antiprismatische und dodekaedrische oktaaquokationen von...

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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution 4.0 International License. Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht: Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz. Antiprismatische und dodekaedrische Oktaaquokationen von Calcium und Strontium in den Kristallstrukturen von Tetrahalogenocadmaten und -mercuraten Antiprismatic and Dodecahedral Oktaaquo Cations of Calcium and Strontium in the Crystal Structures of Tetrahalogeno Cadmates and Mercurates Gerhard Thiele* und Dietmar Putzas Institut für Anorganische und Analytische Chemie der Universität, Albertstraße 21, D-7800 Freiburg i. Br. Z. Naturforsch. 43b, 1224-1234 (1988): eingegangen am 9. Juni 1988 Crystal Structure, Hydrates, Cadmium Complexes, Mercury Complexes The tetrahalogenometallates CaHgBr 4 -8H 2 0, CaCdI 4 -8H 2 0 and SrCdI 4 -8H 2 0 which have been obtained by crystallization from aqueous solutions form different structures. The orthorhombic compounds CaHgBr 4 -8H^O (Cmca, a — 1720.1(6) pm, b = 1329.2(4) pm. c = 1369.5(7) pm, Z 8, R - 0.041) and SrCdI 4 -8H 2 0 (Pnma, a = 1404.6(2) pm, b = 1841.1(5) pm. c = 1420.6(3) pm, Z = 8, R = 0.037) are built up from dodecahedral [A(H 2 0) 8 ] cations (A = Ca, Sr) and tetrahedral MX 4 anions (M = Hg, Cd) which are cubic closed packed in a CuAu type structure. The tetragonal structure of CaCdI 4 -8H 2 0 (P4/nbm, a = 1268.14(13) pm, c = 536.96(35) pm. Z = 2, R = 0.034) contains antiprismatic [Ca(H 2 0) x ] 2+ cations and tetrahedral Cdl 4 anions, which form together a tetragonal primitive rod package. Einleitung Die schwerlöslichen Quecksilber(II)-halogenide HgCl 2 , HgBr 2 und Hgl 2 zeigen bei Gegenwart von Halogeniden der Erdalkalimetalle eine bemerkens- wert hohe Löslichkeit in Wasser [1 — 10]. Die Bildung von mehrkernigen Halogenomercurat-Anionen in Lösung wurde postuliert, jedoch waren diese auch in konzentrierten Lösungen weder spektroskopisch [5] noch durch Röntgenbeugung [7] sicher nachzu- weisen. Die breiten Banden der Ramanspektren las- sen sich unter der Annahme deuten, daß neben li- nearen HgX 2 -Gruppen noch planare HgX 3 - und tetraedrische HgX 4 -Anionen (X = Cl, Br. I) vorlie- gen. Mit Calcium- und Strontiumhalogeniden konn- ten wir aus Lösungen mit HgX 2 als Bodenkörper kubische Kristalle isolieren, deren Strukturanalysen ergaben, daß ikosaedrische Hg 6 X 13 ~- und Hg 5 X 13 ~- Anionen mit M(OH 2 ) 8 2+ -Kationen CsCl-analoge Anordnungen bilden und daß die Stöchiometrie 2 MX 2 11 HgX 2 16 H 2 0 (M = Ca, Sr) vorliegt [6]. Die anionischen Baugruppen können als Metallo- komplexe [11] von Halogenidionen beschrieben wer- den. Bei Hg 6 X 13 ~-Anionen koordinieren z.B. sechs nahezu lineare HgX 2 -Pseudomoleküle ein X~ in der * Sonderdruckanforderungen an Prof. Dr. G. Thiele. Verlag der Zeitschrift für Naturforschung. D-7400 Tübingen 0932 - 0776/88/1000 -1224/$ 01.00/0 Weise, daß zentrierte X(X) 12 -Ikosaeder gebildet werden. In den Polyedern werden lange Hg—Hg- Abstände (>3,4 Ä) beobachtet, was erklärt, wes- halb in Lösungen von Halogenomercuraten auch bei hohen HgX 2 -Gehalten nur selten mehrkernige Anio- nen nachgewiesen werden konnten [7]. Werden die Lösungen über Trockenmittel einge- engt, so entstehen oft zunächst hochviskose Flüssig- keiten. die schließlich schlagartig zu polykristallinen, glasartigen Kristallmassen erstarren, für die in der Literatur [1-5] bisher wechselnde Angaben über den Gehalt an Kristallwasser und die Molverhältnis- se HgX 2 :MX 2 zu finden waren. Unter Verwendung spektroskopischer, thermischer und röntgenographi- scher Methoden charakterisierten wir deshalb die in den Systemen HgX 2 -MX-2H 2 0 (M = Mg, Ca, Sr; X = Cl, Br, I) auftretenden Bodenkörper. In voran- gegangenen Arbeiten wurde über die Kristallstruktu- ren der Verbindungen MgCl 2 -3HgCl 2 -6H 2 0 [8], MgX 2 2 HgX 2 6 H 2 0 (X = Br, I) [9] und MI 2 Hgl 2 8 H 2 0 (M = Ca, Sr) [10] berichtet. Im System CaBr 2 —HgBr 2 —H 2 0 konnten wir neben der quecksilberreichen Verbindung inzwischen auch Ein- kristalle des Tetrabromomercurats CaHgBr 4 -8H 2 0 erhalten. Für die Existenz von kubischen. Cd-reichen Verbin- dungen in den Systemen MX 2 -CdX 2 -H ; Ofanden wir keine Hinweise. Mit M = Ca, Sr und X = Cl, Br traten lediglich die Verbindungen M 2 Cd 3 X 10 - 18H.O und

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Page 1: Antiprismatische und dodekaedrische Oktaaquokationen von ...zfn.mpdl.mpg.de/data/Reihe_B/43/ZNB-1988-43b-1224.pdf · G. Thiele D. Putzas Antiprismatische und dodekaedrische Oktaaquokationen

This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution4.0 International License.

Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschungin Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung derWissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht:Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz.

