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Prof. Dr. Michael Eisermann Höhere Mathematik 3 WiSe 2012/13 Kapitel D Integrale und Grenzwerte Then I come along and try differentiating under the integral sign, and often it worked. So I got a great reputation for doing integrals, only because my box of tools was different from everybody else’s, and they had tried all their tools on it before giving the problem to me. (Richard Feynman, 1918–1988, Surely You’re Joking, Mr. Feynman!) www.igt.uni-stuttgart.de/eiserm Stand 10. Februar 2013, 14:29 Inhalt dieses Kapitels S.210 1 Vertauschen von Integral und Summe Beispiel und Gegenbeispiel Absolut summierbare Familien und ihre Summe Vertauschung von Integral und Summe 2 Vertauschen von Integral und Grenzwert Punktweise Konvergenz Majorisierte Konvergenz Anwendung auf die Stirling–Formel 3 Vertauschen von Integral und Ableitung Parameterabhängige Integrale Kompakte Integrationsbereiche Beliebige Integrationsbereiche Wann vertauschen Integral und Grenzwert? S.211 Integration einer Reihe: Unter welchen Voraussetzungen gilt ˆ Ω X k=0 f k = X k=0 ˆ Ω f k ? Stetigkeit des Integrals: Unter welchen Voraussetzungen gilt ˆ Ω lim k→∞ f k = lim k→∞ ˆ Ω f k ? Ableiten des Integrals: Unter welchen Voraussetzungen gilt ∂x j ˆ Y f (x, y)dy = ˆ Y ∂x j f (x, y)dy ? Diese Rechentechniken sind häufig sehr nützlich. ! Die Gleichungen gelten leider nicht immer, wie Beispiele zeigen. Es gibt einfache Kriterien. Diese müssen wir kennen und beachten. Vorgehensweise S.212 Überblick In Anwendung treten diese Umformungen häufig auf. Leider werden sie oft blind oder nach Gefühl angewendet, oder gar so getan, als gälten sie immer. Das ist nicht richtig, wie wir an Beispielen sehen. Die Gleichungen gelten aber doch häufig genug, um nützlich zu sein, und zahlreiche Beispiele illustrieren die Kraft dieser Methoden. Zur korrekten Anwendung brauchen wir also geeignete Kriterien! Wir wollen daher in diesem Kapitel die Voraussetzungen erläutern und die ersehnten Rechenregeln ableiten. Als Mahnung zur Sorgfalt illustrieren einfache Gegenbeispiele, wann die Formeln nicht gelten. Wir beginnen mit einer Wiederholung von Summen und Reihen, die die Analogie zu Treppenfunktionen und Integralen hervorhebt. Vertauschung von Integral und Summe ist dann eine Folgerung wie der Satz von Fubini zur Vertauschung von Integralen.

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Page 1: Höhere Mathematik 3 Inhalt dieses Kapitels S.210 ...scratchpost.dreamhosters.com/math/HM3-D-2x2.pdf · Punktweise Konvergenz Majorisierte Konvergenz Anwendung auf die Stirling–Formel

Prof. Dr. Michael Eisermann • Höhere Mathematik 3 • WiSe 2012/13

Kapitel D

Integrale und Grenzwerte

Then I come along and try differentiating under the integral sign,and often it worked. So I got a great reputation for doing integrals,only because my box of tools was different from everybody else’s,

and they had tried all their tools on it before giving the problem to me.

(Richard Feynman, 1918–1988, Surely You’re Joking, Mr. Feynman!)

www.igt.uni-stuttgart.de/eiserm • Stand 10. Februar 2013, 14:29

Inhalt dieses Kapitels S.210

1 Vertauschen von Integral und SummeBeispiel und GegenbeispielAbsolut summierbare Familien und ihre SummeVertauschung von Integral und Summe

2 Vertauschen von Integral und GrenzwertPunktweise KonvergenzMajorisierte KonvergenzAnwendung auf die Stirling–Formel

3 Vertauschen von Integral und AbleitungParameterabhängige IntegraleKompakte IntegrationsbereicheBeliebige Integrationsbereiche

Wann vertauschen Integral und Grenzwert? S.211

Integration einer Reihe: Unter welchen Voraussetzungen gilt

ˆΩ

∞∑k=0

fk =

∞∑k=0

ˆΩfk ?

Stetigkeit des Integrals: Unter welchen Voraussetzungen giltˆ

Ωlimk→∞

fk = limk→∞

ˆΩfk ?

Ableiten des Integrals: Unter welchen Voraussetzungen gilt

∂xj

ˆYf(x, y) dy =

ˆY

∂xjf(x, y) dy ?

Diese Rechentechniken sind häufig sehr nützlich.! Die Gleichungen gelten leider nicht immer, wie Beispiele zeigen.

Es gibt einfache Kriterien. Diese müssen wir kennen und beachten.

Vorgehensweise S.212Überblick

In Anwendung treten diese Umformungen häufig auf. Leider werdensie oft blind oder nach Gefühl angewendet, oder gar so getan, alsgälten sie immer. Das ist nicht richtig, wie wir an Beispielen sehen.

Die Gleichungen gelten aber doch häufig genug, um nützlich zu sein,und zahlreiche Beispiele illustrieren die Kraft dieser Methoden.Zur korrekten Anwendung brauchen wir also geeignete Kriterien!

Wir wollen daher in diesem Kapitel die Voraussetzungen erläuternund die ersehnten Rechenregeln ableiten. Als Mahnung zur Sorgfaltillustrieren einfache Gegenbeispiele, wann die Formeln nicht gelten.

Wir beginnen mit einer Wiederholung von Summen und Reihen,die die Analogie zu Treppenfunktionen und Integralen hervorhebt.Vertauschung von Integral und Summe ist dann eine Folgerungwie der Satz von Fubini zur Vertauschung von Integralen.

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Beispiel: Integration von Potenzreihen §D1.1, S.213

Zu integrieren sei f : ]−ρ, ρ[→ R, gegeben als reelle Potenzreihe

f(x) =∞∑k=0

akxk

mit Konvergenzradius ρ > 0. Für die Integralfunktion gilt

F (x) =

ˆ x

0f(t) dt =

ˆ x

0

( ∞∑k=0

aktk

)dt

=∞∑k=0

(ˆ x

0akt

k dt

)=∞∑k=0

akk + 1

xk+1 =∞∑k=1

ak−1

kxk

Probe mit HDI: Wir dürfen Potenzreihen termweise ableiten.Die Vertauschung gilt hier dank absoluter Konvergenz der Reihe.

Dieses nützliche Kriterium wollen wir möglichst allgemein formulieren.

Ein warnendes Gegenbeispiel §D1.1, S.214

k k + 1 k + 2

Für k ∈ N sei fk = I[k,k+1] − I[k+1,k+2]. Offenbar gilt´R fk(x) dx = 0.

Auch für f0 + f1 ist das Integral Null.

Ein warnendes Gegenbeispiel §D1.1, S.215

Graph zu f0 + f1 + f2:

Graph zu f0 + f1 + f2 + f3:

Ein warnendes Gegenbeispiel §D1.1, S.216

0 1 n+ 1 n+ 2

Für n ∈ N haben wir die Teleskopsumme∑n

k=0 fk = I[0,1] − I[n+1,n+2].Für n→∞ erhalten wir deshalb punktweise Konvergenz gegen∞∑k=0

fk = I[0,1], das heißt∞∑k=0

fk(x) = I[0,1](x) für jedes x ∈ R.

Hier vertauschen Reihe und Integral nicht:∞∑k=0

(ˆRfk(x) dx

)= 0 6=

ˆR

( ∞∑k=0

fk(x)

)dx = 1.

Anschaulich: „Masse verschwindet nach Unendlich“.

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Von endlichen zu unendlichen Summen §D1.2, S.217Hintergrund

Um obigem Problem auf den Grund zu gehen, betrachten wir genauerden Übergang von endlichen Summen zu unendlichen Reihen.

Zur Wiederholung siehe Kimmerle–Stroppel, Analysis, §1.8–1.9.

