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Rekonstruktion des Forum Romanum und der Kaiserforen von Sallustio Peruzzi
Der >gro(3e Rom-Plan< von Pirro Ligorio 11561), reduzierte Version aus Georg Braun & Franz Hogenberg, >Civitates orbis terrarum<, Bd. 4, Köln 1617
6.3 I Die Stadt Rom in der Antike zeichnerisch rekonstruiert: 1561, Pirro Ligorio
Pirro Ligorio (circa 1513-1583) kam 1534 nach Rom und führte dort enorm ausführliche und gründliche Studien zur antiken Kunst und zu vielen anderen Gebieten der antiken Kultur durch. Gemessen am Umfang seiner Studien brachte er nur wenig zur Publikation: außer dem großen Plan des antiken Rom von 1561, sieben Stiche von einzelnen antiken Monumenten, einen kleinen Plan des antiken Rom (1552) und einen Führer zu den antiken Theatern, Zirkussen und Amphitheatern (1553). Allerdings sind von ihm zahlreiche umfangreiche Manuskripte mit Antikenstudien erhalten, verstreut über sechs Bibliotheken, davon allein zehn in der Nationalbibliothek in Neapel und 20 im Staatsarchiv von Turin. Der große Plan des antiken Rom trägt den Titel >AN-TIQUAE URBIS ROMAE IMAGO ACCURATIS-SIMA EX VETUSTIS MONUMENTIS [...] COL-LECTA<. Er zeigt alle Bauten, die durch Quellen überliefert waren, ohne festzulegen, zu welcher Zeit
die Stadt so ausgesehen haben soll, wie sie dargestellt ist. Eine Inschrift gibt ausführlich an, auf welcher Grundlage die Erscheinung des antiken Rom aus den antiken Ruinen rekonstruiert ist: nämlich mit Hilfe von antiken Schriften, Münzbildern und Inschriften. Zentrale Bedeutung hatten für Ligorio die antiken Regionenkataloge, die damals Publius Victor und Sextus Rufus zugeschrieben wurden und seit Beginn der Renaissance zur Identifizierung der Bauten beitrugen. Viele von den Darstellungen einzelner Bauten im Plan gleichen antiken Münzbildern. Die Idee, das antike Rom in seiner Gesamtheit genau zu rekonstruieren, kam unter Papst Leo X. auf und wurde von dessen Nachfolgern bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts weiter verfolgt. Die Accademia della Virtü erhob die Idee neuerlich zum Programm. Ein erstes Ergebnis der Studien bildete der Rom-Plan, den der Humanist Fabio Calvo, der Vitruv für Raffael ins Italienische übersetzte, 1527 publizierte. Dort sind nur die Hügel und einige prominente Bauten angegeben. Schon Calvo setzte Münzbilder ein, um Bauten zu veranschaulichen. Der Humanist Bartolomeo Marliano publizierte in der Edition seines gelehrten Rom-Führers von 1544 einen Plan des antiken Rom, in dem die Topografie realistischer wiedergegeben und der Verlauf einiger Hauptstraßen markiert ist; die Lage prominenter antiker Monumente ist meist nur durch Namen oder einige Grundrisse bezeichnet. Ligorios kleiner Plan des antiken Rom von 1552 gleicht generell demjenigen Marlianos. Der große Rom-Plan dagegen kommt dem von Leo X. protegierten Vorhaben näher, indem er sämtliche bekannten Bauten im Einzelnen wiedergibt. Vielleicht hatte das Programm der Accademia della Virtü Ligorio dazu angeregt. Er hatte Kontakte zu ihr und zu Sallustio Peruzzi, der, ausgehend von den Studien aus dem Pontifikat Leos X., die antike Topografie der Region um die Kaiserforen gezeichnet hat. Ligorio zeigt das antike Rom aus der Vogelperspektive. Die Vogelperspektive ist typisch für die Stadtpläne, die sich seit dem späten 15. Jahrhundert verbreiteten (wie der Francesco Rosselli zugeschriebene sogenannte Kettenplan von Florenz, der um 1472 entstanden ist, oder der großartige Plan von Venedig, den Jacopo de'Barbari im Jahre 1500 publizierte), aber Ligorio legt den Blickpunkt höher als in den beiden genannten Beispielen, ähnlich wie in dem großen sogenannten Mantuaner Rom-Plan, dessen Prototyp um 1490 entstand. Zudem erinnert Ligorios Rom-Plan aber auch an die Art der Darstellung von Städten in antiken Reliefs oder in spätantiken Handschriften, wie den Kompendien der Agrimensoren oder dem Vatikanischen Vergik Ligorios Plan ist geostet (Osten liegt am oberen Rand), so dass der Tiber am unteren Bildrand verläuft. Allerdings sind viele Bauten unabhängig davon so gezeigt, dass man ihre Front sehen kann. Das Gewirr der zahllosen Bauten verdeckt weitgehend die Straßen, und auch die Hügel kommen kaum zur Geltung. Ausnahmen bilden der Kapitolinische Hügel, weil der Tarpe-ische Felsen als besonderer historischer Ort unterhalb vom Tempel des Kapitolinischen Jupiter eingezeichnet ist, oder die Via Flaminia beziehungsweise Via Lata (der heutige Corso), die von der Porta Flaminia (links)
