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r a u s e o t h ® nr. 86 1 / 2 / 2005 zeitung für den studiofilm im arthouse alba arthouse commercio arthouse movie 1+2 arthouse nord-süd arthouse le paris arthouse piccadilly riff raff uto e w s i e n o v m Studiofilm-Vorpremieren Arthouse Le Paris, Zürich-Stadelhofen Sieben Tage die Woche um 12.15 Uhr www.lunchkino.ch finding neverland Marc Forsters bezauberndes neues Meisterwerk mit Johnny Depp, Kate Winslet, Dustin Hoffman, Julie Christie "BEST PICTURE OF THE YEAR" (NATIONAL BOARD OF REVIEW)

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Page 1: nr. 86 1 2 2005 zeitung für den studiofilm imarthouse alba ...€¦ · finding neverland. Ein Bilder-Poet ist Wong Kar Wai, einer dieser ganz raren Regisseure, die es verstehen Filme

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nr. 86 • 1 / 2 / 2005 zeitung für den studiofilm im arthouse alba • arthouse commercio •

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finding neverland

Marc Forsters bezauberndes neues Meisterwerk mit Johnny Depp, Kate Winslet, Dustin Hoffman, Julie Christie

"BEST PICTURE OF THE YEAR" (NATIONAL BOARD OF REVIEW)

Page 2: nr. 86 1 2 2005 zeitung für den studiofilm imarthouse alba ...€¦ · finding neverland. Ein Bilder-Poet ist Wong Kar Wai, einer dieser ganz raren Regisseure, die es verstehen Filme

Drei Jahre nachdem Jean-Pierre Jeunet mit «Le fabuleux destin d’Améliede Montmartre» einen Welthit landete, stellt er mit UN LONG DIMANCHEDE FIANÇAILLES erneut eine oszillierende Filmperle vor. Die Hauptrollespielt wiederum die elfenhafte Französin Audrey Tautou, gleichwohl istJeunets Verfilmung eines Romans von Sébastien Japrisot alles andere alsein Sequel zu «Amélie». Man schreibtdas Jahr 1920. Der Erste Weltkrieg istvorbei, die Schützengräben sind zuge-schüttet, zartes Grün überzieht dieSchlachtfelder. Doch für die 19-jährigeMathilde ist der Krieg noch nicht vorbei.Seit über drei Jahren hat sie von ihremVerlobten nichts mehr gehört. Er sei1917 umgekommen, erzählt man ihr,doch Mathildes Intuition sagt ihr, dasser noch lebt. Also beginnt sie zu suchen.Sie stöbert in Archiven, blättert sichdurch Berge von Dokumenten, inseriert

in Zeitungen, trifft Überlebende und kriegt dabei tausendundeine herz-zerreissende Variation über die letzten Stunden ihres Geliebten aufge-tischt. Doch Mathilde lässt sich nicht entmutigen und erfährt schliesslichdie Wahrheit über fünf Soldaten, die als Dienstverweigerer verurteilt insNiemandsland zwischen der französischen und deutschen Front

geschickt wurden. Eine packendeMischung von Policier und Romanze istUN LONG DIMANCHE DE FIANÇAILLES.Jeunet spielt mit Farben und treibt denKrieg ins Absurde. Er findet dabei zumschwarzen Humor, der schon «La citédes enfants perdus» prägte, und stelltunter der Prämisse, dass wahre Liebesämtliche Hindernisse überwindet, einender stärksten Filme dieses Winters vor.