Antiprismatische und dodekaedrische Oktaaquokationen von Calcium und Strontium in den Kristallstrukturen von Tetrahalogenocadmaten und -mercuraten

Antiprismatic and Dodecahedral Oktaaquo Cations of Calcium and Strontium in the Crystal Structures of Tetrahalogeno Cadmates and Mercurates

Gerhard Thiele* und Dietmar Putzas Institut für Anorganische und Analytische Chemie der Universität, Albertstraße 21, D-7800 Freiburg i. Br. Z. Naturforsch. 43b, 1224-1234 (1988): eingegangen am 9. Juni 1988

Crystal Structure, Hydrates, Cadmium Complexes, Mercury Complexes

The tetrahalogenometallates CaHgBr 4 -8H 2 0 , CaCdI 4 -8H 2 0 and SrCdI 4 -8H 2 0 which have been obtained by crystallization from aqueous solutions form different structures. The orthorhombic compounds CaHgBr4-8H^O (Cmca, a — 1720.1(6) pm, b = 1329.2(4) pm. c = 1369.5(7) pm, Z — 8, R - 0.041) and S rCdI 4 -8H 2 0 (Pnma, a = 1404.6(2) pm, b = 1841.1(5) pm. c = 1420.6(3) pm, Z = 8, R = 0.037) are built up from dodecahedral [A(H 20) 8] cations (A = Ca, Sr) and tetrahedral MX4 anions (M = Hg, Cd) which are cubic closed packed in a CuAu type structure. The tetragonal structure of C a C d I 4 - 8 H 2 0 (P4/nbm, a = 1268.14(13) pm, c = 536.96(35) pm. Z = 2, R = 0.034) contains antiprismatic [Ca(H20)x]2+ cations and tetrahedral Cdl4 anions, which form together a tetragonal primitive rod package.

Einleitung

Die schwerlöslichen Quecksilber(II)-halogenide HgCl2, HgBr2 und Hgl2 zeigen bei Gegenwart von Halogeniden der Erdalkalimetalle eine bemerkens-wert hohe Löslichkeit in Wasser [1 — 10]. Die Bildung von mehrkernigen Halogenomercurat-Anionen in Lösung wurde postuliert, jedoch waren diese auch in konzentrierten Lösungen weder spektroskopisch [5] noch durch Röntgenbeugung [7] sicher nachzu-weisen. Die breiten Banden der Ramanspektren las-sen sich unter der Annahme deuten, daß neben li-nearen HgX2-Gruppen noch planare HgX3- und tetraedrische HgX4-Anionen (X = Cl, Br. I) vorlie-gen. Mit Calcium- und Strontiumhalogeniden konn-ten wir aus Lösungen mit HgX2 als Bodenkörper kubische Kristalle isolieren, deren Strukturanalysen ergaben, daß ikosaedrische Hg6X13~- und Hg5X13~-Anionen mit M(OH2)8

2+-Kationen CsCl-analoge Anordnungen bilden und daß die Stöchiometrie 2 MX2 • 11 HgX2 • 16 H 2 0 (M = Ca, Sr) vorliegt [6]. Die anionischen Baugruppen können als Metallo-komplexe [11] von Halogenidionen beschrieben wer-den. Bei Hg6X13~-Anionen koordinieren z.B. sechs nahezu lineare HgX2-Pseudomoleküle ein X~ in der

* Sonderdruckanforderungen an Prof. Dr. G. Thiele.

Verlag der Zeitschrift für Naturforschung. D-7400 Tübingen 0932 - 0776/88/1000 -1224/$ 01.00/0

Weise, daß zentrierte X(X)12-Ikosaeder gebildet werden. In den Polyedern werden lange Hg—Hg-Abstände (>3 ,4 Ä) beobachtet, was erklärt, wes-halb in Lösungen von Halogenomercuraten auch bei hohen HgX2-Gehalten nur selten mehrkernige Anio-nen nachgewiesen werden konnten [7].

Werden die Lösungen über Trockenmittel einge-engt, so entstehen oft zunächst hochviskose Flüssig-keiten. die schließlich schlagartig zu polykristallinen, glasartigen Kristallmassen erstarren, für die in der Literatur [1-5] bisher wechselnde Angaben über den Gehalt an Kristallwasser und die Molverhältnis-se HgX2 :MX2 zu finden waren. Unter Verwendung spektroskopischer, thermischer und röntgenographi-scher Methoden charakterisierten wir deshalb die in den Systemen H g X 2 - M X - 2 H 2 0 (M = Mg, Ca, Sr; X = Cl, Br, I) auftretenden Bodenkörper. In voran-gegangenen Arbeiten wurde über die Kristallstruktu-ren der Verbindungen MgCl 2-3HgCl 2-6H 20 [8], MgX2 • 2 HgX2 • 6 H 2 0 (X = Br, I) [9] und MI2 • Hgl2 • 8 H 2 0 (M = Ca, Sr) [10] berichtet. Im System CaBr2—HgBr2—H20 konnten wir neben der quecksilberreichen Verbindung inzwischen auch Ein-kristalle des Tetrabromomercurats CaHgBr 4 -8H 2 0 erhalten.

Für die Existenz von kubischen. Cd-reichen Verbin-dungen in den Systemen M X 2 - C d X 2 - H ; O f a n d e n wir keine Hinweise. Mit M = Ca, Sr und X = Cl, Br traten lediglich die Verbindungen M2Cd3X10- 18H.O und

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G. Thiele — D. Putzas • Antiprismatische und dodekaedrische Oktaaquokationen 1225

M 2 C d X 6 1 2 H 2 0 auf, deren Aufbau bekannt ist [12, 13]. Für X = I fanden wir die Tetraiodocadmat-hydrate MCdI 4 -8H 2 0 (M = Ca, Sr), deren Raman-spektren das Vorliegen von tetraedrischen Cdl4-Bau-gruppen anzeigte.

