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Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung Nele Heise Workshop: Methoden der Online-Forschung ComDigMed Erfurt | 5. Dezember 2014

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Eröffnungsvortrag auf dem Workshop "Methoden der Online-Forschung" des Graduiertenkollegs ComDigMed am 5. Dezember 2014 in Erfurt

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Page 1: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Anything goes!?

Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Nele Heise

Workshop: Methoden der Online-Forschung

ComDigMed Erfurt | 5. Dezember 2014

Page 2: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Was ist Forschungsethik?

„Ethics are guidelines and principles that help us to uphold our values – todecide which goals of research are most important and to reconcile values andgoals that are in conflict. Ethical guides are not simply prohibitions; they also

support our positive responsibilities.”(DIENER/CRANDALL 1978: 3)

Zentrale Elemente von ForschungsethikWertbasis, Verantwortung, ethische Entscheidungsfindung

Lese-EmpfehlungenDiener & Crandall 1978; Williams, Rice & Rogers 1988; Strohm Kitchener/Kitchener 2009; Fenner 2010

Suche nach Kriterien zur Beurteilung „richtigen Handelns“

Heise | Forschungsethik 2

Page 3: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Zentrale ethische Richtlinien und Standards

Erfüllung wissenschaftlicher Qualitätskriterien und Einhaltung der Grundsätze „guten“ wissenschaftlichen Arbeitens (DFG) gegenüber: Mitarbeitern und scientific community (intern) sowie Teilnehmern, Gesellschaft, ggf. Auftraggebern (extern)

– Freiwilligkeit der Teilnahme als Voraussetzung

– Prinzip der informierten Einwilligung (‚informed consent‘)

– Schutz der Teilnehmer: Anonymität, Privatheit

– Nicht-Schädigung (Vermeidung möglicher Risiken)

Rechtlicher Kontext: Persönlichkeitsrechte (Dritter), Datenschutz (auch Verwahrung/Sicherung), Recht auf Informationelle Selbstbestimmung, Betreiberrechte (z. B. AGBs)

Heise | Forschungsethik 3

Page 4: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Ethische Fragen im Forschungsverlauf

Rekrutierung Datenerhebung Auswertung Publikation

Zugang zu Räumen

Zugang zu Personen

Sichtbarkeitsstrategien

Anonymität vs. Autorschaft

Anonymisierungsstrategien

Handlungen vs. Artefakte

Freiwilligkeit / informed consent

Datenschutz / -verwahrung

Nicht-Schädigung

Transparenz | Offenlegung | Reziprozität

Heise | Forschungsethik 4

???

Page 5: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Ethisch relevante Merkmale von Onlineforschung

Umfassende Protokollierung und Speicherung, zugängliches Archiv von Kommunikations- und Interaktionsvollzügen

Ethische Entscheidungsfindung teils erschwert:

– (räumliche/zeitliche) De-Kontextualisierung– globale Reichweite von Forschung und Daten– Datenvernetzung und -persistenz – Entkörperlichung, Grad sozialer Präsenz und Sichtbarkeit,

Anonymität (Verifizierung, Authentifizierung)– Entgrenzung von Öffentlichkeit und Privatheit (Daten/Räume)– Rechtsunsicherheit

Heise | Forschungsethik 5

Page 6: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Forschungs-kontexte

• forschungsethische Standards• technische, methodologische Anforderungen• Forschungspraxis/-erfahrung/-schwerpunkte

Nutzungs-kontexte

• Ethische Prinzipien der Online-Kommunikation • (in-)formelle »Spielregeln« (z. B. Netiquetten)• Mediennutzungskompetenzen

“Hybride” Kontexte von Onlineforschung(sethik)

• technische & soziale Rahmungen der Medienpraktiken• Eigenschaften der Onlinekommunikation• AGBs, Rechte auf Anbieterseite• individuelle ethische Argumentationsparadigmen • Vertrauen & Verantwortung

Hybride Kontexte

Heise | Forschungsethik 6

Page 7: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Anspruchsgruppen ethischer Entscheidungsfindung