Regie: Jean-Pierre Jeunet. Mit: Audrey Tau-tou, Clovis Cornillac, Julie Depardieu. Ver-leih: Fox-Warner.

un long dimanche de f iançailles

Das Prozedere wiederholt sich täglich: Wenn der allein stehende Jaco-bo am Morgen in seine heruntergekommene Sockenfabrik kommt, war-tet die Angestellte Marta immer schon vor der Tür. Die beiden begrüs-sen sich tagtäglich mit den gleichen Worten, bringen die Strickmaschi-ne zum Laufen, erledigen die wenigen Aufträge und verlassen denBetrieb abends wieder. Doch so vertrautsie sich bei der Arbeit sind, persönlichkennen sich Jacobo und Marta kaum. Zukurz sind die monotonen Sätze, die siemiteinander sprechen. Dann aber kün-det Jacobos Bruder Herman sein Kom-men zur Grabeinsetzung für die längstverblichene Mutter an und WHISKYnimmt eine unverhoffte Wendung: Umseinen Bruder zu beeindrucken ent-schliesst sich Jacobo, den erfolgreichenGeschäfts- und Ehemann zu mimen. Undwer sollte für einige Tage seine Frau

whiskyspielen, wenn nicht Marta, mit der er sich stumm versteht? Marta willigtein – doch Hermans Besuch wird länger als erwartet. Für seinen zwei-ten Spielfilm WHISKY hat das Regie-Duo Juan Pablo Rebella und PabloStoll eine eigensinnige Bildsprache gewählt: Sparsam ausgeleuchteteRäume und eine unbewegte Kamera, die, wie Rebella meint: «an Kin-

derbücher erinnert, in denen auf jederSeite ein, zwei Sätze unter einer gros-sen Zeichnung stehen». Die ausserge-wöhnliche Erzählweise und der feinsin-nige Humor der beiden Uruguayerkommt an: WHISKY war die grosse Ent-deckung beim Filmfestival von Cannes2004; zudem wurden Rebella und Stollvorgeschlagen, ihr Heimatland bei derOscarverleihung 2005 zu vertreten.

Regie: Juan Pablo Rebella, Pablo Stoll. Mit:Andrés Pazos, Mirella Pascual, Jorge Bola-ni. Verleih: Trigon-Film.

Es ist eine in ihrer Einfachheit bezaubernde Idee, die Peter Pan zu Grun-de liegt: Nie erwachsen werden. Auf ewig in der magischen Welt derKinder verharren, in der man nie genug Abenteuer erleben kann. DiesenWinter feiert die Geschichte von Peter Pan ihren hundertsten Geburts-tag, und das mit Abstand originellste «Geburtstagsgeschenk» dürfteMarc Forsters Film FINDING NEVERLANDsein. Diesem liegt weniger J. M. BarriesBuch, als viel mehr die Geschichte sei-ner Entstehung zu Grunde: 1903 lerntder Theaterautor James Matthew Barrieim Kensington Park in London die jun-ge Witwe Sylvia Llewelyn Davies undderen Kinder kennen. Trotz Einwändenvon Sylvias Mutter und seiner Gattinverbringt Barrie seine Nachmittagefortan mit den Llewelyns. Er wird denBuben zum Spielkameraden, der Mutterzum Freund und Berater und findet in

diesen Begegnungen die Inspiration für «Peter Pan». Ein ebenso düste-res, wie packendes Drama hat Marc Forster vor zwei Jahren mit «Mon-ster’s Ball» vorgeführt und damit weltweit Erfolge gefeiert. Mit FINDINGNEVERLAND bricht er nun in heitere Gefilde auf und beweist, dass erauch ein Meister des grossen Gefühlskinos ist. Wie immer, wenn es um

Peter Pan geht, ist der wahre Held einkleiner Junge: Der von Freddie High-more mit berührender Ernsthaftigkeitgespielte Peter Llewelyn, der in derschönsten Szene von FINDING NEVER-LAND meint: «Peter Pan, das bin nichtich – das ist er», und dabei auf JohnnyDepp alias Barrie zeigt. Derzeit ist MarcForster weltum dabei, Kassen zu stür-men und Preise zu sammeln.