Die Kristallstrukturen der drei Tetrahalogeno-metallat-hydrate schienen uns im Hinblick auf die Koordinationsgeometrien der Oktaaquokationen von Interesse. In den Kristallstrukturen der Verbin-dungen 2 Cal2 • 11 Hgl2 • 16 H : 0 [6] und SrHgI4 • 8 H 2 0 [10] waren antiprismatische [M(OH2)8]2+-Kationen gefunden worden, bei den jeweils formelgleichen Verbindungen 2CaCl2-11 HgCl r 16H.O und CaHgI 4 -8H 2 0 dagegen Kationen mit der Geometrie von Dreieckdodekaedern. Auch wenn sich für beide Polyeder nach dem Hartkugelmodell für die Bin-dungsenergie und das Abstandsverhältnis d(Ligand— Kation) zu d(Ligand — Ligand) nahezu gleiche Werte ergeben [14], waren für die Ausbildung unterschied-licher Baugruppen bei den jeweils nahezu bauglei-chen Strukturen keine plausiblen Gründe zu erken-nen. Die Kristallstrukturen der drei neu erhaltenen formelgleichen Verbindungen sollten den Einfluß von Packungseffekten und von X••• H — O-Wasser-stoffbrücken auf die Koordinationspolyeder um die Erdalkalikationen erkennen lassen.

Experimentelles Für die Synthesen der Verbindungen wurden ana-

lysenreine Chemikalien der Fa. Merck-Schuchardt verwendet. Die Halogenide von Hg und Cd konnten direkt eingesetzt werden. Die Lösungen der Cal-cium- und Strontiumhalogenide wurden durch Um-setzungen der Carbonate mit wäßrigen HX-Lösun-gen hergestellt.

Das Tetrabromomercurat CaHgBr 4 -8H 2 0 ent-steht in Form einer glasartigen Kristallmasse [5] bei der Verdunstungskristallisation von Lösungen, die CaBr2 und HgBr2 im Molverhältnis 1:1 enthalten. Ein Überschuß von HgBr2 ist zu vermeiden, damit nicht der kubische, quecksilberreiche Komplex 2CaBr2• 11 HgBr2• 16H 2 0 entsteht. In der Literatur sind Hinweise auf ein wasserfreies, kubisches Mercu-rat CaHgBr4 zu finden [15], für das eine kubische Elementarzelle mit den Abmessungen a = 19,14 Ä angegeben wird. Dieser Wert stimmt mit der von uns gefundenen kubischen Zelle der quecksilberreichen Verbindung überein, so daß anzunehmen ist, daß die Autoren diese Phase untersucht haben. Das hygro-skopische Tetrabromomercurat-hydrat zersetzt sich

oberhalb ca. 54 °C unter Abgabe von H 2 0 , HBr und HgBr->. Im geschlossenen System schmilzt es bei 92 °C~

Polykristalline Proben der bereits 1856 [16] beschriebenen, hygroskopischen Verbindung SrCdI4 • 8 H 2 0 und von CaCdI 4 -8H 2 0 entstehen beim Einengen von MI2—Cdl2-Lösungen (M = Sr, Ca; Molverhältnis 1:1). Farblose, transparente Ein-kristalle erhielten wir, indem übersättigte Lösungen von MI2 und Cdl2 (Molverhältnis >2:1) mit Paraffinöl überschichtet bei Raumtemperatur über P4Om zur Kristallisation gebracht wurden. Die Analysendaten stimmten im Rahmen der Fehlergrenzen mit den be-rechneten Zusammensetzungen überein.

Die Symmetrien und die ungefähren Abmessun-gen der Elementarzellen wurden röntgenographisch mit Hilfe von Filmaufnahmen ermittelt. Genauere Gitterkonstanten wurden auf Grundlage der am Ein-kristalldiffraktometer gemessenen Beugungswinkel von 25 Reflexen mit 20 > 35° bestimmt. Die Abmes-sungen der orthorhombischen Elementarzelle von CaHgBr 4 -8H 2 0 stimmten im Rahmen der Fehler-grenzen mit den von Pezzei [5] angegebenen Werten überein. Zur Strukturanalyse wurden die Reflex-intensitäten am Einkristalldiffraktometer CAD4 (Fa. Nonius, Delft) gemessen und nach PLG- und Absorptionskorrekturen durch Mittelung in Daten-sätze überführt. Die Modelle der Strukturen wurden mit direkten Methoden erhalten und die Lagepara-meter, mit Ausnahme der H-Atome, anisotrop ver-feinert. Die Berechnungen wurden mit Hilfe des Programmsystems SHELX 76/84 [17] am Rechner Sperry 1100/81 des Rechenzentrums der Universität Freiburg durchgeführt. Für die Zeichnungen stand das Programm SCHAKAL [18] zur Verfügung. Die Kristalldaten und Angaben zur Strukturanalyse sind in Tab. I zusammengefaßt. Die Parameter der Struk-turen sowie wichtige Abstände und Winkel sind den Tab. II und III zu entnehmen.

Weitere Einzelheiten der Strukturanalysen kön-nen beim Fachinformationszentrum Energie, Physik und Mathematik, D-7514 Eggenstein-Leopoldsha-fen, unter Angabe der Hinterlegungsnummr CSD 53287, der Autoren und des Zeitschriftenzitats ange-fordert werden.

Kristallstruktur von CaHgBr 4 -8H 2 0

Aus der Zeichnung der Elementarzelle in Abb. 1 erkennt man, daß die Kristallstruktur der Verbin-dung aus tetraedrischen HgBr4

2~-Anionen (Lage-symmetrie Cs-m) und dodekaedrischen Ca(H20)8

2 +-Kationen (Lagesymmetrie C2-2) aufgebaut ist. Gleichartige Ionen treten jeweils zu Schichten zu-

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Tab. I. Kristalldaten und Meßbedingungen.

