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Moments for Living | Spotlight Mit Yaks und Herzblut gegen die Vermüllung Clean Everest Der Berg kommt zum Propheten, Marion Chaygneaud-Dupuy kommt zum Mount Everest: Die fran- zösische Unternehmensberaterin hat den höchsten Berg der Welt nicht nur drei Mal bestiegen, sondern seine Nordflanke in mehr- jähriger Arbeit vom Müll, den Bergsteiger und Expeditionen dort hinterlassen haben, befreit. Dafür wurde sie nun mit einem internationalen Preis ausgezeichnet. Interview: Norbert Classen Marion, du bist gerade in Europa, weil du einen internationalen Preis verliehen bekommen hast. Was ist das für ein Preis, und warum hat man dich als Gewinnerin auserkoren? Der Terre des Femmes Award wird alljährlich von der Fondation Yves Rocher an Frauen verliehen, die sich weltweit in Umweltprojek- ten verdient gemacht haben. Ich wurde aus- gewählt, weil mein Projekt, Clean Everest, im Laufe der Jahre gut etabliert und erfolgreich ist. Uns ist es gelungen, den Großteil des Mülls auf der tibetischen Nordseite des Mount Everest zu beseitigen. Die Tibeter nennen den höchsten Berg der Welt Chomolungma, nach einer Göttin, die die Erde, Menschen, Pflanzen und Tiere, ja die ganze Natur beschützt. Sie ist die große Mutter. Für die Tibeter ist der Berg heilig und sie haben eine besondere Beziehung zu ihm. Das Ziel, den Berg und seine Gletscher sauber zu halten, ist in den letzten Jahren im- mer wichtiger geworden – und deshalb habe ich mit einem Team von 60 Bergführern be- gonnen, alle Camps vom Müll zu beeien. Wie ist die Idee entstanden? Der Impuls stammt von den Tibetern selbst, weil sie die Menschen im Bergsteiger-Business an ihre Verbindung zur Natur erinnern wol- len, etwas, das den Tibetern sehr am Herzen liegt und tief in ihrer Denk- und Handlungs- weise verankert ist. Sie betrachten die Dinge Aufräumarbeiten im Basiscamp auf der tibetischen Seite des Mount Everest 18 | by moment Copyright © moment by moment | Ausgabe 1_2019 | www.moment-by-moment.de Copyright © moment by moment | Ausgabe 1_2019 | www.moment-by-moment.de

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Page 1: Moments for Living | Spotlight Clean Everest€¦ · zu öffnen und nicht die Erste sein zu wollen. Geduldig und still verband ich mich mit den anderen und mit ihren Bedürfnissen

Moments for Living | Spotlight

Mit Yaks und Herzblut gegen die Vermüllung

CleanEverest

Der Berg kommt zum Propheten, Marion Chaygneaud-Dupuy kommt

zum Mount Everest: Die fran-zösische Unternehmensberaterin

hat den höchsten Berg der Welt nicht nur drei Mal bestiegen,

sondern seine Nordflanke in mehr-jähriger Arbeit vom Müll, den

Bergsteiger und Expeditionen dort hinterlassen haben, befreit. Dafür

wurde sie nun mit einem internationalen Preis

ausgezeichnet.Interview: Norbert Classen

Marion, du bist gerade in Europa, weil du einen

internationalen Preis verliehen bekommen hast.

Was ist das für ein Preis, und warum hat man

dich als Gewinnerin auserkoren?

Der Terre des Femmes Award wird alljährlich von der Fondation Yves Rocher an Frauen verliehen, die sich weltweit in Umweltprojek-ten verdient gemacht haben. Ich wurde aus-gewählt, weil mein Projekt, Clean Everest, im Laufe der Jahre gut etabliert und erfolgreich ist. Uns ist es gelungen, den Großteil des Mülls auf der tibetischen Nordseite des Mount Everest zu beseitigen. Die Tibeter nennen den höchsten Berg der Welt Chomolungma, nach einer Göttin, die die Erde, Menschen, Pflanzen und Tiere, ja die ganze Natur beschützt. Sie ist die große Mutter. Für die Tibeter ist der Berg heilig und sie haben eine besondere Beziehung zu ihm. Das Ziel, den Berg und seine Gletscher sauber zu halten, ist in den letzten Jahren im-mer wichtiger geworden – und deshalb habe ich mit einem Team von 60 Bergführern be-gonnen, alle Camps vom Müll zu befreien.

Wie ist die Idee entstanden?