Sei I eine Indexmenge, etwa I = 0, 1, . . . , n oder N oder Z.Sei (ai)i∈I eine Familie in R, also eine Abbildung a : I → R.Das heißt, jedem Index i ∈ I wird eine reelle Zahl ai ∈ R zugeordnet.Ist I = i1, i2, . . . , in endlich, so definieren wir die Summe∑

i∈Iai := ai1 + ai2 + · · ·+ ain .

Dank Assoziativität und Kommutativität ist diese Summe wohldefiniert,das heißt unabhängig von Klammerung und Reihenfolge der Addition.

Ziel: Wie kann man unendliche Summen definieren? Da hierbei auchunendliche Werte auftreten können, betrachten wir Summen in [0,∞].

Rechenregeln in [0,∞]§D1.2, S.218

Hintergrund

Wir betrachten die erweiterte Zahlengerade (R,+, ·, <).Die reellen Zahlen (R,+, ·, <) sind ein vollständiger angeordneterKörper. Die Erweiterung um ±∞ macht +∞ zum größten und −∞zum kleinsten Element in (R, <). Ein wesentlicher Vorteil ist:Jede Teilmenge M ⊂ R hat ein Supremum und ein Infimum in R.Allerdings ist (R,+, ·) kein Körper; z.B. ist die Addition nicht assoziativ:(+∞+−∞) + 1 6= +∞+ (−∞+ 1). Man muss also aufpassen!

Zur Vereinfachung beschränken wir uns auf ([0,∞],+, ·, <).Dies ist zwar kein Körper, aber immerhin ein Halbring:Die Addition ist assoziativ und kommutativ. Neutrales Element für dieAddition ist 0. Die üblichen Rechenreglen gelten also bis auf Inverse!Die Multiplikation ist assoziativ und kommutativ. Neutrales Element fürdie Multiplikation ist 1. Die Multiplikation ist distributiv über die Addition.

Summation einer Familie in [0,∞]§D1.2, S.219

Hintergrund

Wir betrachten eine Famile (ai)i∈I mit ai ∈ [0,∞] für alle i ∈ I.Ist I = i1, i2, . . . , in endlich, so definieren wir die Summe∑

i∈Iai := ai1 + ai2 + · · ·+ ain .

Dank Assoziativität und Kommutativität ist diese Summe wohldefiniert,das heißt, unabhängig von Klammerung und Reihenfolge der Addition.

Im allgemeinen Fall einer beliebigen Indexmenge definieren wirdie Summe über i ∈ I als Supremum aller endlichen Teilsummen:∑

i∈Iai := sup

∑i∈J

ai

∣∣∣ J ⊂ I endlich

Eine besondere Summationsreihenfolge wird hier nicht benötigt!Die Summe in [0,∞] verhält sich genauso wie ein Integral.Normierung: Gilt ai = 0 für alle i ∈ I r j, so folgt

∑i∈I ai = aj .

Ebenso gelten Linearität, Monotonie, Einschachtelung, Ausschöpfung.

Eigenschaften der Summation in [0,∞]§D1.2, S.220

Hintergrund

Fubini und Transformationssatz für Summen sind enthalten in:

Satz D1A (Umordnungssatz)Sei (ai)i∈I eine Familie in [0,∞]. Für jede Zerlegung I =

⊔j∈J Ij gilt∑

i∈Iai =

∑j∈J

∑i∈Ij

ai.

Hierbei bedeutet I =⊔

j∈J Ij eine Zerlegung der Indexmenge I in disjunkte TeilmengenIj ⊂ I , also Ij ∩ Ik = ∅ für j 6= k und I =

⋃j∈J Ij . Der Satz besagt, dass man bei der

Summierung in [0,∞] auf diese Weise beliebig umgruppieren und umordnen darf.

Der Umordnungssatz folgt unmittelbar aus der geschickten Konstruktion: Dank Assoziativitätund Kommutativität in ([0,∞],+) gilt die Gleichung für endliche Summen in [0,∞].Durch Übergang zum Supremum gilt die Gleichung dann auch für beliebige Familien in [0,∞].(Die Ausformulierung des Beweises ist nicht schwer aber länglich. Wir lassen Sie hier aus.)

Beispiel: Für jede Familie (ai)i∈N mit ai ∈ [0,∞] gilt∑i∈N

ai =∑j∈N

(a2j + a2j+1) =∑k∈N

(a2k + a4k+1 + a4k+3).

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Beispiel: geometrische Reihe in [0,∞]§D1.2, S.221

Hintergrund

Sei I = N. Für 0 ≤ q < 1 und summieren wir (qi)i∈N. Es gilt

q0 + q1 + · · ·+ qn =1− qn+1

1− q 1

1− q .

Hieraus folgt die bekannte Summenformel∑i∈N

qi =1

1− q

Wir wollen als nächstes auch negative Summanden zulassen.Wir summieren dann Positiv- und Negativteil getrennt.

Absolut summierbare Familien in R §D1.2, S.222Hintergrund

Zu summieren sei eine Familie (ai)i∈I reeller Zahlen ai ∈ R.Wir zerlegen ai = a+

i − a−i mit a±i = max(0,±ai).Für den Absolutbetrag gilt dann |ai| = a+

i + a−i .

Definition D1B

Für jede Familie (ai)i∈I reeller Zahlen ai ∈ R gilt∑i∈I|ai| =

∑i∈I

a+i +

∑i∈I

a−i .

Ist dieser Wert endlich, so nennen wir (ai)i∈I absolut summierbar.In diesem Falle können wir die Summe von (ai)i∈I definieren durch∑

i∈Iai :=

∑i∈I

a+i −

∑i∈I

a−i .

Absolut summierbare Familien in C §D1.2, S.223Hintergrund

Jede Familie (ci)i∈I komplexer Zahlen ci ∈ C können wir zerlegen in

Realteil ai = Re ci und Imaginärteil bi = Im ci.

Hieraus lässt sich ci zusammensetzen gemäß ci = ai + ibi.

Definition D1C

Wir nennen (ci)i∈I absolut summierbar, wenn∑

i∈I |ci| <∞ gilt.In diesem Falle können wir die Summe definieren durch∑

i∈Ici :=

∑i∈I

ai + i∑i∈I

bi.

Satz D1D (Majorantenkriterium)Aus |ci| ≤ qi folgt

∑i∈I |ci| ≤

∑i∈I qi dank Monotonie. Ist die zweite

Summe endlich, so auch die erste, und (ci)i∈I ist absolut summierbar.

Anwendung: Potenzreihen §D1.2, S.224Hintergrund

Satz D1E (Majoration durch geometrische Reihe)Sei (ck)k∈N eine Folge komplexer Zahlen. Sei M ∈ R und 0 ≤ q < 1.Gilt |ck| ≤Mqk für alle k ∈ N, so ist (ck)k∈N absolut summierbar, und∣∣∣∑

k∈Nck

∣∣∣ ≤∑k∈N|ck| ≤M/(1− q).

Satz D1F (Konvergenzradius einer Potenzreihe)

Für jede Potenzreihe∑∞

k=0 akzk definieren wir den Konvergenzradius

ρ := 1/ lim sup k√|ak|.

Für |z| < ρ konvergiert die Reihe absolut, für |z| > ρ divergiert sie.

Beweis: Angenommen 0 ≤ ρ <∞. Es gilt |ak|ρk ≤M für ein M ∈ R und alle k ∈ N. Für|z| ≤ qρ mit 0 ≤ q < 1 folgt |akzk| = |ak|ρkqk ≤Mqk, also

∑k∈N|akz

k| ≤M/(1− q).

Beispiel: exp(z) =∑∞

k=0 zk/k! konvergiert absolut für alle z ∈ C.

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Der Umordnungssatz §D1.2, S.225Hintergrund

Satz D1G (großer Umordnungssatz)Sei (ai)i∈I eine Familie in C. Für jede Zerlegung I =

⊔j∈J Ij gilt∑

i∈I|ai| =

∑j∈J

∑i∈Ij|ai|.

Ist dieser Wert endlich, so ist (ai)i∈I absolut summierbar, und es gilt∑i∈I

ai =∑j∈J

∑i∈Ij

ai.