Verbindung CaHgBr4 • 8 H 2 0 S r C d I 4 - 8 H 2 0 CaCdI4-8 H 2 0

Rel. Molmasse 624,3 851.62 804.62 Kristallsystem orthorhombisch orthorhombisch tetragonal Raumgruppe Cmca (Nr. 64) Pnma (Nr. 62) P4/nbm (Nr. 125) Gitterkonstanten a = 1720,1(6) pm a = 1404.6(2) pm a = 1268.14(13) pm

b = 1329.2(4) pm b = 1841.1(5) pm c = 1369.5(7) pm c = 1420,6(3) pm c = 536,96(35) pm

Volumen 3131.1-106 pm3 3673,4-106 pm3 863.52-106 pm3

Formeleinheiten Z = 8 Z = 8 Z = 2 Dichten d R Ö = 2,64 g/cm3 d R ö = 3,08 g/cm3 dR f t= 3,09 g/cm3

dex = 2,60(5) g/cm3 dex = 3,05(5) g/cm3 dex = 3,05(5) g/cm3

Temperatur 20 ( ± 2 ) °C 20 ( ± 2 ) °C 20 (±2) °C Wellenlänge AgK„; 56,08 pm AgK a ; 56,08 pm MoK„; 71,07 pm Absorptionsfaktor H = 105,37 cm"1 H = 52,83 cm"1 H - 81.58 c m - 1

Meßbereich 1 ° < 0 < 1 8 ° 2°<G< 18° R < Ö < 3 8 ° Scanbreite (0,80 + 0.45 tanö)° (0,80 + 0,45 tanö)° (0.90 + 0,35 tan0)° Meßwerte 1755 4344 1642 unabhängige Daten 1017 2422 1024 Daten mit I>1,5CT(I) 753 1846 705 Absorptionskorrektur Flächenmethode Flächenmethode keine innerer Standard vor/nach 1,92%/1,78% 4,77%/l ,67% 1 ,38%/-Zahl der Parameter 70 137 27 Restelektronendichte +0,91/—0,77 e/Ä3 +0,95/—0,85 e/Ä3 +0 ,74 / -1 ,16 e/Ä3

Wichtung w = 2,418 (cr(F) + 10~4 F2)"1 w - 1,774 (cr(F) + 10"4 F2)"1 w = 1,477 (o2(F) + 10 - 4 F :

Extinktion F 0( l —3-10"5 F2/sinG) F 0( l —3-10"5 F2/sin 6) F0(l—3 • 10~5 F2 /sin6) fl-Werte R(RW) = 4,11% (3,27%) R(Rw) = 3,72% (3,06%) R(Rw) = 3,43% (2,67%)

Abb. 1. Schichten von dodekaedri-schen Ca(OH2)8

2 +-Kationen und tetra-edrischen HgBr4

2~-Anionen in der orthorhombischen Zelle von C a H g B r 4 - 8 H 2 0 .

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Tab. II. Atomkoordinaten und anisotrope Temperaturfaktoren mit Standardabweichungen.

Atom x/a y/b z/c S.O.F. U l i U22 U33 U 12 U 13 U23

CaHgBr4 • 8 H 2 0 Hg 0,0 0,7343(1) 0,7064(1) 0,5 0,0404(4) 0,0656(7) 0,0718(6) 0,0 0,0 0,0109(6) Br 1 0,6350(1) 0,2624(1) 0,7789(1) 1,0 0,0495(7) 0,080(2) 0,072(2) -0,0058(7) -0.0145(6) -0,0056(1) Br2 0,0 0,5354(2) 0,6749(2) 0,5 0,0474(10) 0,053(2) 0.092(2) 0,0 0.0 -0,0061(13) Br3 0,0 0,8275(2) 0,5366(2) 0,5 0,0485(10) 0,0935(20) 0,0717(15) 0,0 0,0 0,0292(15) Ca 0,2505(2) 0,0 0,0 0,5 0,0372(15) 0,0411(25) 0,0377(17) 0,0 0,0 0.0015(20) O l 0,2943(5) 0,1689(8) 0,0460(6) 1,0 0.069(4) 0,048(5) 0,087(5) 0.003(4) -0,002(4) 0,008(5) 0 2 0,1335(5) 0,1116(8) 0,0035(8) 1,0 0,060(4) 0,077(6) 0,105(6) 0,027(4) -0,002(4) 0,001(5) 0 3 0,2971(6) -0,0167(11) 0,3339(7) 1,0 0,067(5) 0,181(7) 0,049(4) -0,003(5) 0,001(4) -0.010(5) 0 4 0,3648(5) 0,0283(8) 0,8922(7) 1,0 0,052(4) 0,093(6) 0,060(5) -0,010(4) 0.012(4) -0,011(5) H l l 0,312(5) 0,20(2) -0,01(1) 1,0 0,1 H12 0,314(5) 0,19(2) 0,11(1) 1,0 0,1 H21 0,115(5) 0,150(8) 0,06(1) 1,0 0,1 H22 0,115(5) 0,151(8) -0,06(1) 1,0 0,1 H31 0,183(5) -0,08(1) 0,19(1) 1,0 0.1 H32 0,181(5) 0,05(1) 0,20(1) 1,0 0.1 H41 0,390(5) 0,09(1) -0,13(1) 1,0 0.1 H42 0,392(5) -0,03(1) -0,13(1) 1,0 0.1