Der Impuls stammt von den Tibetern selbst, weil sie die Menschen im Bergsteiger-Business an ihre Verbindung zur Natur erinnern wol-len, etwas, das den Tibetern sehr am Herzen liegt und tief in ihrer Denk- und Handlungs-weise verankert ist. Sie betrachten die Dinge

Aufräumarbeiten im Basiscamp auf der tibetischen Seite des Mount Everest

18 |by moment

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auf natürliche Weise und fühlen sich untrenn- bar mit der Natur verbunden. Die Natur ge-hört nicht den Leuten, die auf Berge klettern – es ist genau andersrum: Die Menschen ge-hören der Erde, der Mutter und damit auch den Bergen.

Wie bist du dazu gekommen?

Ich teile diese Werte seit meiner Kindheit. Ich wuchs in den Wäldern der Dordogne auf, wo meine Eltern lebten und mich naturnah erzo-gen haben. Es war tatsächlich mehr als nur Er-ziehung, es war ein Lebensstil, der Teil von mir wurde. Seit 2002 lebe ich in Lhasa, wo ich als Beraterin für tibetische Unternehmen arbeite, die ökologische und soziale Werte in ihr Ge-schäftsmodell integrieren möchten. So sprach mich auch die Firma an, die die Expeditionen zum Mount Everest auf der chinesischen Seite in Tibet organisiert. Als ausgebildete Bergfüh- rerin bin ich vertraut mit nachhaltigem Touris-mus, und da wir offenbar dieselben Werte teil-ten, brachte ich meine Erfahrung gerne ein.

Kannst du uns in dem Zusammenhang die Be-

deutung der Clean Mountain Charta erklären?

Die Charta basiert auf den Umweltrichtlinien des Karmapa, eines der höchsten Linienhalter des tibetischen Buddhismus, dem sehr daran gelegen ist, die heiligen Stätten sauber zu hal-ten. Es geht darin um Wasserschutz, den Er-halt von Fauna und Flora, Müllvermeidung und die Erziehung zum Umweltschutz. Basie-rend hierauf haben wir ein Abfallwirtschafts-system auf verschiedenen Ebenen eingerich-tet – denn tatsächlich wird es mit steigender

Höhe immer schwieriger, die Probleme zu bewältigen. Wir geben Bergsteigern z.B. Richt- linien zur Mülltrennung an die Hand, so dass Glas, Plastik und Konservendosen recycelt werden können und nur ein Rest auf der lo-kalen Müllkippe landet.

Wie sind die Einheimischen in den Prozess

eingebunden?

Da sie die Initiatoren des Projektes sind, fehlt es ihnen nicht an Motivation, sondern eher an Organisation. Auf der lokalen Müllkippe muss z.B. vermieden werden, dass der starke Wind den Müll gleich wieder auf dem Berg verteilt, oder es müssen Wege ersonnen wer-den, wie man den Abfall vom Berg hinab- bringt. Die lokalen Behörden stellten in den letzten drei Jahren alle nötigen Ressourcen zur Verfügung, um den Müll von 6.500 Metern Höhe hinabzubringen, wo der Großteil des Ab- falls gesammelt wird. Ressourcen heißt hier Yaks, wobei jedes der urigen Rinder 50 Kilo Müll auf eine Höhe von 5.000 Meter hinab-trägt. Dort übernimmt dann ein Lkw aus Lhasa die Fracht. Die Yaks brauchen Führer, soge-nannte Yaktreiber, die meist einheimische No- maden sind. Auch im Bergsteiger-Business spielen sie eine wichtige Rolle, da die Ausrüs-tung der Expeditionen auch auf den Berg hi- nauftransportiert werden muss.

Wie viele Tonnen Müll habt ihr im Laufe der

Jahre beseitigt?

8,5 Tonnen. Im ersten Jahr, 2016, war es nur eine Tonne, weil wir noch keine Yaks hatten, aber 2017 waren es mit Hilfe der Regierung schon 4,5 Tonnen und 2018 drei Tonnen. Schätzungen zufolge lagen auf der Nordseite des Everest etwa zehn Tonnen Müll herum, so dass wir jetzt 85 Prozent geschafft haben.

Dein soziales Unternehmernetzwerk Highland

Initiatives unterstützt mehr als 50 weitere Pro-

jekte in Tibet. Was ist dein Lieblingsprojekt?

Bei allen Projekten liegt der Fokus auf dem Erhalt der tibetischen Kultur sowie auf Natur- schutz. Beides ist eng miteinander verknüpft, weil der Erhalt der traditionellen Lebens-weise den besten Schutz für die Umwelt dar-stellt. Also helfen wir vor allem den Nomaden,

den Bauern, aber auch Künstlern in der Stadt oder Unternehmen im Bereich nachhaltiger Tourismus.