Regie: Marc Forster. Mit: Johnny Depp, KateWinslet, Dustin Hoffman. Verleih: FreneticFilms.

f inding neverland

Page 3: nr. 86 1 2 2005 zeitung für den studiofilm imarthouse alba ...€¦ · finding neverland. Ein Bilder-Poet ist Wong Kar Wai, einer dieser ganz raren Regisseure, die es verstehen Filme

Ein Bilder-Poet ist Wong Kar Wai, einer dieser ganz raren Regisseure,die es verstehen Filme zu drehen, deren jede einzelne Einstellung denZuschauer im Kinosessel vor Glück weinen lässt. In seinen Filmenerzählt Wong Kar Wai melancholische Geschichten von Männern undFrauen und über des Menschen ewige und immer wieder enttäuschteSehnsucht nach Liebe. So auch in 2046,der Geschichte des von der Hand in denMund lebenden Journalisten und AutorsChow, gespielt von Hongkong-Star TonyLeung. Eine Parabel über die menschli-che Erinnerung, den Ort, an dem wir, soder Regisseur: «Gedanken, Impulse,Hoffnungen und Träume» aufbewahren,ist 2046 – und ein eigentlicher Hotel-film. Denn wie Chow 1966, aus demRedaktionsdienst entlassen und dieErinnerungen an eine schmerzhafteTrennung im Herzen, in Hongkong

Ein junger Argentinier polnischer Herkunft, ein bisschen melancholisch,ein bisschen verwirrt und getrieben von innerer Rastlosigkeit: Das istAriel, der charismatische Protagonist aus EL ABRAZO PARTIDO. Eigent-lich studiert Ariel Architektur. Doch zurzeit beschäftigt ihn anderes. Zumeinen möchte er Polen, die Heimat seiner Grosseltern, kennen lernen.Zum andern quält ihn die Frage, wiesosein Vater kurz nach seiner Geburt inden Krieg nach Israel zog und nie wie-der zur Familie zurückkehrte. Also hängtAriel herum. Hilft der Mutter im Des-sous-Shop, geht mit einem Freund aufein Bier und flirtet mit der Blondine vomInternet-Shop. All das verquirlt DanielBurman, der derzeit als das grössteTalent des argentinischen Kinos gilt, inEL ABRAZO PARTIDO zu einem wunder-bar unprätentiösen Film. Eines Tagesnämlich zieht Ariel los. Lässt sich einen

polnischen Pass machen, fragt die Geliebte nach dem zweiten Mann anihrer Seite, den Bruder nach der Kindheit. Und plötzlich beginnen sichTatsachen zu verändern, tauchen neue Wahrheiten auf und mit ihnen einFremder, der so fremd nicht sein kann. Mit schelmischem Witz erzähltBurman von der Identitätssuche seines Helden. Er taucht mit fiebriger

Kamera in Ariels Kosmos ein, rennt mitihm durch die Strassen und über diePlätze von Buenos Aires und stellt mitEL ABRAZO PARTIDO einen Film vor, derdie grossen und kleinen Fragen desLebens charmant ineinander verwickelt.Dafür erhielt sein Film in Berlin den Gol-denen Bären und Hauptdarsteller DanielHendler die Auszeichnung als besterSchauspieler.

Regie: Daniel Burman. Mit: Daniel Hendler,Adriana Aizemberg, Diego Korol. Verleih:Trigon-Film.

el abrazo partido

strandet, mietet er sich im Hotel Orient ein. Eine Weile schlägt er sichals Journalist durch, dann beginnt er mit einem Roman. Dieser spielt imJahr 2046 und erzählt von der Liebesbegegnung eines jungen Japanersmit einer Androidin. Je länger Chow an seinem Roman schreibt, destostärker verfliesst dessen Handlung mit seinen eigenen Erinnerungen an

verflossene Lieben: Wie schon «In theMood of Love» ist 2046 ein emotionalerFilm von betörender Bildlichkeit. Erstellt Tony Leung mit Gong Li, ZhangZiyi, Faye Wong die fähigsten und grössten Schauspielerinnen Chinas zurSeite, und ist, Stücke von Peer Raben,Zbigniew Reiser und Georges Delerueeinspielend, auch eine Grusskarte andie westliche Filmmusik.

Regie: Wong Kar Wai. Mit: Tony Leung,Gong Li, Zhang Ziyi, Faye Wong. Verleih:Filmcoopi.