SrCdl, • 8 H 2 0 Cd 1 0,0677(1) 0,25 -0,2730(1) 0,5 0,0636(9) 0,0400(7) 0,0477(7) 0,0 -0,0031(6) 0,0 II 0,0802(1) 0,25 0,5306(1) 0,5 0,0864(9) 0,0470(7) 0,0428(6) 0,0 0,0016(6) 0.0 12 0,2493(1) 0,25 -0,1909(1) 0,5 0,0584(8) 0,0438(7) 0,0744(8) 0,0 -0,0125(6) 0.0 13 0,9928(1) 0,1152(1) 0,7701(1) 1,0 0,0595(6) 0,0433(5) 0,0591(5) -0,0063(4) 0.0016(4) 0,0065(4) Cd 2 0,0212(1) 0,25 0,2012(1) 0,5 0,0576(9) 0,0372(7) 0,0495(7) 0.0 -0.0062(6) 0,0 14 0,9249(1) 0,25 0.0308(1) 1,0 0.0785(9) 0,0469(7) 0,0584(7) 0.0 -0,0253(7) 0,0 15 0,9849(1) 0,1173(1) 0,2843(1) 0,5 0,0766(6) 0,0465(5) 0,0563(5) -0,0069(5) -0,0001(4) 0,0106(4) 16 0,7188(1) 0,25 0,3280(1) 0,5 0,0531(8) 0.0461(7) 0,0794(8) 0,0 -0.0011(6) 0,0 Sri 0,7530(1) -0,0015(1) 0,0080(1) 1,0 0,0404(5) 0,0343(5) 0,0316(4) 0,0009(4) 0,0000(4) 0,0004(4) O l 0,7298(6) 0,3887(4) 0,1176(5) 1,0 0,092(3) 0,059(3) 0,054(3) -0,014(3) 0,005(3) 0,018(3) 0 2 0,0804(6) 0,4575(5) 0,5360(6) 1,0 0,057(3) 0,070(3) 0,092(3) 0.005(3) 0,005(3) 0,017(3) 0 3 0,4230(6) 0,4570(5) 0,4526(6) 1,0 0,046(3) 0,064(3) 0,101(3) 0.006(3) 0,002(3) -0,006(3) 0 4 0,2724(6) 0,1126(4) 0,5993(5) 1,0 0,077(3) 0,054(3) 0,055(3) -0.011(3) -0,005(3) -0,013(3) 0 5 0,6334(6) 0,1133(5) 0,5065(5) 1,0 0.065(3) 0,061(3) 0,071(3) 0,016(3) -0.001(3) 0,008(3) 0 6 0,2585(7) 0,5479(5) 0,3191(5) 1,0 0,135(3) 0,063(3) 0,039(3) -0,015(3) -0.004(3) 0,003(3) Ol 0,7268(7) 0,0476(5) 0,3374(5) 1,0 0,160(3) 0.069(3) 0,042(3) 0,018(3) -0.001(3) -0.004(3) 0 8 0,3599(7) 0,3850(5) -0,0130(6) 1,0 0,085(3) 0,058(3) 0,083(3) 0,027(3) -0,012(3) -0,013(3)

CaCdI 4 -8H 2 0 Cd 0.25

0,3872(0) 0,75 0,0993(2) 0,293(2) 0,372(2) 0,405(2)

I Ca O H l H2 H3

0,75 0,6128(1) 0,75 0,3156(3) 0,463(2) 0,345(2) 0,229(2)

0,0 0,2483(1) 0,0 0,7552(6)

-0,221(2) 0,412(2) 0,586(2)

0,125 0,125 0,5 1,0 -1,0 0,5 0,5

0,033(1) 0,033(1) 0,029(2) 0,040(1) 0,055(2) 0,052(2) 0,052(2)

0,033(1) 0,040(1) 0,029(2) 0,048(1)

0,0824(7) 0,0737(3) 0,031(1) 0,056(1)

0,0 -0,0017(2) 0,0

-0,003(1)

0,0 -0,005(1) 0,0

-0,011(1)

0,0 0,005(1) 0,0 0,003(1)

s a m m e n , d ie in [100] -Rich tung a l t e rn i e r en . E s liegt e i n e k u b i s c h d i ch te s t e P a c k u n g in F o r m e i n e r „ C u A u " - a n a l o g e n A n o r d n u n g vor . O b w o h l t e t r a -e d r i s c h e K o o r d i n a t i o n von H g ( I I ) bei B r o m o m e r c u -r a t e n im P r inz ip häu f ig b e o b a c h t e t wi rd , w u r d e n iso-l i e r t e , t e t r a e d r i s c h e H g B r 4

2 _ - B a u g r u p p e n doch bis-h e r r ech t se l t en g e f u n d e n , z . B . in d e r Kr is ta l l s t ruk-t u r v o n [N(CH 3 )4 ] 2 HgBr4 [19]. H ä u f i g e r f inde t m a n

k a n t e n v e r k n ü p f t e H g 2 B r 6 - T e t r a e d e r p a a r e , z . B . bei M g H g 2 B r 6 - 6 H 2 0 [9], K e t t e n v o n e c k e n v e r k n ü p f t e n T e t r a e d e r n , z . B . bei K H g B r 3 H 2 0 [20]. o d e r ver -ze r r t o k t a e d r i s c h e ( 2 + 4 ) - P o l y e d e r , z . B . bei HgBr-> [21].

D e r T a b . I I I d e r A b s t ä n d e u n d W i n k e l ist zu en t -n e h m e n , d a ß zwei k u r z e (255 p m ) u n d zwei l änge re (263 ,5 u n d 267 ,9 p m ) H g — B r - A b s t ä n d e ex i s t i e ren .

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1228 G. Thiele — D. Putzas • Antiprismatische und dodekaedrische Oktaaquokationen 1228

Tab. III. Abstände (pm) und Winkel (°) mit Standardabweichungen. Zur Bezeichnung der Atome siehe Abbildungen.

CaHgBr4 - 8 H : 0 SrCdI 4 -8H 2 0 CaCdI 4 -8H 2 0

Innerhalb der MX4-Tetraeder Hg—Br 1 255.3(2) Br l — Hg—Br2 101.95(5) Cd 1 — 11 279,6(2) 11- Cdl - 1 2 110,57(6) Cd - I 279.8(1) 11-- C d - 13 103 Hg—Br2 267.9(3) Br l — Hg—Br3 105.93(5) Cd 1 - 1 2 280,5(2) 11- Cd l - 1 3 104.18(4) 11- 13 438.3(1) 11-- C d - 12 123 Hg—Br3 263.5(3) Br2 — Hg—Br3 108.78(10) Cd 1 - 1 3 276,4(1) 12-•Cd 1 - 1 3 104.72(4) 11- 12 492.1(1)