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Originalveröffentlichung in: Nerdinger, Winfried (Hrsg.): Geschichte der Rekonstruktion, Konstruktion der Geschichte [Ausstellungskatalog], München 2010, S. 374-377
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Rekonstruktion des Dioskurentempels von Giovanni Battista da Sangallo
Grundriss des Dioskurentempels von Andrea Palladio, in: >l quattro libri delt'architettura<, 1570, IV. Buch
parallel zu den horizontalen Rändern des Stichs bis zum Kapitol durchläuft. Im Übrigen wird meist nicht einmal klar, wie sich die großen Landstraßen, die auf die Tore Roms treffen, in der Stadt fortsetzen. Dieses Desinteresse an den Verkehrswegen mag seine Rechtfertigung darin finden, dass in Rom nie eine klare städtische Struktur erkennbar war. Das wurde in der Antike wie in der Renaissance angesprochen. Livius (>Ab urbe condita< 5.55.5) schreibt, die Gestalt der Stadt sei durch die Hast beim Wiederaufbau nach der Zerstörung durch die Gallier im Jahr 390 v. Chr. mehr durch zufällige Okkupation des Grundes als durch eine vernünftige Verteilung geprägt worden. Tacitus (>Annales< 15.38 und 43) meint, der Neronische Brand im Jahr 64 n. Chr. habe sich so rasch ausbreiten können, weil sich die engen und gewundenen Straßen plan- und regellos durch die weitläufigen Blöcke der >insulae< schlängelten. Der Wissensschatz, der hinter Ligorios Rom-Plan steht, kommt erst dann recht zur Geltung, wenn man im Detail betrachtet, wie die einzelnen Bauten rekonstruiert sind. Das ist an dieser Stelle nicht möglich; aber es soll auch nicht völlig übergangen werden. Man beachte bei den noch erhaltenen Bauten die Darstellung der Diokletiansthermen nach Ligorios separatem Stich, die Rekonstruktion einer Pilastergliederung vor der einfachen Ziegelwand am Außenbau des Pantheons, die Rekonstruktion von vier Haupteingängen und der oberen Ränge am Kolosseum oder die liebevolle Rekonstruktion des Circus Maximus mit all seinen Meten inmitten der Rennbahn. Wir werfen einen kurzen Blick auf die Darstellung des Zentrums im großen Rom-Plan. Auf dem Forum Romanum sind alle Bauten berücksichtigt, die man kannte, die erhaltenen ebenso wie die Ruinen, die rekonstruiert sind (etwa der Dioskurentempel beziehungsweise der vermeintliche Tempel des Jupiter Stator, den Labacco und Palladio rekonstruiert haben; vgl. Kat.-Nr.6.4), und solche, die nur in antiken Schriften erwähnt sind (wie etwa das Senaculum unterhalb vom Kapitol). Unter dem Kaiserforum erkennt man, von links nach rechts, das Trajansforum, das Augus-tusforum und das Nervaforum oder Forum Transito-rium. Der einem Triumphbogen ähnliche Eingang und der Tempel des Trajansforums sind nach Münzbildern rekonstruiert. Das Augustusforum ist erstmals wie heute lokalisiert. Labacco hatte es noch als Teil des Trajansforums bezeichnet (Kat.-Nr. 6.2). Sein Eingang ist in Analogie zum Trajansforum gestaltet. Schon Labacco hatte eine Rekonstruktion des hinteren Teils des Augustusforums publiziert. Aus einem Münzbild schloss Ligorio, dass der Mars-Ultor-Tempel rund gewesen sei und setzte daher vor die noch heute erhaltene Ruine einen Rundtempel. Das Nervaforum, das damals weitgehend erhalten war, ist so genau wie möglich wiedergegeben. Ein Problem bereitete Ligorio allerdings die hohe rus-tizierte Rückwand des Augustusforums. Er berücksichtigt sogar dessen unregelmäßigen Verlauf, aber seine Lage, speziell sein Verhältnis zum Nervaforum hat er falsch angegeben. Ähnlich verhedderte sich Leonardo Bufalini immer wieder bei der Wiedergabe der to-pografischen Verhältnisse in seinem Plan des modernen Rom von 1551.