Beweis: Die erste Gleichung ist der obige Umordnungssatz für Familien in [0,∞]. Für absolutsummierbare Familien in R folgt die zweite Gleichung aus der ersten durch Zerlegung inPositiv- und Negativteil. Für absolut summierbare Familien in C schließlich folgt dieGleichung durch Zerlegung in Real- und Imaginärteil.

Der Umordnungssatz §D1.2, S.226Hintergrund

Analog zum Transformationssatz für Integrale erhalten wir:

Satz D1H (kleiner Umordnungssatz)Sei (ai)i∈I eine Familie in C. Für jede Bijektion ϕ : J → I gilt∑

i∈I|ai| =

∑j∈J|aϕ(j)|.

Ist dieser Wert endlich, so ist (ai)i∈I absolut summierbar, und es gilt∑i∈I

ai =∑j∈J

aϕ(j).

Beweis: Der kleine Umordnungssatz folgt aus dem großen mittels Ij = ϕ(j).

Der Umordnungssatz §D1.2, S.227Hintergrund

Eine Doppelfolge (aij)i,j∈N in C ist eine Abbildung N× N→ C.Jedem Indexpaar (i, j) ∈ N× N wird eine Zahl aij ∈ C zugeordnet.Analog zum Satz von Fubini für Integrale erhalten wir:

Satz D1I (Cauchy–Umordnungssatz)Für jede Doppelfolge (aij)i,j∈N in C gilt∑

(i,j)∈N×N|aij | =

∑i∈N

∑j∈N|aij | =

∑j∈N

∑i∈N|aij | =

∑k∈N

∑i+j=k

|aij |

Ist dieser Wert endlich, so ist (aij) absolut summierbar, und es gilt∑(i,j)∈N×N

aij =∑i∈N

∑j∈N

aij =∑j∈N

∑i∈N

aij =∑k∈N

∑i+j=k

aij .

Beweis: Der Cauchy–Umordnungssatz folgt aus dem großen Umordnungssatzmittels der offensichtlichen Zerlegungen der Indexmenge N× N.

Anwendung: komplexe Exponentialfunktion §D1.2, S.228Hintergrund

Aus der Exponentialreihe folgt die Funktionalgleichung

exp(z + w) = exp(z) exp(w) für alle z, w ∈ C.

Dank binomischer Formel und Umordnungssatz gilt nämlich:

exp(z) exp(w) =

( ∞∑k=0

zk

k!

)( ∞∑`=0

w`

`!

)=∞∑n=0

∑k+`=n

zk

k!

w`

`!

=∞∑n=0

1

n!

n∑k=0

(n

k

)zkwn−k =

∞∑n=0

1

n!(z + w)n = exp(z + w).

Dies entspricht dem Potenzgesetz, daher die Kurzschreibweise

e z := exp(z).

Die Funktionalgleichung besagt e z+w = e z ew. Aus der Euler–Formele iz = cos z + sin z erhält man die Additionstheoreme für sin und cos.

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Summierbare Folgen §D1.2, S.229Hintergrund

Die Indexmenge N = 0, 1, 2, 3, . . . hat eine besondere Ordnung!Sei (ak)k∈N eine Folge in R. Wir definieren die Partialsummen

sn =n∑k=0

ak := a0 + a1 + · · ·+ an.

Falls die Folge (sn)n∈N für n→∞ konvergiert, so definieren wir

∞∑k=0

ak := limn→∞

n∑k=0

ak.

Beispiel: Dank Leibniz–Kriterium konvergiert die alternierende Reihe

∞∑k=0

(−1)k

k + 1= 1− 1

2+

1

3− 1

4+

1

5− 1

6+ . . . .

Diese Reihe konvergiert nicht absolut, denn∑

k∈N≥1

1k =∞.

Das entspricht absoluter / uneigentlicher Integrierbarkeit [S.136].

Summierbare und absolut summierbare Folgen §D1.2, S.230Hintergrund

Wir haben zwei verschiedene Summationsverfahren, nämlich∞∑k=0

ak := limn→∞

n∑k=0

ak und∑k∈N

ak :=∑k∈N

a+k −

∑k∈N

a−k .

Satz D1J

Ist (ak)k∈N absolut summierbar, so konvergieren beideSummationsverfahren und stimmen überein. Das heißt, es gilt

∞∑k=0

ak =∑k∈N

ak.

Für n→∞ gilt nämlich∑n

k=0 a±k

∑k∈N a

±k , also

n∑k=0

ak =n∑k=0

a+k −

n∑k=0

a−k →∑k∈N

a+k −

∑k∈N

a−k =∑k∈N

ak.

Gegenbeispiel zur Umordnung §D1.2, S.231Hintergrund

Absolut konvergente Reihen haben viele nützliche Eigenschaften.Leider ist nicht jede konvergente Reihe auch absolut konvergent.Man muss dann aufpassen, z.B. gilt der Umordnungssatz nicht mehr!

Übung: Sei f : N× N→ R definiert durch f(i, i) = 1 undf(i, i+ 1) = −1, sowie f(i, j) = 0 sonst. Skizze als Matrix:

......

......

0 0 −1 1 . . .0 −1 1 0 . . .−1 1 0 0 . . .1 0 0 0 . . .

Hier gilt∞∑i=0

∞∑j=0

f(i, j) = 0 und∞∑j=0

∞∑i=0

f(i, j) = 1

Nachrechnen und staunen! Es kommt noch toller. . .

Gegenbeispiel zur Umordnung §D1.2, S.232Hintergrund

Satz D1K (Riemannscher Umordnungssatz)Sei

∑∞n=0 an konvergent aber nicht absolut konvergent. Zu jeder Zahl

r ∈ R existiert dann eine Umordnung ϕ : N→ N mit∑∞

k=0 aϕ(k) = r.

Als konkretes Beispiel betrachten wir

ln(2) =∞∑n=0

(−1)n

n+ 1= 1− 1

2+

1

3− 1

4+

1

5− 1

6+ · · · .

Umordnung nach dem Muster∑∞

k=0(a2k + a4k+1) + a4k+3 liefert(1− 1

2

)− 1

4+

(1

3− 1

6

)− 1

8+

(1

5− 1

10

)− 1

12+ · · ·

=1

2− 1

4+

1

6− 1

8+

1

10− 1

12+ · · · = 1

2ln(2)

Auch jeder andere Grenzwert lässt sich durch Umordnung herstellen.Fazit: Absolute Konvergenz ist die beste Grundlage.

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Vertauschung von Summe und Integral §D1.3, S.233

Dank Linearität gilt´

Ω

∑nk=0 fk =

∑nk=0

´Ω fk für jedes n ∈ N.

Nehmen wir zunächst fk : Ω→ [0,∞] an. Es gilt dannn∑k=0

fk ∞∑k=0

fk.

Hieraus folgt die monotone Konvergenz des IntegralsˆΩ

n∑k=0

fk ˆ

Ω

∞∑k=0

fk.

Aus´

Ω fk ≥ 0 folgt die monotone Konvergenz der Reihen∑k=0

ˆΩfk

∞∑k=0

ˆΩfk.

Für jede Folge messbarer Funktionen fk : Ω→ [0,∞] gilt daherˆ

Ω

∞∑k=0

fk =∞∑k=0

ˆΩfk.

Vertauschung von Summe und Integral §D1.3, S.234

Satz D1L (absolut konvergente Reihen in L1(Ω))Sei (fk)k∈N eine Folge messbarer Funktionen fk : Ω→ C. Dann gilt

ˆΩ

∞∑k=0

|fk| =∞∑k=0

ˆΩ|fk|.

Ist dieser Wert endlich, so ist∑∞

k=0 fk in fast allen Punkten x ∈ Ωabsolut konvergent, zudem über Ω absolut integrierbar, und es gilt

ˆΩ

∞∑k=0

fk =∞∑k=0

ˆΩfk.

Die erste Gleichung haben wir zuvor gezeigt. Die Punkte x ∈ Ω mit∑∞

k=0|fk(x)| = +∞bilden eine Nullmenge N . Für alle x ∈ Ω rN gilt

∑∞k=0|fk(x)| < +∞, und wir definieren

f(x) =∑∞

k=0 fk(x) durch die absolut konvergente Reihe. Für x ∈ N setzen wir f(x) = 0.

