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Die Zukunft der Fotovoltaik Evonik-Magazin 4 | 2008 Evonik - Magazin 4 | 2008

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Page 1: Evonik Magazin 4/2008 · FOTOS: GETTY IMAGES (2), STANDOUT/TANIA REINICKE, PICTURE-ALIANCE (IM UHRZEIGERSINN); TITEL: GETTY IMAGES IMPRESSUM Herausgeber: Evonik Industries AG Christian

Die Zukunft der Fotovoltaik

Evonik-Magazin 4 |2008

Evonik-Magazin 4| 2008

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Wer macht eigentlich den Strom sauberer?

Wir machen so was.w

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Wir machen Kraftwerke umweltfreundlicher und noch vieles mehr. Mit führender Technologie steigern wir die Effi zienz, reduzieren den CO2-Ausstoß und nutzen erneuerbare Energieträger. Weltweit. Wir sind der kreative Industriekonzern aus Deutschland für Chemie, Energie und Immobilien.

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,„Tag, Herr Engel, Müller hier.“ Es war 2006, als Werner Müller einen erfahrenen Mann für den Vorstandsvorsitz beim Chemie unter-nehmen Degussa suchte. Dessen Integration in den Beteiligungsbereich der RAG lief gerade auf Hochtouren, die Trennung von subventioniertem Bergbau und profitablem Industriegeschäft war noch lange nicht unter Dach und Fach. Nicht das, was man als

stabile Ausgangslage bezeichnen könnte. Doch Engel griff zu. Zwei Jahre später: Trotz steigender Rohstoffpreise und abkühlender Weltkonjunktur hat der operative Gewinn der Chemiesparte der Evonik Industries AG zuletzt um 17 Prozent zugelegt.

Jetzt sagte Engel wieder Ja. Er steckte gerade in den Vorbereitungen für einen Vortrag zum Thema „Energie-Effizienz“. Diesmal war RAG-Stiftungs-Chef Wilhelm Bonse-Geuking am anderen Ende der Leitung. Ob er bereit sei, Werner Müller zum 1. Januar 2009 auf den Vorstandsvorsitz von Evonik Industries zu folgen. Die Ankündigung des Wechsels an der Konzernspitze löste ein breites Echo aus. Denn mit Werner Müller scheide nicht nur ein Konzernchef, sondern der Architekt des Stiftungsmodells und der entscheidende Geburtshelfer von Evonik Industries. „Müller pflegt Menschen“, schrieb Buchautor Rafael Seligmann („Die Kohle-Saga“) über den Wanderer zwischen Politik und Wirtschaft – und besser lässt sich der Stil des nunmehrigen „Vorgängers“ nicht beschreiben.

Die Pflege von Menschen wird bei Evonik auch weiterhin im Vordergrund stehen. Engel appellierte an die Führungskräfte, das Schicksal von Evonik auch weiterhin selbst in die Hand zu nehmen: „Ich setze auf sie, wie Sie alle auf mich setzen können.“ Diese auf die „human ressources“ gestützte Tatkraft wird auch notwendig sein zur Erreichung der ehrgeizigen Ziele. „Mit Werner Müller sind wir am Kapitalmarkt angekommen“, beschreibt Engel den Wendepunkt, „jetzt müssen wir uns auf diesem Parkett zu den Topadressen vorarbeiten.“

Mit Perspektive auch das Titelthema dieses Evonik-Magazins: unsere Sonne – und welche Beiträge Evonik leistet, die Fotovoltaik so effizient zu machen, dass sie in nicht so ferner Zukunft bis zu 50 Prozent des Energiebedarfs decken kann. Sie werden staunen, wie weit die Entwicklungen sind.

Viel Vergnügen bei der Lektüre! Ihr Redaktions-Team Evonik-Magazin

„Den Aufbruch gestalten“: Dr. Werner Müller, der designierte

Nachfolger Dr. Klaus Engel, RAG-Stiftungs-

Chef Wilhelm Bonse-Geuking

„Tag, Herr Engel!“Evonik-Magazin begrüßt den designierten Vorstandsvorsitzenden Dr. Klaus Engel, der zur Jahreswende Dr. Werner Müller nachfolgt, und rechnet vor, dass die Sonne das 3000-Fache des weltweiten Energiebedarfs abdecken könnte – wenn wir sie nur ließen!

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“I say hello, you say good bye” Aktuelle Sonder-Edition:

Weggefährten verabschieden sich beim scheidenden

Vorstandsvorsitzenden

3EDITORIALEVONIK-MAGAZIN 4/2008

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6 FOTOVOLTAIK

40 BLINDE PASSAGIERE 48 MUSEUM KÜPPERSMÜHLE

34 ANTI-AGING

4_Evonik_04-08_DE 44_Evonik_04-08_DE 4 05.11.2008 9:18:50 Uhr05.11.2008 9:18:50 Uhr

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5INHALTEVONIK-MAGAZIN 4/2008

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IMPRESSUM Herausgeber: Evonik Industries AGChristian Kullmann Rellinghauser Str. 1–1145128 Essen Chefredaktion: Inken Ostermann (V.i.S.d.P.) Objektmanagement Evonik: Ute DrescherArt Direction: Wolf Dammann Redaktion (Leitung): Michael Hopp Chefin vom Dienst: Roswitha KnyeFotoredaktion: Ulrich Thiessen Dokumentation: Kerstin Weber-Rajab, Tilman Baucken; HamburgGestaltung: Teresa Nunes (Ltg.), Anja Giese, Heike Hentschel,Silke Möller, Samantha Ungerer/Redaktion 4 Schlussredaktion: Wilm SteinhäuserVerlag und Anschrift der Redaktion: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH, ein Unternehmen der GANSKE VERLAGSGRUPPE Harvestehuder Weg 42 20149 Hamburg Telefon +49 40 44188-457 Telefax +49 40 44188-236 E-Mail [email protected] Geschäftsführung: Manfred Bissinger Dr. Kai Laakmann Dr. Andreas Siefke Objektleitung: Eva Maria BöbelHerstellung: Claude Hellweg (Ltg.), Oliver Lupp Litho: PX2, Hamburg Druck: Laupenmühlen Druck, Bochum Copyright: © 2008 by Evonik Industries AG, Essen. Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlages. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder Kontakt: Fragen oder Anregungen zum Inhalt des Magazins: Telefon +49 0201 177-3831, Telefax +49 0201 177-2908, E-Mail [email protected] Fragen zum Versand oder Bestellungen: Telefon +49 40 68879-139 Telefax +49 40 68879-199 E-Mail [email protected]

AEROSIL®, PERACLEAN®, PLEXIGLAS®, seNet® und Siridion® sind geschützte Marken der Evonik Industries AG oder ihrer Tochter-unternehmen. SEDNA® ist ein eingetragenes Warenzeichen der Hamann AG. Sie sind im Text in Groß buchstaben geschrieben

EDITORIAL 3 „Tag, Herr Engel”

GESTALTEN 6 Die Sonnenfänger Weltweit steigt das Interesse an der Fotovoltaik, der Umwandlung von Sonnenlicht in Strom. Die Zukunft der Fotovoltaik hat gerade erst begonnen – mit Wachstumsraten von 50 Prozent

FÖRDERN 18 Hightech ernten – vom AckerDie „weiße Biotechnologie” gewinnt Chemieprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen. Im Science-to-Business-Center Marl entstehen Verfahren, die es möglich machen, dass Sportschuhe, CDs oder Küchenflächen künftig vom Acker kommen

INFORMIEREN 24 Ökonomie des WassersNur ein Prozent des verfügbaren Wassers auf der Erde würde ausreichen, um die Welt zu versorgen. Der natürliche Wasserkreislauf – Regen, den die Flüsse ins Meer leiten, aus dem es wieder zu Wolken verdunstet – garantiert den Nachschub. Dennoch ist Wasser knapp

BEWEGEN26 Strom nach IndienIndien werde China beim Wirtschaftswachstum überholen, prognostizieren Wirtschaftsexperten. Doch 400 Millionen Inder müssen noch ohne Strom leben

ENTWICKELN 34 Die Haut überlistenDie Forschung weiß heute mehr über die Regeneration der Haut als je zuvor. Neue bioaktive Substanzen und Wirkstoffe lassen das Altern alt aussehen – ganz ohne Skalpell

INFORMIEREN 38 Das neue Sicherheitsnetz Im Ruhrgebiet hat Evonik Energy Services GmbH das deutschlandweit größte öffentliche Digital-Mobilfunknetz im Tetra-Standard installiert – bei der Feuerwehr

VERSORGEN 40 Wir müssen draußen bleibenMit dem Ballastwasser von Frachtschiffen reisen exotische Organismen mit. Sie bilden für Ökosysteme eine Bedrohung, die mit der Erderwärmung auf einer Stufe steht. Abhilfe schafft ein Filtersystem mit weltweitem Patent

MANAGEN 44 Eine Marke namens BorussiaProfiklubs im Fußball haben sich längst zu mittelständischen Unternehmen der Entertainment-Industrie entwickelt. Jetzt haben sie auch die Markenpflege entdeckt

ERLEBEN 48 Hafen mit AussichtStrukturwandel? Bitte sehr! Der Duisburger Innenhafen ist zu neuem Leben erwacht. Die von Herzog & de Meuron überbaute Küppersmühle soll das neue Wahrzeichen der Region werden – und die größte Sammlung deutscher Kunst beherbergen

DISKUTIEREN56 Lassen wir die Bildung zu kurz kommen?Offenbar ja, im internationalen Vergleich gibt Deutschland wenig für die Bildung aus. Es fehlt nicht an Studien und Untersuchungen – aber was könnten die Konsequenzen sein?

LEBEN 58 Der Quantensprung kommtTom Schimmeck über die Computer von morgen und die verrückte Welt der Elementarteilchen

Diese Ausgabe des Evonik-Magazins finden Sie auch online unter www.evonik.de

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Die SonnenfängerWeltweit steigt das Interesse an der Fotovoltaik, der Umwandlung von Sonnenlicht in Strom. Die Zukunft der Fotovoltaik hat gerade erst begonnen – mit Wachstumsraten von 50 Prozent

TEXT KLAUS JOPP

DIE SONNE LACHT strahlender vom Himmel als je zuvor. Diese Feststellung ist keine Wetterprognose für den nächsten Sommer, sondern betrifft die welt weiten Märkte für Solarenergie. Nach Vorher-sagen des Bundesverbandes Solar wirtschaft (BSW, Berlin) beschleunigt sich das Wachs-tum 2008 noch einmal beträchtlich auf eine Gesamtgröße von 3,6 Gigawatt, ein Plus von 50 Prozent gegenüber dem Vor-jahr 2007, in dem rund um den Globus 2,4 Gigawatt Solarstromleistung neu installiert wurden. Wichtige Treiber für diese Ent-wicklung sind die steigende Nachfrage und die in immer mehr Ländern eingeführten staatlichen Förderprogramme für die Elek-trizität aus der Sonne zusammen mit der stetigen Verteuerung von „konventio nell erzeugter Elektrizität“. „Solarstrom entwi- >

ckelt sich zunehmend zum Gigatrend bei der globalen Energieversorgung“, bestätigt Carsten Körnig, Geschäftsführer des BSW.

Vor diesem Hintergrund baut die Evonik Industries AG ihre Aktivitäten zur Rohstoff-versorgung der Solarindustrie konsequent aus. Im August 2008 hat das Unternehmen zusammen mit der SolarWorld AG (Bonn) eine neue Anlage zur Produktion von Solar-silizium im badischen Rheinfelden einge-weiht, die im Rahmen des gemeinsamen Beteiligungsunternehmens Joint Solar Silicon (JSSi; Freiberg, Sachsen) betrieben wird. Dabei leisten die Partner einen Beitrag zum Energie sparen im doppelten Sinne: Zum einen wird der Ausbau der Fotovoltaik, der direkten Strom-Erzeugung aus Sonnen-licht, gestärkt. Zum anderen wird ein neues Verfahren zur Gewinnung des benötigten Siliziums etabliert, das gegenüber der her-kömmlichen Produktion des Halbleitermate-

Energie aus dem All mit großer Zukunft: Fotovoltaik-Anlage in Kalifornien

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6 GESTALTEN FOTOVOLTAIK EVONIK-MAGAZIN 4/2008

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selbstentzündliche Gas in einem großen Reaktor thermisch zersetzt. Das resultie-rende Silizium ist „sonnentauglich“, weil es zu 99,999 Prozent rein ist. Auch wenn sich dieser Weg auf den ersten Blick schein-bar nicht gravierend vom Siemens-Prozess unterscheidet, spart er doch große Mengen an Energie, lässt sich kontinuierlich durch-führen und gilt aus diesen beiden Grün-den als besonders zukunftsträchtig. „Die Produk tion in Rheinfelden startet zunächst mit einer Kapazität von 850 Tonnen pro Jahr“, erklärt Dr. Gerrit Schneider, der für das Industrie segment Fotovoltaik bei Evonik verantwortlich ist .

Auch beim traditionellen Siemens- Verfahren hat Evonik gleich mehrere Eisen im Feuer: Bereits im April 2007 vereinbarte Evonik mit der Silicium de Provence SAS (Silpro) eine interessante Koopera tion. Evonik liefert Chlorsilane, aus denen Silpro

> rials mit bis zu 90 Prozent weniger Energie auskommt. „Mit der Einweihung der Anla-ge gibt Evonik Industries eine Antwort auf die weltweite Forderung, den Anteil alterna-tiver Energien an der Strom-Erzeugung weiter zu erhöhen“, betont Evonik-Vorstand Dr. Alfred Oberholz.

Im industriellen Maßstab wird elemen-tares Silizium durch die Reduktion von Quarzsand (Siliziumdioxid) mit Kohlen-stoff gewonnen, wobei im Lichtbogen bei Temperaturen von etwa 2.000 °C (Cel sius) gearbeitet wird. Doch in dieser Form ist der Werkstoff nicht rein genug, er enthält nur 97 bis 99 Prozent des Halb leiters. Deshalb wird das Silizium mit gasförmigem Chlor-wasserstoff bei 1.100 °C zu Trichlor silan (SiHCl3) umgesetzt. Nach aufwendigen Destillierschritten wird diese Flüssigkeit beim herkömmlichen Siemens-Verfahren auf einem dünnen Siliziumstab zu Reinst-

silizium zersetzt, der zu diesem Zweck auf etwa 1.500 °C aufgeheizt ist. Zurück bleibt polykristallines hochreines Silizium (PCS). Dieser Prozess ist seit langer Zeit erprobt, erfordert aber einen hohen Energie aufwand von 100 bis 160 Kilowattstunden pro Kilo-gramm PCS. Zudem kann er nur mit Unter-brechungen betrieben werden, weil der Ofen zur Produktentnahme abgekühlt wer-den muss.

DER NEUE PROZESS BENÖTIGT WENIGER ENERGIEEvonik beziehungsweise JSSi gehen nun einen anderen Weg: Das Rohsilizium wird mit Chlorwasserstoff zum Trichlorsilan umgewandelt, destillativ aufgereinigt und anschließend zu Mono silan (SiH4) umge-setzt und erneut gereinigt. Dieser erste Teil der Verbund anlage gehört zu Evonik, der zweite zu JSSi. Dabei wird das farblose,

Prof. Dr. Albert Einstein legte 1905 die Grundlagen der Fotovoltaik. Moderne Zellen (Mitte: polykristalline Zelle in 100-facher Vergrößerung, rechts: Produktion in Deutschland) erreichen heute einen fünffach höheren Wirkungsgrad als die ersten Silizium-Solarzellen, die 1954 entwickelt wurden

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Solarstrom immer billiger, Öl immer teurer

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Angaben in US-Dollar pro Watt Nennleistung

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bis heute

Prognose: Herkömmliche Zellen

Dünnschicht-Zellen

Angaben in US-Dollar pro Barrel

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Prognose

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2008:146 US-$

Die Kosten für Fotovoltaik-Anlagen sind in den letzten Jahren deutlich gesunken. Experten erwarten bis 2015, dass in sonnenreichen Ländern die Strom-Erzeugung mit Solar zellen nicht teurer ist als mit Kohle, Gas oder dem wichtigsten Rohstoff Öl

Preis für ÖlPreis für Solarenergie

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Reinheitsgebot des Solarsiliziums: 99,999 Prozent

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polykristallines Silizium für den Solarmarkt erzeugt. Im Mai dieses Jahres unterzeichnete Evonik zudem gemeinsam mit der PV Silicon Forschungs und Produktions GmbH (Erfurt) einen langfristigen Liefer vertrag für Chlor-silane zur Versorgung einer in Bitterfeld geplanten Produktion von 1.800 Tonnen Solarsilizium, die 2009 ihren Betrieb auf-nehmen soll. Darüber hinaus gibt es wei-tere Projekte, unter anderem zur Errichtung einer Verbundproduktion im italienischen Meran mit dem amerikanischen Wafer-Hersteller MEMC Electronic Materials, Inc. (Saint Peters, Missouri, USA ).

Inzwischen ist Evonik aber nicht nur als Lieferant von Basismaterialien für Solar-silizium im Fotovoltaik-Markt eta bliert. Auch mit dem vielseitigen Kunststoff PLEXIGLAS hilft das Unternehmen dabei, das wichtige Zukunftsfeld Sonne zu er -obern. In Italien boomt die solare Energie-

gewinnung bei Haus besitzern, seit dort 2007 das neue Solarfördergesetz „ Conto Energia“ in Kraft getreten ist. Es ist vor allem auf kleine Anlagen fokussiert und richtet sich damit direkt an End verbraucher. Allerdings schiebt bei historischen Gebäu-den der Denkmalschutz bislang einen Riegel vor, um die traditionellen „Ziegel-meere“ zu bewahren. Dunkle Solarkollek-toren passen da nicht ins Bild.

SOLARZIEGEL AUF HISTORISCHEN DÄCHERNFür dieses Dilemma hat die italienische Firma REM S. p. A (Noventa di Piave) eine Lösung gefunden: Solarziegel aus Kunst-stoff mit Abdeckscheiben aus PLEXIGLAS. Die sogenannten Techtile-Ziegel muten optisch wie die traditionellen Tonziegel an, bergen in sich jedoch leistungsfähige Solar-zellen oder alternativ Solarthermie- Module

zum Erhitzen von Wasser. „Für eine opti-male Energiegewinnung kommt es auf zwei Faktoren an: leistungsfähige Solarzellen und eine Abdeckscheibe mit hoher Trans-mission“, erklärt Sante Bortoletto, einer der Erfinder des Solarziegels von REM. Vorteil PLEXIGLAS: Das Material besitzt eine Licht-durchlässigkeit (Transmission) von über 90 Prozent und lässt damit wesentlich mehr Licht durch als andere Kunst stoffe, die noch dazu nicht so Ultraviolett(UV)-beständig sind und mit der Zeit vergilben. Damit die dunk len Solarzellen von außen nicht durch die transparente Scheibe gesehen werden, griff REM zu einem Trick und gab den Schei-ben auf der Innenseite eine feine Struktur. Dadurch können die Sonnenstrahlen zwar eindringen, aber man kann von außen nicht ungehindert durchsehen. Aus einiger Ent-fernung lässt sich so kein Unterschied zu herkömmlichen Ziegeln erkennen.

PLEXIGLAS ist ausgesprochen robust, zusätzliche Stabilität bekommt die Schei-be durch eine Querstrebe. Dadurch kann man bedenkenlos über die Ziegel laufen, was die Montage erleichtert. Dachdeckern kommt die Technologie noch in einem wei-teren Punkt entgegen: Durch die einfache Steckverbindung können die Solarziegel

Regenerative Energien wie

Fotovoltaik oder Windkraft spielen

heute noch eine geringe Rolle.