Wenn man sich vom Trajansforum dem Quirinal zuwendet, passiert man zuerst den Trajansmarkt, von Ligorio treffend wiedergegeben und fantasievoll rekonstruiert, aber nicht im rechten Verhältnis zum Trajansforum lokalisiert. Dahinter müsste die Alta Semita liegen, die Straße, die bis heute in gerader Linie über den Hügel führt. Sie fehlt bei Ligorio. Aber man erkennt das Serapeum des Caracalla, damals meist als Sonnentempel des Aurelian identifiziert, das links (westlich) von ihr am Abhang des Hügels zum Marsfeld hin liegt, mit seiner Tempelfront, den beiden großen Treppen, die zu ihr hochführen, und den Stützmauern daneben. Schräg gegenüber auf der anderen Seite der Alta Semita liegen die Konstantinsthermen, sorgfältig, aber nicht konsequent übereinstimmend mit den damals noch weitgehend erhaltenen Strukturen rekonstruiert und viel zu groß in Relation zum Serapeum. Beide Ruinen wurden im 17. Jahrhundert vollends zerstört. Es folgen die berühmten Standbilder der Dioskuren, die auch heute noch an ihrem Platz stehen. Wenn man sich vom Kolosseum dem Esquilin zuwendet, trifft man erst auf die Titusthermen, dann auf die Trajansthermen, beide nach relativ geringen Resten recht freizügig rekonstruiert, beide mit einer großen Rotunde im Zentrum der Anlage, ganz im Unterschied zur Disposition der berühmtesten, größten und am besten erhaltenen Thermen, den Diokletianthermen. Und im Gegensatz dazu, wie man bisher gemeinhin die Funktionen der Thermen rekonstruiert hatte, nämlich mit der Lokalisierung des Badebetriebs in den Seitenflügeln, ist hier die zentrale Rotunde als Cal-darium bezeichnet. Ligorio fügt in seinem Stich der Diokletiansthermen an der Stelle des kleinen Tepi-dariums eine ähnliche kolossale Rotunde ein und bezeichnet sie als >bagno<. Das Oktogon, das hier die Konstantinsthermen rückwärtig abschließt, scheint wegen der Parallele zu den anderen Thermen auch das Hauptbad bilden zu sollen. Was sich Ligorio bei der freien Rekonstruktion der mächtigen Rundbäder gedacht hat, ist offen. Hier soll nur daraufhingewiesen werden, dass die einzelnen Bauten des Rom-Plans trotz ihrer enormen Menge sogar ernst zu nehmende Fragen der Rekonstruktion aufwerfen. Vor der Front der Titusthermen, die dem Marsfeld zugewandt ist, hinter dem Kolosseum, erscheint eine Rotunde mit Kuppel und seitlichen Flügeln mit zwei Stockwerken von Säulen. Die Darstellung stammt von einem Münzbild, das seinerzeit als Domus Aurea des Nero verstanden wurde. Tatsächlich gehörte der untere Abhang des Esquilin zur Domus Aurea. Dahinter folgt ein großes Wohngebiet, wie den antiken Schriften zu entnehmen war. Das Aussehen der vielen kleinen Häuser hat Ligorio sicher frei erfunden, und dabei war teilweise die Bautradition der Renaissance maßgeblich. Der Esquilin wird überragt von dem gewaltigen Palast des Maecenas. Er war in der Antike wegen seiner Schönheit berühmt, und daher bemühte man sich seit dem Beginn der Renaissance, ihn zu lokalisieren. Antike Schriften berichten, dass er auf dem Esquilin liege, und rühmen euphemistisch, er reiche bis zu den Wolken. Jedenfalls muss er eine gute Aussicht geboten haben, denn Nero beobachtete von ihm aus den Brand von Rom. Deshalb stellt ihn
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Ligorio als Hochhaus dar, das sich nach oben zu verjüngt, so wie es von der Ant ike bis zumindest in die Frührenaissance hinein typisch für die Darstellung hoher Häuser war. Aber Ligorios Darstellung unterscheidet sich von den früheren durch ihre Vielfalt. Für jedes Geschoss erfindet er eine besondere Form. Man vergleiche mit diesem fantasievollen Bau Filaretes zahlreiche Illustrationen von ähnlich disponierten hohen Häusern, die stereotyp die gleichen Elemente wiederholen. Indem sich der Palast des Maecenas nach oben verjüngt, entsteht Platz für Terrassen. Das entspricht den Berichten, dass zu ihm Gärten mit vielen Terrassen gehörten. A ls >horti et domus Maecenatis< ist die Anlage denn auch bezeichnet. Wegen der Gär ten ist es sinnvoll, dass die Anlage nahe am Ende einer Wasserleitung steht, der A q u a Iulia. Sie speiste dort einen prächtigen Brunnen, in der Renaissance >Trofei di Mario< genannt, wegen der Trophäen, die in ihren Arkaden standen und 1590 auf das Kapito l gebracht wurden. Ligorio berücksichtigt sie. Er weist in seiner Legende zu dem Bau eigens daraufhin, dass die volkstümliche Bezeichnung falsch sei und stellt richtig, dass es sich um ein Wasserreservoir (Castrum A q u a r u m ) gehandelt habe. Über die Rekonstruktion der vielen Bauten in Ligorios großem Plan des antiken R o m ließe sich ein eigenes Buch machen, und das ist auch bald geschehen. Jacques Androuet D u Cerceau publizierte 1584 unter dem Titel >Livre des edifices antiques romains< ein Werk mit Stichen von circa 100 Bauten, vergrößerte Paraphrasen von Ligorios Darstellungen (vgl. K a t -Nr. 6.3). I Hubertus Günther
Lit.: Frutaz (Hg.) 1962, Pläne 16-17 a-b; Bums 1988; Fagiolo 1991, S. 12f.; Schreurs 2000; McGowan 2002; Coffin 2004