Die zweite Gleichung gilt für fk : Ω→ [0,∞]. Sie folgt für reelle Funktionen durch Zerlegungf = f+ − f−, und sodann für komplexe Funktionen durch Zerlegung f = Re f + i Im f .

Beispiel: Die Wallis–Reihe für π/2 §D1.3, S.235

Wir wollen die Kreiszahl π durch die Wallis–Reihe darstellen:

π

2=∞∑k=0

1 · 2 · · · k3 · 5 · · · (2k + 1)

= 1 +1

3+

1 · 23 · 5 +

1 · 2 · 33 · 5 · 7 + . . .

Zwei raffinierte Rechnungen: Einerseits gilt dank Substitutionˆ π/2

0

2 sin(t)

2− sin(t)2dt =

ˆ π/2

0

2 sin(t)

1 + cos2 tdt =

[−2 arctan(cos t)

]π/20

2.

Andererseits gilt dank absoluter Konvergenz der geometrischen Reihe:ˆ π/2

0

2 sin(t)

2− sin(t)2dt =

ˆ π/2

0

sin(t)

1− 12 sin(t)2

dt =

ˆ π/2

0

∞∑k=0

2−k sin(t)2k+1 dt

=∞∑k=0

ˆ π/2

02−k sin(t)2k+1 dt =

∞∑k=0

1 · 2 · 3 · · · k3 · 5 · 7 · · · (2k + 1)

Letzteres berechnet man rekursiv durch partielle Integration [S.100].

Fazit: Wann gilt Vertauschbarkeit? §D1.3, S.236

Für f =∑∞

k=0 fk möchten wir Integral und Summe vertauschen:

ˆΩ

( ∞∑k=0

fk(x)

)dx

?=

∞∑k=0

(ˆΩfk(x) dx

)Hierfür haben wir folgende hinreichende Kriterien:

Gleichheit gilt für fk ≥ 0 (monotone Konvergenz).Gleichheit gilt für

´ ∑|fk| <∞ bzw.∑ ´ |fk| <∞,

z.B. für konvergente Potenzreihen, fk(x) = akxk.

! Andernfalls ist Vorsicht geboten: Vertauschbarkeit gilt nicht immer!

Im folgenden warnenden Beispiel gilt∑ ´

fk 6=´ ∑

fk. Die Konvergenz ist nicht monoton,denn fk hat einen positiven und einen negativen Teil. Zudem gilt

∑ ´|fk| =

´ ∑|fn| =∞.

Unsere einfachen Kriterien lassen also für dieses Beispiel keinen Schluss zu. Wir müssen daher∑ ´fk und

´ ∑fk getrennt ausrechnen, um sie dann vergleichen zu können.

! Diese Kriterien sind hinreichend aber i.A. nicht notwendig [S.257].

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Punktweise Konvergenz §D2.1, S.237

Definition D2A

Eine Funktionenfolge fk : Ω→ R konvergiert punktweise für k →∞gegen eine Funktion f : Ω→ R, wenn fk(x)→ f(x) für jedes x ∈ Ω gilt

Beispiel: Für k ∈ N sei fk : R→ R definiert durch fk(x) = e−(x−k)2.

Für jedes x ∈ R und k → +∞ gilt fk(x)→ 0. Aber für die Integrale giltˆR

limk→+∞

fk(x) dx = 0 6= limk→+∞

ˆRfk(x) dx =

√π

Die anschauliche Ursache: Die „Masse verschwindet nach Unendlich“.Gleiches gilt für jede integrierbare Funktion f : Rn → R mit f(x)→ 0 für |x| → ∞, zumBeispiel f = IQ für einen endlichen Quader Q, und ihre Verschiebungen fk(x) = f(x− kv).

Punktweise Konvergenz §D2.1, S.238Erläuterung

In vielen Rechnungen stehen wie vor der Frage: Wie verhalten sichdie Integrale

´Ω fk und

´Ω f unter punktweiser Konvergenz fk → f?

Messbarkeit ist unkaputtbar! Sind alle fk messbar und konvergiertfk → f punktweise, dann ist auch die Grenzfunktion f messbar.

Stetigkeit und Integrierbarkeit hingegen können verloren gehen!

Monotone Konvergenz funktioniert! Aus fk f folgt´

Ω fk ´

Ω f .

Im Allgemeinen folgt aus fk → f jedoch nicht´

Ω fk →´

Ω f .Typisches Problem: „Masse verschwindet nach Unendlich“.

Unter welchen Voraussetzungen können wir´

Ω fk →´

Ω f schließen?

Stetigkeit und Integrierbarkeit sind zerbrechlich! §D2.1, S.239Erläuterung

! Sind alle Funktionen fk stetig bzw. integrierbar, so kann man nichtauf die Stetigkeit bzw. Integrierbarkeit der Grenzfunktion f schließen!

0 1

k

1/k

1

Für k ≥ 1 sei fk : [0, 1]→ R definiert durch

fk(x) =

k2x für 0 ≤ x ≤ 1

k ,1x für 1

k ≤ x ≤ 1.

Für jedes x ∈ ]0, 1] gilt limk→∞

fk(x) =1

x.

Jede der Funktionen fk ist stetig und somit integrierbar.Die Grenzfunktion f(x) = 1

x ist nicht stetig und auch nicht integrierbar.

! Selbst wenn alle fk und die Grenzfunktion f integrierbar sind,gilt im Allgemeinen nicht die Konvergenz der Integralfolge!

Grenzwert und Integral vertauschen nicht! §D2.1, S.240

1/r

−r r

Für r > 0 definieren wir die Dreiecksfunktion

∆r : R→ R durch ∆r(x) =

0 für |x| ≥ r,r−|x|r2 für |x| ≤ r.

Es gilt´R ∆r(x) dx = 1 für alle r > 0. Für jedes x ∈ R gilt

limr→0

∆r(x) = ∆0(x) :=

∞ für x = 0,0 für x 6= 0.

Für die Grenzfunktion gilt´R ∆0(x) dx = 0. Also

limr→0

ˆ∆r(x) dx = 1 6=

ˆlimr→0

∆r(x) dx = 0.

Die Ursache auch hier: „Die Masse verschwindet nach Unendlich“.

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Grenzwert und Integral vertauschen nicht! §D2.1, S.241

−r r

1/r

Für jedes x ∈ R giltlimr→∞

∆r(x) = 0.

Die Grenzfunktion hat daher Integral 0. Also

limr→∞

ˆ∆r(x) dx = 1 6=

ˆlimr→∞

∆r(x) dx = 0.

Die Ursache auch hier: „Die Masse verschwindet nach Unendlich“.

Dreiecksfunktionen (∆r)r∈R§D2.2, S.242

−4 −3 −2 −1 0 1 2 3 40

1

2∆r

Hüllfunktion zu (∆r)r∈R§D2.2, S.243

−4 −3 −2 −1 0 1 2 3 40

1

2∆r

h(x) = 14|x|

Majorisierte Integrierbarkeit: Definition §D2.2, S.244

Definition D2B (majorisiert integrierbare Familien)Sei (fi)i∈I eine Familie messbarer Funktionen fi : Ω→ R.Wir nennen h : Ω→ [0,∞] Majorante, wenn |fi| ≤ h für alle i ∈ I gilt.Die Familie heißt majorisiert integrierbar, wenn eine integrierbareMajorante existiert, also h : Ω→ [0,∞] mit |fi| ≤ h und

´Ω h <∞.

Bemerkung: Dank |fi| ≤ h gilt´

Ω|fi| ≤

´Ωh <∞, also ist jede Funktion fi integrierbar.

Die Funktion h ist eine Majorante für die gesamte Familie (fi)i∈I : Ihre Integrierbarkeitgarantiert anschaulich, dass keine Masse nach Unendlich verschwindet.

Angenommen, g = supi∈I |fi| ist messbar. Das ist immer der Fall, wenn I abzählbar ist undalle fi messbar sind. In diesem Fall ist g die kleinste Majorante, auch Hüllfunktion genannt,und die Familie (fi)i∈I ist genau dann majorisiert integrierbar, wenn

´Ωg <∞ gilt.