Br l — Hg—Br 1 130.89(10) 13- Cdl - 1 3 127.75(7) Cd2 —14 277,3(2) 14- Cd2 - 1 5 110.70(6) Cd2—15 276,1(1) 14-•Cd 2 - 1 6 106.45(4) Cd 2 — 16 280.6(2) 15-

15-Cd2

•Cd2 - 1 5 - 1 6

124.48(7) 104,23(4)

Innerhalb der M(OH2)8-Polyeder C a - O l 245,0(10) O l --Ca—O 1 144.2(3) Sr—01 261,6(7) O l - S r - 0 4 72.5(2) Ca-- O 246.4(3) O l - C a -- 0 4 1 1 5 C a - 0 2 250,1(10) 0 2 -- C a — 0 2 72,8(3) Sr—02 263,1(9) 0 2 - S r - 0 3 143.6(3) O l — 0 2 294,8 O l - C a -- 0 5 76 Ca—0 3 242,8(10) 0 3 -- C a — 0 3 140,6(4) Sr—03 258.6(9) 0 5 - S r - 0 8 75.0(3) O l — 0 5 311,1(5) O l - C a -- 0 6 78 Ca—0 4 248,7(9) 0 4 -- C a — 0 4 75.5(3) Sr—04 261.0(7) 0 6 - S r - Ol 140.8(3) O l — 0 6 304.0(5) O l - C a -- 0 2 73 O l - H l l 93(8) 0 3 -- H 3 1 99(5) Sr—05 260.4(9) O - H l 102 H l - O - H2 124 0 1 - H 1 2 96(5) 0 3 -- H 3 2 107(5) Sr—06 260.2(8) O - H2 101 H l - O - H 3 109 0 2 - H 2 1 98(5) 0 4 -- H 4 1 98(5) Sr—07 258.4(8) O - H 3 102 0 2 - H 2 2 106(5 ) 0 4 -- H 4 2 94(8) Sr—08 262,4(10) Kürzeste Kontakte zwischen den Baugruppen O l - O l 292(2) O l -- H 11 256(6) 0 6 - 0 7 286.9 13- 0 4 361.0 11- 15 440,7(1) H2 - O I O 208 B r l - O l 353,4(8) Br l — H12 258(5) 0 2 - 0 2 293,2 15- O l 371.3 11-- 0 5 371,2(3) H 3 — 0 5 210 Br 1 — 0 2 341,9(7) Br l — H21 252(5) 0 3 - 0 3 300.1 15- 13 373.6 14- O l 377.3(4) H l - I I 280 Br l —03 365,5(7) Br l — H32 263(5) 15- 0 8 369.3 0 5 - O I O 303,7(5) H l - 1 4 281 Br 1 — 0 4 347,7(8) B r l — H41 265(5) 0 5 — 0 9 313.3(5)

Zum Vergleich kann der Abstand in der Verbindung [N(CH?)4]2HgBr4 [19] herangezogen werden, wo vier nahezu identische Bindungslängen von 258 pm beob-achtet werden. Bei HgBr2-Kristallen wurden Han-teln mit 248 pm [21] gefunden. Es liegt nahe, die Differenzierung der Hg—Br-Abstände und die Auf-weitung des Bindungswinkels zwischen den beiden kurzen Hg-Br-Bindungen ( B r l - H g - B r l = 131°) als Tendenz zur Ausbildung einer (2+2)-Koordina-tion anzusprechen. Solche Übergänge von tetraedri-schen HgBr4

2_-Baugruppen zu digonalen HgBr :-Pseudomolekülen mit zwei zusätzlichen, weiter ent-fernten Br-Nachbarn sind in der Strukturchemie von Bromomercuraten wohlbekannt. Nachdem aber bei dem nahezu baugleichen Cadmat SrCdI 4 -8H 2 0 (s. u.) ebenfalls eine entsprechende Winkelaufwei-tung beobachtet wird, müssen Packungseffekte zur Erklärung herangezogen werden.

Das Ca2+-Kation ist von acht Wassermolekülen in Form eines Dreieckdodekaeders bzw. Bisdisphenoids umgeben. Die Öffnungswinkel der beiden ineinan-der gestellten Disphenoide der Ca(H20)8

2~-Bau-gruppen (s. Tab. III) weichen nur wenig von den Erwartungswerten 73.3° bzw. 138.9° eines Dreieck-

dodekaeders idealer Symmetrie D2d-42m ab. Unge-wöhnlich kurze Kontakte zwischen den Baugruppen werden nicht beobachtet (s. Tab. III), so daß für die Ausbildung der Kristallstruktur H-Brücken keine bestimmende Rolle spielen sollten. Die kürzesten Kontakte zwischen den Kationen werden in ^-Rich-tung der Zelle beobachtet ( O l - O l = 292 pm), je-doch können nur schwache, zusätzlich noch stärker gewinkelte O 1 —H ••• O 1-Brücken auftreten (s. Abb. 2). Den Ca(OH2)8

2+-Kationen sind jeweils sechs Brl-Atome derart benachbart, daß jeder der ' H20-Liganden eine nahezu lineare O—H-Brücke ausbildet. Die Br 1-H-Abstände liegen im Bereich von ca. 260(5) pm. Einschränkend ist zu bemerken, daß bei der Strukturanalyse die Lokalisierurig der acht H-Atome neben den Schweratomen Hg und Br erwartungsgemäß Schwierigkeiten bereitete. Die Differenzen-Fouriersynthese zeigte 15 Maxima mit dem Gewicht von ca. le/Ä3 , von denen lediglich vier H-Atome zugeordnet werden konnten. Die restli-chen Lagen wurden unter Berücksichtigung der H :0-Geometr ie berechnet. Die Versuche zur isotro-pen Verfeinerung der H-Lageparameter verliefen unbefriedigend.

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G. Thiele — D. Putzas • Antiprismatische und dodekaedrische Oktaaquokationen 1229

Die Kristallstruktur von SrCdI4 • 8 H 2 0

In der orthorhombischen Elementarzelle (Abb. 3) sind längs [010] dodekaedrische Sr(H20)8

2+-Kat-ionen und tetraedrische CdI4

2_-Anionen in aufeinan-derfolgenden Schichten kubisch dichtest gepackt (CuAu-Typ). Es handelt sich um eine neue, vierte Variante des bei CaHgI 4 -8H 2 0 , SrHgI 4 -8H 2 0 [10] und CaHgBr 4 -8H 2 0 gefundenen Strukturtyps.