Angesichts der kritischen Klima-

situation müssten die fossilen Energie -

träger jedoch möglichst rasch ersetzt werden

Veränderung des weltweiten Energiemixes bis 2100

AndereErneuerbare

2010 2020 2030 2040 2050 2100Jährlicher Primärenergieeinsatzin Exajoule pro Jahr

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Solarthermie Solarstrom Wind Biomasse Wasserkraft Kernenergie Gas Kohle Öl

QUELLE: WWW.PV-LEADS.DE

9GESTALTENFOTOVOLTAIKEVONIK-MAGAZIN 4/2008

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> ohne Elektriker installiert werden. Jeder Solarziegel arbeitet unabhängig von seinen Nachbarn. Fällt ein Ziegel aus, produzie-ren alle anderen weiterhin Strom. Bei her-kömmlichen Solarpaneelen kommt es bei einem Schaden hingegen zum Total ausfall. Die Techtile-Ziegel sind durchaus auch für Nordeuropa interessant. Dafür wären aller-dings andere Ausführungen wie der deut-sche „Biberschwanz“ notwendig. „Wir pla-nen bereits andere Formen, die nördlich der Alpen verwendbar sind“, so Bortoletto. In naher Zukunft könnte der Solarziegel also auch im nördlichen Europa historische Dächer in Solarkraftwerke verwandeln.

KONZENTRATOREN BRINGEN DIE SONNE AUF DEN PUNKTEine andere Idee ist die Bündelung des Sonnen lichts. So genannte Fresnellinsen fokussieren das einfallende Licht auf Solar-zellen, so dass deren Wirkungsgrad deut-lich steigt. So hält Gerald Siefer vom Fraun-hofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE, Freiburg) Zellwirkungsgrade von 45 Prozent für möglich. Voraussetzung sind dafür besonders leistungsstarke Zellen ( Triple- Junction-Zellen) und Konzentra-torsysteme, die das Licht um den Faktor

500 bis 1.000 verstärken. „Wir entwickeln für diese Solaranwendung eine spezielle PLEXIGLAS- Solarformmasse auf PMMA-Basis, die die Einsatzbedingungen beson-ders gut erfüllt“, erklärt Peter Batten hausen, Manager Unternehmensentwicklung Form-massen bei Evonik in Darmstadt. Zusam-men mit Partnern werden aus PLEXIGLAS dann mit verschiedenen Verfahren – Spritz-gießen, Extrusion oder Laminieren von geprägten Folien – die Linsen systeme her-gestellt. Der Evonik-Werkstoff ist deshalb so gefragt, weil er sämt liche Eigenschaften für diese Aufgabe mitbringt: hohe Transpa-renz und Abbildegenauigkeit, UV-Stabilität, Witterungs beständigkeit und Lang lebigkeit. „Wir kön nen auf zahlreiche unserer trans-parenten Platten eine 30-Jahre-Garantie geben, und sie sind sogar hagelbeständig, weil unser Werkstoff im Gegensatz zu Glas deutlich schlag zäher ist“, so Dr. Heiko Roch-

holz, Manager New Business Development und Innovation Halbzeuge bei Evonik.

Bei aller Euphorie um die Sonnen-energie, unter dem Strich ist die Foto voltaik ohne staatliche Subventionen immer noch nicht wirtschaftlich. Deshalb sucht die Bran-che mit hoher Dringlichkeit nach neuen, preiswerten Materialien, die Herstellungs- und Installationskosten gleichermaßen sen-ken können. Derartige Lösungen könnten Dünnschichtsolarzellen in Verbindung mit leistungsfähigen Kunststoffen liefern. Genau daran arbeiten Entwickler des Pro-jekthauses Functional Films & Surfaces von Evonik in Hanau-Wolfgang.

Ein Handicap für die unterschiedlichen Dünnschichtsolartechnologien sind die im -mer noch teuren und schweren Glas platten, zwischen die die fotovoltaisch aktiven Schichten eingebettet werden. Dabei dient die untere Glasplatte als Träger, die obere

Die jährliche Sonnenschein-

dauer variiert stark. Nur

jeweils eine der markierten

Flächen (etwa 400 mal 400

Kilometer) würde ausreichen, um

den gesamten Strombedarf der

Menschen zu decken

Deutsche Solarwirtschaft

Die deutsche Solarbranche ist weltweit führend – wirtschaftlich aber noch von öffentlicher Förderung abhängig. Gesucht sind neue Materialien und Techniken

Die Sonne wird mehr als die Hälfte unserer Energie liefern

Die „Sonnenfl ecken“ der Erde decken den Bedarf

nördlicherWendekreis

südlicherWendekreis

Äquator

Sinnvolle Standorte zur Energiegewinnung durch Fotovoltaik

Anzahl derSonnenstundenpro Jahr

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15.000

Hersteller von Solar-zellen und -modulen

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10 FOTOVOLTAIK EVONIK-MAGAZIN 4/2008GESTALTEN

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als transparente Barriere gegen Feuchtig-keit und Sauerstoff. Die Glas-Glas- Module setzen in der Regel aufwendige Unter-konstruktionen voraus, die etwa ein Drittel der gesamten Installations kosten ausmachen. „Unser Projekt‚ Polymere Materia lien für die solare Energie-Erzeugung‘ verfolgt das Ziel, die gläsernen Barrieren der Solar module durch ein geeignetes System aus Kunststoff-folien zu ersetzen“, verdeutlicht Projekthaus-leiter Dr. Jochen Ackermann.

DIE ZUKUNFT: FLEXIBLE KUNSTSTOFF-SOLARMODULEDie notwendigen Eigenschaften, also hohe Transmission und zuverlässiger Schutz gegen Umwelteinflüsse, haben auch PLEXI GLAS-Folien, mit denen Evonik langjährige Erfah-rungen besitzt. Die konventionellen Kunst-stoffe müssen aber durch eine entsprechende Oberflächenfunktionalisierung zusätzliche

Barriereeigenschaften erhalten, die den Durchtritt von Feuchtigkeit und Sauerstoff deutlich verringern. So müssen im Vergleich zu üblichen technischen Verpackungsfolien die Wasserdampf- und Sauerstoffdurchlässig-keit um mindestens ein bis zwei Größen-ordnungen herabgesetzt werden. Lösungs-ansätze für diese Herausforderung bieten Beschichtungstechnologien, mit denen Sili-zium- oder Aluminiumoxid als nanometer-dünne Schicht auf der Kunststoffoberfläche abgeschieden wird. Seine Barrierewirkung kann dabei durch den zusätzlichen Auftrag eines Lackes noch verbessert werden.

Mit halben Sachen wollen sich die Ent-wickler des Projekthauses mittelfristig aber nicht zufriedengeben. Vielmehr haben sie bereits konkrete Vorstellungen zur Herstel-lung von Folien für Module, bei denen auch die zweite tragende Glasschicht durch ein Polymer ersetzt wird. „Solche Module wären

voll flexibel und könnten wesentlich wirt-schaftlicher als bisher in einem kontinuier-lichen Rolle-zu-Rolle-Prozess gefertigt wer-den. Auf diese Weise ließen sich sehr leichte Solarzellen realisieren, die sich in Form von Dachbahnen ohne zusätzlichen Unterbau einfach auf dem Dach verkleben lassen“, ver-deutlicht Projektleiter Dr. Claudius Neumann die Vision der Projekthausforscher.

Evonik hat also viel vor mit der Sonne: „Mittelfristig wollen wir einen hohen drei-stelligen Millionen-Euro-Betrag in die Hand nehmen, um unsere gute Position in die- sem attraktiven und gleichzeitig anspruchs-vollen Markt massiv auszubauen“, bestätigt Dr. Klaus Engel, verantwortlich für das Geschäftsfeld Chemie und ab Anfang J anuar 2009 Vorstandsvorsitzender von Evonik. Und eines ist ganz klar: Chemie wird auch in Zukunft wertvolle Beiträge liefern, um die Sonne weiter anzuzapfen. <

Steigerung der Fotovoltaik-Leistung bis 2010Deutschland ist dank der Förderung durch das Energie-Einspeise-Gesetz „Fotovoltaik-Welt meister“. Große Anstrengungen unternehmen Spanien, Japan und die USA. Bei der Produktion von Solarzellen ist China in der Spitzengruppe

Dr. Raymund Sonnenschein ist Geschäftsführer von Joint Solar Silicon und Projektleiter für Solarsilizium; Mitte und rechts: Produktionsanlage von Solarsilizium und Monosilan in Rheinfelden

QUELLE: SIF; WWW.ASIF.ORG PLUS SOLARPLAZA DATA MODEL;BSW-SOLAR/WWW.SOLAR-WIRTSCHAFT.DE

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Einsteins erster StreichDen Nobelpreis erhielt Prof. Dr. Albert Einstein nicht für die Relativitätstheorie, sondern für die Grund lagen

1839Der fran zösische Physiker Prof. Alexandre-Edmond Becquerel entdeckt, dass bei Beleuchtung einer Elektro lyt -zelle eine elektrische Spannung entsteht. Damit wird das erste Mal der direkte Zusammenhang zwischen Licht und Elektrizität, der fotoelektrische Effekt, beobachtet. Erklären kann Becquerel das Phänomen allerdings nicht.

1873Der britische Ingenieur Willoughby Smith und sein Assistent Joseph May erkennen, dass das Element Selen seine Leitfähigkeit bei Belichtung stark erhöht. Drei Jahre später weisen Prof. William Grylls Adams und Richard Evans Day den fotoelektrischen Effekt an einem Selenkristall nach – erstmals wird Strom aus Licht erzeugt.

1904Der deutsche Physiker Prof. Wilhelm Ludwig Franz Hallwachs, ein Schüler von Prof. Dr. Heinrich Rudolf Hertz, legt mit der Untersuchung des Fotoeffektes den Grundstein zur Entwicklung der Fotozelle, der Foto elektrizität und der Lichtquantenhypothese.Der lange sogenannte „Hallwachs“-Effekt war die Voraussetzung für die weiteren Entwicklungen.

1905Prof. Dr. Albert Einstein stellt seine Lichtquanten hypothese auf und liefert damit auch eine theoretische Erklärung des lichtelek trischen Effektes. Für diese Arbeiten erhält Einstein 1921 den Nobelpreis für Physik.

1912 bis 1916Der Amerikaner Prof. Dr. Robert Andrews Millikan bestätigt die einstein-schen Erkenntnisse zum Fotoeffekt experimentell. Unter anderem für diese Leistung wird er 1923 ebenfalls mit dem Nobelpreis für Physik geehrt.

1916Der Pole Prof. Jan Czochralski entwickelt ein neues Kristallziehverfahren, das später sowohl für die Mikroelektronik als auch für die Fotovoltaik große Bedeutung erlangt.

1954In den Bell Laboratories in New Jersey (USA) produzieren Daryl Chapin, Dr. Calvin Fuller und Gerald Pearson die ersten Silizium-Solarzellen von rund zwei Quadrat zentimetern Größe und Wirkungsgraden von vier Prozent.

1956Erstmals werden für eine Relaisstation einer Telefonleitung in Georgia (USA) Solarzellen auf der Erde eingesetzt.

1958Der amerikanische Satellit „Vanguard 1“ hat erstmals Solarzellen zur Energie-versorgung eines Senders an Bord. Gegen alle Erwartungen der Militärs können die Signale bis 1964 empfangen werden. Vanguard 1 umkreist übrigens immer noch bis etwa 2200 die Erde.

1975Mit der ersten Ölkrise 1973 steigt das Interesse an der Fotovoltaik sprunghaft, erstmals werden mehr Solarzellen für terrestrische Zwecke als für die Raumfahrt hergestellt. 1976 werden die ersten amorphen Siliziumzellen mit 1,1 Prozent Wirkungsgrad bei den RCA Laboratories (Princeton, New Jersey, USA) produziert. Die australische Regierung beschließt, das gesamte Telekommunikationsnetz im Outback mit fotovoltaischen Batterie-stationen zu betreiben.

1977Die weltweite Fotovoltaikproduktion überschreitet die Gesamtleistung von 500 Kilowatt*.

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12 FOTOVOLTAIK EVONIK-MAGAZIN 4/2008GESTALTEN

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der Fotovoltaik, die er 1905 legte. „Lichtquantenhypothese“ erklärt die Umwandlung von Licht in Elektrizität

1982In Kalifornien (USA) entsteht das erste Solar kraftwerk mit einer Leistung von einem Megawatt weltweit.

1983Auf Pellworm wird das erste deutsche und zugleich größte europäische Fotovoltaik-Kraftwerk mit 300 kW errichtet.

1985Prof. Dr. Martin Green von der australi-schen Universität New South Wales entwickelt die erste Solarzelle auf Silizium-basis, deren Wirkungsgrad über 20 Prozent liegt. Die kalifornische Solaranlage Carissa Plains erreicht 6,5 Megawatt.

1990Das 1.000-Dächer-Programm wird aufgelegt, um erstmals Fotovoltaikanlagen bundesweit zu fördern.

1991Mit dem deutschen Stromeinspeisungs- gesetz werden die Energieversorger verpflichtet, Solarstrom mit mindestens 16,61 Pfennig pro Kilowattstunde zu vergüten.

1992Das Bayernwerk (heute E.on Bayern) setzt erstmals in Europa eine autarke solare Stromversorgung für die ständig bewohnte Ansiedlung Flanitzhütte um. Der Weiler liegt auf 650 Metern Höhe am Rande des Nationalparks Bayerischer Wald und weist im Mittel 1.700 Sonnenstunden auf.

1999Weltweit erreicht die kumulierte Fotovoltaik-Leistung 1.000 Megawatt. Doch noch fehlt es an öffentlicher Akzeptanz und Förderung, um zeigen zu können, was in der Fotovoltaik steckt.

2000Deutschland erlässt das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das weltweit Nachahmung findet und starke Impulse für die deutsche Industrie auslöst.

2001 bis 2003Auf Grundlage des EEG wird das 100.000-Dächer-Programm der Bundes regierung zu einem großen Erfolg, insgesamt werden über 300 Megawatt installiert.

2002Auf der neuen Messe München wird die weltgrößte Dach-Fotovoltaikanlage (Leistung: ein Megawatt) in Betrieb genommen. In Deutschland sind 14 Megawatt Leistung insgesamt installiert.

2004Mit einer Neuinstallation von rund 600 Megawatt überspringt Deutschland erstmals eine Gesamtleistung von 1.000 Megawatt.

2007In Deutschland werden Anlagen mit rund 1.100 Megawatt Spitzenleistung neu installiert, fast die Hälfte aller Neubauten weltweit (2.400 Megawatt).

2007/2008Allein in Deutschland entstehen 15 neue Solarfabriken. Zusammen mit dem Ausbau bestehender Standorte bedeutet das ein Investitionsvolumen von über 1 Milliarde €.

*Alle angegebenen Leistungen sind so genannte Peakleistungen, entsprechen also den maximal möglichen Leistungen unter Normalbedingungen.

Messe München

Erste Solarfassade in Deutschland, 1991

in Aachen Flanitzhütte

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Dachziegel unter StromAus einiger Entfernung sind sie von klassischen Tonziegeln nicht zu unterscheiden: In Italien entwickeln sich Dachpfannen aus Kunststoff mit eingebauten Solarzellen zum Renner. Evonik steuert die Abdeckung aus PLEXIGLAS bei, das besonders lichtdurchlässig ist. Zudem ist das Material gegen ultraviolette (UV) Strahlung gefeit und vergilbt nicht. Damit die dunklen Solarzellen möglichst wenig zu sehen sind, weisen die Abdeckscheiben innen ein feines Muster auf.

Solarzellen von der Rolle Evonik arbeitet an der Entwicklung flexibler Solarzellen (Abbildung links), die in einem Rolle-zu-Rolle-Prozess preisgünstig hergestellt werden können. Kunst stoffe sind dabei einerseits Träger, andererseits witterungs-

stabile Abdeckung. Durch eine Oberflächen funktionali sierung werden Barriereeigenschaften erzielt, die Feuchtigkeit und Sauerstoff wirkungsvoll aussperren. Insgesamt würden diese Lösungen Gewicht und Kosten von Solarmodulen senken und sie deutlich flexibler im Einsatz machen.

Höchste KonzentrationSogenannte Fresnellinsen sind in der Lage, Licht stark zu bündeln. Vorgeschaltet vor Solar-zellen erhöhen sie deren Wirkungsgrad deutlich. Evonik liefert den geeigneten PLEXIGLAS-Werkstoff, aus dem sich die Sonnenkonzen-tratoren kostengünstig mit verschiedenen Verfahren herstellen lassen. Der Kunststoff bietet: hohe Transparenz gepaart mit UV-Stabilität, Abform-Genauigkeit für die feinen Strukturen im Material zur Licht-lenkung, Witterungs beständigkeit und Lang-lebigkeit. Erste Kraftwerke mit „Verstärker-Linsen“ gibt es bereits unter anderem in Spanien.

Auf dem Weg in die Zukunft

Glasabdeckung

Isolierung

Solarzelle

Abdeckung

Trägermaterial

Vom Sand bis zur Solarzelle – alle Fotovoltaik

ist ChemieFolie

Solarzelle

Kunststoffträger

Solarzellen bisher

Die Kraft der Sonne nutzenJahr für Jahr liefert die Sonne 219 Billiarden Kilowattstunden zum Nulltarif. Das ist 3.000-mal mehr, als die gesamte Erdbevölkerung benötigt

Unser Zentralgestirn verfügt über Energie im Überfluss. In jeder Sekunde wandelt es wie ein riesiger Fusions reaktor 650 Millionen Tonnen

Wasserstoff zu Helium um – entsprechend heiß ist es mit 5.500 °C (Celsius) auf der Oberfläche, jeder Quadrat-meter leuchtet heller als eine Million Glühbirnen. Und die Erde profitiert davon: Die Sonne sendet Licht und Wärme, steuert Wetter und Klima und liefert den Antrieb für das Pflanzenwachstum.

In nur 30 Minuten schickt unser Stern mehr Energie zu uns, als alle Menschen zusammen in einem Jahr verbrauchen – ganz ohne Rechnung. In Deutschland liegt die jährliche mittlere Sonneneinstrahlung bei rund 1.000 Kilowattstunden pro Quadratmeter, in den Wüsten gebieten im Sonnengürtel der Erde steigt sie auf 2.500 bis 3.000 Kilowattstunden pro Quadratmeter,

das entspricht einem Energieinhalt von bis zu 300 Litern Öl auf jeden Quadratmeter.

Um den Strombedarf der Bundes republik zu decken, wären mit heutigem Wirkungsgrad geschätzte 2.000 Quadrat kilometer Fotovoltaikmodule notwendig – allein an Dachflächen stehen 2.800 Quadratkilometer zur Ver-fügung – ein Viertel davon wäre sofort technisch nutzbar. Theoretisch könnte der Weltenergie bedarf durch die Sonnen energienutzung auf einer Fläche von 400 mal 400 Kilometern in der Sahara komplett erzeugt werden.

Die Herausforderung besteht darin, dieses gewaltige Potenzial technisch und wirtschaftlich zu nutzen. Während wir auf der Erde schnell handeln müssen, um die Klimakatastrophe abzuwehren, gibt uns die Sonne genügend Zeit: Nach Auffassung von Astro-physikern strahlt sie noch rund 5 Milliarden Jahre.

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Vom Sand zum Rohsilizium

Zum Einfangen der Sonnenstrahlung wird hochreines Silizium benötigt, das zu 99,999 Prozent aus dem Halbleiter bestehen muss. Nur so ist es möglich, die Zahl der Fehlstellen und Verunreinigungen im Kristallgitter so niedrig zu halten, dass wirtschaftlich attraktive Wirkungsgrade beim Umsetzen der Sonnenenergie in Strom erreicht werden.

Im ersten Schritt werden natürliche Siliziumoxidverbindungen, üblicherweise Quarzsand, im Lichtbogenofen bei circa 2.000 °C geschmolzen und mit Koks oder Kohle zu elementarem Rohsilizium reduziert, das zu 97 bis 99 Prozent rein ist.