Beispiel: Zu (∆r)r∈R>0 ist h(x) = 14|x| eine Majorante. Dies ist die

kleinste Majorante, die sog. Hüllfunktion, denn ∆2|x|(x) = h(x).Die Familie (∆r)r∈R>0 ist nicht majorisiert integrierbar.Ebensowenig die Familie (fk)k∈N der wandernden Glockenkurven.

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Majorisierte Integrierbarkeit: Beispiel §D2.2, S.245

−4 −3 −2 −1 0 1 2 3 4 5 60

1f1f4f9f16

Wir untersuchen die Funktionenfolge fn : R→ R mit

fn(t) = exp

(n(

ln(

1 +t√n

)− t√

n

))für t > −√n, sowie fn(t) = 0 für t ≤ −√n.

Majorisierte Integrierbarkeit: Beispiel §D2.2, S.246

Die Funktionen fn scheinen zu konvergieren. . . Wogegen?

Aufgabe: Für jedes t ∈ R und n→∞ gilt fn(t)→ e−t2/2.

Genauer: fn(t) e−t2/2 für t ≥ 0, und fn(t) e−t

2/2 für t ≤ 0.

Hieraus gewinnen wir die Hüllfunktion

h(t) := supn≥1

fn(t) =

t e1−t für t ≥ 0,e−t

2/2 für t ≤ 0.

Diese Funktion h : R→ R≥0 ist absolut integrierbar.Also ist die Familie (fn)n∈N majorisiert integrierbar.

Majorisierte Integrierbarkeit: Beispiel §D2.2, S.247Lösung

Lösung: Für −1 < s < 1 nutzen wir die Potenzreihenentwicklung

ln(1 + s)− s = −s2

2+s3

3− s4

4+ . . .

Für s = t/√n mit −√n < t <

√n gilt also

n

(ln(

1 +t√n

)− t√

n

)= − t

2

2+

t3

3√n− t4

4n+ . . .

Für n→∞ konvergiert dies gegen −t2/2, also

fn(t)→ e−t2/2.

Per Kurvendiskussion findet man genauer:Für t ≥ 0 gilt fn(t) e−t

2/2.Für t ≤ 0 gilt fn(t) e−t

2/2.

Majorisierte Integrierbarkeit: Beispiel §D2.2, S.248Lösung

s

ln(1 + s)− s

s2

ln(1 + s)− s

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Der Satz von der majorisierten Konvergenz §D2.2, S.249

Satz D2C (majorisierte Konvergenz)Sei f0, f1, f2, . . . : Ω→ R eine Folge messbarer Funktionen.

1 Angenommen fn konvergiert punktweise gegen f : Ω→ R.2 Es existiert eine Majorante h : Ω→ R mit |fn| ≤ h und

´Ω h <∞.

Dann ist f integrierbar und´

Ω|fn − f | → 0, somit´

Ω fn →´

Ω f .

Die integrierbare Mojarante verhindert, dass die Funktionenfolge fn nach Unendlichentkommt. In den obigen Gegenbeispielen war genau das die Ursache des Problems!

Unter dieser Vorsichtsmaßnahme gilt also die schöne Formel

limn→∞

ˆΩfn(x) dx =

ˆΩ

limn→∞

fn(x) dx =

ˆΩf(x) dx.

Dies ist eine starke und nützliche Stetigkeitseigenschaft des Integrals! Sei h : Ω→ [0,∞]integrierbar. Auf der Menge aller messbaren Funktion f : Ω→ R mit |f | ≤ h ist dieAbbildung f 7→

´Ωf stetig, in dem Sinne, dass aus fn → f stets

´Ωfn →

´Ωf folgt.

! Die majorisierte Integrierbarkeit ist hier wesentlich.

Beweis der majorisierten Konvergenz §D2.2, S.250Erläuterung

Wir beginnen wir folgender Betragsabschätzung:

0 ≤∣∣∣∣ˆ fn −

ˆf

∣∣∣∣ =

∣∣∣∣ˆ fn − f∣∣∣∣ ≤ ˆ |fn − f |

Wir zeigen nun, dass die rechte Seite´|fn − f | für n→∞ gegen Null strebt.

Die folgende Rechnung ist etwas technisch, aber jeder einzelne Schritt ist leicht.

Lemma von Fatou: Sind fn : Ω→ [0,∞] messbar, dann gilt´

lim inf fn ≤ lim inf´fn.

Beweis des Lemmas: Für gn := infk≥n fk gilt gn ≤ fn und gn g = lim inf fn, alsoˆ

lim inf fn =

ˆlim gn

MK!= lim

ˆgn = lim inf

ˆgn ≤ lim inf

ˆfn.

Beweis des Satzes der majorisierten Konvergenz:

Aus |fn| ≤ h folgt |f | ≤ h (fast überall), somit |f − fn| ≤ |f |+ |fn| ≤ 2h. Mit Fatou folgt:ˆ2h =

ˆlim inf

(2h− |fn − f |

)≤ lim inf

ˆ (2h− |fn − f |

)= lim inf

(ˆ2h−

ˆ|fn − f |

)=

ˆ2h− lim sup

ˆ|fn − f |

Da der Wert´

2h endlich ist, können wir ihn auf beiden Seiten subtrahieren.Wir erhalten lim sup

´|fn − f | ≤ 0. Mit

´|fn − f | ≥ 0 folgt lim

´|fn − f | = 0.

Nochmal Integral und Summe §D2.2, S.251Erläuterung

Sei (gk)k∈N eine Folge messbarer Funktionen gk : Ω→ R mitˆ

Ω

∞∑k=0

|gk| =∞∑k=0

ˆΩ|gk| <∞.

Dank majorisierter Konvergenz erhalten wir erneutˆ

Ω

∞∑k=0

gk =∞∑k=0

ˆΩgk.

Für n→∞ gilt (fast überall) punktweise Konvergenz

fn =

n∑k=0

gk → f =

∞∑k=0

gk.

Zudem ist h =∑∞

k=0|gk| eine Majorante für (fn)n∈N, und somitˆ

Ωfn =

ˆΩ

n∑k=0

gk →ˆ

Ωf =

ˆΩ

∞∑k=0

gk.

Nochmal Integral und Summe §D2.2, S.252Erläuterung

Die absolute Konvergenz∑∞

k=0

´Ω|gk| <∞ ist hinreichend

aber nicht notwendig für die Gleichung´

Ω

∑∞k=0 gk =

∑∞k=0

´Ω gk.

Als einfaches und erhellendes Beispiel berechnen wir:∞∑k=0

(ˆ ∞x=0

(−1)ke−(k+1)x dx

)=∑k=0

(−1)k

k + 1= ln(2)

ˆ ∞x=0

( ∞∑k=0

(−1)ke−(k+1)x

)dx =

ˆ ∞x=0

e−x

1 + e−x= ln(2)

Absolute Konvergenz gilt hier nicht:∞∑k=0

(ˆ ∞x=0

e−(k+1)x dx

)=∑k=0

1

k + 1= +∞

ˆ ∞x=0

( ∞∑k=0

e−(k+1)x

)dx =

ˆ ∞x=0

e−x

1− e−x= +∞

Doch gilt majorisierte Konvergenz, denn∣∣∑n

k=0(−1)ke−(k+1)x∣∣ ≤ e−x.

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Fazit: Wann gilt Vertauschbarkeit? §D2.2, S.253

Für fn → f möchten wir Integral und Limes vertauschen:

limn→∞

ˆΩfn(x) dx

?=

ˆΩ

limn→∞

fn(x) dx

Dies ist eine starke und nützliche Stetigkeitseigenschaft des Integrals!

Hierfür haben wir folgende Kriterien:Gleichheit gilt bei monotoner Konvergenz 0 ≤ fn f ,bei majorisierter Konvergenz fn → f mit |fn| ≤ h und

´Ω h <∞,

insbesondere, wenn vol(Ω) <∞ und |fn| ≤M ∈ R für alle n ∈ N.

Dies verhindert, dass Masse nach Unendlich verschwindet.! Andernfalls ist Vorsicht geboten: Vertauschbarkeit gilt nicht immer!

