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Vorlesungsmanuskript zu

Analysis I

Werner BalserInstitut für Angewandte Analysis

Wintersemester 2008/09

Literaturverzeichnis

[1] T. Apostol, Mathematical Analysis, Addison & Wesley, Reading, 1979.

[2] E. Behrends, Analysis. Vol. 1. A study book for a smooth transition from school to university.(Analysis. Band 1. Ein Lernbuch für den sanften Wechsel von der Schule zur Uni.) 3rd corrected ed.,Wiesbaden: Vieweg. xiv, 359 p. EUR 24.90 , 2007.

[3] I. N. Bronstein, K. A. Semendjajew, G. Musiol, und H. Mühlig, Taschenbuch der Mathe-matik, Harri Deutsch, Frankfurt am Main, 1995. 96

[4] K. Endl und W. Luh, Analysis I, Aula Verlag, Wiesbaden, 1989.

[5] F. Erwe, Di�erential- und Integralrechnung I, BI Hochschultaschenbücher, Bibliographisches Insti-tut, Mannheim, 1973.

[6] O. Forster, Analysis 1, Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig, 2004.

[7] H. Grauert und I. Lieb, Di�erential- und Integralrechnung I, Heidelberger Taschenbücher, Sprin-ger, Berlin, 1967.

[8] H. Heuser, Lehrbuch der Analysis 1, Teubner, Stuttgart, 1988.

[9] W. Luh und M. Wiesner, Aufgabensammlung Analysis, Aula Verlag, Wiesbaden, 1991.

[10] G. Merziger und T. Wirth, Repetitorium der Höheren Mathematik, Binomi Verlag, 1999.

[11] K. Meyberg und P. Vachenauer, Höhere Mathematik 1, Springer, Berlin, 1999.

[12] , Höhere Mathematik 2, Springer, Berlin, 1999.

[13] W. Rudin, Analysis, R. Oldenbourg Verlag, München, 2002.

[14] F. Schulz, Analysis 1, R. Oldenbourg Verlag, München, 2002.

[15] W. Walter, Analysis 1, Springer, Berlin, 1985. 77, 81

2

Inhaltsverzeichnis

1 Reelle und komplexe Zahlen 6

1.1 Mengen, Relationen und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.2 Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1.3 Ordnungsaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.4 Obere und untere Schranken, Supremum und In�mum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

1.5 Das Vollständigkeitsaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

1.6 Vorzeichen und Betrag reeller Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1.7 Intervalle reeller Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1.8 Der Körper der komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2 Natürliche, ganze und rationale Zahlen 19

2.1 Die natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.2 Beweisen mit vollständiger Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.3 Ganze und rationale Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2.4 Folgen und allgemeine kartesische Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.5 Abzählbare Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.6 Einige Bezeichnungen und Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

3 Polynome und Wurzelfunktionen 27

3.1 Funktionenräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

3.2 Polynome und rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

3.3 Interpolation mit Polynomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

3.4 Monotone Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

3.5 Wurzelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

3

3.6 Arithmetisches und geometrisches Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

4 Zahlenfolgen 34

4.1 Nullfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

4.2 Konvergente Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

4.3 Teilfolgen, Umordnungen und triviale Abänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

4.4 Bestimmt divergente und monotone Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

4.5 Die Exponentialfunktion im Reellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

4.6 Häufungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

4.7 Das Cauchy-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

4.8 Limes inferior und limes superior . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

5 Unendliche Reihen 44

5.1 Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

5.2 Alternierende Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

5.3 Reihen mit nicht-negativen Gliedern, absolute Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

5.4 Unbedingte Konvergenz und Umordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

5.5 Doppelreihen und der groÿe Umordnungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

5.6 Dual- und Dezimalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

5.7 Gleichmäÿige Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

5.8 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

5.9 Einige wichtige Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

6 Stetige Funktionen 62

6.1 De�nition der Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

6.2 Eigenschaften stetiger Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

6.3 Der Logarithmus im Reellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

6.4 Gleichmäÿige Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

6.5 Funktionsgrenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

7 Di�erenzialrechnung 69

7.1 Die Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

4

7.2 Satz von Rolle und erster Mittelwertsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

7.3 Gliedweises Di�erenzieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

7.4 Die Ableitung der Umkehrfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

7.5 Die Zahl Pi und die Arcusfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

7.6 Das Argument und der Logarithmus einer komplexen Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

7.7 Lokale Extremwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

7.8 Zweiter Mittelwertsatz u. Zwischenwertsatz für Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

7.9 Die Regeln von de l'Hospital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

8 Integralrechnung 82

8.1 Riemann-Summen und Riemann-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

8.2 Ober- und Untersummen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

8.3 Die Hauptsätze der Di�erenzial- und Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

8.4 Weitere Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

8.5 Die Partialbruchzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

8.6 Der Taylorsche Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

8.7 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

8.8 Die Gamma-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

5

Kapitel 1

Reelle und komplexe Zahlen

1.1 Mengen, Relationen und Funktionen

Wir stellen im Folgenden einige Bezeichnungen für Aussagen und Mengenoperationen zusammen, diewohl überwiegend so oder ähnlich auch im Schulunterricht benutzt wurden:

• Wenn A1,A2 zwei beliebige Aussagen sind, schreiben wir

A1 =⇒ A2 ,

falls aus der Richtigkeit von A1 immer die Richtigkeit von A2 folgt. Wir lesen dies auch als aus A1

folgt A2, oder A1 impliziert A2. Falls umgekehrt auch A1 aus A2 folgt, nennen wir beide Aussagenäquivalent und schreiben

A1 ⇐⇒ A2 .

Wir sagen dann auch, dass A1 genau dann richtig ist, wenn A2 richtig ist. Es gilt also, dass A1 undA2 genau dann äquivalent sind, wenn gilt

A1 =⇒ A2 und A2 =⇒ A1 .

• Das Symbol ∀ steht für die Worte für alle, und ∃ bedeutet es existiert. Wir schreiben ∃1 x, wennes ein x gibt (mit einer gewissen Eigenschaft), und wenn dieses x (innerhalb einer gewissen MengeX) eindeutig bestimmt ist. Wir sagen dann auch in Worten: es existiert genau ein x ∈ X.

• x ∈ A bedeutet: x ist Element von A (gehört zu A, ist in A enthalten).

• Zwei Mengen A und B sind genau dann gleich, wenn sie dieselben Elemente enthalten, d. h., wenngilt

x ∈ A ⇐⇒ x ∈ B .

• A ⊂ B bedeutet: A ist Teilmenge von B, d. h., x ∈ A =⇒ x ∈ B. Insbesondere ist A ⊂ B auchwenn A = B ist, und es gilt

A = B ⇐⇒ (A ⊂ B und B ⊂ A) .

• A ∪ B = {x : x ∈ A oder x ∈ B} ist die Vereinigungsmenge von A und B. Allgemeiner: Sind Aj ,für j ∈ J , beliebig viele Mengen, so ist deren Vereinigung gleich

∪j∈JAj = {x : ∃ j ∈ J mit x ∈ Aj} .

6

• A∩B = {x : x ∈ A und x ∈ B} ist der Durchschnitt von A und B. Allgemeiner: Sind Aj , für j ∈ J ,beliebig viele Mengen, wobei aber J nicht leer sein soll, so ist deren Durchschnitt gleich

∩j∈JAj = {x : x ∈ Aj ∀ j ∈ J} .

• A \ B = {x : x ∈ A und x 6∈ B} ist die (mengentheoretische) Di�erenz von A und B, oder dasKomplement von B relativ zu A.

• ∅ bezeichnet die leere Menge, welche kein einziges Element besitzt.

• P(A) bezeichnet die Familie aller Teilmengen einer Menge A und wird Potenzmenge von A genannt.Man nennt ∅ und A auch die trivialen Teilmengen von A.

• A×B = {(a, b) : a ∈ A, b ∈ B} ist das kartesische Produkt von A und B. Beachte, dass es bei denPaaren (a, b) auf die Reihenfolge ankommt, so dass (a, b) 6= (b, a) ist, auÿer für a = b. VergleicheAbschnitt 2.4 für kartesische Produkte von beliebig vielen Mengen.

Beispiel 1.1.1 Ist A = {1, 2, 3}, so ist die Potenzmenge von A die Menge {Aj : 1 ≤ j ≤ 8}, mit A1 = ∅,A2 = {1}, A3 = {2}, A4 = {3}, A5 = {1, 2}, A6 = {1, 3}, A7 = {2, 3}, A8 = {1, 2, 3}.

Aufgabe 1.1.2 Finde diejenige Menge A, deren Potenzmenge sowenig Elemente enthält wie nur möglich.

Aufgabe 1.1.3 Charakterisiere alle Mengen A, deren Potenzmenge genau zwei Elemente hat.

Aufgabe 1.1.4 Charakterisiere alle Mengen A, deren Potenzmenge nur endlich viele Elemente hat.

Proposition 1.1.5 (de Morgansche Regeln) Sind Aj, für j ∈ J , eine beliebige Anzahl von Teilmen-gen einer festen Grundmenge X, so gelten:

X \ (∪j∈JAj) = ∩j∈J (X \Aj) , X \ (∩j∈JAj) = ∪j∈J (X \Aj) .

In Worten ausgedrückt heiÿen die Aussagen: Das Komplement einer Vereinigung ist der Durchschnittder Komplemente der einzelnen Mengen, das Komplement eines Durchschnitts ist die Vereinigung derKomplemente der einzelnen Mengen.

Beweis: Sei x 6∈ X \ (∪j∈JAj), d. h., x ∈ Aj für mindestens ein j ∈ J . Das ist gleichbedeutend mitx 6∈ X \Aj für dieses j, also x 6∈ ∩j∈J(X \Aj), und somit ist X \ (∪j∈JAj) = ∩j∈J(X \Aj). Der zweiteTeil der Behauptung wird analog bewiesen. Vergleiche auch die nächste Aufgabe. 2

Aufgabe 1.1.6 Unter den Voraussetzungen von Proposition 1.1.5, setze Bj = X \Aj für alle j ∈ J , undführe die zweite der de Morganschen Regeln auf die erste zurück.

Lösung: Da die erste Regel für beliebige Teilmengen von X richtig ist, gilt sie auch, wenn wir Aj durchBj ersetzen. Also ist

X \ (∪j∈JBj) = ∩j∈J (X \Bj) = ∩j∈JAj .Da zwei Teilmengen von X genau dann gleich sind, wenn sie dieselben Komplemente haben, folgt

X \ (∩j∈JAj) = ∪j∈JBj = ∪j∈J(X \Aj) ,

und das war zu zeigen. 2

7

De�nition 1.1.7 Seien X und Y beliebige nichtleere Mengen. Eine nichtleere Teilmenge R ⊂ X × Yheiÿt eine Relation zwischen X und Y . Falls Y = X ist, sprechen wir auch von einer Relation auf X.Wir schreiben auch

x R y ⇐⇒ (x, y) ∈ R ,

und lesen die linke Seite als �x steht in Relation zu y�.

Eine Relation R zwischen X und Y heiÿt eine Funktion oder eine Abbildung von X in Y , wenn gilt:

∀ x ∈ X ∃1 y ∈ Y : x R y.

Dieses eindeutig durch x festgelegte y bezeichnen wir dann auch mit f(x) oder ähnlich. Eine Veranschau-lichung des Funktionsbegri�es ist, sich f als eine Vorschrift zu denken, welche jedem x ∈ X ein eindeutigbestimmtes y ∈ Y zuweist. Wir schreiben auch

f : X −→ Y, x 7→ y = f(x)

und nennen dabei X den De�nitionsbereich und Y den Wertebereich der Funktion. Die Menge

R = graph f = {(x, f(x)) : x ∈ X} ⊂ X × Y

bezeichnen wir dann auch als Graphen der Funktion. Auf Grund der De�nition sind zwei Funktionengenau dann gleich, wenn ihre Graphen gleich sind. Das heiÿt, dass zwei gleiche Funktionen immer den-selben De�nitionsbereich haben müssen, dass aber der Wertebereich Y unterschiedlich sein kann. Andersausgedrückt sind zwei Funktionen per De�nition verschieden, wenn sie zwar durch dieselbe Vorschriftbeschrieben werden, aber unterschiedlichen De�nitionsbereich haben. Zum Beispiel können wir die Vor-schrift x 7→ x2 auf der Menge aller reellen Zahlen oder auch nur auf der Menge der positiven Zahlenstudieren und erhalten so zwei verschiedene Funktionen.

Für A ⊂ X bzw. B ⊂ Y bilden wir die Mengen aller Urbilder bzw. Bilder von Elementen aus A bzw. B,d. h.

f(A) = {f(x) ∈ Y : x ∈ A}, f−1(B) = {x ∈ X : f(x) ∈ B}.

Falls B nur ein Element, etwa b, hat, schreiben wir auch f−1(b) anstatt f−1(B). Beachte aber, dassf−1(b) leer sein oder mehrere, evtl. sogar unendlich viele, Elemente haben kann. Die Menge f(X) heiÿtdie Wertemenge der Funktion f .

Die Funktion f heiÿt

(a) injektiv oder eineindeutig, falls gilt

∀ x1, x2 ∈ X : f(x1) = f(x2) =⇒ x1 = x2.

(b) surjektiv oder Abbildung auf Y , falls f(X) = Y ist, oder anders ausgedrückt: falls gilt

∀ y ∈ Y ∃ x ∈ X : y = f(x).

(c) bijektiv, falls sie gleichzeitig injektiv und surjektiv ist.

Ist eine Funktion f : X −→ Y bijektiv, so gibt es zu jedem y ∈ Y genau ein x ∈ X mit f(x) = y.Die Funktion, welche jedem y dieses x zuordnet, heiÿt dann die Umkehrfunktion von f und wird mitf−1 : Y −→ X bezeichnet.

Sind f : X −→ Y und g : Y −→ Z zwei Funktionen, so kann man für jedes x ∈ X immer g(f(x)) bilden.Auf diese Weise erhält man eine Funktion h von X in Z, welche wir die Hintereinanderausführung oderKomposition von f und g nennen, und wir schreiben auch h = g ◦ f .

Mit id : X −→ X, oder auch mit idX , bezeichnen wir die identische Abbildung x 7→ x, welche jedesx ∈ X auf sich selber abbildet.

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Für eine Funktion f : X −→ Y und eine nichtleere Teilmenge A ⊂ X bezeichne f|A diejenige Abbildungvon A in Y , welche dort mit f übereinstimmt. Eine solche Funktion heiÿt Einschränkung oder Restriktionvon f . Umgekehrt, ist X ⊂ X, so heiÿt jede Abbildung g : X −→ Y , welche auf X mit f übereinstimmt,eine Fortsetzung von f auf die Menge X.

Aufgabe 1.1.8 In dieser und der folgenden Aufgabe sei eine Funktion f : X −→ Y gegeben. Zeige, dassimmer gilt f ◦ idX = f und idY ◦ f = f .

Lösung: Nach De�nition von id gilt (f ◦ idX)(x) = f(id(x)) = f(x) für alle x ∈ X, was f ◦ idX = fbedeutet. Genauso folgt idY ◦ f = f aus (idY ◦ f)(x) = id(f(x)) = f(x) für alle x ∈ X. 2

Aufgabe 1.1.9 Sei jetzt f bijektiv, und sei f−1 die Umkehrfunktion. Zeige f ◦f−1 = idY , f−1◦f = idX .

Aufgabe 1.1.10 Sei angenommen, dass eine Funktion g : Y 7−→ X existiert, so dass f ◦ g = idY ,g ◦ f = idX . Zeige, dass dann f bijektiv und g = f−1 ist. Was kann man schlieÿen, wenn nur f ◦ g = idYoder g ◦ f = idX gilt?

1.2 Körper

De�nition 1.2.1 Eine Menge K, zusammen mit zwei Abbildungen

+ : K ×K −→ K, (a, b) 7−→ a+ b,

· : K ×K −→ K, (a, b) 7−→ a · b (= a b),

heiÿt ein Körper, falls folgende Axiome gelten:

(A1) ∀ a, b, c ∈ K : (a+ b) + c = a+ (b+ c) (Assoziativgesetz der Addition)

(A2) ∃ 0 ∈ K ∀ a ∈ K : a+ 0 = a (Ex. e. neutralen El. bzgl. der Add.)

(A3) ∀ a ∈ K ∃ − a ∈ K : a+ (−a) = 0 (Ex. e. inv. El. bzgl. der Add.)

(A4) ∀ a, b ∈ K : a+ b = b+ a (Kommutativgesetz der Addition)

(M1) ∀ a, b, c ∈ K : (a b) c = a (b c) (Assoziativgesetz der Multiplikation)

(M2) ∃ 1 ∈ K \ {0} ∀ a ∈ K : a 1 = a (Ex. e. neutr. El. bzgl. der Mult.)

(M3) ∀ a ∈ K \ {0} ∃ a−1 ∈ K : a a−1 = 1 (Ex. e. inv. El. bzgl. der Mult.)

(M4) ∀ a, b ∈ K : a b = b a (Kommutativgesetz der Multiplikation)

(D) ∀ a, b, c ∈ K : a (b+ c) = a b+ a c (Distributivgesetz)

Die Elemente von K sind dann per De�nition Zahlen, die beiden Abbildungen + und · heiÿen Additionund Multiplikation in K. Beachte, dass das Ergebnis einer Addition oder Multiplikation per De�nitionwieder zu K gehören muss. Wir sagen auch: ein Körper K ist immer abgeschlossen bzgl. Addition undMultiplikation.

Jeder Körper K enthält mindestens zwei Zahlen, nämlich 0 und 1, und es gibt einen Körper, der genauaus diesen Zahlen besteht:

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Beispiel 1.2.2 Sei K = {0, 1}, mit

0 + 0 = 0, 0 + 1 = 1 + 0 = 1, 1 + 1 = 0,

0 0 = 0, 0 1 = 1 0 = 0, 1 1 = 1.

Dann kann man mit einiger Geduld überprüfen, dass alle der oben stehenden Axiome gelten, dass also Kmit dieser De�nition einer Addition und Multiplikation ein Körper ist.

Bemerkung 1.2.3 Eine naheliegende De�nition von 2 in einem Körper K ist zu sagen, dass 1 + 1 = 2sein soll. Daher muss in dem Körper mit zwei Elementen die Gleichung 2 = 0 gelten.

Wenn nichts anderes gesagt wurde, sei im Rest dieses Kapitels K stets ein Körper. Da Addition undMultiplikation in einem Körper kommutativ sind, sagen wir statt rechtsneutral bzw. rechtsinvers auchkurz neutral bzw. invers. Sind a, b ∈ K, und ist −b additives Inverses von b, so schreiben wir statta + (−b) auch kürzer a − b. Ist b 6= 0 und b−1 multiplikatives Inverses zu b, so schreiben wir aucha/b statt a b−1. Also gibt es in jedem Körper K die vier Grundrechenarten der Addition, Subtraktion,Multiplikation und Division.

Aufgabe 1.2.4 Zeige, dass die beiden neutralen Elemente in einem Körper K eindeutig bestimmt sind.

Lösung: Seien 0 und 0 so, dass gilt a + 0 = a und a + 0 = a für alle a ∈ K. Einsetzen von 0 für a indie erste Gleichung zeigt dann 0 + 0 = 0. Aus der zweiten Gleichung folgt durch Einsetzen von 0 für a,dass 0 + 0 = 0 gilt. Nach (A4) ist aber 0 + 0 = 0 + 0, und daraus folgt 0 = 0. Genauso zeigt man dieEindeutigkeit der Eins. 2

Aufgabe 1.2.5 Zeige:

(a) ∀ a ∈ K : a 0 = 0.

(b) Das additive Inverse −a zu einem a ∈ K ist eindeutig bestimmt, und es gilt −a = (−1) a, wobei −1das additive Inverse der Zahl 1 bedeutet.

(c) Das multiplikative Inverse a−1 zu einem a ∈ K \ {0} ist eindeutig bestimmt.

Lösung: Zu (a): Sei b = a 0 gesetzt. Dann ist b = a (0 + 0) = b + b, und daraus folgt 0 = b − b =(b+ b)− b = b+ (b− b) = b+ 0 = b.

Zu (b): Gelte a+ b = 0 und a+ c = 0. Mit den Axiomen folgt dann b = b+0 = b+(a+ c) = (b+a)+ c =(a + b) + c = 0 + c = c, also b = c. Weiter ist a + (−1) a = a (1 + (−1)) = a 0, und nach (a) ist a 0 = 0.Also ist (−1) a additives Inverses zu a.

Zu (c): Gelte a b = 1 = a c, dann folgt c = c (a b) = (c a) b = (a c) b = 1 b = b, also die Behauptung. 2

Aufgabe 1.2.6 Zeige, dass aus den Axiomen eines Körpers weitere Rechenregeln folgen, nämlich:

1. ∀ a ∈ K: −(−a) = a. In Worten bedeutet das: Das additive Inverse zu −a ist gleich a.

2. ∀ a, b ∈ K: −(a + b) = −a + (−b), a (−b) = (−a) b = −(a b), (−a) (−b) = a b. Sprich jede derGleichungen auch in Worten aus.

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3. ∀ a, b ∈ K: a b = 0 =⇒ a = 0 oder b = 0 oder beides.

Aufgabe 1.2.7 Zeige, dass für a ∈ K \ {0}, b ∈ K die Gleichung a x = b stets eindeutig lösbar ist.Formal aufgeschrieben bedeutet das

∀ a ∈ K \ {0}, b ∈ K ∃1 x ∈ K : a x = b.

Wie steht es mit der Lösungsmenge dieser Gleichung, falls a = 0 ist?

Aufgabe 1.2.8 Zeige dass (−1)2 = (−1) (−1) = 1 gilt. Allgemeiner, zeige (−a)2 = a2 für alle a ∈ K.

Lösung: Nach De�nition ist −1 das additive Inverse zu 1, also ist 1+(−1) = 0. Daher folgt 0 = (−1) 0 =(−1) (1+(−1)) = (−1) 1+(−1) (−1) = −1+(−1) (−1). Daher ist (−1)2 additives Inverses zu −1, worausdie erste Behauptung folgt. Wegen −a = (−1) a folgt aber auch die zweite. 2

1.3 Ordnungsaxiome

De�nition 1.3.1 Ein Körper K heiÿt geordnet, wenn es eine Teilmenge K+ ⊂ K gibt, welche folgendeEigenschaften besitzt:

(O1) ∀ a ∈ K gilt genau eine der Aussagen a ∈ K+ oder −a ∈ K+ oder a = 0.

(O2) ∀ a, b ∈ K+ : a+ b ∈ K+ .

(O3) ∀ a, b ∈ K+ : a b ∈ K+ .

Die Menge K+ heiÿt auch positiver Kegel von K, und jedes a ∈ K+ heiÿt positiv. Ist −a ∈ K+, so heiÿta negativ. Wir können also die Axiome (O1) � (O3) wie folgt in Worte fassen: Ein beliebiges a ∈ Kist entweder positiv oder negativ oder = 0, und Summe und Produkt von positiven Zahlen sind wiederpositiv. Weiter setzen wir noch:

• a < b ⇐⇒ b > a ⇐⇒ b− a ∈ K+ .

• a ≤ b ⇐⇒ b ≥ a ⇐⇒ a = b oder a < b.

Mit diesen Bezeichnungen folgt direkt aus (O1), angewandt auf b − a: Für alle a, b ∈ K gilt genau eineder drei Aussagen a < b oder a > b oder a = b.

Proposition 1.3.2 (Rechenregeln für Ungleichungen) Sei K ein geordneter Körper K, und seiena, b, c, d ∈ K. Dann gelten folgende Aussagen:

(a) a < b und b < c =⇒ a < c.

(b) a < b =⇒ a+ c < b+ c.

(c) a < b =⇒ −a > −b.

(d) a < b und c > 0 =⇒ a c < b c, a < b und c < 0 =⇒ a c > b c.

(e) a 6= 0 =⇒ a2 > 0, insbesondere ist 1 > 0.

11

(f) a > 0 =⇒ 1/a > 0, a < 0 =⇒ 1/a < 0.

(g) 0 < a < b =⇒ a/b < 1, b/a > 1, 1/a > 1/b.

(h) a < b und c < d =⇒ a+ c < b+ d.

(i) 0 < a < b und 0 < c < d =⇒ a c < b d.