DGOF-Richtlinien

AoIR Ethics Guide

Intermediäre

Heise | Forschungsethik 7

Page 8: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Zwei zentrale Fragen

1. Wann im Forschungsprozess – und von wem – ist eine Einwilligung notwendig?

2. Welcher Grad an Anonymisierung der Daten ist bei der Veröffentlichung notwendig?

Heise | Forschungsethik 8

Page 9: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Notwendigkeit der Einwilligung

1. Welcher Grad an Öffentlichkeit/Privatheit kann unterstellt werden?

Priorisierung der Nutzerperspektive Kontext: „imagined audience“ (Publikumsvorstellungen) und

„kontextuelle Integrität“ (Nissenbaum 2004) explizit geäußerte Erwartungen und Selbstverständnisse Abschätzen der Beurteilungs- und Medienkompetenz der Nutzer Hilfskriterien: Zugänglichkeit, Sensibilität (Daten/Informationen)

2. Liegt Erkenntnisinteresse auf Handlungsakten oder Artefakten?

3. Sind Betreiber (welcher Art) involviert?

Zugangs(beschränkungen) zu Kommunikationsräumen, Nutzungsbedingungen

Automatisiertes Erfassen von Plattform-Daten

Heise | Forschungsethik 9

Page 10: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Orientierung zum informed consent

Visuelle Heuristik zur Notwendigkeit des informed consent nach McKee/Porter 2009, in: Heise/Schmidt (2014)

Heise | Forschungsethik 10

Page 11: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Orientierung zum informed consent

Visuelle Heuristik als Entscheidungshilfe und Orientierung; McKee/Porter (2009: 132/136)

Art der Interaktion/Daten

Heise | Forschungsethik 11

Page 12: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Veröffentlichung von Ergebnissen

Heise | Forschungsethik 12

Anspruch: Nicht-Schädigung und Privatsphärenschutz (in allen Veröffentlichungsformen, z. B. Vorträgen)

Herausforderungen u. a. angebots- oder plattformübergreifende Durchsuchbarkeit und Verknüpfbarkeit von Informationen; Persistenz von Daten; Datenformen

Differenzierung: Urheber/Inhaber/Autoren vs. »normale«Teilnehmer; aggregierte Daten vs. Einzeldaten

Mögliche Lösungsansätze: „Data Fabrication“ (Markham 2012), visuelle Paraphrasen (W. Reißmann), Wortwolken etc.

Page 13: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Veröffentlichung von Ergebnissen

Beispielhafte Anonymsierung; Heise/Schmidt (2014)

Heise | Forschungsethik 13

Page 14: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Statt eines Fazits …

“There cannot be a blanket, whole cloth approach to Internet Research ethics. Contextual details matter, including: What … is the object of analysis of the study – texts, aggregated bits of information, or the persons themselves? What are the use expectations of the online site and of the online participants? What is the sensitivity of the information collected? What are the ages, geo-cultural-political affiliations, and/or technological expertise of the online participants? In what form are the researchers collecting data, and in what forms are they re-distributing it? Is the researcher using real names or real user/avatar names, quotingpassages, taking screenshots, etc.? And where will this material appear and to whom will it be accessible?”

McKee/Porter (2009: 7f.)

14Heise | Online Research Ethics

OrientierungspunkteESOMAR-Guidelines (esomar.org), Standesregeln der DGOF, Richtlinien der AoIR, Qualitätskriterien des Arbeitskreises dt. Markt- und Sozialforschungsinstitute e. V.

Page 15: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Ausblick: Neue Herausforderungen

Forschung zu und mit mobilen Geräten, App-basierte Forschung, Geo-Daten usw.

Big Data-Forschung, u. a. informed consent (Bsp. Facebook-Experiment), Kombination verschiedener Datensätze, „frictionless sharing“

Schaffung forschungsspezifischer Onlineumgebungen, Gestaltung von Erhebungsinstrumenten (opt-out/opt-in)

VOR ALLEM: Bewusstsein schaffen für ethische Aspekte

Heise | Forschungsethik 15

Page 16: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Herzlichen Dank!