Anwendung: Stirling–Formel §D2.3, S.254

0 10 20 30 40 501

1010

1020

1030

1040

1050

1060

1070

n! = 1 · 2 · 3 · · ·n

Anwendung: Stirling–Formel §D2.3, S.255

Aufgabe: Man berechne n!/√n(n/e)n für n→∞.

Lösung: Wir wissen bereits

n! =

ˆ ∞0

xn e−x dx.

Im Vergleich zu√n(ne

)n erhalten wir

n!√n(n/e)n

=

ˆ ∞0

exp

(n(

ln(xn

)+ 1− x

n

)) dx√n

Substitution x =√n t+ n bedeutet dx =

√n dt und x

n = 1 + t√n

, also

n!√n(n/e)n

=

ˆ ∞−√n

exp

(n(

ln(

1 +t√n

)− t√

n

))dt

Zu integrieren ist hier die Funktion

fn(t) = exp

(n(

ln(

1 +t√n

)− t√

n

))· I[−√n,+∞[(t).

Uns interessiert das Verhalten für n→∞.

Anwendung: Stirling–Formel §D2.3, S.256

Wir haben oben die punktweise Konvergenz gefunden:

fn(t)→ e−t2/2.

Zudem ist die Familie (fn)n∈N majorisiert integrierbar.Wir dürfen also Limes und Integral vertauschen:

limn→∞

ˆRfn(t) dt =

ˆR

limn→∞

fn(t) dt =

ˆR

e−t2/2 dt =

√2π

Satz D2D (Stirling–Formel)Für n→∞ gilt

n!√n(n/e)n

=

ˆRfn(t) dt →

ˆR

e−t2/2 dt =

√2π

Damit haben wir schließlich das Wachstumsverhalten der Fakultät n 7→ n! durch dieStirling–Formel als asymptotische Näherungsformel ausdrücken können [S.111].

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Parameterabhängige Integrale §D3.1, S.257

Ein parameterabhängiges Integral ist von der Form

F : X → C mit F (x) =

ˆYf(x, y) dy.

Beispiele: Wir kennen bereits die Gamma–Funktion

Γ: R>0 → R>0 mit Γ(x) =

ˆ ∞y=0

yx−1 e−y dy.

Die Fourier–Transformierte einer Funktion f : R→ C ist

f : R→ C mit f(x) =1√2π

ˆ +∞

y=−∞f(y) e−ixy dy.

Das Newton–Potential einer Massenverteilung ρ : R3 → R ist

F : R3 → R mit F (x) =

ˆy∈R3

ρ(y)

|y − x| dy.

Ist F stetig? differenzierbar? Wann gilt „Ableitung unter dem Integral“?∂

∂xj

ˆYf(x, y) dy

?=

ˆY

∂xjf(x, y) dy

Ableitung von Parameterintegralen (Rechtecke) §D3.2, S.258Erläuterung

Für Integrale über Rechtecken erhalten wir folgenden Spezialfall:

Satz D3A (Ableitungsregel für Integrale über Rechtecken)Sei f : [x0, x1]× [y0, y1]→ R stetig. Dann ist die Funktion

F : [x0, x1]→ R mit F (x) :=

ˆ y1

y0

f(x, y) dy

stetig. Ist zudem f stetig diff’bar bezüglich x, so auch F , und es gilt

F ′(x) =

ˆ y1

y0

∂xf(x, y) dy.

Kurzum:d

dx

ˆ y1

y0

f(x, y) dy =

ˆ y1

y0

∂xf(x, y) dy

Statt [x0, x1] können wir offene Mengen X ⊂ Rp betrachten.Statt [y0, y1] können wir über kompakte Y ⊂ Rq integrieren.

Ableitung von Parameterintegralen (kompakt) §D3.2, S.259

Wann dürfen wir unter dem Integral ableiten? Wir brauchen praktische Kriterien! Der folgendeSatz gibt ein besonders einfaches Kriterium für den wichtigen Spezialfall, dass derIntegrationsbereich kompakt ist. Wir heben diesen besonders schönen Fall hervor.

Satz D3B (Ableitungsregel für Integrale über Kompakta)Sei X ⊂ Rp offen, Y ⊂ Rq kompakt, f : X × Y → R stetig. Dann ist

F : X → R mit F (x) :=

ˆYf(x, y) dy

stetig. Ist zudem f stetig diff’bar bezüglich xj , so auch F , und es gilt

∂xjF (x) =

ˆY

∂xjf(x, y) dy.

Kurzum:∂

∂xj

ˆYf(x, y) dy =

ˆY

∂xjf(x, y) dy

! Kompaktheit von Y und Stetigkeit von f bzw. ∂f∂xj

sind wesentlich!

Ableitung von Parameterintegralen (kompakt) §D3.2, S.260Erläuterung

Beweis: Stetigkeit gilt dank majorisierter Konvergenz.Sei p = 1 und x ∈ [a, b] ⊂ X. Dank HDI und Fubini berechnen wir

F (x)− F (a)lin=

ˆYf(x, y)− f(a, y) dy

HDI=

ˆY

ˆ x

t=a

∂tf(t, y) dtdy

Fubini=

ˆ[a,x]×Y

∂tf(t, y) d(t, y)

Fubini=

ˆ x

t=a

ˆY

∂tf(t, y) dy dt

Nochmals dank HDI und Stetigkeit folgt hieraus

F ′(x)HDI=

ˆY

∂xf(x, y) dy.

Erläuterung: Die Vertauschung von Ableitung und Integral führen wir dank HDI zurück aufdie Vertauschung von zwei Integralen. Der Satz von Fubini lässt sich anwenden, da f stetig istund somit absolut integrierbar auf [a, b]× Y . Der HDI lässt sich anwenden dank Stetigkeit.

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Anwendung: Newton–Potential §D3.2, S.261

Das Newton–Potential einer Masse m ≥ 0 im Punkt y ∈ R3 ist

F : R3 r y → R mit F (x) =m

|y − x|

(bis auf Konstanten&Vorzeichen). Das zugehörige Gravitationsfeld ist

f : R3 r y → R3 mit f(x) = gradF (x) = my − x|y − x|3 .

Für K ⊂ R3 kompakt und Dichte ρ : K → R haben wir entsprechend

F : R3 rK → R mit F (x) =

ˆK

ρ(y)

|y − x| dy.

Das zugehörige Gravitationsfeld ist dann

f : R3 rK → R3 mit f(x) = gradF (x) =

ˆK

y − x|y − x|3 ρ(y) dy.

Übung: Man prüfe die Rechnung für gradF sorgfältig nach.

Anwendung: Newton–Potential §D3.2, S.262Ergänzung

Aus f = gradF folgt für die Divergenz

div f =∂f1

∂x1+∂f2

∂x2+∂f3

∂x3

=∂2F

∂x21

+∂2F

∂x22

+∂2F

∂x23

= ∆F.

Man nennt ∆ = div grad = ∂2

∂x21

+ ∂2

∂x22

+ ∂2

∂x23

den Laplace–Operator.

Eine Funktion F mit der Eigenschaft ∆F = 0 heißt harmonisch.

Übung: Das Newton–Potential F : R3 r y → R mit

F (x) =m

|y − x|ist harmonisch, ebenso F : R3 rK → R mit

F (x) =

ˆK

ρ(y)

|y − x| dy.

Leibniz–Regel für Integrale über Normalbereiche §D3.2, S.263Ergänzung

Satz D3C (Leibniz–Regel für Integrale über Normalbereiche)Sei X ⊂ Rp offen und g, h : X → R stetig mit g ≤ h sowie

B =

(x, y) ∈ Rp+1∣∣ x ∈ X, g(x) ≤ y ≤ h(x)

.

Sei f : B → R stetig. Dann ist die Funktion

F : X → R mit F (x) :=

ˆ h(x)

g(x)f(x, y) dy

stetig. Sind zudem f, g, h stetig diff’bar bezüglich x, so auch F , und

∂F

∂xj(x) =

ˆ h(x)

g(x)

∂f

∂xj(x, y) dy − f(x, g(x))

∂g

∂xj(x) + f(x, h(x))

∂h

∂xj(x).