Vom Rohsilizium zum Trichlorsilan

Das Rohsilizium setzt Evonik am Standort Rheinfelden, an dem traditionell Chlorsilane (Markennamen SIRIDION) hergestellt werden, in einem neuen Verfahren um. Dabei wird durch Reaktion mit Chlorwasserstoff (HCl) Trichlorsilan erzeugt. Als Neben-produkt entsteht Siliziumtetrachlorid, das in Rheinfelden intern zur Produktion von Kieselsäuren der Marke AEROSIL verwendet wird.

Chlorsilane sind toxische, brennbare und korrosive Gefahrstoffe, mit denen Evonik über 60 Jahre Erfahrung hat. Heute ist das Unternehmen weltweit größter Anbieter dieser Produktklasse.

Trichlorsilan-Reinigung durch Destillation

Da Trichlorsilan eine Flüssigkeit ist, lässt es sich gut durch Rektifikation reinigen. Darunter verstehen Chemiker ein thermisches Trennverfahren, bei dem viele Destillationsschritte hintereinander-geschaltet sind. Ent sprechende Anlagen können kontinuierlich betrie-ben werden und erreichen einen deut-lich besseren Trenneffekt bei geringerem Energie-einsatz.

Vom Trichlorsilan zum Monosilan

Im dritten Schritt wird das aufgereinigte Trichlorsilan zum sogenannten Monosilan umgesetzt. Hierbei laufen unterschiedliche Reaktionen nebeneinander ab, bei denen unter dem Strich 17 Kilogramm Trichlorsilan benötigt werden, um ein Kilogramm Monosilan zu erzeugen. Zusätzlich entstehen 16 Kilogramm Siliziumtetrachlorid, die wiederum in die Produktion von Kiesel säure in Rheinfelden eingeschleust werden.

Monosilan-Reinigung durch

Destillation

Da die Reinheit eine entscheidende

Rolle für die Stromgewinnung aus

Sonnenlicht spielt, wird auch das

gasförmige Monosilan erneut destillativ

gereinigt. Bis zu dieser Stelle liegt der

Prozess in der Hand von Evonik.

Zersetzung von Monosilan zu Solarsilizium

Das gereinigte Monosilan übernimmt Joint Solar Silicon (JSSi), das gemeinsame Beteiligungs-unternehmen von Evonik und SolarWorld. Das Gas wird von oben in einen Reaktor geleitet und in seine elementaren Bestandteile Silizium und Wasserstoff gespalten. Auch der energetisch wertvolle Wasserstoff wird in Rheinfelden weiterverwendet. Der Reaktor erlaubt einen vollkontinuierlichen und zudem besonders energieeffizienten Prozess, der am Ende pulverförmiges Solarsilizium mit der gewünschten Reinheit liefert.

Sand

Solarsilizium

Rohsilizium

Sand Rohsilizium

Rohsilizium plus Chlor wasserstoff Trichlorsilan

Trichlorsilan Monosilan

Monosilan Solarsilizium

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Grenz-schicht

positiveElektrode

Stromnetz

Glasträger

Einblick in die Zelle

Die klassische Silizium-Solarzelle besteht aus zwei Schichten Halbleitermaterial, das unterschiedlich

dotiert ist (positiver Ladungsträgerüberschuss, p-leitende Schicht, beziehungsweise negativer Ladungs-

träger überschuss, n-leitende Schicht). An der Grenzschicht, dem p-n-Übergang, baut sich ein

elektrisches Feld auf, das bei Lichteinfall Strom liefert, der über Metallkontakte abgegriffen wird.

Vom braunen Pulver zur blauen Zelle

Das hochreine Solarsilizium wird als braunes Pulver in spezielle Siliziumschmelzöfen eingebracht. Die Schmelze kann in verschiedenen Verfahren weiter-verarbeitet werden. Ein wichtiger Prozess ist das Ziehen von Einkristallstäben, die in dünne Scheiben (Wafer) geschnitten werden. Diese müssen noch gezielt mit Fremdatomen verunreinigt (dotiert) werden. Einzelne Zellen werden schließlich zu großflächigen Modulen zusammengesetzt.

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Dachziegel unter StromAus einiger Entfernung sind sie von klassischen Tonziegeln nicht zu unterscheiden: In Italien entwickeln sich Dachpfannen aus Kunststoff mit eingebauten Solarzellen zum Renner. Evonik steuert die Abdeckung aus PLEXIGLAS bei, das besonders lichtdurchlässig ist. Zudem ist das Material gegen ultraviolette (UV) Strahlung gefeit und vergilbt nicht. Damit die dunklen Solarzellen möglichst wenig zu sehen sind, weisen die Abdeckscheiben innen ein feines Muster auf.

Solarzellen von der Rolle Evonik arbeitet an der Entwicklung flexibler Solarzellen (Abbildung links), die in einem Rolle-zu-Rolle-Prozess preisgünstig hergestellt werden können. Kunst stoffe sind dabei einerseits Träger, andererseits witterungs-

stabile Abdeckung. Durch eine Oberflächen funktionali sierung werden Barriereeigenschaften erzielt, die Feuchtigkeit und Sauerstoff wirkungsvoll aussperren. Insgesamt würden diese Lösungen Gewicht und Kosten von Solarmodulen senken und sie deutlich flexibler im Einsatz machen.

Höchste KonzentrationSogenannte Fresnellinsen sind in der Lage, Licht stark zu bündeln. Vorgeschaltet vor Solar-zellen erhöhen sie deren Wirkungsgrad deutlich. Evonik liefert den geeigneten PLEXIGLAS-Werkstoff, aus dem sich die Sonnenkonzen-tratoren kostengünstig mit verschiedenen Verfahren herstellen lassen. Der Kunststoff bietet: hohe Transparenz gepaart mit UV-Stabilität, Abform-Genauigkeit für die feinen Strukturen im Material zur Licht-lenkung, Witterungs beständigkeit und Lang-lebigkeit. Erste Kraftwerke mit „Verstärker-Linsen“ gibt es bereits unter anderem in Spanien.

Auf dem Weg in die Zukunft

Glasabdeckung

Isolierung

Solarzelle

Abdeckung

Trägermaterial

Vom Sand bis zur Solarzelle – alle Fotovoltaik

ist ChemieFolie

Solarzelle

Kunststoffträger

Solarzellen bisher

Die Kraft der Sonne nutzenJahr für Jahr liefert die Sonne 219 Billiarden Kilowattstunden zum Nulltarif. Das ist 3.000-mal mehr, als die gesamte Erdbevölkerung benötigt

Unser Zentralgestirn verfügt über Energie im Überfluss. In jeder Sekunde wandelt es wie ein riesiger Fusions reaktor 650 Millionen Tonnen

Wasserstoff zu Helium um – entsprechend heiß ist es mit 5.500 °C (Celsius) auf der Oberfläche, jeder Quadrat-meter leuchtet heller als eine Million Glühbirnen. Und die Erde profitiert davon: Die Sonne sendet Licht und Wärme, steuert Wetter und Klima und liefert den Antrieb für das Pflanzenwachstum.

In nur 30 Minuten schickt unser Stern mehr Energie zu uns, als alle Menschen zusammen in einem Jahr verbrauchen – ganz ohne Rechnung. In Deutschland liegt die jährliche mittlere Sonneneinstrahlung bei rund 1.000 Kilowattstunden pro Quadratmeter, in den Wüsten gebieten im Sonnengürtel der Erde steigt sie auf 2.500 bis 3.000 Kilowattstunden pro Quadratmeter,

das entspricht einem Energieinhalt von bis zu 300 Litern Öl auf jeden Quadratmeter.

Um den Strombedarf der Bundes republik zu decken, wären mit heutigem Wirkungsgrad geschätzte 2.000 Quadrat kilometer Fotovoltaikmodule notwendig – allein an Dachflächen stehen 2.800 Quadratkilometer zur Ver-fügung – ein Viertel davon wäre sofort technisch nutzbar. Theoretisch könnte der Weltenergie bedarf durch die Sonnen energienutzung auf einer Fläche von 400 mal 400 Kilometern in der Sahara komplett erzeugt werden.

Die Herausforderung besteht darin, dieses gewaltige Potenzial technisch und wirtschaftlich zu nutzen. Während wir auf der Erde schnell handeln müssen, um die Klimakatastrophe abzuwehren, gibt uns die Sonne genügend Zeit: Nach Auffassung von Astro-physikern strahlt sie noch rund 5 Milliarden Jahre.

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Vom Sand zum Rohsilizium

Zum Einfangen der Sonnenstrahlung wird hochreines Silizium benötigt, das zu 99,999 Prozent aus dem Halbleiter bestehen muss. Nur so ist es möglich, die Zahl der Fehlstellen und Verunreinigungen im Kristallgitter so niedrig zu halten, dass wirtschaftlich attraktive Wirkungsgrade beim Umsetzen der Sonnenenergie in Strom erreicht werden.

Im ersten Schritt werden natürliche Siliziumoxidverbindungen, üblicherweise Quarzsand, im Lichtbogenofen bei circa 2.000 °C geschmolzen und mit Koks oder Kohle zu elementarem Rohsilizium reduziert, das zu 97 bis 99 Prozent rein ist.

Vom Rohsilizium zum Trichlorsilan

Das Rohsilizium setzt Evonik am Standort Rheinfelden, an dem traditionell Chlorsilane (Markennamen SIRIDION) hergestellt werden, in einem neuen Verfahren um. Dabei wird durch Reaktion mit Chlorwasserstoff (HCl) Trichlorsilan erzeugt. Als Neben-produkt entsteht Siliziumtetrachlorid, das in Rheinfelden intern zur Produktion von Kieselsäuren der Marke AEROSIL verwendet wird.

Chlorsilane sind toxische, brennbare und korrosive Gefahrstoffe, mit denen Evonik über 60 Jahre Erfahrung hat. Heute ist das Unternehmen weltweit größter Anbieter dieser Produktklasse.

Trichlorsilan-Reinigung durch Destillation

Da Trichlorsilan eine Flüssigkeit ist, lässt es sich gut durch Rektifikation reinigen. Darunter verstehen Chemiker ein thermisches Trennverfahren, bei dem viele Destillationsschritte hintereinander-geschaltet sind. Ent sprechende Anlagen können kontinuierlich betrie-ben werden und erreichen einen deut-lich besseren Trenneffekt bei geringerem Energie-einsatz.

Vom Trichlorsilan zum Monosilan

Im dritten Schritt wird das aufgereinigte Trichlorsilan zum sogenannten Monosilan umgesetzt. Hierbei laufen unterschiedliche Reaktionen nebeneinander ab, bei denen unter dem Strich 17 Kilogramm Trichlorsilan benötigt werden, um ein Kilogramm Monosilan zu erzeugen. Zusätzlich entstehen 16 Kilogramm Siliziumtetrachlorid, die wiederum in die Produktion von Kiesel säure in Rheinfelden eingeschleust werden.

Monosilan-Reinigung durch

Destillation

Da die Reinheit eine entscheidende

Rolle für die Stromgewinnung aus

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gereinigt. Bis zu dieser Stelle liegt der

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Zersetzung von Monosilan zu Solarsilizium

Das gereinigte Monosilan übernimmt Joint Solar Silicon (JSSi), das gemeinsame Beteiligungs-unternehmen von Evonik und SolarWorld. Das Gas wird von oben in einen Reaktor geleitet und in seine elementaren Bestandteile Silizium und Wasserstoff gespalten. Auch der energetisch wertvolle Wasserstoff wird in Rheinfelden weiterverwendet. Der Reaktor erlaubt einen vollkontinuierlichen und zudem besonders energieeffizienten Prozess, der am Ende pulverförmiges Solarsilizium mit der gewünschten Reinheit liefert.

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Einblick in die Zelle

Die klassische Silizium-Solarzelle besteht aus zwei Schichten Halbleitermaterial, das unterschiedlich

dotiert ist (positiver Ladungsträgerüberschuss, p-leitende Schicht, beziehungsweise negativer Ladungs-

träger überschuss, n-leitende Schicht). An der Grenzschicht, dem p-n-Übergang, baut sich ein

elektrisches Feld auf, das bei Lichteinfall Strom liefert, der über Metallkontakte abgegriffen wird.

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Das hochreine Solarsilizium wird als braunes Pulver in spezielle Siliziumschmelzöfen eingebracht. Die Schmelze kann in verschiedenen Verfahren weiter-verarbeitet werden. Ein wichtiger Prozess ist das Ziehen von Einkristallstäben, die in dünne Scheiben (Wafer) geschnitten werden. Diese müssen noch gezielt mit Fremdatomen verunreinigt (dotiert) werden. Einzelne Zellen werden schließlich zu großflächigen Modulen zusammengesetzt.

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Hightech ernten – vom Acker!Die weiße Biotechnologie gewinnt Chemieprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen. Im Science-to-Business-Center in Marl entstehen Verfahren, wie Sportschuhe, CDs oder Küchenfl ächen künftig vom Acker kommen können

18 BIOTECHNOLOGIE EVONIK-MAGAZIN 4/2008FÖRDERN

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TEXT HARALD CARL

IHRE LIEBLINGE tragen so seltsame Namen wie „Saccharomyces cerevisiae“, „Escherichia coli“ oder „Aspergillus niger“. Vielen Menschen sind Hefen, Bakterien oder Pilze eher unheimlich, an der Paul- Baumann-Straße in Marl aber haben die Lebewesen aus der Mikrowelt Starstatus. Hier im Science-to-Business-Center (S2B) Bio sind sie die wichtigs-ten Helfer der Wissenschaftler, die an neuen Verfahren zur Herstellung chemischer Pro-dukte forschen. Neben den Mikro organismen spielen hier nachwachsende Rohstoffe eine wichtige Rolle, die nach dem Motto „weg vom Öl, hin zur Pflanze“ die Chemie der Zukunft auf eine ganz neue Grundlage stellen sollen. „Derzeit wird viel über die energe tische Nut-zung von Biomasse gesprochen, wir plädie-ren eindeutig für einen stofflichen Einsatz – energetisch umsetzen kann man sie dann immer noch im zweiten Schritt“, betont Dr. Thomas Haas, Leiter des Centers in Marl.

Raps oder Sonnenblumen, Mais oder Weizen, Zuckerrohr oder Rüben – immer häufiger nutzen Chemiker die Unterstützung auf dem Acker. Nachwachsende Rohstoffe und die darin enthaltene Syntheseleistung der Natur gelten als Zukunftsfeld von gro ßer Bedeutung, das unter der Bezeichnung weiße Biotechnologie zusammen gefasst wird. Bis 2010 soll sich nach Angaben des VCI der Anteil von Chemieprodukten, die mittels biotechno logischer Verfahren hergestellt werden, auf bis zu zehn Prozent erhöhen. In der Feinchemie, in der Evonik Industries AG als weltweit führender Hersteller von Spezial chemie besonders stark ist, soll die-ser Wert sogar auf bis zu 60 Prozent steigen. So jedenfalls die Prognose des international tätigen Beratungsunternehmens McKinsey & Co. Nach Angaben des Bundesministeri-ums für Bildung und Forschung (BMBF) wird der Umsatz mit Produkten der weißen Bio-technologie heute auf rund fünf Prozent des Gesamt umsatzes der chemischen Industrie

weltweit geschätzt. Das entsprach zuletzt rund 90 Milliarden €. In den nächsten fünf bis zehn Jahren soll dieser Beitrag mindes-tens auf das Doppelte anwachsen.

Für den rasanten Umbau der Rohstoff-basis gibt es gute Gründe. Einerseits macht der hohe Ölpreis, der auf lange Sicht zudem noch steigen wird, inzwischen viele alterna-tive Verfahren wirtschaftlich, die bisher öko-nomisch nicht möglich waren. Andererseits hat die „Chemie vom Acker“ bemerkenswerte Vorteile: „Viele Reaktionswege der Natur sind in jeder Beziehung vorbildlich. Das betrifft den geringen Energiebedarf ebenso wie die hohen Ausbeuten und die Vermeidung von unerwünschten Neben produkten“, bestätigt Dr. Alfred Oberholz, Vorstandsmitglied von Evonik. „Deutschland und andere Industrie-nationen stehen vor einer Revolu tion auf dem Acker, die die Landwirtschaft aus ihrer derzeitigen Randexistenz in die Mitte des Innovationsgeschehens führen wird. Mais, Hirse und Co. mausern sich damit als Energie-

Vom Zuckerrohr zur Kosmetik

Im Science-to-Business-Center Bio arbeitet ein Team unter Leitung von

Dr. Tim Köhler an einem effi zienteren Verfahren zur Herstellung von

Ceramiden. Diese spielen eine wichtige Rolle für den Aufbau und den Erhalt

der Schutzbarriere der menschlichen Haut. Wichtiger Bestandteil einer

bestimmten Klasse hautidentischer Ceramide ist das Molekül Sphingosin, das

bisher nur in einem vielstufi gen chemischen Prozess hergestellt werden konnte. Jetzt produzieren modifi zierte

Hefen das Sphingosin direkt. Die neuartige Herstellungsmethode beruht

auf nachwachsenden Rohstoffen. Foto Mitte: Einem Bioreaktor,

in dem maßgeschneiderte Mikroben Spezialchemikalien produzieren,

werden Proben entnommen

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Page 18: Evonik Magazin 4/2008 · FOTOS: GETTY IMAGES (2), STANDOUT/TANIA REINICKE, PICTURE-ALIANCE (IM UHRZEIGERSINN); TITEL: GETTY IMAGES IMPRESSUM Herausgeber: Evonik Industries AG Christian

und Rohstoffquellen zu bedeutenden Techno-logieträgern des 21. Jahrhunderts“, ergänzt Dr. Arend Oetker, Präsident des Stifter-verbandes für die Deutsche Wissenschaft und Schirmherr des European Science-to-Business Award, den Evonik alle zwei Jahre vergibt und der 2008 für das Thema weiße Biotechnologie vorge sehen ist.

INNOVATIONEN MIT HOHER ÖKOEFFIZIENZEvonik setzt unter anderem bei Amino säuren als Futtermittelzusatz oder bei der Herstellung von Kosmetika und Pharmazeutika schon seit Langem auf biotechnologische Verfahren. Das umfangreiche Know-how hat zudem seinen Niederschlag in mehreren erfolg-reichen Projekthäusern und ebendem S2B Bio gefunden, das im März 2007 offi ziell in Marl eröffnet wurde und von der Euro päi-schen Union kofinanziert sowie vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert wird. Aktuell sind hier 40 Mitarbeiter beschäftigt. „Wir

wollen diese Zahl aber noch auf 50 bis 60 erhöhen“, erklärt Haas. „Außerdem haben wir unsere laufenden Projekte so gewählt, dass wir unsere Kernkompetenzen gezielt dort ausbauen, wo sie die Evonik-Geschäfts-tätigkeit am besten unterstützen.“

Das gilt zum Beispiel für das Feld der Hautpflege und Kosmetik. So arbeitet ein Team unter Leitung von Dr. Tim Köhler an einem verbesserten Herstellungs verfahren für das Molekül Sphingosin, einen wich-tigen Baustein für sogenannte Ceramide, bei denen Evonik schon heute globaler Markt-führer ist. Diese Verbindungen sind wich-tiger Bestandteil der äußersten Hautschicht und spielen eine entscheidende Rolle für den Aufbau der Permeabilitätsbarriere, und damit für den Erhalt der Schutzfunktion, welche die Haut für den Körper erfüllt. Leider nimmt im Alter dessen Fähigkeit ab, die Ceramide selbst herzustellen. Umso ehrgeiziger wird das Ziel verfolgt, diese speziellen Lipide von außen in Form von Pflegeprodukten zuzuführen.