(j) a < b und 0 < c < 1 =⇒ a < c a+ (1− c) b < b.

Beweis: (a) bis (d) folgen aus der De�nition der Ungleichungen. Zu (e): Ist a > 0, so folgt a2 > 0 aus(O3), und nach Aufgabe 1.2.8 gilt (−a)2 = a2. Zu (f): Folgt aus (d), weil a a−1 = 1 > 0 ist. Die übrigenRegeln sind als Aufgaben zu beweisen. 2

Aufgabe 1.3.3 Zeige dass ein geordneter Körper unendlich viele Elemente haben muss. Das hat zurKonsequenz, dass man den Körper mit zwei Elementen nicht zu einem geordneten Körper machen kann.

Aufgabe 1.3.4 Zeige: Aus a < b folgt a < (a+ b)/2 < b.

Aufgabe 1.3.5 Zeige: Ist a ≥ 0, und gilt ∀ ε > 0 : a ≤ ε, so folgt a = 0.

Lösung: Die Alternative zu a = 0 ist a > 0, da ja a ≥ 0 vorausgesetzt ist. In diesem Fall folgt fürε = a/2 aus der vorigen Aufgabe 0 < (0 + a)/2 < a, also ε < a. 2

1.4 Obere und untere Schranken, Supremum und In�mum

Im Folgenden sei K immer ein geordneter Körper.

De�nition 1.4.1 Sei A eine beliebige nichtleere Teilmenge von K. Jedes ξ mit

a ≤ ξ ∀ a ∈ A

heiÿt obere Schranke für A, jedes ξ mit

a ≥ ξ ∀ a ∈ A

heiÿt untere Schranke für A. Falls A eine obere bzw. untere Schranke besitzt, dann heiÿt A nach obenbeschränkt bzw. nach unten beschränkt. Falls A nach oben und unten beschränkt ist, nennen wir A kurzbeschränkt.

Ein a ∈ A, welches gleichzeitig obere bzw. untere Schranke von A ist, heiÿt maximales Element bzw.minimales Element oder kürzer Maximum bzw. Minimum von A, und wir schreiben auch a = maxA bzw.a = minA.

Behauptung 1.4.2 Falls maxA oder minA existieren, sind sie eindeutig bestimmt.

Beweis: Seien a1, a2 ∈ A beide obere Schranken für A. Dann folgt a2 ≤ a1 und a1 ≤ a2, also a1 = a2.Analog für untere Schranken. 2

12

De�nition 1.4.3 Sei A ⊂ K nicht leer, und sei ξ eine obere Schranke von A. Falls jede andere obereSchranke für A mindestens so groÿ wie ξ ist, dann heiÿt ξ kleinste obere Schranke oder Supremum von A,und wir schreiben ξ = supA. Analog de�nieren wir ξ = inf A als gröÿte untere Schranke oder In�mum vonA, falls ξ untere Schranke von A ist, und falls jede andere untere Schranke für A höchstens so groÿ wie ξist. Für eine äquivalente Charakterisierung von Supremum und In�mum, vergleiche auch Aufgabe 1.4.8.

Behauptung 1.4.4

(a) Falls maxA existiert, existiert auch supA, und es gilt maxA = supA. Die analoge Aussage giltauch für das Minimum resp. In�mum von A.

(b) Falls supA existiert und zu A gehört, existiert auch maxA, und es gilt maxA = supA. Die analogeAussage gilt auch für das In�mum resp. Minimum von A.

Beweis: Zu (a): maxA ist per De�nition obere Schranke von A und Element von A. Daher gilt füreine beliebige obere Schranke ξ von A, dass maxA ≤ ξ ist. Nach De�nition des Supremums ist deshalbmaxA = supA. Zu (b): Folgt aus der De�nition des Maximums. 2

Beispiel 1.4.5 Die Menge K+ der positiven Zahlen ist nach unten beschränkt durch ξ = 0. Ist η ∈ K+,so ist η/2 ∈ K+ und η/2 < η. Also kann kein Element von K+ gleichzeitig untere Schranke von K+

sein, und deshalb ist 0 die gröÿte untere Schranke von K+, also 0 = infK+. Aber 0 gehört selbst nichtzu K+, und deshalb besitzt K+ kein Minimum. Weiter ist K+ nicht nach oben beschränkt, denn gäbe eseine obere Schranke für K+, etwa ξ, so wäre ξ ∈ K+, also auch ξ + 1 ∈ K+, und wegen ξ + 1 > ξ ergibtsich ein Widerspruch.

Beispiel 1.4.6 Seien x > 0 und Ax = {a > 0 : a2 ≤ x}. Falls x ≥ 1 ist, folgt 1 ∈ A, und x ist obereSchranke von Ax, denn aus a > x folgt a2 > x2 ≥ x, also a 6∈ Ax. Falls x < 1 ist, ist x2 < x und somitx ∈ Ax, und 1 ist obere Schranke für Ax. Also gilt in beiden Fällen: Die Menge Ax ist nicht leer undnach oben beschränkt. Die Frage, ob diese Menge ein Supremum oder gar ein Maximum hat, ist nichttrivial und hängt mit dem Vollständigkeitsaxiom zusammen, welches in Abschnitt 1.5 behandelt werdenwird. Es gilt aber:

Behauptung 1.4.7 Seien x und Ax wie in Beispiel 1.4.6. Falls ξ = supAx existiert, dann gilt ξ2 = x.

Beweis: Angenommen, dass ξ2 > x wäre. Sei ε = (ξ2 − x)/(2ξ), dann gilt 0 < ε < ξ/2. Nach De�nitiondes Supremums gibt es dann ein a ∈ Ax mit a > ξ − ε. Daraus folgt

x ≥ a2 > (ξ − ε)2 > ξ2 − 2 ξ ε = x,

was nicht sein kann.

Sei jetzt ξ2 < x angenommen. Für ε = min{ξ, (x/ξ − ξ)/3} gilt dann ε/ξ ≤ 1, also (ε/ξ)2 ≤ ε/ξ. Darausfolgt für a = ξ + ε:

a2 = ξ2 (1 + ε/ξ)2 ≤ ξ2 (1 + 3 ε/ξ) ≤ x.Demzufolge wäre a = ξ+ε ∈ Ax, also ξ keine obere Schranke für Ax, was der De�nition von ξ widerspricht.Also ist ξ2 = x. 2

Aufgabe 1.4.8

(a) Zeige: Ist A ⊂ K nach oben bzw. unten beschränkt, und ist B eine nichtleere Teilmenge von A, soist B ebenfalls nach oben bzw. unten beschränkt.

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(b) Sei A ⊂ K nicht leer, und sei B = −A = {−a : a ∈ A}. Zeige:

• Genau dann ist A nach oben beschränkt, wenn B nach unten beschränkt ist.

• Genau dann besitzt A ein Supremum, wenn B ein In�mum besitzt, und es gilt supA = − inf B.

(c) Zeige: K selber ist nach oben und nach unten nicht beschränkt.

(d) Zeige: Genau dann ist ξ Supremum einer Menge A ⊂ K, wenn folgendes gilt:

∀ a ∈ A : a ≤ ξ; ∀ ε > 0 ∃ a ∈ A : a > ξ − ε.

Finde selber eine analoge Charakterisierung für das In�mum von A.

1.5 Das Vollständigkeitsaxiom

De�nition 1.5.1 Ein geordneter Körper K heiÿt vollständig, falls gilt:

(V) Jede nichtleere und nach oben beschränkte Teilmenge von K besitzt ein Supremum.

Mit R bezeichnen wir im Folgenden einen vollständigen geordneten Körper. Jedes seiner Elemente heiÿteine reelle Zahl, und R selber heiÿt Körper der reellen Zahlen oder der reelle Zahlkörper. Für den positivenKegel K+ schreiben wir künftig auch R+, d. h. x ∈ R+ ist gleichbedeutend mit x > 0.

Bemerkung 1.5.2 Dass ein solcher vollständig geordneter Körper existiert, lässt sich aus anderen, ingewissem Sinne einfacheren Axiomen ableiten, wird hier aber nicht gezeigt. Man kann weiter zeigen, dasses bis auf Isomorphie nur einen Körper R gibt - was das genau bedeutet, soll hier ebenfalls nicht besprochenwerden. Ungefähr heiÿt dies jedenfalls, dass sich jede wahre Aussage über die Menge der reellen Zahlenaus den Axiomen (A1) � (A4), (M1) � (M4), (D), (O1) � (O3) und (V) ableiten lässt.

De�nition 1.5.3 Für jedes x ∈ R+ haben wir in Beispiel 1.4.6 gezeigt, dass die Menge Ax = {a ∈ R :a2 ≤ x} nichtleer und nach oben beschränkt ist. Also existiert nach dem Vollständigkeitsaxiom ξ = supAx.Aus Behauptung 1.4.7 folgt, dass ξ2 = x ist. Dieses ξ nennen wir die (positive) Quadratwurzel von xund schreiben ξ =

√x . Wir setzen zusätzlich noch

√0 = 0. Dies bedeutet, dass die Funktion x 7→ x2 die

Menge R+ bijektiv auf sich abbildet, und dass x 7→√x gerade die Umkehrfunktion ist.

Aufgabe 1.5.4 Finde heraus, für welche x ∈ R die Gleichung x =√x2 richtig bzw. falsch ist.

Aufgabe 1.5.5 Zeige, dass das Vollständigkeitsaxiom zu folgenden Aussagen äquivalent ist:

1. Jede nichtleere und nach unten beschränkte Teilmenge von K besitzt ein In�mum.

2. Jede nichtleere und beschränkte Teilmenge vonK besitzt sowohl ein In�mum als auch ein Supremum.

3. Jede nichtleere und beschränkte Teilmenge von K besitzt ein Supremum.

14

1.6 Vorzeichen und Betrag reeller Zahlen

De�nition 1.6.1 Für a ∈ R heiÿt

sgn a =

1 für a > 0,

0 für a = 0,

−1 für a < 0,

das Vorzeichen oder das Signum von a, und

|a| = a sgn a =

{a für a ≥ 0,

−a für a < 0,

der Betrag von a

Behauptung 1.6.2 Für alle a, b ∈ R gelten die Aussagen:

(a) |a| ≥ 0, und |a| = 0 ⇐⇒ a = 0.

(b) a = b ⇐⇒ |a| = |b| und sgn a = sgn b.

(c) sgn (a b) = (sgn a) (sgn b), |a b| = |a| |b|.

(d) b 6= 0 =⇒ (sgn a)/(sgn b) = sgn (a/b), |a/b| = |a|/|b|.

(e)∣∣∣ |a| − |b| ∣∣∣ ≤ |a± b| ≤ |a|+ |b|.

Der zweite Teil der Ungleichung (e) heiÿt auch die Dreiecksungleichung, der erste heiÿt die Dreiecksun-gleichung nach unten.

Beweis: (a) bis (d) sind einfache Konsequenzen der De�nitionen. Zu (e): Es ist ±a ≤ |a|, ±b ≤ |b|, also± (a± b) ≤ |a|+ |b|, und deshalb auch |a± b| ≤ |a|+ |b|. Weiter ist |a| = |a± b∓ b| ≤ |a± b|+ |b|, undgenauso ist |b| ≤ |a± b|+ |a|, und daraus folgt ±(|a| − |b|) ≤ |a± b|. 2

Aufgabe 1.6.3 Zeige: Für a < b < 0 ist |a| > |b| > 0.

Aufgabe 1.6.4 Zeige: Für alle a ∈ R gilt |a| =√a2 .

1.7 Intervalle reeller Zahlen

De�nition 1.7.1 Es ist üblich, die Menge R ∪ {∞,−∞} mit R zu bezeichnen und für die Symbole ±∞folgende Rechenregeln zu vereinbaren:

• ∀ x ∈ R : −∞ < x <∞.

• −∞ = (−1)∞.

• ∀ x ∈ R : ∞+ x =∞.

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• ∀ x ∈ R+ : x∞ =∞.

• ∞+∞ =∞, ∞∞ =∞.

Auÿerdem soll stets das Kommutativgesetz gelten. Das Distributiv- sowie die Assoziativgesetze sollenebenfalls gelten, soweit bei der Anwendung keine Ausdrücke entstehen, die unde�niert sind. Beachte aberunbedingt, dass ∞+ (−∞) und 0∞ hier nicht de�niert sind.

Ist A ⊂ R nicht leer und nicht nach oben bzw. unten beschränkt, so setzt man auch manchmal supA =∞bzw. inf A = −∞. Es ist auch üblich, sup ∅ = −∞ und inf ∅ =∞ zu setzen.

Aufgabe 1.7.2 Zeige, dass die folgenden zusätzlichen Rechenregeln gelten:

1. ∀ x ∈ R+ : −∞+ x = −∞.

2. ∀ x ∈ R+ : x (−∞) = −∞, (−x)∞ = −∞, (−x) (−∞) =∞.

3. −∞+ (−∞) = −∞, (−∞)∞ = −∞, (−∞) (−∞) =∞.

Aufgabe 1.7.3 Zeige, dass es nicht möglich ist, die Ausdrücke ∞ + (−∞) und 0∞ so zu de�nieren,dass R zu einem Körper wird.

De�nition 1.7.4 Für a, b ∈ R setzen wir:

• [a, b ] = {x ∈ R : a ≤ x ≤ b}, falls a ≤ b ist (abgeschlossenes Intervall von a bis b).

• (a, b) = {x ∈ R : a < x < b}, falls a < b ist (o�enes Intervall von a bis b).

• (a, b ] = {x ∈ R : a < x ≤ b}, falls a < b ist (links o�enes, oder halbo�enes Intervall von a bis b).

• [a, b) = {x ∈ R : a ≤ x < b}, falls a < b ist (rechts o�enes, oder halbo�enes Intervall von a bis b).

• (−∞, b ] = {x ∈ R : x ≤ b}, (−∞, b) = {x ∈ R : x < b}.

• [a,∞) = {x ∈ R : a ≤ x}, (a,∞) = {x ∈ R : a < x}.

Der Vollständigkeit halber sei (−∞,∞) = R gesetzt.

Es sei noch gesagt, dass aus dem Zusammenhang klar sein muss, ob (a, b) das o�ene Intervall von a bisb oder das Paar der Zahlen a und b meint.

Aufgabe 1.7.5 Untersuche, welche der oben eingeführten Intervalle nach oben bzw. unten beschränktsind, und bestimme das Supremum bzw. In�mum sowie Maximum bzw. Minimum, soweit diese existieren.

1.8 Der Körper der komplexen Zahlen

De�nition 1.8.1 Die Menge aller Paare z = (x, y) ∈ R× R, zusammen mit den Verknüpfungen

(x1, y1) + (x2, y2) = (x1 + x2, y1 + y2),

(x1, y1) · (x2, y2) = (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + x2 y1),

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heiÿt die Menge der komplexen Zahlen C, oder die komplexe Zahlenebene. Mit diesen Operationen ist Cein Körper, d. h., es gelten die gleichen Rechenregeln bzgl. + und · wie in R. Wir identi�zieren x←→ (x, 0)für alle x ∈ R; damit ist R ein Unterkörper von C. Die Zahl 1 entspricht also dem Paar (1, 0), und wirsetzen (0, 1) = i; dann folgt o�enbar i2 = −1 und

z = (x, y) = x+ i y ∀z ∈ C.

Wir nennen für z = x+ i y

• x = Re z den Realteil von z,

• y = Im z den Imaginärteil von z,

• z = x− i y die zu z konjugiert komplexe Zahl,

• |z| =√z z =

√x2 + y2 den Betrag von z.

Beachte, dass die obige De�nition des Betrages einer komplexen Zahl z = x + i y im Falle y = 0, alsoz ∈ R, mit der früher gegebenen De�nition des Betrages einer reellen Zahl übereinstimmt. Die obende�nierten Operationen lassen sich jetzt auch folgendermaÿen ausdrücken:

(x1 + i y1) + (x2 + i y2) = (x1 + x2) + i (y1 + y2),

(x1 + i y1) · (x2 + i y2) = (x1 x2 − y1 y2) + i (x1 y2 + x2 y1) .

Das bedeutet, dass wir im Prinzip mit komplexen Zahlen genauso rechnen dürfen wie mit den reellen,wenn wir noch zusätzlich beachten, dass i2 = −1 ist.

Man kann C nicht zu einem geordneten Körper machen; vergleiche dazu eine der nächsten Aufgaben.Deshalb ist es sinnlos, Ungleichungen zwischen komplexen Zahlen zu betrachten � allerdings kann manUngleichungen untersuchen, in denen nur Beträge komplexer Zahlen auftreten. Z. B. gilt die Dreiecksun-gleichung (auch die nach unten) auch für komplexe Zahlen - vergleiche dazu Aufgabe 1.8.8.

Für eine spätere Anwendung zeigen wir noch folgende Ungleichung:

Behauptung 1.8.2 Für z = x+ i y ∈ C gilt immer

max{|x|, |y|} ≤ |z| ≤√2 max{|x|, |y|} ≤

√2 (|x|+ |y|) . (1.8.1)

Beweis: O�enbar ist |z|2 = x2 + y2 ≥ x2, also |z| ≥ |x|, und genauso |z| ≥ |y|. Daraus folgt die linkeUngleichung. Wegen (max{|x|, |y|})2 = max{x2, y2} gelten auch die anderen Ungleichungen. 2

Bemerkung 1.8.3 Viele der folgenden Begri�e und Ergebnisse sind im Körper C genauso sinnvoll bzw.richtig wie in R, weil sie sich nur auf die Rechenregeln bzgl. + und · beziehen. Um nicht immer beideFälle getrennt betrachten zu müssen, werden wir in den folgenden Kapiteln das Symbol K benutzen, wennwir sagen wollen, dass eine De�nition oder ein Satz sowohl für R als auch für C gilt. Insbesondere kanndaher x ∈ K auch eine komplexe Zahl - und nicht ihren Realteil - bezeichnen, falls nämlich K = C ist.

Aufgabe 1.8.4 Zeige ∀ z1, z2 ∈ C : z1 z2 = z1 z2 , |z1 z2| = |z1| |z2| .

Aufgabe 1.8.5 Berechne Betrag, Real- und Imaginärteil folgender komplexer Zahlen für solche z =x+ i y ∈ C, für welches der Nenner nicht verschwindet:

z2,1

z,

1 + z

1− z.

17

Aufgabe 1.8.6 Zeige: Für K = C kann es keine Teilmenge K+ geben, welche die Axiome (O1) � (O3)erfüllt. In anderen Worten: C kann nicht zu einem geordneten Körper gemacht werden!

Lösung: Wenn es eine solche Teilmenge gäbe, müsste entweder i oder −i zu K+ gehören. Daraus würdeaber −1 = (± i)2 ∈ K+ folgen, was nicht sein kann. 2

Aufgabe 1.8.7 Zeige für beliebige reelle Zahlen x1, x2, y1, y2 die Aussage

(x1 x2 + y1 y2)2 = (x21 + y21) (x

22 + y22) − (x1 y2 − x2 y1)

2

≤ (x21 + y21) (x22 + y22) .

Aufgabe 1.8.8 Benutze die vorausgegangene Aufgabe, um zu zeigen dass

|z1 + z2| ≤ |z1| + |z2| ∀ z1, z2 ∈ C .

Das heiÿt also, dass die Dreiecksungleichung auch für komplexe Zahlen gilt!

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Kapitel 2

Natürliche, ganze und rationale Zahlen

2.1 Die natürlichen Zahlen

De�nition 2.1.1 Eine MengeM ⊂ R heiÿt induktiv, falls 1 ∈M , und falls gilt x ∈M =⇒ x+1 ∈M . Esist leicht zu sehen, dass der Durchschnitt von induktiven Mengen ebenfalls induktiv ist, und wir de�nierendie Menge N der natürlichen Zahlen als den Durchschnitt aller induktiven Teilmengen von R. Mit anderenWorten: Die Menge der natürlichen Zahlen ist die kleinste induktive Menge.

Aus der De�nition der natürlichen Zahlen ergibt sich sofort das sogenannte

Induktionsprinzip: Sei A ⊂ N so, dass 1 ∈ A und der Schluss x ∈ A =⇒ x + 1 ∈ A richtig sind. Mitanderen Worten: A ist induktiv. Dann folgt bereits A = N.

Behauptung 2.1.2 (a) x < 1 =⇒ x 6∈ N. (b) n ∈ N, n < x < n+ 1 =⇒ x 6∈ N.

Beweis: Zu (a): Das Intervall M = [1,∞) ist o�enbar induktiv, und deshalb ist N ⊂M .

Zu (b): Die Menge Mn = {1, 2, . . . , n} ∪ [n+ 1,∞) ist induktiv, und somit gilt N ⊂Mn. 2

Bemerkung 2.1.3 Sei im folgenden a ∈ R festgehalten. Wir wollen ein M ⊂ R a-induktiv nennen,wenn a ∈ M und x ∈ M =⇒ x + 1 ∈ M immer gelten. Es gibt dann genau eine kleinste a-induktiveMenge Na, nämlich den Durchschnitt aller a-induktiven Mengen. Für a = 1 ist Na = N.

Aufgabe 2.1.4 Finde für jedes Na wie oben eine bijektive Abbildung von Na auf N.

Aufgabe 2.1.5 (Wohlordnungssatz) Zeige: Jede nicht-leere Teilmenge der natürlichen Zahlen besitztein Minimum.

2.2 Beweisen mit vollständiger Induktion

Gegeben sei eine Aussage A(n), welche für alle natürlichen Zahlen n sinnvoll ist. Wir sagen, dass wirA(n) durch vollständige Induktion beweisen, wenn wir nach folgendem Schema vorgehen:

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(a) Wir zeigen die Richtigkeit von A(1) (Induktionsanfang).

(b) Sei jetzt n ∈ N beliebig gegeben. Unter der Induktionshypothese, d. i. die Annahme der Richtigkeitvon A(n), oder auch die Annahme der Richtigkeit von A(m) für alle m ∈ N mit m ≤ n, zeigen wirdie Richtigkeit von A(n+ 1) (Schluss von n auf n+ 1, oder Induktionsschritt).

Ist dies gelungen, so ist die Menge der n ∈ N, für die A(n) richtig ist, eine induktive Menge, und ausdem Induktionsprinzip folgt deshalb, dass A(n) für alle n ∈ N richtig ist. Beachte aber, dass ein Beweisdurch vollständige Induktion nur dann möglich ist, wenn die zu zeigende Aussage schon bekannt ist.

Aufgabe 2.2.1 Zeige 1 + 3 + . . .+ (2n+ 1) = (n+ 1)2 für alle n ∈ N.

Aufgabe 2.2.2 Zeige 1 + 2 + . . .+ n = n(n+ 1)/2 ∀ n ∈ N.

Bemerkung 2.2.3 Beachte noch, dass beim Beweisen durch vollständige Induktion der Induktionsanfangnicht unbedingt n = 1 sein muss, sondern im Allgemeinen sogar eine beliebige reelle Zahl a sein kann.Dies ergibt sich durch Betrachten der a-induktiven Mengen; vergl. Bemerkung 2.1.3.

Aufgabe 2.2.4 Zeige n2 < 2n ∀ n ∈ N mit n ≥ 5.

Proposition 2.2.5 Für beliebige n,m ∈ N gilt:

(a) n+m ∈ N, nm ∈ N, d.h., N ist abgeschlossen bezüglich Addition und Multiplikation.

(b) m < n =⇒ n−m ∈ N.

(c) Jede nichtleere Teilmenge von N besitzt ein minimales Element.

Beweis: Zu (a): Richtig für n = 1 und beliebiges m ∈ N. Unter der Annahme der Richtigkeit für ein nund beliebiges m ∈ N folgt n + 1 +m = 1 + (n +m) ∈ N, also ist N abgeschlossen bzgl. der Addition.Weiter ist (n+ 1)m = nm+m ∈ N, und daher folgt auch Abgeschlossenheit bzgl. der Multiplikation.

Zu (b): Folgt mit Induktion über n und Induktionsanfang für n = m+ 1.

Zu (c): Sei M eine Teilmenge von N ohne kleinstes Element. Dann gilt sicher 1 6∈M . Falls schon gezeigtist, dass M ∩ {1, . . . , n} = ∅, dann folgt auch n + 1 6∈ M , weil sonst n + 1 kleinstes Element wäre. Alsogilt

∀ n ∈ N : M ∩ {1, . . . , n} = ∅,und daher ist M eine Teilmenge von N, welche kein einziges Element n ∈ N enthält. Daraus folgt M = ∅.

