an der Gesamtbeschäftigung17.Dabei kommt

eine grosse Übereinstimmung zwischen der Beschäftigung und der Wertschöpfung zum

Ausdruck. Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten im Service public liegt im Durchschnitt der Jahre

1998-2002 mit 22.3% nur wenig höher als der Anteil der Wertschöpfung (21.7%). Daraus folgt,

dass die nominelle Produktivität im Service public ungefähr dem gesamtwirtschaftlichen

Durchschnitt entspricht. Daraus kann allerdings nicht auf die reale Produktivität geschlossen

werden, welche von primärem Interesse wäre. Da aufgrund von Messproblemen die reale

Wertschöpfung im öffentlichen Sektor inputseitig berechnet wird, ist hier dass Mass der realen

Arbeitsproduktivität nach unten verzerrt und wenig aussagekräftig (vgl. Hartwig 2006).

17 Die Angaben beruhen auf den vom BfS bis 2002 im Rahmen der VGR ausgewiesenen

Vollzeitäquivalenten. Deren Publikation wurde danach gestoppt, und gegenwärtig werden die

Arbeitsvolumenreihen überarbeitet. Mit revidierten Reihen darf für den Herbst 2006 gerechnet

werden.

25

Page 30: 060915 kof studie lang

Grafik 3.4: Vollzeitäquivalente Beschäftigung im Service public und Anteil an der

Gesamtbeschäftigung.

650 000

675 000

700 000

725 000

750 000

1998 1999 2000 2001 2002

Pers

.

21.00%

21.50%

22.00%

22.50%

23.00%

Vollzeitäquivalente Beschäftigung im Service public

Anteil der Beschäftigung im Service public an der Gesamtbeschäftigung(rechte Skala)

Quelle: BfS

3.2 Internationaler Vergleich Grafik 3.5 zeigt die Staatsquoten von Frankreich (F), Deutschland (D), Schweden (S), der Schweiz

(CH), dem Vereinigten Königreich (UK), den USA (US), den Niederlanden (NL), Dänemark (DK)

und Neuseeland (NZ) für die Zeit von 1987 bis 2003. Die Unterschiede zwischen den Ländern

sind erheblich, und auch die Entwicklung ist nicht einheitlich. Den niedrigsten Anteil

verzeichnen die Schweiz und die USA, den höchsten Schweden und Dänemark. Das Vereinigte

Königreich, Frankreich und Deutschland liegen in der Mitte. Die Niederlande und vor allem

Neuseeland weisen über die letzten Jahre einen deutlichen Anteilsrückgang auf.

26

Page 31: 060915 kof studie lang

Grafik 3.5: Staatsquoten im internationalen Vergleich

Staatsquoten

30

35

40

45

50

55

60

65

70

75

1987

1988

1989

1990

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

FDSCHUKUSNLDKNZ

Quelle: OECD, Economic Outlook

Die Differenzen der Staatsquote zwischen den einzelnen Ländern gehen grösstenteils auf den

unterschiedlichen Umfang der Transfers (insb. Sozialleistungen) zurück. Um den Umfang des

Service public zu vergleichen, wird hier wieder auf Daten der Volkswirtschaftlichen

Gesamtrechnung abgestellt; diese stammen aus der STAN-Datenbasis (STructural ANalysis) der

OECD. Dabei wurden zwei Aggregate gebildet. Das engere (SP1) umfasst die Bereiche, die auf

der Basis der theoretischen Überlegungen klar dem Service public zugeordnet werden können.

Die erweiterte Definition (SP2) entspricht weitgehend der auch im Abschnitt 3.1 gemachten

Einteilung, ist aber nicht mit ihr identisch:

Restriktive Definition (SP1):

40/41 Energie- und Wasserversorgung

75 Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherungen

80 Erziehung und Unterricht

85 Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen

Zusätzlich in der erweiterten Definition (SP2):

64 Post- und Telekommunikationsdienstleistungen

90-93 Übrige Gemeinde-, Sozial- und persönlichen Dienstleistungen

27

Page 32: 060915 kof studie lang

Um den Einfluss von Zufallsschwankungen zu verringern, wurde auf den Durchschnitt der

Jahre 1998-2002 abgestellt.

Wie aus der Grafik 3.6 hervorgeht, sind die Unterschiede zwischen den Ländern nicht mehr so

gross, wenn auf die Wertschöpfung des Service public statt auf die Staatsquoten abgestellt

wird.18 Auch hier liegt die Schweiz am unteren Ende der internationalen Verteilung. Das Muster

ist bei beiden Definitionen sehr ähnlich; Abweichungen in der Rangfolge ergeben sich lediglich

bei Grossbritannien und Deutschland infolge eines überdurchschnittlichen Anteils der in der

Definition SP2 zusätzlich enthaltenen Branchen.

Grafik 3.6: Anteile des Service public an der gesamten Bruttowertschöpfung nach

ausgewählten Ländern

0

5

10

15

20

25

30

35

Dänem

ark

Schwed

en

Frankrei

ch USA

Niederla

nde

Durchsc

hnitt

Kanad

a

Schweiz

Grossbri

tannien

Deutsc

hland

Neuse

eland

SP1 = ISIC (40, 41, 75, 80, 85)SP2 = ISIC (40, 41, 75, 80, 85, 64, 90, 91, 92, 93)

Anteile des Service Public (SP) an der gesamten Bruttowertschöpfung (BWT) Durchschnitte 1998-2002, in %

Quelle: STAN/OECD

%

Anmerkung: Beim Durchschnitt handelt es sich um das arithmetische Mittel der Länderwerte.

18 Es sei daran erinnert, dass die Zuteilung einer Wirtschaftsbranche zum Service public nichts darüber

aussagt, ob die Produktion durch den Staat oder durch Private erfolgt.

28

Page 33: 060915 kof studie lang

In Grafik 3.7 sind die Wachstumsraten der Wertschöpfung des Service public dargestellt. Sie

sind von 1992-2002 nach der engeren Definition (SP1) berechnet, da die Daten für das weitere

Aggregat (SP2) für die Schweiz vor 1998 nicht verfügbar sind; für Schweden und die USA sind

sie auch für SP1 nicht vorhanden. Die Raten der einzelnen Länder unterscheiden sich

mehrheitlich auch nicht sehr deutlich. Über dem Durchschnitt liegt Neuseeland, darunter

Kanada, die Niederlande und (weniger deutlich) die Schweiz. Auffallend ist der Unterschied in

den Wachstumsraten des Service public und der Gesamtwirtschaft in einigen Ländern. Aus

dem Vergleich lässt sich ablesen, dass der Anteil des Service public in Grossbritannien und

Neuseeland im betrachteten Zeitraum zurückging, obschon das Wachstum des Service public

durchschnittlich (Grossbritannien) oder sogar überdurchschnittlich (Neuseeland) ausfiel.

Umgekehrt präsentiert sich die Entwicklung in der Schweiz; trotz eher unterdurchschnittlichem

Wachstum des Service public stieg sein Anteil, da die Gesamtwirtschaft in den 1990er Jahren

sehr schwach expandierte.

Grafik 3.7: Wachstumsraten der Bruttowertschöpfung insgesamt und des Service public (SP1)

0.0

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5

3.0

3.5

4.0

Dänem

ark

Deutsc

hland

Frankrei

ch

Grossbri

tannien

Kanad

a

Neuse

eland

Niederla

nde

Schweiz

Durchsc

hnitt

SP1 BWT = ISIC (0 - 93)

Reale Wachstumsraten der Bruttowertschöpfung insgesamt (BWT) und Service public

Durchschnitte 1992-2002, ohne ISIC 64 und 91-93 (SP1)

Quelle: STAN/OECD

%

Anmerkung: Beim Durchschnitt handelt es sich um das arithmetische Mittel der Länderwerte.

29

Page 34: 060915 kof studie lang

30

Eine Untergliederung nach den einzelnen Wirtschaftsabschnitten des Service public zeigt, dass

die Anteile des Gesundheitswesens und der sonstigen öffentlichen und privaten

Dienstleistungen in der Schweiz unter dem internationalen Durchschnitt liegen (Tabelle 3.1).19

Bei der öffentlichen Verwaltung und dem Bildungswesen (da für die Schweiz die

Lehrerbesoldungen unter der öffentlichen Verwaltung figurieren, sind diese beiden Branchen

für den Vergleich zusammengefasst), der Elektrizitäts- und Wasserversorgung sowie den Post-

und Telekommunikationsdienstleistungen liegt die Schweiz auf durchschnittlichem Niveau.

Tabelle 3.1: Anteil der einzelnen Branchen an der Bruttowertschöpfung Total

Mittelwert 1998-2002

Summe Öff. Verw. und Bildung (ISIC 75 und

80)

Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen (ISIC 85)

Elektrizitäts- und Wasserversorgung(ISIC (40, 41)

Post- und Bahn- dienstleistungen (ISIC 64)

Sonstige öfftl. und private Dienstl. (ISIC 90-93)

Total Service public

Dänemark 12.1% 10.2% 2.2% 2.2% 4.1% 30.7% Deutschland 10.3% 6.2% 2.0% 2.4% 4.9% 25.8% Frankreich 13.4% 6.5% 2.0% 2.1% 3.4% 27.5% Grossbritannien 10.4% 6.3% 1.9% 3.0% 4.9% 26.4% Kanada 10.5% 6.2% 2.9% 2.8% 3.0% 25.4% Neuseeland 8.6% 5.3% 2.6% 3.1% 3.6% 23.3% Niederlande 11.8% 7.5% 1.6% 2.5% 3.3% 26.7% Schweden 10.9% 9.8% 2.6% 2.6% 4.0% 29.9% Schweiz 10.8% 5.5% 2.5% 2.6% 2.3% 23.7% USA 12.6% 6.3% 2.0% 3.3% 3.7% 28.0%

Arithm. Durchschn.

11.1%

7.0%

2.2%

2.7%

3.7%

26.7%

Quelle: STAN/OECD

Beim Anteil der Beschäftigten im Service public an der Gesamtbeschäftigung ergeben sich

einige Verschiebungen (Grafik 3.8). An oberster Stelle unter den ausgewählten Ländern stehen

jetzt die Niederlande. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Beschäftigung nicht für

Teilzeitstellen korrigiert ist, und diese in den Niederlanden im Service public

überdurchschnittlich häufig sind. Die Schweiz und Kanada weisen von den betrachteten

Ländern den niedrigsten Beschäftigungsanteil im Service public nach der engeren Definition

(SP1) auf. Nach der erweiterten Definition (SP2) ändert sich die Rangfolge nur für Kanada; zu

Grossbritannien und Neuseeland waren keine Daten verfügbar.

19 Dass der Wertschöpfungsanteil des Gesundheits- und Sozialwesens in der Schweiz niedrig ist, liegt

u.a. daran, dass jener Teil der stationären Versorgung, der durch Subventionen der Kantone und

Gemeinden finanziert wird, nicht als Wertschöpfung gilt. Durch eine Umstellung der

Spitalfinanzierung, z.B. auf eine monistische Finanzierung, liesse sich das Niveau des nominellen

Schweizer BIP (um ca. 1.5%) erhöhen.

Page 35: 060915 kof studie lang

Grafik 3.8: Anteile der Beschäftigung im Service public an der gesamten Beschäftigung nach

ausgewählten Ländern

0

10

20

30

40

50

Niederla

nde

Dänem

ark

Frankrei

ch

Durchsc

hnitt

Grossbri

tannien

Deutsc

hland

Neuse

eland

Schweiz

Kanad

a

SP1 = ISIC (40, 41, 75, 80, 85)SP2 = ISIC (40, 41, 75, 80, 85, 64, 90, 91, 92, 93)

Anteile des Service Public (SP) an der gesamten Beschäftigung Durchschnitte 1998-2002, restriktive (SP1) und erweiterte Definition (SP2)

Quellen: STAN/OECD, BESTA

%

Anmerkung: Beim Durchschnitt handelt es sich um das arithmetische Mittel der Länderwerte.

Tabelle 3.2 zeigt die Relationen zwischen den Beschäftigungs- und den

Wertschöpfungsanteilen im Service public. Bei insgesamt nur geringen Differenzen liegt die

Schweiz etwas unter dem Durchschnitt der betrachteten Länder.

Tabelle 3.2: Relation zwischen Beschäftigungs- und Wertschöpfungsanteil im Service public

Mittelwert 1998-2002

SP1 SP2 Niederlande 1.8 1.6 Dänemark 1.2 1.2 Frankreich 1.2 1.3 Grossbritannien 1.3 Deutschland 1.2 1.1 Neuseeland 1.4 Schweiz 1.2 1.2 Kanada 1.1 1.2 Arithm. Durchschnitt 1.3 1.3

31

Page 36: 060915 kof studie lang

32

4. Empirische Evidenz für den Beitrag der Staatstätigkeit zum Wirtschaftswachstum

4.1 Transmissionsmechanismus basierend auf der Allokationstheorie Gemäss der in Abschnitt 2 im Rahmen der Theorie der Wirtschaftspolitik angeführten

Argumentation kann die Staatsaktivität das Wirtschaftwachstum erhöhen, indem es, wo

notwendig, die ineffiziente marktliche Allokation verbessert. Diese Überlegungen basieren auf

mikroökonomischen Theorien, wobei üblicherweise die Annahme getroffen wird, dass diese

Resultate bruchfrei auf die Markoebene übertragen werden können. Einerseits erhöht die vom

Staat erbrachte Wertschöpfung direkt das Wirtschaftswachstum. Da die Produktion des

Staates in Ermangelung von Marktpreisen schwierig zu messen ist, wird die staatliche

Wertschöpfung anhand der Ausgaben berechnet und in der Volkswirtschaftlichen

Gesamtrechnung ausgewiesen.20 Anderseits zielen die Staatsaktivitäten darauf ab, die

Produktionsmöglichkeiten der Privatwirtschaft durch die Schaffung von optimalen

Rahmenbedingungen zu erhöhen. Das ist am einfachsten ersichtlich im Bereich der

Öffentlichen Verwaltung und Sicherheit, deren Dienstleistungen den Rechtsstaat garantieren,

sowie im Bereich der Basisinfrastruktur (Versorgungsunternehmen für Strom, Wasser, Gas,

u.ä.). Diese Kerndienstleistungen des Service public, welche in Abschnitt 2.4.2. als öffentliche

Güter sowie als natürliche Monopole charakterisiert wurden, ermöglichen erst eine

hochentwickelte und produktive Privatwirtschaft wie sie in Industrieländern mehrheitlich zu

finden ist. Aber auch in anderen Bereichen, wie dem Gesundheitswesen (bspw. Vorbeugung

gegen Epidemien) und der Bildung (Grundlagenforschung), werden häufig analoge Effekte

beobachtet.

Diese positiven Effekte materialisieren sich nur, wenn die wirtschaftspolitischen Eingriffe in

Bereichen erfolgen, in denen Marktversagen vorliegt. Sobald der Staat die Produktion von

Gütern und Dienstleistungen übernimmt, die ein kompetitiver Markt alleine effizienter

herstellen könnte, wird der optimale Umfang der Staatstätigkeit gesprengt. Von den

erwähnten Basisaufgaben des Staates (v.a. Verteidigung, Sicherung des Rechtsstaates,

Grundversorgung mit Energie und Wasser) ist ein positiver Einfluss auf das

Wirtschaftswachstum zu erwarten. Sobald sich der Staat aber in Bereiche vorwagt, in welchen

der private Markt funktionieren sollte – zumindest wenn gute Wettbewerbsbedingungen

20 Aufgrund der Input-basierten Berechnung dieser Wertschöpfung ist sie nicht direkt mit der

Wertschöpfung des Privatsektors vergleichbar. Namentlich können Produktivitätsgewinne mit dieser

Methode nicht erfasst werden. Effizienzsteigerungen im Staatssektor tragen daher im Gegensatz zur

Privatwirtschaft nicht zu einer Erhöhung des ausgewiesenen Wirtschaftswachstums bei.

Page 37: 060915 kof studie lang

33

gewährleistet sind – wird die zusätzliche Staatstätigkeit einen negativen Einfluss auf das

Wirtschaftswachstum haben. In diesen Fällen hat eine Reduktion des Service public eine

positive Wirkung auf das Wirtschaftswachstum.

Auch wenn sich der Staat auf Bereiche konzentriert, in denen Marktversagen vorliegt, ergibt

sich eine positive Wirkung der Staatstätigkeit nur, wenn die Informations- und Anreizprobleme

vom Staat gut gelöst werden und damit tatsächlich ein besseres Ergebnis realisiert wird als es

sich ohne Staatstätigkeit ergibt. Zudem kann sich die Erhebung von Steuern verzerrend auf das

Angebot und die Nachfrage nach Arbeit und Kapital auswirken und dadurch

wachstumshemmend sein.

Basierend auf der Allokationstheorie erscheint der Zusammenhang zwischen Staatstätigkeit

und Wirtschaftswachstum daher a priori komplex, d.h. nichts deutet auf einen einfachen

linearen Zusammenhang hin.

4.2 Makroökonomische Erklärungsansätze Die ersten makroökonomischen Analysen des Einflusses der Staatstätigkeit auf das

Wirtschaftswachstum basieren auf dem von Swan (1956) und Solow (1956) begründeten

neoklassischen Erklärungsansatz. Dieser Ansatz sieht eine wachstumsteigernde oder

-hemmende Wirkung der Staatstätigkeit nur während des Übergangs der Wirtschaft zum

langfristigen Wachstumspfad – der sogenannten transition to steady-state – vor. Der

langfristige Wachstumspfad selber wird allerdings ausschliesslich durch den technologischen

Fortschritt und das Bevölkerungswachstum – Faktoren welche in diesem Modell nicht durch die

Wirtschaftspolitik beeinflusst werden können – bestimmt. D.h. die Finanzpolitik und der Service

public im Speziellen haben im Rahmen dieser Theorie keinen dauerhaften Einfluss auf das

Wirtschaftswachstum, weder einen positiven noch einen negativen. Höhere (respektive tiefere)

Steuern können über die Spartätigkeit das Wachstum ausschliesslich vorübergehend senken

(respektive erhöhen). Damit verschiebt sich das Niveau der Wertschöpfung, aber nicht das

Wachstumstempo. Die in neoklassischen Wachstumsmodellen üblicherweise getroffenen

Annahmen lassen jedoch keinen wirklichen Bedarf für die Staatstätigkeit offen, da

Marktversagen typischerweise ausgeschlossen wird.

Die Mehrheit der Studien über den Einfluss der Staatstätigkeit auf das Wachstum beziehen sich

auf die von Romer (1986) und Lucas (1988) begründeten «endogenen Wachstumsmodelle».

Diese Modelle berücksichtigen im Gegensatz zum ursprünglichen neoklassischen Modell eine

Vielzahl von Einflussfaktoren auf den langfristigen Wachstumspfad. Dazu gehört neben dem

Humankapital, der demographischen Entwicklung, Innovation und Forschung auch die

Page 38: 060915 kof studie lang

34

Staatstätigkeit.21 Die wichtigste Neuerung im Vergleich zur neoklassischen Theorie ist der

Umstand, dass die marginalen Renditen der Einflussfaktoren, z.B. des Humankapitals, nicht

zwangsläufig abnehmen, sondern auch konstant sein oder zunehmen können. Für einen

richtungsweisenden Beitrag dieser Forschungsrichtung, der insbesondere auch die staatlichen

Dienstleistungen berücksichtigt, siehe Barro (1990). Eine gute Übersicht über diese Literatur

bieten auch Barro/Sala-i-Martin (1995), Aghion/Howitt (1998) sowie Agell et al. (1997).