Der HDI ist ein Spezialfall: ddx

´ xa f(y) dy = f(x).

Leibniz–Regel für Integrale über Normalbereiche §D3.2, S.264Ergänzung

Wie zuvor dürfen wir „unter dem Integral ableiten“, jetzt aber kommen zusätzlich dieAbleitungen der Intervallgrenzen hinzu. Der Einfachheit halber denken wir uns f fortgesetztzu einer stetig differenzierbaren Funktion f : X × R→ R.

Beweis: Für x ∈ X und u, v ∈ R betrachten wir die Funktion

G(x, u, v) =

ˆ v

uf(x, y) dy

Diese ist stetig in x, u, v. Also ist F (x) = G(x, g(x), h(x)) stetig in x.Für die Ableitung finden wir dank Kettenregel und HDI:

∂F

∂xj(x) =

∂G

∂x(x) +

∂G

∂u

∂g

∂xj(x) +

∂G

∂v

∂h

∂xj(x)

=

ˆ h(x)

g(x)

∂f

∂xj(x, y) dy − f(x, g(x))

∂g

∂xj(x) + (x, h(x))

∂h

∂xj(x)f

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Gegenbeispiel zur Stetigkeit des Integrals §D3.2, S.265

Für g : R→ R mit g(t) = e−t2

haben wir´R g(t) dt =

√π gezeigt.

Die Funktion f : R× R→ R mit f(x, y) = x g(xy) ist stetig.

y

f(x, y) = xe−(xy)2

Das parameterabhängige Integral F (x) =´R f(x, y) dy ist nicht stetig:

F (x) =

√π für x > 0,

0 für x = 0,−√π für x < 0.

Nachrechnen des Gegenbeispiels §D3.2, S.266Lösung

Die Funktion g(t) = e−t2

dient als schönes und konkretes Beispiel.Das Phänomen besteht jedoch für jede stetige Funktion g : R→ R≥0.Das Integral a :=

´R g(t) dt erfülle für das Folgende 0 < a <∞.

Die Funktion f : R× R→ R mit f(x, y) = x g(xy) ist stetig.Dennoch ist das Parameterintegral F (x) =

´R f(x, y) dy unstetig:

F (x) =

ˆRf(x, y) dy =

ˆRx g(xy) dy

= sign(x)

ˆRg(xy) |x| dy

Substitution t = xy und dt = |x| dy:

= sign(x)

ˆRg(t) dt

= sign(x) a

Das Umklappen des Vorzeichens ist in der Skizze gut zu erkennen.

Gegenbeispiel zur Ableitung unter dem Integral §D3.2, S.267

Für g : R→ R mit g(t) = e−t2

haben wir´R g(t) dt =

√π gezeigt.

Die Funktion f : R× R→ R mit f(x, y) = x|x| g(xy) ist stetig diff’bar.

y

f(x, y) = x|x|e−(xy)2

Wir finden F (x) =´R f(x, y) dy = x

√π, also F ′(x) =

√π, aber

ˆR

∂f

∂x(x, y) dy =

√π für x 6= 0,

0 für x = 0.

Aufgabe: Man prüfe diese Rechnung sorgfältig nach.

Nachrechnen des Gegenbeispiels §D3.2, S.268Lösung

Lösung: Dank Substitution t = xy und dt = |x|dy gilt

F (x) =

ˆRf(x, y) dy =

ˆRx|x| g(xy) dy = x

ˆRg(t) dt = x

√π.

Also F ′(x) =√π. Ableiten unter dem Integral liefertˆ

R

∂xf(x, y) dy =

ˆR

2|x| g(xy) + xy|x| g′(xy) dy.

Das verschwindet für x = 0. Für x 6= 0 substituieren wir erneut:ˆR

∂xf(x, y) dy =

ˆR

2|x| g(xy) + xy|x| g′(xy) dy

= 2

ˆRg(t) dt− 2

ˆRt2g(t) dt = 2

√π −√π =

√π

(Siehe unten, Momente der Normalverteilung.) In x = 0 gilt also

d

dx

ˆRf(x, y) dy = π 6=

ˆR

∂xf(x, y) dy = 0.

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Ableitung von Parameterintegralen (allgemein) §D3.3, S.269

Im den vorangegangenen Sätzen war der Integrationsbereich Y kompakt. Was tun, wenn übereinen nicht-kompakten Bereich integriert wird, etwa R oder Rn? Wie zuvor müssen wirverhindern, dass Masse nach Unendlich verschwindet. Das gelingt am besten wie folgt:

Satz D3D (Ableitung von Parameterintegralen)Sei f : X × Y → R mit X ⊂ Rp offen und Y ⊂ Rq. Ist für jedes x ∈ Xdie Abbildung y 7→ f(x, y) über Y integrierbar, so erhalten wir

F : X → R mit F (x) :=

ˆYf(x, y) dy.

1 Ist f bezüglich x stetig und majorisiert int’bar über Y ,also |f(x, y)| ≤ h(y) mit

´Y h(y) dy <∞, so ist F stetig.

2 Ist ∂f∂xj

: X → Y stetig bezüglich xj und majorisiert int’bar über Y ,so ist auch F stetig diff’bar bezüglich xj , und es gilt

∂xjF (x) =

ˆY

∂xjf(x, y) dy.

Stetigkeit von Parameterintegralen (allgemein) §D3.3, S.270Erläuterung

Wir rechnen als erstes die Stetigkeit von F nach: Für x→ a in X gilt

limx→a

F (x) = limx→a

ˆYf(x, y) dy

(1)=

ˆY

limx→a

f(x, y) dy(2)=

ˆYf(a, y) dy = F (a)

Erläuterung: Man sieht hieraus, dass für die Stetigkeit von F im Punkt a ∈ X genügen:

(1) Für alle x ∈ X , oder zumindest alle x in einer Umgebung von a,ist die Abbildung f(x,−) : Y → R : y 7→ f(x, y) majorisiert integrierbar.

(2) Für jedes y ∈ Y ist die Abbildung f(−, y) : X → R : x 7→ f(x, y) in a stetig.Das bedeutet limx→a f(x, y) = f(a, y) für alle x→ a und y ∈ Y .

Diese Bedingungen sind automatisch erfüllt, wenn f : X × Y → R stetig und Y kompakt ist:Als Majorante wählen wir die Konstante M = sup

|f(x, y)|

∣∣ x ∈ B(a, r), y ∈ Y

.Hier ist B(a, r) ⊂ X der kompakte Ball mit Mittelpunkt a und Radius 0 < r <∞.

Im zweiten Teil leiten wir bezüglich xj ab und halten dabei x1, . . . , xj−1, xj+1, . . . , xp fest.Wir fordern dann die Bedingungen (1) und (2) für die Ableitung ∂f

∂xj: X × Y → R.

Zur einfacheren Schreibweise reicht es, den Fall einer Variablen zu betrachten, also p = 1.

Ableitung von Parameterintegralen (allgemein) §D3.3, S.271Erläuterung

Sei p = 1 und x ∈ [a, b] ⊂ X.

F (x)− F (a)lin=

ˆYf(x, y)− f(a, y) dy

HDI=

ˆY

ˆ x

t=a

∂tf(t, y) dt dy

Fubini=

ˆ[a,x]×Y

∂tf(t, y) d(t, y)

Fubini=

ˆ x

t=a

ˆY

∂tf(t, y) dy dt

Nochmals dank HDI und Stetigkeit folgt hieraus

F ′(x)HDI=

ˆY

∂xf(x, y) dy.

Erläuterung: Die Vertauschung von Ableitung und Integral führen wir dank HDI zurück aufdie Vertauschung von zwei Integralen. Der Satz von Fubini lässt sich hier anwenden,da f majorisiert integrierbar ist und somit absolut integrierbar auf [a, b]× Y .Die Stetigkeit wird im letzten Schritt für den HDI gebraucht!