2046

«Hearing is a form of touch» – «Hören ist eine Art Berührung», und:«There is sound absolutely everywhere» – «Alles klingt»: Im Sommer2001, kurz nach der Fertigstellung von «Rivers and Tides – Andy Golds-worthy working with time», besuchte Thomas Riedelsheimer ein Konzertder weltbekannten Perkussionistin Evelyn Glennie. Dabei wurde ihm aufeinen Schlag klar, dass er seinen näch-sten Film über die gehörbehinderteWeltklasse-Musikerin drehen wollte. Nunist TOUCH THE SOUND fertig und ent-puppt sich als ein berückendes Gesamt-kunstwerk. Denn TOUCH THE SOUND istweit mehr als ein blosses Dokument: Esist der Versuch, die Welt Evelyn Glen-nies, ihre Art zu hören und mit Tönenumzugehen, mit den visuellen Mitteln derKinematographie umzusetzen. TOUCHTHE SOUND besteht aus zwei ineinanderverflochtenen Strängen. Zum einen filmt

Riedelsheimer eine mehrtägige Session in einer Fabrikhalle in Dorma-gen, während der Evelyn Glennie zusammen mit Fred Frith ihre erste CDmit improvisierter Musik aufnimmt. Zum anderen begleitet er dieSound-Artistin auf ihren Reisen nach Japan, New York, Kalifornien undnach Schottland, wo sie ihren Bruder auf der elterlichen Farm besucht.

In gewagten, aber immer sorgfältigen,manchmal unverhofft witzigen Einstel-lungen und Kamerafahrten nähert sichRiedelsheimer der Künstlerin und ihrerUmgebung. Er mischt auf der TonspurMusik mit den Geräuschen der Umwelt,bettet Glennies Aussagen behutsamdazwischen und lädt den Zuschauermit TOUCH THE SOUND zu einem ein-malig sinnlichen Kinoerlebnis.

Regie: Thomas Riedelsheimer. Dokumen-tarfilm mit Evelyn Glennie und Fred Frith.Verleih: Look Now!

touch the sounda sound journey with evelyn glennie

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«Liebe Lucile. Seit du nach Lyon gezogen bist, habe ich niemandenmehr, mit dem ich reden kann», schreibt Claire in BRODEUSES. Weitersteht in ihrem Brief: «Ich werde anonym gebären und das Kind zur Adop-tion freigeben». Siebzehn ist Claire. Sie jobt im Supermarkt und lebt,früh von zu Hause ausgezogen, in einem alten Haus ausserhalb des Dor-fes. Lange verdrängt sie ihre Schwan-gerschaft, und als sie ihren wachsendenBauch nicht mehr unter weiten Pul-lovern verstecken kann, wimmelt sieneugierige Frager mit den Hinweisen ab,sie habe Krebs und Cortison verursacheeine Gewichtszunahme. Doch dann fährtsie auf dem Mofa in die nächste Stadt.«Fünfter Monat», meint die Ärztin undClaire weist die Hilfe des Mannes, dersie schwängerte, schnöde ab: In vagenAndeutungen und Bildern von lyrischerSchönheit erzählt Eléonore Faucher in

Sei es beim Hochzeitstrip nach Australien, beim ersten Urlaub ohneEltern in Namibia, bei der Vertiefung der Liebesbeziehung in Kuba, aufder Entdeckungstour durchs farbige Marokko: Eine längere Reise in einfremdes Land ist für ein junges Liebespaar immer eine Belastungs-probe. Man ist ungewohnt nahe beieinander, muss die Verschieden-heiten gegenseitig akzeptieren lernen,Kompromisse eingehen können. DerSchweizer Filmemacher Dieter Gränicherhat für sein neuestes Kinowerk FERIENIM DUETT vier Paaren eine Kamera insUrlaubsgepäck gelegt. Die jungen Men-schen filmen sich selber beim Koffer-packen, Streiten, Zähneputzen, auf derSafari oder während der Heimreise. Dakommt schon mal Eifersucht ins Spiel,natürlich Zärtlichkeit, gelegentlich Wut.Nicht zuletzt auch Gefühle, die zu Hau-se kaum eine Rolle spielen: Ekel vor