Zwei kristallographisch unterschiedliche Cdl42 --

Anionen, die sich jeweils auf Spiegelebenen befin-den, sind im Vergleich zur Td-Symmetrie derart ver-zerrt, daß zwar alle Cd—I-Abstände nahezu der Summe der kovalenten Radien von 280 pm [22] ent-sprechen, aber jeweils einer der I —Cd—I-Winkel un-gewöhnlich aufgeweitet ist. Die Sr—O-Abstände in-nerhalb der kristallographisch äquivalenten, dodeka-edrischen Sr(H20)8

2+-Kationen entsprechen mit 258—263 pm den Erwartungswerten. Die Öffnungs-winkel der ineinandergestellten Disphenoide wei-chen mit 75,0° und 72,5° bzw. 143,6° und 140° nur geringfügig von den Idealwerten eines Dreieck-dodekaeders (cp.A = 73,7° und cph = 138,9°) ab. Die Lagen der Protonen konnten nicht mit ausreichender Sicherheit ermittelt werden. Die kürzesten, für O••• H —O-Brücken geeigneten O —O-Abstände zwi-schen den Kationen liegen im Bereich von 287-300 pm. Für I••• H-O-Kontak te der Kationen mit CdI4-Anionen kommen sechs I-Nachbarn im Ab-stand von 360—370 pm in Betracht.

Kristallstruktur von CaCdI 4 -8H 2 0

Aus der Zeichnung einer tetragonalen Elementar-zelle in der Abb. 4 erkennt man, daß ein von den formelgleichen Verbindungen CaHgBr 4 -8H 2 0 und SrCdI 4 -8H 2 0 abweichender Aufbau vorliegt und daß die Struktur antiprismatische Ca(H20)8

2 +-Kat-ionen neben tetraedrischen CdI4

2_-Anionen enthält. Die Cadmiumatome belegen Positionen der Symme-trie 42m-D2d und die Cd —I-Abstände entsprechen mit 280 pm der Summe der kovalenten Radien [22], Zwei der I —Cd—I-Winkel weichen aber mit 123° er-heblich von den Idealwerten eines Cdl4-Tetraeders ab.

Die Ca—O-Abstände innerhalb der antiprismati-schen Baugruppen (Symmetrie 422-D4) sind äqui-distant und betragen 247 Ä. Die Lagesymmetrie von Antiprismen kann in Kristallstrukturen höchstens 422-D4 oder 4mm-C4v sein, da die maximale Symme-trie 82m-D4d keiner der 32 kristallographischen Punktgruppen entspricht. Die Abweichungen von der idealen Geometrie sind gering. Sie bestehen dar-in, daß die beiden Quadratebenen der H20-Ligan-den statt um 45° nur um 43,37° gegeneinander gestaf-felt sind.

Aufschluß über die Wechselwirkungen zwischen Kationen und Anionen in dem hochsymmetrischen, bisher nicht bekannten Strukturtyp war durch Loka-lisierung von Wasserstoffbrücken möglich. Die Posi-tionen der H-Atome konnten einer Differenzenfou-

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1230 G. Thiele — D. Putzas • Antiprismatische und dodekaedrische Oktaaquokationen 1230

Abb. 3. Schichten von dodekaedrischen Sr(OH.)82+-Kationen und tetraedrischen Cdl4

2 -Anionen in der orthorhombi-schen Zelle von S r C d I 4 - 8 H ; 0 .

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G. Thiele—D. Putzas • Antiprismatische und dodekaedrische Oktaaquokationen 1231

Abb. 4. Anordnung der antiprismatischen Ca(OH2)82+-Kationen und tetraedrischen Cdl4

2 -Anionen in der tetragonalen Elementarzelle von C a C d I 4 - 8 H 2 0 .

Abb. 5. Wasserstoffbrücken in der Kristallstruktur von CaCdI 4 -8H 2 0.

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1232 G. Thiele — D. Putzas • Antiprismatische und dodekaedrische Oktaaquokationen 1232

rieranalyse entnommen werden. Acht HI-Atome von 16 Wasserstoffatomen der Zelle bilden Kontakte mit I-Atomen im Abstand von 281 pm aus (s. Abb. 5). Der Beitrag derartiger OH ••• I-Brücken zur Gitterenergie ist gering zu veranschlagen [23].

Die restlichen acht H-Atome übernehmen durch schwache O —H••• O-Wasserstoffbrücken Brücken-funktionen zwischen den Ca(H20)8

:~-Kationen. Sie sind auf zwei Splitlagen H2 und H3 verteilt, die je-weils zu 50% besetzt sind. Für die H3-Atome erga-ben die Berechnungen lineare O —H3••• O-Brücken zwischen näher benachbarten O-Atomen im Ab-stand von 304 pm. Die H2-Atome bilden sehr schwache O • • • H 2—O-Wasserstoffbrückenbindun-gen zwischen den O-Atomen im Abstand von 313 pm aus. Dieses Modell der Wasserstoffbrücken-bindungen wird durch die Beobachtung gestützt, daß die Quadratflächen der Antiprismen um 43,4° statt 45° gegeneinander gestaffelt sind.

Aus den Abb. 4 und 5 ist zu entnehmen, daß die Ca(OH2)8

2+-Antiprismen über die Wasserstoffbrük-ken zu unendlichen, parallel [001] verlaufenden Ket-ten verknüpft sind. Die Anordnung der komplexen Kationen und Anionen läßt sich topologisch als eine tetragonal primitive Packung von Stäben [24] be-schreiben. Die „Stäbe" der Anionen bestehen aus kantenverknüpften Tetraedern, die der Kationen aus flächenverknüpften Antiprismen, wobei innerhalb der Stäbe jedes 2. Polyederzentrum jeweils unbe-setzt bleibt. Die Packung der komplexen Kationen und Anionen in parallel verlaufenden Stäben führt auf Grund des unterschiedlichen Platzbedarfs zu einer Stauchung der Cdl4-Tetraederketten und einer Aufweitung von zwei Tetraederwinkeln (123°).