Diese Literatur bietet eine Fülle an Möglichkeiten für die theoretische Erklärung und die

spezifische Modellierung der Staatstätigkeit. Gemeinhin wird nach dem Einfluss auf die

Produktivität des Kapitals und der Arbeit sowie auf die Kosten dieser beiden Faktoren

unterschieden.22 Die Argumentation greift vielfach auf die mikroökonomische

Allokationstheorie zurück. Die Staatstätigkeit (v.a. die Ausgaben) könne die Allokation von

Arbeit und Kapital verbessern, beispielsweise, wenn Externalitäten der Kapitalbildung (vor

allem des Humankapitals) zu suboptimalen Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte führen.

Die sogenannte soziale oder gesamtwirtschaftliche Rendite von Bildungsausgaben ist dann

höher als die private Rendite. Die öffentlichen Bildungsausgaben seien daher notwendig, um

eine optimale Bildung von Humankapital zu gewährleisten, vgl. Lucas (1988). Analog wird für

andere Fälle von Marktversagen, wie bei unvollständigem Wettbewerb sowie bei Vorliegen von

Skaleneffekten in Forschung und Entwicklung argumentiert, vgl. beispielsweise Romer (1990).

Barro (1990) wiederum rückt neben der obligatorischen Schulbildung die Relevanz von

öffentlichen Ausgaben und Investitionen in öffentliche Infrastruktur und

Kommunikationsmittel für das langfristige Wachstumspotential in den Vordergrund.

Nach wie vor wird auch in diesen Modellen den Steuern ein negativer Einfluss auf das

Wachstum unterstellt, aufgrund ihrer verzerrenden Wirkung auf das Angebot von Kapital

(Spartätigkeit) und Arbeit. Die Verzerrungen sind umso grösser, je direkter diese

Produktionsfaktoren besteuert werden und je mobiler sie sind. Einkommenssteuern sind

direkter als Konsumsteuern und Unternehmen werden meist als mobiler eingeschätzt als

Arbeitnehmer. Zudem werden häufig Schwierigkeiten unterstellt, die Staatstätigkeit auf ihre

Kernaufgaben zu beschränken und hohen Effizienzkriterien zu genügen. Vielfach wird auch auf

Eigeninteressen von Vertretern des Staates hingewiesen, welche die Effizienz der

21 Einzelne dieser Faktoren lassen sich allerdings auch in der neueren Generation der neoklassischen

Wachstumsmodelle («augmented growth models») berücksichtigen, siehe Mankiw et al. (1992). In

Abschnitt 4.5 werden diese Modelle eingehender diskutiert. 22 Der erste Einfluss wird mehrheitlich mit einer Produktionsfunktion, der zweite mit einer

Kostenfunktion analysiert. Der zweite Ansatz hat den Vorteil einer grösseren Flexibilität, hat

gleichzeitig aber auch den Nachteil, dass dafür präzisere Daten gebraucht werden.

Page 39: 060915 kof studie lang

35

Staatstätigkeit und damit die Wohlfahrtsmaximierung zusätzlich erschweren (vgl. Barro 1990).

Dies erklärt, dass auch in diesen theoretischen Modellen der Einfluss der Staatstätigkeit auf das

Wachstum nicht als linearer Zusammenhang gesehen wird. Auch hier wird häufig

angenommen, dass die Basisaufgaben der Staatstätigkeit eine positive Wirkung auf das

Wachstum haben, da die verzerrenden Effekte der Steuern gering sind, solange der Staat sich

auf die eindeutigsten Fälle von Marktversagen konzentriert (z.B. Sicherung des Rechtsstaates,

Verteidigung, Basisleistungen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur). Von solchen

staatlichen Investitionen in die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eines Landes wird

erwartet, dass sie private Investitionen nach sich ziehen («Crowding-in Effekte») und damit das

Wirtschaftswachstum erhöhen. Ab einem bestimmten Umfang der Staatstätigkeit wird dieser

positive Einfluss geringer; die Rendite von zusätzlichen Ausgaben des Staates nimmt ab und

wird allmählich negativ. Dies ist einerseits der Fall, weil der Staat zunehmend in Bereichen aktiv

wird, in denen der Beitrag zur Verbesserung der Allokation der Produktionsfaktoren weniger

hoch ist als bei den Basisaufgaben. Oder weil er in Bereichen tätig wird, wo der Beitrag sogar

negativ ist, da die Staatsaktivität die Privatwirtschaft verdränge («Crowding-out Effekte»).

Beispielsweise in der Automobilbranche gibt es zahlreiche staatliche oder vom Staat in

spürbarem Ausmass subventionierte Unternehmen. Diese sind eindeutig in einem

privatwirtschaftlichen Bereich tätig, wo sie private Unternehmen direkt konkurrenzieren.

Zweitens nehmen mit zunehmendem Umfang der Staatstätigkeit die Steuerlast und

einschränkende Regulationen zu und damit auch die verzerrenden Auswirkungen auf die

Allokation der Produktionsfaktoren, was das Wachstum verringere. In diesem Zusammenhang

wird häufig von einer umgekehrten U-Form gesprochen, um die Beziehung zwischen

Staatsausgaben und Wirtschaftswachstum zu beschreiben. Für eine ausführliche Diskussion

vgl. beispielsweise Barro (1990).

Ein wichtiger Kritikpunkt an diesen theoretischen Modellen ist die Schwierigkeit, sie empirisch

eindeutig belegen zu können, wie in Abschnitt 4.4 gezeigt wird.

4.3 Resultate zur Wachstumswirkung der gesamten Staatstätigkeit Die empirische Überprüfung der oben beschriebenen Theorien und Untersuchungsansätze

basiert üblicherweise auf der Schätzung der durchschnittlichen Wachstumsrate des

Bruttoinlandprodukts verschiedener Länder als Funktion einer Reihe von erklärenden Variablen.

Zu diesen Variablen gehören neben Indikatoren für das Humankapital und das Ausgangsniveau

des Bruttoinlandprodukts in einem bestimmten Jahr verschiedene Indikatoren für die politische

und soziale Lage sowie die Institutionen des betreffenden Landes und häufig auch ein Indikator

Page 40: 060915 kof studie lang

36

für die Staatstätigkeit.23 Zu diesen Modellen im Allgemeinen vgl. Barro (1991). Eine spätere

Generation dieser Modelle kombinierte diese Länder-Querschnittsdaten mit der zeitlichen

Dimension in sogenannten Panel-Studien und verfeinerte die Schätztechniken, um den

zahlreichen methodischen Problemen Rechnung zu tragen. Siehe dazu Ram (1986),

Engen/Skinner (1992), Dowrick (1993), Conte/Darrat (1988), Rao (1989), Lin (1994),

Easterly/Rebelo (1993), Tanzi/Zee (1997) und Zagler/Dürnecker (2003).

Die vorliegende langjährige Forschung und die Vielzahl an Untersuchungsansätzen zu den

Determinanten des Wirtschaftswachstums und vor allem zum Einfluss der Staatstätigkeit

führen zu keinen eindeutigen Schlussfolgerungen. Welches der theoretischen Modelle –

neoklassische Theorie oder endogene Wachstumstheorie – der Realität am nächsten kommt, ist

nach wie vor unklar (vgl. beispielsweise Evans 1997 und Klenow/Rodriguez-Clare 1997). Vor

allem stellt sich dabei erschwerend heraus, dass der Bezug zur Theorie in vielen Studien recht

locker gehandhabt wird. Die im Endeffekt geschätzte Gleichung ist häufig eine sogenannte

reduzierte Form, die eine klare Identifizierung der theoretisch postulierten

Wirkungszusammenhänge nicht mehr erlaubt.

Je nach Modellansatz, Datenlage (v.a. Indikator für die Staatstätigkeit), gewählter Spezifikation

und Schätzmethode fallen die Resultate sehr unterschiedlich aus. Aber auch bei gleichem

Untersuchungsansatz unterscheiden sich die Resultate je nach analysiertem Land respektive

Länderstichprobe oder untersuchtem Zeitabschnitt. Das heisst, dass der Einfluss der

Staatstätigkeit sowohl als positiv als auch negativ oder als nichtig gemessen wird und robuste

Erkenntnisse rar sind.

Eine umfassende quantitative Zusammenfassung der Resultate bieten Nijkamp/Poot (2004). In

ihrer Meta-Analyse untersuchen sie basierend auf 93 Studien (insgesamt 123 Resultate), ob ein

robuster Einfluss der Staatstätigkeit ermittelt werden kann und wie robust dieser Einfluss ist,

wenn für Unterschiede im Untersuchungsdesign kontrolliert wird. Die Staatstätigkeit wird

anhand fünf verschiedener Variablen gemessen: Konsumausgaben des Staates,

Bildungsausgaben, Verteidigungsausgaben, Ausgaben für öffentliche Infrastruktur und

Steuersätze. Die staatlichen Konsumausgaben gelten als Indikator für die Grösse des

Staatssektors.24 Eine gewisse Unschärfe in der Analyse entsteht allerdings dadurch, dass sich in

23 Das Ausgangsniveau des Bruttoinlandprodukts gilt als Mass für einen möglichen Aufholeffekt

entsprechend der neoklassischen Theorie. Je tiefer dieses Ausgangsniveau, desto höher die

Wachstumsraten. 24 Der Begriff «Staatskonsum» ist etwas irreführend. Es handelt sich dabei um die staatliche

Dienstleistungsproduktion, also grösstenteils um die Tätigkeit des Service public. Da die staatlich

Page 41: 060915 kof studie lang

37

10% der erfassten Studien diese Variable der Grösse des Staatssektors auf die gesamten

Bruttoausgaben inklusive Transferzahlungen bezieht und nicht nur auf die Konsumausgaben.

Nijkamp/Poot (2004) überprüfen in ihrer Studie die empirische Grundlage für die

theoriebasierten und von ihnen als «konventionell» bezeichneten Erwartungen in Bezug auf die

Wirkung der Fiskalpolitik. Diese Erwartungen werden definiert durch einen positiven Einfluss

der Ausgaben für Bildung und Infrastruktur und einen negativen Einfluss der Steuern sowie der

Verteidigungsausgaben und der gesamten Konsumausgaben des Staates auf das

Wirtschaftswachstum.25 Sie finden nur schwache Evidenz für die Berechtigung der so

definierten konventionellen Erwartungen. Nur die Resultate für den Einfluss von Bildungs- und

Infrastrukturausgaben sind eindeutig. Der erwartete positive Einfluss stellt sich für diese

Bereiche als robust und statistisch signifikant heraus. Die Wachstumseffekte der einzelnen

Komponenten der Staatsausgaben werden in Abschnitt 4.4 ausführlich diskutiert.

Die staatlichen Konsumausgaben, welche als Indikator für die Grösse des Staatssektors

verwendet werden, haben einen weniger eindeutigen Einfluss. Insgesamt kommen 29% der

Studien zum Schluss, dass ein grosser Staatssektor das Wirtschaftswachstum begrenze,

während im Vergleich dazu weniger Studien (17%) einen positiven Einfluss finden. Das heisst

gleichzeitig, dass in 54% der Studien kein signifikanter Einfluss gefunden wird. Weitere

statistische und ökonometrische Auswertungen bestätigen die Schlussfolgerung der Mehrheit

der Studien, dass die Grösse des Staatssektors, respektive die staatlichen Konsumausgaben,

keine robusten Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben. Für den negativen Einfluss

von höheren Steuern wurde dagegen empirische Evidenz gefunden. Die geringe Grösse der für

diese Fragestellung relevanten Stichprobe lässt allerdings gemäss Nijkamp/Poot (2004) keine

definitiven Schlüsse zu.

angebotenen Dienstleistungen überwiegend nicht individuell zurechenbar sind (z.B. Polizei,

Landesverteidigung) oder nicht direkt bezahlt werden (z.B. Bildung), wird fiktiv davon ausgegangen,

dass nicht die Bürger, sondern der Staatssektor selbst diese Dienstleistungen konsumiert – daher der

Begriff «Staatskonsum». Die Bewertung der staatlich angebotenen Dienstleistungen erfolgt (in

Ermangelung von Marktpreisen) anhand der (Arbeits-) Kosten. Dies impliziert u.a., dass sich die

Outputwerte immer parallel zu den Inputkosten entwickeln, so dass für den Staatssektor a priori

keine Produktivitätssteigerung ausgewiesen werden kann. 25 Der letzten Schlussfolgerung dürfte die Annahme zugrunde liegen, dass die Mehrheit der

Konsumausgaben des Staates nicht im Rahmen von produktiven Tätigkeiten in Bereichen erfolgt, in

denen Marktversagen vorliegt. Da Nijkamp/Poot (2004, 107) im weiteren Verlauf ihres Artikels

ausführlich diskutieren, unter welchen Bedingungen öffentliche Konsumausgaben

wachstumsfördernd oder wachstumshemmend sein können, scheinen sie diese generelle Annahme

nicht uneingeschränkt zu teilen.

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38

Die Sensitivität der Ergebnisse auf Variationen der Daten- und Modellspezifikation sowie der

Schätzmethode wird von Nijkamp/Poot (2004) bestätigt. Die statistische Signifikanz der

Resultate fällt in Schätzungen von konventionellen Wachstumsgleichungen weniger gut aus

als in reinen Zeitreihenanalysen oder der Simulation von allgemeinen

Gleichgewichtsmodellen.26 Erstaunlicherweise wird zwischen reinen Querschnitts- und

Panelstudien kein Unterschied in der statistischen Signifikanz der Resultate gefunden.

Die Schwierigkeit, in Bezug auf den Zusammenhang zwischen dem Staatssektor und dem

Wirtschaftswachstum eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen, dürfte von verschiedenen

Problemen herrühren. Zum einen gibt es die unausweichlichen Probleme der Datenmessung.

Ein gewichtiges Problem vieler Analysen in diesem Bereich ist zudem die Interdependenz

zwischen den erklärenden Variablen. Sie erschwert eine genaue quantitative Einschätzung des

Einflusses dieser Variablen und namentlich der verschiedenen Indikatoren der Staatstätigkeit.

Wie mehrere Autoren festhielten, hat daher die Wahl der erklärenden Variablen einen

entscheidenden Einfluss auf die Resultate. Insgesamt hat nur in sehr vereinzelten Fällen ein

Indikator der Staatstätigkeit einer systematischen Sensitivitätsanalyse standgehalten. Dabei

wurden sowohl Indikatoren für die Ausgaben als auch die Einnahmen (Steuern) des Staates

geprüft, vgl. dazu Levine/Renelt (1992), Sala-i-Martin (1997) sowie Easterly/Rebelo (1993). Die

Verfahren sind unterschiedlich. In der Regel wird dabei getestet, inwiefern sich die Signifikanz

und das Vorzeichen einer bestimmten erklärenden Variablen in der Wachstumsgleichung

ändert, wenn die übrigen erklärenden Variablen auf systematische Weise ausgetauscht

werden. Zu bemerken ist allerdings, dass insgesamt wenige der untersuchten Variablen diesen

Tests standhalten. Von den Indikatoren für die Fiskalpolitik fanden Easterly/Rebelo (1993) nur

für die öffentlichen Investitionen in Transport- und Kommunikationsinfrastruktur sowie für

den Überschuss der Staatsrechnung einen signifikanten Einfluss auf das Wachstum. In diesen

drei Fällen war der Einfluss positiv, entsprechend den theoriebasierten Erwartungen. Für die

übrigen Indikatoren für die Staatstätigkeit, wozu neben den gesamten Staatsausgaben

namentlich auch die Unterkategorie der Ausgaben für allgemeine öffentliche Dienstleistungen

und verschiedene Indikatoren für die Steuerbelastung gehören, konnte kein robuster Einfluss

gefunden werden.

26 Zur Kategorie der reinen Zeitreihenanalysemodelle gehören vektorautoregressive Zeitreihenmodelle

(VAR-Modelle) oder Vektor-Fehlerkorrektur-Modelle (VECM-Modelle). Diese Analysemodelle zeichnen

sich dadurch aus, dass sie keine klaren theoretischen Annahmen über die kausalen

Wirkungszusammenhänge zwischen Staatstätigkeit und Wachstum unterstellen. Vielmehr wird rein

empirisch abgeklärt, ob ein belegbarer Zusammenhang zwischen diesen beiden Variablen besteht,

und wenn ja, wie ausgeprägt er ist.

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39

Sala-i-Martin (1997) entwickelt ein Verfahren, um die Verteilung der in diesen

Sensitivitätsanalysen geschätzten Koeffizienten statistisch korrekt zu evaluieren. Er findet

damit eine vergleichsweise grössere Zahl an signifikanten und robusten Erklärungsvariablen in

der Wachstumsgleichung als frühere Autoren. Allerdings gehören dazu auch viele rein

deskriptive geographische, soziale oder institutionelle Variablen (z.B. Religion und Art des

Wirtschaftssystems) und nicht nur die rein ökonomischen Einflussfaktoren, welche in den

theoretischen Modellen prominent erwähnt werden. Namentlich kann auch in Sala-i-Martin’s

(1997) Studie keine der zahlreichen Variablen der Staatsausgaben – auch nicht den öffentlichen

Investitionen – ein robuster Einfluss auf das Wirtschaftswachstum nachgewiesen werden.

Sturm/de Haan (2000) zeigen zusätzlich, dass auch das Weglassen von Extremwerten

(Outliers) bei den erklärenden Variablen keinen Einfluss auf das Resultat hat. Sie finden

ebenfalls keinen signifikanten und robusten Einfluss der öffentlichen Konsum- und

Verteidigungsausgaben auf das Wachstum.

Agell et al. (1997) betonen ebenfalls die Sensitivität der Resultate auf das Beifügen von

zusätzlichen Variablen in die Wachstumsgleichung, beispielsweise für die demographische

Struktur sowie das Ausgangsniveau des Bruttoinlandprodukts. Zudem führen sie eindrücklich

vor Augen, wie nur schon eine kleine Veränderung der Länderauswahl in der untersuchten

Stichprobe die Resultate stark beeinflussen kann.

Ein mögliches Problem einer Mehrheit dieser Wachstumsstudien ist, dass in der Regel eine

lineare Beziehung zwischen den erklärenden Variablen und dem Wirtschaftswachstum

unterstellt wird. Die Annahme einer solchen linearen Beziehung entspricht aber im Fall der

verschiedenen Indikatoren der Staatstätigkeit (Ausgaben und Einnahmen) explizit nicht den

theoretischen Überlegungen, wie in Abschnitt 4.1 und 4.2 erwähnt wurde. Mittnik/Neumann

(2003) finden denn auch statistisch signifikante Evidenz für eine solche nicht-lineare Beziehung

zwischen den öffentlichen Konsumausgaben und dem Bruttoinlandprodukt. D.h., dass es

gemäss ihren Resultaten einen optimalen Anteil der öffentlichen Konsumausgaben am

Bruttoinlandprodukt gibt. Solange dieser Anteil noch nicht erreicht ist, hat eine Ausweitung der

Staatstätigkeit einen positiven Einfluss auf das Wirtschaftswachstum. Ist der Anteil

überschritten, wird dieser Einfluss negativ. Ihre Resultate basieren auf Zeitreihenanalysen für

Deutschland. Der optimale Anteil der Konsumausgaben am Bruttoinlandprodukt beträgt in

diesem Land gemäss Mittnik/Neumann (2003) 18-19%.