Insekten und Spinnen, Höhenangst auf einer Hängebrücke oder dieFreude an einem Sonnenuntergang. In der Projektierungsphase hat der Regisseur seinen neuen Film ein «Experiment mit offenem Ausgang»genannt, entstanden ist nun eine Art filmisches Tagebuch, das tief indie Seelenwelten der jungen Verliebten blicken lässt. 70 Stunden Film-

material liegen FERIEN IM DUETT zuGrunde, Gränicher hat die heimgebrach-ten Bilder virtuos-stimmungsvoll anein-ander gefügt und mit kurzen Interviewsergänzt. Nach seinem Dokumentarfilm«SeelenSchatten», in dem das ThemaDepression im Zentrum stand, warendie sehr offenen und ehrlichen Jugend-lichen für ihn eine merklich erfrischendeAbwechslung.

Regie: Dieter Gränicher. Dokumentarfilm.Verleih: Filmcoopi.

ferien im duett

BRODEUSES die Geschichte eines «gefallenen» Mädchens und stelltzugleich eine zauberhafte «Coming-of-age»-Story und die Geschichte umeine wachsende Frauenfreundschaft vor. Denn Claire hat zwar keine Aus-bildung, aber flinke Finger. Und weil die Kunststickerin Madame Mélikianeben ihren Sohn und Mitarbeiter verloren hat, braucht sie in ihrem Ate-

lier dringend Hilfe. Ergo stellt sie Claireein und nimmt diese kommentarlosunter ihre Fittiche. Mit Lola Naymark hatEléonoreFaucher eine Darstellerin enga-giert, die Claire mit luzidem Trotz zuspielen versteht; als mütterliche Freun-din hat sie ihr die wunderbare ArianeAscaride zur Seite gestellt. BRODEUSESist ein packendes Erstlingswerk und einstarker Frauenfilm.

Regie: EléonoreFaucher. Mit: Lola Nay-mark, Ariane Ascaride, Thomas Laroppe.Verleih: Filmcoopi.

brodeuses

Am 17.03.1974 bricht in der Penn Station, NY, ein älterer Mann totzusammen. Aus seinem Ausweis sind Name und Adresse herausgekratztund es dauert drei Tage, bis der Tote identifiziert ist: Es ist Louis I.Kahn, einer der wichtigsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Kahn hin-terlasse Gattin, eine Tochter und eine Unzahl unrealisierter Projekte,steht im Nachruf; 25 Jahre später trifft inder Penn Station ein damaliger Augen-zeuge einen Mann um die vierzig. Letz-terer ist Regisseur und zugleich Titelheldvon MY ARCHITECT – A SON’S JOURNEY:Nathaniel Kahn, der ausserehelicheSohn Louis I. Kahns. Dreizehn ist Natha-niel als sein Vater stirbt; ein Skizzenheftmit Titel «The Book of Amazing Boats»und die vage Erinnerung an Abende, andenen der Vater unverhofft auftauchte,Gutenachtgeschichten erzählte und wie-der verschwand, sind lange das Einzige,

was ihn mit diesem verbindet. Doch dann packte Nathaniel – inzwi-schen ein gestandener Film- und Theaterregisseur – die Kamera undbegab sich in der Hoffnung, seinem Vater durch die Begegnung mit des-sen Bauten näher zu kommen, auf Reise. Also führt MY ARCHITECT ausNew York nach Pennsylvania, New England, Indien, Bangladesh und

Israel. Nathaniel filmt Kahns Bautenund begegnet Menschen, die seinenVater kannten: Mitarbeitern, Architek-ten, Taxifahrern, Geliebten. Nach undnach entsteht so MY ARCHITECT, daspackende Porträt eines Mannes, der inInsiderkreisen als «fernes Genie»bezeichnet wird; aber auch ein philoso-phischer Film über die innere Schönheitder Architektur und des MenschenSuche nach (s)einer Identität.