Diskussion

Zusammen mit den bereits früher von uns be-schriebenen Iodomercuraten von Ca und Sr [10]

konnten fünf Tetrahalogenocadmate und -mercurate von Erdalkalimetallen mit der Zusammensetzung A M X 4 - 8 H : 0 dargestellt und strukturell untersucht werden. Dabei wurden jeweils unterschiedliche Kri-stallstrukturen gefunden, die zwei Strukturfamilien zuzuordnen sind. Gemeinsames Merkmal ist der Aufbau aus tetraedrischen MX4-Anionen (M = Cd. Hg) und komplexen A(OH2)8-Kationen (A = Ca. Sr), die über schwache X••• H —O-Brücken verbun-den sind.

Für das Auftreten von Oktaaquokationen mit der unterschiedlichen Geometrie von Archimedischen Antiprismen und von Dodekaedern lassen sich aus den Strukturen keine überzeugenden Argumente ab-leiten. In Übereinstimmung damit steht, daß sich auf der Basis des Hartkugelmodells für beide Koordina-tionspolyeder nahezu gleiche Repulsionsenergien er-geben [14]. So führen bereits geringe Effekte der Packung und von H-Brücken zu einem Wechsel der Geometrie. Packungseffekte allein können nicht be-stimmend sein, denn Antiprismen wurden bei beiden Sturkturfamilien gefunden. Zum Vergleich sind die wichtigsten Merkmale der Strukturen in Tab. IV zu-sammengestellt.

In vier der Kristallstrukturen sind die komplexen Bausteine mit alternierenden Anionen- und Kat-ionenschichten nach dem Motiv der CuAu-Struktur gepackt. Die Symmetriebeziehungen der Anordnun-gen sind dem Schema der Gruppe-Untergruppe-Re-lationen der Raumgruppen in Abb. 6 zu entnehmen. Auf die Verwandtschaftsbeziehung zu Schichten-perowskiten wurde bereits früher hingewiesen [10]. Topologisch ist diese Anordnung variabel, denn Un-terschiede im Platzbedarf werden durch Kippungen der Kationen (z.B. [Sr(OH2)8]2+) und Verzerrungen der MX4-Tetraeder (s. Tab. IV) ausgeglichen. Die experimentell gefundenen Molvolumina stimmen mit den Werten überein, die aus den Rauminkre-menten [25] für Ca(OH2)8

2+ (132 cm3/mol),

Tab. IV. Vergleich der Kristallstrukturen von Verbindungen AMX4-£ 5 H : 0 (A - Ca, Sr; M = Hg. Cd; X = Br. I).

CaHgBr 4-8H :0 CaHgI4-8H20 SrCdI4-8H :0 SrHgI4-8 H : 0 CaCdI4-8H :(

Packungstyp CuAu CuAu CuAu CuAu Stabpackung Molvolumen [cm3] 237 267 276 272 260 Geometrie des Kations Dodekaeder Dodekaeder Dodekaeder Antiprisma Antiprisma Abstandsbereich A - O I T [pm] 243-250 249 258-263 258-262 246 Abstandsbereich M - X [pm] 255-268 276-285 276-281 274-281 280 Winkelaufweitung X - M - X [°] 131 131 125; 128 124; 127 123

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p 2 2 2 • m m m

T A l l 1 m c m

1 , 1 , 1 4 4 2

r l l - l i ^ c m m

I A 1 2 2., M c m m

0,0

p * 2 2, 2 r m V c

p -1 2, -1 r c m n

K 2

2a

A 2, 2 2, ^ c a m

[ca(OH2)8][Hg [ s r ( 0 H 2 ) 8 ] [ H g I 4 ] [ c a (OH2)8] [HgBr^]

K 2

I R 1 1 2, 1 b n m

[sr(OH2)8] [ C d l 4 ] Abb. 6. Schema der Gruppe-Untergrup-pe-Beziehungen zwischen den Kristall-strukturen.

Sr(OH2)82 + (140 cm3/mol), HgBr4

2~ (110 cm3/mol), Cdl 4

2 - und Hgl42~ (jeweils 130 cmVmol) abzuschät-

zen sind. Im Vergleich dazu ist die Packung in der hochsym-

metrischen Struktur von C a C d I 4 - 8 H 2 0 deutlich dichter. Die Kationen und Anionen sind innerhalb von Schichten gemeinsam primitiv gepackt. Die Ca(OH2)8

2 +-Antiprismen aufeinanderfolgender Schichten sind benachbart und über O —H---0-Brücken verbunden. So ergibt sich das Motiv einer tetragonal primitiven Stabpackung [24],

Als weiterer Vertreter des Struktur- und Verbin-dungstyps kommt S r H g B r 4 - 8 H 2 0 in Betracht, je-doch scheiterten bisher alle Syntheseversuche. Ein Grund könnte sein, daß die Unterschiede im Platz-bedarf von Sr(OH2)8

2+ (142 cmVmol) und HgBr42"

(110 cmVmol) bereits beträchtlich sind. Außerdem ist für Chloro- und Bromomercurate das Auftreten annähernd linearer HgX2-Baugruppen charakteri-stisch. die nur schwache Kontakte zu nahezu isolier-ten X-Anionen ausbilden [9, 10]. Bei Chloro- und Bromocadmaten wurde für Cd oktaedrische Koordi-nation gefunden [12, 13]. Magnesium bildet okta-edrische Mg(OH2)6

2 +-Kationen, während beim gro-ßen Ba2+-Kation auch die X-Liganden in die Koordi-nationssphäre einbezogen sind, so daß wasserärmere Verbindungen entstehen.

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds der Chemischen Industrie danken wir für die Unterstützung mit Sachmitteln.

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