Raps & Co. als Technologie-träger von morgen

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20 BIOTECHNOLOGIE EVONIK-MAGAZIN 4/2008FÖRDERN

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Bislang gestaltete sich der Zugang zu Sphin-gosin-basierten Ceramiden ausgesprochen schwierig, weil ein vielstufiger chemischer Prozess notwendig war, um aus einer biotech-nologisch gewonnenen Ausgangsverbindung

Sphingosin und nachfolgend die benötig ten Ceramide zu machen – ein aufwendiger und damit auch kostenintensiver Weg. Nun ist es in einem gemeinschaftlichen Projekt von S2B Bio und dem Geschäftsbereich Consumer

Specialties gelungen, diesen komplizierten Pfad entscheidend abzukürzen. „Wir haben die gut etablierten Hefestämme, die bereits erfolgreich zur Produktion der Ausgangsver-bindung Phytosphingosin eingesetzt werden, durch moderne biotechnologische Verfahren dazu gebracht, nun direkt Sphingosin an stelle von Phytosphingosin zu erzeugen“, berich-tet Köhler. Dazu war es nötig, eine Reihe von Fremdgenen aus verschiedenen Organis-men in die Hefe Pichia ciferrii zu übertra-gen. Diese Gene sind für die Biosynthese des Ceramid bausteins Sphingosin verantwort-lich. Die neue Herstellungsweise birgt nicht nur signifikante Kosten vorteile, sondern basiert auch vollständig auf nachwachsenden Rohstoffen.

Ein anderes Beispiel sind neue Materia-lien beziehungsweise Ober flächen. „Zielte die erste Welle der Entwicklung vor allem auf Pharma und Kosmetik ab, stehen nun zunehmend neue Polymere im Fokus“, berichtet Haas. Vor reiter auf diesem Feld

Schnelles Wachstum der weißen Biotechnologie

Vom Raps zum Turnschuh

Ein wichtiges Forschungsgebiet im Science-to-Business-Center

Bio sind neue Materialien oder Ober-fl ächen. Dr. Katrin Grammann

erforscht und optimiert mit ihren Mitarbeitern Bakterien, die aus Zucker

beziehungsweise Fettsäuren neue Polymerbausteine erzeugen.

Als Ausgangsstoffe dienen Rüben und Zuckerrohr, aber auch Raps und

Mais. Küchenfl ächen, Datenträger oder eben Turnschuhe könnten so in Zukunft

teilweise vom Acker stammen. Foto Mitte: Analyse der chemischen Umsetzung eines biotechnologisch

gewonnenen Intermediates

Derzeit hat die weiße Biotechno logie bereits einen Anteil von fünf Prozent am Gesamt-umsatz der welt weiten chemischen Industrie. Die Pro duktion auf Basis biotechno-logischer Verfahren könnte bis 2010 auf bis zu zehn Prozent steigen.

5%

Weltweiter Umsatz mit Chemikalien (ohne Pharma-

zeutika): 1.584 Mrd. €

Weltweiter Umsatz (geschätzt):

1.600 Mrd. €

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oder Küchen flächen zumindest zum Teil aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen.

Während die fleißigen Helfer in den Berei-chen Kosmetik und neue Werkstoffe damit schon an konkreten Produkten arbeiten, hat Dr. Jan Pfeffer mit seinen Mikroben andere Ziele. Sie sollen möglichst effektiv Bio methanol umwandeln. „Dieses einfache Molekül kann von speziellen Mikroorganis-men verstoffwechselt werden und ist auf die-se Weise ein idealer Baustein für eine Viel-zahl industriell relevanter Verbindungen“, so der Experte.

2,5 MILLIONEN TONNEN IM JAHRSchon heute werden große Mengen Metha-nol aus Erdgas, Naphtha, Schweröl, Kohle oder Torf hergestellt. Die Biotechnologie hat künftig gleich zwei Aufgaben: zum einen die Rohstoffbasis um Holz, Biogas oder biogene Reststoffe zu erweitern, zum anderen neue Zugänge zu wichtigen chemischen Stoffen, wie Biopolymeren, zum Beispiel Polyhydroxy-

Fleißige Hefen, Pilze und Bakterien

waren abbaubare Kunststoffe, die fermen-tativ hergestellt werden und sich zum Bei-spiel im Kompost zersetzen. Doch nun ist Ersatz für klassische polymere Bau steine gefragt, die über lange Einsatzzeiten Hoch-leistungen erbringen und deshalb in puncto Lebensdauer und mechanische Belastbar-keit ihren Alternati ven aus Erdöl nicht nachstehen. Die Produktionskapazität für Bio polymere steigt rasant an. Lag sie 2007 noch bei 315.000 Tonnen, soll sie sich bis 2010 auf rund 1,4 Millionen Tonnen erhö-hen. „Wir beschäftigen uns deshalb intensiv mit Bakterien, die Monomere oder direkt Polymere erzeugen können und dabei als Ausgangsstoffe Zucker, ganz gleich, ob aus Rüben oder Zuckerrohr, beziehungsweise Fett säuren aus entsprechenden öl haltigen Pf lanzen wie Raps oder Mais nutzen“, erklärt Dr. Katrin Grammann, die im S2B Bio die entsprechende Arbeitsgruppe leitet. Nach den Vorstellungen der Marler For-scher könnten künftig Sportschuhe, CDs

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22 BIOTECHNOLOGIE EVONIK-MAGAZIN 4/2008FÖRDERN

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buttersäure oder Spezial chemikalien zu schaf-fen. In allen Fällen dient das Methanol-Mole-kül als gut zugängliche Kohlenstoffquelle. „In Raps und Rüben steckt mehr als nur die Vor-stufe von Biodiesel und Biosprit. Als Grund-stoffe für die industrielle Produktion tragen die Erträge des Ackers ein Mehrfaches zur Wertschöpfung bei als Brennstoff“, konsta-tiert Oetker. Gerade die deutsche Chemie-industrie steht nachhaltig zu dieser Erkennt-nis. Schon heute nutzt sie jährlich mehr als 2,5 Millionen Tonnen. Diese haben immer-hin einen Anteil am Grundstoff einsatz von 12 Prozent – also deutlich mehr als bei der Wärme-erzeugung (5,5 Prozent), den Biokraftstoffen (4,7 Prozent) oder bei der Stromgenerierung (3,0 Prozent). Das S2B Bio von Evonik wird diesen Trend nicht nur stützen, sondern will mit innovativen Produkten aus nachwach-senden Rohstoffen selbst zum Trendsetter werden. Hefen, Bakterien und Pilze wer-den dabei als unermüdliche Arbeitstiere weiterhin wertvolle Hilfe stellung leisten. <

Vom Holz zum Futtermittel

Ganz auf Biomethanol fokussiert ist die Arbeitsgruppe von Dr. Jan Pfeffer.Das einfache Molekül lässt sich mit

spezialisierten Mikroben aus Holz oder Stroh gewinnen. Auf der anderen

Seite können viele Mikroorganismen dieses Molekül einfach verstoff-

wechseln und so eine Vielzahl von chemischen Verbindungen herstellen,

die für die Industrie interessant sind, zum Beispiel für die Herstellung

von Futtermitteln. Der „Biosprit“ kann so zum Ausgangspunkt einer

nachwachsenden Chemie werden. Foto Mitte: Prüfen der Identität von

mikrobiellen Produzentenstämmen

Wo kommt die weiße Biotechnologie zum Einsatz?

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In den unterschiedlichen Bereichen wächst die weiße Biotechnologie unterschiedlich stark. Am meisten profi tieren Fein- und Spezialchemie – hier ist Evonik weltweit führender Anbieter. Große Bedeutung haben Waschmittelenzyme, Vitamine oder Futtermitteladditive. Weitere Prognosen bis 2015:

Feinchemie

Polymere

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Basischemie und Zwischen-

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2004 2015Angaben in Prozent

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Ökonomie des WassersNur ein Prozent des verfügbaren Wassers auf der Erde würde aus reichen, um die Welt zu versorgen. Der natürliche Wasserkreis lauf – Regen, den die Flüsse ins Meer leiten, aus dem es wieder zu Wolken verdunstet – garantiert den Nachschub. Dennoch ist Wasser knapp. Mehr als 1 Milliarde Menschen hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, für über 2 Milliarden fehlen Sanitär einrichtungen. Turk menistan verbraucht weltweit am meisten Wasser. 5.322 Kubikmeter pro Einwohner und Jahr fl ießen fast voll ständig in den Ackerbau, weil es bei heißem Klima wenig regnet. Auch die USA sind Großverbraucher, allerdings nicht ihre Landwirte, sondern Haushalte und Industrie

Wassernutzung

Konsum steigt anBewässerung von Agrarland verschlingt weltweit die Ressourcen

Euro müssen bis 2020 investiert werden, um welt-weit die Wasser versorgung zu sichern. Es fehlen Rohr leitungen, Speicher, Filter. In reichen Ländern wird zu wenig repariert, in armen fehlen Basis-einrichtungen.

1.488.000.000.000 Wasserversorgung

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QUELLE: JPMORGAN 2008 QUELLE: WELTBANK, UNDP

Verbrauch in Landwirtschaft, Industrie und Haushalten pro Einwohner und Jahr

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Angaben in km3

Landwirtschaft

IndustrieHaushalte

Der weltweiteWasserverbrauch

YUKON, KANADA/USA0,12 Einwohner je km2, 1.249.832 m3 Wasser pro Einwohner/Jahr

THELON, KANADA0,01 Einwohner je km2, 14 .641.336 m3 Wasserpro Einwohner/JahrDie kanadischen Flüsse führen viel mehr Wasser, als das 33-Millionen-Einwohner-Land verbrauchen kann

AMAZONAS, BRASILIEN3,66 Einwohner je km2,273.767 m3 Wasserpro Einwohner/JahrWasser fl ießt reichlich im Norden. Im Osten leiden Mensch und Land-wirtschaft unter Dürren

24 EVONIK-MAGAZIN 4/2008INFORMIEREN

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Trinkwasser in Haushalten und Gewerbe 2007

Glasklare SacheVirtuelles Wasser

Verborgene Quellen4.000 Liter verbraucht jeder Deutsche jährlich, die Hälfte mit Importware

In Deutschland ist Wasser besonders sauber. Laut §3 der Trinkwasser-verordnung muss es für Speisen, Getränke, Körperpfl ege und die „Reinigung von Gegenständen“ verfügbar sein. Also auch für die Autowäsche.

Wäsche waschen15 l

Baden, Duschen, Körperpflege

45 l

QUELLE: BDEW, BERLIN QUELLE: RECHERCHE

QUELLE WELTKARTE: FAO AQUASTAT, AUGUST 2008; QUELLE FLÜSSE: EARTHTRENDS DATA TABLES

Gesamt124 Literje Einwohner

und Tag

Toiletten-spülung

34 l

Geschirr spülen

7 lRaumreinigung, Auto pflege, Garten7 l

Kochen, Essen, Trinken5 l

Anteil Kleingewerbe11 l 1 Blatt Papier (80g/m2)

1 Mikrochip1 Tasse Tee

1 Ei1 Tasse Kaffee

1 Tüte Kartoffelchips1 Hamburger (150g)

1kg Gefl ügelfl eisch1kg Basmatireis

1 Paar Schuhe (Rindsleder)

1 Jeans1 Auto

0 3.000 6.000 9.000 12.000

10l32l35l135l140l185l

2.400l3.918l

4.200l8.000l

10.850l400.000l

Virtuelles Wasser bezeichnet die Wassermenge, die zur Herstellung eines Konsumgutes nötig ist.

Liter

INDIGIRKA, SIBIRIEN0 Einwohner je km2, 973.515 m3 Wasserpro Einwohner/Jahr Der Wasserreichtum kann in der menschen-leeren Region nicht verwertet werden. Infrastruktur für Wassertransporte ist nicht vorhanden

HWANGHO, CHINA156,43 Einwohner je km2, 361 m3 Wasser pro Einwohner/Jahr Zeitweise ein Fluss ohne Wasser: zu viele Nutzer, zu wenig Regen

OGOWE, GABUN1,93 Einwohner pro km2,289.401 m3 Wasserpro Einwohner/Jahr Stärkster Fluss Afrikas: unerreichbare Flusstäler im Regenwald, den bisher nur eine Bahnlinie erschließt

OUED DRÂA, MAROKKO9,99 Einwohner pro km2

2 m3 Wasserpro Einwohner/JahrFehlende Nieder -schläge senken den Grund wasser-spiegel. Erst 50 km vor der Mündung in den Atlantik führt der Fluss Wasser

RHEIN/MAAS, MITTELEUROPA318,61 Einwohner je km2, 1.396 m3 Wasser pro Einwohner/Jahr 39 zwischenstaatliche Verträge begrenzen die Wasserrechte. Hohe Niederschläge in den Anrainerländern sichern den Normalbedarf

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26 REPORT INDIEN EVONIK-MAGAZIN 4/2008BEWEGEN

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Strom nach Indien Indien wird beim Wachstum sogar China überholen, erwarten Experten. Doch 400 Millionen Inder sind noch ohne Elektrizität. Hier kann Evonik vor Ort helfen

Stadt der Gegensätze: In den Slums vor Bangalore, dem indischen Wirtschafts-

Zentrum, holen Frauen Wasser – überragt von der imposanten

Glas pyramide der Infosys Technologies Ltd., einer global

agierenden IT- Firma

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Ohne Strom: Provisorisch wird ein Neubaugebiet in Gurgaon bei Neu-Delhi mit Strom versorgt. Immer mehr Unternehmen und Pendler zieht es in die Satellitenstadt

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Zwischen Highway und Holzkarre

Unter Strom: Nachts erstrahlt die Shopping-

meile in Bangalore. Indiens „Silicon Valley“

ist Standort 1.500 aus ländischer Unter-nehmen. 6 Millionen

Menschen wohnen in dem Ort, der noch vor 15 Jahren 2,5

Millionen Einwohner hatte. Infrastruktur

und Stromversorgung können mit dem

Fortschritt kaum mithalten

Ein improvosierter Schulbus transportiert mehr als 35 Kinder am Rand Neu-Delhis zur Schule. Die Anzahl von Grundschulen ist seit den 50er-Jahren um 230 Prozent gestie-gen, nichtsdestotrotz ist Indien mit rund 400 Millionen nach wie vor das Land mit der höchsten Analphabeten-rate der WeltFO

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29BEWEGENREPORT INDIENEVONIK-MAGAZIN 4/2008

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450 Milliarden Dollar für die InfrastrukturTEXT OLIVER MUELLER

INDIENS BOOM sind durch Engpässe in der Energie-Erzeugung immer noch Grenzen gesetzt. Zwischen Strombedarf und -angebot klafft zu Spitzenzeiten eine Lücke von 13 Prozent. Das erschwert die Anbindung der 400 Millionen Inder, die noch ganz ohne Strom leben müssen. Firmen sind durch Stromausfälle zum Einsatz teurer, abgas-intensiver Generatoren gezwungen. Durch Diebstahl und Übertragungsverluste verliert das Land zudem noch immer 40 Prozent seines Stroms.

Die Elektrizitätsbranche befindet sich im Aufschwung, seit eine Gesetzes änderung 2003 das Regulierungsumfeld merklich ver-bessert hat: Wettbewerb und Marktkräfte greifen zunehmend, und die Tür für pri-vate Investitionen wurde weit aufgestoßen, Manager werden optimistisch: „In Energie-projekte kommt eindeutig Bewegung“, erkennt Siemens-Chef Peter Löscher. Sein Konzern geht davon aus, dass Indiens Markt für Strom-Erzeugung und -übertragung ein Jahrzehnt lang um mindestens zehn Pro-zent jährlich wächst. Geschäfte versprechen sich Lieferanten von fast 80.000 Megawatt zusätzlich zu bauender Kraftwerksleistung, die bis 2012 geplant sind. Sie sind Teil der 450 Milliarden US-$ Infrastruktur- Investitionen, die der Staat in dieser Zeit anschieben will.

Der größte Teil davon soll in den Energie -sektor fließen.

Experten sehen Indien bereits auf dem richtigen Weg: Eine nennenswerte Zunah-me privater Infrastruktur-Investitionen soll sich nach Berechnung der Unternehmens-beratung Ernst & Young AG bis 2012 auf 100 Milliarden US-$ summieren. Angeführt von Reliance Energy Ltd. und Tata Power Ltd. mobilisieren große Konglo merate Milliarden für den Bau von Kraftwerken.

IN SURAT IST INDIENS ZUKUNFT ZUM GREIFEN NAHMarktchancen für Hochtechnologie-Anbie-ter aus Deutschland öffnen sich auch durch die Modernisierung alter Anlagen, denn mit herkömmlichen Methoden wäre der Hun-ger nach Energie kaum zu decken – vor allem nicht umweltschonend. The Energy and Resources Institute (TERI), Indiens bekanntestes Energie-Forschungs institut, geht davon aus, dass sich der Verbrauch des Hauptenergieträgers Kohle in den kommen-den 25 Jahren verdreifacht: von 125 Millio-nen auf 400 Millionen Tonnen pro Jahr.

„Kohle ist und bleibt die Hauptquelle unserer Stromversorgung“, unterstreicht Rakesh Nath, Chairman der Central Electri-city Authority (CEA), der technischen Abtei-lung des Strom-Ministeriums. Vor allem durch die Steigerung der Energie -Effizienz

Blick auf die Kraft-werksanlage vom Dach

des Pumpenhauses; Werksleiter Mathura

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30 REPORT INDIEN EVONIK-MAGAZIN 4/2008BEWEGEN

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alter Kraftwerke sieht Nath „riesigen Raum für Verbesserungen“. Dies belegt auch eine von der Gesellschaft für Technische Zusam-menarbeit (GTZ) unterstützte Studie, bei der Evonik Energy Services GmbH alle beste-henden 85 Kraftwerke des Landes auf ihr Effizienzpotenzial untersucht. Zu 35 liegen bereits konkrete Daten vor: Im Schnitt liegt deren Wirkungsgrad zehn Prozent unter den möglichen Parametern.

„Wenn wir dort moderne deutsche Tech-nik einbauen wie Online-Überwachungs-systeme, dann sind riesige Effizienz-steigerungen möglich“, meint V. S. Verma vom Planungsstab der CEA. Neue Kraftwerke werde sein Land künftig von Anfang an mit den modernsten Optimierungs techniken ausstatten. In einigen haben die Arbeiten begonnen, und Evonik Industries AG ist ein wichtiger Lieferant. Die IT-Sparte der Evonik Energy Services GmbH hat mit ihrer Optimierungssoftware „SR::EPOS“ bereits mehr als ein Dutzend Kohle-Kraftwerks-blöcke fit gemacht für die Zukunft.

Das Potenzial ist viel größer – und wird zunehmend ausgeschöpft: Evonik hat gera-de mit Bharat Heavy Electrical Ltd. (BHEL), einem der größten Anlagenbauer Indiens, einen Rahmenvertrag zur Ausrüstung von 14 Kraftwerks-Neubauten abgeschlossen. Darüber hinaus besteht eine Option auf die Lieferung von bis zu 40 weiteren Systemen.

In Surat ist Indiens Boom zum Greifen nah. Die Hafenstadt am Arabischen Meer pflegt seit Jahrhunderten enge Handels-kontakte mit dem Rest der Welt. Die Stadt an der Küste des westindischen Bundes-staats Gujarat hat sich inzwischen zu einem Zentrum der Petrochemie aufgeschwungen. Eine Ausfallstraße führt hinaus aus der dichten Hochhausbebauung der Innen-stadt, vorbei an Palmen und Reisfeldern ins Industrie gebiet Hazira.

Zwischen den riesigen Petrochemie-anlagen von Reliance Industries, Indiens größtem Industriekonglomerat, und einem ausladenden Werk des Anlagenbauers Larsen & Toubro Ltd. recken sich vier Kraft-werks-Schornsteine in den subtropischen Himmel. Die Anlage gehört dem staatlichen Versorger Gujarat State Energy Genera tion Ltd. (GSEG). Ihre zwei Gasturbinen und die Dampfturbine leisten 156 Megawatt (MW). Seit der Inbetriebnahme 2001 wird dieses hocheffiziente Kraftwerk gemanagt und gewartet vom Geschäftsgebiet Energie-Dienstleistungen von Evonik. „Das war unser erster Auftrag für Betriebsführung in Indien“, erklärt Mathura Kumar Gupta stolz. Für den Kraftwerksleiter beweist Evonik in Hazira, dass private Anbieter Kraft-werke effi zienter und billiger betreiben können als ihre in Indien meist staatlichen Eigentümer.