2

Satz 2.2.6 (Satz von Archimedes) Die Menge N ist nicht nach oben beschränkt.

Beweis: Sei angenommen, dass η = supN < ∞ ist. Dann kann η − 1 keine obere Schranke für N sein,und daher gibt es ein n ∈ N mit n > η− 1, oder n+1 > η. Da n+1 ∈ N ist, folgt ein Widerspruch. Alsomuss η =∞ sein. 2

Korollar zu Satz 2.2.6 ∀ a, b > 0 ∃ n ∈ N : na > b.

Beweis: Aus na ≤ b folgt n ≤ b/a, was nicht für alle n ∈ N gelten kann. 2

Aufgabe 2.2.7 Zeige: ∀ ε > 0 ∃ n0 ∈ N ∀ n ≥ n0 : 1/n < ε.

20

2.3 Ganze und rationale Zahlen

De�nition 2.3.1 Wir nennenZ = N ∪ {0} ∪ {−n : n ∈ N}

die Menge der ganzen Zahlen, und

Q = {p/q : p ∈ Z, q ∈ N}

die Menge der rationalen Zahlen. Alle Zahlen aus R \Q heiÿen irrational.

Behauptung 2.3.2 Die Mengen Z und Q sind abgeschlossen bzgl. Addition und Multiplikation, d.h. füra, b ∈ Z (∈ Q) sind auch a + b, a b ∈ Z (∈ Q). Ferner gelten in Z die Axiome (A1) � (A4) sowie (M1),(M2), (M4), (D), und man nennt deshalb Z einen kommutativen Ring mit Einselement. In Q gelten alleAxiome eines Körpers. Man nennt Q auch den Quotientenkörper von Z.

Beweis: Die Abgeschlossenheit ergibt sich direkt aus der De�nition und den Rechenregeln für Brüche;z. B.

p1q1

+p2q2

=p1 q2 + p2 q1

q1 q2.

Die Gültigkeit der Axiome ergibt sich, da für a ∈ Z auch −a ∈ Z ist (genauso für Q), und da füra = p/q ∈ Q \ {0} auch a−1 = q/p ∈ Q ist. 2

Aufgabe 2.3.3 Zeige: Es gibt keine rationale Zahl r mit r2 = 2.

Aufgabe 2.3.4 Zeige: Die Menge der rationalen Zahlen r mit 0 < r2 ≤ 2 ist nicht leer, nach obenbeschränkt, und besitzt in Q kein Supremum. Schlieÿe hieraus:

1. Der Körper Q ist nicht vollständig.

2. Es gibt mindestens eine positive irrationale Zahl.

Lemma 2.3.5 Jede nach oben beschränkte nichtleere Menge ganzer Zahlen besitzt ein maximales Ele-ment.

Beweis: Sei M eine solche Menge, und sei o. B. d. A.1 mindestens eine positive Zahl in M enthalten;falls nicht, können wir nämlichM durch M +m0 = {m+m0 : m ∈M} ersetzen. Sei dann M = {n ∈ N :M ≤ n}. Aus dem Satz von Archimedes folgt, dass M 6= ∅. Deshalb besitzt M ein minimales Elementn0. Nach De�nition von M ist n0 obere Schranke von M , aber n0 − 1 ist keine obere Schranke. Dahermuss n0 ∈M sein, und dies bedeutet wiederum, dass n0 maximales Element von M ist. 2

De�nition 2.3.6 Für x ∈ R ist {g ∈ Z : g ≤ x} nicht leer und nach oben beschränkt, und enthältdeshalb nach obigem Lemma ein maximales Element, welches wir mit [x] bezeichnen wollen. In anderenWorten: [x] bezeichnet die gröÿte ganze Zahl ≤ x. O�enbar gilt stets

x = [x] + ξ, mit 0 ≤ ξ < 1.

1ausgeschrieben: ohne Beschränkung der Allgemeinheit

21

Proposition 2.3.7 Seien a, b ∈ R, a < b, gegeben. Dann enthält das o�ene Intervall (a, b) immer einerationale, aber auch eine irrationale Zahl. Mit anderen Worten:

(a) Zwischen zwei beliebigen reellen Zahlen liegt immer eine rationale Zahl.

(b) Zwischen zwei beliebigen rationalen Zahlen liegt immer eine irrationale Zahl.

Beweis: Zu (a): Seien a, b ∈ R mit a < b. Nach Aufgabe 2.2.7 gibt es ein q ∈ N mit 1/q < b−a. Betrachtedie rationalen Zahlen rj = [a] + j/q, für j ∈ N0 = {0} ∪ N. Die Ungleichung rj ≤ a gilt sicher für j = 0,aber nicht für j ≥ q, und deshalb existiert ein maximales j0 mit rj0 ≤ a. Daraus folgt rj0+1 > a, aberrj0+1 < b nach De�nition von q.

Zu (b): Seien a, b ∈ Q mit a < b. Wegen Aufgabe 2.3.4 gibt es mindestens eine positive irrationale Zahlε. Nach dem Satz von Archimedes existiert ein n ∈ N mit n > ε/(b − a), also ε/n < b − a. Da a + ε/nirrational sein muss (warum?), folgt die Behauptung. 2

Aufgabe 2.3.8 Schlieÿe aus Proposition 2.3.7, dass jedes o�ene Intervall in R unendlich viele rationale,aber auch unendlich viele irrationale Zahlen enthält.

2.4 Folgen und allgemeine kartesische Produkte

De�nition 2.4.1 Sei A eine nicht leere Menge, etwa: eine Teilmenge von R. Eine Abbildung f : N −→ Aheiÿt eine Folge (in A). Statt f(n) schreiben wir meist fn, statt f auch (fn)

∞n=1 oder einfach (fn) =

(f1, f2, f3, . . .). Etwas allgemeiner kann man die Menge N auch durch einen Abschnitt Ng = {m ∈ Z :m ≥ g} von ganzen Zahlen ersetzen, und wir schreiben dann auch (fn)

∞n=g für die Folge.

Sei J eine beliebige nichtleere Menge, die wir hier Indexmenge nennen wollen, und seien Aj 6= ∅, für allej ∈ J , sowie A = ∪j∈JAj. Die Menge aller Abbildungen f : J −→ A, mit f(j) ∈ Aj für alle j ∈ J ,heiÿt das kartesische Produkt der Mengen Aj, und wir schreiben hierfür ×j∈JAj. Statt f(j) schreibenwir meist fj, statt f auch (fj)j∈J oder einfach (fj). Ist speziell J = {1, . . . , n}, so schreiben wir auchA1 × . . .×An, und falls A1 = . . . = An = A ist, auch An für das kartesische Produkt.

Bemerkung 2.4.2 Das Auswahlaxiom der Mengenlehre besagt, dass das kartesische Produkt nichtleererMengen selber nicht leer ist.

Aufgabe 2.4.3 Seien Aj Mengen mit nj Elementen, für 1 ≤ j ≤ m. Zeige, dass A1 × . . . × Am genaun1 · . . . · nm Elemente besitzt.

2.5 Abzählbare Mengen

De�nition 2.5.1 Eine nichtleere Menge M heiÿt endlich, falls es ein n ∈ N und eine bijektive Abbildungf : {1, . . . , n} −→ M gibt. In diesem Fall ist n die Anzahl der Elemente von M . Wir wollen auch dieleere Menge endlich nennen; die Anzahl ihrer Elemente ist gleich 0. Eine nicht endliche Menge heiÿtunendlich.

Eine Menge M heiÿt abzählbar unendlich, falls es eine bijektive Abbildung f : N −→M gibt.

Eine Menge M heiÿt höchstens abzählbar, wenn sie endlich oder abzählbar unendlich ist. Jede andereMenge heiÿt überabzählbar.

22

Aufgabe 2.5.2 Zeige: Jede nach oben beschränkte Teilmenge der natürlichen Zahlen, ebenso wie jedebeschränkte Teilmenge der ganzen Zahlen, ist immer endlich.

Behauptung 2.5.3

(a) Teilmengen von abzählbar unendlichen Mengen sind höchstens abzählbar.

(b) Eine unendliche Menge besitzt eine abzählbar unendliche Teilmenge.

(c) Das kartesische Produkt zweier abzählbar unendlicher Mengen ist wieder abzählbar unendlich.

(d) Seien An höchstens abzählbare Mengen, für alle n ∈ N. Dann ist die Vereinigung A = ∪∞n=1Anhöchstens abzählbar.

Beweis: Zu (a): Sei A abzählbar unendlich, und sei B ⊂ A. Wir nehmen o. B. d. A. an, dass B nichtendlich ist. Sei f : N −→ A eine bijektive Abbildung, und sei M = {n ∈ N : f(n) ∈ B}. Dann ist Meine unendliche Teilmenge von N und hat deshalb ein minimales Element n1. Genauso hat die MengeM1 = M \ {n1} ein minimales Element n2(> n1). Allgemein: Sind n1 < n2 < . . . < nm Elemente ausM , so besitzt Mn = M \ {n1, . . . , nm} ein kleinstes Element, welches wir nm+1 nennen. Die Abbildungg : N −→ M , m 7→ g(m) = nm, ist sicher injektiv. Sie ist aber auch surjektiv, denn sonst müsste einElement inM existieren, welches gröÿer als unendlich viele natürliche Zahlen wäre, was nach Aufgabe 2.5.2nicht sein kann. Also ist f ◦ g eine bijektive Abbildung von N auf B, und deshalb gilt die Behauptung.

Zu (b): Sei A unendlich. Dann ist A sicher nicht leer, und wir bezeichnen eines der Elemente mit a1.Sind bereits a1, . . . , an aus A ausgewählt (alle verschieden), dann ist A \ {a1, . . . , an} nicht leer, und wirbezeichnen ein Element mit an+1. In dieser Weise bekommen wir eine Folge in A, und die Menge derFolgenglieder ist abzählbar unendlich.

Zu (c): Seien A,B abzählbar unendlich, und seien f : N −→ A sowie g : N −→ B bijektive Abbildungen.Dann ist die Abbildung h : N × N −→ A × B, (n,m) 7→ (f(n), g(m)) bijektiv. Eine natürliche Zahl kkann eindeutig zerlegt werden als

k = µ (µ− 1)/2 + ν, µ, ν ∈ N, 1 ≤ ν ≤ µ,

und k 7→ (ν, µ) 7→ (ν, µ− ν + 1) ist eine bijektive Abbildung von N auf N× N.

Zu (d): Wegen (a) können wir alle An als abzählbar unendlich und paarweise disjunkt annehmen. Dasbedeutet An = {an1, an2, an3, . . .} mit verschiedenen Elementen anm, und deshalb ist die Abbildung(n,m) 7→ anm bijektiv von N× N auf A. Daraus folgt die Behauptung mit Hilfe von (b). 2

Aufgabe 2.5.4 Zeige: Ist f : N −→ A surjektiv, so ist A höchstens abzählbar.

Lösung: Zu a ∈ A ist f−1(a) nicht leer, und wir können ein Element na ∈ f−1(a) auswählen. Fürein anderes a ∈ A ist nach De�nition einer Funktion immer f−1(a) ∩ f−1(a) = ∅. Deshalb erhalten wirdurch a 7→ na eine bijektive Abbildung von A auf eine Teilmenge B ⊂ N. Diese Teilmenge ist höchstensabzählbar, und deshalb folgt dasselbe für A. 2

Satz 2.5.5 Die Menge Q der rationalen Zahlen ist abzählbar unendlich.

Beweis: Aus den vorstehenden Behauptungen folgt, dass die Menge Z×N abzählbar ist. Die Abbildung(p, q) 7→ p/q ist eine surjektive Abbildung von Z × N auf Q, und deshalb folgt mit Aufgabe 2.5.4 dieBehauptung. 2

23

Satz 2.5.6 Falls A mindestens zwei Elemente hat, also etwa A = {0, 1}, dann ist die Menge aller Folgenin A überabzählbar.

Beweis: Sei F = {f1, f2, . . .} eine (abzählbar unendliche) Menge von Folgen in A. Dann ist fk =(fk1, fk2, fk3, . . .) für jedes k ∈ N. Da A mindestens zwei Elemente hat, existiert ein g = (g1, g2, g3, . . .)aus A, für die gn 6= fnn gilt für alle n ∈ N. Das bedeutet, dass g 6= fk für alle k ist, also g 6∈ F . Somitkann eine abzählbar unendliche Menge von Folgen aus A niemals alle diese Folgen umfassen, woraus dieBehauptung folgt. 2

Bemerkung 2.5.7 Wie wir später sehen werden, folgt aus obigem Satz, dass die Menge der reellenZahlen in einem beliebig kleinen Intervall [a, b] mit a < b immer überabzählbar ist. Da ein solches In-tervall nur abzählbar viele rationale Zahlen enthält, ist sogar die Menge der irrationalen Zahlen in [a, b]überabzählbar.

2.6 Einige Bezeichnungen und Identitäten

De�nition 2.6.1 Sind n reelle oder komplexe Zahlen a1, . . . , an gegeben, so bezeichnet im Folgenden∑nj=1 aj immer ihre Summe, und

∏nj=1 aj ihr Produkt. Sinngemäÿ schreiben wir Summen und Produkte

von Zahlen, deren Numerierung nicht bei 1, sondern z. B. bei 0 beginnt. Falls n ≤ 0 ist, soll immer∑nj=1 aj = 0 und

∏nj=1 aj = 1 gelten. Man sagt in Worten: Eine leere Summe ist gleich 0, ein leeres

Produkt gleich 1. Allgemeiner: Ist J eine endliche Indexmenge, und ist f : J −→ K, j 7→ f(j) = fj,eine beliebige Abbildung, so schreiben wir

∑j∈J fj für die Summe der Zahlen fj, und analog für das

Produkt. Wegen der Kommutativität der Addition ist es dabei unerheblich, in welcher Reihenfolge wir dieZahlen addieren. Ist etwa J = {1, . . . , n} × {1, . . . ,m}, so ist ein j ∈ J ein Zahlenpaar (i, k), und wirschreiben fik statt f(i,k). Die Summe dieser Zahlen ist dann eine sogenannte Doppelsumme, und wegendes Kommutativ- und des Assoziativgesetzes der Addition gilt

∑(i,k)∈J

fik =n∑i=1

(m∑k=1

fik

)=

m∑k=1

(n∑i=1

fik

).

Entsprechendes gilt auch für Produkte. Wir setzen weiter

n! =n∏j=1

j ,

n

)=

∏n−1j=0 (α− j)

n!∀ n ∈ N0, α ∈ C.

Wir lesen n! als n-Fakultät und nennen(αn

)den Binomialkoe�zienten von α über n. Es folgt speziell,

dass 0! = 1 ist, weil ein leeres Produkt den Wert 1 haben soll. Aus dem gleichen Grund hat der Binomi-alkoe�zient von α über 0 immer den Wert 1.

Aufgabe 2.6.2 Zeige für n,m ∈ N und n ≤ m, dass(m

n

)=

(m

m− n

)=

m!

n! (m− n)!.

Behauptung 2.6.3 Für alle a ∈ C und n ∈ N ist (1− a)∑nj=0 a

j = 1− an+1.

Beweis: (1− a)∑nj=0 a

j =∑nj=0 a

j −∑nj=0 a

j+1 =∑nj=0 a

j −∑n+1j=1 a

j = 1− an+1. 2

24

Behauptung 2.6.4 Für alle a, b ∈ C und n ∈ N gilt immer bn+1−an+1 = (b−a)∑nj=0 a

j bn−j. Speziell

ist a2 − b2 = (a− b) (a+ b).

Beweis: Analog wie oben. 2

Behauptung 2.6.5 (Allgemeine Dreiecksungleichung)Für alle a1, . . . , an ∈ C gilt |

∑nj=1 aj | ≤

∑nj=1 |aj |.

Beweis: Sicher richtig für n = 1. Mit der Dreiecksungleichung und der Induktionshypothese ergibt sich|∑n+1j=1 aj | ≤ |

∑nj=1 aj |+ |an+1| ≤

∑nj=1 |aj |+ |an+1|, also folgt die Behauptung mit Induktion über n.

2

Behauptung 2.6.6 (Bernoullische Ungleichung) Für alle reellen x > −1 und n ∈ N0 gilt (1+x)n ≥

1 + nx. Gleichheit gilt genau dann, wenn x = 0 oder n = 0 oder n = 1 ist.

Beweis: Die Fälle x = 0 oder n = 0 oder n = 1 sind o�ensichtlich. In jedem anderen Fall folgt unterBenutzung der Induktionshypothese dass (1+x)n+1 ≥ (1+x) (1+nx) = 1+(n+1)x+nx2 > 1+(n+1)x,woraus die Behauptung folgt. 2

Behauptung 2.6.7 Für alle α ∈ C und j ∈ N gilt(α

j

)+

j − 1

)=

(α+ 1

j

).

Beweis: Folgt direkt aus der De�nition der Binomialkoe�zienten. 2

Behauptung 2.6.8 (Binomischer Lehrsatz) Für alle a, b ∈ C und n ∈ N0 gilt

(a+ b)n =n∑j=0

(n

j

)an−j bj ,

wenn man a0 = b0 = (a+ b)0 = 1 setzt.

Beweis: Die Formel ist richtig für n = 0, und unter Benutzung der Induktionshypothese sowie dervorhergehenden Behauptung folgt

(a+ b)n+1 = (a+ b)n∑j=0

(n

j

)an−j bj

=

n∑j=0

(n

j

)a1+n−j bj +

n∑j=0

(n

j

)an−j b1+j

=n∑j=0

(n

j

)a1+n−j bj +

n+1∑j=1

(n

j − 1

)an−j+1 bj ,

=n+1∑j=0

(n+ 1

j

)an+1−j bj .

2

25

Proposition 2.6.9 (Division mit Rest) Für alle p ∈ Z und n ∈ N gibt es eindeutig bestimmte Zahlenq ∈ Z und r ∈ {0, . . . , n− 1} mit

p = n q + r.

Beweis: Wenn die behauptete Gleichung gilt, folgt p/n = q+ r/n und 0 ≤ r/n < 1. Also muss q = [p/n]gelten, woraus die Eindeutigkeit von q, und dann auch von r, folgt. Umgekehrt, sei q = [p/n], alsop/n = q + ξ mit 0 ≤ ξ < 1. Dann ist p = n q + r mit r = n ξ = p − n q ∈ Z und 0 ≤ r < n, woraus dieExistenz der q und r folgt. 2

Satz 2.6.10 (g-adische Zahldarstellung) Sei g ∈ N \ {1}. Dann gibt es für alle n ∈ N eindeutigbestimmte Zahlen p ∈ N0 und zk ∈ {0, 1, . . . , g − 1}, mit 0 ≤ k ≤ p, so dass

n = z0 + z1 g + . . . + zp gp =

p∑j=0

zj gj zp 6= 0.

Beweis: Die Behauptung ist richtig für n ≤ g − 1 (mit p = 0 und z0 = n). Ist n ≥ g, so existierennach der vorhergehenden Proposition eindeutig bestimmte Zahlen z0 ∈ {0, . . . , g − 1} und m ∈ Z mitn = mg + z0. O�enbar ist sogar 0 < m < n. Eine Anwendung der Induktionshypothese auf die Zahl mergibt dann die gewünschte Zerlegung für n. 2

26

Kapitel 3

Polynome und Wurzelfunktionen

3.1 Funktionenräume

De�nition 3.1.1 Sei D eine beliebige nichtleere Menge. Für Abbildungen f, g : D −→ K seien f+g, f ·g :D −→ K de�niert durch

∀ x ∈ D :

{(f + g)(x) = f(x) + g(x),

(f · g)(x) = f(x) g(x).

Es liegt dabei nahe, eine Zahl α mit der konstanten Funktion f(x) = α ∀ x ∈ D zu identi�zieren, sodass auch α · g de�niert ist. Ein f : D −→ K heiÿt gerade bzw. ungerade, falls D ⊂ K ist mit x ∈ D=⇒ −x ∈ D, und falls f(x) = f(−x) bzw. f(x) = −f(−x) für alle x ∈ D gilt. Für f : D −→ K sei|f | : D −→ R de�niert durch |f |(x) = |f(x)| für alle x ∈ D. Wir nennen f beschränkt, falls ein K ∈ R+

existiert mit |f(x)| ≤ K für alle x ∈ D.

Wir führen im Fall K = R noch folgende Bezeichnungen ein:

De�nition 3.1.2 Für f : D −→ R seien f+, f− de�niert als

f+(x) = max{f(x), 0} , f−(x) = max{−f(x), 0} ∀x ∈ D .

Für f, g : D −→ R schreiben wir f ≤ g falls f(x) ≤ g(x) für alle x ∈ D gilt. Wir nennen f nachoben beschränkt, falls ein K ∈ R existiert so dass f(x) ≤ K für alle x ∈ D. Analog heiÿt f nach untenbeschränkt, falls −f nach oben beschränkt ist. Falls beides gilt, ist f o�enbar beschränkt im oben de�nier-ten Sinn. Wir schreiben auch supx∈D f(x) statt sup f(D), und entsprechend infx∈D f(x), maxx∈D f(x),minx∈D f(x), falls letztere existieren.

Aufgabe 3.1.3 Zeige für ein f : D −→ R die Gleichungen |f | = f+ + f−, f = f+ − f−.

Aufgabe 3.1.4 Sei D ⊂ R, und sei −D = {−x : x ∈ D}, sowie A = D∩(−D); also ist A möglicherweisedie leere Menge. Sei f : D −→ R so, dass f(x) = f(−x) ∀ x ∈ A. Zeige: Dann gibt es eine gerade Funktiong : D ∪ (−D) −→ R, welche auf D mit f übereinstimmt. Dieses g heiÿt die gerade Fortsetzung von f .Wann gibt es eine ungerade Fortsetzung von f? Finde heraus, wann die gerade bzw. ungerade Fortsetzungvon f gleich f ist.

Aufgabe 3.1.5 Zeige: Die Summe zweier gerader bzw. ungerader Funktionen ist wieder gerade bzw.ungerade; das Produkt zweier gerader, aber auch zweier ungerader Funktionen ist gerade; das Produktaus einer geraden und einer ungeraden Funktion ist ungerade.

27

3.2 Polynome und rationale Funktionen

De�nition 3.2.1 Eine Funktion p : K −→ K heiÿt ein Polynom, falls es Zahlen a0, . . . , an ∈ K gibt mit

∀ x ∈ K : p(x) =

n∑k=0

ak xk,

wobei stets x0 = 1 gelten soll, und zwar auch für x = 0. Wir nennen dabei die ak Koe�zienten von p. Fallsalle ak = 0 sind, folgt p(x) ≡ 0, und wir nennen dieses Polynom das Nullpolynom oder die Nullfunktion.Im anderen Fall können wir o. B. d. A. annehmen, dass an 6= 0 ist, und dann nennen wir n den Graddes Polynoms p und schreiben n = deg p. Wir vereinbaren noch, dass der Grad des Nullpolynoms gleich−∞ gesetzt sei. Polynome vom Grade n = 0 sind konstant, aber nicht identisch gleich 0, solche vomGrade n = 1 bzw. n = 2 heiÿen lineare bzw. quadratische Funktionen. Die Menge aller Polynome inder Variablen oder Unbestimmten x mit Koe�zienten in K wird mit K[x] bezeichnet, die Teilmengeder Polynome vom Grade höchstens gleich n sei Kn[x], für n ∈ N0. Sind p, q ∈ K[x], und ist q nichtdas Nullpolynom, so ist der Quotient p/q überall dort de�niert, wo q(x) 6= 0 ist. Wir nennen p/q einerationale Funktion, und die Menge der x mit q(x) 6= 0 heiÿt ihr natürlicher De�nitionsbereich. Die Mengeder rationalen Funktionen sei mit K(x) bezeichnet. Beachte, dass die Bezeichnung der Unbestimmtenvöllig willkürlich ist. Wir werden daher im Fall K = C oft C[z] bzw. C(z) für die Menge der Polynomebzw. rationalen Funktionen mit Koe�zienten in C schreiben.