Ableitung von Parameterintegralen (allgemein) §D3.3, S.272Erläuterung

Als alternativen Beweis der Ableitungsformel weisen wir folgende Gleichungen nach:

∂xjF (x)

(1)= lim

h→0

F (x+ hej)− F (x)

h

(2)= lim

h→0

ˆY

f(x+ hej , y)− f(x, y)

hdy

(3)=

ˆY

limh→0

f(x+ hej , y)− f(x, y)

hdy

(4)=

ˆY

∂xjf(x, y) dy

Gleichung (1) und (4) ist die Definition der partiellen Ableitung, (2) gilt dank Linearität desIntegrals, also bleibt (3) zu zeigen. Dank der vorausgesetzten majorisierten Integrierbarkeitexistiert eine Funktion h : Y → [0,∞] mit

´Yh <∞ und | ∂

∂xf(x, y)| ≤ h(y).

Nach dem (eindimensionalen) Mittelwertsatz der Differentialrechnung gilt

f(x+ hej , y)− f(x, y)

h=

∂f

∂xj(x+ ηej , y) für ein η ∈ [0, h].

Durch Übergang zum Betrag folgt hieraus∣∣∣∣f(x+ hej , y)− f(x, y)

h

∣∣∣∣ =

∣∣∣∣ ∂f∂xj (x+ ηej , y)

∣∣∣∣ ≤ h(y).

Somit gilt (3) dank majorisierter Konvergenz.

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Anwendung: Gamma–Funktion §D3.3, S.273

Aufgabe: Durch Ableiten unter dem Integral berechne man (erneut)ˆ ∞x=0

xn e−x dx = n!

Diese Gleichung haben wir bereits durch partielle Integration gewonnen [S.124]. Das war auchnicht wirklich schwierig, aber doch etwas mühsamer. Differenzieren ist leichter.

Lösung: Für t > 0 betrachten wir das Integralˆ ∞x=0

e−tx dx.

Integriert wird hier über x, wobei t ein fester Parameter ist:ˆ ∞x=0

e−tx dx =[−e−tx

t

]∞x=0

=1

t.

Die Ableitung unter dem Integral −xe−tx ist majorisiert integrierbar:Für 0 < t0 < t gilt |−xe−tx| ≤ xe−t0x, und letzteres ist integrierbar.

Anwendung: Gamma–Funktion §D3.3, S.274

Wir dürfen daher unter dem Integral nach t ableiten:ˆ ∞x=0−xe−tx dx = − 1

t2, also

ˆ ∞x=0

xe−tx dx =1

t2.

Nochmaliges Ableiten nach t liefertˆ ∞x=0−x2e−tx dx = − 2

t3, also

ˆ ∞x=0

x2e−tx dx =2

t3.

Nochmaliges Ableiten nach t liefertˆ ∞x=0−x3e−tx dx = −3!

t4, also

ˆ ∞x=0

x3e−tx dx =3!

t4.

Per Induktion erhalten wir:ˆ ∞x=0

xn e−tx dx =n!

tn+1

Anwendung: Momente der Normalverteilung §D3.3, S.275Erläuterung

Aufgabe: Durch Ableiten unter dem Integral berechne manˆRxn

e−x2/2

√2π

dx =

1 · 3 · 5 · · · (n− 1) falls n gerade,0 falls n ungerade.

Die Funktion ϕ(x) = e−x2/2/√

2π ist die Dichte der Standardnormalverteilung, die in derWahrscheinlichkeitsrechnung eine zentrale Rolle spielt. Das Integral über xϕ(x) ist ihrMittelwert (Schwerpunkt), hier = 0 aus Symmetriegründen. Das Integral über x2ϕ(x) ist ihreVarianz (Trägheitsmoment). Allgemein nennt man das Integral über xnϕ(x) das n–te Moment.

Lösung: Wir wissen bereitsˆR

e−y2

dy =√π.

Substitution y = x√t/2 mit t > 0 und dy = dx

√t/2 ergibtˆ

Re−tx

2/2 dx = t−12

√2π.

Anwendung: Momente der Normalverteilung §D3.3, S.276Erläuterung

Wir dürfen unter dem Integral nach t ableiten und erhaltenˆR−x

2

2e−tx

2/2 dx = −1

2t−

32

√2π,

alsoˆRx2e−tx

2/2 dx = t−32

√2π.

Nochmaliges Ableiten nach t liefertˆR−x

4

2e−tx

2/2 dx = −3

2t−

52

√2π,

alsoˆRx4e−tx

2/2 dx = 3 · t− 52

√2π.

Nochmaliges Ableiten nach t liefertˆRx6e−tx

2/2 dx = 3 · 5 · t− 72

√2π.

Dieses Muster setzt sich fort. Per Induktion erhalten wirˆRx2ke−tx

2/2 dx = 1 · 3 · 5 · · · (2k − 1) · t− 2k+12

√2π.

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Anwendung: Ein erstes Fourier–Integral §D3.3, S.277

Aufgabe: Man berechne das parameterabhängige Integral

F : R→ R mit F (x) =

ˆ +∞

y=−∞e−y

2cos(xy) dy.

y

e−y2 cos(xy)

x = 0

x = 4

Existiert das Integral für jedes x ∈ R? Ja, denn |e−y2cos(xy)| ≤ e−y

2.

Ist F stetig? Ja, denn e−y2

cos(xy) ist bzgl. y majorisiert integrierbar.Ist F differenzierbar? Ja, dank majorisierter Int’barkeit der Ableitung:∣∣∣∣∂f∂x

∣∣∣∣ =∣∣∣e−y2 · (−y) sin(xy)

∣∣∣ ≤ |y|e−y2.

Anwendung: Ein erstes Fourier–Integral §D3.3, S.278

Lösung: Ableiten unter dem Integral und partielle Integration:

F ′(x) =d

dx

ˆ +∞

y=−∞e−y

2cos(xy) dy =

ˆ +∞

y=−∞e−y

2(−y) sin(xy) dy

=[1

2e−y

2sin(xy)

]+∞

y=−∞− 1

2

ˆ +∞

y=−∞e−y

2x cos(xy) dy = −x

2F (x).

Wir kommen so auf die Differentialgleichung

F ′(x) = −1

2xF (x).

Diese wird gelöst durch F (x) = c · e−x2/4 mit c ∈ R.Wir kennen zudem den Anfangswert F (0) =

√π. Daraus folgt

F (x) =√πe−x

2/4.

Man rechnet leicht nach, dass u(x) = c · e−x2/4 die Gleichung u′(x) = x2u(x) erfüllt.

Wir werden später sehen, dass dies wirklich alle Lösungen der Differentialgleichung sind.Anders gesagt, der Anfangswert u(0) legt die Lösung eindeutig fest, hier u(x) =

√πe−x2/4.

Fazit: Wann gilt Vertauschbarkeit? S.279

Sei f : X × Y → R mit X ⊂ Rp offen und Y ⊂ Rq. Ist für jedes x ∈ Xdie Abbildung y 7→ f(x, y) über Y integrierbar, so erhalten wir

F : X → R mit F (x) :=

ˆYf(x, y) dy.

Für die Stetigkeit von F haben wir folgende Kriterien:Stetigkeit gilt, wenn f stetig und Y kompakt ist, oder allgemeiner,wenn f bezüglich x stetig ist und majorisiert integrierbar über Y .

In diesem Fall gilt die schöne Formel

limx→x0

ˆYf(x, y) dy =

ˆY

limx→x0

f(x, y) dy =

ˆYf(x0, y) dy.

! Andernfalls ist Vorsicht geboten: Stetigkeit gilt nicht immer!

Fazit: Wann gilt Vertauschbarkeit? S.280

Wir wollen unter dem Integral ableiten gemäß

F (x) =

ˆYf(x, y) dy

?=⇒ F ′(x) =

ˆYf ′(x, y) dy

Für die Gültigkeit dieser Gleichung haben wir folgende Kriterien:

Sie gilt, wenn ∂f∂xj

stetig und Y kompakt ist, oder allgemeiner,

wenn ∂f∂xj

bezüglich xj stetig ist und majorisiert int’bar über Y .

In diesem Fall gilt die schöne Formel

∂xj

ˆYf(x, y) dy =

ˆY

∂xjf(x, y) dy.

! Andernfalls ist Vorsicht geboten: Vertauschbarkeit gilt nicht immer!