Hemant Gajjar bestätigt dies: „Indem wir den Betrieb in professionelle Hände legen, können wir unsere finanziellen und perso nellen Ressourcen für Wichtigeres einsetzen, nämlich Expansion“, erklärt der örtliche General Manager des Besitzers GSEG. Mit einem ambitionierten Neubau-programm will der Bundesstaat Gujarat in fünf Jahren sein Elektrizitätsdefizit behoben haben. Der Ausbau des Kraftwerks in Hazira um weitere 350 MW hat gerade begonnen. Die Betreiberfrage ist noch ungeklärt. „Aber Evonik wäre ein natürlicher Partner“, lacht Gajjar. Für den drahtigen Manager hat die Vergabe von Betriebsführungsaufträgen an Dritte in Indien eine exzellente Zukunft.

ASIENS TOP-MARKT VON MORGENDer Kraftwerksmarkt in Indien rückt für Evonik Industries immer stärker in den Mit-telpunkt des Auslands-Energiegeschäfts. „Dieses Land ist einer unserer größten Wachstumsmärkte weltweit“, erklärt Dr. Ralf Gilgen, Vorsitzender der Geschäfts-führung von Evonik Energy Services GmbH. „Es ist sicher unser Top-Markt der Zukunft in Asien.“ Derzeit liegt der Fokus weiter auf Dienstleistungen. Immerhin macht Indien bereits zehn Prozent der weltweiten Umsätze von Energie-Dienstleistungen aus – Tendenz steigend. Mittelfristig geht die Evonik Energy >

Inseln des Luxus: Der Swimmingpool steht den Angestellten des IT-Dienstleisters Infosys zur Verfügung. Infosys sitzt in einem Vorort Bangalores, der „Electro-nic City“, und ist mit 91.000 Mitarbeitern und 40 Niederlassungen weltweit präsent

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Services GmbH dort von 10 bis 15 Prozent Umsatzwachstum pro Jahr aus. Evonik bietet eine breite Palette von Diensten an: Sie rei-chen von Ingenieurdienst leistungen wie dem Design von Kraftwerken über die Moderni-sierung von Altanlagen mit modernsten IT-Systemen bis hin zu Betrieb und Wartung. Die Essener sind zudem in dem für Indien besonders wichtigen Bereich der sauberen Kohlever stromung stark, und sie haben das Marktpotenzial vor der Konkurrenz erkannt: Bereits 2001 wurde eine Landestochter in Delhi, Evonik Energy Services (India), Pvt. Ltd., gegründet. Diese hat mit 180 Mitarbei-tern inzwischen auch für Großaufträge die nötige kritische Masse.

Die umwelttechnische Nachrüstung von Altanlagen verlangt nach immer neu-en Investitionen. Zur Stärkung des Betriebs-führungs geschäfts etwa wird der Aufbau einer Schulungseinrichtung erwogen. Sie würde auch einem wachsenden Fach arbeiter-mangel entgegenwirken. In Hazira verlangt diese Folge des Booms in der Elektrizitäts-branche Werksleiter Gupta tagtäglich hohe Führungsqualitäten ab: „Mitarbeiter bei der Stange zu halten und zu motivieren ist meine wichtigste Aufgabe“, berichtet der freund-liche hemdsärmelige Manager. Beim Wett-bewerb um Fach kräfte ist gute Bezahlung nicht alles: Die Fluktuations rate in seinem 72-Mann-Team hält Gupta durch besondere

Angebote im Rahmen wie etwa einem Bus-dienst, der Angestellte in der Stadt abholt und ihre Kinder zur Schule fährt. Schlüssel-personal wohnt in hübschen Wohnungen auf dem Werks gelände. Personalführung ist nach Einschätzung von Unternehmens-beratern für den Erfolg von Dienst leistern in Indien besonders kritisch. Denn nur wer sta-bile, hochkarätige Teams bildet und deren Stärke stets mit dem expandierenden Markt mitwachsen lässt, kann bei Kunden auf Dau-er punkten. Als Personal chef kommt damit Jatin der Singh eine Schlüssel position zu. „Auch Fortbildungs- und Karriere entwick-lungs- Programme sind wichtig, um Mitar-beiter zu halten“, erklärt der Inge nieur.

AUS INDIENS WISSEN KOMPETENZ ENTWICKELNWerksleiter Gupta hat von diesen profitiert. Er ist ein Beispiel für die schnellen Aufstiegs-möglichkeiten, die ehrgeizige Fachkräfte bei Evonik finden: Der 37-jährige Elektroinge-nieur stammt aus einer abgelegenen Klein-stadt in Bihar, einer der ärmsten Gegenden des Landes. Verglichen mit 1995, als er in Surat ankam, erkennt Gupta seine Umge-bung kaum wieder: „Vor zehn Jahren war das hier eine kleine Stadt mit schlechten Stra-ßen“, erinnert er sich. „Jetzt ist Surat sauber und ordentlich, die Wirtschaft wächst rasant, und niemand kann das aufhalten.“

Die Dynamik der Region war ein Lockmittel, um D.C. Shekar für einen Umzug nach Surat zu gewinnen. „Die Lebens qualität hier ist exzellent“, sagt der frisch von der Konkur-renz weg geheuerte Leiter des Kraftwerks-Wartungsteams. Aber der Hauptgrund für seinen Wechsel zu Evonik war ein ande-rer: „Ich habe nach einer besseren Firmen-kultur gesucht und nach mehr Teamgeist, und beides finde ich hier“, erklärt der hoch-gewachsene Süd inder mit kräftiger Stimme. Zusammen mit drei Sicherheits ingenieuren testet er gerade einen schweren Lastkran, mit dem demnächst eine Turbine zur War-tung aus ihrem Gehäuse gehoben werden soll. In der gegenüber liegenden Wasser-aufbereitungs anlage wechseln drei wei-tere Mitarbeiter eine Wasserpumpe aus. In einem Kontrollraum überwacht derweil der Chemiker Rajesh Patil den aufwendigen Wasserreinigungs prozess am Bildschirm.

Dieses Kraftwerk hat vor acht Jahren den Grundstein gelegt für die Expansion von Evonik in Indien. Der Vater des Erfolgs ist ein jovialer Herr mit geschliffenen Umgangsformen, der Ruhe und Kompe-tenz ausstrahlt und zugleich schnell und scharf denkt: Dr. Jacob T. Verghese. „Hazi-ra war unser erster Meilenstein“, erinnert sich der Länderchef an die Anfänge. Inzwi-schen hat dieser Mann der ersten Stun-de viele weitere hinzugefügt. Der jüngste

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Ein geschliffener Ton, Ruhe und Kompetenz

Dinesh Patel, Amit Panchal und Rajesh Vaghasia aus dem Wartungsteam

reparieren eine Klimaanlage auf dem Turbinenhaus; Verwaltungschef

Baiju Anthony, Wartungschef D.C. Shekar und Operation Manager Praveen Patel

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32 REPORT INDIEN EVONIK-MAGAZIN 4/2008BEWEGEN

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ist der Bezug eines neuen, blau verglasten Büro gebäudes in Noida, einer rasch wach-senden Trabanten stadt am Rande De lhis. Dank Vergheses Umtriebig keit waren die alten Räume schnell zu klein geworden. Zur feierlichen Eröffnung des neuen Indien-Hauptquartiers entzündet Evonik- Energy-Services-GmbH-Chef Gilgen nach alter Tra-dition eine Öl lampe an der Tür schwelle. Dann wendet er sich an den ersten Evonik-Mitarbeiter in Indien: „Sie haben damals mit einem kleinen Baby angefangen“, sagt er zu Verghese, „heute sind Sie Vater eines gro-ßen Kindes.“

Evonik braucht neue Mitarbeiter nicht nur, um den wachsenden lokalen Markt zu bedienen. Das Unternehmen will Indiens Wissensressourcen künftig noch stärker und strategischer für seinen weltweiten Erfolg nutzen, wie General Electric, IBM, Siemens, Microsoft oder SAP. „Wir planen einen deutlichen Ausbau unserer Ingenieurs-kapazitäten in Indien“, skizziert Länder-chef Verghese die Zukunft. Was das Unter-nehmen dort bei der Software-Entwicklung bereits erfolgreich vorpraktiziert, soll künf-tig auf andere Bereiche ausgedehnt wer-den: Indien bekommt auch in Bereichen wie Betriebsführung und Detailplanung neu-er Kraftwerke größeres Gewicht im globa-len Ingenieurs netzwerk von Evonik, über das Aufträge zunehmend unabhängig vom

Sitz des Kunden abgewickelt werden. Gil-gen erläutert den Hintergrund dieser stra-tegischen Initiative. Er geht davon aus, dass Indien in absehbarer Zeit zur weltweit größ-ten Ingenieursbasis seiner Sparte wird.

Im IT-Bereich, dem Pionier, klappt die globale Vernetzung der Teams inzwischen bestens. „In Indien kommt für uns vieles zusammen“, erläutert Diplomingenieur Mar-tin Hay vom Bereich System Technologies, der auf IT-Lösungen für Kraftwerke spezia-

lisiert ist. Neben der Verfügbarkeit guter Ingenieure und der Nähe zu neuen Wachs-tumsmärkten in Asien streicht er einen drit-ten Faktor heraus: „Die Zusammen arbeit mit Indien stärkt unsere Innovationskraft.“ Hays Fazit: „Unsere Präsenz in Indien erhöht das Produkt entwicklungstempo deutlich.“

Ingenieure in Delhi waren zum Bei-spiel maßgeblich beteiligt an der Entwick-lung eines neuen Systems zur statistischen Prozesskontrolle. Durch intelligente Daten-auswertung entdeckt dieses Schwach stellen bei Kraftwerkskomponenten besser und früher als zuvor. Evonik gibt diesem Sys-tem gerade in Indien gute Marktchancen. Mit seiner Hilfe könnte etwa die Leit warte in Hazira zukünftig Hinweise von Kollegen aus Delhi bekommen, die das Kraftwerk dort aus der Ferne am Bildschirm überwachen.

Leistungsfähige Datennetze überbrücken inzwischen nicht nur Distanzen wie die zwi-schen Delhi und Hazira innerhalb Indiens. Theoretisch könnten indische Techniker mit Hilfe der Überwachungs- und Optimierungs-Systeme von Evonik heute schon Kraftwerke in Deutschland aus der Ferne analysieren. „Das ist zwar noch Zukunftsmusik“, meint Gilgen. Doch irgendwann werde der Schritt von der techni schen Machbarkeit zur ope-rativen Umsetzung kommen. Dann könnte Indien auch im Bereich Betriebs führung glo-bale Kompetenzen entwickeln. <

Platz für Unterhaltung: 25 km vor den Toren Bangalores hat der Wonder-La-Freizeitpark eröffnet. Der Park lädt zur Fahrt auf den neuesten Loopingbahnen, Wasser-rutschen, ins Virtual-Reality-Theater und in die größte Lasershow Indiens

IndienSurat

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Die größten Wirtschaftszentren sind die boomenden Metropolregionen des Landes

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TEXT CORNELIA STOLZE

NOCH BIS VOR wenigen Jahren war die Sache mit dem Altwerden ein klarer Fall: Wenn im Gesicht die ersten Falten auf-tauchten und die Haut ledrig wurde, half nur eines: sich möglichst bald damit abfinden.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Schönheit ist nicht nur zu einem Faktor für beruflichen Erfolg und soziale Anerkennung geworden – Aussehen schafft Ansehen. Attraktive Männer bekommen im Schnitt 15 Prozent mehr Gehalt, Frauen immerhin noch 11 Prozent. Gut aussehende Gesetzes-brecher werden häufiger freigesprochen als die hässlichen.

Erfreulicherweise verstehen Wissen-schaftler auch immer besser, was in unserer äußeren Hülle passiert, wenn sie altert – und wie man diese Prozesse auch ohne Skalpell oder Spritze gezielt beeinflussen kann. „Die Fortschritte, die auf diesem Gebiet in den ver-gangenen Jahren erzielt wurden, sind enorm“, sagt Prof. Dr. Jean Krutmann, Direktor des

Die Haut überlistenDie Forschung weiß heute mehr über die Regeneration der Haut als je zuvor. Neue bioaktive Substanzen und Wirkstoffe lassen das Altern alt aussehen – ganz ohne Skalpell

Instituts für umweltmedizinische Forschung (IUF) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gGmbH. Erstmals, so der Derma-tologe, sei es heute mithilfe neuer Wirkstoffe möglich, den altersbedingten Abbau in der Haut nicht nur zu stoppen, sondern auch „eine Menge dieser Prozesse zurückzudrehen“. Dank molekularbiologischer Technologien können Forscher heute nämlich viel gezielter als bisher nach Substanzen suchen, mit denen sich der Aufbau und die Zusammensetzung der Haut schon in geringsten Konzentra-tionen nachweislich verbessern lässt.

HEISS BEGEHRTE ACTIVESSolche bioaktiven Substanzen, im Fachjargon auch „Actives“ genannt, sind in der Branche heiß begehrt. Die Evonik Industries AG hat die Zeichen der Zeit früh erkannt – als erster Hersteller von kosmetischen Wirkstoffen hat die heutige Evonik Goldschmidt GmbH unter anderem die sogenannte DNA-Chip-Techno-logie in ihrer Forschung eingeführt. „Damit können wir heute nicht nur die Wirkung von

Substanzen auf insgesamt 35.000 bekann-te Gene parallel testen“, erläutert Dr. Mike Farwick, Leiter der Wirkstoffentwicklung der Produktlinie Personal Care des Evonik-Geschäftsbereichs Consumer Specialties in Essen. „In einem einzigen Durchgang lassen sich damit auch Tausende von Einzelexpe-rimenten machen, die früher nacheinander ausgeführt werden mussten.“

Aus der sprichwörtlichen Suche nach der „Nadel im Heuhaufen“ ist damit eine hoch-effiziente „Raster-Fahndung“ geworden, die auf detaillierten Kenntnissen der Molekular-biologie und Hautphysiologie basiert. Zum einen weiß man, dass jede Hautzelle – wie alle Zellen des menschlichen Körpers – eine kleine Fabrik ist: Für viele Stoffwech-selvorgänge, die in ihr stattfinden, schaltet die Zelle je nach Bedarf bestimmte Gene an oder aus. Neben inneren Faktoren spielen dabei auch äußere Einflüsse eine Rolle. Ob Sonne, Kälte oder Nässe – die Hautzellen passen ihren Stoffwechsel so weit wie mög-lich den Umgebungsbedingungen an. >FO

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34 ANTI-AGING EVONIK-MAGAZIN 4/2008ENTWICKELN

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Jede 10. verkaufte Gesichtspflege trägt inzwischen den Untertitel Anti-Aging. („Focus“)

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Zum anderen ist seit Langem bekannt, dass sowohl einige natürlich vorkommende als auch manche chemisch hergestellte Verbin-dungen den Aufbau und die Zusammen-setzung der Haut schon in geringen Konzen-trationen verändern können. Die Kunst besteht nun darin, unter den Hunderttausen-den unterschiedlichen, weltweit verfüg-baren Substanzen jene wenigen zu finden,

die sowohl wirksam als auch spezifisch und gut verträglich sind.

Genau hier liegt die Stärke der DNA-Chip-Technologie. Mit ihr lässt sich messen, wie aktiv ein Gen in der Zelle ist: Ist es ange-schaltet, liegen in der Zelle Tausende von Abschriften des Gens vor, sogenannte Mes-senger-Ribonukleinsäuren (mRNA). Ist es nur schwach aktiv, ist die Menge der jewei-

ligen mRNA entsprechend geringer oder unter der Nachweisgrenze. Um herauszu-finden, welche Sub stanzen einen Effekt auf die Haut haben und welche nicht, tes-ten die Evonik-Forscher potenzielle Wirk-stoffe zunächst an Zell kulturen: Ein Schale mit isolierten Haut zellen wird mit dem Test-stoff behandelt, die andere nicht. Anschlie-ßend vergleichen die Forscher per DNA-Chip, welche Gene in der einen und welche in der anderen Probe ak tiviert oder ausge-schaltet waren. Dadurch, dass auf einen ein-zigen Chip „Sonden“ für Tausende von Gen-Kopien passen, lassen sich damit 35.000 Gene zur gleichen Zeit überprüfen. Erst-mals ist es mit dem Verfahren in der kos-metischen Forschung möglich geworden, frühzeitig zu bestimmen und umfassend zu beurteilen, welchen Einfluss einzelne Sub-stanzen auf die Haut haben.

Entscheidend ist dabei nicht nur, ob die Verbindung biologisch wirksam ist. Mindes-tens ebenso wichtig ist, dass der Stoff gut verträglich ist und der Haut oder dem Orga-nismus nicht schadet. Deshalb testen die Evonik-Forscher stets mit, ob es Hinweise auf eine toxische Wirkung der eingesetzten Substanzen gibt.

Der neue Forschungsansatz hat sich bereits bewährt. Vor wenigen Jahren sind Mike Farwick und seine Kollegen unter anderem auf einen Wirkstoff gestoßen, der

Durch den Inhaltsstoff PS SLC können tiefe Falten innerhalb von vier Wochen um rund zehn Prozent verringert werden. Die Regeneration der Haut erfolgt dabei doppelt so schnell. Die Grafik zeigt das Hautprofil vor und nach der Behandlung. PS SLC funktioniert, weil es ein Derivat des natürlichen Hautbestandteils Phytosphingosin ist.

Der Haut auf die Sprünge helfen

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Tief dringt der Wirkstoff in die Hautschicht ein und regt den Aufbau von Ceramiden an

Fettmoleküle (Ceramide) füllen die tieferen Furchen und glätten die Haut

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der Frauen wünschen sich ein Präparat, das Falten glättet oder zumindest reduziert.

(Quelle: Institut für Rationelle Psychologie München)

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In Deutschland werden jährlich rund 500.000 ästhetisch-plastische Operationen durchgeführt. Vor zehn Jahren ließen sich gerade einmal 100.000 Menschen

Gene gleichzeitig testet die DNA-Chip-Techno-logie – zur Entwicklung neuer Wirkstoffe gegen das Altern. 35.000

aller Männer weltweit 98%Das Gros beider Geschlechter verbringt täglich 60 Minuten im Bad und benutzt sieben bis zehn Produkte. („Focus“)

Fast alle Cremes bestehen zu 60–70% aus Wasser. („Stern“)

der Falten entstehen durch Ultraviolett-Strahlung.

80%

36 ANTI-AGING EVONIK-MAGAZIN 4/2008ENTWICKELN

36_Evonik_04-08_DE 3636_Evonik_04-08_DE 36 30.10.2008 17:22:48 Uhr30.10.2008 17:22:48 Uhr

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maßgeblich dazu beiträgt, die Alterungs-erscheinungen der Haut zu minimieren. Wie eine extern durchgeführte Studie mit 30 freiwilligen Testpersonen gezeigt hat, verrin-gert die Substanz mit dem zungenbreche-rischen Namen Salicyloyl-Phytosphingosin (PS SLC) gerade die tiefen, besonders sicht-baren Falten innerhalb von vier Wochen um rund zehn Prozent.

DAS RICHTIGE REZEPTDer Grund: PS SLC fördert unter anderem die Bildung bestimmter Fettmoleküle (Cera-mide), die in der äußersten Schicht der Haut eine wichtige Rolle beim Schutz vor Wasser-verlust spielen. Genau an diesen Stoffen fehlt es der Haut mit zunehmendem Alter. Zum Vergleich: Eine Großmutter hat gerade einmal noch rund die Hälfte der Menge von Ceramiden in ihrer Haut, die sie als Zehnjäh-rige hatte. Mit dem neuen Wirkstoff lässt sich ein Teil dieser Veränderungen in der Haut zurückdrehen: Ihr Feuchtigkeitsgehalt steigt, und die Haut wird deutlicher elastischer.