Aufgabe 3.2.2 Zeige: K[x] ist ein unendlich-dimensionaler Vektorraum über K, ja sogar eine Algebra.

Aufgabe 3.2.3 Sei n ∈ N0. Zeige: Kn[x] ist ein Vektorraum über K der Dimension n+ 1.

Proposition 3.2.4 Für ein p(x) =n∑k=0

ak xk ∈ K[x] und beliebiges x0 ∈ K ist p(x+ x0) =

n∑j=0

bj xj, mit

bj =n∑k=j

(k

j

)ak x

k−j0 ∀ j = 0, . . . , n;

also ist p(x+ x0) wieder in K[x] und hat den gleichen Grad wie p.

Beweis: Es ist nach der binomischen Formel

(x+ x0)k =

k∑j=0

(k

j

)xk−j0 xj , ∀ k ∈ N0,

also folgt durch Vertauschung der Summationsreihenfolge

n∑k=0

ak (x+ x0)k =

n∑j=0

xjn∑k=j

(k

j

)ak x

k−j0 ,

und daraus ergibt sich die Behauptung. 2

Aufgabe 3.2.5 Zeige: Jedes p ∈ K[x] läÿt sich als p(x) =∑nk=0 bk (x − x0)

k schreiben, mit beliebiggegebenem x0 ∈ K und eindeutig bestimmten Koe�zienten bk = bk(x0) ∈ K.

28

De�nition 3.2.6 Sei p ∈ K[x]. Wir nennen x0 ∈ K Nullstelle von p, wenn p(x0) = 0 ist. Wir nennenx0 eine Nullstelle m-ter Ordnung, oder Nullstelle der Vielfachheit m von p, wenn es ein q ∈ K[x] gibt, sodass p(x) = (x− x0)m q(x) für alle x ∈ K gilt, und q(x0) 6= 0.

Bemerkung 3.2.7 Das Polynom x2 + 1 hat o�enbar in R keine Nullstelle, in C dagegen besitzt es zweiNullstellen, nämlich i und −i. Wir werden in Satz 8.5.1 sehen, dass jedes nicht konstante Polynommindestens eine Nullstelle in C besitzt.

Behauptung 3.2.8 Sei p ∈ K[x] mit deg p = n für ein n ∈ N. Dann hat jede Nullstelle x0 von p eineeindeutig bestimmte Ordnung m, und m ≤ n.

Beweis: Wir können p nach Aufgabe 3.2.5 auch in der Form

p(x) =

n∑k=0

bk (x− x0)k

schreiben, mit eindeutig bestimmten Koe�zienten bk = bk(x0) ∈ K. Ist x0 Nullstelle, so ist m = min{k :bk 6= 0} ≥ 1, und p(x) = (x − x0)m q(x) mit q(x0) 6= 0. Das bedeutet, dass x0 Nullstelle der Ordnungm ≤ n ist. Die Eindeutigkeit der Nullstellenordnung ist leicht zu zeigen. 2

De�nition 3.2.9 Sei p ∈ Kn[x] für ein n ∈ N, und seien x1, . . . , xµ ∈ K verschiedene Nullstellenvon p mit Vielfachheiten m1, . . . ,mµ. Dann sagen wir: p hat m =

∑µ1 mj Nullstellen in K, wenn wir

entsprechend der Vielfachheit zählen, was normalerweise der Fall ist. Die Aussage, dass p höchstens nNullstellen haben kann, ist also zu interpretieren als

∑µ1 mj ≤ n.

Satz 3.2.10 (Nullstellen- und Identitätssatz für Polynome)Für alle n ∈ N0 gilt:

(a) Ein p ∈ Kn[x] hat höchstens n Nullstellen, auÿer wenn es das Nullpolynom ist.

(b) Zwei p, q ∈ Kn[x] mit p(xj) = q(xj) für n + 1 verschiedene xj ∈ K, 0 ≤ j ≤ n, haben dieselbenKoe�zienten.

Beweis: Zu (a): Die Behauptung ist sicher richtig für n = 0. Sei jetzt n ≥ 1, sei p nicht das Nullpolynom,und sei x0 eine Nullstelle von p der Ordnung m. Dann ist p(x) = (x − x0)m q(x) mit einem Polynom qvom Grade höchstens gleich n −m und q(x0) 6= 0, und jede weitere Nullstelle von p ist auch Nullstellevon q. Daraus folgt die Behauptung mit vollständiger Induktion. Zu (b): Das Polynom h = p− q ∈ Kn[x]hat nach Voraussetzung n+ 1 Nullstellen und muss deshalb wegen (a) das Nullpolynom sein. 2

Bemerkung 3.2.11 Sei r ∈ K(x), also eine rationale Funktion, gegeben. Nach dem Nullstellensatz kanndas Nennerpolynom von r nur endlich viele Nullstellen haben. Also ist der natürliche De�nitionsbereichvon r gleich K \N , wobei N eine endliche, evtl. sogar leere, Teilmenge von K ist.

Aufgabe 3.2.12 Zeige für p, q, ν ∈ N0 die Formel(p+ q

ν

)=

ν∑j=0

(p

j

)(q

ν − j

).

29

Lösung: Es gilt o�enbar (1 + x)p (1 + x)q = (1 + x)p+q für alle x ∈ R, und

(1 + x)p (1 + x)q =

p∑j=0

(p

j

)xj

[ q∑k=0

(q

k

)xk

]

=

p+q∑ν=0

xνν∑j=0

(p

j

)(q

ν − j

).

Hieraus folgt die Behauptung mit Koe�zientenvergleich. 2

Aufgabe 3.2.13 (Polynomdivision) Seien p, q ∈ K[x], und sei deg q ≥ 1. Zeige: Dann gibt es eindeutigbestimmte Polynome q1 und r, sodass

p = q1 q + r ,

und r ist entweder das Nullpolynom, oder deg r < deg q. Vergleiche dies mit Proposition 2.6.9.

Aufgabe 3.2.14 Zeige, dass die Menge K(x) der rationalen Funktionen mit Koe�zienten in K einKörper ist.

Aufgabe 3.2.15 Zeige: Sind p, q ∈ K[x], so ist p q ∈ K[x], und es gilt

deg(p q) = deg p + deg q,

auch falls eines der Polynome das Nullpolynom ist.

3.3 Interpolation mit Polynomen

In diesem Abschnitt seien n + 1 verschiedene Zahlen x0, . . . , xn ∈ K (die Stützstellen) und ebenso viele(nicht unbedingt verschiedene) Werte p0, . . . , pn ∈ K fest gegeben. Unter dem Problem der Polynomin-terpolation versteht man die Aufgabe, ein Polynom möglichst kleinen Grades zu �nden, welches an denStellen xk die gegebenen Werte pk annimmt.

Satz 3.3.1 (Hauptsatz der Polynominterpolation) Zu n + 1 verschiedenen Stützstellen x0, . . . , xnund beliebigen Werten p0, . . . , pn gibt es genau ein p ∈ Kn[x] mit p(xk) = pk, für 0 ≤ k ≤ n.

Beweis: SetzeLk(x) =

∏j 6=k

x− xjxk − xj

, 0 ≤ k ≤ n.

Dann ist o�enbar Lk ∈ Kn[x] und

Lk(xν) = δkν =

{1 (k = ν),

0 (k 6= ν).

Daraus folgt, dass p(x) =∑nk=0 pk Lk(x) ein Polynom mit den gewünschten Eigenschaften ist. Die Ein-

deutigkeit folgt mit Satz 3.2.10. 2

30

De�nition 3.3.2 Die Formel p(x) =∑nk=0 pk Lk(x) heiÿt Lagrangesche Darstellung des Interpolations-

polynoms. Sie ist für die konkrete Berechnung von p weniger geeignet als die in den folgenden Aufgabenuntersuchte Newtonsche Darstellung.

Aufgabe 3.3.3 Seien xk und pk wie oben, und sei p das zugehörige Interpolationspolynom. Zeige: Esgibt eindeutig bestimmte Zahlen bk ∈ K so, dass für alle x ∈ K gilt

p(x) =n∑k=0

bk

k−1∏j=0

(x− xj),

wobei die übliche Konvention zu beachten ist, dass ein leeres Produkt den Wert 1 haben soll. Diskutiereinsbesondere, wieweit sich die bk (nicht) ändern, wenn man eine weitere Stützstelle hinzunimmt. DieseFormel heiÿt Newtonsche Darstellung des Interpolationspolynoms.

Aufgabe 3.3.4 Berechne das Interpolationspolynom zu den Daten x0 = 0, x1 = 1, x2 = 2 sowie p0 = 0,p1 = 1, p2 = 2.

3.4 Monotone Funktionen

Im Folgenden sei D ⊂ R und f : D −→ R.

De�nition 3.4.1 Die Funktion f heiÿt auf D monoton wachsend bzw. monoton fallend, falls

x, y ∈ D, x < y =⇒ f(x) ≤ f(y) bzw. f(x) ≥ f(y).

Falls sogar immer f(x) < f(y) bzw. f(x) > f(y) gilt, heiÿt f streng monoton wachsend bzw. fallend.Beachte, dass streng monotone Funktionen immer injektiv sind.

Aufgabe 3.4.2 Zeige, dass für alle n ∈ N die Funktion f(x) = xn auf dem Intervall [ 0,∞) strengmonoton wächst.

Lösung: Es gilt yn − xn = (y − x)∑n−1

0 xn−1−k yk, und für 0 ≤ x < y ist die rechtsstehende Summepositiv. Daher folgt die Behauptung. 2

Aufgabe 3.4.3 Zeige, dass f genau dann monoton wächst, wenn −f monoton fällt. Gilt Gleiches auchfür strenge Monotonie?

Aufgabe 3.4.4 Zeige: Ist f(x) > 0 für alle x ∈ D, so ist f genau dann monoton wachsend, wenn 1/fmonoton fällt. Gilt Gleiches auch für strenge Monotonie?

Aufgabe 3.4.5 Zeige, dass für alle n ∈ N die Funktion f(x) = x−n auf dem Intervall (0,∞) strengmonoton fällt.

31

3.5 Wurzelfunktionen

Der Inhalt der folgenden Proposition wurde für n = 2 bereits in Kapitel 1 bewiesen; vergleiche dazuBeispiel 1.4.6, Behauptung 1.4.7 und die De�nition der Quadratwurzel auf Seite 14.

Proposition 3.5.1 Für jedes n ∈ N bildet die Abbildung x 7→ xn das Intervall [ 0,∞) bijektiv auf sichselbst ab.

Beweis: Für n = 1 ist nichts zu zeigen, deshalb sei jetzt n ≥ 2 angenommen. Da wir schon gezeigt haben,dass die Abbildung streng monoton wachsend ist, folgt sofort die Injektivität. Um die Surjektivität zuzeigen, sei ein y0 ∈ [ 0,∞) gegeben. Wegen 0n = 0 können wir annehmen, dass y0 > 0 ist. Die MengeM = {x : xn ≤ y0} ist sicher nicht leer und nach oben beschränkt (entweder durch 1 oder y0). Aus demVollständigkeitsaxiom schlieÿen wir, dass M ein Supremum x0 besitzt, und wir wollen xn0 = y0 zeigen.Dazu sei ε > 0 (klein) gegeben. Dann muss (x0 + ε)n > y0 sein, denn sonst wäre x0 keine obere Schrankefür M . Aber wir haben für ε ≤ 1:

(x0 + ε)n = xn0 +n∑

m=1

(n

m

)xn−m0 εm

≤ xn0 + εn∑

m=1

(n

m

)xn−m0 = xn0 + ε[(x0 + 1)n − xn0 ].

Wäre jetzt xn0 < y0, so könnten wir ε so klein wählen, dass auch (x0+ε)n < y0 wäre, was nicht sein kann.

Deshalb folgt xn0 ≥ y0. Andererseits ist nach der Bernoullischen Ungleichung

(x0 − ε)n = xn0 (1− ε/x0)n > xn0 (1− n ε/x0) = xn0 − n ε xn−10 .

Daraus sehen wir, dass bei Annahme von xn0 > y0 ein ε > 0 existieren würde, für welches (x0 − ε)n > y0wäre, was der Tatsache widerspricht, dass x0 kleinste obere Schranke für M ist. Deshalb ist in der Tatxn0 = y0. 2

De�nition 3.5.2 Sei eine natürliche Zahl n ≥ 2 gegeben. Nach der vorstehenden Proposition schlieÿenwir, dass die Umkehrfunktion von x 7→ xn auf [ 0,∞) de�niert ist. Wir nennen sie die n-te Wurzelfunktionund schreiben auch x1/n = n

√x für die n-te Wurzel einer Zahl x ≥ 0. Diese De�nition stimmt für n = 2

mit der früheren De�nition der Quadratwurzel überein.

Aufgabe 3.5.3 Finde heraus, für welche n ∈ N die Abbildung x 7→ xn auf ganz R bijektiv ist, sodasssich die n-te Wurzelfunktion auch für negative x de�nieren läÿt.

3.6 Arithmetisches und geometrisches Mittel

De�nition 3.6.1 Für x1, . . . , xn ∈ R heiÿt

A(x1, . . . , xn) =1

n

n∑j=1

xj

das arithmetische Mittel der Zahlen xj. Falls alle xj ≥ 0 sind, heiÿt

G(x1, . . . , xn) = n

√∏n

j=1xj

das geometrische Mittel der Zahlen xj.

32

O�enbar gilt immer

min{x1, . . . , xn} ≤{A(x1, . . . , xn)G(x1, . . . , xn)

}≤ max{x1, . . . , xn}.

Der nächste Satz zeigt, dass das arithmetische Mittel immer der gröÿere der beiden Mittelwerte ist, und ergibt an, wann beide gleich sind. Für n = 2 folgt aus diesem Satz, dass der Flächeninhalt eines Rechtecksmit festem Umfang dann am gröÿten ist, wenn es ein Quadrat ist.

Satz 3.6.2 (AGM-Ungleichung) Für x1, . . . , xn ≥ 0 ist immer

G(x1, . . . , xn) ≤ A(x1, . . . , xn)

und Gleichheit tritt genau dann ein, wenn alle xj gleich sind.

Beweis: Der Satz ist trivialerweise richtig für n = 1, und wir zeigen jetzt induktiv die Richtigkeit fürein n ≥ 2. O�enbar ist die Behauptung stets richtig, wenn alle xj = 0 sind, und deshalb sei angenommendass A(x1, . . . , xn) > 0 ist. Für λ ≥ 0 ist immer

A(λx1, . . . , λ xn) = λA(x1, . . . , xn), G(λx1, . . . , λ xn) = λG(x1, . . . , xn),

und deshalb können wir o. B. d. A. A(x1, . . . , xn) = 1 voraussetzen. Falls alle xj = 1 sind, ist nichts mehrzu zeigen, und deshalb sei jetzt angenommen, dass xn−1 = 1 − α sowie xn = 1 + β gilt, mit α, β > 0.Wegen n =

∑nj=1 xj folgt daraus mit x′n−1 = 1 + β − α = xn−1 + xn − 1 dass

∑n−2j=1 xj + x′n−1 = n − 1

ist (wobei die Summe für n = 2 leer ist, also den Wert 0 hat). Aus der Induktionshypothese, angewandtauf die Zahlen x1, . . . , xn−2, x

′n−1, schlieÿen wir dann dass

x′n−1

n−2∏j=1

xj ≤ 1 .

Es ist aber xn−1 xn = 1 + β − α− αβ < 1 + β − α = x′n−1, woraus die Behauptung für n folgt. 2

Korollar zu Satz 3.6.2 Für a ≥ 0, a 6= 1, n, p ∈ N und 1 ≤ p < n gilt immer

n√ap < 1 +

p

n(a− 1) =

n− pn

+p a

n.

Beweis: Folgt aus der AGM-Ungleichung, angewandt auf die Zahlen xj = a, bzw. = 1, für 1 ≤ j ≤ p,bzw. p+ 1 ≤ j ≤ n. 2

Aufgabe 3.6.3 Zeige mit Hilfe der AGM-Ungleichung für n, p ∈ N mit n ≥ 2p, dass

n√np < 1 +

2p√n.

Aufgabe 3.6.4 Für x1, . . . , xn > 0 heiÿt

H(x1, . . . , xn) =1

A(1/x1, . . . , 1/xn)

das harmonische Mittel der Zahlen xj. Zeige mit der AGM-Ungleichung H(x1, . . . , xn) ≤ G(x1, . . . , xn),mit Gleichheitszeichen genau dann, wenn alle xj gleich sind.

33

Kapitel 4

Zahlenfolgen

Wie schon in den vorherigen Kapiteln, steht im Folgenden das Symbol K immer für R oder C. Fürdiese Vorlesung ist es meistens ausreichend, sich den Fall K = R vorzustellen. Konvergenz komplexerZahlenfolgen und -reihen spielt aber in den Vorlesungen über Funktionentheorie eine zentrale Rolle undist formal genauso de�niert wie im reellen Fall. Deshalb wollen wir diesen Fall hier gleich mitbehandeln.

4.1 Nullfolgen

De�nition 4.1.1 Eine Folge (xn) in K heiÿt eine Nullfolge, falls gilt

∀ ε > 0 ∃ N ∈ R+ ∀ n ∈ N : n ≥ N =⇒ |xn| < ε . (4.1.1)

Ist dies der Fall, so sagen wir auch, dass (xn) gegen 0 strebt oder gegen 0 konvergiert, und wir schreiben

limn→∞

xn = 0 oder xn −→ 0 (n→∞).

Wir nennen die Folge (xn) beschränkt, falls es ein K ∈ R+ gibt mit |xn| ≤ K für alle n ∈ N.

Behauptung 4.1.2

(a) Die Folge (xn = 1/n) ist eine Nullfolge.

(b) Für jedes x ∈ K mit |x| < 1 ist (xn) eine Nullfolge.

Beweis: Zu (a): Zu jedem ε > 0 existiert nach dem Satz von Archimedes ein n0 ∈ N mit n0 > 1/ε, unddann gilt für alle n ≥ n0, dass n > 1/ε und somit 1/n < ε ist. Zu (b): Setze 1/|x| = 1+h, dann ist h > 0,und mit der Bernoullischen Ungleichung folgt 1/|x|n > 1 + nh. Also ist |x|n < 1/(1 + nh) < ε, und fürε > 0 ist 1/(1 + nh) < ε genau dann richtig, wenn n > (1/ε− 1)/h ist, woraus wie oben die Behauptungfolgt. 2

Lemma 4.1.3 Gegeben seien Folgen (xn) und (yn) in K. Dann gilt:

(a) Ist (xn) Nullfolge, und gibt es C ∈ R+und n0 ∈ N, so dass für alle n ≥ n0 gilt |yn| ≤ C |xn|, dannist auch (yn) eine Nullfolge.

(b) Ist (xn) eine Nullfolge, und ist (yn) beschränkt, so ist (xn yn) ebenfalls eine Nullfolge.

34

(c) Sind beide Folgen Nullfolgen, so ist auch (xn + yn) eine Nullfolge.

(d) Ist (xn) Nullfolge, und ist m ∈ N, so ist auch m√|xn| Nullfolge.

Beweis: Zu (a): Zu ε > 0 gibt es nach De�nition ein N ∈ R+, so dass für alle n ≥ N gilt |xn| < ε/C,und dann gilt auch |yn| < ε, wenn nur n ≥ max{N,n0} ist. Zu (b): Ist |yn| ≤ K für alle n ∈ N, so ist|xn yn| ≤ K |xn| für alle n, und mit (a) folgt die Behauptung. Zu (c): Sei ε > 0. Nach Voraussetzung gibtes Nx, Ny ∈ R+, für die |xn| < ε/2, bzw. |yn| < ε/2 gilt, falls nur n ≥ Nx, bzw. n ≥ Ny ist. Nach derDreiecksungleichung ist |xn + yn| ≤ |xn| + |yn| < ε, falls n ≥ max{Nx, Ny} ist, woraus die Behauptungfolgt. Zu (d): Sei ε > 0. Nach Voraussetzung gibt es ein N ∈ R+, so dass |xn| < εm ist, falls nur n ≥ Ngilt. Daraus folgt die Behauptung. 2

Behauptung 4.1.4 Für jedes p ∈ N gilt

xn = n√np − 1 −→ 0 (n→∞).

Beweis: Nach Aufgabe 3.6.3 ist 0 < xn < 2p/√n, woraus die Behauptung folgt. 2

Behauptung 4.1.5 Für jedes x ∈ K mit |x| < 1 und jedes p ∈ N ist (np xn) eine Nullfolge.

Beweis: Wir setzen 1/|x| = 1 + ε. Aus der vorhergehenden Behauptung folgt n√np < 1 + ε/2 für alle

n ≥ n0. Daraus ergibt sich np |x|n < (1+ ε/2)n/(1+ ε)n = yn mit y = (1+ ε/2)/(1+ ε) < 1. Daraus aberfolgt die Behauptung. 2

Aufgabe 4.1.6 Zeige: Für beliebiges a ∈ R und b ∈ R \ {0} ist (xn = (a+ n b)−1) eine Nullfolge, auÿerwenn −a/b ∈ N ist, denn dann ist xn nicht für alle n ∈ N de�niert!

Aufgabe 4.1.7 Zeige: Für beliebiges x ∈ R ist (xn/n!) eine Nullfolge.

4.2 Konvergente Folgen

De�nition 4.2.1 Eine Folge (xn) in K heiÿt konvergent, wenn ein x ∈ K existiert, für welches die Folge(xn−x) eine Nullfolge ist. Ein solches x heiÿt dann Grenzwert oder limes der Folge. Wir schreiben dannauch lim

n→∞xn = x oder xn −→ x (n → ∞), oder gelegentlich auch kürzer aber ungenau limxn = x oder

xn −→ x. Eine Folge (xn) in K heiÿt divergent, wenn sie nicht konvergiert.

Satz 4.2.2

(a) Eine Folge hat höchstens einen Grenzwert.

(b) Eine Nullfolge ist konvergent; ihr Grenzwert ist gleich 0.

(c) Eine konvergente Folge ist beschränkt.

(d) Eine Folge komplexer Zahlen konvergiert genau dann, wenn die Folgen der Real- und Imaginärteilebeide konvergieren.

35

Beweis: Zu (a): Seien x und x Grenzwerte einer Folge (xn). Dann gilt

|x− x| = |x− xn + xn − x| ≤ |x− xn|+ |xn − x|.

Nach Voraussetzung gibt es zu jedem ε > 0 ein N ∈ R+, so dass für alle n ≥ N gilt |x− xn| < ε/2 undauch |xn− x| < ε/2. Also folgt |x− x| < ε, und da ε beliebig klein sein kann, folgt hieraus x = x. Zu (b):Ist klar nach De�nition der Konvergenz. Zu (c): Sei (xn) konvergent, und sei x der Grenzwert. Dann gibtes ein n0 derart, dass für alle n ≥ n0 gilt |xn − x| < 1, also |xn| ≤ |x| + |xn − x| < |x| + 1 für diese n.Daraus folgt dass |xn| ≤ K für alle n ∈ N, wenn wir K = max{|x| + 1, |x1|, . . . , |xn0−1|} setzen. Zu (d):Seien zn = xn+ i yn ∈ C für n ≥ 1. Sei angenommen, dass (zn) gegen z = x+ i y konvergiert, also (zn−z)eine Nullfolge ist. Wegen (1.8.1) folgt daraus, dass auch (xn−x) und (yn−y) Nullfolgen sind. Umgekehrtfolgt aus der Konvergenz von (xn) und (yn) gegen x bzw. y, dass (xn − x) und (yn − y) Nullfolgen sind,und dann folgt mit (1.8.1) dass (zn − z) ebenfalls Nullfolge ist, d. h. dass (zn) gegen z konvergiert. 2

Die folgenden Rechenregeln für Grenzwerte sind so zu lesen, dass die Existenz der links stehenden Grenz-werte die Existenz der auf der rechten Seite impliziert, und dass die angegebene Gleichung gilt.

Behauptung 4.2.3 limn→∞

xn = x, λ ∈ K =⇒ limn→∞

(λxn) = λx.

Beweis: Folgt, weil λxn − λx = λ (xn − x) ist, und weil die rechte Seite eine Nullfolge ist. 2

Behauptung 4.2.4 limn→∞

xn = x, limn→∞

yn = y =⇒ limn→∞

(xn + yn) = x+ y.