Karras (1997) findet ebenfalls empirische Evidenz für eine nicht-lineare Beziehung zwischen den

öffentlichen Konsumausgaben – als Indikator für die öffentlichen Dienstleistungen – und dem

Wirtschaftswachstum. Er schätzt, dass der optimale Anteil dieser Konsumausgaben am

Bruttoinlandprodukt für ein durchschnittliches europäisches Land bei 16% +/- 3 Prozentpunkte

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40

liegt, basierend auf der Analyse von Daten für 20 europäische Länder im Zeitraum zwischen

1950 und 1990.

Gwartney et al. (1998) kommen zum Schluss, dass das Optimum der Staatsaktivität viel stärker

auf die Basisleistungen in den Bereichen Sicherung des Rechtsstaates, Verteidigung, Trink- und

Abwasserversorgung, Bildung, Gesundheit, Strassennetz, Umweltschutz und

Zentralbankensystem begrenzt werden müsste. Sie finden in ihrer Analyse von 23 OECD-

Ländern ein Optimum für die gesamten Staatsausgaben (inklusive Investitionen) von 15% des

Bruttoinlandprodukts. Aus diesem Blickwinkel hätten nahezu alle europäischen Länder einen

viel zu grossen Staatssektor. Vedder/Gallaway (1998) kommen mit einem optimalen Anteil von

25% für die gesamten Staatsausgaben der USA zu einer höheren Einschätzung.

Pevcin (2004) findet dagegen für 12 EU-Länder einen optimalen Anteil der gesamten

Staatsausgaben von 42% des Bruttoinlandprodukts über die Zeitspanne zwischen 1950 und

1996. Der tatsächliche Anteil dieser Länder in dieser Zeit war mit 52% indessen immer noch

deutlich über diesem Optimum. Länderspezifische Schätzungen ergeben optimale Anteile

zwischen 37% und 46%. Vedder/Gallaway (1998) finden hingegen auch für europäische Staaten

(Dänemark, Italien, Schweden und Grossbritannien) deutlich tiefere optimale Anteile der

gesamten Staatsausgaben, vergleichbar mit dem für die USA.

Diese Resultate sprechen eindeutig dafür, dass die Mehrheit der Länder in Europa durch eine

Reduktion der Staatsquote das Wirtschaftswachstum steigern könnte. Tanzi/Schuknecht

(2000, 2003) finden in diesen neueren Studien ebenfalls Evidenz dafür, dass die OECD-Länder

mit einer kleineren Staatsquote ein höheres Wirtschaftswachstum haben als Länder mit einer

höheren Staatsquote. Sie schliessen daraus, dass neue Wachstumsimpulse kaum von einem

Ausbau der Staatsaktivität kommen können. Basierend auf vektorautoregressiven

Zeitreihenmodellen (VAR-Modellen) finden Fu et al. (2003) ebenfalls Evidenz für einen

spürbaren negativen Einfluss der Staatsausgaben und Steuereinnahmen auf das

Beschäftigungswachstum in den USA.

De Ávila/Strauch (2003) finden ebenfalls Evidenz für einen negativen Einfluss der staatlichen

Konsumausgaben und Transfers auf das Wachstum des Bruttoinlandprodukts pro Kopf. Ihre

Analyse basiert auf Zeitreihenanalysen für die EU-Länder. Öffentliche Investitionen haben

dagegen einen positiven Einfluss. Für die Steuern kann kein eindeutiger Effekt auf das

Wachstum nachgewiesen werden. De Ávila/Strauch (2003) finden sogar schwache Evidenz für

einen positiven Effekt der Steuereinnahmen – vor allem der Einkommenssteuern.

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41

Tanzi/Schuknecht (2005) analysieren die in 22 Industrieländern in den letzten 20 Jahren

erfolgten Senkungen der Staatsquote. Länder, deren Reduktion der Staatsquote stärker ausfiel,

haben gemäss ihren Resultaten keine Wachstumseinbusse erlitten im Vergleich zu Ländern,

welche keine oder nur eine geringe Konsolidierung der Staatsfinanzen unternommen haben.

Die Resultate der Studie von Afonso et al. (2005a) weisen in die gleiche Richtung. Die Autoren

sehen in der EU insgesamt Spielraum für eine Reduktion des Staatssektors, um einen optimalen

Wachstumsverlauf zu fördern.

Im Gegensatz dazu findet Perotti (2005) positive Effekte der Staatsausgaben auf das

Wachstum des Bruttoinlandprodukts für vier grosse OECD-Länder (USA, Deutschland,

Grossbritannien, Kanada), ebenfalls basierend auf einem VAR-Modell. Keine solchen Effekte

wurden für Australien gefunden. Eine Steuersenkung hat zudem ebenfalls positive

Wachstumseffekte, allerdings nur sehr kurzfristig und auch nur in den USA und Kanada.

Weitere Resultate von Perotti (2005) weisen zudem darauf hin, dass sich die Wachstumseffekte

von Staatsausgaben über die Zeit abgeschwächt haben und nach 1980 sogar teilweise negativ

wurden. Diese Resultate bestätigen ebenfalls die Theorie einer nicht-linearen Beziehung

zwischen Staatstätigkeit und Wirtschaftwachstum.

Die empirische Evidenz bezüglich der Nichtlinearität des Einflusses der Staatsausgaben ist aber

nicht unbestritten. Kalaitzidakis et al. (2000) konnten beispielsweise die Hypothese der

Linearität für verschiedene Indikatoren der Staatsausgaben und Steuereinnahmen nicht

verwerfen. In ihren Schätzungen haben die Determinanten des Wirtschaftswachstums

entsprechend den vorausgegangenen Tests einen linearen oder einen nicht-linearen Einfluss.

Zudem führten sie die von Levine/Renelt (1992) eingeführten Sensitivitätstests durch. Für die

Staatsausgaben ohne Bildung und Verteidigungsausgaben wird ein robuster negativer Einfluss

gefunden, welcher linear wirkt, d.h. unabhängig vom jeweiligen Niveau der Staatsausgaben.

Für die gesamten Staatsausgaben, die Steuereinnahmen und den Saldo der Staatsrechnung

kann die Linearitätshypothese auch nicht verworfen werden, aber es wird auch kein robuster

Einfluss gefunden.

Noch viel schwerwiegender als eine eventuelle Nichtlinearität ist die Tatsache, dass in vielen

der zitierten Studien die möglichen Rückwirkungen des Wirtschaftswachstums auf die

Staatstätigkeit nicht berücksichtigt sind. Dies wird gemeinhin als Simultaneitäts- oder

Endogenitätsproblematik bezeichnet. Anders ausgedrückt geht es um die Frage, ob die

Zunahme der Staatstätigkeit Ursache oder ebenso sehr Folge des steigenden Wohlstandes

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42

resp. der wachsenden Volkswirtschaft ist.27 Die empirische Evidenz für die Wirkungsrichtung

vom Wirtschaftswachstum hin zum Umfang der Staatstätigkeit ist zahlreich, vgl.

beispielsweise Easterly/Rebelo (1993). Sie finden eindeutige empirische Evidenz dafür, dass die

Höhe des Bruttoinlandprodukts die Ausgaben- und Steuerstruktur des Landes beeinflusst.

Gesundheits- und Sozialversicherungsausgaben nehmen mit steigendem Wohlstand deutlich

zu. Sehr ausführlich wird dieses Problem zudem von Slemrod (1995) diskutiert.

Die Simultaneitäts- und Endogenitätsproblematik ist auch Gegenstand einer längeren Debatte

zwischen Fölster/Henrekson (1999, 2001, 2006) und Agell et al. (1997, 1999) respektive Agell et

al. (2006). Die Lösung dieses Problems bedingt aufwändige Schätztechniken und die

Verfügbarkeit geeigneter Daten, da zusätzliche Gleichungen für die verschiedenen Indikatoren

der Staatstätigkeit geschätzt werden müssen. Die erklärenden Variablen solcher zusätzlicher

Gleichungen werden gemeinhin «Instrumente» genannt. Gute Instrumente für die Fiskalpolitik,

welche keinen von der Fiskalpolitik unabhängigen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum

haben, sind allerdings rar. Deren Auswahl hat zudem einen spürbaren Einfluss auf die

Resultate. Die gleiche Willkür wie bei der Auswahl der erklärenden Variablen der

Wachstumsgleichung kann auch hier zum Zuge kommen (vgl. auch Slemrod (1995) für

Ausführungen zu den Instrumentenschätzern in Wachstumsgleichungen und Iachino/Winter-

Ebner (1999) für eine kritische Diskussion der Aussagekraft der Resultate von

Instrumentenschätzern).

Fölster/Henrekson (1999) finden im Gegensatz zu Agell et al. (1997) robuste statistische Evidenz

für einen negativen Einfluss von höheren Staatsausgaben und höheren Steuern auf das

Wirtschaftswachstum. In ihrem Ansatz lösen sie verschiedene ökonometrische Probleme, wie

unter anderem das der Heteroskedastizität, was die Präzision der Resultate erhöht.

Heteroskedastizität äussert sich beispielsweise darin, dass Länder unterschiedlicher Grösse eine

unterschiedliche Volatilität der Wachstumsraten aufweisen. In der Mehrheit der von

Fölster/Henrekson (1999) präsentierten Resultate wird allerdings – trotz ihrer harschen Kritik –

das Endogenitätsproblem nicht gelöst. Sie propagieren, dass Panel-Schätzmethoden dieses

Problem verringern würden. Die Resultate der Metaanalyse von Nijkamp/Poot (2004) zeigen

jedoch keinen Einfluss der Panel-Schätzmethoden auf die Signifikanz der Resultate. In den

wenigen Instrumentenschätzungen, welche Fölster/Henrekson (1999) vorstellen, wird ein

robuster negativer Effekt der Steuern und Staatsausgaben auf das Wachstum nachgewiesen.

Agell et al. (1999, 2001) können allerdings glaubhaft machen, dass die dabei benutzten

Instrumente das Endogenitätsproblem nicht lösen. Ihre korrigierten Instrumentenschätzungen

27 Der Mechanismus, dass sich das Bruttoinlandprodukt oder das Volkseinkommen positiv auf die

Staatsausgaben auswirkt, wird auch das «Gesetz von Wagner» genannt.

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43

finden keinen robusten Effekt der Staatseinnahmen und Steuern auf das Wachstum, wobei das

ausgewiesene Vorzeichen negativ bleibt.

Ein weiteres Argument von Fölster/Henrekson (1999, 2001) greift die Theorie einer nicht

linearen Beziehung zwischen Staatstätigkeit und Wachstum auf. Sie erwarten, dass eine

negative Beziehung zwischen der Staatstätigkeit – gemessen an den Staatsausgaben und

Steuern – und dem Wirtschaftswachstum vor allem für die reichen Länder, deren

Staatssektoren die «optimale Grösse» schon überschritten hätten, nachgewiesen werden kann.

Zur Überprüfung dieser Hypothese erweitern sie ihre Stichprobe der OECD-Länder, um ein paar

zusätzliche Länder, welche am Ende des Beobachtungszeitraums auch einen gewissen

Wohlstand erreicht haben. Dazu gehören Hong Kong, Singapore, Israel, Mauritius und Korea.

Die Resultate sprechen noch deutlicher für eine negative Beziehung zwischen Staatstätigkeit

und Wirtschaftswachstum. Dieses Vorgehen gibt allerdings Anlass zu Kritik. Agell et al. (1999,

2006) bemängeln, dass der Wohlstand am Ende der Beobachtungsperiode statt zu Beginn für

die Klassifizierung der Länder berücksichtigt wurde. Damit wird der Vorwurf gemacht, dass die

so gewählte Länderstichprobe mit einem gewissen Selektionsbias behaftet sei, da der Anteil

von Ländern mit hohem Wachstum künstlich erhöht wird.

Einen weiteren Umstand, welcher für den Vergleich zwischen den Ländern wichtig ist und

möglicherweise zu den unterschiedlichen Resultaten beiträgt, erwähnen Easterly/Rebelo

(1993). Sie merken an, dass der Zusammenhang zwischen Staatstätigkeit und

Wirtschaftswachstum für Länder unterschiedlicher Grösse – gemessen an der

Bevölkerungszahl – anders ausfällt. Easterly und Rebelo weisen einen statistisch signifikanten

Einfluss der Bevölkerungszahl auf die Einnahmen- und Ausgaben-Struktur des Staates aus. Sie

erklären dies dadurch, dass der Konsum der öffentlichen Güter per Definition nicht-exklusiv ist

und deren marginale Produktionskosten häufig gering sind. Die gesamten Kosten öffentlicher

Güter verteilen sich daher bei grossen Ländern auf mehr Köpfe als bei kleinen Ländern. Das

betrifft namentlich die Ausgaben für Verteidigung. Während dagegen bei den Ausgaben für

Transport- und Kommunikationsinfrastruktur eine negative Beziehung zur Bevölkerungszahl

nachgewiesen wird.

Die Schwierigkeit, eindeutige Resultate zum Einfluss der Staatstätigkeit auf das

Wirtschaftswachstum zu finden, überrascht insbesondere in Bezug auf den Einfluss der

Steuern. Während bei den Staatsausgaben die empirische Analyse aufgrund einer möglichen

nicht-linearen Beziehung erschwert ist, sind die a priori-Erwartungen in Bezug auf die Steuern

sehr eindeutig: Je höher die Steuern, d.h. die marginalen Steuersätze, desto geringer sollte das

Wirtschaftswachstum sein. Insgesamt zeigt die empirische Literatur allerdings höchstens

Evidenz für schwach negative Effekte. Auch hier ergeben sich zahlreiche Schwierigkeiten bei

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44

der genauen Erfassung der für die Untersuchung notwendigen Daten, insbesondere der

Nettozahlungen an den Staat. Ebenso hat der Staat verschiedene Reaktionsmöglichkeiten

(regulatorische Eingriffe vs. Staatsproduktion), welche das Budget ungleich belasten und den

Zusammenhang zwischen Staatstätigkeit und Steuereinnahmen schwächen. Siehe dazu

Slemrod (1995), Easterly (1995) und Easterly/Rebelo (1993). Letztere merken an (S. 442):

The evidence that tax rates matter for growth is disturbingly fragile. This

empirical fragility contrasts sharply with the robustness of the theoretical

predictions: most growth models predict that income and investment

taxes are detrimental to growth.

Angesichts der Vielfalt der bisherigen Resultate und der Schwierigkeit, robuste Ergebnisse zum

den Einfluss der Staatstätigkeit auf das Wirtschaftswachstum zu erhalten, wird vielfach für

eine desaggregiertere Analyse innerhalb eines Landes plädiert, vgl. beispielsweise Agell et al.

(1997), Slemrod (1995) und Klenow/Rodriguez-Clare (1997). Häufig wird in diesem

Zusammenhang von «Bottom-up»-Studien gesprochen, im Gegensatz zu den oben ausführlich

beschriebenen Wachstumsgleichungen, welche als «Top-down»-Studien bezeichnet werden.

Ein Bottom-Up-Ansatz wäre es, beispielsweise zu untersuchen, ob die in der Theorie

postulierten Reaktionsmuster auf einer stärker desaggregierten Ebene nachgewiesen werden

können. Anders gesagt, wird dabei empirische Evidenz für die verschiedenen in der Theorie

postulierten Transmissionsmechanismen zwischen Staatstätigkeit und der Allokation von

Arbeit und Kapital untersucht, beispielsweise ob das Arbeitsangebot tatsächlich negativ auf

eine Steuererhöhung reagiert. Ist diese negative Reaktion stark, kann daraus geschlossen

werden, dass die verzerrende Wirkung der Steuern tatsächlich gross ist und der Einfluss auf das

Wirtschaftswachstum entsprechend negativ. Dabei wird häufig das Verhalten einzelner

Personen in einer Stichprobe untersucht (Mikroebene) und nicht nur die Summe der

Arbeitnehmenden (Makroebene).

Auch die Resultate dieser Bottom-Up-Untersuchungen weisen höchstens auf einen sehr

beschränkten negativen Einfluss der Steuern auf das gesamte Arbeitsangebot hin, vgl. dazu

Gerson (1998), Handler et al. (2005) aber auch Slemrod (2003). Während das Arbeitsangebot

von Frauen einigermassen spürbar auf finanzielle Anreize reagiert, ist das quantitativ

bedeutendere Arbeitsangebot der Männer sehr unelastisch. Insgesamt resultiert daher nur eine

sehr geringe negative Reaktion des gesamten Arbeitsangebotes auf eine Erhöhung des

marginalen Steuersatzes. Die Allokation von Kapital und Arbeit auf verschiedene

Industriesektoren und insbesondere die Allokation von Kapital auf verschiedene Anlage- und

Investitionsformen scheint etwas sensibler auf Veränderungen der Steuersätze zu reagieren.

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45

Die Tatsache, dass in der Realität Steuerflucht und andere mögliche Reaktionsformen neben

den in der Theorie vorgesehenen Reaktionen existieren, dürfte die Untersuchungen

erschweren. Ein gewisser negativer Effekt der Steuern auf die Humankapitalbildung wird

indessen von Handler et al. (2005) diagnostiziert. Insgesamt findet allerdings die in der Theorie

fest etablierte Annahme, dass Steuern wegen ihrer verzerrenden Wirkung auf die Allokation

der Produktionsfaktoren das Wirtschaftswachstum spürbar dämpfen würden, auch mit diesem

Untersuchungsansatz nur ansatzweise Bestätigung.

Generell dürfte auch die Tatsache, dass der Staat in verschiedene Sektoren (v.a. Bildung und

Gesundheit) stark regulatorisch eingreift, jedoch nicht die gesamte Produktion selber erbringt,

die empirische Analyse erschweren. In makroökonomischen Studien wird häufig davon

ausgegangen, dass die Höhe der Staatsausgaben einen entscheidenden und positiven Einfluss

auf die Qualität der Staatsleistungen und nicht nur auf deren Quantität hat. Empirische

Evidenz dafür wird von La Porta et al. (1998) gefunden. Gordon/Wang (2004) kritisieren

allerdings diese Resultate wegen mangelnder Korrektur für Simultaneitätsverzerrungen. Sie

selbst finden anhand eines simultanen Gleichungsmodells nur noch Evidenz für den positiven

Wachstumseffekt der Qualität der politischen Institutionen, nicht aber für das Ausmass der

Staatstätigkeit. Die Frage, inwieweit der Staat die Leistungen des Service public tatsächlich

selber erbringen soll, sowie der Zusammenhang zwischen Staatstätigkeit und Qualität der

Staatsleistungen werden ausführlicher in Abschnitt 5 behandelt.

Im Allgemeinen dürfte die Heterogenität der Präferenzen zwischen den Ländern in Bezug auf

Art und Ausmass der gewünschten Staatsaktivitäten ein wichtiger Baustein zur Erklärung der

grossen Unterschiede zwischen den Resultaten sein. Die Einschätzung, wie wichtig die Qualität

und die Quantität der vom Staat angebotenen Leistungen sind und wie viel dafür in Form von

Steuern bezahlt werden soll, scheint zwischen den Bevölkerungen verschiedener Länder stark

zu variieren. Der Vergleich des Staatssektors von Schweden und den USA verdeutlicht dies nach

wie vor sehr gut. Ein Steuerbelastungsgrad, welcher in einem Land auf grossen Widerstand

stossen würde, wird im anderen Land toleriert, da entsprechend mehr von den erwünschten

Staatsleistungen angeboten wird. Der Grad der Ungleichheit in der Einkommensverteilung

sowie das politische System dürfte dabei auch eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen,

siehe dazu Lindert (2004) und Agell et al. (1997).