Nele HeiseGraduate School Media and Communication

[email protected]

@neleheise

www.hamburgergarnele.wordpress.com

Heise & Schmidt (2014): „Ethik der Onlineforschung“

Page 17: Anything goes!? Ethische Dimensionen der Onlineforschung

Literatur (1/2)

ADM ARBEITSKREIS DEUTSCHER MARKT- UND SOZIALFORSCHUNGSINSTITUTE E.V. (2011): Positionspapier des ADM zu Kriterien zur Bewertung von Methoden der Markt- und Sozialforschung. http://www.adm-ev.de/fileadmin/user_upload/PDFS/Positionspapier-ADM_Feb-2011.pdf (03.11.2013).

BORGATTI, STEPHEN P.; MOLINA, JOSÉ LUIS (2002): Ethical and Strategic Issues in Organizational Social Network Analysis. In: The Journal of Applied Behavioral Science, 39(3), S. 337-349. Online unter: http://www.analytictech.com/borgatti/papers/ethics.pdf (03.11.2013).

BURGESS, JEAN; BRUNS, AXEL (2012): Twitter Archives and the Challenges of ›Big Social Data‹ for Media and Communication Research. In: M/C Journal, 15 (5). http://journal.media-culture.org.au/index.php/mcjournal/article/viewArticle/561 (3.11.2013).

CAPURRO, RAFAEL (2003): Ethik im Netz. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag.

CAPURRO, RAFAEL; PINGEL, CHRISTOPH: (2002): Ethical issues of online communication research. In: Ethics and Information Technology, Nr. 4(2002). S. 189-194.

DIENER, EDWARD; CRANDALL, RICK (1978): Ethics in Social and Behavioral Research. Chicago/London: University of Chicago Press.

DÖRING, NICOLA (1999): Sozialpsychologie des Internet: die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. Göttingen u.a.: Hogrefe.

DZEYK, WALDEMAR (2001): Ethische Dimensionen der Online-Forschung. In: Kölner Psychologische Studien 6(1), S. 1-30. http://kups.ub.uni-koeln.de/2424/1/ethdimon.pdf (03.11.2013).

EBERSBACH, ANJA; GLASER, MARKUS; HEIGL, RICHARD (2008): Social Web. Konstanz: UVK-Verlagsgesellschaft.

ESS, CHARLES (2007): Internet research ethics. In: Joinson, A.; Mckenna, K.; Postmes, T.; Reips, U. (Hrsg.): The Oxford handbook of Internet psychology. Oxford: Oxford University Press. S. 487-502.

EYNON, REBECCA; SCHROEDER, RALPH; FRY, JENNY (2009): New Techniques in Online Research. Challenges for Research Ethics. In: 21st Century Society 4 (2), S. 187-199.

FENNER, DAGMAR (2010): Einführung in die Angewandte Ethik. Tübingen: Francke.

FRAAS, CLAUDIA; MEIER, STEFAN; PENTZOLD, CHRISTIAN (2012): Online-Kommunikation. Grundlagen, Praxisfelder und Methoden. Wien: Oldenbourg Verlag.

MARKHAM, ANNETTE; BAYM, NANCY (Hrsg.) (2009): Internet Inquiry. Conversations about Method. Los Angeles u.a.: Sage Publications.

HAMILTON, REBEKAH J.; BOWERS, BARBARA J. (2006): Internet Recruitment and E-Mail Interviews in Qualitative Studies. In: Qualitative Health Research, 16 (6), S. 821-835.

HEISE, NELE (2011): Ethik der Internetforschung – Diskurs und Praxis. Eine qualitativ-heuristische Befragung deutscher Kommunikationsforscher. UnveröffentlichteMagisterarbeit. Universität Erfurt.

HEISE, NELE (2013): »Doing it for real«. Authentizität als kommunikationsethische Voraussetzung onlinebasierter Forschung. In: Emmer, Martin; Filipovic, Alexander; Schmidt, Jan-hinrik; Stapf, Ingrid (Hrsg.): Authentizität in der computervermittelten Kommunikation. Weinheim: Juventa, S. 88-109.