Beweis: Folgt aus |xn + yn − (x+ y)| ≤ |xn − x|+ |yn − y|. 2

Behauptung 4.2.5 limn→∞

xn = x, limn→∞

yn = y =⇒ limn→∞

(xn yn) = x y.

Beweis: Folgt aus |xn yn − x y| ≤ |xn − x||y|+ |xn||yn − y| und der Tatsache, dass konvergente Folgenbeschränkt sind. 2

Behauptung 4.2.6 limn→∞

xn = x 6= 0 =⇒ ∃ n0 ∈ N ∀ n ≥ n0 : xn 6= 0.

Beweis: Sei ε = |x|, dann existiert ein n0, so dass für n ≥ n0 gilt |xn − x| < ε/2, und wegen |xn| ≥|x| − |xn − x| ≥ ε/2 = |x|/2 folgt die Behauptung. 2

Behauptung 4.2.7 Seien alle xn 6= 0, und gelte limn→∞

xn = x 6= 0. Dann ist auch die Folge der Kehrwerte

(1/xn) konvergent, und limn→∞

1/xn = 1/x.

Beweis: Aus dem Beweis der vorhergehenden Behauptung folgt, dass |xn| ≥ |x|/2 für alle n ≥ n0 ist.Daraus aber folgt die Beschränktheit von (1/xn). Die Konvergenz gegen 1/x folgt dann wegen 1/xn−1/x =(x− xn)/(xxn) und Lemma 4.1.3 (b). 2

36

Behauptung 4.2.8 Seien jetzt xn, yn ∈ R. Dann gilt

limn→∞

xn = x, limn→∞

yn = y, xn ≤ yn ∀ n ≥ n0 =⇒ x ≤ y.

Beweis: Wir zeigen folgende Aussage: Ist x > y, so folgt xn > yn für alle groÿen n. Dazu sei ε = x− ygesetzt. Dann gibt es ein N ∈ R+ so, dass für alle n ≥ N gilt |x− xn| < ε/2 und |y − yn| < ε/2. Darausfolgt xn − yn ≥ x− y − (|xn − x|+ |yn − y|) > 0, für alle n ≥ N . 2

Satz 4.2.9 (Sandwich-Satz) Seien (x+n ), (x−n ) und (yn) Folgen in R. Dann gilt

limn→∞

x+n = limn→∞

x−n = x, x−n ≤ yn ≤ x+n =⇒ limn→∞

yn = x.

Beweis: Zu ε > 0 existiert ein N ∈ R+ so, dass |x±n − x| < ε für alle n ≥ N gilt. Dann gilt aber auch|yn − x| < ε, und daher folgt die Behauptung. 2

Aufgabe 4.2.10 Zeige die Konvergenz und berechne den Grenzwert der Folge (xn) de�niert durch xn =(n− 1)/(n+ 1).

Aufgabe 4.2.11 Seien p und q Polynome, und sei q(n) 6= 0 für alle n ∈ N. Untersuche die Konvergenzder Folge (xn = p(n)/q(n)) und berechne gegebenenfalls ihren Grenzwert.

Aufgabe 4.2.12 Zeige, dass aus dem Beweis von Behauptung 4.2.8 die folgende bessere Aussage folgt:

limn→∞

xn = x, limn→∞

yn = y, xn ≤ yn für unendlich viele n =⇒ x ≤ y .

Aufgabe 4.2.13 Schlieÿe aus Behauptung 4.1.4, dass limn→∞

n√n = 1 gilt.

4.3 Teilfolgen, Umordnungen und triviale Abänderungen

De�nition 4.3.1 Sei (xn) eine beliebige Folge aus K.

Sei φ : N −→ N streng monoton wachsend. Dann heiÿt die Folge (xφ(n)) eine Teilfolge von (xn).

Sei φ : N −→ N bijektiv. Dann heiÿt die Folge (xφ(n)) eine Umordnung von (xn).

Sei (yn) eine Folge aus K mit yn = xn für alle n ≥ n0. Dann heiÿt (yn) eine triviale Abänderung von(xn).

Satz 4.3.2 Sei (xn) konvergent zum Grenzwert x. Dann ist auch jede Teilfolge, jede Umordnung undjede triviale Abänderung von (xn) konvergent und hat den gleichen Grenzwert x.

Beweis: Sei ε > 0, und sei n0 ∈ N so, dass für alle n ≥ n0 gilt |xn − x| < ε. Sei φ : N −→ N entwederstreng monoton oder bijektiv. Dann kann φ(n) < n0 nur für endlich viele n richtig sein. Daher muss esein n1 ∈ N geben, für welches φ(n) ≥ n0 ist für alle n ≥ n1, und für solche n folgt |xφ(n)−x| < ε. Also istlimxφ(n) = x. Sei jetzt (yn) eine triviale Abänderung von (xn), also yn = xn für alle n ≥ n1, und seien εund n0 wie oben. Dann ist o�enbar |yn − x| < ε für alle n ≥ max{n0, n1}, woraus die Behauptung folgt.

2

37

Aufgabe 4.3.3 Zeige: Ist (xn) eine beliebige Folge in K, so sind (x2n) und (x2n+1) Teilfolgen.

Aufgabe 4.3.4 Zeige: Ist (xn) eine beliebige Folge in K, so ist (yn) mit

yn =

{xn−1 für n gerade,

xn+1 für n ungerade,

eine Umordnung von (xn).

Aufgabe 4.3.5 Sei φ : N −→ N beliebig. Finde eine genaue Bedingung, unter welcher der Schluss

limn→∞

xn = x =⇒ limn→∞

xφ(n) = x

für alle Folgen in K richtig ist. Hinweis: Analysiere den Beweis des vorstehenden Satzes, um diese Be-dingung zu �nden.

4.4 Bestimmt divergente und monotone Folgen

In diesem Abschnitt betrachten wir stets reelle Zahlenfolgen.

De�nition 4.4.1 Eine Folge (xn) in R heiÿt bestimmt divergent, oder auch uneigentlich konvergent,gegen ∞, wenn gilt

∀ K ∈ R+ ∃ N ∈ R+ ∀ n ∈ N : n ≥ N =⇒ xn ≥ K.Wir schreiben dann auch lim

n→∞xn = ∞ oder xn −→ ∞ (n → ∞). Wenn lim

n→∞−xn = ∞ ist, sagen wir

auch sinngemäÿ, dass die Folge (xn) gegen −∞ bestimmt divergiert.

Aufgabe 4.4.2 Zeige: Die Folge (xn = n) ist bestimmt divergent gegen ∞. Finde ein Beispiel einerFolge, welche divergent aber nicht bestimmt divergent ist.

Da Folgen spezielle Funktionen sind (mit De�nitionsbereich N), ist nach Abschnitt 3.4 klar, was wir untermonotonen Folgen verstehen � allerdings sei betont, dass Monotonie nur für reelle Folgen sinnvoll ist!

Satz 4.4.3 (Konvergenzkriterium für monotone Folgen)Eine monotone Folge (xn) in R ist genau dann konvergent, wenn sie beschränkt ist. Ist dies der Fall, soist ihr Grenzwert gleich sup{xn : n ∈ N}, falls die Folge wachsend ist, bzw. gleich inf{xn : n ∈ N}, fallssie fallend ist. Ist die Folge monoton und unbeschränkt, so ist sie bestimmt divergent, und zwar gegen ∞bzw. −∞, wenn sie wächst bzw. fällt.

Beweis: O. B. d. A. sei die Folge wachsend (sonst betrachte die Folge (−xn)), und sei ξ = sup{xn : n ∈N}.

1. Fall: ξ = ∞. Sei K ∈ R+, dann gibt es nach der De�nition des Supremums ein n0 ∈ N mit xn0 ≥ K.Wegen der Monotonie folgt dann aber xn ≥ K für alle n ≥ n0, und daher ist die Folge bestimmt divergentgegen ∞.

2. Fall: ξ ∈ R. Sei ε > 0, dann gibt es nach der De�nition des Supremums ein n0 ∈ N mit xn0 > ξ − ε.Wieder folgt mit der Monotonie xn > ξ − ε für alle n ≥ n0, aber xn ≤ ξ aufgrund der De�nition von ξ.Daraus folgt die Konvergenz der Folge gegen ξ.

Da die Fallunterscheidung vollständig ist, folgt die Behauptung. 2

38

Proposition 4.4.4 (Quadratwurzeliteration) Seien x0, a ∈ R+, und sei

xn+1 =xn + a

xn

2∀ n ≥ 0.

Dann gilt limn→∞

xn =√a.

Beweis: O�enbar ist xn+1 das arithmetische Mittel von xn und a/xn und deshalb nach der AGM-Ungleichung nicht kleiner als das geometrische Mittel, und dieses ist

√a. Also folgt xn ≥

√a für n ≥ 1.

Das bedeutet aber x2n ≥ a oder xn ≥ a/xn, woraus xn+1 ≤ xn folgt, jedenfalls für n ≥ 1. Darum ist dieFolge (xn) nach Satz 4.4.3 konvergent. Sei b der Grenzwert der Folge, dann ist b ≥

√a, also sicher nicht

gleich 0. Aus der Rekursion folgt für n→∞ die Gleichung 2b = b+ a/b, und daraus folgt b2 = a. 2

Aufgabe 4.4.5 Sei xn = n√x, für ein x ∈ R+. Zeige: Für x > 1 ist die Folge (xn) ist streng monoton

fallend und es gilt immer xn > 1, für x < 1 ist sie streng monoton wachsend und erfüllt xn < 1,und für x = 1 ist die Folge konstant. Insbesondere ist die Folge in jedem Fall monoton und beschränkt,also konvergent. Benutze Aufgabe 4.2.13 zusammen mit dem Sandwich-Satz um zu zeigen, dass immerlimn→∞

xn = 1 ist.

4.5 Die Exponentialfunktion im Reellen

Proposition 4.5.1 Für beliebiges x ∈ R ist die Folge (xn) mit

xn = (1 + x/n)n ∀ n ∈ N

beschränkt. Für x 6= 0 und n > −x ist sie streng monoton wachsend.

Beweis: Für x = 0 ist nicht zu zeigen, und deshalb sei jetzt x 6= 0 angenommen. Für n > −x ist 1+x/n >0, und dann ist n+1

√xn gleich dem geometrischen Mittel der n+ 1 Zahlen ak = 1 + x/n, 1 ≤ k ≤ n, und

an+1 = 1. Dieses Mittel ist nach der AGM-Ungleichung echt kleiner als das entsprechende arithmetischeMittel, und dieses ist gleich (n+ 1 + x)/(n+ 1). Diese Zahl ist aber wiederum das arithmetische Mittelder n + 1 gleichen Zahlen bk = 1 + x/(n + 1), 1 ≤ k ≤ n + 1, und das ist gleich dem geometrischeMittel. Letzteres ist aber gleich n+1

√xn+1. Dies ist gleichbedeutend mit der strengen Monotonie der xn

für n > −x. Zur Beschränktheit: Falls x ≤ 0 und n groÿ ist, ist 0 < 1 + x/n ≤ 1, und somit xn ≤ 1für alle n. Falls x > 0 ist, ist (1 + x/n)n (1 − x/n)n = (1 − x2/n2)n < 1 für groÿe n. Da (1 − x/n)n fürn ≥ n0 > x streng monoton wächst, folgt für diese n dass (1− x/n)n > (1− x/n0)n0 ist. Daraus folgt dieBeschränktheit von (1 + x/n)n. 2

De�nition 4.5.2 Für x ∈ R de�nieren wir die Exponentialfunktion durch

exp(x) = limn→∞

(1 + x/n)n.

Beachte, dass der Grenzwert nach obiger Proposition und Satz 4.5.1 existiert. Speziell sei noch e =exp(1) = limn→∞(1 + 1/n)n gesetzt.

Satz 4.5.3 (Eigenschaften der Exponentialfunktion)

(a) Für alle x ∈ R ist exp(x) > 0, und exp(0) = 1.

39

(b) Für x, y ∈ R gilt die Funktionalgleichung der Exponentialfunktion

exp(x) exp(y) = exp(x+ y).

Beweis: Zu (a): Folgt aus der Monotonie von (1 + x/n)n und der De�nition der Exponentialfunktion.

Zu (b): Wir setzen

an(x, y) =(1 + x/n)n (1 + y/n)n

(1 + (x+ y)/n)n=

(1 +

x y

n2 (1 + (x+ y)/n)

)n.

Für x y > 0 ist 1 < an(x, y) ≤ (1 + 2x y/n2)n, falls n so groÿ ist, dass 1 + (x + y)/n ≥ 1/2 gilt (wasimmer richtig ist, falls x+ y ≥ 0 ist). Nach Aufgabe 4.5.5 geht die rechte Seite gegen 1 für n→∞, alsogilt die Behauptung in diesem Fall. Für x y ≤ 0 gilt nach der Bernoullischen Ungleichung

1 ≥ an(x, y) ≥ 1 +nx y

n2 (1 + (x+ y)/n)= 1 +

x y

n (1 + (x+ y)/n)

für groÿe n, und die rechte Seite strebt gegen 1 für n→∞. 2

Proposition 4.5.4 Für n ∈ N \ {1} gilt immer

e(ne

)n< n! < n e

(ne

)n.

Beweis: Seien

dn =nn

en n!, en = ndn =

nn+1

en n!,

dann ist dn+1/dn = (1 + 1/n)n e−1, und die rechte Seite geht streng monoton wachsend gegen 1, ist alsoinsbesondere < 1. Also ist dn streng monoton fallend. Weiter ist en/en+1 = e (1 − 1

n+1 )n+1 ebenfalls

streng monoton wachsend mit Grenzwert 1, und deshalb ist en selber streng monoton wachsend. Darausfolgt dn < d1 = e1 < en für n ≥ 2, und daraus ergibt sich die Behauptung. 2

Aufgabe 4.5.5 Zeige: Für beliebiges c ∈ R+ ist

1 ≤ (1 + c/n2)n = n

√(1 + c/n2)n2 ≤ n

√exp(c).

Benutze dies und den Sandwich-Satz um zu zeigen, dass

limn→∞

(1 + c/n2)n = 1.

Aufgabe 4.5.6 Zeige

1(1 + 1

n

)n+1 =

(1− 1

n+ 1

)n+1

∀ n ∈ N

und schlieÿe daraus, dass die Folge(1 + 1

n

)n+1monoton fallend gegen e strebt.

Aufgabe 4.5.7 Zeige, dass die Exponentialfunktion streng monoton wachsend ist.

40

4.6 Häufungspunkte

De�nition 4.6.1 Ein x ∈ K heiÿt Häufungspunkt einer Folge (xn) aus K, wenn gilt:

∀ ε > 0 : |xn − x| < ε für unendlich viele n.

Lemma 4.6.2 Genau dann ist x ∈ K Häufungspunkt einer Folge (xn) aus K, wenn eine Teilfolge von(xn) gegen x konvergiert.

Beweis: Sei x ein Häufungspunkt. Zu ε = 1/n, mit n ∈ N, wählen wir ein φ(n) ∈ N, für welches|xφ(n) − x| < 1/n ist, und wir können o. B. d. A. annehmen, dass φ streng monoton wächst. Dann istaber (xφ(n)) die gewünschte Teilfolge. Die Umkehrung ist klar nach De�nition der Konvergenz. 2

Satz 4.6.3 (Satz von Bolzano und Weierstraÿ) Beschränkte Folgen haben mindestens einen Häu-fungspunkt.

Beweis: Sei zunächst K = R. Sei (xn) eine beschränkte Folge, und seien a, b so dass a ≤ xn ≤ b füralle n gilt. Wir wählen jetzt zwei Folgen (an) und (bn) so, dass immer gilt an ≤ xn ≤ bn für unendlichviele n. Dazu seien a0 = a, b0 = b gesetzt. Wenn an, bn bereits gewählt sind, enthält die linke oder dierechte Hälfte des Intervalles [an, bn] unendlich viele Folgenglieder, und wir wählen dann im ersten Fallan+1 = an, bn+1 = (an+ bn)/2, und im anderen Fall an+1 = (an+ bn)/2, bn+1 = bn. Jetzt sei eine strengmonoton wchsende Funktion φ gewählt mit an ≤ xφ(n) ≤ bn, was möglich ist, weil unendlich viele xmin jedem der Intervalle [an, bn] liegen. O�enbar sind die Folgen (an) und (bn) monoton (wachsend bzw.fallend), also beide konvergent, und wegen 0 < bn − an = (b − a)/2n sind die Grenzwerte gleich. Nachdem Sandwich-Satz folgt deshalb die Konvergenz der Teilfolge (xφ(n)) gegen ein x ∈ R, und dieses x istHäufungspunkt der Folge (xn).

Sei jetzt K = C. Sei eine beschränkte Folge gegeben, welche wir jetzt besser mit (zn) bezeichen, undseien (xn) bzw. (yn) die Folgen der Real- bzw. Imaginärteile der komplexen Zahlen zn. Wegen |zn| =√x2n + y2n ≥ |xn| ist (xn) beschränkt. Also existiert eine Teilfolge (xφ(n)), welche gegen ein x ∈ R

konvergiert. Die Teilfolge (zφ(n)) ist aber wieder beschränkt, und daraus folgt die Beschränktheit von(yφ(n)). Deshalb existiert eine konvergente Teilfolge dieser Teilfolge, welche wir mit (yψ(n)) bezeichnenwollen, und auch die Teilfolge (xψ(n)) der Folge (xφ(n)) konvergiert nach Satz 4.3.2. Daraus folgt mitSatz 4.2.2 die Konvergenz von (zψ(n)). Also hat (zn) einen Häufungspunkt. 2

Aufgabe 4.6.4 Analysiere den Beweis von Satz 4.6.3 für den Fall K = R und zeige, dass der gefundeneHäufungspunkt x der kleinste ist, dass also unter den y < x kein Häufungspunkt sein kann.

Aufgabe 4.6.5 Finde alle Häufungspunkte der Folge (xn = (−1)n).

Aufgabe 4.6.6 Finde eine Folge mit unendlich vielen Häufungspunkten.

Aufgabe 4.6.7 Zeige: Eine beschränkte Folge ist genau dann konvergent, wenn sie nur einen Häufungs-punkt hat, und dieser ist dann gleich dem Grenzwert.

41

4.7 Das Cauchy-Kriterium

De�nition 4.7.1 Eine Folge (xn) in K heiÿt Cauchy-Folge, wenn gilt

∀ ε > 0 ∃ N ∈ R+ ∀ n,m ∈ N : n,m ≥ N =⇒ |xn − xm| < ε. (4.7.1)

Satz 4.7.2 (Cauchy-Kriterium) Eine Folge in K ist genau dann konvergent, wenn sie Cauchy-Folgeist.

Beweis: Sei (xn) konvergent gegen x, also (xn − x) Nullfolge. Dann gilt (4.1.1), und daraus folgt wegen|xn − xm| ≤ |xn − x| + |xm − x| die Bedingung (4.7.1), allerdings für 2ε anstelle von ε, was aber nichtsbedeutet. Umgekehrt, sei jetzt (xn) eine Cauchy-Folge. Für ε = 1 und ein festes m ≥ N folgt mit (4.7.1)dass |xn| ≤ |xm| + |xn − xm| < 1 + |xm| gilt für alle n ≥ N . Daraus folgt die Beschränktheit von (xn).Nach dem Satz von Bolzano und Weierstraÿ existiert ein Häufungspunkt x, und wir zeigen jetzt, dassdieses x Grenzwert der Folge sein muss. Dazu sei ε > 0 beliebig gegeben, und N sei wie in (4.7.1). Danngibt es nach De�nition eines Häufungspunktes ein m ≥ N so, dass |xm − x| < ε ist. Aus (4.7.1) folgtdann aber |xn − x| ≤ |xn − xm|+ |xm − x| < 2 ε für alle n ≥ N . Daraus folgt aber Konvergenz von (xn)gegen x. 2

Beachte, dass das Cauchy-Kriterium eine Bedingung für die Konvergenz einer Folge liefert, in die derGrenzwert der Folge nicht explizit eingeht. Dieser Umstand ist sehr wichtig, denn er erlaubt die Konver-genz von Folgen zu zeigen, deren Grenzwert nicht bekannt ist.

Aufgabe 4.7.3 Sei xn =∑nj=1 1/j, n ∈ N. Benutze die Monotonie von (1/j) um zu zeigen dass x2n −

xn > n/(2n) = 1/2 ist. Zeige dass (xn) keine Cauchy-Folge ist. Schlieÿe daraus limn→∞

xn =∞.

4.8 Limes inferior und limes superior

In diesem Abschnitt beschränken wir uns wieder auf reelle Zahlenfolgen.

De�nition 4.8.1 Sei (xn) eine Folge in R. Eine Zahl x∗ heiÿt der gröÿte Häufungspunkt oder limessuperior der Folge (xn), wenn gilt

∀ ε > 0 :

{xn ≥ x∗ + ε höchstens für endlich viele n,

xn > x∗ − ε für unendlich viele n.

Wir schreiben dann auchx∗ = lim sup

n→∞xn = lim

n→∞xn.

O�enbar ist x∗ ein Häufungspunkt von (xn), und ein x > x∗ ist kein Häufungspunkt von (xn). Insbe-sondere folgt aus der Existenz eines limes superior, dass die Folge nach oben beschränkt sein muss. EineZahl x∗ heiÿt entsprechend der kleinste Häufungspunkt oder limes inferior der Folge (xn), wenn gilt

∀ ε > 0 :

{xn ≤ x∗ − ε höchstens für endlich viele n,

xn < x∗ + ε für unendlich viele n.

Wir schreiben dann auchx∗ = lim inf

n→∞xn = lim

n→∞xn.

42

Auch x∗ ist ein Häufungspunkt, und jedes x < x∗ ist kein Häufungspunkt von (xn). Der limes inferiorkann nur dann existieren, wenn die Folge nach unten beschränkt ist. Wir setzen noch

lim supn→∞

xn =

{∞ wenn (xn) nach oben unbeschränkt ist,

−∞ wenn (xn) uneigentlich gegen −∞ konvergiert,

und analog

lim infn→∞

xn =

{−∞ wenn (xn) nach unten unbeschränkt ist,

∞ wenn (xn) uneigentlich gegen ∞ konvergiert.

In diesen Fällen bezeichnet man ±∞ auch als uneigentliche Häufungspunkte der Folge.

Proposition 4.8.2 Eine Folge (xn) aus R besitzt immer einen eigentlichen oder uneigentlichen gröÿtenbzw. kleinsten Häufungspunkt, und beide sind eindeutig bestimmt. Es gilt immer

lim infn→∞

xn ≤ lim supn→∞

xn ,

und das Gleichheitszeichen gilt genau dann, wenn die Folge konvergiert oder bestimmt divergiert. Indiesem Fall ist dieser gemeinsame Wert gleich dem Grenzwert der Folge.

Beweis: Betrachte die Menge A aller x ∈ R, für die die Ungleichung xn > x höchstens für endlich viele nrichtig ist. Falls diese Menge leer ist, muss die Folge (xn) nach oben unbeschränkt sein, und dann existiertlimes superior und ist gleich ∞. Falls A = R ist, muss die Folge bestimmt divergieren gegen −∞, wasdann per De�nition gleich limes superior ist. In jedem anderen Fall ist A nach unten beschränkt, undaus der De�nition des limes superior folgt inf A = lim supxn. Also gibt es immer einen limes superior.Genauso zeigt man die Existenz des limes inferior. Die Eindeutigkeit folgt direkt aus der De�nition. Fallsbeide gleich ∞ oder −∞ sind, schlieÿt man aus der De�nition auf die bestimmte Divergenz, und fallsbeide gleich derselben endlichen Zahl sind, folgt die Konvergenz gegen diesen Wert. Die Umkehrung dieserAussage folgt ebenfalls leicht mit der De�nition. 2

Aufgabe 4.8.3 (a) Berechne limes superior und inferior der Folge (xn = [2 + (−1)n]−n).

(b) Zeigelim infn→∞

xn = − lim supn→∞

(−xn) .

(c) Zeige: Falls die rechte Seite de�niert ist, gilt immer

lim supn→∞

(xn + yn) ≤ lim supn→∞

xn + lim supn→∞

yn .