4.4 Resultate zur Wachstumswirkung einzelner Komponenten der Staatsausgaben In den bisher zitierten Studien wurde häufig neben den gesamten Staatsausgaben oder den

staatlichen Konsumausgaben der Einfluss einzelner Komponenten auf das

Wirtschaftswachstum getestet. Zu diesen Komponenten gehörten vor allem die

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Staatsausgaben für Bildung und Infrastruktur, wahlweise noch unterteilt in Grundversorgung,

Transport- und Kommunikationsinfrastruktur.

Nijkamp/Poot (2004) finden in ihrer Meta-Analyse einen eindeutig positiven Einfluss der

öffentlichen Bildungs- und Infrastrukturausgaben auf das Wirtschaftswachstum. In ihrer

Evaluation der verschiedenen Studien berücksichtigen sie allerdings nicht, ob eine Studie

Simultaneitäts- und Endogenitätseffekte und die Möglichkeit nicht-linearer Beziehungen

beachtet.

Einen sorgfältigen Überblick zu den Auswirkungen der einzelnen Komponenten der

Staatsausgaben auf das Wirtschaftswachstum respektive die Zunahme der

gesamtwirtschaftlichen Produktivität bieten Handler et al. (2005). Sie stellen fest, dass grosse

Evidenz für einen positiven Einfluss der öffentlichen Ausgaben für Infrastruktur auf das

Wirtschaftswachstum vorliegt, auch wenn nach wie vor gegenteilige Resultate gefunden

werden. Die empirische Evidenz ist für die USA etwas stärker umstritten als für die EU, vor

allem was die jüngsten Studien angeht. Für die EU liegen indessen auch weniger Studien vor

als für die USA. Generell zeigen Studien, welche auf Zeitreihenanalysen basieren, robustere

Resultate als traditionellere Schätzungen von Wachstumsmodellen. Vieles deutet auf

abnehmende Renditen von öffentlichen Investitionsausgaben hin, wobei die USA das optimale

Niveau schon erreicht oder überschritten, die EU-Länder dagegen noch Spielraum zur

Steigerung der öffentlichen Investitionen hätten. Ausgehend von der Analyse von Aschauer

(1989), ist die Frage, ob öffentliche Investitionen private Investitionen verdrängen («Crowding-

out») oder im Gegenteil fördern («Crowding-in»), seit langem von grossem Interesse. Gemäss

den Untersuchungen der European Commission (2003) liegt in Spanien und Portugal eine

positive Beziehung («Crowding-in») vor, in Grossbritannien dagegen eine negative («Crowding-

out»). In den übrigen Staaten konnte diesbezüglich kein statistisch signifikanter

Zusammenhang nachgewiesen werden.

Handler et al. (2005) zeigen in ihrer Übersicht gemischte Resultate bezüglich der

Bildungsausgaben des Staates. Basierend auf endogenen Wachstumsmodellen wird kein

signifikanter und positiver Effekt gefunden; mit Modellen, welche auf der neoklassischen

Theorie aufbauen («augmented growth models»), dagegen schon. Die Resultate scheinen

eindeutiger zu sein, wenn nicht die Bildungsausgaben, sondern vielmehr die Bildungsqualität

als erklärende Variable verwendet wird. Der Einbezug von Variablen, welche den

Gesundheitszustand der Bevölkerung messen, schwächt den Einfluss von Bildung auf das

Wirtschaftwachstum allerdings wieder ab. Eindeutigere Resultate ergaben sich für die

öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung, denen ein positiver Einfluss auf die

Produktivität und das Wirtschaftswachstum nachgewiesen werden konnte. Die Hinweise auf

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positive Externalitäten dieser Staatsausgaben sind zahlreich. Insbesondere wurde ein

langfristiger Stimulus der öffentlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben für die privaten

Ausgaben in diesem Bereich gefunden, womit erstere eindeutig positive Wachstumseffekte

nach sich ziehen würden (vgl. dazu insbesondere Yoo (2004)).

In jüngerer Zeit sind vermehrt Spezialanalysen zum Wachstumseinfluss der

Gesundheitsausgaben entstanden, die hier etwas detaillierter beschrieben werden sollen.

In früheren Studien waren die Gesundheitsausgaben noch vorwiegend durch das

Wirtschaftswachstum erklärt worden (vgl. Newhouse (1977), Cullis/West (1979), Parkin et al.

(1987), Blomqvist/Carter (1997) und McCoskey/Selden (1998)). Man kann so weit gehen zu

sagen, dass – mit Ausnahme einiger weniger institutioneller Variablen, welche sich auf die

Organisation der nationalen Gesundheitssysteme beziehen – das Bruttoinlandprodukt die

einzige Grösse ist, für die bislang eine robuste Erklärungskraft in Bezug auf die

länderübergreifenden Unterschiede in der Höhe der Gesundheitsausgaben nachgewiesen

worden ist (vgl. dazu Leu (1986), Hoffmeyer/McCarthy (1994, 67) und Roberts (1999, 459)).

Nun hat die Forschung neue Wege beschritten und die umgekehrte Richtung der Kausalität

analysiert. Die neue Fragestellung lautet, ob die Höhe der Gesundheitsausgaben einen

Erklärungsbeitrag für die Höhe des Wirtschaftswachstums zu leisten vermag. Die Mehrheit

dieser Studien bezieht sich auf das neoklassische Wachstumsmodell, dessen Analyserahmen

um den Faktor «Humankapital» erweitert wird («augmented growth models»). Humankapital

wird in der Volkswirtschaftslehre definiert als an Personen gebundene Fähigkeiten und

Fertigkeiten. Mankiw et al. (1992) reduzieren das Humankapital auf aggregierter Ebene auf den

(Aus-)Bildungsstand der Bevölkerung und messen diesen mit dem Bevölkerungsanteil mit

höherer Schulbildung. Es ist jedoch seit langem bekannt, dass Humankapital auch durch eine

Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung akkumuliert werden kann (vgl.

Schultz (1961) und Mushkin (1962)). Dabei stellt sich die Frage, wie der Gesundheitszustand der

Bevölkerung gemessen werden kann. Alle in der Literatur verwendeten Indikatoren weisen

spezifische Probleme auf und sind von der einen oder anderen Seite kritisiert worden. Meist

wird der Gesundheitszustand mit der Lebenserwartung approximiert oder mit dem

Zurückbleiben der Lebenserwartung in einem Land hinter einem gewissen Referenzwert. Ein

alternatives Mass für den Gesundheitszustand einer Bevölkerung ist die «Adult survival rate»,

welche anhand von Sterbetafeln die Wahrscheinlichkeit misst, dass eine 15-jährige Person ihr

60. Lebensjahr erreicht. Schliesslich ist der Gesundheitszustand der Bevölkerung in einigen

Studien auch durch die Gesundheitsausgaben des betreffenden Landes approximiert worden.

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48

Tabelle 4.1 fasst – in Anlehnung an und Erweiterung von Tompa (2002, 189) – die Ergebnisse der

einschlägigen Studien zum Einfluss des Gesundheitszustandes auf das Wirtschaftswachstum

zusammen. Der Spalte «Koeffizient» gibt an, um wie viel die abhängige Variable auf

Variationen des Wertes der Gesundheitszustands-Variablen reagiert. Die Koeffizienten, welche

die verschiedenen Studien ermittelt haben, lassen sich untereinander nicht vergleichen, da jede

Studie die Schätzgleichung anders spezifiziert. Trotzdem vermittelt die Spannweite der

geschätzten Werte einen Eindruck vom möglichen Einfluss des Gesundheitszustands auf das

Wirtschaftswachstum.

Mit Ausnahme von Webber (2002) – der allerdings mit der Kalorieneinnahme pro Kopf ein

wahrscheinlich ungeeignetes Mass für den Gesundheitszustand verwendet – und Dreher

(forthcoming) finden die Studien einen statistisch signifikanten positiven Zusammenhang

zwischen dem Gesundheitszustand und dem Wirtschaftswachstum. Ausser McDonald/Roberts

(2002) berücksichtigen alle Autoren die oben erwähnte Endogenitäts- und Simultaneitäts-

Problematik. Heshmati (2001) und Rivera/Currais (2004) finden unter Anwendung des

sogenannten Hausman-Tests (Hausman 1978) in ihren Daten keine Anzeichen für Endogenität.

Die übrigen Autoren lösen das Endogenitätsproblem durch Verwendung von

Instrumentenschätzungen. Es ist nicht ganz klar, ob der Befund einer positiven Auswirkung des

Gesundheitszustandes der Bevölkerung auf das Wirtschaftswachstum nur durch die Aufnahme

der Entwicklungsländer in die Stichprobe zustande kommt, wie Tompa (2002, 187) meint. Zwar

finden Knowles/Owen (1995, 1997) einen nur schwach positiven und statistisch nicht

signifikanten Koeffizienten für die Gruppe der entwickelten Länder; Bhargava et al. (2001)

schätzen sogar einen negativen Effekt der «Adult survival rate» auf das Wirtschaftswachstum

für die USA, Frankreich und die Schweiz. Nimmt man dagegen die Gesundheitsausgaben als

Mass für den Gesundheitszustand, so ergibt sich auch für die OECD-Staaten ein statistisch

signifikant positiver Einfluss des Gesundheitszustandes auf das Wirtschaftswachstum (vgl.

Rivera/Currais (1999a, 1999b, 2003, 2004)). Diese positiven externen Effekte (Spillover-Effekte)

eines guten Gesundheitszustandes der Bevölkerung rechtfertigen eine staatliche Bereitstellung

von Gesundheitsleistungen selbst dann, wenn von Gerechtigkeitsüberlegungen etc. abgesehen

wird. Zu diesem Schluss gelangen auch Rivera/Currais (2004, 871).

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49

Tab. 4.1: Einfluss des Gesundheitszustandes auf das Wirtschaftswachstum Studie Produktivitätsmass Mass für den

Gesundheitszustand Länder und Zeitraum

Koeffizient

Barro/Sala-i-Martin (1995)

Wachstumsrate des BIP pro Kopf

Logarithmus der Lebens-erwartung bei der Geburt

87-97 Länder

1965-85

0.064*

Knowles/Owen (1995)

Logarithmus der Differenz des BIP pro Erwerbsperson zwischen 1985 und 1960

Logarithmus von (80 Jahre abzüglich Lebenserwartung bei der Geburt)

84 Länder

1960-85

0.381*

Knowles/Owen (1997)

Logarithmus der Differenz des BIP pro Erwerbsperson zwischen 1985 und 1960

Logarithmus von (80 Jahre abzüglich Lebenserwartung bei der Geburt)

77 Länder

1960-85

0.582* – 0.797*

Rivera/Currais (1999a)

Logarithmus der Differenz des BIP pro Beschäftigten zwischen 1990 und 1960

Logarithmus des Anteils der Gesundheitsausgaben am BIP

OECD-Länder

1960-90

0.22* – 0.33*

Rivera/Currais (1999b)

Logarithmus der Differenz des BIP pro Beschäftigten zwischen 1990 und 1960

Logarithmus des Anteils der Gesundheitsausgaben am BIP

OECD-Länder

1960-90

0.21* – 0.22*

Bloom et al. (2001)

Wachstumsrate des BIP pro Kopf

Logarithmus der Lebens-erwartung bei der Geburt

104 Länder

1970-90

0.04*

Bhargava et al. (2001)

Wachstumsrate des BIP pro Kopf

Logarithmus der Adult survival rate

73-92 Länder

1965-90

0.181* – 0.358*

Heshmati (2001) Logarithmus der Differenz des BIP pro Beschäftigten zwischen 1990 und 1970

Logarithmus der Gesundheits-ausgaben pro Kopf

OECD-Länder

1970-92

0.175*

Webber (2002) Durchschnittliche Wachs-tumsrate des BIP pro Be-schäftigten zwischen 1960 und 1990

Kalorieneinnahme pro Kopf 46 Länder

1960-1990

0.08 – 0.22

McDonald/Roberts (2002)

Logarithmus des BIP pro Beschäftigten

Logarithmus von (80 Jahre abzüglich Lebenserwartung bei der Geburt)

77 Länder

1960-89

0.12*

Rivera/Currais (2003)

Logarithmus der Differenz des BIP pro Beschäftigten zwischen 2000 und 1960

Logarithmus des Anteils der Gesundheitsausgaben am BIP

OECD-Länder

1960-2000

0.18* – 0.26*

Rivera/Currais (2004)

Wachstumsrate des BIP pro Erwerbsperson

Öffentliche Gesundheits-ausgaben

17 spanische Regionen

1973-93

0.13*

Dreher (forthcoming)

Wachstumsrate des BIP pro Kopf

Logarithmus der Lebenserwartung bei der Geburt

123 Länder

1970-2000

-0.33 – 3.27

* statistisch signifikant auf mindestens 5%-igem Niveau

Zu bemerken bleibt indessen, dass in diesen Studien die gesamten Gesundheitsausgaben und

nicht nur die öffentlichen Ausgaben in diesem Bereich berücksichtigt wurden. Die oben

zitierten Resultate sprechen demnach nicht dafür, dass der Staat alle Leistungen im

Gesundheitsbereich zwangsläufig selber erbringen muss, um einen erwünschten positiven

Effekt auf das Wirtschaftswachstum zu erzielen. Für eine ausführliche Diskussion dieser Frage

siehe Abschnitt 5.

Page 54: 060915 kof studie lang

50

4.5 Resultate für die Schweiz Die Schwierigkeit, den Einfluss der Staatstätigkeit auf das Wirtschaftswachstum zu erfassen,

spiegelt sich auch in den Studien zur Schweiz. Ein Grossteil der folgenden Ausführungen

basiert auf der Arbeit von Kirchgässner (2004).

Eindeutig positive Auswirkungen von Staatsausgaben finden Singh/Weber (1997) für die

Schweiz, allerdings nur in den Bereichen Bildung und Forschung. Eine dauerhafte Erhöhung des

Anteils dieser Ausgaben am Bruttoinlandprodukt um einen Prozentpunkt erhöht die

Wachstumsrate langfristig um etwa 0.13 Prozentpunkte. Dagegen liegt für die staatlichen

(nicht die gesamten) Gesundheitsausgaben Evidenz für einen negativen Effekt in gleicher

Grössenordnung vor. Für öffentliche Ausgaben in die Transportinfrastruktur, die soziale

Wohlfahrt, das Justiz- und Polizeiwesen sowie die Landesverteidigung wird dagegen kein

dauerhafter Einfluss auf das Wachstum nachgewiesen. Der Einfluss der gesamten

Staatsausgaben wurde nicht untersucht. Die Untersuchung berücksichtigt Daten zwischen

1950 und 1994 für die Schweiz.

Karras (1997) berücksichtigt in seiner in Abschnitt 4.4 erwähnten Studie auch die Daten der

Schweiz. Er kommt zur Einschätzung, dass in der Schweiz zu wenig öffentliche Leistungen

angeboten werden, da der durchschnittliche Anteil des öffentlichen Konsums am

Bruttoinlandprodukt gemäss seinen Daten mit 7.5% massgeblich unter der optimalen Quote

von 13-19% liege. Kirchgässner (2004) kritisiert diese Aussage und findet einen korrekten Anteil

von 16% für 1990 resp. 16.7% für 2000, welcher deutlich über den Angaben von Karras (1997)

liegt. Kirchgässner schliesst daraus, dass die Versorgung der Schweiz mit öffentlichen

Leistungen als optimal eingestuft werden muss. Dies gilt allerdings nur, wenn die von Karras

(1997) für die übrigen Länder benutzten Daten korrekt sind.

Bassanini/Scarpetta (2001) berücksichtigen ebenfalls Daten für die Schweiz in ihrer Schätzung

der Wachstumsgleichung. Sie gehören zu den wenigen Autoren, welche entsprechend den

theoretischen Erwartungen einen positiven Einfluss des Staatskonsums und der staatlichen

Investitionen sowie einen negativen Einfluss der Steuern finden. Entsprechend schliessen sie

daraus, dass die geringe Grösse des Staatsektors in der Schweiz das Wirtschaftswachstum

zwischen 1974 und 1997 ceteris paribus gefördert habe. Diese Schlussfolgerung wird jedoch von

Kirchgässner (2004) ebenfalls in Frage gestellt, da sich die beschriebenen Ergebnisse

gegenüber dem Einschluss weiterer erklärender Variablen nicht als robust erweisen.

Schaltegger (2004) analysiert den Einfluss der Schweizer Staatstätigkeit auf das

Wirtschaftswachstum mit Daten für einzelne Kantone im Zeitraum zwischen 1980 und 2001. Er

findet einen statistisch signifikant negativen Zusammenhang zwischen der Staatsquote und

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51

dem Wachstum des realen Bruttoinlandprodukts pro Kopf. Gleichzeitig zeigt er auch einen

unstabilen negativen Einfluss der Steuerquote auf das Wirtschaftswachstum.

Kirchgässner (2004) kritisiert verschiedene Mängel dieser Studie. Zuerst präsentiert er die

gleichen Schätzungen wobei er für die ökonometrischen Probleme der Autokorrelation und

Heteroskedastizität neu korrigiert und findet keinen signifikanten Einfluss der Steuervariablen.

Zudem bemängelt er die fehlende Korrektur für Endogenitäts- und Simultaneitätseffekte.

Aufgrund rein statistischer Zusammenhänge sinkt die Staatsquote, wenn das

Wirtschaftswachstum besser als erwartet ausfällt, während sie bei einer schlechteren

Entwicklung steigt. Diese Effekte dürften den negativen Zusammenhang zwischen Staatsquote

und Wachstum erklären. Die Beziehung zwischen Steuereinnahmen und Wachstum dürfte

ihrerseits durch die Vergangenheitsbesteuerung mitbestimmt sein. Wenn die Konjunkturphase

sich bessert, nimmt das Wachstum zu, die Steuereinnahmen aber noch nicht, daher sinkt die

Steuerquote. Die Staatsausgaben resp. -einnahmen pro Kopf als Mass für die Staatsaktivität

leiden dagegen nicht unter diesem Effekt, und Kirchgässner (2004) findet einen positiven Effekt

dieser beiden Grössen auf das Wirtschaftswachstum. Eine Ausdehnung der Staatsaktivität

erhöht demnach die Wertschöpfung in den Kantonen. Allerdings sind damit die Endogenitäts-

und Simultaneitätsprobleme noch nicht gelöst. Dieser positive Effekt könnte ebenso gut das

Resultat davon sein, dass reichere Kantone es sich bequemer erlauben können ein grösseres

Angebot an Staatsleistungen und damit auch eine höhere Steuerbelastung zu haben.