Ein guter neuer Wirkstoff allein, betont Mike Farwick, macht jedoch noch nicht den Erfolg aus. Mindestens genauso wich-tig ist es, ein passende Formulierung, also das richtige „Rezept“ zu finden. Der Mix mit anderen Creme-Bestandteilen wie Wasser und Ölen entscheidet nämlich darüber, wie viel beziehungsweise wie wenig man von

dem aktiven, in der Regel teuren Wirkstoff in einer Creme einsetzen muss, um eine be stimmte Effektstärke zu erzielen. „Je nach-dem ob man die richtige Mischung gefunden hat oder nicht, kann sich die nötige Wirk-stoffmenge schon einmal um den Faktor sechs unterscheiden.“

Lange Zeit haben Kosmetikhersteller einen Großteil ihrer Entwicklungsarbeiten darauf verwendet, diesen perfekten Mix zu finden. Neuerdings zeichnet sich jedoch ein neuer Trend ab. Selbst große, internationale Produzenten stützen sich inzwischen auch bei der Entwicklung fertiger Cremes und Lotio-nen gerne auf das Know-how der Evonik-Forscher. „Immer mehr Kunden wünschen sich heute, dass wir Ihnen eine Art „All-inclusive-Lösung“ bieten. Deswegen über-nehmen wir inzwischen zunehmend Unter-suchungen, die die Firmen früher selbst vornehmen mussten“, sagt Farwick.

Auf Wunsch bieten die Evonik-Forscher Kosmetikherstellern daher häufig Kom-plettlösungen an – von der toxikologischen Prüfung über Aktivitätsbeweise bis hin zu Stabilitätsanalysen und fertigen Formulie-rungen für kosmetische Produkte. „Dadurch verkürzt sich für den Kunden nicht nur der Produktinnovationszyklus“, erläutert Far-wick. „Dank unserer Vorarbeiten kann er auch entspannt und flexibel auf Verände-rungen des Markts reagieren.“ <FO

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Über 90% der Frauen benutzen Gesichtscreme. (IKW, 2002)

benutzt Anti-Aging-Kosmetik gegen feine Linien im Gesicht. (Emnid/„Oil of Olaz Anti-Ageing-Studie 2004“)

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Für nur 2% der Frauen über 25 Jahre kommt eine Schönheits-OPals Anti-Aging-Maßnahme infrage. (Emnid/„Oil of Olaz Anti-Ageing-Studie 2004“)

aus optischen Gründen operieren. Zum Vergleich: In den USA sind es bereits über 9 Millionen. (Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie, DGÄPC)

Eine Marketinganalyse der Kosmetikbranche zählt

in Deutschland rund 11.000.000 Männer, die regelmäßig ihr Gesicht pflegen – fast jeder dritte.

verwenden heute Pflegeprodukte. (Studie von „Global Cosmetic Industry“)

der Kosmetik-Produkte, die heute auf dem Markt sind, gab es vor fünf Jahren noch nicht. (Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e.V., IKW)

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37_Evonik_04-08_DE 3737_Evonik_04-08_DE 37 05.11.2008 9:23:29 Uhr05.11.2008 9:23:29 Uhr

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Eine recht unscheinbare Kunststofffläche hat mit einer fast revolutionären Technologie eine große Zukunft vor sich: Das Computer-Display des Microsoft Surface reagiert auf Berührung und Bewegung, Maus oder Tastatur werden überflüssig. Um Ordner zu öffnen, Objekte zu verschieben oder Filme abzuspielen, reicht eine einfache Bewegung oder Berührung mit dem Finger – auch durch mehrere Personen gleichzeitig. „Der interaktive Surface-Tisch wird die Shopping- und Ausgeh gewohnheiten und das tägliche Leben von Verbrauchern rund um die Welt revolutionieren“, glaubt Pete Thompson, General Manager Microsoft

Surface. Das anwendungs- und produktionstech-nische Know-how sowie das entscheidende Material für die visuelle Schnittstelle des innovativen Tabletops liefert die Evonik Industries AG. Die notwendige Projektionshardware ist aus mehreren optischen Funk-tionsschichten aufgebaut, materielle Basis ist dabei PLEXIGLAS mit seinen exzellenten optischen und physikalischen Eigenschaften. In komplexen Prozess-schritten werden die PLEXIGLAS-Komponenten im hessischen Weiterstadt zum „Computer der Zukunft“ zusammengebaut, die Produktionskapazitäten 2008 bereits stark erweitert.

Hardware und Know-how für den Computer der Zukunft

Auf dem Weg zum Surface-Computing

Die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 ist auch das Programm einer Zeitschrift: Das Hoch-glanzmagazin „zwanzig 10“ begleitet und kommentiert den Weg der Ruhr-Region zur Kulturhauptstadt Europas seit Ende 2007.EVONIK-MAGAZIN Kulturland Deutschland, was kann das Ruhrgebiet dazu auch nach 2010 beitragen?

Magazin „zwanzig 10“ feiert Ruhr-Region als Kulturhauptstadt Europas

Hochglänzende Zukunft MARGRIT GRÄFIN VON WESTPHALEN ZU FÜRSTENBERG (MGvW) Das Ruhrgebiet ist die Boom-Re gion im Herzen Europas. Hier können wir die Gesellschaft von morgen schon heute beobachten.EVONIK-MAGAZIN In ein paar Wor ten: Was ist ihr Magazin-Konzept? MGvW Neue Bilder – andere Worte! „ zwanzig 10“

beinhaltet hochwerti gen Journalis mus für eine elitäre und kultivierte Ziel - gruppe. Wir wenden uns an Entscheider aus Wirtschaft und Politik und wollen

Die Zukunft hat begonnen. Das Display des Microsoft Surface reagiert auf Berührungen, es erkennt mehr als 50 gleichzeitig

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den kulturellen Reichtum des Reviers vorstellen. „zwanzig 10“ ist aber auch ein künstlerisches Projekt.EVONIK-MAGAZIN Wie kam es zu „zwanzig 10“?MGvW Die Zeit war reif für ein hochwertiges Imageprodukt in der Ruhr-Region. Diese Idee beschäftigte mich, und in Stefan Meutsch fand ich einen innovativen, ambitionierten Verleger. EVONIK-MAGAZIN Wie wird sich das Maga-zin nach 2010 verändern? MGvW „zwanzig 10“ wird das Kulturmagazin in Deutschland sein, denn es bietet einen enormen Spielraum für den Aufbau im Sinne einer klassischen Marke. Hier denke ich zum Beispiel an einen Kulturhauptstadt-Guide oder an das weite Feld des Merchandising …

Die Partnerschaft zwischen der Evonik Industries AG und dem Welt-Wirtschafts-Forum geht mit einer Vertragsverlängerung in die zweite Runde. Das unabhängige Forum mit Sitz in Genf (Schweiz) ist Diskussionsort für globale ökonomische, ökologische und soziale Probleme. Neben regionalen Veranstaltungen initiiert das Forum jährliche Gipfeltreffen in Davos (Foto links, Schweiz), die mit Teilnehmern aus führenden inter nationalen Unternehmen, Regierungen weltweit und gesellschaftlichen Organisationen wegweisend sind. „Mit der Fokussierung auf die Megatrends Energie-Effizienz und Globalisierung ergänzen wir uns ideal“, meint Dr. Klaus Engel, designierter Vorsitzender des Vorstands von Evonik. Kon-kret ist Evonik in zwei Initiativen aktiv: der Initiative „Climate Change, Sustaina-bility and Clean Energy“ zur Gestaltung der Post-Kyoto-Zeit sowie der Initiative „Collaborative Innovation“, die übergreifend Treibhausgase minimieren will.

Partnerschaft mit dem Welt-Wirtschafts-Forum

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Margrit Gräfi n von Westphalen zu Fürstenberg ist Herausgeberin von „zwanzig 10“

38 EVONIK-MAGAZIN 4/2008INFORMIEREN

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Im Ruhrgebiet hat die Evonik Energy Services GmbH das deutschland-weit größte öffentliche Digital-Mobilfunknetz im Tetra-Standard installiert. SENET heißt das neue Angebot. Zu den ersten Kunden zählen Stadtwerke, Feuerwehren, Ölraffinerien, ein Chemiewerk und mehrere Taxiunternehmen. Damit stehen sie an der Spitze des Fortschritts, denn beim Betriebsfunk ist Digitaltechnik noch längst nicht Standard. Die deutsche Polizei, zum Beispiel, plagt sich noch immer mit alten Analog-Funkgeräten. Warum eigentlich Betriebsfunk, fragt sich der Laie – schließlich hat heutzutage doch jeder ein digitales Handy. So ähnlich hat man bei Evonik im Geschäftsbereich Energie auch gedacht, erzählt Hans-Dieter Rahmann, Projektleiter für SENET.

Doch dann platzte vor einigen Jahren eine Fernwärmeleitung. Beim Bemühen, den Schaden rasch zu beheben, stellten die Mitarbeiter von Evonik fest, dass mit ihren Handys vor Ort gar nichts mehr ging: Das Netz war überlastet. Funkstille. Nur wollte man zu dem alten ana-logen System nicht zurück. Wenn schon, dann wollte man künftig digi-tal miteinander funken. Doch habe sich schnell herausgestellt, sagt Hans-Dieter Rahmann, dass das „ganz schön teuer“ werden würde. Denn um das Kerngebiet an der Ruhr abzu decken, brauchte man we-nigstens 15 Basisstationen. Wie aber, wenn man andere Firmen als Kunden ins Boot holte? „Wir hörten uns um und stießen überall auf of-fene Ohren“, sagt Rahmann. Der Markt war da. Das Projekt SENET wurde aus der Taufe gehoben.

Man entschied sich für den Tetra-Standard, der auch Grundlage des geplanten bundesweiten Behördenfunks sein wird. Im April 2006 begann die Evonik Energy Services GmbH mit dem Bau erster Basis-stationen; heute deckt Evonik mit 24 Stationen das gesamte Ruhr-gebiet zuverlässig ab. Sie sind per Kabel oder Richtfunk miteinander und mit der Vermittlungsstation in Gelsenkirchen verbunden. Alle Stationen haben eine eigene Notstromversorgung, und das ganze System ist so redundant ausgelegt, dass es im Gegensatz zum öffentlichen Mobilfunknetz garantiert jederzeit verfügbar ist. Neben besserer Sprachqualität bietet das Digitalsystem Abhör-sicherheit durch Verschlüsselung und die Möglichkeit der Daten-übertragung einschließlich Flottensteuerung über integrierte GPS-Empfänger. Das alles bietet Evonik externen Kunden mitsamt Endgeräten und passender Software an. MARTIN KUHNA

Digitalfunk – zum Beispiel bei der Feuerwehr

Das neue Sicherheitsnetz

Dr. Wolfgang Reiniger (Essens Oberbürgermeister), Ulrich Bogdahn (Amtsleiter der Feuerwehr Essen), Hendrik Pieper (Geschäftsführer Selectric Nachrichtensysteme, Münster) und Martin Hay (Bereichsleiter System Technologies bei der Evonik Energy Services GmbH) bei der Vorstellung des Digitalfunks für die Feuerwehr in Essen. Ober-brandmeister Udo Karkowski (rechts) beim Test

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TEXT HARALD CARL

AUS DEM ARMDICKEN Rohr schießt eine Menge Wasser in die trübe Elbe. Die Versuchsanlage zur Ballastwasserbehand-lung läuft auf Hochtouren – 250 Kubik-meter pro Stunde werden dem Fluss ent-nommen und am Ende des Verfahrens – in besserer Wasserqualität – an den großen Strom zurückgegeben. Hier auf der Spit-ze zwischen Neuhöfer Kanal und Rethe laufen seit Sommer 2008 Dauertests. Mit ihnen wollen der Maschinenbauer Hamann AG (Hollenstedt bei Hamburg) und Evonik Industries AG ihr gemeinsam entwickeltes SEDNA-System noch weiter optimieren. SEDNA steht für Safe Effective Deactivati-on of Non-Indigenous Aliens – also für die sichere und effektive Inaktivierung von ein-geschleppten Arten.

Und die werden weltweit immer mehr zu einer Gefahr für viele lokale beziehungs-weise regio nale Ökosysteme. Nach Auffas-sung von Experten gehören die „blinden Passagiere“ im Ballastwasser zu den Top-Themen im Umweltschutz und rangieren mit der globalen Erderwärmung auf einer Stufe. Die Zerstörung von Öko systemen durch fremde Eindringlinge – ganz gleich, ob Viren und Bakterien, Pilze, Algen oder Plankton – kostet allein die USA 138 Milliarden US-$ pro Jahr. Deshalb werden

inzwischen weltweit über 20 Systeme zur Behandlung von Ballast wasser verfolgt, darunter auch physikalische Verfahren wie Ultraviolettstrahlung, Sauerstoff entzug oder Erhitzen.

Derzeit aber liegt SEDNA vorn, denn als erstes System, das eine chemische Kompo-nente einsetzt, hat es die Typenzulassung (Type-Approval) durch das für Deutschland zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH, Hamburg) erhal-ten. Schon im April 2008 hatte die Interna-tionale Organisation für die Seeschifffahrt (IMO; London, Großbritannien) dem Sys-tem das Final Approval erteilt. Die IMO ist innerhalb der Vereinten Nationen (Uno) die zuständige Ein heit für den gesamten See-verkehr. Damit steht für die globale Schiff-fahrt ein ebenso wirkungsvolles wie umwelt-schonendes Verfahren zur Verfügung, um das Einschleppen ortsfremder Organis-men mit dem Ballastwasser von Schiffen in Zukunft zu unterbinden.

NACH 24 STUNDEN IST DAS WASSER SAUBERDer dreistufige Prozess reinigt das Wasser, bevor es in die Ballastwassertanks gelangt: Zunächst trennen sogenannte Zyklone den größten Teil von Sedimenten und Lebe-wesen durch die Nutzung der Zentrifugal-kraft ab. Anschließend wird das Wasser

durch ein feines Filter mit einer Maschen-weite von nur 50 Mikrometern geleitet. „Dieser zwei stufige physikalische Prozess garantiert, dass unterschiedliche Feststoff-gehalte im Wasser genauso wie eine große Band breite an Lebewesen effektiv abge-trennt werden“, erklärt Dr. Matthias Voigt, bei Hamann als Vorstandsmitglied für For-schung und Entwicklung zuständig. Im letz-ten Schritt tötet eine maßgeschneiderte Mischung aus Wasser stoffperoxid und Per-essigsäure, die Evonik unter der Bezeich-nung PERACLEAN Ocean vertreibt, rest-liche Organismen ab. „Unser Produkt zeigt schon bei geringen Konzentrationen exzel-lente Biozid- und Fungizideigenschaften, zudem ist es komplett biologisch abbaubar“, betont Bernd Hopf, zuständiger Projekt-ingenieur bei Evonik Industries. In der Pra-xis werden für 1.000 Tonnen Ballastwasser nur 150 Liter PERACLEAN Ocean benötigt. Unabhängig von Anzahl und Art der Orga-nismen entspricht das Ballastwasser bereits nach nur 24-stündiger Verweilzeit im Tank den stren gen Anforderungen der IMO-Kon-vention zur Behandlung von Ballastwasser und Sedimenten aus dem Jahr 2004.

Der Typenzulassung war ein umfang-reiches Test- und Versuchsprogramm unter Einbindung von externen Experten wie bei-spielsweise Dr. Stephan Gollasch ( GoConsult, Hamburg) vorausgegangen. Dabei wurde

Wir müssen draußen bleibenMit dem Ballastwasser von Frachtschiffen reisen fremde Organismen mit. Sie bilden für Ökosysteme eine Bedrohung, die mit der Erderwärmung auf einer Stufe steht. Abhilfe schafft ein Filtersystem mit weltweitem Patent

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Sie reisen als blinde Passagiere: Während der Japanische Beerentang im norddeutschen Wattenmeer derzeit noch die Artenvielfalt bereichert, ist der holzhungrige Schiffsbohrwurm ein unliebsamer Immigrant: Allein an der Ostseeküste hat er seit 1993 Kosten von 50 Millionen € verursacht. Der robuste Gespensterkrebs verdrängt wie die Rippenqualle einheimische Fischarten in Nord- und Ostsee durch seinen hohen Konsum von Plankton

Amerikanische RippenqualleAsiatischer GespensterkrebsAmerikanischer SchiffsbohrwurmJapanischer Beerentang

Wander- oder Drei kantmuschel,

ursprünglich europäisch. Sie

macht ihrem Namen alle Ehre, breitet

sich weltweit rasant aus und macht

dabei viel Ärger: Teilweise legt sie die

Trinkwasserversorgung lahm, indem sie

Ansaugrohe verstopft

Jahr kommen rund 800 bis 1.000 hinzu

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Abbaugeschwindigkeit im Fotometer-Test: In behandelten Wasserproben weist die blaugrüne Färbung den verbliebenen Gehalt an Peressigsäure, die gelbe Farbe den an Wasserstoffperoxid nach; weitere Testläufe: Sie fi nden in den dicken Rohren und feinen Filteranlagen des SEDNA-Systems statt; der Lauf des Wassers: Das Bedienterminal ist anwenderfreundlich und zeigt – schematisch dargestellt – den Weg vom belasteten bis zum sauberen Ballastwasser

Schon an Bord: Die SEDNA-Anlage hat in einem Schiffscontainer Platz und wird ab 2010 selbstverständlicher Bestandteil im Schiffsbau sein

Rund 10 Milliarden Tonnen Ballastwasser sind jährlich

42 BLINDE PASSAGIERE EVONIK-MAGAZIN 4/2008VERSORGEN

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val ist ein weiterer wichtiger Meilenstein und ein großer Erfolg für alle Mitglieder unseres Projektteams“, betont Dr. Thomas Haeberle, Leiter des Geschäftsbereiches Industrial Chemicals von Evonik.

Wie zunächst von der IMO vorge geben, fanden die meisten Funktionstests für PERACLEAN Ocean bisher mit Salz- und Brackwasser statt. „Jetzt optimieren wir unser System zusätzlich für Süßwasser, das im Hamburger Hafen zu finden ist“, erklärt Fachmann Hopf. Dafür hat Evonik am SEDNA-Teststandort von Hamann auf dem Hafengelände ein kleines Labor ein-gerichtet, in dem beispielsweise der Abbau von Peressigsäure und Wasserstoff peroxid fotometrisch gemessen und dokumentiert

wird. „Wir arbeiten mit verschiedenen Einsatzmengen und bei unterschiedlichen Wassertemperaturen“, erläutert Corinna Schmidt, Chemotechnikerin bei Evonik. Auch für Hamann sind die laufenden Tests von großer Bedeutung. „Da die Maschinen acht Stunden am Tag laufen, können wir ein ganzes Schiffsleben in kürzester Zeit simulieren“, freut sich Andreas Meinhardt, Projekt ingenieur bei Hamann.

Das kombinierte Verfahren von Ha -mann und Evonik bietet große Vorteile: Das SEDNA-System ist für besonders viele Schiffstypen geeignet. Dank des modu-laren Aufbaus kann es an unterschiedliche Ballastwasserdurchsätze zwischen 50 und 2.000 Kubikmetern pro Stunde angepasst werden. Die mechanische Vorbehandlung trennt alle größeren Bestandteile ab und verringert signifikant die Menge an Sedi-menten. „Geringe Leistungs aufnahme und nahezu keine Verschleißteile sind weitere wichtige Pluspunkte für den Schiffs betrieb“, betont Mathias Schmidt, Vertriebs manager bei Hamann. PERACLEAN Ocean ist hoch-wirksam gegen alle verbleibenden Organis-men. Es ist verträglich mit allen gängigen Ballastwassertank beschichtungen und uni-versell anwendbar in Salz-, Süß- und Brack-wasser. Zudem ist das Mittel lagerstabil, leicht zu dosieren, sparsam im Verbrauch und – vor allem – umweltverträglich. <

das komplette System im vollautomatischen Dauerbetrieb an Land und auf dem Container-carrier „OOCL Finland“ als Testschiff erfolg-reich erprobt. Vor allem die Faktoren Wirk-samkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit standen im Fokus dieser Tests. Die Ver-suchsergebnisse wurden in einem umfang-reichen Dossier von den Biologen des Nie-derländischen Instituts für Meeres forschung (NIOZ) dokumentiert, das die Grundlage für die Zulassung durch das BSH bildete.