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Literatur (2/2)

HEISE, NELE; SCHMIDT, JAN-HINRIK (2014): Ethik der Onlineforschung. In: M. Welker, M. Taddicken, J.-H. Schmidt, N. Jackob (Hrsg.): Handbuch Online-Forschung. Herbert von Halem Verlag (= Neue Schriften zur Online-Forschung; Bd. 12), S. 519-539.

KÖHLER, BENEDIKT, BLUMTRITT, JÖRG (2010): Zehn Thesen zur Zukunft der Marktforschung. In: inbrief. Organ des Berufsverbandes Deutscher Markt- und Sozialforscher e.V. (August 2010). http://bvm.org/fileadmin/pdf/inbrief/BVM_inbrief_2-2010_final.pdf (05.11.2013).

MCKEE, HEIDI; PORTER, JAMES (2009): The Ethics of Internet Research. A Rhetorical, Case-Based Process. New York u.a.: Peter Lang.

MARKHAM, ANNETTE (2012): Fabrication as ethical practice: Qualitative inquiry in ambiguous internet contexts In: Information, Communication & Society, 15 (3), S. 334-353.

MARKHAM, ANNETTE; BUCHANAN, ELIZABETH (2013): Ethical Decision-Making and Internet Research: Recommendations from the AoIR Ethics Working Committee (version 2.0). http://aoir.org/reports/ethics2.pdf (03.11.2013).

NISSENBAUM, HELEN (2004): Privacy as contextual integrity. In: Washington Law Review, Vol. 79, Nr. 1, S. 119-157.

ROBARD, BRADY (2013): Friending Participants: Managing the Researcher–Participant Relationship on Social Network Sites. In: Young, 21(3), S. 217–235.

SCHMIDT, JAN-HINRIK (2009): Braucht das Web 2.0 eine eigene Forschungsethik? In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik 11 (2), S. 38-42.

SCHMIDT, JAN-HINRIK (2012): Persönliche Öffentlichkeiten und informationelle Selbstbestimmung im Social Web. In: Ders.; Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. S. 215-225.

STROHM KITCHENER, KAREN / KITCHENER, RICHARD F. (2009): Social Research Ethics. Historical and Philosophical Issues. In: Mertens, Donna M.; Ginsberg, Pauline E. (Hrsg.): The handbook of social research ethics. Thousand Oaks: SAGE Publications. S. 5-22.

TADDICKEN, MONIKA (2009): Die Bedeutung von Methodeneffekten der Online-Befragung: Zusammenhänge zwischen computervermittelter Kommunikation und Datengüte. In: Jackob, N.; Schoen, H., Zerback, T. (Hrsg.): Sozialforschung im Internet: Methodologie und Praxis der Online-Befragung. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 91–107.

TADDICKEN, MONIKA (2012): Privacy, surveillance, and self-disclosure in the social web: Exploring the user's perspective via focus groups. In: Fuchs, Christian; Boersma, Kees; Albrechtslund, Anders; Sandoval, MarisoL (Hrsg.): Internet and surveillance: The challenges of web 2.0 and social media. New York: Routledge. S. 255-272.

WILLIAMS, FREDERICK / RICE, RONALD E. / ROGERS, EVERETT M. (1988): Research methods and the new media. New York u.a.: Free Press.

WOLFF, OLIVER JAN (2007): Kommunikationsethik des Internets: eine anthropologisch-theologische Grundlegung. Hamburg: Verlag Dr. Kovač.

ZIEGAUS, SEBASTIAN (2009): Die Abhängigkeit der Sozialwissenschaften von ihren Medien. Grundlagen einer kommunikativen Sozialforschung. Bielefeld: transcript.

ZIMMER, MICHAEL (2010): »But the data is already public«: on the ethics of research on Facebook. In: Ethics and Information Technology, 12 (4), S. 313-326.

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