Schaltegger (2005) bestätigt die Berechtigung dieses Einwandes.28

Kirchgässner (2004) schliesst daraus, dass auch für die Schweiz keine eindeutige Aussage

darüber gemacht werden kann, ob der Anstieg der Staatsquote in den vergangenen

Jahrzehnten mitverantwortlich ist für das im internationalen Vergleich geringe

Wirtschaftswachstum. Ein solcher Zusammenhang kann zwar für die Schweiz und die übrigen

OECD-Länder nicht ausgeschlossen werden, aber er kann auch nicht mit der erwünschten

Sicherheit nachgewiesen werden. Da einige Studien auch einen positiven Zusammenhang

zwischen der Höhe der Staatsquote und dem Wirtschaftswachstum finden, sei bei den

Schlussfolgerungen grosse Zurückhaltung geboten. Er warnt dennoch davor, die Staatsquote

weiterhin ansteigen zu lassen und weist ebenso wie Schaltegger (2005) darauf hin, dass vor

28 Schaltegger/Torgler (2004) präsentieren auch die Resultate von Instrumentenschätzungen, welche

dem Endogenitätsproblem Rechnung tragen sollen, gemäss dem Vorgehen von Hendrekson/Fölster

(2001). Sie finden ebenfalls einen negativen Einfluss der Staatsquote auf das Wirtschaftswachstum.

Allerdings geben sie zu, dass ihr Vorgehen den Einwand von Agell et al. (1999), dass damit ein neues

Endogenitätsproblem entsteht, nicht aus der Welt schafft.

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52

allem das Preis-Leistungs-Verhältnis von Staatsleistungen optimiert werden soll, um eine

optimale Wirtschafts- und Wohlfahrtsentwicklung zu fördern.

Colombier (2004) zieht die gleichen Schlussfolgerungen. Auch seine Berechnungen für eine

Stichprobe von Ländern, welche auch die Schweiz mit einschliesst, zeigen keinen robusten

Einfluss des Anteils der gesamten Staatsausgaben und -einnahmen (Bundesebene) am

Bruttoinlandprodukt auf das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens. Eine präzisere Unterteilung

der Steuervariablen ändert nichts an diesem Resultat. Colombier (2004) weist darauf hin, dass

ein nicht-signifikanter Effekt der Staatsausgaben auch darauf hindeuten kann, dass die

Staatsausgaben beim optimalen Niveau liegen, wenn eine nicht-lineare Beziehung zum

Wachstum unterstellt wird.

Im Einklang mit verschiedenen internationalen Studien findet Colombier (2004) empirische

Evidenz für den positiven Einfluss der Staatsausgaben auf das Wirtschaftswachstum in den

Bereichen Transport, Kommunikation sowie Bildung, Trinkwasserver- und

Abwasserentsorgung. Auch eine positive Korrelation des Wachstums mit den Ausgaben für

Forschung und Entwicklung wird nachgewiesen. Wenn allerdings für mögliche Rückwirkungen

mittels Instrumentenschätzung kontrolliert wird, können nur noch statistische signifikante

positive Effekte für die Staatsausgaben für die Bereiche Transport sowie Trinkwasserver- und

Abwasserentsorgung gezeigt werden. Da die Resultate der Instrumentenschätzungen am

ehesten eine wirkliche Kausalbeziehung schätzen, ist diesen Resultaten der Vorzug zu geben.

Unter dieser Bedingung stehen die Resultate von Colombier (2004) in einem gewissen

Widerspruch zu denjenigen von Singh und Weber (1997), welche nur für die Bildungsausgaben

einen eindeutigen und positiven Zusammenhang zum Wachstum in der Schweiz fanden.29

Dies erschwert einmal mehr eindeutige Schlussfolgerungen.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Resultate der Studie von Feld et al. (2003),

welche darauf hindeuten, dass sich die föderale Struktur der Schweiz hemmend auf das

Wachstum der Staatstätigkeit und insbesondere die Höhe der Steuereinnahmen auswirke.

Pujol (2000) macht zudem geltend, dass auch innerhalb der Schweiz grosse Unterschiede der

politischen Präferenzen in Bezug auf die Fiskalpolitik bestehen. Diese Unterschiede implizieren

unterschiedliche Reaktionsweisen des Arbeits- und Kapitalangebotes auf Veränderungen der

Staatsausgaben und -einnahmen und erschweren damit die Ermittlung eines eindeutigen

Zusammenhangs zwischen der Grösse des öffentlichen Sektors und dem Wirtschaftswachstum

der Kantone. Zudem lassen diese Resultate Zweifel am Anspruch aufkommen, dass es ein

29 Basierend auf den Resultaten Colombiers schätzen Schips/Hartwig (2005), dass die Rentabilität

schweizerischer Verkehrsinfrastrukturausgaben bei fast 12% liegt.

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53

einziges optimales Niveau der Staatstätigkeit für die gesamte Schweiz respektive alle Kantone

gibt.

4.6 Schlussfolgerungen Die Komplexität und die Dauer der beschriebenen Debatten in der Literatur zeigen deutlich,

wie gross die Schwierigkeit ist, ein abschliessendes Urteil zum Einfluss der Staatstätigkeit auf

das Wirtschaftswachstum im Allgemeinen zu finden. Dies gilt sowohl für die Ausgaben als

auch die Einnahmen des Staates. Auch präzisere Unterscheidungen der Staatsausgaben

vermögen nur in einzelnen Fällen eindeutige Resultate zu liefern. Einigermassen robuste

Evidenz liegt vor im Fall der staatlichen Ausgaben für öffentliche Infrastruktur (Transport und

Kommunikation), für Forschung und Entwicklung sowie im Bereich der Gesundheitsausgaben,

welchen mehrheitlich ein positiver Einfluss auf das Wachstum attestiert wird.

Den gesamten staatlichen Ausgaben oder den staatlichen Konsumausgaben kann dagegen

kein eindeutiger und robuster Zusammenhang – weder positiv noch negativ – mit dem

Wachstum nachgewiesen werden. Die staatlichen Konsumausgaben werden gemeinhin als

Mass für die Kosten der öffentlichen Dienste (Service public) genommen, da sie keine

Kapitalinvestitionen enthalten (vgl. beispielsweise Karras 1997). Die Tatsache, dass auch

Kapitalinvestitionen für die Produktion von öffentlichen Dienstleistungen notwendig sind,

unterstreicht erneut die Schwierigkeiten in diesem Bereich präzise Indikatoren zu finden und

unanfechtbare Schlussfolgerungen zu ziehen.30 Auch wenn die Ausgaben explizit auf die

Staatsausgaben für allgemeine öffentliche Dienste (d.h. ohne Ausgaben für Transport-,

Kommunikationsmittel, Gesundheitssystem und Sozialtransfers) eingegrenzt wurden, konnte

kein robuster Einfluss auf das Wachstum nachgewiesen werden (vgl. Easterly/Rebelo 1993).

Ein gewisser Konsens besteht darüber, dass es ein Niveau der Staatstätigkeit gibt, welches das

Wirtschaftswachstum optimiert. Die Schätzungen dieses optimalen Anteils der

Staatsausgaben am Bruttoinlandprodukt unterscheiden sich zwar stark, insbesondere für die

europäischen Länder. Trotzdem weist die Mehrheit der Studien darauf hin, dass der

Staatssektor in der Mehrheit der EU-Länder vermutlich die optimale Grösse überschritten hat.

Das eindrücklichste Resultat dieser Forschung ist die Schwierigkeit, einen robusten negativen

Effekt der Steuerbelastung für das Wirtschaftswachstum zu finden. Das erstaunt vor allem, da

30 Wie Romp/de Haan (2005) anmerken, produzieren öffentliche Autobahnen oder die nationale

Elektrizitätsversorgung selber noch nichts, sind aber als Input für verschiedene Güter und

Dienstleistungen äusserst wichtig.

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54

die theoretischen Erwartungen diesbezüglich so eindeutig sind. Beim Umfang der

Staatstätigkeit sowie der entsprechenden Finanzierungsart wird zudem deutlich, dass

länderspezifische Präferenzen das für ein bestimmtes Land optimale Niveau der Staatstätigkeit

entscheidend beeinflussen. Dies gilt auch für Regionen (bspw. Kantone) innerhalb eines Landes.

Aufgrund solcher Wirkungsmechanismen ist daher eine gewisse Vorsicht geboten, allzu

einfache Rückschlüsse aus den Resultaten anderer Länder für die Schweiz zu ziehen.

Des Weiteren wird in einer Mehrheit der untersuchten Studien davon ausgegangen, dass es

unter ökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll ist, die Staatsquote nicht unbegrenzt ansteigen

zu lassen. Zudem sollen die Bemühungen darauf konzentriert werden, das Preis-Leistungs-

Verhältnis von Staatsleistungen zu verbessern, um eine optimale Wirtschafts- und

Wohlfahrtsentwicklung zu fördern.

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55

5. Zur Effizienz der staatlichen Leistungserbringung Die vorangegangenen Abschnitte 2 und 4 thematisierten den volkswirtschaftlichen Beitrag

öffentlicher Dienstleistungen, was als externe Effizienz bezeichnet werden kann. In Abschnitt 2

wurde dieser theoretisch mit der Verbesserung der Güterversorgung (Allokation) im Falle von

Marktversagen begründet. Eine Diskussion der empirischen Evidenz zum Einfluss öffentlicher

Dienstleistungen auf das Wirtschaftswachstum erfolgte in Abschnitt 4. Eine zusätzliche

Betrachtung der internen Effizienz des öffentlichen Sektors ist unter zwei Aspekten von

Bedeutung: Einerseits weil niedrigere Kosten der Staatstätigkeit bei gegebenem

Leistungsstandard einen Wohlstandsgewinn bedeuten. Anderseits weil eine wünschbare

öffentliche Leistung nicht notwendigerweise vom Staat selbst erbracht werden muss oder der

Staat in einem Bereich tätig ist, der gemäss der oben dargelegten theoretischen Sicht zum

privaten Sektor zählt (z.B. staatliche Industriebetriebe). Zur Diskussion steht somit die Effizienz

staatlicher Leistungserbringung an sich sowie relativ zu einer privatwirtschaftlichen

Alternative.31

5.1 These des Staatsversagens In der ökonomischen Literatur wird dem Marktversagen die These des Staatsversagens

entgegengehalten, nach welcher der Staat Leistungen grundsätzlich weniger effizient erbringe

als Private, die auf dem Markt im Wettbewerb stehen. Die folgenden Ausführungen dazu

basieren auf der ökonomischen Theorie der Politik, dem Prinzipal-Agenten-Ansatz und der

ökonomischen Theorie der Bürokratie (vgl. Schneider 1998, 2002; Blankart 1998).

Die ökonomische Theorie der Politik geht davon aus, dass sich die an der Führung und Kontrolle

eines öffentlichen Unternehmens beteiligten Akteure (Manager, Beschäftigte, Staatsbeamte,

Politiker) eigennützig verhalten. D.h., sie sind nicht aus eigenem Antrieb an einer möglichst

effizienten Leistungserbringung interessiert. Da öffentliche Unternehmen in der Regel nicht im

Wettbewerb stehen, besteht diesbezüglich auch ein geringer äusserer Zwang. Öffentliche

Unternehmen werden weder von Marktkonkurrenten noch im gleichen Ausmass wie private

Unternehmen von Kapitaleignern sanktioniert, wenn sie eine geringe Effizienz aufweisen.

Damit öffnet sich ein Einfallstor für Partikularinteressen («Rent-seeking», z.B. in Form der

Vergabe attraktiver Vorstandsposten an Politikerkollegen, der privilegierten Berücksichtigung

lokaler Anbieter bei externen Aufträgen oder der Durchsetzung höherer Löhne als in der

31 Die in der Einleitung angesprochene Forderung nach einer Verminderung des Staatsanteils lässt sich

im Bereich öffentlicher Güter grundsätzlich auf drei Arten erfüllen: 1) Die Steigerung der

Produktionseffizienz, 2) die Reduktion der Preise für die Produktionsfaktoren (z.B. Löhne) und 3) ein

Abbau der angebotenen Leistungen. In diesem Abschnitt geht es vor allem um den ersten Punkt.

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56

Privatwirtschaft gelten). Nach der ökonomischen Theorie des Gruppenverhaltens (Olson 1965)

können kleine Gruppen mit starken Interessen diese besser durchsetzen als die grosse,

heterogene Masse der Steuerzahler, für die das Interesse im jeweiligen Einzelfall relativ gering

ist. Eine Reaktion des Kapitaleigners Staat bzw. Steuerzahler erfolgt allenfalls dann, wenn

gravierende Verluste entstanden sind.32

Der Prinzipal-Agenten-Ansatz (Baron/Myerson 1982, Grossman/Hart 1983) befasst sich mit dem

Verhältnis zwischen Eigentümer (Prinzipal) und Manager (Agent) eines Unternehmens. Bei

einem privaten Unternehmen sind die Eigentümer an einem möglichst hohen Gewinn

interessiert. Die Manager verfolgen dagegen das Ziel der Maximierung des Verhältnisses

zwischen ihrem Arbeitseinsatz und ihrem Einkommen. Die Eigentümer versuchen zwar, mit

komplexen Anreizsystemen dafür zu sorgen, dass die Manager ein Interesse daran haben, den

Unternehmensgewinn zu maximieren. Dies gelingt aber nur unvollständig, weil die Manager

gegenüber den Eigentümern einen Informationsvorsprung bezüglich der Situation des

Unternehmens und der Rahmenbedingungen, die diese beeinflussen, besitzen (asymmetrische

Information). Dies ermöglicht es ihnen, ihre Leistung zu beschönigen. Bei öffentlichen

Unternehmen unterscheidet sich die Interessenkonstellation, indem der Eigentümer Staat,

repräsentiert durch Politiker bzw. Staatsbeamte, kein unmittelbares finanzielles Eigeninteresse

an einem möglichst hohen Unternehmensertrag hat. Dies führt nach in der Literatur

verbreiteter Auffassung dazu, dass den Managern öffentlicher Unternehmen mangelnde oder

unklare Zielvorgaben gemacht werden und die Kontrolle über sie gering ist. Dadurch

vergrössert sich der Handlungsfreiraum, den die Manager zur Maximierung des Verhältnisses

zwischen ihrem Arbeitseinsatz und ihrem Einkommen ausnutzen können.

Nach der ökonomischen Theorie der Bürokratie (Niskanen 1971, 1975) versuchen Manager in

bürokratischen Organisationen nicht nur ihr Einkommen, sondern auch ihre Macht und ihr

Prestige zu maximieren. Diese Faktoren stehen in enger Beziehung zu der Grösse der Abteilung

des Managers und der Höhe seines Budgets. Aus diesem Grund besteht kein Anreiz zu einem

sparsamen Mitteleinsatz, sondern eher umgekehrt zu teueren, perfektionistischen Lösungen.

Eine höhere Produktionseffizienz wird durch ein System erfolgsunabhängiger Einkommen und

Beförderungen nicht honoriert. Vielmehr wird eine Wachstumsorientierung gefördert. Zudem

stossen effizienzsteigernde Umorganisationen auf Widerstand. Schliesslich werden allenfalls

32 Ein Anschauungsbeispiel liefert die Geschichte der Staatsbetriebe in Österreich (vgl. Aiginger 1998). In

den 1970er Jahren wurde mit der umfangreichen Staatsbeteiligung an Produktionsunternehmen das

Ziel der Beschäftigungsstabilisierung verfolgt. Aufgrund der dabei unterlassenen Strukturanpassung

kam es zu immer grösseren, vom Staat getragenen Defiziten. In der Zwischenzeit wurde ein grosser

Teil der Staatsbetriebe privatisiert.

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57

erzielte Überschüsse für Prestigekäufe verwendet, die in keinem Zusammenhang zum

Unternehmensziel stehen. Hinzu kommt, dass starre Bürokratieregeln eine effiziente

Ablauforganisation behindern. Bürokratisches Verhalten kommt zwar auch in grossen

privatwirtschaftlichen Unternehmen vor, der Spielraum sollte dort aber durch den

Marktwettbewerb begrenzt werden.

Die ökonomische Theorie der Politik geht also von einer Ineffizienzvermutung bezüglich der

staatlichen Leistungserstellung infolge mangelnder Sanktionen, falscher Anreize und

bürokratischer Eigeninteressen aus. Staatsversagen – als Gegenstück zu Marktversagen – führt

aufgrund des fehlenden Wettbewerbs zu Ineffizienz, Trägheit (mangelnder

Innovationsbereitschaft) und Interessenverfilzung. Diese Sicht ist allerdings nicht unumstritten

(vgl. z.B. Hodge 2000). Angezweifelt wird zum einen die rein ökonomistische

Verhaltenshypothese, die im Widerspruch zu empirischen Beobachtungen steht. Dass

Menschen auch nach ethischen Normen handeln – wie es das Webersche Bürokratiemodell

voraussetzt – belegt beispielsweise das beträchtliche Ausmass an Freiwilligenarbeit im

Sozialbereich (für Deutschland vgl. Greiling 1996, 39). Ebenso kann nicht ernsthaft bezweifelt

werden, dass viele Beschäftigte etwa im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich auch

intrinsisch motiviert sind und ihre Arbeit im Sinne ihrer Klienten und Klientinnen gut machen

wollen. Die Motivationstheorie ist allerdings gegenwärtig noch wenig entwickelt (Thieme 1999,

15). Zum andern wird bestritten, dass die Kontrolle von öffentlichen Unternehmen durch die

Politik und die Öffentlichkeit so gering ist, wie es die ökonomische Theorie der Politik darstellt.

Auch ist das Phänomen der bürokratischen Unflexibilität – das häufig unter dem Aspekt einer

mangelnden Kundenorientierung und mangelnder Innovationsbereitschaft kritisiert wird –

nicht einfach ein Verhaltensproblem der einzelnen Staatsangestellten. Vielmehr ist sie ein

Element des Weberschen Bürokratiekonzepts, das strikte Regelgebundenheit als Bedingung für

Verlässlichkeit und Unbestechlichkeit gegenüber Effizienzüberlegungen in den Vordergrund

stellt.

Weil der Zwang zur Gewinnmaximierung entfällt und das Bestehen geschützter Märkte

(Staatsmonopol) die Durchsetzung höherer Kosten ermöglicht bzw. der Staat für die Deckung

allfälliger Defizite aufkommt, eignen sich nach der ökonomischen Theorie der Politik

öffentliche Unternehmen auch für die Verfolgung von Nebenzielen. Zudem haben sie meistens

günstigere Finanzierungsbedingungen. Aus diesen Gründen neigen Politiker, die auf den

nächsten Wahlerfolg schielen, nach der ökonomischen Theorie der Politik dazu, öffentlichen

Unternehmen Zusatzauflagen wie z.B. ein hohes Beschäftigungsniveau oder die Erhaltung

regionaler Standorte zu machen. Solche Nebenziele sind nicht unbedingt ein Fall von

Staatsversagen, wenn sie in einem demokratischen Entscheidungsprozess festgelegt werden.

Es stellen sich jedoch zwei Fragen: 1) Handelt es sich effektiv um ein Allgemeininteresse oder

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58

um das Ergebnis von erfolgreicher Lobbyarbeit zugunsten von Partikulärinteressen? 2) Könnte

das Ziel auch auf andere Art erreicht werden? Getrennte Verantwortlichkeiten würden auch

das Problem der Verwischung von Zielen vermeiden und damit die Transparenz und somit die

Möglichkeiten einer Effizienzkontrolle erhöhen. Es stellt sich also die Frage, ob die Verknüpfung

von unternehmerischen mit anderen (verteilungs-, beschäftigungs-, regional-, umwelt-

politischen usw.) Zielen mit spezifischen Effizienzvorteilen verbunden ist.