Finde ein Beispiel zweier Folgen, für die das Kleinerzeichen gilt.

43

Kapitel 5

Unendliche Reihen

Die Theorie der unendlichen Reihen ermöglicht die De�nition einer Summe von abzählbar unendlich vielenreellen oder komplexen Zahlen. In gewissem Sinn ist diese Theorie aber nur eine andere Formulierung derFolgentheorie.

5.1 Grundlegendes

De�nition 5.1.1 Gegeben sei eine Folge (ak)∞k=p aus K. Wir nennen eine zweite Folge (sn)

∞n=p die

zugehörige Partialsummenfolge, wenn

sn =n∑k=p

ak ∀ n ≥ p .

Für diese Folge der Partialsummen schreiben wir auch kürzer∑∞k=p ak und sprechen von einer unendli-

chen Reihe oder kürzer einer Reihe in K. Die Zahlen ak nennen wir dann auch die Glieder der Reihe.Eine Reihe

∑∞k=p ak in K heiÿt konvergent bzw. divergent, wenn die Partialsummenfolge konvergiert oder

divergiert. Bei Konvergenz nennen wir den Grenzwert a ∈ K der Partialsummenfolge auch den Wert derReihe und schreiben

∞∑k=p

ak = a.

Ist K = R, und ist die Partialsummenfolge bestimmt divergent gegen∞ oder −∞, so heiÿt auch die Reihe∑∞k=p ak bestimmt divergent oder auch uneigentlich konvergent, und wir nennen dann auch ∞ bzw. −∞

den Wert einer solchen Reihe.

Aufgabe 5.1.2 Zeige: Zu einer beliebigen Folge (sn)∞n=1 existiert genau eine Folge (ak)

∞k=1 mit sn =∑n

k=1 ak, n ≥ 1.

Aus den entsprechenden Regeln für konvergente Folgen ergeben sich unmittelbar die folgenden Rechen-regeln für Reihen:

• Sind∑∞k=p ak und

∑∞k=p bk beide konvergent, so ist auch

∑∞k=p(ak + bk) konvergent, und es gilt

∞∑k=p

(ak + bk) =

∞∑k=p

ak +

∞∑k=p

bk .

44

• Ist∑∞k=p ak konvergent, und ist λ ∈ K beliebig, so ist auch

∑∞k=p λak konvergent, und es gilt

∞∑k=p

λak = λ∞∑k=p

ak .

Auf das Produkt zweier unendlicher Reihen gehen wir später genauer ein.

De�nition 5.1.3 Für ein x ∈ K heiÿt∑∞k=0 x

k die geometrische Reihe.

Behauptung 5.1.4 Die geometrische Reihe ist divergent für jedes x ∈ K mit |x| > 1. Sie konvergiertfür alle x mit |x| < 1, und es gilt

∞∑k=0

xk =1

1− x∀ |x| < 1.

Beweis: Es ist sn =∑nk=0 x

k = (1−xn+1)/(1−x) für x 6= 1. Für |x| > 1 folgt deswegen |sn| → ∞, alsoDivergenz der Reihe. Für |x| < 1 ist xn eine Nullfolge, und daraus folgt

limn→∞

1− xn

1− x=

1

1− x,

also die Konvergenz der Reihe gegen den Wert 1/(1− x). 2

Dass die geometrische Reihe auch für |x| = 1 divergiert, folgt am leichtesten aus der nächsten Propositionund der Tatsache, dass xn in diesem Fall sicher keine Nullfolge ist.

Eine einfache Umformulierung von Satz 4.7.2 ergibt das folgende Resultat:

Satz 5.1.5 (Cauchy-Kriterium für Reihen) Eine Reihe∑∞k=p ak in K ist genau dann konvergent,

wenn

∀ ε > 0 ∃ N ∈ R+ ∀ n, q ∈ N : n ≥ max{N, p− 1} =⇒∣∣∣ n+q∑k=n+1

ak

∣∣∣ < ε . (5.1.1)

Beweis: Ersetze in (4.7.1) die Zahl m durch n + q und die Folge (xn) durch die Partialsummenfolge(sn), und wende Satz 4.7.2 an. 2

Proposition 5.1.6 Falls eine Reihe∑∞k=p ak in K konvergiert, folgt auch die Konvergenz von

∑∞k=m ak,

für alle m ≥ p, und es gilt

limk→∞

ak = 0 , limm→∞

∞∑k=m

ak = 0 .

Beweis: Wir de�nieren sn wie oben. Die Konvergenz von∑∞k=m ak ist klar, da die zugehörige Partial-

summenfolge sich von der Folge (sn) nur um eine additive Konstante unterscheidet. Setzt man q = 1 in(5.1.1), so folgt dass (ak) Nullfolge sein muss. Läÿt man hingegen q →∞ gehen, so folgt |

∑∞k=n+1 ak| ≤ ε

für n ≥ N , und daher ist (∑∞k=m ak) eine Nullfolge. 2

45

De�nition 5.1.7 Eine Summe der Form

q∑k=p

(bk − bk+1)

heiÿt eine Teleskopsumme, eine Reihe derselben Form, also mit q =∞, heiÿt eine Teleskopreihe.

Behauptung 5.1.8 Eine Teleskopreihe∑∞k=p(bk − bk+1) konvergiert genau dann, wenn die Folge (bk)

konvergiert, und in diesem Fall ist ihr Wert gleich bp − limk→∞

bk.

Beweis: Durch Induktion, oder durch Indexverschiebung, folgt∑qk=p(bk− bk+1) = bp − bq+1, ∀ p ≤ q,

und daraus folgt die Behauptung. 2

Aufgabe 5.1.9 Verwandle die Reihe∞∑k=1

1

k (k + 1)

in eine Teleskopreihe. Zeige dadurch ihre Konvergenz und berechne ihren Wert.

5.2 Alternierende Reihen

De�nition 5.2.1 Eine Reihe∑∞k=p ak mit Gliedern in R heiÿt alternierend, falls ak = (−1)k |ak| für

alle k ≥ p.

Satz 5.2.2 (Leibniz-Kriterium) Ist die Reihe∑∞k=p ak alternierend, und ist für irgend ein q ≥ p die

Folge (|ak|)∞k=q eine monoton fallende Nullfolge, so ist die Reihe konvergent. Bezeichnet a den Wert derReihe, so gilt immer

s2n+1 ≤ a ≤ s2n ∀ n ≥ q/2 .

Beweis: O. B. d. A. sei p = 0 angenommen (sonst: setze die ersten Glieder der Reihe gleich 0). Es seibk = |ak|. Dann gilt für alle n ≥ 0, dass

s2n+1 =

n∑j=0

a2j +

n∑j=0

a2j+1 =

n∑j=0

(b2j − b2j+1),

und wegen der Monotonie folgt b2j−b2j+1 ≥ 0 für 2j ≥ q. Also ist s2n+1 ≥ s2n−1 für 2n ≥ q. Analog folgtaus s2n = b0 −

∑nj=1(b2j−1 − b2j) dass s2n ≤ s2n−2 für 2n − 1 ≥ q. Auÿerdem ist s2n+1 ≤ s2n. Daraus

folgt mit Satz 4.4.3 die Konvergenz von (s2n) (gegen a = inf s2n) und (s2n+1) (gegen b = sup s2n+1), undaus Behauptung 4.2.8 folgt b ≤ a. Wegen s2n+1 − s2n = a2n+1 −→ 0 (n→∞) folgt aber b = a. 2

Der obige Satz bedeutet, dass alternierende Reihen relativ leicht auf Konvergenz getestet werden können,und dass man bei der Berechnung des Grenzwertes eine Fehlerabschätzung bekommt: Aus der Ungleichungim Leibnizkriterium folgt nämlich, dass 0 ≤ a−s2n+1 ≤ s2n−s2n+1 = −a2n+1 ist, jedenfalls für n ≥ q/2.Andererseits folgt aus dem Beweis des Satzes dass s2n−1 ≤ a ≤ s2n ist, woraus 0 ≤ s2n − a ≤ a2n folgt,für die gleichen n. Also ergibt sich insgesamt

|a− sn| ≤ |an+1| ∀ n ≥ q . (5.2.1)

46

Diese Ungleichung erlaubt festzustellen, wo man die Reihe abbrechen kann, wenn man den Wert a miteiner gewissen Genauigkeit berechnen will. Andererseits ist die numerische Berechnung des Wertes derPartialsummen sn oft kritisch wegen des Phänomens der Auslöschung führender Stellen. Dies wird in derVorlesung Numerik genauer besprochen.

Beispiel 5.2.3 In Abschnitt 5.8 werden wir die Sinus- und Cosinusfunktion durch folgende Reihen de-�nieren:

sinx =∞∑k=0

(−1)k x2k+1

(2k + 1)!, cosx =

∞∑k=0

(−1)k x2k

(2k)!∀ x ∈ R.

Sei im Folgenden x > 0 angenommen. Dann sind beide Reihen o�enbar alternierend. Für bk = xk/k! istbk/bk+1 = (k+1)/x ≥ 1 falls nur k ≥ x−1 ist. Daraus folgt, dass man den Leibnizschen Satz mit groÿemq anwenden kann, um Konvergenz der Reihen zu zeigen.1 Wenn x ≤ 3 ist, kann man im LeibnizschenSatz q = 2 setzen und erhält folgende Abschätzungen:

x− x3

6≤ sinx ≤ x− x3

6+

x5

120

1− x2

2≤ cosx ≤ 1− x2

2+x4

24

0 < x ≤ 3. (5.2.2)

Diese Abschätzungen werden später noch eine Rolle spielen.

Aufgabe 5.2.4 Zeige die Konvergenz von∑∞k=1(−1)k/k. Diese Reihe heiÿt auch alternierende harmo-

nische Reihe.

Aufgabe 5.2.5 Sei a =∑∞k=0(−1)k/(k+1). Wie groÿ muss n sein, damit durch (5.2.1) die Genauigkeit

|a−∑nk=0(−1)k/(k + 1)| < 10−6 gesichert ist?

5.3 Reihen mit nicht-negativen Gliedern, absolute Konvergenz

Proposition 5.3.1 Seien ak ≥ 0 für alle k ≥ p. Dann ist die Reihe∑∞k=p ak entweder konvergent oder

bestimmt divergent, und der erste Fall tritt genau dann ein, wenn die Partialsummenfolge beschränkt ist.

Beweis: Folgt mit Satz 4.4.3, da die Partialsummenfolge monoton wachsend ist. 2

De�nition 5.3.2 Eine Reihe∑∞k=p ak in K heiÿt absolut konvergent, falls die Reihe

∑∞k=p |ak| konver-

giert. Wegen Proposition 5.3.1 schreiben wir dafür auch manchmal∑∞k=p |ak| <∞.

Aufgabe 5.3.3 Zeige mit Hilfe der Aufgaben auf Seite 42, dass

∞∑k=1

1

k= ∞ .

Die links stehende Reihe heiÿt auch die harmonische Reihe.

1Wir werden später sehen, dass die Theorie der Potenzreihen sogar die Konvergenz liefert, wenn man x durch eine

beliebige komplexe Zahl z ersetzt.

47

Aufgabe 5.3.4 Zeige: Die alternierende harmonische Reihe ist konvergent, jedoch nicht absolut konver-gent.

Behauptung 5.3.5 (Verallgemeinerte Dreiecksungleichung)Eine absolut konvergente Reihe

∑∞k=p ak ist auch konvergent, und es gilt∣∣∣ ∞∑

k=p

ak

∣∣∣ ≤∞∑k=p

|ak| .

Beweis: Folgt aus dem Cauchy-Kriterium für Reihen und der allgemeinen Dreiecksungleichung in Be-hauptung 2.6.5. 2

Satz 5.3.6 (Majoranten- und Minorantenkriterium)

(a) Aus |ak| ≤ bk für alle k ≥ p und∑∞k=p bk <∞ folgt die absolute Konvergenz der Reihe

∑∞k=p ak.

(b) Aus ak ≥ ck ≥ 0 für alle k ≥ p und∑∞k=p ck =∞ folgt

∑∞k=p ak =∞.

Beweis: Zu (a): Folgt aus∑nk=p |ak| ≤

∑nk=p bk ≤

∑∞k=p bk. Zu (b): Folgt aus(a), wenn man |ak| durch

ck und bk durch ak ersetzt. 2

Satz 5.3.7 (Wurzel- und Quotientenkriterium)

(a) Falls eine Zahl q ∈ (0, 1) existiert mit k√|ak| ≤ q für alle k ≥ p ≥ 1, dann ist die Reihe

∑∞k=p ak

absolut konvergent.

(b) Falls alle ak 6= 0 sind, und falls eine Zahl q ∈ (0, 1) existiert für welche gilt |ak+1|/|ak| ≤ q für allek ≥ p, dann ist die Reihe

∑∞k=p ak absolut konvergent.

Beweis: Zu (a): Aus der Voraussetzung folgt |ak| ≤ qk für alle k ≥ p, und deshalb folgt die Behaup-tung mit dem Majorantenkriterium und der Konvergenz der geometrischen Reihe

∑qk. Zu (b): Durch

Induktion folgt |ak| ≤ qk−p |ap|, und daraus folgt die Behauptung (wie in (a)). 2

Satz 5.3.8 (Cauchyscher Verdichtungssatz)Sei (ak)

∞k=1 eine monoton fallende Nullfolge in R, und sei bk = 2k a2k für k ≥ 0. Dann sind

∑∞k=1 ak

und∑∞k=0 bk entweder beide konvergent oder beide bestimmt divergent.

Beweis: Setze sn =∑nk=1 ak, tn =

∑nk=0 bk. Für n < 2m+1 folgt dann

sn ≤2m+1−1∑k=1

ak =m∑ν=0

2ν+1−1∑k=2ν

ak ≤m∑ν=0

2ν a2ν = tm.

Umgekehrt, ist n ≥ 2m+1, so gilt

sn ≥2m+1∑k=1

ak = a1 +

m+1∑ν=1

2ν∑k=2ν−1+1

ak ≥ a1 +m+1∑ν=1

2ν−1 a2ν = (a1 + tm+1)/2.

Deshalb folgt aus der Beschränktheit von (tm) die von (sn) und umgekehrt, und daher gilt die Behauptung.2

48

Proposition 5.3.9 (Vertauschung von Grenzwerten) Seien Zahlen ank ∈ K für alle n, k ≥ 0 gege-ben, derart dass folgendes gilt:

(a) Es gebe Zahlen bk ∈ R+, für die gilt

|ank| ≤ bk ∀ n, k ≥ 0,∞∑k=0

bk < ∞.

(b) Für jedes feste k ≥ 0 sei die Folge (ank)∞n=0 konvergent, und der Grenzwert sei mit ak bezeichnet.

Dann sind die Reihen∑∞k=0 ank, für jedes n ≥ 0, und die Reihe

∑∞k=0 ak alle absolut konvergent, und es

gilt

limn→∞

∞∑k=0

ank =∞∑k=0

ak . (5.3.1)

Beweis: Aus |ank| ≤ bk folgt für n→∞ die Ungleichung |ak| ≤ bk, jeweils für alle k ≥ 0, und deshalbfolgt die absolute Konvergenz der Reihen aus dem Majorantenkriterium. Zum Beweis von (5.3.1): Seiε > 0 gegeben, und sei m ∈ N so groÿ, dass

∑∞k=m bk < ε. Dann folgt

∣∣∣ ∞∑k=0

(ank − ak)∣∣∣ ≤

∣∣∣m−1∑k=0

(ank − ak)∣∣∣ +

∞∑k=m

(|ank|+ |ak|)

≤∣∣∣m−1∑k=0

(ank − ak)∣∣∣ + 2

∞∑k=m

bk .

Der zweite Term auf der rechten Seite ist höchstens gleich 2 ε, und zwar für alle n ≥ 0, während der ersteTerm eine Summe von endlich vielen Nullfolgen (für n→∞), also selber eine Nullfolge ist. Deshalb gibtes ein N derart, dass für alle n ≥ N die rechte Seite kleiner als 3 ε ausfällt. Daher muss auch die linkeSeite für n→∞ eine Nullfolge sein. 2

Als eine Anwendung dieses Satzes beweisen wir folgende Reihendarstellung für die Exponentialfunktioneiner reellen Veränderlichen:

Proposition 5.3.10 (Die Exponentialreihe) Die Reihe∑∞k=0 x

k/k! ist für alle x ∈ C absolut kon-vergent. Für alle x ∈ R gilt weiter

∞∑k=0

xk

k!= exp(x) = lim

n→∞

(1 +

x

n

)n. (5.3.2)

Beweis: Die absolute Konvergenz der Reihe, für alle x ∈ C, folgt leicht mit dem Quotientenkriterium;siehe auch die untenstehende Aufgabe 5.3.12. Um (5.3.2) zu zeigen, schlieÿen wir aus der binomischenFormel (1 + x/n)n =

∑∞k=0 ank, mit ank = 0 für k > n bzw.

ank =

(n

k

)( xn

)k=

xk

k!

n (n− 1) · . . . · (n− k + 1)

nk(0 ≤ k ≤ n).

Dann gilt o�enbar |ank| ≤ |x|k/k! (= bk), und die Reihe∑∞k=0 |x|k/k! konvergiert absolut. Auÿerdem ist

limn→∞ ank = xk/k! für jedes feste k ∈ N0. Deshalb folgt die Behauptung aus Proposition 5.3.9. 2

Wir nehmen die Gleichung (5.3.2) zum Anlass und de�nieren die Exponentialfunktion auch für komplexeZahlen z:

49

De�nition 5.3.11 exp(z) =

∞∑k=0

zk

k!∀ z ∈ C.

Aufgabe 5.3.12 Zeige die absolute Konvergenz der Reihe∑∞k=0 z

k/k! für alle z ∈ C.

Aufgabe 5.3.13 Zeige die absolute Konvergenz von∑∞k=1 k

n zk für beliebiges n ∈ Z und alle z ∈ C mit|z| < 1.

Aufgabe 5.3.14 Bisher haben wir die Potenz nα nur für rationale Exponenten α de�niert, deshalb sei imFolgenden α ∈ Q vorausgesetzt; die Behauptung kann aber genauso gezeigt werden, wenn α irrational ist!Zeige mit Hilfe des Cauchyschen Verdichtungssatzes, dass die allgemeine harmonische Reihe

∑∞k=1 k

−α

für α > 1 konvergiert, aber für α ≤ 1 divergiert.

5.4 Unbedingte Konvergenz und Umordnungen

De�nition 5.4.1 Für jede bijektive Abbildung φ : N −→ N heiÿt∑∞k=1 aφ(k) eine Umordnung der Reihe∑∞

k=1 ak. Eine Reihe heiÿt unbedingt konvergent, falls jede ihrer Umordnungen konvergiert.

Proposition 5.4.2 Eine absolut konvergente Reihe in K ist auch unbedingt konvergent, und jede ihrerUmordnungen hat denselben Wert.

Beweis: Sei∑∞k=1 ak absolut konvergent, und sei a der Wert der Reihe. Sei weiter φ : N −→ N bijektiv.

Zu ε > 0 gibt es dann ein N ∈ R+ so, dass für alle n ≥ N gilt |a−∑nk=1 ak| < ε. Dann ist also für diese

n: ∣∣∣a− n∑k=1

aφ(k)

∣∣∣ ≤ ∣∣∣a− n∑k=1

ak

∣∣∣+ ∣∣∣ n∑k=1

ak −n∑k=1

aφ(k)

∣∣∣ < ε+∑j∈Jn

|aj |,

wobei Jn die Menge der Indizes j bezeichnet, welche entweder in {1, 2, . . . , n} oder in {φ(1), φ(2), . . . , φ(n)}(aber nicht in beiden gleichzeitig) enthalten sind. Falls diese Menge nicht zufällig leer ist, hat sie einMinimum m(n), und in diesem Fall ist

∑j∈Jn

|aj | ≤∞∑

k=m(n)

|ak| .

Falls Jn leer sein sollte, setzen wir der Einfachheit halber m(n) = n und sehen, dass dieselbe Abschätzungtrivialerweise gilt, weil die linke Summe dann leer ist, also den Wert 0 hat. Aus der Bijektivität von φfolgt dass m(n)→∞ für n→∞ gilt. Daher können wir immer ein N1 ∈ R+ �nden, so dass aus n ≥ N1

folgt ∑j∈Jn

|aj | ≤∞∑

k=m(n)

|ak| ≤ ε .

Daher ist |a−∑nk=1 aφ(k)| < 2ε für alle n ≥ max{N,N1}, und deshalb gilt die Behauptung. 2

Für reelle Reihen zeigen wir jetzt, dass absolute und unbedingte Konvergenz äquivalent sind. Genauerzeigen wir, dass bei einer konvergenten aber nicht absolut konvergenten Reihe in R durch Umordnungjeder Wert in R als Grenzwert erhalten wird � insbesondere gibt es auch divergente Umordnungen.

50

Satz 5.4.3 Sei eine Reihe∑∞k=1 ak in R gegeben, welche konvergent aber nicht absolut konvergent ist.

Sei weiter a ∈ R beliebig vorgegeben. Dann existiert eine Umordnung∑∞k=1 aφ(k), welche konvergiert bzw.

bestimmt divergiert und den Wert a hat.

Beweis: Wir beschränken uns auf den Fall a ∈ R; die Fälle a = ±∞ werden ähnlich behandelt � siehedazu auch die untenstehenden Aufgaben.

Da∑∞k=1 ak nicht absolut konvergiert, müssen unendlich viele der Glieder positiv bzw. negativ sein.

Daher können wir die Folge (ak) in zwei Teilfolgen (af(k)) bzw. (ag(k)) zerlegen, so dass af(k) ≥ 0 bzw.ag(k) < 0 für alle k ≥ 1 ist. Der Einfachheit halber schreiben wir

bk = af(k), ck = − ag(k) ∀ k ≥ 1.

Wir sehen dann, dass zu jedem n ∈ N natürliche Zahlen m±n ≤ n existieren, für welche

sn =

n∑k=1

ak =

m+n∑

k=1

bk −m−

n∑k=1

ck

gilt. Daraus folgt wegen der Konvergenz der Partialsummenfolge (sn): Wäre eine der Reihen∑∞k=1 bk

bzw.∑∞k=1 ck konvergent, so müsste auch die zweite konvergieren, und dann wäre

∑∞k=1 ak sogar absolut

konvergent, was ausgeschlossen ist. Daher folgt∞∑k=1

bk =

∞∑k=1

ck = ∞. (5.4.1)

Wir de�nieren nun eine Umordnung der Reihe∑∞k=1 ak auf folgende Weise: Wir bestimmen das minimale

k+1 derart, dassk+1∑k=1

bk > a.

Danach bestimmen wir das minimale k−1 so, dass

k+1∑k=1

bk −k−1∑k=1

ck < a.

Anschlieÿend suchen wir das minimale k+2 > k1, für welches

k+1∑k=1

bk −k−1∑k=1

ck +

k+2∑k=k1+1

bk > a,

u. s. w. Wegen (5.4.1) ist es tatsächlich möglich, die k±j wie angegeben zu bestimmen. Die Zahlen

b1, . . . , bk+1,−c1, . . . ,−ck−1 , bk+1 +1, . . . , bk+2

, . . .

sind aber nichts anderes als die Zahlen ak in anderer Reihenfolge. Deshalb entsteht bei dieser Konstruktioneine Umordnung der Reihe

∑∞k=1 ak. Da wir die Zahlen k

±j jeweils minimal bestimmen, unterscheiden sich

die Partialsumme dieser Umordnung von dem Wert a um weniger als ein entsprechendes Glied der Folge(ak). Da dies die Glieder einer konvergenten Reihe sind, müssen sie gegen 0 konvergieren, und darausfolgt die Konvergenz der umgeordneten Reihe gegen den Wert a. 2

Aufgabe 5.4.4 Führe den Beweis von Satz 5.4.3 für den Fall a =∞.

Aufgabe 5.4.5 Zeige, dass unter den Voraussetzungen von Satz 5.4.3 auch eine Umordnung existiert,welche weder konvergiert noch bestimmt divergiert.