Regie: Nathaniel Kahn. Dokumentarfilm.Verleih: Stamm Film.

my architect – a son’s journey

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Mit «Bend It Like Beckham» hat Gurinder Chadha vor zwei Jahren einembritischen Fussballstar die Reverenz erweisend eine so vergnügliche wieaufmüpfige Culture-Clash-Comedy vorgestellt. Auch in ihrem neusten Filmhofiert die in Kenia geborene und in London aufgewachsene Regisseurinindischer Herkunft einer britischen Ikone: BRIDE & PREJUDICE ist die ver-schmitzte Adaption des fast gleichnami-gen Romans von Jane Austen. Im Zen-trum von Chadhas turbulentem Film, derim ländlichen Indien beginnend via dreiHochzeiten und eine Londoner Sightsee-ing-Tour nach Los Angeles und wiederzurück führt, stehen der gut aussehendeAmerikaner Will Darcy und die selbstbe-wusste Inderin Lalita. Die beiden lernensich auf einer Hochzeit in Indien kennen.Darcy fühlt sich von Lalita angezogen, ihrstandesmässig aber überlegen, sie ihrer-seits findet ihn ein arrogantes Ekel. Aus-

bride & prejudice

Zwei ganz verschiedene Gesichter hat der Mond. Ein der Erde zuge-wandtes, freundliches. Und ein zerfurchtes und verschrammtes, das indie Weite des Alls blickt, und dessen Krater und Meere die Namen russi-scher Kosmonauten, Dichter und Erfinder tragen. Normalerweise küm-mern Vorder- und Rückseite des Mondes die Menschen wenig. Historischbetrachtet aber spiegelt sich in ihnender Kalte Krieg. Und in LA FACE CACHÉEDE LA LUNE werden sie darüber hinauszum Symbol für die Beziehung zweierSöhne zu ihrer Mutter. Diese hat sich vorkurzem das Leben genommen und anbe-trachts des kümmerlichen Nachlasses,den es zu regeln gibt, kommen die sichseit Jahren entfremdeten Brüder nichtdarum herum, einander zu begegnen.Gross sind die Unterschiede zwischendem jovialen und schwulen QuebekerTV-Wetterfrosch André und dem ver-

la face cachée de la lune

gehend von diesem Dilemma erzählt Chadha die vertrackte Geschichtezweier füreinander Bestimmten, die ewig zankend, gegen Eltern, Neben-buhler sowie kulturelle, soziale und gesellschaftliche Klischees ankämp-fend, die Liebe entdecken. Angereichert mit einigen herrlich-bunt-popi-gen Gesangs- und Tanznummern ist BRIDE & PREJUDICE die bekömmli-

che Kombination eines Bollywood-Melo-drams mit einer romantischen Holly-wood-Komödie. Sexy ist Martin Hender-son in der Rolle des Leading Man, diePerle von BRIDE & PREJUDICE aber istAishwarya Rai. Nach Auftritten in Filmenwie «Devdas» zum Bollywoodstar avan-ciert, brilliert Miss World 1994 alias Lali-ta in ihrer ersten Rolle in einem Englischgesprochenen Film.

Regie: Gurinder Chadha. Mit: AishwaryaRai, Martin Henderson, Daniel Gillies. Ver-leih: Monopole Pathé Films.

verzweifelten Mädchens sitzt und sich mit derselben Selbstverständlich-keit als Engelmacherin betätigt, wie sie Tee kocht, kann man ihr daskaum verübeln: Obwohl als Historienfilm aufgezogen, greift VERA DRAKEauch heute noch brisante und topaktuelle Themen auf. Und weil Leigh,der von «High Hopes» über «Life Is Sweet» bis zu «Secrets And Lies» und

«Career Girls» immer wieder Geschichtenum Eltern und Kinder erzählte, es ex-plizit nicht als seine Aufgabe betrachtet,Lösungen zu präsentieren, ist VERADRAKE einer dieser ungemein eindrück-lichen Filme, die einem als Zuschauertagelang nicht mehr aus dem Kopfgehen. VERA DRAKE wurde am Filmfesti-val von Venedig sowie vom British FilmInstitute mehrfach ausgezeichnet.