Als Problem öffentlicher Unternehmen wird häufig auch die Praxis der Quersubventionierung

genannt, die zu einer Verzerrung der Marktanreize führen würde. Eine gewisse interne

Subventionierung kann aber wohlfahrtsmaximierend sein, wenn sie dazu dient, die

Fixkostenlast bestmöglich auf verschiedene Produkte zu verteilen (sogenannte Ramsey-Preise;

vgl. Blankart 1998, 430f.).

5.2 Ansätze zur Reform des öffentlichen Sektors Die These der Ineffizienz staatlicher Leistungserbringung spricht für eine Übertragung der

Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen an Private. Inwiefern dies angezeigt ist, muss

allerdings im konkreten Einzelfall empirisch geprüft werden. Auf der Basis der in Abschnitt 4

präsentierten Ergebnisse kann immerhin festgehalten werden, dass ein generell negativer

Einfluss staatlicher Aktivitäten auf die Gesamtwirtschaft nicht nachzuweisen ist. Zudem

müssen bei Privatisierungen zwei wesentliche Aspekte berücksichtigt werden:

• Auf dem entsprechenden Markt sollte effektiver Wettbewerb herrschen (was in Teilen des

Service public aus den in Abschnitt 2 erläuterten Gründen sachlich aber nicht möglich ist).

Wenn kein Wettbewerb herrscht, ist nach der Privatisierung eine staatliche Regulierung des

betreffenden Marktes nötig. Andernfalls kommt es lediglich zu einer Verlagerung der

Möglichkeit der Rentenabschöpfung vom Staat an Private.

• Das bestehende öffentliche Interesse muss verlässlich gewährleistet sein. Auch dies kann

regulatorische Eingriffe notwendig machen, z.B. in Form von Konzessionierungen.

Somit stellt sich die Frage nach dem Regulierungsaufwand, der für die optimale

Gewährleistung der Aufgabenerfüllung durch Private notwendig ist. Dieser hängt u.a. von der

Spezifität der Aufgabe (Naschold/Bogumil 2000) und den Marktbedingungen ab. Je

spezifischer eine Aufgabe und je geringer der Wettbewerb im betreffenden Markt sind, desto

höher sind die mit der Gewährleistung verbundenen Transaktionskosten (Vertrags-,

Koordinations- und Kontrollkosten). Beliebte Auslagerungsobjekte sind daher z.B. Reinigungs-

und Gebäudeunterhaltsarbeiten, weil diese Tätigkeiten wenig spezifisch und von geringer

strategischer Bedeutung sind und eine grosse Zahl von Anbietern besteht. Eine besondere

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59

Problematik ergibt sich ferner bei den hoheitlichen Aufgaben (z.B. Polizei, Justiz), die sich auf

dem Gewaltmonopol des Staates beruhen.

Privatisierungen sind aber nur eine Option im Bestreben, die Effizienzanreize bei der

Erbringung öffentlicher Dienstleistungen zu erhöhen. Das Spektrum der in den letzten

Jahrzehnten vorgeschlagenen bzw. eingeführten Reformen umfasst – in einer groben

Einteilung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende Massnahmen:

• Einführung von marktähnlichen Anreizmechanismen, wie es z.B. das New Public

Management (NPM) fordert;

• Verselbständigung von Verwaltungseinheiten mit eigener Budgetkompetenz;

• Externe Auftragsvergabe (Outsourcing);

• Vollständige Privatisierung.33

Im Falle einer vollständigen Privatisierung kann versucht werden, dass öffentliche Interesse mit

einer Konzession zu gewährleisten oder die gewünschte Leistung – z.B. im Falle des Vorliegens

externer Effekte oder bei meritorischen Gütern – durch Subventionen zu fördern.

5.3 Schwierigkeiten bei der empirischen Überprüfung Die Frage nach der Wirksamkeit solcher Reformmodelle und der relativen (In-)Effizienz

staatlicher versus privater Produktion kann letztlich nur empirisch beantwortet werden. Dabei

sind die folgenden Aspekte, die in kritischen Äusserungen zur staatlichen Leistungserbringung

prominent figurieren, von Interesse:

• Die (technische) Produktionseffizienz.

• Die Kundenorientierung.

• Die Innovationsbereitschaft.

Bei einem weiteren Kriterium, dem der Kosteneffizienz, handelt es sich, soweit es sich nicht mit

der Produktionseffizienz deckt, um einen Verteilungsaspekt. Eine Verminderung der

Produktionskosten öffentlicher Leistungen durch die Senkung der Preise von Inputfaktoren

führt – im Beispiel einer Lohnreduktion – zu einer Entlastung der Konsumenten bzw. der

33 Dabei waren Privatisierungsmassnahmen aber häufig nicht von effizienz- sondern von

finanzpolitischen Gesichtspunkten geleitet (vgl. z.B. Joumard et al. 2004); unter dem Druck «leerer

Kassen» eröffneten Privatisierungen eine «Flucht aus dem Budget» (Schemmel 1990).

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60

Steuerzahler zu Lasten der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Es findet also eine

Umverteilung von Renten statt.34

Empirisch stellen sich bei der Effizienzmessung öffentlicher Dienstleistungen z.T. erhebliche

Messprobleme (s. z.B. OECD 2005). Es gibt naturgemäss häufig keine entsprechenden

Marktprodukte, so dass auf andere Indikatoren als den Marktwert abgestellt werden muss. Dies

ist bei materiellen Produkten einfacher als bei immateriellen Leistungen. Bei letzteren ist

häufig nicht nur die Quantität (wie z.B. bei Fahrleistungen des öffentlichen Verkehrs), sondern

auch die Qualität entscheidend. Beispielsweise werden in ökonomischen Untersuchungen des

Bildungswesen als Mass für den Output häufig Indikatoren wie Anzahl Schuljahre, Anzahl

Bildungsabschlüsse oder Notendurchschnitte in Schlussexamen verwendet. Solche Indikatoren

messen aber nur einen Teil dessen, was normalerweise dem Bildungsauftrag der Schulen

entspricht. Die Schwierigkeiten der Leistungsmessung im Bereich spezialisierter öffentlicher

Dienstleistung stellt eine Grenze für die Einführung von leistungsorientierten

Managementmethoden in der Verwaltung dar, bzw. erhöht den Kontrollaufwand bei einer

Auslagerung der Leistungserstellung.

Öffentliche Unternehmen verfolgen neben der Erbringung einer wirtschaftlichen Leistung, wie

erwähnt, häufig auch andere, politisch vorgegebene Ziele. Hervorzuheben ist diesbezüglich

namentlich die (verteilungs- und regionalpolitisch motivierte) Auflage der flächendeckenden

Versorgung zu einheitlichen Preisen. Oder sie haben strengere Umweltrichtlinien zu befolgen

als Private, wie z.B. beim Busbetrieb im Personennahverkehr. Ein Effizienzvergleich mit

privatwirtschaftlichen Unternehmen, der diese Restriktionen nicht berücksichtigt, greift zu

kurz. In diesem Sinne sind auch die unterschiedlichen Logiken von privaten und öffentlichen

Organisationen (Naschold/Bogumil 2000) in Rechnung zu stellen. Zudem sind bei der privaten

Produktion nicht nur die reinen Produktionskosten, sondern auch die durch den Kontroll- und

Regulierungsbedarf bedingten Transaktionskosten zu berücksichtigen. Schliesslich stellt sich

im Zusammenhang mit der verlässlichen Gewährleistung öffentlicher Dienstleistungen die

Frage nach der Höhe allfälliger Rückführungskosten (Kosten der Rückführung in öffentliches

Eigentum) falls ein privater Anbieter seinen Verpflichtungen nicht nachkommt oder in Konkurs

geht (vgl. Nowotny 1998).

34 Da von den (Input-)Preisen Allokationsanreize ausgehen, können sich daraus allerdings auch

Effizienzwirkungen ergeben.

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61

5.4 Ergebnisse aus der Evaluationsliteratur Im Folgenden werden einige Ergebnisse aus der Literatur über die Effizienz öffentlicher

Leistungserbringung präsentiert.

Nach Schneider (2002) belegen verschiedene empirische Untersuchungen eine höhere

betriebswirtschaftliche Effizienz privater Unternehmen. Dabei scheinen unterschiedliche

Wettbewerbsbedingungen nicht ausschlaggebend zu sein. Öffentliche Unternehmen

produzierten deutlich teuerer. Dabei bleibt allerdings die Frage offen, ob es sich wirklich um

vergleichbare Produktionen handelt.

Naschold (Naschold/Bogumil 2000) referiert Evaluationsstudien zu den folgenden Arten von

Reformen des öffentlichen Sektors:

• Kostensenkungsprogramme

• Privatisierungen

• Verselbständigung von Verwaltungseinheiten

• Outsourcing (Verringerung der Leistungstiefe)

Grössere Kostensenkungsprogramme erfolgten im Vereinigten Königreich ab 1975. Zwischen

1976 und 1985 wurde der Bestand der öffentlichen Beschäftigten um 20% reduziert. Dies betraf

vor allem den industriellen Bereich; im Bürobereich betrug die Abnahme 12%. Bezüglich der

Konsequenzen für die Quantität und Qualität der öffentlichen Dienstleistungen liegen gemäss

Naschold keine hinreichend soliden Erkenntnisse, sondern lediglich konkurrierende

Interpretationen vor.

In den 1980er Jahren wurde im Vereinigten Königreich ein umfassendes

Privatisierungsprogramm durchgeführt (Flugverkehr, Gas, Stahl, Telekom, Elektrizität). Gemäss

Evaluationsstudien besteht kein sichtbarer Zusammenhang zwischen der

Produktivitätsentwicklung und der Änderung der Eigentumsform. Die im Staatseigentum

verbleibenden Kohle- und Eisenbahngesellschaften wiesen keine unterdurchschnittliche

Produktivitätsentwicklung in den Jahren 1983-90 auf. Allerdings führten auch diese massive

Restrukturierungsprogramme durch. Eine Fallstudie zur British Telecom konstatiert wenig

Verbesserung – auch weil das Unternehmen schon vor der Privatisierung gut geführt wurde –

und eine teilweise Abschöpfung von Monopolrenten, da der Markt weiterhin reguliert blieb.

Eine Evaluationsstudie zu Gemeindereformen in Schweden zwischen 1992 und 1994, welche

zur Verselbständigung oder Privatisierung von kommunalen Dienstleistungen führten, weist

für privatisierte Unternehmen die grösste Kostensenkung nach; diese erhöhten aber auch die

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62

Marge, so dass der Gewinn für die Gemeinde geringer als die Kostensenkung und der

Unterschied zur Kontrollgruppe nicht sehr gross war.

Die Erfahrungen bezüglich der Verselbständigung von Verwaltungseinheiten aus dem

Vereinigten Königreich und Schweden werden als positiv angesehen, mit einer Erhöhung der

Entscheidungsfreiheit, der Kundenorientierung und der Effizienz.

Erfahrungen zum Outsourcing liegen wiederum aus dem Vereinigten Königreich vor und

betreffen schwergewichtig manuelle (blue-collar) Tätigkeiten. In einer Evaluationsstudie des

«Local Government Act» wurden von 1988 Kostenreduktionen von durchschnittlich 6.5%,

teilweise aber bis zu 25% festgestellt. Diese gehen teilweise auf technisch-organisatorische

Verbesserungen (Abfallwirtschaft), zum Teil auf Personalreduktionen (bis zu 30%),

Lohnsenkungen und einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zurück. Erleichtert

wurden die Verschlechterungen der Arbeitssituation durch den Abbau zentraler

Verhandlungssysteme und die Schwächung der Gewerkschaften, was auch ein erklärtes Ziel

der britischen Privatisierungsstrategie unter Thatcher darstellte. Den Kostenreduktionen auf

der Anbieterseite stehen eine Erhöhung der Transaktions- bzw. Koordinationskosten der

nachfragenden Staatseinheit (klientelbezogene und Vertragsvorbereitungskosten) gegenüber,

die den Block der Managementkosten erheblich ansteigen liess. Die Qualität der Leistungen

konnte – mit Ausnahme der Gebäudereinigung – in allen Vertragsbereichen erhöht werden.

Die in Naschold/Bogumil (2000) präsentierten Ergebnisse lassen sich wie folgt

zusammenfassen: Die Ausnützung von Monopolvorteilen im Falle der British Telecom und der

privaten Anbieter in schwedischen Gemeinden deutet darauf hin, dass nicht die

Eigentumsform, sondern das Ausmass des Wettbewerbs entscheidend für die Senkung der

Kosten von Leistungen für die Öffentlichkeit ist.35 Eine verstärkte Marktorientierung hat vor

allem im Falle von Outsourcing nachweisbare Effekte. Dabei stehen Kostensenkungen und

Qualitätsverbesserungen in den überwiegenden Fällen Verschlechterungen der

Arbeitsbedingungen gegenüber. Privatisierungen bzw. Outsourcing bergen die Gefahr des

Verlusts an Verantwortlichkeit und der Fähigkeit zur Regulierung von Preisen und Qualität

durch den Staat (u.a. Verlust fachspezifischer Kompetenzen in der öffentlichen Verwaltung),

die aber gerade dann unumgänglich ist, wenn die Konzession zur Marktversorgung einem

privaten Monopolbetrieb erteilt wird (z.B. im Fall eines natürlichen Monopols). Zur Vermeidung

der Gefahr der Ausnützung einer Monopolsituation durch private Anbieter öffentlicher

35 Dort, wo es nur einen Anbieter gibt (z.B. natürliches Monopol), handelt es sich um Wettbewerb um

den Markt, nicht auf dem Markt, z.B. in Form des Ersteigerns einer Konzession.

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63

Leistungen wird eine Koexistenz von privaten und staatlichen Anbietern als sinnvoll erachtet.

Ein Beispiel für eine solche Koexistenz ist die Arbeitsvermittlung in Dänemark.

Hodge (2000) kommt in einer methodisch anspruchsvoll angelegten Meta-Studie von

Outsourcing und Privatisierungen zu ähnlichen Ergebnissen wie Naschold/Bogumil (2000).

Bezüglich Outsourcing ist die Evidenz – die vor allem von lokalen Gemeinden in den USA

stammt – gemischt. Kostensenkung sind in einigen Bereichen nachweisbar, so wie auch

negative Beschäftigungs- und Lohneffekte. Bezüglich der Eigentumsfrage (öffentlicher oder

privater Anbieter) konnte kein Einfluss festgestellt werden. Hinsichtlich Qualitätsänderungen

war – anders als bei Naschold (2000) – kein Effekt vorhanden; Outsourcing führte also weder

zu einer Erhöhung noch zu einer Senkung der Qualität der Leistungen. Bei Privatisierungen war

der positive Einfluss auf die Produktivität gering. Es kam aber auch hier zu negativen

Beschäftigungs- und Lohneffekten. Die mit Privatisierungen verbundene

Beschäftigungsreduktion wird als Hinweis auf personelle Überbesetzung (Overstaffing) in

Staatsbetrieben gewertet.

In einer Übersicht der OECD über die Erfahrung mit der Privatisierung von Staatsbetrieben wird

eine überwältigende Evidenz für signifikante Verbesserungen der Produktionsleistung und

Effizienz privatisierter Unternehmen festgestellt (OECD 2003). Die Beispiele stammen aber zu

einem guten Teil aus Transitions- und Schwellenländer, so dass die Vergleichbarkeit mit

Industrieländern nicht unbedingt gewährleistet ist. Es wird auch auf den Mangel an

verlässlichen und vergleichbaren Daten hingewiesen, was ein Urteil erschwert. Zudem sind die

erreichten Verbesserungen häufig eine Folge von Restrukturierungsmassnahmen, u.a.

ausgehend von einer um 30-50% überhöhten Beschäftigung, die schon im Vorfeld der

Privatisierung durchgeführt wurden. Auch die Qualitätsverbesserung im

Telekommunikationssektor wird in einer zitierten Studie nicht auf den Einfluss von

Privatisierungen sondern auf die Marktkonkurrenz zurückgeführt. Bei einer Privatisierung ohne

Konkurrenz auf dem Markt kommt es dagegen, wie das Beispiel der Elektrizitätsversorgung im

Vereinigten Königreich illustriert, vor allem zu einer Erhöhung der Profitabilität.

Greiling (1996) vergleicht die öffentliche Trägerschaft mit der «öffentlichen Bindung» (externen

Regulierung) in der Kredit-, der Verkehrs- und der Versorgungswirtschaft in Deutschland nicht

unter dem Effizienzgesichtspunkt, sondern unter dem Aspekt der Gewährleistung der

Zielerfüllung. Sie kommt zum Ergebnis, dass der Einfluss der öffentlichen Hand bei der

«öffentlichen Bindung» geringer ist und die Erfüllung gesamtwirtschaftlicher Ziele weniger

gewährleistet wird als im Falle einer öffentlichen Trägerschaft. «Die öffentliche Trägerschaft

ermöglicht ... in wesentlich stärkerem Masse, gesamtwirtschaftliche Gestaltungsziele zu

verfolgen» (401). Die «öffentliche Bindung» ist nur dann nicht unterlegen, «wenn eine gut

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64

definier- und messbare Missbrauchsüberwachung im Hinblick auf die Beachtung von

Rahmenbedingungen des unternehmerischen Handelns erfolgt, deren Einhaltung

hochspezialisierte, personal- und kostenintensive Überwachungsinstitutionen kontrollieren,

oder aber zwischen den gesamtwirtschaftlichen Bindungszielen und den Eigenzielen der

Branche eine weitgehende Interessenparallelität besteht und die öffentliche Bindung keine

negativen Folgen für das einzelwirtschaftliche Erfolgsstreben hat» (402). Die Form der

Trägerschaft ist somit von der Art der Aufgabe abhängig (eine Übersicht über die Kriterien gibt

Greiling auf Seite 397). Allerdings stellt sie auch fest, dass in der Praxis «die öffentlichen Hände

ihre einzelzielbezogenen Einflussnahmemöglichkeiten bei gesamtwirtschaftlichen Zielen nicht

konsequent genug nutzen» (402).

5.5 Die Position des Schweizer Service public im internationalen Vergleich Die Höhe der Effizienzgewinne durch Reformen des Staatssektors hängt wesentlich von der

Ausgangssituation ab. Diesbezüglich wird dem Service public in der Schweiz in empirischen

Vergleichen ein hohes Niveau attestiert. Afonso et al. (2005b) berechnen Indikatoren für die

Leistung («Performance») des öffentlichen Sektors. Diese beziehen sich zum einen auf vier

Bereiche des Service public (Allgemeine Verwaltung, Bildung, Gesundheit und Infrastruktur),

zum andern auf allgemeinere Ergebnisse wie Verteilung, Stabilität und gesamtwirtschaftliche

Leistung. Auch wenn solche Indikatoren immer mehr oder weniger diskutabel sind, ergibt sich

doch für die Schweiz ein recht günstiges Bild. Bei einer Normierung des Durchschnittswerts der

untersuchten 23 Länder für das Jahr 2000 auf eins, sind für die Schweiz die folgenden Werte zu

verzeichnen:

Allgemeine Verwaltung: 1.32

Bildung 0.97

Gesundheit 1.14

Infrastruktur 1.23

Bei der allgemeinen Verwaltung und der Infrastruktur erzielt die Schweiz den höchsten Wert,

bei der Gesundheit wird sie nur von Island und Schweden übertroffen. Lediglich beim Indikator

für die Bildung, der neben der Rate des Schulbesuchs auf der Sekundarschule auch die für die

Schweiz wenig vorteilhaften PISA-Ergebnisse der Erhebung aus dem Jahr 2000 enthält, ist ein

unterdurchschnittlicher Wert zu verzeichnen (dieser Wert wäre höher, wenn man die deutlich

besseren PISA-Ergebnisse aus dem Jahr 2003 berücksichtigen würde). Trotzdem liegt die

Schweiz beim Durchschnitt dieser vier Indikatoren mit einem Wert von 1.17 an der Spitze aller

berücksichtigten Länder.