51

5.5 Doppelreihen und der groÿe Umordnungssatz

De�nition 5.5.1 Sei J eine abzählbar unendliche Menge, und sei jedem j ∈ J eine Zahl aj ∈ K zuge-ordnet. Sei ferner φ : N −→ J bijektiv. Falls die Reihe

∑∞k=1 aφ(k) absolut konvergiert, hängt ihr Wert a

nach Proposition 5.4.2 nicht von der Abzählung φ ab, denn jedes andere bijektive ψ : N −→ J entsprichtgenau einer Umordnung der Reihe. Deshalb schreiben wir auch kurz

a =∑j∈J

aj

und sagen auch, dass∑j∈J aj absolut konvergiert. Seien Jk paarweise disjunkte Teilmengen von J ,

deren Vereinigung gleich J ist. Dann nennen wir die Jk auch kurz eine Zerlegung von J . Da J abzählbarunendlich ist, können höchstens abzählbar viele Jk nicht leer sein, und jedes Jk ist höchstens abzählbar.Falls J = N × N ist, ist jedes einzelne j ∈ J ein Paar (k, ν) von natürlichen Zahlen. In diesem Fallschreiben wir auch ∑

j∈Jaj =

∑k,ν∈N

akν =

∞∑k,ν=1

akν

oder ähnlich, und nennen diesen Ausdruck eine Doppelreihe. Die beiden Ausdrücke

∞∑ν=1

( ∞∑k=1

akν

)bzw.

∞∑k=1

( ∞∑ν=1

akν

)heiÿen die beiden zu der Doppelreihe gehörigen iterierten Reihen.

Satz 5.5.2 (Groÿer Umordnungssatz) Sei J abzählbar unendlich, und seien Jk, k ∈ N, eine Zerle-gung von J . Sei ferner j 7→ aj eine Abbildung von J in K, so dass

∑j∈J aj absolut konvergiert. Dann

konvergieren auch alle∑j∈Jk aj absolut, und es gilt

∑j∈J

aj =∞∑k=1

( ∑j∈Jk

aj

). (5.5.1)

Beweis: Die absolute Konvergenz der∑j∈Jk aj folgt, da (bei einer beliebigen Wahl einer Abzählung von

Jk) die Partialsummen von∑j∈Jk |aj | niemals gröÿer als

∑j∈J |aj | sein kann. Falls einige der Mengen

Jk endlich sind, können wir sie vergröÿern und die entsprechenden aj = 0 setzen. Deshalb sei für denBeweis angenommen, dass alle Jk abzählbar unendlich sind, und dann können wir o. B. d. A. annehmen,dass Jk = {(k, ν) : ν ∈ N}, also J = N × N ist. Wir schreiben dann besser ak,ν statt aj , so dass auf derlinken Seite von (5.5.1) eine Doppelreihe steht, während

∑j∈Jk aj =

∑∞ν=1 ak,ν ist. Sei

a =∑j∈J

aj =∑k,ν∈N

ak,ν , ck =∑j∈Jk

aj =∑ν∈N

ak,ν , b =∞∑k=1

ck

gesetzt, dann ist zu zeigen dass b = a ist. Dazu betrachten wir für irgendeine streng monoton wachsendeFolge (m(n)) natürlicher Zahlen die Summen s(n) =

∑nk=1

∑m(n)ν=1 akν . Aus der absoluten Konvergenz

der Doppelreihe folgt s(n)→ a für n→∞. Bei festem n gilt

n∑k=1

m∑ν=1

akν →n∑k=1

ck (m→∞) ,

und daher können wir m(n) so wählen, dass |s(n)−∑nk=1 ck| < 1/n ist � und dies gelingt auch mit einer

streng monoton wachsenden Folge (m(n)). Daraus folgt aber a = b. 2

52

Zwei einfache, aber sehr wichtige Folgerungen aus dem groÿen Umordnungssatz sind in dem nächstenKorollar enthalten.

Korollar zu Satz 5.5.2

(a) Ist∑∞n=0 an absolut konvergent, so sind es auch die Reihen

∑∞n=0 a2n und

∑∞n=0 a2n+1, und es gilt

∞∑n=0

an =

∞∑n=0

a2n +

∞∑n=0

a2n+1 .

(b) Ist eine Doppelreihe∑∞k,ν=1 akν absolut konvergent, so konvergieren auch beide iterierte Reihen

absolut, und es gilt∞∑

k,ν=1

akν =∞∑ν=1

( ∞∑k=1

akν

)=

∞∑k=1

( ∞∑ν=1

akν

)

Beweis: Zu (a): Wende den groÿen Umordnungssatz an mit J1 = {2n : n ≥ 0}, J2 = {2n+1 : n ≥ 0}, undJk = ∅ sonst. Zu (b): Für Jk = N für alle k ∈ N folgt die linke Gleichung aus dem groÿen Umordnungssatz,und durch Vertauschen von k und ν ergibt sich die andere. 2

De�nition 5.5.3 Für Reihen∑∞k=0 ak und

∑∞k=0 bk in K heiÿt die neue Reihe

∑∞k=0 ck mit

ck =

k∑j=0

ak−j bj =

k∑j=0

bk−j aj ∀ k ≥ 0 (5.5.2)

das Cauchy-Produkt der Ausgangsreihen.

Satz 5.5.4 Sind die Reihen∑∞k=0 ak und

∑∞k=0 bk beide absolut konvergent, und gilt (5.5.2), so folgt die

absolute Konvergenz von∑∞k=0 ck, und es gilt

∞∑k=0

ck =( ∞∑k=0

ak

) ( ∞∑k=0

bk

).

Beweis: Die Doppelreihe∑∞n,m=0 an bm ist wegen

N∑n,m=0

|an bm| ≤( ∞∑n=0

|an|) ( ∞∑

m=0

|bm|)

absolut konvergent. Wendet man den groÿen Umordnungssatz auf die Mengen Jk = {(n,m) ∈ N0 × N0 :n +m = k} an, so sieht man dass der Wert der Doppelreihe gleich

∑∞k=0 ck ist. Andererseits folgt für

Jk = {(k,m) : m ∈ N}, dass der Wert auch gleich dem Produkt der beiden Reihen∑∞k=0 ak und

∑∞k=0 bk

ist. 2

Aufgabe 5.5.5 Gib ein einfaches Beispiel einer konvergenten Reihe∑∞k=0 ak, für welche die Reihen∑∞

k=0 a2k und∑∞k=0 a2k+1 beide divergieren. Vergleiche dies mit obigem Korollar zum groÿen Umord-

nungssatz.

53

Aufgabe 5.5.6 Zeige mit dem groÿen Umordnungssatz: Ist∑∞k=p

∑kj=p |akj | <∞, so gilt

∞∑k=p

k∑j=p

akj =∞∑j=p

∞∑k=j

akj .

Aufgabe 5.5.7 Zeige für alle x ∈ C mit |x| < 1 die Gleichung

∞∑k=1

k xk =x

(1− x)2.

Anleitung: Beachte k =∑kj=1 1 und verwende die vorherige Aufgabe.

5.6 Dual- und Dezimalzahlen

Im Folgenden sei g ∈ N \ {1} fest gegeben.

De�nition 5.6.1 Die Zahl g heiÿe im Weiteren die Basis für die g-adische Zahldarstellung. Die ganzenZahlen 0, 1, . . . , g − 1 heiÿen die Zi�ern der Darstellung. Eine Reihe der Form

∞∑k=1

zkgk

heiÿt eine g-adische Reihe, falls die zk Zi�ern sind, falls also zk ∈ {0, 1, . . . , g−1} für alle k ist, und fallszk < g− 1 für unendlich viele k gilt. O�enbar ist jede g-adische Reihe konvergent, denn

∑∞k=1(g− 1)/gk

ist eine konvergente Majorante. Im Fall g = 10 sprechen wir auch von Dezimalreihen, für g = 2 vonDualreihen, und für g = 16 von Hexadezimalreihen.

Eine beliebige reelle Zahl x läÿt sich eindeutig zerlegen als x = p+ξ, mit p = [x] ∈ Z und 0 ≤ ξ < 1. NachSatz 2.6.10 besitzt p eine g-adische Zahldarstellung, und wir wollen jetzt zeigen, dass ξ sich als g-adischeReihe schreiben läÿt:

Satz 5.6.2 (g-adische Zahldarstellung reeller Zahlen)Eine Zahl ξ ∈ [0, 1) besitzt eine eindeutige Darstellung als g-adische Reihe, d. h., es gibt eindeutig be-stimmte zk ∈ {0, 1, . . . , g − 1} mit zk < g − 1 für unendlich viele k ∈ N, so dass

ξ =∞∑k=1

zkgk

. (5.6.1)

Beweis: Sei angenommen, dass (5.6.1) schon gezeigt wäre. Die Partialsummen ξn =∑nk=1 zk/g

k sindo�ensichtlich monoton wachsend, und für rn = ξ − ξn gilt dann

0 ≤ rn =∞∑

k=n+1

zk/gk < (g − 1)

∞∑k=n+1

1/gk = 1/gn,

denn für mindestens ein k ≥ n+ 1 ist zk < g − 1. Daraus folgt aber

0 ≤ gn rn = gn rn−1 − zn < 1,

54

und daher muss zn = [gn rn−1] sein. Dies zeigt, dass die Zi�er zn eindeutig festliegt (wenn man vorherschon z1, . . . , zn−1 gefunden hat). De�niert man umgekehrt die Folgen (zn) und (rn) durch die Vorschriftr0 = ξ und

zn = [gn rn−1] , rn = ξ −n∑k=1

zkgk

= rn−1 −zngn

∀ n ∈ N, (5.6.2)

so folgt induktiv zn ∈ {0, 1, . . . , g − 1} und 0 ≤ rn < 1/gn, also rn → 0 für n→∞. 2

Korollar zu Satz 5.6.2 Das Intervall [0, 1) ist überabzählbar.

Beweis: Aus Satz 2.5.6 folgt, dass die Menge aller Zi�ernfolgen (zk) überabzählbar ist. Die Menge derFolgen, für die alle zk ab einer Stelle gleich g − 1 sind, ist abzählbar unendlich. Folglich ist die Mengealler g-adischen Reihen überabzählbar, und daraus folgt die Behauptung. 2

De�nition 5.6.3 Wir nennen manchmal eine g-adische Reihe auch g-adische Entwicklung einer Zahlund schreiben

∞∑k=1

zkgk

= 0, z1 z2 z3 . . .

Für g = 10 bzw. g = 2 bzw. g = 16 sprechen wir auch von einer dezimalen bzw. dualen bzw. hexadezimalenDarstellung einer Zahl.

Eine solche Entwicklung heiÿt periodisch, falls es k0, p ∈ N gibt, für welche

zk+p = zk ∀ k ≥ k0.

Das kleinste p mit dieser Eigenschaft heiÿt auch die Periodenlänge der Entwicklung.

Behauptung 5.6.4 Die g-adische Entwicklung einer Zahl ξ ∈ [0, 1) ist genau dann periodisch, wennξ ∈ Q ist.

Beweis: Sei ξ =∑∞k=0 zk/g

k periodisch. Für k0 und p wie in der De�nition gilt dann znp+j+k0 = zj füralle n ∈ N0 und 0 ≤ j ≤ p− 1. Also folgt

ξ =

k0−1∑k=1

zkgk

+∞∑n=0

p−1∑j=0

zjgnp+j+k0

= r1 + r2gp

gp − 1,

mit r1 =∑k0−1k=1 zk/g

k, r2 =∑p−1j=0 zj/g

j+k0 . Dies zeigt, dass ξ rational ist.

Sei umgekehrt ξ ∈ Q, also ξ = ν/µ mit ν ∈ N0, µ ∈ N und ν < µ. Mit den Bezeichnungen aus (5.6.2) seiRn = gn rn. Dann folgt induktiv, dass µRn ∈ {0, 1, . . . , µ− 1} ist, und somit kann Rn nur endlich vieleverschiedene Werte annehmen. Wegen (5.6.2) gelten die Rekursionen

zn = [g Rn−1], Rn = g Rn−1 − zn ∀ n ∈ N,

und deshalb ist klar, dass sich die Werte der Zi�ern zn wiederholen, sobald Rn−1 einen Wert annimmt,der schon vorher von einem Rj angenommen wurde. Dies muss aber eintreten, da der Wertevorrat fürdie Rn eine endliche Menge ist. 2

Aufgabe 5.6.5 Finde die dezimalen, dualen und hexadezimalen Darstellungen folgender rationaler Zah-len:

1/2, 1/7, 1/9, 1/3.

55

5.7 Gleichmäÿige Konvergenz

De�nition 5.7.1 Gegeben sei eine beliebige Menge D und Funktionen fn, gk : D −→ K für alle n, k ∈N. Dann nennen wir (fn) eine Funktionenfolge auf D, und

∑∞k=1 gk eine Funktionenreihe auf D. Die

Funktionenfolge (fn) heiÿt aufD punktweise konvergent, falls für jedes x ∈ D die Folge (fn(x)) konvergentist. Ist dies der Fall, so heiÿt f : D −→ K, mit f(x) = limn→∞ fn(x) für alle x ∈ D, die Grenzfunktionder Folge. Analog heiÿt die Funktionenreihe

∑∞k=1 gk auf D punktweise konvergent, falls für jedes x ∈ D

die Reihe∑∞k=1 gk(x) konvergent ist, und die Grenzfunktion f ist dann durch f(x) =

∑∞k=1 gk(x) für

alle x ∈ D gegeben. Die Funktionenfolge (fn) heiÿt auf D gleichmäÿig konvergent, falls sie punktweisekonvergiert (gegen die Grenzfunktion f), und falls weiter gilt:

∀ ε > 0 ∃ N ∈ R+ ∀ n ∈ N ∀ x ∈ D : n ≥ N =⇒ |fn(x)− f(x)| < ε.

Analog heiÿt die Funktionenreihe∑∞k=1 gk auf D gleichmäÿig konvergent, falls sie punktweise konvergiert

(gegen die Grenzfunktion f), und falls weiter gilt:

∀ ε > 0 ∃ N ∈ R+ ∀ n ∈ N ∀ x ∈ D : n ≥ N =⇒∣∣∣ f(x) − n∑

k=1

gk(x)∣∣∣ < ε.

Also ist die gleichmäÿige Konvergenz der Funktionenreihe∑∞k=1 gk äquivalent mit der gleichmäÿigen

Konvergenz der Folge ihrer Partialsummenfolge.

Satz 5.7.2 (Cauchy-Kriterium für gleichm. Konv.) Mit den Bezeichnungen wie in obiger De�ni-tion gilt:

Die Funktionenfolge (fn) ist genau dann auf D gleichmäÿig konvergent, wenn

∀ ε > 0 ∃ N ∈ R+ ∀ n,m ∈ N ∀x ∈ D : n,m ≥ N =⇒ |fn(x)− fm(x)| < ε.

Die Funktionenreihe∑∞k=1 gk ist genau dann auf D gleichmäÿig konvergent, wenn

∀ ε > 0 ∃ N ∈ R+ ∀ n, p ∈ N ∀x ∈ D : n ≥ N =⇒∣∣∣ n+p∑k=n+1

gk(x)∣∣∣ < ε.

Beweis: Wird analog wie im Fall von Zahlenfolgen und -reihen gezeigt. 2

Satz 5.7.3 (Majorantenkriterium für gleichm. Konv.) Mit den Bezeichnungen wie in obiger De-�nition gilt:

Falls Zahlen ak ∈ R+ existieren, für welche gilt

|gk(x)| ≤ ak ∀ x ∈ D,∞∑k=1

ak < ∞,

dann ist die Funktionenreihe∑∞k=1 gk auf D gleichmäÿig konvergent.

Beweis: Sei ε > 0. Die Konvergenz von∑∞k=1 ak impliziert die Existenz von N ∈ R+ mit

∑n+pk=n+1 ak < ε

für alle n ≥ N . Wegen |∑n+pk=n+1 gk(x)| ≤

∑n+pk=n+1 ak folgt daher die Behauptung mit dem Cauchy-

Kriterium für gleichmäÿige Konvergenz. 2

56

Aufgabe 5.7.4 Zeige: Die Funktionenfolge (fn) mit fn(x) = xn ist auf dem abgeschlossenen Intervall[0, 1] nicht gleichmäÿig konvergent.

Aufgabe 5.7.5 Zeige: Die Funktionenfolge (fn) mit fn(x) = (1 − x)xn ist gleichmäÿig konvergent aufdem abgeschlossenen Intervall [0, 1].

Aufgabe 5.7.6 Zeige: Die Funktionenreihe∑∞k=1 x

k/k2 ist gleichmäÿig konvergent auf dem abgeschlos-senen Intervall [0, 1].

5.8 Potenzreihen

In diesem Abschnitt ist es naheliegend, die Theorie der Potenzreihen mit komplexen Koe�zienten undeiner komplexen Veränderlichen zu untersuchen. Allerdings sind in fast allen interessanten Beispielen dieKoe�zienten reell.

De�nition 5.8.1 Eine Reihe der Form∑∞k=0 ak (z − z0)k, mit ak, z0, z ∈ C, heiÿt eine Potenzreihe mit

Entwicklungspunkt z0 und Koe�zienten ak.

Beispiel 5.8.2 Die geometrische Reihe∑∞k=0 z

k ist eine, man kann sogar sagen: die wichtigste, Potenz-reihe mit Entwicklungspunkt z0 = 0 und Koe�zienten ak = 1. Eine zweite wichtige Potenzreihe, die schoneine Rolle gespielt hat, ist die Exponentialreihe

∑∞k=0 z

k/k!

Proposition 5.8.3 Gegeben sei eine Potenzreihe∑∞k=0 ak (z − z0)k. Dann gilt:

(a) Die Reihe konvergiert trivialerweise für z = z0, und ihr Wert ist gleich a0.

(b) Ist die Reihe für ein z = z1 6= z0 konvergent, so ist sie absolut konvergent für alle z ∈ C mit|z − z0| < |z1 − z0|.

Beweis: Teil (a) ist klar. Zu (b): Aus der Konvergenz für z = z1 folgt, dass (ak (z1−z0)k) eine Nullfolge,also insbesondere beschränkt ist. Daher gibt es ein K ∈ R+ mit |ak| ≤ K |z1 − z0|−k für alle k ≥ 0. Für|z − z0| < |z1 − z0| folgt deshalb

k

√|ak (z − z0)k| = |z − z0| k

√|ak| ≤

|z − z0||z1 − z0|

k√K ∀ k ≥ 0.

Wegen k√K → 1 für k →∞ ist die rechte Seite kleiner als 1− ε für ein genügend kleines ε > 0 und jedes

k ≥ k0. Mit dem Wurzelkriterium folgt deshalb die Behauptung. 2

De�nition 5.8.4 Gegeben sei eine Potenzreihe∑∞k=0 ak (z − z0)k. Die Zahl R ≥ 0 mit

1/R = lim supk→∞

k√|ak|

heiÿt der Konvergenzradius der Potenzreihe; hierbei gilt die Vereinbarung dass ausnahmsweise 1/0 =∞,und natürlich 1/∞ = 0, sein soll.

Satz 5.8.5 Sei eine Potenzreihe∑∞k=0 ak (z − z0)k gegeben, und sei R ihr Konvergenzradius. Dann ist

die Reihe absolut konvergent für alle z ∈ C mit |z−z0| < R, und divergent für alle z ∈ C mit |z−z0| > R,wobei für R = 0 die erste und für R =∞ die zweite Menge leer ist.

57

Beweis: Falls R > 0 ist, sei ein z mit R−1|z − z0| < 1 betrachtet. Dann gibt es ein ρ > 1/R so, dassρ |z − z0| < 1, und nach De�nition von limes superior gibt es ein k0 ∈ N mit k

√|ak| ≤ ρ für alle k ≥ k0.

Daraus folgt die Existenz von c > 0 mit |ak| ≤ c ρk für alle k ≥ 0, und deshalb ist die Potenzreihe absolutkonvergent für dieses z. Daraus folgt der erste Teil der Behauptung.

Falls R <∞ ist, sei ein z mit R−1|z−z0| > 1 betrachtet. Dann gibt es ein ρ < 1/R so, dass ρ |z−z0| ≥ 1,und nach De�nition von limes superior gilt dann k

√|ak| ≥ ρ für unendlich viele k ≥ 0. Für diese k ist

dann |ak (z − z0)k| ≥ 1, und somit kann die Reihe nicht konvergieren. 2

Potenzreihen sind Spezialfälle von Funktionenreihen, und deshalb ist es sinnvoll, die Frage nach dergleichmäÿigen Konvergenz zu stellen:

Satz 5.8.6 (Gleichmäÿige Konvergenz von Potenzreihen) Sei eine Potenzreihe∑∞k=0 ak (z−z0)k

mit einem Konvergenzradius R > 0 gegeben, und sei 0 < r < R. Dann konvergiert die Potenzreihegleichmäÿig für alle z mit |z − z0| ≤ r.

Beweis: Sei 0 < δ < 1/r − 1/R. Nach De�nition des limes superior gilt k√|ak| ≤ δ + 1/R < 1/r für alle

k ≥ k0, woraus für |z − z0| ≤ r folgt dass

|z − z0|k |ak| ≤ rk (δ + 1/R)k ∀ k ≥ k0.

Wegen r(δ+1/R) < 1 folgt die Behauptung mit dem Majorantenkriterium für gleichmäÿige Konvergenz.2

Behauptung 5.8.7 Sei eine Potenzreihe∑∞k=0 ak (z − z0)k gegeben, und sei R ihr Konvergenzradius.

Falls ak 6= 0 ist für alle k ≥ k0 ist, dann gilt

lim infk→∞

|ak||ak+1|

≤ R ≤ lim supk→∞

|ak||ak+1|

.

Falls die Folge (|ak|/|ak+1|)∞k=k0 konvergiert oder bestimmt divergiert, ergibt sich hieraus

R = limk→∞

|ak||ak+1|

.

Beweis: Für bk = ak (z − z0)k folgt

|bk+1||bk|

=|ak+1||ak|

(z − z0) .

Setzt man ρ+ = lim sup |ak|/|ak+1| und ρ− = lim inf |ak|/|ak+1|, so folgt für jedes ε > 0 die Existenz vonK, so dass

|z − z0|ρ+

− ε <|bk+1||bk|

<|z − z0|ρ−

+ ε ∀ k ≥ K .

Mit dem Quotientenkriterium folgt die Konvergenz von∑bk =

∑ak(z − z0)k für |z − z0| < ρ−, und

deshalb ist ρ− ≤ R. Für |z − z0| > ρ+ folgt dagegen, dass (bk) keine Nullfolge sein kann, und deshalbmuss R ≤ ρ+ sein. 2

Behauptung 5.8.8 (Produkt von Potenzreihen) Wenn die zwei Potenzreihen∑∞k=0 ak (z−z0)k und∑∞

k=0 bk (z − z0)k für |z − z0| < ρ absolut konvergieren, und zwar gegen die Funktionen a(z) bzw. b(z),so gilt für das Produkt

a(z) b(z) =

∞∑k=0

ck (z − z0)k , |z − z0| < ρ,

mit Koe�zienten ck =∑kj=0 ak−j bj, für k ≥ 0.

58

Beweis: Folgt aus Satz 5.5.4. 2

Jede Potenzreihe mit Entwicklungspunkt z0 und einem positiven Konvergenzradius R de�niert eine Funk-tion der Variablen z auf der Kreisscheibe um z0 mit Radius R. Auf diese Weise erhält man viele wichtigeBeispiele von Funktionen; z. B. die folgenden:

De�nition 5.8.9 Wir bezeichnen

sin z =∞∑k=0

(−1)k z2k+1

(2k + 1)!, cos z =

∞∑k=0

(−1)k z2k

(2k)!

als die Sinus- bzw. Cosinusfunktion, und

sinh z =

∞∑k=0

z2k+1

(2k + 1)!, cosh z =

∞∑k=0

z2k

(2k)!

als die Funktionen sinus hyperbolicus bzw. cosinus hyperbolicus. Alle diese Reihen konvergieren absolutfür alle z ∈ C. Die ersten beiden Funktionen heiÿen auch trigonometrische, die anderen hyperbolischeFunktionen. Beachte, dass für z = x ∈ R alle diese Funktionen auch reelle Werte haben, während fürallgemeines z die Werte komplex sind.

Weiter sei noch de�niert:

tan z =sin z

cos z, cot z =

cos z

sin z, tanh z =

sinh z

cosh z, coth z =

cosh z

sinh z.