Regie: Mike Leigh. Mit: Imelda Staunton,Phil Davis, Alex Kelly, Daniel Mays. Verleih:Frenetic Films.

Eine Seife, ein Handtuch, eine Käsereibe, ein Klistier und eine Blechdo-se: Es sind harmlose Gegenstände, die 1951 im Fall Vera Drake – Vorwurf:illegale Abtreibungen – als Tatwaffen vorliegen. Dem Richter sagt Vera,sie habe «bloss jungen Mädchen aus der Not geholfen». Was naiv klingt,man der Protagonistin von Mike Leighs VERA DRAKE aber sofort glaubt.Denn Vera ist die Güte in Person. Siewohnt mit Gatte und zwei erwachsenenKindern in einer bescheidenen Arbeiter-siedlung in London, arbeitet als Putz-frau, sorgt für ihre betagte Mutter undkümmert sich um den behinderten Nach-barn: Hautnah dran an seiner vonImelda Staunton mit sanftmütiger Vehe-menz gespielten Protagonistin beginntVERA DRAKE als Porträt einer so lebens-bejahenden, wie bescheidenen undgrossherzigen Frau. Und wie Vera inLeighs Film das erste Mal am Bett eines

vera drake

träumten Philippe, der seit Jahren an einer Dissertation über den Welt-raumpionier Ziolowski werkelt, und der Zwist, der zwischen ihnen auf-bricht, weist zurück in ihre Kindheit. Der Wettlauf zwischen Sowjets undden Amis um die Vorherrschaft im All sowie Philippes Kindheitserinne-rungen sind die Eckpunkte dieses poetisch-verträumten Films, in dem

abgehobenste Phantastereien und all-täglichste Banalitäten nahtlos ineinan-dergreifen. Gedreht wurde LA FACECACHÉE DE LA LUNE von Robert Lepagenach dessen gleichnamigen Solostück.Lepage selber spielt darin denn auchüberaus differenziert die beiden Brüderund lässt deren Auseinandersetzung indie sinnige Frage münden, ob derMensch im Universum alleine sei.

Regie: Robert Lepage. Mit: Robert Lepage,Anne-Marie Cadieux. Verleih: Xenix Film-distribution.

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len die gerissenen Hochstapler dann Absurditäten über die Kontrolledes freien Arbeiters via Mikrochips und Elektroschock – und die Kon-gressteilnehmer kaufen ihnen den Schmus ohne mit den Wimpern zuzucken ab. Oder sie skizzieren allen Ernstes den Plan eines Burger-Recyclings, bei dem jeder von einem Westler verzehrte Burger von neun

Dritte-Welt-Bewohnern nochmals ge-gessen wird. Dreist sind die Yes Men inder Tat und clever dazu. Denn ihreAbsicht geht auf. Durch ihre professio-nell inszenierten Ungeheuerlichkeitenmachen sie die perversen Auswirkun-gen der Globalisierung erst wirklichsichtbar und demonstrieren nebenbei,dass Subversion nicht nur Sinn, son-dern auch Spass macht.

Regie: Chris Smith, Dan Ollman, Sarah Price.Dokumentarfilm. Verleih: Frenetic Films.

Schauspieler Jack hat seine besten Zeiten hinter sich; gerade knapp malnoch zu einer winzigen Rolle in einem Werbespot reicht es ihm. HöchsteZeit also, seriös zu werden und zu heiraten. Doch davor will Jack seineJunggesellen-Freiheiten noch einmal voll auskosten. Also begibt er sichin SIDEWAYS eine Woche vor der Hochzeit mit seinem Freund Miles aufdie Reise. Quer durchs kalifornischeWeinland fahren die beiden von PaulGiamatti und Thomas Haden Churchgespielten Kumpels und ihre Ziele könn-ten unterschiedlicher nicht sein: Eng-lischlehrer Miles, gebeutelt von seiner inBrüche gegangenen Ehe und gestresstvom Flop, den sein eben publizierterRoman zu werden droht, möchte blosstrinken und vergessen. Jack hingegenwill noch einmal richtig die Sau rauslas-sen. In einem Restaurant, in dem Milesfrüher schon Rast machte, treffen die