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Wird aus einer Gegenüberstellung der Leistungen und der Ausgaben ein Effizienzindikator

gebildet, ergeben sich folgende, weniger vorteilhafte Werte für die Schweiz:

Allgemeine Verwaltung: 1.72

Bildung 0.94

Gesundheit 1.00

Infrastruktur 1.16

Den Spitzenplatz nimmt die Schweiz auch hier bei der allgemeinen Verwaltung ein. Im

Gesundheitsbereich und bei der Infrastruktur wird sie aber jeweils von 10 Ländern übertroffen

und liegt ungefähr im Durchschnitt.36 Erneut bestätigt sich das ungünstige Ergebnis bei der

Bildung, wobei auch hier die für die Schweiz unvorteilhafteren PISA-Ergebnisse aus dem Jahr

2000 benutzt wurden. Beim Durchschnitt der vier Indikatoren wird sie aber nur von

Grossbritannien übertroffen. Wegen Datenproblemen bei internationalen Vergleichen sind

diese Ergebnisse allerdings mit Vorsicht zu geniessen.

Auch bei der Bewertung der im internationalen Vergleich hohen Standortqualität der Schweiz

spielt die Qualität öffentlicher Dienstleistungen eine wichtige Rolle. Gemäss dem jährlichen

internationalen Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit des Lausanner Institutes IMD belegt die

Schweiz 2006, wie schon im Vorjahr, den 8. Rang (NZZ vom 11. Mai 2006). Dazu trägt u.a. die

gute Qualität der Infrastruktur bei; hier belegt die Schweiz den 4. Rang (IMD Press Release vom

11. Mai 2006).

5.6 Schlussfolgerungen zur Effizienz staatlicher Leistungserstellung Private Produktion scheint nicht per se effizienter als öffentliche zu sein. Wo im Anschluss an

eine Verlagerung öffentlicher Dienstleistungsproduktion in den privaten Sektor

Kostenreduktionen erfolgten, geschah dies häufig nicht aufgrund von Effizienzsteigerungen,

sondern einer Senkung der Löhne und einer Verschlechterung sonstiger Arbeitsbedingungen. In

der Schweiz ist diesbezüglich der Spielraum begrenzt. Eine Untersuchung der

Lohnunterschiede zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor in der Schweiz kommt

zum Ergebnis, dass unter vergleichbaren Bedingungen nur die Löhne der Frauen beim Staat

(die Untersuchung beschränkte sich auf den Bundesbereich) systematisch höher sind als in der

Privatwirtschaft (vgl. BfS 1998).

36 Da die Leistungsindikatoren hier mit den Ausgaben gewichtet sind, kann der Durchschnittwert von

eins abweichen.

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66

Kostentreibend bei der öffentlichen Leistungserstellung wirken Nebenziele in Form von

politischen Auflagen. Insofern diese demokratisch legitimiert sind, sind sie bei Kosten- und

Effizienzvergleichen mit privatwirtschaftlichen Anbietern in Rechnung zu stellen.

Die Gewährleistung öffentlicher Aufgaben bei privater Produktion zieht einen erhöhten

Kontroll- und Regulierungsaufwand (Transaktionskosten) nach sich. Um das Risiko einer

Abhängigkeit des Staates von monopolartigen privaten Anbietern zu vermeiden, sind in der

öffentlichen Verwaltung genügend Fachressourcen aufrechtzuerhalten. Auch diese Kosten sind

bei einem Kostenvergleich zu berücksichtigen.

Das Problem mangelnder Leistungsanreize in der traditionellen öffentlichen Verwaltung lässt

sich durch den verstärkten Einbezug von Marktelementen angehen. Erfolgreiche Beispiele

bestehen im Bereich der Verselbständigung von Verwaltungseinheiten. Dabei ist abzuwägen,

inwiefern auf die Weberschen Bürokratieprinzipien verzichtet werden kann.

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67

6. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

6.1 Fragestellung und Abgrenzung des Service public Der Umfang der Staatstätigkeit wird in den Industrieländern seit Beginn der 1980er Jahre, vor

dem Hintergrund eines deutlichen Anstiegs der Staats- und vor allem der Sozialausgaben,

verstärkt problematisiert. Kritikpunkte sind einerseits die Höhe der Staatsquote und die damit

verbundene Steuerbelastung, anderseits wird eine geringe Effizienz staatlicher

Leistungserbringung vermutet. Daraus ergeben sich die Forderungen nach einer generellen

Beschränkung des Umfangs der Staatstätigkeit sowie der Einführung privatwirtschaftlicher

Steuerungsinstrumente bis hin zur Privatisierung bei den öffentlichen Dienstleistungen. Bei

einer kosten- und effizienzzentrierten Diskussion drohen aber die Vorteile öffentlicher Dienste

aus dem Blickfeld zu geraten. Diese Studie soll deshalb der Frage nach der volkswirtschaftlichen

Bedeutung öffentlicher Dienste (Service public) nachgehen.

Bei der Abgrenzung des Service public stützen wir uns auf die ökonomische Standardtheorie

(«Mainstream»), welche die grundsätzliche Optimalität des Marktes als Lenkungs- und

Koordinationsinstrument einer Volkswirtschaft postuliert. Allerdings braucht der Markt eine

Ergänzung durch den Staat. Ihm obliegt zunächst einmal die Herstellung der gesellschaftlichen

Ordnung und der rechtlichen Rahmenbedingungen (namentlich Eigentumsrechte), unter

denen eine wettbewerbliche Marktwirtschaft überhaupt möglich ist. Diese müssen definiert

und durch die öffentliche Verwaltung, Justiz und Polizei (sowie gegen aussen durch das Militär)

garantiert werden; die damit verbundenen Tätigkeiten gelten als klassischer Kernbereich der

Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft.

Zusätzlich gibt es eine Reihe von Situationen, in denen eine optimale Güterversorgung

(«Allokation») durch den Markt nicht gewährleistet wird. Ein Handlungsbedarf des Staates wird

in der ökonomischen Theorie dort gesehen, wo eine Marktlösung für ein erwünschtes Gut

entweder überhaupt nicht zustande kommt oder nicht unter optimalen Bedingungen erfolgt

(sog. «Marktversagen»). Die standard-ökonomische Theorie behandelt die Frage öffentlicher

Dienstleistungen also unter dem Aspekt der allokativen Effizienz. Sie definiert damit einen

Minimalstandard öffentlicher Aufgaben. Diese Definition zeichnet sich durch den Vorteil aus,

dass darüber ein allgemeiner Konsens besteht. Mit der Konzentration auf die allokative

Funktion des Staates bleiben andere Gründe für staatliche Interventionen in die Wirtschaft

ausgeklammert; wie z.B. verteilungspolitische oder stabilitätspolitische Funktionen des Staates

Das heisst nicht, dass solchen Aspekten bei der konkreten Ausgestaltung des Service public

nicht auch eine Bedeutung zukommen würde. Namentlich verteilungspolitische

Gerechtigkeitsüberlegungen spielen beim Service public eine prominente Rolle. Dies kommt im

häufig angeführten und auch vom schweizerischen Bundesrat vertretenen

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68

«Universalitätsprinzip» zum Ausdruck, wonach der Service public «für alle

Bevölkerungsschichten und Regionen eines Landes nach gleichen Grundsätzen in guter

Qualität und zu angemessenen Preisen» zur Verfügung stehen soll (Bericht des Bundesrates

«Grundversorgung in der Infrastruktur (Service public)» vom 23. Juni 2004). Obschon die

Vermeidung übermässiger Einkommensunterschiede durchaus mit einem

volkswirtschaftlichen Nutzen verbunden sein kann, indem sie den sozialen Frieden fördert und

deshalb geringere Ausgaben zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit ermöglicht,

lassen sich über verteilungspolitische Fragen auf der Grundlage der ökonomischen Theorie

aber keine eindeutigen Aussagen machen.

6.2 Ableitung der Rolle des Staates in der Wirtschaft durch die Theorie der Wirtschaftspolitik

In der Literatur zur Theorie der Wirtschaftspolitik werden die als wichtigste Marktversagens-

Tatbestände, welche Staatseingriffe in den Wirtschaftsprozess, nicht nur legitimieren, sondern

– zur Verbesserung der Allokationseffizienz – geradezu erfordern, die Folgenden angeführt:

• externe Effekte,

• öffentliche Güter,

• natürliche Monopole,

• private Wettbewerbsbeschränkungen,

• private Informationsdefizite.

Externe Effekte liegen vor, wenn jemand etwas erhält, ohne dafür zahlen zu müssen. Sie

äussern sich auf makroökonomischer Ebene in Form sogenannter Spillover-Effekte. Die durch

die marktmässige Koordination erreichte Allokation ist ineffizient, das Marktgleichgewicht

würde einer Unterversorgung entsprechen. Ein Beispiel ist die Produktion respektive der

Konsum von Gesundheitsdienstleistungen. Zahlreiche empirische Untersuchungen bestätigen

einen positiven Einfluss des Gesundheitszustands der Bevölkerung auf den langfristigen

Wachstumstrend der Wirtschaft. Deshalb hat der Staat in so gut wie allen entwickelten

Ländern entschieden, im Gesundheitssektor bestimmte Marktgesetze ausser Kraft zu setzen.

Kennzeichen öffentlicher Güter sind die Nicht-Rivalität im und die Nicht-Ausschliessbarkeit

vom Gebrauch. Nicht-Ausschliessbarkeit bedeutet, dass die Konsumenten öffentliche Güter

konsumieren können, ohne etwas dafür zu bezahlen (sog. «Trittbrettfahrer»-Problem). Unter

Umständen ist ein Ausschluss zwar technisch möglich, aber prohibitiv kostspielig. Private

Anbieter werden diese Güter nicht in sozial optimaler Menge bzw. gar nicht produzieren, da sie

ihre Kosten nicht über den Preis decken können. Nicht-Rivalität bedeutet, dass die

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69

Inanspruchnahme eines Gutes durch einen Benutzer die Nutzungsmöglichkeiten aller anderen

nicht einschränkt (z.B. Hören einer Rundfunksendung). Aufgrund dieser Tatsache ist ein

Ausschluss zusätzlicher Hörer ineffizient, selbst wenn sie sich weigern, dafür etwas zu

bezahlen. Diese zusätzlichen Benutzer verursachen nämlich keine zusätzlichen Kosten, hätten

aber einen Nutzen von der Sendung. Der Gesamtnutzen wird bei ihrem Ausschluss nicht

maximiert. Private Anbieter werden öffentliche Güter nicht in sozial optimaler Menge bzw. gar

nicht produzieren. Beispiele für öffentliche Güter sind die kollektive Sicherheit, welche im

Innern durch Justiz und Polizei bzw. gegen aussen durch die Armee hergestellt wird, oder die

Strassenbeleuchtung. Auch bei der Infrastruktur (z.B. den Verkehrs-, Ver- und

Entsorgungsnetzen) ist die Ausschliessbarkeit teilweise nicht geben, nicht optimal bzw.

politisch nicht gewollt, und unterhalb der Grenze der Kapazitätsauslastung besteht Nicht-

Rivalität. Die Bereitstellung, Pflege und Weiterentwicklung der Infrastruktur obliegt deshalb

ebenfalls der staatlichen Verwaltung.

Ist eine Produktion mit hohen Fixkosten (bzw. irreversiblen Kosten) und niedrigen Grenzkosten

verbunden, wie es für Netzwerke (Telefonnetze, Stromversorgungsnetze usw.) typisch ist, kann

ein Anbieter die absetzbare Gesamtmenge kostengünstiger (effizienter) als viele Anbieter

herstellen (sog. «subadditive Kostenfunktion» bzw. fallende Durchschnittskosten über die

gesamte Ausbringungsmenge). Es kommt zu einem «natürlichen» Monopol mit

entsprechender Monopolpreisbildung. Allokationspolitische Konsequenz ist, dass der Staat die

Güter natürlicher Monopole entweder selbst anbieten oder dass er zumindest deren Angebot

regulieren muss. Die Definition des natürlichen Monopols ist allerdings dynamisch und hängt

sowohl von der technischen Entwicklung als auch von der Entwicklung der Nachfrage ab.

Technische Neuerungen können ein Monopol aufbrechen, wie z.B. in der Sprachtelefonie.

Monopole implizieren nicht nur dann Marktversagen, wenn sie durch eine subadditive

Kostenfunktion bedingt – also «natürlich» – sind, sondern in jedem Fall. Die Mikroökonomik

lehrt, dass ein Monopolist eine geringere Menge zu einem höheren Preis anbietet, als sich im

Wettbewerbsgleichgewicht ergäbe. Gegenüber letzterem resultiert im Monopol ein

Wohlfahrtsverlust. Die Allokation ist ineffizient; der Markt versagt. Dasselbe trifft in

abgeschwächter Form auch auf sogenannte Oligopole zu, bei denen zwar mehr als ein, aber

nur einige wenige Anbieter am Markt auftreten. Aufgrund der marktinhärenten Tendenz zu

Wettbewerbsbeschränkungen muss der Staat den Schutz des Wettbewerbs in der

Wirtschaftsverfassung verankern und den Wettbewerb auch tatsächlich durchsetzen. Denn bei

gegebener Ressourcenausstattung ist Wettbewerb eine denknotwendige Voraussetzung dafür,

dass jede Ressource auf die Verwendung alloziert wird, wo sie den grössten Nutzen stiftet bzw.

am effizientesten eingesetzt werden kann.

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Aus Informationsdefiziten leitet die Theorie der Wirtschaftspolitik einen ganz spezifischen –

und nicht unumstrittenen – allokationspolitischen Handlungsbedarf ab. Musgrave (1959) hat

den Begriff der «meritorischen» bzw. «demeritorischen» Güter geprägt. Seiner Argumentation

zufolge schätzen Konsumenten systematisch ihren Nutzen aus dem Konsum bestimmter Güter

falsch ein und konsumieren daher entweder zu wenig (bei Unterschätzung des Nutzens) oder

zu viel (bei Überschätzung des Nutzens) von dem betreffenden Gut. Meritorische Güter sind

solche, von denen mehr konsumiert werden müsste, wenn die Konsumenten ihre «wahren»

Präferenzen kennten; von demeritorischen Gütern müsste weniger konsumiert werden. Die

sich am Markt einstellende Allokation ist nicht wohlfahrtsmaximierend; Marktversagen liegt

vor. Als Beispiele für meritorische Güter werden Bildung und «Hochkultur» genannt. Die

staatliche Trägerschaft von Schulen, Hochschulen, Museen, Opernhäusern und Theatern – oder

aber die staatliche Subventionierung privater Bildungsträger und Kulturschaffender lässt sich

mit diesem Argument begründen. Auch die Alterssicherung gilt als meritorisches Gut.

Demnach würde der zukünftige Nutzen eines Alterseinkommens unterschätzt.

Eine exakte Zuordnung konkreter öffentlicher Dienstleistungen zu den verschiedenen Formen

des Marktversagens ist oft nicht einfach, und ohne eine vertiefte Analyse des Einzelfalles

bleiben Interpretationsspielräume. Bei der von uns vorgenommen Einteilung ist also ein

Element der Willkür nicht auszuschliessen. Auf der Basis der vorstehenden Ausführungen zur

Abgrenzung des Service public auf allokationstheoretischer Grundlage werden die folgenden

Bereiche zum Service public gezählt:

• die Branchenzusammenfassungen «Öffentliche Verwaltung, Verteidigung,

Sozialversicherung» (NOGA-Abteilung 75; darin enthalten sind auch Justiz und Polizei)

sowie «Abwasser- und Abfallbeseitigung und sonstige Entsorgung» (NOGA-Abteilung 90),

• die Branchenzusammenfassungen «Erziehung und Unterricht» (NOGA-Abteilung 80) und

«Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen» (NOGA-Abteilung 85),

• die Branchenzusammenfassung «Energie- und Wasserversorgung» (NOGA-Abteilungen 40

und 41),

• die Post- und Bahndienstleistungen (NOGA-Abteilungen 64.11 und 60.10),

• die NOGA-Abteilungen 92.32A «Betrieb von Theatern, Schauspielhäusern, Opern und

Konzerthallen», 92.5 «Bibliotheken, Archive, Museen, botanische und zoologische Gärten»

und 92.2 «Rundfunkveranstalter, Herstellung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen»

Für die Berücksichtigung der Post- und Bahndienstleistungen besteht die ordnungspolitische

Rechtfertigung für die Staatsaktivität im Grundversorgungsauftrag, welcher hier als Datum

hingenommen wird. Grundversorgungsaufträge, welche auch unrentable Angebote umfassen,

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71

können i.d.R. nur von Staatsunternehmen oder staatlich subventionierten Unternehmen erfüllt

werden.

6.3 Optimaler Umfang des Service public Für die Frage nach dem optimalen Umfang des Service public ist es sinnvoll, zwischen

konsumtiven Verwendungen und Vorleistungen zu unterscheiden. Bei konsumtiven kollektiven

Gütern wird die optimale Menge anhand der Summe der Nutzen, welche die einzelnen

Konsumenten aus dem öffentlichen Gut erhalten, definiert; entscheidend ist also die kollektive

Zahlungsbereitschaft. Die konkrete Ermittlung des Nutzens öffentlicher Güter ist allerdings

nicht einfach. Zwangsläufig wird deshalb in der Regel davon ausgegangen, dass sich die

gesellschaftlich optimale Menge öffentlicher Güter im demokratischen

Entscheidungsverfahren bestimmt. Handelt es sich bei öffentlichen Dienstleistungen um

produktive Vorleistungen (z.B. Infrastrukturen), so besteht ihr Nutzen im Beitrag zu der

entsprechenden Produktionsleistung. Im konkreten Einzelfall kann versucht werden, diesen

mittels Kosten-Nutzen-Rechnungen abzuschätzen. Ein allgemeinerer Zugang zur produktiven

Bedeutung öffentlicher Dienstleistungen besteht in der Abschätzung ihres Beitrags zum

gesamtwirtschaftlichen Wachstum.

6.4 Empirische Bedeutung des Service public in der Schweiz und im internationalen Vergleich

Auf Basis der vorgenommenen Abgrenzung beläuft sich der Anteil der Service public an der

gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in der Schweiz auf etwa 22%. Bei der Interpretation der

Veränderung des Anteils des Service public ist die konjunkturelle Entwicklung zu

berücksichtigen. Der zwischen 2000 und 2003 festzustellende Anstieg ist nicht die Folge einer

besonders ausgeprägten Expansion des Service public, sondern davon, dass sich die

gesamtwirtschaftliche Entwicklung abschwächte, während sie beim Service public stabiler

verlief, also einen konjunkturstützenden Effekt hatte. Im internationalen Vergleich der Anteile

des Service public an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung liegt die Schweiz am unteren

Ende der Verteilung.

Eine Untergliederung nach den einzelnen Branchen des Service public zeigt, dass die Anteil in

der Schweiz beim Gesundheitswesen und den sonstigen öffentlichen und privaten

Dienstleistungen unter dem internationalen Durchschnitt liegen. Bei der öffentlichen

Verwaltung und dem Bildungswesen, der Elektrizitäts- und Wasserversorgung sowie den Post-

und Telekommunikationsdienstleistungen liegt die Schweiz auf durchschnittlichem Niveau.