40.000 FRACHTSCHIFFE WARTEN AUF NACHRÜSTUNGMit der Zertifizierung sowohl durch die IMO als auch durch die nationale Behörde steht weltweit das erste System zur Ver-fügung, das der IMO-Konvention zum Ballast wassermanagement entspricht und diese beiden Zulassungen erhalten hat. Die Konvention sieht vor, von 2010 an kleinere und von 2012 an größere Schiffs neubauten mit entsprechenden Anlagen auszustatten. Ältere Schiffe sollen bis spätestens 2016 nachgerüstet werden. Ein Unterfangen von beachtlichen Ausmaßen, denn derzeit befahren rund 40.000 Frachtschiffe die Weltmeere, jedes Jahr werden zudem etwa 800 Neubauten in Dienst gestellt. Evonik engagiert sich schon seit vielen Jahren auf diesem neuen Anwendungsgebiet für Aktivsauerstoffprodukte. „Das Type-Appro-

138 Milliarden Dollar im Jahr kostet die Amerikanerdie Reparatur der Ökosysteme

Bernd Hopf ist Projekt-ingenieur bei Evonik Industries und betreut das Ballast-wasser-System

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unterwegs – und führen über 10.000 verschiedene Arten Lebewesen mit

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TEXT ANDREAS BRANNASCH

WAS VERBINDET Adidas, Nike, Puma und Borussia Dortmund? Alle vier sind starke Fußballmarken. „Moment“, werden Marke-tingexperten einwerfen, „Borussia Dort-mund erfreut sich zwar hoher Bekanntheit und belegt in der Rangliste der beliebtesten Bundesligaklubs (Quelle: Acxiom) aktuell Rang zwei hinter dem FC Bayern München – aber ein Fußballklub als Marke?“

Im Fall des Ballspiel-Vereins Borussia (BVB) spricht einiges dafür: Man ist im Januar als erster deutscher Profiklub dem Marken-verband beigetreten. Der Vorsitzende der BVB-Geschäftsführung Hans- Joachim Watzke erklärt diesen ungewöhnlichen Schritt: „Wir sind erster und einziger börsen-notierter Verein der Fußball-Bundesliga und meinen, dass uns deshalb eine besonde-re Bedeutung und Vorreiter rolle zukommt.

Zur Übernahme der Verantwortung gegen-über unseren Aktionären ist die Betonung der Markenführung extrem wichtig.“ Für Diplomkaufmann Watzke ist die Aufnahme in den Markenverband eine wichtige Bestä-tigung, denn es wurde auch geprüft, ob der BVB überhaupt eine starke Marke ist.

Im Sport enthält die Rechnung einige Unbekannte mehr als im Marketing eines klassischen Markenartiklers. Ob beim Fuß-ball in einem wichtigen Spiel der Ball ins Tor oder an den Pfosten knallt, ist halt manch-mal reines Glück, ebenso wie eine günstige Auslosung im Pokal.

Trotzdem gibt es auch im Fußball business Konstanten: So verteidigen die weltweit stärksten Marken unter den Fußballklubs seit vielen Jahren ihre Spitzenpositionen: Manchester United und Real Madrid oder in Deutschland der FC Bayern München. Bei diesen Klubs sind sportlicher Erfolg,

Fußballtradition und modernes Manage-ment eine gewinnbringende Verbindung ein gegangen. Nationale Beispiele wie zum Beispiel der FC Sankt Pauli zeigen aber, dass hervorragende Sympathiewerte und eine eindeutige Positionierung auch ohne sport-liche Top-Erfolge möglich sind.

GEHEIMES WERTE-DEPOTAuch die Marke Borussia hat trotz viel Mittel-maßes in den letzten Spielzeiten noch immer eine besondere Strahlkraft. Stephan Schröder, Mitglied der Geschäftsleitung des Markt-forschungs- und Beratungs unternehmens Sport+Markt AG, Köln, bestätigt: „ Borussia Dortmund hat im Vergleich zu den meisten anderen Bundesligaklubs ein eindeutiges Imageprofil und eine sehr klare Positionie-rung.“ Imagefaktoren wie „faszinierend“ oder „leidenschaftlich“ bezögen ihre hohe Zustimmung zwar eher aus den Siegen der

Eine Marke namens Borussia Profi klubs im Fußball haben sich längst zu mittelständischen Unternehmen der Entertainment-Industrie

44 MANAGEN BORUSSIA EVONIK-MAGAZIN 4/2008

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90er- Jahre, aber sobald die Dortmunder erfolgreich spielen, zeige sich sehr schnell wieder ihr Potenzial zu einer großen Marke im Fußball. „Das ist wie ein Werte-Depot, das den BVB sofort wieder in eine Position direkt hinter dem FC Bayern München schiebt, sobald es durch große Spiele und Titel akti-viert wird“, so Schröder weiter.

Aus einer traditionellen Perspektive pas-sen Begriffe wie Fußballverein und Marken -wert eigentlich kaum zusammen. Doch die erzielten Umsätze sprengen mittler weile jede „Vereins-Dimension“: Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungs-gesellschaft Deloitte erwirtschafteten die Bundesligaklubs in der Saison 2006/2007 Gesamteinnahmen von rund 1,4 Milliar-den €. Fußball ist also Big Business, und immer mehr Profifußballvereine in Deutsch-land nutzen Erkenntnisse aus der Marken-theorie, um selbst eine starke Marke zu

werden. Doch nur, wer ein eigenständiges Profil vorweisen kann, hat die Chance, sei-nen Klub zu posi tionieren und von Fußball-interessierten und Medien als einzigartig wahrgenommen zu werden.

In der empirischen Studie „Marken-persönlichkeit von Fußballvereinen“ unter-sucht der Autor Frank Alexa von der Leibniz Universität Hannover jene emotionalen Aspekte, die eine unverkennbare und nach-haltige Positionierung von Vereinsmarken ermöglichen. Nach seiner Auffassung sind neben dem Kriterium „Professio nalität“ besonders die Kategorien „Emotio nalität“, „Bodenständigkeit“ und „gelebte Tradi-tionen“ entscheidend für die Verbunden-heit und Bindung der Fans an einen Klub.

Überträgt man die Ergebnisse die-ser Studie auf Borussia Dortmund, dann wird deutlich: Der BVB besitzt in allen drei Kategorien besondere Stärken – kein Wun-

der also, dass der Verein auf eine besonders große und besonders treue Fangemeinde ver wei sen kann – was nichts anderes bedeutet als eine hohe Markentreue durch potenzielle Kunden.

Die Marke BVB lebt von ihrer Fankultur, von der Region und Mentalität der Menschen, die hier leben: bodenständig, kämpferisch, ehrlich, leistungsorientiert und solidarisch, und das Bekenntnis zur Region spielt bei der Markenführung eine große Rolle. In Dort-mund steht man vor allem auch in schwie-rigeren Zeiten zusammen. Welcher Verein in Europa verkauft nach einer eher mäßigen Saison fast 50.000 Dauerkarten?

Beim BVB existiert bisher noch kein exakt formuliertes Leitbild oder eine Cor-porate Identity. In den letzten Jahren der Konsolidierung ging es primär darum, die Marke Borussia Dortmund wieder in ein gesundes finanzielles Fahrwasser zu führen. FO

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entwickelt. Jetzt haben sie auch die Markenpfl ege entdeckt

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Markenware: Der komplette Hausstand des Fans von der Zahnbürste bis hin zum Hundenapf

lässt sich im BVB-Fanshop zusammenstellen

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Geschäftsführer Watzke kann heute deut-lich entspannter den Geschäftsbericht prä-sentieren als auf dem Höhepunkt der finan-ziellen Krise des Klubs im Jahr 2005: „Jetzt können wir uns der Kür widmen und wer-den uns intensiv mit dem Thema Marken-führung beschäftigen.“

Das freut auch den Hauptsponsor Evonik Industries AG und dessen Bundesliga-Beauf-tragten Lutz Dreesbach: „Das Sponsoring beim BVB ist ein unverzichtbarer Baustein in der Markenstrategie von Evonik, um schnell hohe Bekanntheit für die neue Marke aufzu-bauen.“ In Zeiten, in denen der Konzern mit einer Werbekampagne auf sich aufmerk-sam mache, wirke dieses Sponsoring nach seiner Einschätzung als Verstärker. Gerade hat Evonik seinen Vertrag als Trikotsponsor vorzeitig bis 2011 verlängert.

Die Verbundenheit eines traditionsgebun-denen Fußballklubs wie des BVB mit den Fans

und kommerzieller Erfolg müssen sich nicht ausschließen. „Wir müssen zum Beispiel gleichzeitig bodenständig, aber auch inter-national sein“, so Watzke. „Unsere Aufgabe ist es, das richtige Maß zu finden und dieses in Einklang mit der Marke BVB zu bringen.“ Zum Beispiel liegen die Eintrittspreise beim BVB im Vergleich zu den Preisen in der Pre-mier League in England deutlich niedriger. Die Verantwortlichen bei Borussia Dortmund wollen auf keinen Fall als reines Wirtschafts-unternehmen wahrgenommen werden, son-dern weiterhin die Herzen der Menschen erreichen. Dafür bietet das Jahr 2009 eine besondere Chance: Im nächsten Jahr feiert der BVB sein 100-jähriges Jubiläum. Bis zum Start der Feierlichkeiten am 19. Dezember 2008 soll das Markenbild weiter geschärft werden, und dann soll auch das Borusseum eröffnen, das zum schönsten und modernsten Fußballmuseum Europas werden soll.

Ein wichtiger Markenbaustein von Borussia Dortmund ist die Farbgebung. Mit der Kombination Schwarz-Gelb hat man in der Bundes liga eine Alleinstellung, und auch europaweit gibt es keinen Topverein mit dieser Farbkombination.

100 JAHRE SCHWARZ-GELB Außerdem bestimmt besonders das Vereins-logo den visuellen Auftritt eines Fußball-klubs. Umso erstaunlicher, dass die meisten dieser Wappen – national wie internatio-nal – eher verstaubt daher kommen. Der gemeine Fußballer setzt halt gerne auf Bewährtes. Weil sich aber die ästhetische Wahrnehmung der Menschen verändert, gehört es zu einem modern geführten Fußball klub, dass sich auch sein Erschei-nungs bild weiterentwickelt. Die schwierige Aufgabe lautet: Altes bewahren und gleich-zeitig Neues schaffen. Schließlich wird das

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46 BORUSSIA EVONIK-MAGAZIN 4/2008MANAGEN

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Vereinslogo tausendfach auf Trikots, Schals, Fahnen, Tassen, Schlüssel anhängern und vielem mehr eingesetzt und wirkt als Pro-jektions f läche für die Identifikation der Fans mit ihrem Klub.

Das Vereinslogo von Borussia Dortmund wurde innerhalb der 100 Jahre seit Grün-dung des Vereins mehrfach verändert. Bis zum Jahr 1919 prangte nur ein einfaches B auf der Brust der Spieler. Dann entwarf der Dortmunder Grafiker Edi Birk das im Prin-zip noch heute gültige kreisrunde Vereins-emblem mit dem Klub-Kürzel BVB und den beiden Zahlen des Gründungs jahres „09“. In der Saison 1976/77 kam man dem dama-ligen Trikotsponsor einen großen Schritt entgegen, und so landete der Löwenkopf der Tabakmarke Samson im Vereins logo. In den 80er-Jahren wurde dann zeitweise der kom-plette Vereinsname hinzugefügt, und mit dem Börsengang im Oktober 2000 erhielt

das Logo sein heutiges Aus sehen. Weil aber international niemand etwas mit dem Kür-zel BVB anfangen konnte, entwickelte die hauseigene Agentur für Kommu nika tion K-werk eine Wort-Bild-Marke aus Logo und Vereinsnamen, denn der Name Borussia war nach dem Cham pions-League-Sieg 1997 zum Begriff im europäi schen Fußball geworden.

Uwe Landskron, als Chef-Designer von K-werk bei Borussia Dortmund verantwort-lich für den visuellen Auftritt von Stadion-Magazin, Geschäftsbericht, Geschäfts-ausstattung inklusive Ticketing, des sich in der Gründungsphase befindlichen vereins-eigenen Museums Borusseum und somit für die Nutzung des Logos, erklärt: „Das Kern-Logo, wie man es auf dem Trikot oder auf offiziellen Printprodukten sehen kann, ist seit der letzten Anpassung unangetastet geblieben.“ Im Merchandising dagegen ver-

ändern Trends und Stimmungen die Darstel-lung des Logos. „Da sind Varianten des Schrift-zuges Borussia Dortmund möglich“, bestätigt Landskron, „Die Bildmarke ‚BVB 09‘ als Kernlogo des Unternehmens hat je doch in jedem Fall unangetastet zu bleiben.“

Bei Borussia Dortmund hat durch die Verpf lichtung des neuen Trainers und Sympathie trägers Jürgen Klopp schon der Börsenkurs zugelegt – sicher zahlt die neue Partnerschaft auch auf das Konto Marken-wert ein, ebenso wie die Rückkehr des Teams in die Erfolgsspur seit Beginn der Saison. BVB-Geschäftsführer Watzke hat recht, wenn er betont: „Fußball ist heute zu einem Teil der Unterhaltungs industrie geworden – ist aber vor allen Dingen Sport.“ Und das Schöne am Sport ist seine Unberechen barkeit – die aber eine konse-quente Marken führung für Fußballklubs nicht leichter macht. <FO

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Eine Welt in Schwarz-Gelb

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Hafen mit AussichtStrukturwandel? In Duisburg gelingt er. Und schafft Räume für Kunst und lebendigen Alltag. Der Innenhafen erwacht zu neuem Leben und ist gelungenes Beispiel einer Moderne, die in der Geschichte verwurzelt ist

Duisburger Hafen – Pier eins, 15 Jahre nach Projekt-Beginn

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TEXT STEFANIE WINTERFOTOS TANIA REINICKE

ES STEHT 1:0 in der Rückrunde Vater gegen Sohn. Für die Pause in der Halb-zeit haben Mutter und kleiner Bruder ein Picknick vorbereitet, am Fuß des Treppen-turms, auf einer kleinen Mauer. Und jetzt tobt fröhlich lärmend eine Kindergarten-gruppe über die Terrasse. Der „Garten der Erinnerung“ hat trotz seines absichtsvollen Namens eine ganz selbstverständliche Nutzung gefunden. Dort, wo früher Kaffee,

Fruchtweine oder Süßwaren lagerten, ließ man beim Abriss der schlichten Gebäu-de künstliche Ruinen stehen: die Stütz-pfeiler einer Lagerhalle, den Treppenturm eines Bürohauses oder die Plattform eines Speditionsgebäudes. Auf den ersten Blick wirkt diese Plattform wie die Konzert-muschel eines verwaisten Kurortes. Dieser Garten ist Kunst, Museum – und leben-diger Alltag. Und damit typisch für den „Spirit“ des revitalisierten Innenhafens, der an allen Ecken und Enden mit der Ge schichte spielt.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier Holz umgeschlagen und zersägt, vor allem Gruben holz für die Zechen. Außerdem ent-wickelte sich das Areal zum sogenannten Brotkorb der Region – als Umschlagplatz für Getreide, mit zahlreichen Mühlen und großen Speichersilos, wie die Küppers-mühle zum Beispiel, die heute als Museum genutzt wird. Bis in den 1960ern der Nieder-gang des Steinkohlebergbaus einsetzte – und das Ruhrgebiet aufhörte, die Stütze der bundesdeutschen Wirtschaft zu sein. Müh-len und Speditionen wurden geschlossen. >

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Der Innenhafen lag jahrzehntelang brach. Rückblickend: nur ein Dornröschenschlaf.

Heute, rund 15 Jahre nach Beginn des Umbaus, ist das Areal ein stark genutzer Teil von Duisburg geworden. Alles greift hier ineinander, Tradition und Moderne, Alltags-kultur und hohe Kunst. Arbeit und Leben fin-den in den Gebäuden gleichermaßen ihren Platz: Meist öffnen sich die Häuser durch Gastronomie im Erdgeschoss zum Wasser. Darüber stapelt sich die Arbeit: in den Büros der Menschen, die sie erledigen – und die mittags und nach Feier abend die Plätze im Erdgeschoss bevölkern. Der Innenhafen ist zudem ein Zuhause geworden: Meh-rere Hundert neue Wohnungen sind hier entstanden. Eigentums wohnungen, doch auch Genossenschaften haben mit Hafen-blick gebaut. Mehr als 100 Apparte ments sind speziell für alte Menschen geplant worden. Daneben gibt es hochästhetische und funktionale Miet wohnungen in einem von Lord Norman Foster gestalteten Kom-plex, für 7 € pro Quadratmeter. Ein Teil der Wohn anlagen ist durch künstliche Grach-ten gegliedert, an deren Rändern Bänke ans Wasser locken.

Der Brite Norman Foster, Urheber des Wandlungsprozesses, hat seit Jahrzehnten überall auf der Welt große bis gigantische Projekte realisiert, den neuen Reichs-tag in Berlin und die Millennium Bridge in

Alles greift

Grachten gliedern die Wohnanlagen; im Hafenforum sitzt die Entwicklungsgesellschaft; Nicholas Grimshaw entwarf das Bürogebäude Five Boats; das neue

London. 1990 erhob die Queen den Sohn einer Arbeiter familie als Ritter in den Adels-stand. Ein Jahr später übernahmen Foster und seine Partner die Gesamtkonzeption für den Duisburger Innenhafen, mit einer quasi ritter lichen Grundhaltung: dass die Archi-tektur dem Menschen dienen möge. Neben Miet wohnungen hat Foster weitere Einzel-projekte im Innenhafen verwirklicht, das „Hafen forum“, den Sitz der Entwicklungs-gesellschaft, und das Design der Marina wenige Schritte weiter. Auch das geplante Herzstück des Innen hafens liegt in Fosters Händen: Wie eine gläserne Sichel mit bis zu zehn Stockwerken Höhe soll sich der Büro- und Hotel komplex „Eurogate“ in den Holz-hafen schmiegen, dort, wo der Innenhafen ungefähr auf halber Länge ein Becken bildet. Neben einer größtmöglichen Hinwendung der Räume zum Hafenbecken wurde viel Wert auf eine hohe Energie-Effizienz gelegt.

DIE NEUE HALTUNG Große Architekten prägen den Duisburger Innenhafen, geben ihm ein offenes, leben-diges Gesicht und diese neue aufrechte Hal-tung: Namen wie „von Gerkan, Marg und Partner“, „Bothe, Richter, Teherani“ und Nicholas Grimshaw & Partners Ltd. zeichnen unter der Koordination Fosters für die Neubauten hier am Wasser verantwort-lich. Mehr als 100 solch kluger Projekte

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Der „Garten der Erinnerung“ ist Kunst, Museum und lebendiger Alltag

50 STRUKTURWANDEL EVONIK-MAGAZIN 4/2008ERLEBEN

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sind während der „Internationalen Bau-aus stellung Emscher Park“ vorangebracht worden: Im gesamten Emscher-Raum, dem 70 Kilometer langen Landstrich zwischen Duisburg und Dortmund, wurde 1989 bis 1999 beispielhaft erprobt, was allen Industrie gesellschaften früher oder spä-ter bevorsteht: Die Flurschäden müssen wiedergut gemacht werden. Wobei Brüche und Brachen jedoch immer auch einen guten Nährboden abgeben für Kultur und Kunst; das zeigt sich im Ruhrgebiet wie nirgendwo sonst in der Republik.