beiden Maya, und am nächsten Tag machen sie bei einer Weindegusta-tion die Bekanntschaft Stephanies. Als sich herausstellt, dass die beidenFrauen sich kennen, organisiert Jack – die letzte Gelegenheit für einAbenteuer witternd – ein Date zu viert. «About Schmidt» heisst der letz-te Film, den Alexander Payne drehte, und an diesen lehnt sich SIDE-

WAYS stilistisch an. Zum grössten Teilals Roadmovie angelegt, steckt SIDE-WAYS voller Überraschungen und führtdurchs Band Schauspieler vor, die durchherausragende Leistungen glänzen. Inseiner exquisiten Mischung von Witz,Intelligenz und Tragik ist der 7fach Gol-den Globe nominierte SIDEWAYS dasseit langem skurrilste Buddy Movie.

Regie: Alexander Payne. Mit: Paul Giamat-ti, Thomas Haden Church, Virginia Madsen.Verleih: Fox-Warner.

sideways

Sie sind smart, gebildet und kreativ. Sie haben Humor, kennen dasWorld Wide Web wie ihren Hosensack und haben etwas gegen Lügen,verlogene Politiker und die Globalisierung. Also hat sich eine illustreGruppe von Aktivisten organisiert und führt seither als die «Yes Men»im WWW und in der realen Welt freche Aktionen durch. Der Film THEYES MEN zeigt die Geschichte seinerquirligen Protagonisten ausgehend vomTage x, als den Yes Men die Idee kam,ihren subversiven Senf zu G.W. BushsWahlpolitik zu liefern, und dokumen-tiert ihre witzigsten Aktionen. So etwaihre unter http:/www.gatt.org betriebe-ne Parodie auf die Homepage der Welt-handelsorganisation sowie die Auftritteihrer gefaketen WTO-Vertreter, die unteraberwitzigen Namen wie Hank HardyUnruh als Dozenten weltweit zu Kon-gressen eingeladen werden. Da erzäh-

the yes men

Claude Chabrol mag altern, die Filme indes, die der französische Altmeisterdreht, erstrahlen in unverbrauchter Frische. So auch sein 66ster Leinwand-streich, LA DEMOISELLE D’HONNEUR, die Verfilmung eines Romans der Best-seller-Autorin Ruth Rendell. In einem Vorort von Nantes spielend erzählt die-ser die Geschichte einer verhängnisvollen Amour fou: Als Philippe Tardieu aufder Hochzeit seiner Schwester der Brautjungfer Senta Bellange begegnet,verliebt er sich auf der Stelle. Dies zum einen, weil Senta verblüffend Ähn-lichkeiten mit einer Statue hat, die Philippes Familie gehört. Und zumandern, weil Senta schon nach dem ersten Liebesakt Philippe zum Mannihres Lebens erklärt. Doch dann fordert Senta, dass Philippe zum Beweis sei-ner Liebe einen Baum pflanzt, ein Gedicht schreibt, mit einem Mann schläftund jemanden tötet. Mit Verve spielt Benoît Magimel den liebesblinden Phi-lippe; eine Entdeckung ist Laura Smet – die Tochter von Schauspielerin Nathalie Baye und Rockstar Johnny Halliday – in ihrer ersten grossen Film-rolle. Subtil die Grenze zwischen Vernunft und Leidenschaft auslotend führtLA DEMOISELLE D’HONNEUR in die Tiefen einer exzessiven Liebe und ist,ganz einfach, ein exzellenter Chabrol-Film.

Regie: Claude Chabrol. Mit: Benoît Magimel, Laura Smet. Verleih: JMH Distribution.

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