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72

Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten im Service public liegt im Durchschnitt der Jahre 1998-2002

mit 22.3% nur wenig höher als der Anteil der Wertschöpfung (21.7%). Daraus folgt, dass die

nominelle Produktivität im Service public ungefähr dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt

entspricht. Daraus kann allerdings nicht auf die reale Produktivität geschlossen werden, welche

von primärem Interesse wäre. Da allerdings aufgrund von Messproblemen die reale

Wertschöpfung im öffentlichen Sektor inputseitig berechnet wird, ist hier dass Mass der realen

Arbeitsproduktivität nach unten verzerrt ist und wenig aussagekräftig.

6.5 Volkswirtschaftlicher Beitrag des Service public Der volkswirtschaftlicher Beitrag des Service public besteht zum einen in der direkten Erhöhung

der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt, indem er, wo notwendig, die ineffiziente marktliche

Allokation verbessert. Anderseits zielen die Staatsaktivitäten darauf ab, die

Produktionsmöglichkeiten der Privatwirtschaft durch die Schaffung von optimalen

Rahmenbedingungen zu erhöhen. Die durch den Service public gewährleistete

Basisinfrastruktur ermöglicht erst eine hochentwickelte und produktive Privatwirtschaft wie sie

in Industrieländern mehrheitlich zu finden ist. Aber auch in anderen Bereichen wie dem

Gesundheitswesen und der Bildung (namentlich Grundlagenforschung) werden häufig analoge

Effekte beobachtet. Wenn der Staat indessen in Bereichen tätig ist, in denen kein

Marktversagen vorliegt, und/oder wenn die Informations- und Anreizprobleme vom Staat nicht

gut gelöst werden, besteht die Gefahr von negativen Effekten auf die Volkswirtschaft. Zudem

kann sich die Erhebung von Steuern verzerrend auf das Angebot und die Nachfrage nach Arbeit

und Kapital auswirken und dadurch wachstumshemmend sein. Der Zusammenhang zwischen

Staatstätigkeit und Wirtschaftswachstum erscheint daher a priori komplex, d.h. nichts deutet

auf einen einfachen linearen Zusammenhang hin. Ab einem bestimmten Umfang der

Staatstätigkeit könnte der positive Einfluss geringer und allmählich negativ werden. In diesem

Zusammenhang wird häufig von einer umgekehrten U-Form gesprochen, um die Beziehung

zwischen Staatsausgaben und Wirtschaftswachstum zu beschreiben.

Empirische Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Staatstätigkeit und

Wirtschaftswachstum kommen denn auch zu widersprüchlichen bzw. häufig inkonklusiven

Ergebnissen, was auch auf eine Reihe von methodischen Schwierigkeiten zurückzuführen ist.

Der Einfluss der Staatstätigkeit wird sowohl als positiv als auch als negativ oder als nichtig

gemessen, und robuste Erkenntnisse sind rar. Dies gilt bei einer aggregierten Betrachtung

sowohl für die Ausgaben als auch die Einnahmen des Staates. Auch präzisere

Unterscheidungen der Staatsausgaben vermögen nur in einzelnen Fällen eindeutige Resultate

zu liefern. Einigermassen robuste Evidenz liegt vor im Fall der staatlichen Ausgaben für

öffentliche Infrastruktur (Transport und Kommunikation), für den Bildungsbereich, namentlich

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73

für Forschung und Entwicklung, sowie im Bereich der Gesundheitsausgaben, welchen

mehrheitlich ein positiver Einfluss auf das Wachstum attestiert wird. Den staatlichen

Konsumausgaben – als Mass für die Kosten der öffentlichen Dienste – kann dagegen kein

eindeutiger und robuster Zusammenhang – weder positiv noch negativ – mit dem Wachstum

nachgewiesen werden.

Ein gewisser Konsens besteht darüber, dass es ein Niveau der Staatstätigkeit gibt, welches das

Wirtschaftswachstum optimiert (Nicht-Linearität der Beziehung). Die Schätzungen dieses

optimalen Anteils der Staatsausgaben am Bruttoinlandprodukt unterscheiden sich jedoch

stark, insbesondere für die europäischen Länder.

Das eindrücklichste Resultat dieser Forschung ist die Schwierigkeit, einen robusten negativen

Effekt der Steuerbelastung für das Wirtschaftswachstum zu finden. Das erstaunt vor allem, da

die theoretischen Erwartungen diesbezüglich so eindeutig sind. Beim Umfang der

Staatstätigkeit sowie der entsprechenden Finanzierungsart wird zudem deutlich, dass

länderspezifische Präferenzen das für ein bestimmtes Land optimale Niveau der Staatstätigkeit

entscheidend beeinflussen. Dies gilt auch für Regionen (z.B. Kantone) innerhalb eines Landes,

was Zweifel am Anspruch aufkommen lässt, dass es ein einziges optimales Niveau der

Staatstätigkeit für die gesamte Schweiz respektive alle Kantone gibt. Aufgrund solcher

Wirkungsmechanismen ist daher auch eine gewisse Vorsicht geboten, allzu einfache

Rückschlüsse aus den Resultaten anderer Länder für die Schweiz zu ziehen.

6.6 Zur Effizienz der staatlichen Leistungserbringung Neben dem Beitrag öffentlicher Dienstleistungen zur volkswirtschaftlichen (externen) Effizienz

ist eine zusätzliche Betrachtung der internen Effizienz des öffentlichen Sektors unter zwei

Aspekten von Bedeutung: Einerseits weil niedrigere Kosten der Staatstätigkeit bei gegebenem

Leistungsstandard einen Wohlstandsgewinn bedeuten. Anderseits weil eine wünschbare

öffentliche Leistung nicht notwendigerweise vom Staat selbst erbracht werden muss oder der

Staat in einem Bereich tätig ist, die gemäss der oben dargelegten theoretischen Sicht zum

privaten Sektor zählt (z.B. staatliche Industriebetriebe). Zur Diskussion steht somit die Effizienz

staatlicher Leistungserbringung an sich sowie relativ zu einer privatwirtschaftlichen

Alternative.

In der ökonomischen Literatur wird dem Marktversagen auch die These des Staatsversagens

entgegengehalten, nach welcher der Staat Leistungen grundsätzlich weniger effizient erbringe

als Private, die auf dem Markt im Wettbewerb stehen. Dies wird auf zwei Faktoren

zurückgeführt:

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74

• Weil Marktkonkurrenz und eine am wirtschaftlichen Erfolg orientierte Eigentümerschaft

fehlen, wird ineffizientes Verhalten nicht sanktioniert.

• Die internen Steuerungs- und Anreizmechanismen in staatlich-bürokratischen

Organisationen wirken nicht auf eine effiziente und innovative Leistungserstellung hin,

sondern behindern diese im Extremfall sogar.

Öffentliche Unternehmen werden weder von Marktkonkurrenten noch im gleichen Ausmass

wie private Unternehmen von Kapitaleignern sanktioniert, wenn sie eine geringe Effizienz

aufweisen. Damit öffnet sich ein Einfallstor für Partikularinteressen («rent-seeking», z.B. in

Form der Vergabe attraktiver Vorstandsposten an Politikerkollegen, der privilegierten

Berücksichtigung lokaler Anbieter bei externen Aufträgen oder der Durchsetzung höherer

Löhne als in der Privatwirtschaft gelten). Da zudem bei öffentlichen Unternehmen der

Eigentümer Staat, repräsentiert durch Politiker bzw. Staatsbeamte, kein unmittelbares

finanzielles Eigeninteresse an einem möglichst hohen Unternehmensertrag hat, kommt es

nach in der Literatur verbreiteter Auffassung auch dazu, dass den Managern öffentlicher

Unternehmen mangelnde oder unklare Zielvorgaben gemacht werden und die Kontrolle über

sie gering ist.

Eine höhere Produktionseffizienz wird durch ein System erfolgsunabhängiger Einkommen und

Beförderungen nicht honoriert. Hinzu kommt, dass starre Bürokratieregeln eine effiziente

Ablauforganisation behindern. Bürokratisches Verhalten kommt zwar auch in grossen

privatwirtschaftlichen Unternehmen vor, der Spielraum sollte dort aber durch den

Marktwettbewerb begrenzt werden.

Die ökonomische Theorie der Politik geht also von einer Ineffizienzvermutung bezüglich der

staatlichen Leistungserstellung infolge mangelnder Sanktionen, falscher Anreize und

bürokratischer Eigeninteressen aus. Staatsversagen – als Gegenstück zu Marktversagen – führt

aufgrund des fehlenden Wettbewerbs zu Ineffizienz, Trägheit (mangelnder

Innovationsbereitschaft) und Interessenverfilzung. Diese Sicht ist allerdings nicht

unumstritten. Angezweifelt wird zum einen die rein ökonomistische Verhaltenshypothese, die

im Widerspruch zu empirischen Beobachtungen steht. Zum andern wird bestritten, dass die

Kontrolle von öffentlichen Unternehmen durch die Politik und die Öffentlichkeit so gering ist,

wie es die ökonomische Theorie der Politik darstellt. Auch ist das Phänomen der bürokratischen

Unflexibilität – das häufig unter dem Aspekt einer mangelnden Kundenorientierung und

mangelnder Innovationsbereitschaft kritisiert wird – nicht einfach ein Verhaltensproblem der

einzelnen Staatsangestellten. Vielmehr ist sie ein Element des Weberschen Bürokratiekonzepts,

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75

das strikte Regelgebundenheit als Bedingung für Verlässlichkeit und Unbestechlichkeit

gegenüber Effizienzüberlegungen in den Vordergrund stellt.

Weil der Zwang zur Gewinnmaximierung entfällt und das Bestehen geschützter Märkte

(Staatsmonopol) die Durchsetzung höherer Kosten ermöglicht bzw. der Staat für die Deckung

allfälliger Defizite aufkommt, eignen sich öffentliche Unternehmen auch für die Verfolgung

von Nebenzielen. Solche Nebenziele sind nicht unbedingt ein Fall von Staatsversagen, wenn sie

in einem demokratischen Entscheidungsprozess festgelegt werden. Es stellen sich jedoch zwei

Fragen: 1) Handelt es sich effektiv um ein Allgemeininteresse oder um das Ergebnis von

erfolgreicher Lobbyarbeit zugunsten von Partikulärinteressen? 2) Könnte das Ziel auch auf

andere Art erreicht werden? Getrennte Verantwortlichkeiten würden auch das Problem der

Verwischung von Zielen vermeiden und damit die Transparenz und somit die Möglichkeiten

einer Effizienzkontrolle erhöhen.

Als Problem öffentlicher Unternehmen wird häufig auch die Praxis der Quersubventionierung

genannt, die zu einer Verzerrung der Marktanreize führen würde. Eine gewisse interne

Subventionierung kann aber wohlfahrtsmaximierend sein, wenn sie dazu dient, die

Fixkostenlast bestmöglich auf verschiedene Produkte zu verteilen (sogenannte Ramsey-Preise).

Die These der Ineffizienz staatlicher Leistungserbringung spricht für eine Übertragung der

Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen an Private. Inwiefern dies angezeigt ist, muss

allerdings im konkreten Einzelfall empirisch geprüft werden. Die erwähnten Untersuchungen

auf der volkswirtschaftlichen Ebene, wonach sich ein negativer Einfluss der Staatstätigkeit auf

das Wirtschaftswachstum generell nicht nachweisen lässt, sprechen gegen ein pauschales

Urteil. Zudem müssen bei Privatisierungen zwei wesentliche Aspekte berücksichtigt werden:

• Auf dem entsprechenden Markt sollte effektiver Wettbewerb herrschen (was in Teilen des

Service public aus den in Abschnitt 2 erläuterten Gründen sachlich aber nicht möglich ist).

Wenn kein Wettbewerb herrscht, ist nach der Privatisierung eine staatliche Regulierung des

betreffenden Marktes nötig. Andernfalls kommt es lediglich zu einer Verlagerung der

Möglichkeit der Rentenabschöpfung vom Staat an Private.

• Das bestehende öffentliche Interesse muss verlässlich gewährleistet sein. Auch dies kann

regulatorische Eingriffe notwendig machen, z.B. in Form von Konzessionierungen.

Somit stellt sich die Frage nach dem Regulierungsaufwand, der für die optimale

Gewährleistung der Aufgabenerfüllung durch Private notwendig ist. Dieser hängt u.a. von der

Spezifität der Aufgabe und den Marktbedingungen ab. Je spezifischer eine Aufgabe und je

geringer der Wettbewerb im betreffenden Markt sind, desto höher sind die mit der

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Gewährleistung verbundenen Transaktionskosten (Vertrags-, Koordinations- und

Kontrollkosten). Eine spezielle Problematik ergibt sich ferner bei den hoheitlichen Aufgaben

(z.B. Polizei, Justiz), die sich aus dem Gewaltmonopol des Staates ergeben.

Privatisierungen sind aber nur eine Option im Bestreben, die Effizienzanreize bei der

Erbringung öffentlicher Dienstleistungen zu erhöhen. Das Spektrum der in den letzten

Jahrzehnten vorgeschlagenen bzw. eingeführten Reformen umfasst – in einer groben

Einteilung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende Massnahmen:

• Einführung von marktähnlichen Anreizmechanismen;

• Verselbständigung von Verwaltungseinheiten mit eigener Budgetkompetenz;

• Externe Auftragsvergabe (Outsourcing);

• Vollständige Privatisierung.

Die Frage nach der Wirksamkeit solcher Reformmodelle und der relativen (In-)Effizienz

staatlicher versus privater Produktion kann letztlich nur empirisch beantwortet werden. Dabei

sind die folgenden Aspekte, die in kritischen Äusserungen zur staatlichen Leistungserbringung

prominent figurieren, von Interesse:

• Die (technische) Produktionseffizienz.

• Die Kundenorientierung.

• Die Innovationsbereitschaft.

Bei einem weiteren Kriterium, dem der Kosteneffizienz, handelt es sich, soweit es sich nicht mit

der Produktionseffizienz deckt, um einen Verteilungsaspekt. Eine Verminderung der

Produktionskosten öffentlicher Leistungen durch die Senkung der Preise von Inputfaktoren –

z.B. der Löhne – führt zu einer Entlastung der Konsumenten bzw. der Steuerzahler zu Lasten der

Beschäftigten im öffentlichen Dienst.

Kostentreibend bei der öffentlichen Leistungserstellung wirken Nebenziele in Form von

politischen Auflagen. Insofern diese demokratisch legitimiert sind, sind sie bei Kosten- und

Effizienzvergleichen mit privatwirtschaftlichen Anbietern in Rechnung zu stellen.

Die berücksichtigte Literatur zu den Wirkungen von Privatisierungen im öffentlichen Sektor

ergibt ein gemischtes Bild. Beträchtliche Effizienzgewinne konnten bei Staatsbetrieben

verzeichnet werden, die grössere Restrukturierungen durchführten. Anlass für diese waren

teilweise überhöhte Belegschaften («Overstaffing»), teilweise neue technologische

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Entwicklungen (z.B. Telekommunikation). Die Restrukturierungen waren aber teilweise schon

vor der Privatisierung durchgeführt worden. Ein Zusammenhang zwischen

Produktionseffizienz und Eigentumsform scheint sich nicht nachweisen zu lassen.

Kostenreduktionen erfolgten aber auch oft aufgrund einer Senkung der Löhne und der

Verschlechterung sonstiger Arbeitsbedingungen. Zudem wurden sie verschiedentlich durch die

höhere Margen der privaten Anbieter und dem grösseren Managementaufwand beim

öffentlichen Auftraggeber kompensiert. Qualitätseinbussen scheinen eher selten zu sein, es

lassen sich aber auch nicht generell Qualitätsverbesserungen feststellen. Hingegen scheinen

Verselbständigungslösungen, mittels derer staatliche Leistungserbringer mit grösserer

Autonomie ausgestattet werden, positive Wirkungen sowohl auf die Produktionseffizienz als

auch auf die Qualität der Dienstleistungen auszuüben.

Es ist schwieriger, bei privaten Anbietern die Wahrung öffentlicher Interessen zu

gewährleisten, als wenn die Bereitstellung der Leistungen durch den Staat erfolgt. Von grosser

Bedeutung für die Regulierung privater Anbieter ist, dass die (staatlichen) Aufsichtsinstanzen

selbst über ein ausreichendes Know-how verfügen. Aus diesem Grund scheinen Mischformen,

die sowohl private als auch öffentliche Angebote zulassen, Vorteile zu bieten.

Die Höhe der Effizienzgewinne durch Reformen des Staatssektors hängt wesentlich von der

Ausgangssituation ab. Diesbezüglich wird dem Service public in der Schweiz in empirischen

Vergleichen ein hohes Niveau attestiert. Auch bei der Bewertung der im internationalen

Vergleich hohen Standortqualität spielt die Qualität öffentlicher Dienstleistungen eine

wichtige Rolle.

6.7 Fazit Der Service public trägt mit der Gewährleistung von Dienstleistungen zugunsten der

Allgemeinheit – dort wo private Anbieter dazu nicht in der Lage sind – zum gesellschaftlichen

Wohlstand bei. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass öffentliche Infrastrukturen

einen positiven Effekt auf das wirtschaftliche Wachstum ausüben. Dieser Zusammenhang ist

allerdings nicht linear und lässt sich empirisch auch nicht leicht nachweisen. Bezüglich der

oberen Grenze, bis zu welcher der öffentliche Sektor einem positiven Nettoeffekt auf die

Volkswirtschaft hat, herrscht wenig Klarheit.

Der Service public in der Schweiz weist im internationalen Vergleich bei einem eher

unterdurchschnittlichen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung, eine

überdurchschnittlichen Effizienz auf. Sein Beitrag zur Standortqualität kann als hoch

bezeichnet werden.

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Trotzdem ist die Frage, ob und wie die Effizienz des Service public gesteigert werden kann,

immer wieder berechtigt, da ihm eine Tendenz zu mangelnder Kostenorientierung und

Innovationsbereitschaft nicht abzusprechen ist. Erfolgsversprechend scheinen diesbezüglich

die Einführung von Wettbewerbselementen und eine grössere Autonomie der

Leistungserbringer zu sein. Die Eigentumsfrage ist dagegen offenbar nicht ausschlaggebend.

Werden öffentliche Aufgaben an private Anbieter übertragen, ist dafür zu sorgen, dass, wo dies

möglich ist, ausreichender Wettbewerb gewährleistet ist und das öffentliche Interesse

garantiert werden kann. Wenn kein Wettbewerb herrscht, wie z.B. in Situationen eines

natürlichen Monopols, ist nach der Privatisierung eine staatliche Regulierung des betreffenden

Marktes nötig. Dies zieht einen erhöhten Kontroll- und Regulierungsaufwand

(Transaktionskosten) nach sich. Um das Risiko einer Abhängigkeit des Staates von

monopolartigen privaten Anbietern zu vermeiden, sind in der öffentlichen Verwaltung

ausreichende Fachressourcen aufrechtzuerhalten. Schliesslich stellt sich im Zusammenhang

mit der verlässlichen Gewährleistung öffentlicher Dienstleistungen die Frage des

Konkursrisikos privater Anbieter, was die Frage nach der Höhe allfälliger Rückführungskosten

aufwirft.

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