Die meisten Gebäude am Innen hafen sind fertig und bezogen, viele längst schon, einige seit Kurzem. Wer hier inne- und Aus-schau hält, kann mit einem Blick das neue jü di-sche Gemeindezentrum, die Treppenturm- Ruine, den Turm der Salvator kirche und den Schlot eines Kraftwerks erfassen. Wer sich hier bewegt, bummelt, schlendert und verweilt, spürt das Ver winkelte, das Hafen-vierteln immer eigen ist. Und entdeckt jede Menge Nachgiebigkeit, Öffnung und Trans-parenz in den Fassaden der Gebäude. Kaum etwas scheint verboten: Rasen betreten, Spielen, Fahrrad fahren, Skaten, Joggen – alles findet entspannt und ungeregelt statt. Und auch Kinder finden genug Alltags-Abenteuer: Nischen für Wasserspiele direkt am Hafenbecken. Und seit Kurzem auch ein Legoland Discovery Centre. <

ineinander, Alt und Neu, Tradition und Moderne…

jüdische Gemeindezentrum; Kinder lockt das Legoland Discovery Centre

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DER SCHWEBENDE KUBUS weist in eine Zukunft, die der Kunst gewidmet ist, während die alte Küppersmühle, die ihn trägt, Hafen-Geschichte erzählt. Der geplante Anbau – eher: Überbau – des Museums Küppers mühle für Moderne Kunst (MKM) greift Raum, statt sich einzufügen, und setzt in historischer Umgebung futuristische Kon-traste. Dieser Bau provoziert unterschied-lichste Reaktionen – den einen zerstört der „Schuhkarton“ die Kulisse der denkmal-geschützten alten Mühle, anderen gilt er als neues Wahrzeichen der Region.

„Die städtebauliche Entwicklung wird durch die markante und mutige Architek-tur des Erweiterungsbaus verstärkt wer-den“, meint Prof. Peter Iden, wissenschaft-licher Beirat des MKM. Der Entwurf stammt von den Schweizer Star- Architekten Herzog & de Meuron, die die historische Getreide-mühle zu einem Haus der Kunst gemacht haben: 1999 wurde hinter denkmal-geschützter Fassade das MKM eröffnet. Neben dem Bonner Kunst museum entstand damals ein zweiter Ausstellungsort für die ehemalige Sammlung des Duis burger Bau-

…und als Wahrzeichen der Region: ein neues Haus für

Die von Herzog & de Meuron umgebaute Küppersmühle im Duisburger Innenhafen soll das neue Wahrzeichen der Region werden – und die größte Sammlung zeitgenössischer deutscher Kunst beherbergen

52 KÜPPERSMÜHLE EVONIK-MAGAZIN 4/2008ERLEBEN

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die deutsche Kunst

unternehmers und Immobilien kaufmanns Hans Grothe. Sie besteht aus Werken und Werk reihen der wichtigsten Vertreter deutscher Nachkriegs kunst, darunter Jörg Immendorff, Sigmar Polke und Joseph Beuys, und bescherte dem MKM einen internatio-nalen Ruf. 2005 fand eine der beachtlichsten privaten Kunst- Transaktionen Deutschlands statt: Das Darmstädter Sammler-Ehepaar Sylvia und Ulrich Ströher, Erben eines Kosmetik-Konzerns, kaufte die ehemalige Sammlung Grothe und führte sie mit der eigenen umfangreichen Sammlung zusam-

men. Für die Küppersmühle ein Glücks-fall, denn nun folgte die Ausrichtung der „fusionierten“ Sammlung Ströher auf die ehemalige Getreidemühle am Duisburger Hafen. Was das MKM damit an Kunst beher-bergen wird, gilt der „Zeit“ als „ wichtigste Sammlung deutscher Kunst nach 1945“. Denn inhaltlich und konzeptionell bietet die erweiterte Sammlung Ströher ein fast lückenloses Bild deutscher Nachkriegs-kunst: einerseits der umfassende, nach Werkgruppen konzipierte Sammlungs-teil mit Schwerpunkt auf den 70er- und

Zukunft: der Entwurf von Herzog & de Meuron für

den Erweiterungsbau auf der historischen Küppersmühle

Vergangenheit: der Duisburger Hafen um 1910 >

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80er-Jahren – auf der anderen Seite die genuine Sammlung der Ströhers, die vor allem Kunst des sogenannten „Informel“ mit dem Schwerpunkt auf der abstrakten Malerei der 50er-, 60er-Jahre umfasst, darunter Künstler wie Gerhard Hoehme, Emil Schumacher oder Karl Otto Götz. Die heutige Sammlung Ströher beinhaltet über 1.500 entscheidende Werke deutscher Kunst aus den letzten 50 Jahren. Darun-ter finden sich umfangreiche Werkreihen Anselm Kiefers, Skulpturen und Malereien des „ Neuen Wilden“ A. R. Penck, aber auch die zeit genössische Fotografie von Can-dida Höfer. Georg Baselitz’ Werke sind in eindrucksvoller Breite vertreten, der stürzende „Adler“, der ehemals die Wand des Kanzleramts büros schmückte, sowie Markus Lüpertz’ Monumentalwerk „West-wall“ oder die kleinteilige Ikono grafie „Traum des Künstlers“.

Der Neubau verspricht die doppelte Präsen tationsfläche und „die Gelegenheit, der Kunst des Informel, dieses wichtigen Beitrags der deutschen Malerei zur Mo der ne, zu einem angemessenen Schau-platz zu verhelfen“, so Prof. Peter Iden.

Finanziert wird das Projekt durch die Landeskasse, die Bonner Stiftung Kunst und Kultur sowie den Sponsor Evonik. Bis zum Kulturhauptstadt-Jahr 2010 soll die „neue Küppersmühle“ fertig sein. <

Kiefer, Höfer, Baselitz, Penck ziehen ein in

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Karl Otto Götz: Jonction II, 1991

Anselm Kiefer: Sternenlager IV, 1998

54 KÜPPERSMÜHLE EVONIK-MAGAZIN 4/2008ERLEBEN

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die neue Küppersmühle

EVONIK-MAGAZIN Wozu dient der Erweiterungsbau?SMERLING Die Sammlung umfasst mehr als 1.500 Werke; derzeit werden rund 120 davon gezeigt. Diese Zahl könnte sich durch den Erweiterungsbau verdoppeln. Erst-mals wird es möglich sein, deutsche Nachkriegs kunst in großen Zusammenhängen zu präsentieren, auf eine bislang einzigartige Weise. Duisburg könnte ein Zentrum für deutsche Kunst werden. EVONIK-MAGAZIN Der Entwurf ist nicht unumstritten.SMERLING Das Innere des Erweiterungsbaus wird einen filigranen Eindruck vermitteln, ganz so wie im vor-handenen Gebäude auch. Die Modernität des Entwurfs steht dabei für etwas Fruchtbares: eine neue Wirkungs-weise, aus der sich eine neue Meinung und eine neue Haltung entwickeln kann. EVONIK-MAGAZIN Was haben Sie bis jetzt erreicht? SMERLING Vor neuneinhalb Jahren stellte uns der Sammler seine Werke zur Verfügung und die Stadt das Gebäude. Wir haben mit 7.000 Besuchern begonnen, heute sind wir bei 40.000. Für Duisburg ist das eine sehr beeindruckende Zahl. Die laufenden Aufwendungen bestreiten wir dabei fast vollständig aus Spenden und Sponsorengeldern.

Candida Höfer: Theatro Municipal Rio de Janeiro II, 2005

Georg Baselitz: Fingermalerei III – Adler, 1972

A.R. Penck: DIS, 1982

Dr. Walter Smerling leitet das Museum Küppersmühle für Moderne Kunst seit seiner Gründung 1999

„Duisburg könnte ein Zentrum für deutsche Kunst werden“

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Lassen wir die Bildung zu Offenbar ja, im internationalen Vergleich gibt Deutschland wenig für die Bildung aus. Es fehlt nicht an Studien und Untersuchungen – aber was könnten die Konsequenzen sein?

Politik

Die wichtigste InvestitionProf. Dr. Horst Köhler, Bundespräsident „Nur jeder zehnte Euro der öffentlichen Hand fließt ins Bildungssystem. Bei den Ausgaben für die allgemeinbildenden Schulen liegen wir deutlich unter dem Durchschnitt der OECD-Länder.

Warnen möchte ich vor dem Trugschluss, wir könnten das Problem durch eine bloße Umverteilung innerhalb der Bildungsausgaben lösen. Wir müssen den Mut und die politische Kraft haben, anderes zugunsten der Bildung zurückzustellen. Bildung ist die wichtigste Investition, wer an der Bildung spart, spart an der falschen Stelle.“

Politik

Unternehmen in der PflichtDr. Annette Schavan, Bundes-minis terin für Bildung und

Forschung, MdB „Bildung ist eine Investition in die Zukunft, das gilt nicht nur für den Staat, sondern für jeden Einzelnen. Niemand darf aus finanziellen Gründen vom Studium abgehalten werden. Deshalb gibt es Studienkredite, und deshalb haben wir das Bafög angehoben. Den Durchbruch zu einer umfassenden Studien-finanzierung haben wir jedoch noch nicht erreicht. Denn es fehlt die dritte Säule: Stipen-dien. Mit gezielten Stipendien könnten wohl habende Bürger wie Unternehmen einen hervorragenden Anreiz setzen, gerade die Attraktivität von technischen Fächern zu erhöhen. Ich sehe die Unternehmen da in der Pflicht.“

Wissenschaft

Träge TankerProf. Dr. Andreas Schleicher, OECD, Internationaler Koordinator Pisa „Bildungs systeme sind träge Tanker. Der Wechsel von der Industrie gesellschaft zur Wissensgesellschaft ist im Bildungssystem noch nicht gelungen. In Deutschland

lesen wir nach sozialem Kontext aus, da geht ein ungeheueres Potenzial verloren. Besserer Unterricht ist nur mit vielen Unterstützungssystemen zu schaffen, die miteinander vernetzt sind.“

Ausgaben für BildungDer von der OECD herausgegebene Vergleich zeigt erneut die hohen Bildungs-investitionen der skandinavischen Länder. Was der direkte Vergleich nicht zeigt, sind die Unterschiede in der Beschäftigungsdichte und der Bevölkerungs-größe. Wollte Deutschland auf den skandinavischen Standard in der Betreuungs-relation bei den Kindern oder in der Aus stat tung von Schulen mit Lehrpersonal auf schließen, müssten bis zu 680.000 Stellen neu geschaffen werden.

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PROZENTANGABEN=ANTEIL AM BRUTTOINLANDSPRODUKT. DIE OECD-ZAHLEN STAMMEN AUS 2005 UND SIND DIE ZULETZT ERHOBENEN.

56 BILDUNG EVONIK-MAGAZIN 4/2008DISKUTIEREN

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Gewerkschaft

Luft für BildungsausgabenMarianne Demmer, Stellvertretende Vorsitzende Gewerk-schaft Erziehung und Wissenschaft „ In unseren Etats ist Luft für Bildungs aus gaben. Nicht stärker in Bildung zu inves-

tieren ist ein Risiko für die Gesellschaft. Denn man kann davon ausgehen, dass Jugend liche mit schlechter Ausbildung sich später nicht selbst ernähren können.“

Wissenschaft

Bewegung ist nötigDr. Dieter Dohmen, wissenschaftlicher Berater des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der EU und der OECD „Es muss mehr Geld ins

Bildungssystem hinein, wobei auch sichergestellt werden muss, dass es effektiv zur Verbesserung der Studienbedingungen, im Schulbe reich ähnlich, verwendet wird. Für mich eine ganz klare zentrale Problemlage ist auch der Föderalismus, die Tatsache, dass die Interessen der Länder einfach völlig unterschiedlich laufen und damit nur begrenzte Bereitschaft besteht, eigene Geldmittel in die Hochschulen zu geben. Und da ist meines Erachtens insbesondere auch von den Ländern Bewegung nötig.“

Forschung

Globale Initiative entwickelnProf. Dr. Amartya Sen, indischer Ökonom, Nobelpreis-träger „Der Nutzen einer guten Ausbildung ist offensicht-lich, in allen Kulturen ist zu jeder Zeit darüber geschrieben

worden. Und noch immer ist nichts passiert. Das hängt damit zusammen, dass Bildung Geld kostet. Wir haben die Uno, weltweite Institutionen, die NGOs und auch die Weltbank, die an Bildung interessiert ist. Damit können wir eine globale Initiative entwickeln. Der finanzielle Aspekt ist ein großes Problem, aber wir brauchen auch ein gesellschaftliches Konzept.“

Wissenschaft

Die sechs UrsachenProf. Dr. Manfred G. Schmidt, Professor für politische Wissenschaften „Erstens ein Nachfragefaktor, nämlich die unterdurchschnittliche Größe der Altersklassen im

Ausbildungsalter; zweitens die gedämpfte Bildungsbeteiligung im tertiä ren Bildungsbereich; drittens die Tatsache, dass die Bildung in Deutschland die Bedürfnisse der Industriegesellschaft im Blick hat und weniger die der Wissensgesellschaft; viertens die Konkurrenz zweier großer Sozial staats-parteien, die bei knappen Haushaltsmitteln die Sozialpolitik bevorzugen; fünftens ein Föderalismus, der die Bildungsfinanzen aufgrund der Finanzie-rungsstruktur der Länderhaushalte am kurzen Zügel führt; sechstens Entlastungen der öffentlichen durch die privaten Bildungsausgaben.“

Was sagen die Deutschen? Aus Tradition und historischer Erfahrung ist es den Deutschen besonders wichtig, dass die Bildung eine zentrale Aufgabe des demo-kratischen Staates ist, da sie die wichtigste „Stellschraube“ zur Herstellung der in der Verfassung vorgesehenen Chancengleichheit ist. Die Umfrage zeigt die große Mehrheit der Deutschen, die sich auf diese Grundsätze beziehen – nur fünf Prozent fänden es besser, wenn das Bildungssystem stärker privat finanziert würde. Im Auftrag des Evonik-Magazins führte forsa 1.004 Interviews.

84%Öffentliche Gelder für Bildung

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und privat

Private Finanzierung

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Tom Schimmeck (49) fasziniert der Blick in die Zukunftslabors der Forschung. Er arbeitete unter anderem für TAZ, „Tempo“, den „Spiegel“ und „Die Woche“. Die Illustration ist eine abstrakte computergenerierte digitale Komposition.

Der Quantensprung kommtTOM SCHIMMECK über die Computer von morgen und die verrückte Welt der Elementarteilchen

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DR. DAVID M. LUCAS HAT VIEL GEDULD. Das bringt sein Beruf mit sich. Er ist Quantenphysiker. Die Welt der Quanten ist für Normalsterbliche kaum zu fassen. Selbst Physikern bricht hier schnell der Schweiß aus. „Ich denke, ich kann mit Sicherheit sagen“, sprach einst der Physiknobelpreisträger Prof. Dr. Richard Feynman, „dass niemand die Quantenmechanik versteht.“

Kein Wunder also, dass Dr. Lucas, 36, so geduldig lächelt. Er ist dumme Fragen gewohnt. Quanten, weiß er, „sind ja ganz anders als unsere Alltagserfahrung“. Wie soll man auch begreifen, dass sich ein Ding in mehreren Zuständen gleichzeitig befinden kann? Wie ein Fahrstuhl, der in mehreren Stockwerken synchron hält? Prof. Dr. Max Planck fing anno 1900 damit an. Damals verlor die alte Physik, wie Prof. Dr. Einstein sagte, den Boden unter den Füßen. Prof. Dr. Werner Heisenberg präsentierte 1927 seine „Unschärfe-relation“: Wer die Position eines Teilchens misst, verändert seine Bewegung. Wer seine Bewegung misst, verändert seine Position. Ein Schock für alle Liebhaber greifbarer, eindeutiger Präzision. Der Forscher wird zum teilnehmenden Subjekt einer diffusen Sache.

Quantenphysiker sind Leute, die einem beim Kaffee eröffnen, womöglich bestehe unser Universum in mehreren Varianten parallel. Dabei ist schon ein Universum zu gewaltig für unsere Vorstellungskraft. Seine Komponenten wiederum viel zu klein: Was wir sehen können, ist milliardenfach größer als Atome. So bleibt die Quantenwelt nur ein Kitzel im Hirn, ein winziges Beben – weit unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle.

Lucas im britischen Oxford gehört zu jener erlesenen Schar, die welt weit an der Idee des Quantencomputers werkelt. Zusammen mit seinem Kollegen Prof. Dr. Andrew Steane leitet er die „Oxford Ion Trap Quantum Computing Group“. Die Gruppe ist eine Art physikalische Jagdgesellschaft. Sie fängt Ionen in einer Vakuum-Falle und traktiert sie mit Laserstrahlen. Ein englischer Spleen? Nein. Das Einfangen und Manipulieren einzelner Atome ermöglicht die Konstruktion einer ersten logischen Quanten-Schaltung. Mit Quantenbits, den „Qubits“ oder „Q-Bits“. Anders als die Bits in unserem Heimcomputer, die nur für eins oder null und nichts dazwischen stehen, kennen Q-Bits die Grauzonen, sogenannte „Superpositionen“. Zwei Qubits können vier mögliche Kombi nationen auf einmal vertreten, drei Qubits schon acht. Dieser Unterschied zeigt sich besonders bei der Faktorisierung

gewaltiger Zahlenreihen, wie man sie etwa für eine sichere Ver-schlüsselung braucht. Für heute gebräuchliche Computer wird die Rechenaufgabe mit jeder Ziffer um ein Vielfaches komplizierter. Für die querdenkenden Quantencomputer nicht. An einer Zahl mit 300 Dezimalstellen dürfte ein Standard rechner an die 6 Millionen Jahre herumoperieren. Eine Quanten-Maschine hingegen, sagen die Physiker, bräuchte wohl nur zweieinhalb Tage. Kein Wunder, dass in den USA der Geheimdienst ein wichtiger Geldgeber für solche Forschung ist .

Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Rechenleistung der Computer alljährlich wächst. Irgendwann aber ist physikalisch Schluss mit dem Chipwachstum. Dann muss, tatsächlich, ein Quantensprung her. Wissenschaftler probieren verschiedene Wege zum großen Ziel, mit Festkörpersystemen und neuen Supra-leitern. Ionen-Fänger experimentieren auch in Österreich und den USA. Man konkurriert miteinander. „Aber es ist ein freundlicher Wettbewerb“, sagt Lucas. Man kennt sich, man tauscht sich aus. „Wir diskutieren gemeinsame Probleme.“

An denen herrscht kein Mangel. Das Qubit gibt sich launisch und flüchtig. Quanten-Forschung ist zäh. Erfolge brauchen Jahre. Die Innsbrucker erreichen bei ihrer einfachen Quanten-Schaltung eine Präzision von 99,3 Prozent. Das klingt gut. Benötigt aber wird ein noch deutlich besserer Wert: 99,99 Prozent. Beim Auslesen der Qubits, die aktuelle Spezialität in Oxford, sind sie schon so weit. „Aber das ist auch einfacher“, meint Lucas bescheiden.

Er kam über die Atomphysik, wollte „das ultimative Ganze verste-hen“ – das, „was allem zugrunde liegt“. Quantentheorien bieten da einen ganzen Fuhrpark voller Ideen. Einen riesigen intellektuellen Abenteuerspielplatz. Lucas reizt heute eher das Experiment als die pure Theorie. „Es muss etwas passieren“, findet der Forscher. Das einzelne Atom sei ja als System recht gut erforscht. „Aber wir wissen noch nichts über diese Interaktion zwischen diesen Aber-millionen von Atomen, aus denen Sie, ich oder eine Katze bestehen.“

Und wann kommt der Quantencomputer? „Das könnte noch ein halbes Jahrhundert dauern“, schätzt der Forscher vorsichtig. Ist das nicht frustrierend? Lucas amüsiert sich. „Es ist ein langer Weg“, sagt er tapfer. „Aber man hat doch ein Gefühl von allmählichem Fortschritt.“ <

58 EVONIK-MAGAZIN 4/2008LEBEN

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