Mein Lieblingsprojekt ist der Aufbau des Nomaden-Instituts Drokpa-Tsang, wobei drokpa Nomade und tsang Haus bedeutet, nicht im Sinne eines physischen Gebäudes als vielmehr im Sinne von Natur, weil das Heim der Noma- den das Grasland ist. Inmitten dieser Wildnis schaffen wir einen Platz für Austausch und Lernen. Die alte Weisheit der Nomaden hat dort bis heute Gültigkeit und es ist wichtig, die Tradition an die jüngere Generation weiter- zureichen. Das ist der erste Schritt. Der zweite ist die Verknüpfung alten Wissens mit moder-ner Wissenschaft und der dritte ist ökonomi-scher Input. Hier helfen verschiedene Unter-nehmer mit Geld und innovativen Ideen, so dass die Nomaden einerseits ihre Tradition erhalten können, anderseits aber nicht den Anschluss an die moderne Welt verpassen. Es geht darum, ihre eigenen Werte in die moderne Wirtschaftswelt zu übertragen.

Du lebst seit 20 Jahren im Himalaja und in ein

paar Tagen fliegst du zurück nach Lhasa. Wie

hat sich das Leben der Tibeter dort verändert?

Mehr und mehr Leute zieht es vom Land in die Stadt. Vor allem die Menschen mit noma-dischem Hintergrund und Bauern haben Pro-bleme, sich anzupassen – gerade in Zeiten ei-nes immer schnelleren Wandels. Zum Glück sind auch die Leute in Lhasa tief in der tradi-tionellen Spiritualität Tibets verwurzelt, was den Übergang erleichtert und die Wahrung alter Werte fördert. Ein größeres Problem ist der Erhalt des sozialen Zusammenhalts, der auch hier durch zunehmenden Individualis-mus und Materialismus gefährdet ist. Das ist eine echte Gefahr für die tibetische Gesell-schaft, die so sehr auf das Gefühl der Verbun-denheit aufbaut.

Zurück zum Everest: Du bist tatsächlich die

erste Europäerin, die den Gipfel drei Mal be-

zwungen hat?

Ja, das stimmt.

Wieso hast du diese Anstrengung auf dich ge-

nommen, und wie fühlt es sich an, auf dem Dach

der Welt zu stehen?

Zunächst war mir gar nicht wohl bei dem Ge-danken, den Gipfel zu erklimmen, nicht wegen

der körperlichen Anstrengung, sondern we-gen der Heiligkeit des Berges. Chomolungma ist die Beschützerin der Welt, und es ist nicht gerade demütig, ihr auf der Nase herumzu-tanzen. Da ich selbst tief in der tibetischen Kultur verwurzelt bin, ist mir der Schritt nicht leichtgefallen. Beim ersten Mal habe ich bloß die tibetischen Bergführer begleitet, um dort oben eine Übersicht über das Müllproblem zu gewinnen. Beim zweiten und dritten Mal stand eher im Vordergrund, ein Beispiel für eine andere Art des Bergsteigens zu setzen, bei der es um mehr geht als bloß darum, den Gipfel zu bezwingen. Für eine Haltung des Gebens und Nehmens, die darauf abzielt, dem Berg etwas zurückzugeben – und sei es nur seine Reinheit. Es ist unsere Verantwortung, den Müll zu beseitigen, und die Tatsache, dass ich den Everest drei Mal bestiegen habe, hat mir auch im Kreis internationaler Kletterer eine Stimme verliehen, die gehört wird. Sie akzeptieren mich als eine von ihnen und das hilft ungemein.

Wie es sich dort oben anfühlt? Jedes Mal anders. Das erste Mal war wunderbar, mit tollem Wetter und ohne andere Expeditionen auf dem Berg. Es war eine fast ekstatische Erfahrung, weil alles passte. Das zweite Mal war anders, weil ich viel zu schnell aufgestie-gen bin. So erreichte ich den Gipfel noch vor Sonnenaufgang. Alles war dunkel, kalt und windig, so dass ich mich fragte, was ich hier überhaupt verloren hatte. Ich war völlig des- illusioniert. Das dritte Mal bin ich dann mit der Absicht aufgestiegen, mich selbst mit meinem Herzen zu verbinden, es für andere zu öffnen und nicht die Erste sein zu wollen. Geduldig und still verband ich mich mit den anderen und mit ihren Bedürfnissen. Und dieses Gefühl habe ich auch vom Berg hinab-getragen: die Botschaft, dass wir alle einander brauchen. Es geht um wechselseitige Abhän-gigkeit und nicht um egoistische Bestrebungen Einzelner.

Herzlichen Dank für das wunderbare Gespräch!

www.highland-initiatives.com

Marion Chaygneaud-Dupuy bei der Preisverleihung des Terre desFemmes Award, Frankreich 2019

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