Diese Funktionen sind natürlich nur dort de�niert, wo die jeweilige Nennerfunktion nicht verschwindet;vergleiche dazu Satz 7.5.3.

Aufgabe 5.8.10 Berechne den Konvergenzradius von∑∞k=0 k

m zk, für beliebiges m ∈ N, mit Hilfe vonBehauptung 5.8.7.

Aufgabe 5.8.11 Zeige, dass alle Potenzreihen in obigem Beispiel den Konvergenzradius R =∞ haben.

5.9 Einige wichtige Identitäten

Mit Hilfe der Potenzreihen für die Exponentialfunktion sowie die trigonometrischen Funktionen lassensich folgende Identitäten beweisen:

Behauptung 5.9.1 (Funktionalgl. der e-funktion im Komplexen)

∀ z1, z2 ∈ C : exp(z1 + z2) = exp(z1) exp(z2).

Beweis: Unter Verwendung der binomischen Formel folgt

exp(z1 + z2) =∞∑k=0

1

k!

k∑j=0

(k

j

)zj1 z

k−j2 =

∞∑j=0

zj1j!

∞∑k=j

zk−j2

(k − j)!

=∞∑j=0

zj1j!

∞∑k=0

zk2k!

= exp(z1) exp(z2),

also gilt die Behauptung. 2

59

Behauptung 5.9.2 Für alle n ∈ N und alle x ∈ R ist

exp(nx) =[exp(x)

]n, exp(x/n) = n

√exp(x) .

Beweis: Die erste Gleichung folgt induktiv aus der Funktionalgleichung, die zweite folgt dann aus derersten und der De�nition der n-ten Wurzel. 2

De�nition 5.9.3 Auf Grund der vorstehenden Behauptung schreiben wir jetzt auch

exp(z) = ez ∀ z ∈ C.

Behauptung 5.9.4 (Eulersche Gleichung) Für alle z ∈ C gilt

eiz = cos z + i sin z .

Beweis: Wegen i2 = −1 folgt

∞∑k=0

(iz)k

k!=

∞∑k=0

(−1)kz2k

(2k)!+ i

∞∑k=0

(−1)kz2k+1

(2k + 1)!,

also die Behauptung auf Grund der De�nition der trigonometrischen Funktionen. 2

Behauptung 5.9.5 (Additionstheoreme) Für alle z1, z2 ∈ C gelten

(a) sin(z1 + z2) = sin z1 cos z2 + cos z1 sin z2,

(b) cos(z1 + z2) = cos z1 cos z2 − sin z1 sin z2.

Beweis: Wegen der Eulerschen Gleichung und der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion ist

e±i (z1+z2) = cos(z1 + z2) ± i sin(z1 + z2)

= (cos z1 ± i sin z1) (cos z2 ± i sin z2)

= cos z1 cos z2 − sin z1 sin z2 ± i (sin z1 cos z2 + cos z1 sin z2).

Durch Addition bzw. Subtraktion dieser beiden Gleichungen folgt die Behauptung. 2

Behauptung 5.9.6 Für alle z = x+ i y ∈ C gilt

cos2 z + sin2 z = 1 ,∣∣ ez∣∣ = ex .

Beweis: Wegen der Eulerschen Gleichung und der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion istcos2 z + sin2 z = (cos z + i sin z) (cos z − i sin z) = eiz e−iz = e0 = 1. Daher gilt die erste Gleichung. Diezweite folgt aus der ersten und der Funktionalgleichung. 2

Weitere sehr wichtige Identitäten sind in der folgenden Aufgabe enthalten � zum Beweis kann man teilwei-se Formeln benutzen, die schon vorher gezeigt wurden, aber man kann auch direkt mit den Potenzreihender trigonometrischen bzw. hyperbolischen Funktionen arbeiten.

60

Aufgabe 5.9.7 Zeige folgende weitere Identitäten, jeweils für alle z = x+ i y ∈ C :

• cos z =exp(iz) + exp(−iz)

2, sin z =

exp(iz)− exp(−iz)2i

.

• ez = cosh z + sinh z.

• cosh z =exp(z) + exp(−z)

2, sinh z =

exp(z)− exp(−z)2

.

• cosh(iz) = cos z, sinh(iz) = i sin z.

• sin z = sinx cosh y + i cosx sinh y,

• cos z = cosx cosh y − i sinx sinh y,

• cosh2 z − sinh2 z = 1.

Zeige weiter | cos z|2 = cosh2 y − sin2 x, und �nde eine analoge Gleichung für | sin z|. Schlieÿe hieraus,dass sin z und cos z, anders als im Reellen, in C unbeschränkt sind.

61

Kapitel 6

Stetige Funktionen

6.1 De�nition der Stetigkeit

Im Folgenden betrachten wir Funktionen auf einem meist fest gewählten De�nitionsbereich D ⊂ K, sowieeinen weiteren Punkt x0 ∈ D. Der für uns wichtigste Fall ist der, wenn D ein Intervall in R und x0 einPunkt im Inneren des Intervalls oder einer der Randpunkte ist, aber meistens spielt die genaue Art vonD und x0 keine Rolle.

De�nition 6.1.1 Sei eine Funktion f : D −→ K gegeben. Wir sagen, dass f in einem Punkt x0 ∈ Dstetig ist, wenn folgendes gilt:

∀ ε > 0 ∃ δ > 0 ∀ x ∈ D : |x− x0| < δ =⇒ |f(x)− f(x0)| < ε. (6.1.1)

Falls f in jedem Punkt von D stetig ist, sagen wir kurz: f ist auf D stetig.

Wir sagen, dass f auf D einer Lipschitzbedingung genügt, oder dass f auf D Lipschitz-stetig ist, fallseine Konstante L ∈ R+ existiert, so dass

|f(x0) − f(x1)| ≤ L |x0 − x1| ∀ x0, x1 ∈ D.

Jedes solche L heiÿt auch Lipschitzkonstante für f (auf D).

Bemerkung 6.1.2 Sei f : D −→ K stetig in x0 ∈ D. Beachte, dass (6.1.1) trivialerweise richtig bleibt,wenn wir δ verkleinern; insofern ist δ durch ε nie eindeutig festgelegt. Es genügt aber zum Nachweis derStetigkeit für jedes ε > 0 ein (möglicherweise sehr kleines) δ > 0 zu �nden, für welches (6.1.1) gilt. Wirnennen manchmal ein solches δ auch ein zu ε gehöriges δ.

Wir nennen x0 ∈ D manchmal einen isolierten Punkt von D, falls es ein ρ > 0 gibt derart, dass für alleanderen Punkte x ∈ D \ {x0} gilt |x − x0| ≥ ρ. Beachte: Ist x0 ein solcher isolierter Punkt von D, sogilt (6.1.1) trivialerweise, sofern nur δ ≤ ρ ist. D. h., jede auf D de�nierte Funktion ist stetig in allenisolierten Punkten von D.

Beispiel 6.1.3 Konstante Funktionen und die identische Abbildung sind immer stetig, denn sie erfüllendie De�nition für beliebiges δ bzw. für δ = ε. Weiter folgt aus der Gültigkeit einer Lipschitzbedingungimmer die Stetigkeit auf D, denn dann gilt (6.1.1) für δ = ε/L. Weitere Beispiele erhalten wir aus demfolgenden Satz:

62

Satz 6.1.4 Gegeben sei eine beliebige Menge D ⊂ K, sowie Funktionen fn, gk : D −→ K für alle n, k ∈ N.Dann gilt

(a) Sind alle fn in einem Punkt x0 ∈ D stetig, und ist die Funktionenfolge (fn) auf D gleichmäÿigkonvergent, so ist die Grenzfunktion f ebenfalls stetig in x0.

(b) Sind alle gk in einem Punkt x0 ∈ D stetig, und ist die Funktionenreihe∑∞k=1 gk auf D gleichmäÿig

konvergent, so ist die Grenzfunktion f ebenfalls stetig in x0.

Beweis: Zu (a): Mit der Dreiecksungleichung folgt für x ∈ D:

|f(x)− f(x0)| ≤ |f(x)− fn(x)| + |fn(x)− fn(x0)| + |fn(x0)− f(x0)|.

Ist ε > 0 gegeben, so folgt aus der gleichmäÿigen Konvergenz die Existenz von N ∈ R+, für welches dererste und der dritte Term auf der rechten Seite beide kleiner als ε/3 sind, falls nur n ≥ N ist (unabhängigvon der Wahl von x ∈ D). Für festes n folgt aus der Stetigkeit von fn die Existenz eines δ > 0, für welchesder mittlere Term ebenfalls kleiner als ε/3 ist, sobald nur |x − x0| < δ ist. Also folgt |f(x) − f(x0)| < εfür |x− x0| < δ. Das ist aber die Stetigkeit von f im Punkt x0.

Zu (b): Folgt aus (a) für fn =∑nk=1 gk. 2

Behauptung 6.1.5 Die Exponentialfunktion, die trigonometrischen und die hyperbolischen Funktionensind stetig auf ganz C.

Beweis: Folgt aus Satz 5.8.6 und Satz 6.1.4. 2

Proposition 6.1.6 (Folgenstetigkeit) Genau dann ist f : D → K stetig in x0 ∈ D, wenn für jedeFolge (xn) in D mit xn −→ x0 auch f(xn) −→ f(x0) gilt für n→∞.

Beweis: Sei f stetig in x0, und sei (xn) eine Folge in D mit xn −→ x0 für n → ∞. Seien ferner ε > 0beliebig und δ > 0 wie in (6.1.1). Dann gibt es ein N derart, dass |xn − x0| < δ ist, wenn n ≥ N , unddaher folgt mit (6.1.1), dass |f(xn) − f(x0)| < ε für diese n. Daraus folgt die Konvergenz von (f(xn))gegen f(x0). Sei jetzt f nicht stetig in x0. Dann folgt:

∃ ε > 0 ∀ δ > 0 ∃ x ∈ D : |x− x0| < δ , |f(x)− f(x0)| ≥ ε.

Wenn wir δ = 1/n setzen (für n ∈ N genügend groÿ) und das zugeörige x mit xn bezeichnen, dannerhalten wir eine Folge (xn), welche gegen x0 konvergiert, während die Folge (f(xn)) sicher nicht gegenf(x0) geht. Das ist die umgekehrte Richtung der Behauptung. 2

Mit dieser äquivalenten Charakterisierung der Stetigkeit und den Rechenregeln für konvergente Folgenzeigen wir jetzt entprechende Regeln für stetige Funktionen:

Proposition 6.1.7 (Rechenregeln für Stetigkeit)

(a) Sind f, g : D −→ K beide stetig in x0 ∈ D, so sind auch f + g und f g stetig in x0.

(b) Sind f : D −→ D1 und g : D1 −→ K stetig in x0 ∈ D bzw. f(x0) ∈ D1, so ist die Hintereinander-ausführung g ◦ f : D −→ K stetig in x0.

(c) Ist f : D −→ K stetig in x0 ∈ D, und ist f(x0) 6= 0, so gibt es ein r > 0 derart, dass f(x) 6= 0 istauf D1 = D ∩ {x : |x− x0| < r}, und 1/f : D1 → K ist wieder stetig in x0.

63

Beweis: Die Aussagen (a) und (b) folgen sofort aus den Rechenregeln für Folgen und der vorhergehendenProposition. Für (c) genügt es, die erste Teilaussage zu zeigen. Dazu sei ε = |f(x0)| gesetzt. Wegen derStetigkeit gibt es dann ein zugehöriges δ > 0, und für dieses folgt mit der Dreiecksungleichung nach unten|f(x)| ≥ |f(x0)| − |f(x)− f(x0)| = ε− |f(x)− f(x0)| > 0 falls nur x ∈ D und |x− x0| < δ ist. Daher giltdie Behauptung mit r = δ. 2

Aufgabe 6.1.8 Zeige: Jedes Polynom ist stetig in C, jede rationale Funktion ist auf ihrem natürlichenDe�nitionsbereich stetig. Zeige weiter die Stetigkeit der Abbildung z 7→ |z| auf C.

6.2 Eigenschaften stetiger Funktionen

In diesem Abschnitt sei ein festes abgeschlossenes Intervall [a, b] ⊂ R betrachtet, wobei a < b sei.

Satz 6.2.1 (Existenz von Maximum und Minimum) Sei f : [a, b] −→ R stetig. Dann nimmt f einMaximum und ein Minimum an. Das heiÿt genauer: Es gibt Punkte x∗, x

∗ ∈ [a, b] mit

f(x∗) ≤ f(x) ≤ f(x∗) ∀ x ∈ [a, b] .

Insbesondere ist f auf [a, b] beschränkt.

Beweis: Sei y = sup{f(x) : a ≤ x ≤ b} (also evtl. y =∞, was wir aber ausschlieÿen wollen). Dann gibtes eine Folge (xn) in [a, b] derart, dass f(xn) → y für n → ∞. Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraÿbesitzt diese Folge eine konvergente Teilfolge; diese Teilfolge sei o. B. d. A. wieder mit (xn) bezeichnet,und ihr Grenzwert sei x∗. Wegen der Stetigkeit von f folgt f(xn) −→ f(x∗) = y. Also ist y ∈ R, undf(x) ≤ f(x∗) für alle x ∈ [a, b]. Analog zeigt man die Existenz von x∗. 2

Bemerkung 6.2.2 Der letzte Satz bleibt richtig, wenn der De�nitionsbereich von f eine abgeschlosseneund beschränkte Teilmenge D von R oder sogar von C ist, da dann auch sein Beweis genauso geführtwerden kann. Dabei soll D abgeschlossen genannt werden, wenn für jede konvergente Folge in D auchder Grenzwert der Folge zu D gehört. Dies wird auch im zweiten Teil der Vorlesung eine Rolle spielen.

Satz 6.2.3 (Zwischenwertsatz) Sei f : [a, b] −→ R stetig. Sei ferner y eine beliebige Zahl mit f(a) ≤y ≤ f(b) oder f(b) ≤ y ≤ f(a). Dann gibt es ein x ∈ [a, b] mit f(x) = y.

Beweis: Sei f(a) ≤ y ≤ f(b) angenommen (sonst: betrachte −f). Sei x = sup{ξ ∈ [a, b] : f(ξ) ≤ y}.Wäre f(x) < y, so würde aus der Stetigkeit von f folgen, dass f(x+h) < y wäre für genügend kleine h > 0,was der De�nition von x widerspricht. Wäre f(x) > y, so wäre wegen der Stetigkeit auch f(x − h) > yfür hinreichend kleine h > 0, was ebenfalls nicht sein kann. Also folgt f(x) = y. 2

Korollar zu Satz 6.2.3 Sei I ein beliebiges Intervall, und sei f : I −→ R stetig. Dann ist f(I) ebenfallsein Intervall.

Beweis: Wenn y1, y2 ∈ f(I) gegeben sind, dann folgt mit Satz 6.2.3, dass jeder Wert zwischen y1 undy2 auch zur Wertemenge f(I) gehört, und deshalb folgt die Behauptung mit der nächsten Aufgabe. 2

64

Aufgabe 6.2.4 Sei A ∈ R eine nichtleere Menge mit der Zwischenwerteigenschaft, d. h., ∀ a, b ∈ A, a <b : [a, b] ⊂ A. Zeige: Dann ist A ein Intervall.

De�nition 6.2.5 Sei D ⊂ K, und sei f : D −→ K. Ein Punkt x0 ∈ D heiÿt Nullstelle von f , fallsf(x0) = 0 ist.

Aufgabe 6.2.6 Zeige, dass ein Polynom p ∈ R[x] von ungeradem Grad immer mindestens eine Nullstellein R hat. Gib ein Beispiel dafür, dass dies nicht so ist für Polynome mit geradem Grad.

Bemerkung 6.2.7 Sei f : [a, b] −→ R stetig, und seien f(a) ≥ 0 und f(b) ≤ 0, oder umgekehrt. Dannhat f mindestens eine Nullstelle auf [a, b], und eine dieser Nullstellen kann mit einem der folgenden zweiVerfahren näherungsweise berechnet werden:

1. (Bisektionsmethode) Falls f(a) = 0 oder f(b) = 0 ist, ist nichts mehr zu tun. Andernfallsseien a0 = a, b0 = b. Dann haben f(a0) und f(b0) unterschiedliche Vorzeichen, und somit istf(a0) f(b0) < 0. Sei jetzt x = (a0 + b0)/2. Falls f(x) = 0 ist, haben wir eine Nullstelle gefunden.Falls nicht, kann f(a0) f(x) < 0 gelten, und in diesem Fall seien a1 = a0, b1 = x gesetzt. Imanderen Fall gilt f(b0) f(x) < 0, und wir setzen a1 = x, b1 = b0. In beiden Fällen ist a1 < b1, undf(a1) f(b1) < 0.

Sind allgemein schon Zahlen an, bn mit an < bn und f(an) f(bn) < 0 gegeben, so sei jetzt x = (an+bn)/2. Wenn f(x) = 0 ist, stoppen wir das Verfahren. Wenn f(an) f(x) < 0 ist, seien an+1 = an,bn+1 = x gesetzt. Wenn dagegen f(bn) f(x) < 0 ist, seien an+1 = x, bn+1 = bn gesetzt. Insgesamtsehen wir, dass dieser Algorithmus entweder nach endlich vielen Schritten eine Nullstelle von f�ndet, oder aber zwei Zahlenfolgen (an), (bn) liefert, für die immer an < bn und f(an) f(bn) < 0ist, so dass nach dem Zwischenwertsatz eine Nullstelle von f im Intervall (an, bn) liegen muss. NachKonstruktion ist (an) wachsend und (bn) fallend, und bn − an = (b− a) 2−n. Also folgt Konvergenzbeider Folgen gegen denselben Grenzwert a, und dieser muss dann Nullstelle von f sein (Beweis?).

2. (regula falsi)Wir gehen genau wie bei der Bisektionsmethode vor, nur setzen wir in jedem Schrittx gleich der Schnittstelle der Geraden durch (an, f(an)) und (bn, f(bn)) mit der x-Achse, d. h.,

x =an f(bn) − bn f(an)

f(bn) − f(an).

Beide Verfahren konvergieren nicht besonders schnell gegen die gesuchte Nullstelle. Deshalb wird meistdas Newton-Verfahren besser geeignet sein; siehe hierzu Bemerkung 7.2.6.

Behauptung 6.2.8 Mit x0 =√2 (> 1, 41), x1 =

√6− 2

√3 (< 1, 6) gilt: Die Funktion cosx ist positiv

für x ∈ [0, x0) und hat mindestens eine Nullstelle auf dem Intervall [x0, x1].

Beweis: Aus (5.2.2) und der Tatsache, dass 1−x2/2+x4/24 = 0 ist für x = x1 folgt cosx1 ≤ 0. Darausfolgt die Behauptung mit dem Zwischenwertsatz. 2

Satz 6.2.9 (Stetigkeit der Umkehrfunktion) Sei I ⊂ R ein beliebiges Intervall, und sei f : I −→ Rstreng monoton und stetig auf I, also J = f(I) ebenfalls ein Intervall. Dann ist die Umkehrfunktionf−1 : J −→ I stetig auf J .

65

Beweis: Sei o. B. d. A. f streng monoton wachsend (sonst: betrachte −f). Sei y ∈ J beliebig, und seix ∈ I so, dass f(x) = y gilt. Sei zunächst x kein Randpunkt von I. Dann gilt für jedes genügend kleineε > 0, dass x± = x± ε ∈ I ist. Also ist y− = f(x−) < y < y+ = f(x+). Für δ = min{y− y−, y+ − y} giltdann x− < f−1(η) < x+ für alle η ∈ (y− δ, y+ δ). Also ist f−1 stetig im Punkt y. Falls x ein Randpunktvon I (also y ein solcher von J) ist, schlieÿt man ganz ähnlich. 2

6.3 Der Logarithmus im Reellen

Satz 6.3.1 Für x ∈ R ist die Exponentialfunktion ex streng monoton wachsend und nimmt jedes y ∈ R+

als Wert an.

Beweis: Für x ∈ R und h > 0 ist eh =∑∞k=0 h

k/k! > 1, also ex+h = ex eh > ex. Also ist ex strengmononton wachsend. Sei jetzt y0 ∈ R+ gegeben. Aus ex =

∑∞k=0 x

k/k! ≥ 1 + x für x ≥ 0 folgt dass esein x ∈ R gibt mit ex ≥ y0, und wegen e−x = 1/ex folgt auch die Existenz eines (anderen) x ∈ R mitex ≤ y0. Mit dem Zwischenwertsatz folgt dann, dass ex0 = y0 gilt für ein x0 ∈ R. 2

De�nition 6.3.2 Nach dem vorstehenden Satz ist exp : R −→ R+ bijektiv. Die Umkehrfunktion heiÿtder (natürliche) Logarithmus, und wir schreiben log : R+ −→ R, x 7→ log x. Klar ist dass log ebenfallsstreng monoton wachsend ist, und die Gleichung y = log x ist per De�nition äquivalent mit x = ey. Füra ∈ R+ und b ∈ C setzen wir noch

ab = eb log a . (6.3.1)

Aus dieser De�nition folgt unmittelbar dass im Fall b ∈ R gilt ab ∈ R+ und

log ab = b log a ∀ a ∈ R+, b ∈ R.

Beachte aber, dass im Allgemeinen ab eine komplexe Zahl ist, und dass deshalb log ab nicht de�niert ist.

Aufgabe 6.3.3 (Funktionalgleichung des Logarithmus) Zeige

∀ x, y ∈ R+ : log(x y) = log x + log y .

Aufgabe 6.3.4 (Rechenregeln für allgemeine Potenzen) Zeige:

∀ a ∈ R+ ∀ b, c ∈ C : ab ac = ab+c ,

∀ a ∈ R+ ∀ b ∈ R ∀ c ∈ C :(ab)c

= abc .

6.4 Gleichmäÿige Stetigkeit

De�nition 6.4.1 Eine Funktion f : D −→ K heiÿt auf D gleichmäÿig stetig, falls folgendes gilt:

∀ ε > 0 ∃ δ > 0 ∀ x1, x2 ∈ D : |x1 − x2| < δ =⇒ |f(x1)− f(x2)| < ε .

Aufgabe 6.4.2 Zeige: Die Funktion x 7→ 1/x ist auf R+ nicht gleichmäÿig stetig.

66

Satz 6.4.3 Sei f stetig auf einem abgeschlossenen Intervall [a, b] ⊂ R. Dann ist f dort auch gleichmäÿigstetig.

Beweis: Sei f : D −→ K nicht gleichmäÿig stetig auf D. Dann gibt es ein ε > 0 so, dass für jedesn ∈ N zwei Punkte xn, xn ∈ D existieren, für die gilt |xn − xn| < 1/n, aber |f(xn) − f(xn)| ≥ ε.Hätte die Folge (xn) eine konvergente Teilfolge, so wäre die entsprechende Teilfolge von (xn) ebenfallskonvergent, und zwar gegen denselben Grenzwert x. Wenn dieses x zu D gehören würde, würden dieentsprechenden Teilfolgen von (f(xn)) und (f(xn)) beide gegen f(x) konvergieren; dies kann aber nichtsein. Das heiÿt, dass (xn) keine Teilfolge besitzen kann, welche gegen ein x ∈ D konvergiert. Falls D einabgeschlossenes Intervall ist, ist (xn) beschränkt und muss deshalb nach dem Satz von Bolzano-Weierstraÿeine konvergente Teilfolge besitzen, und deren Grenzwert muss dann zu D gehören. Darum muss also fgleichmäÿig stetig sein. 2

6.5 Funktionsgrenzwerte

De�nition 6.5.1 Seien a, b ∈ R mit a < b und ein f : (a, b) −→ R gegeben. Wir sagen, dass f gegen einy ∈ R konvergiert, wenn x von oben gegen a strebt, falls gilt

∀ ε > 0 ∃ c ∈ (a, b) ∀ x ∈ (a, c) : |f(x)− y| < ε .

Analog sagen wir, dass f gegen ein y ∈ R konvergiert, wenn x von unten gegen b strebt, falls gilt

∀ ε > 0 ∃ c ∈ (a, b) ∀ x ∈ (c, b) : |f(x)− y| < ε .

Wir schreiben in diesen Fällen dann auch

limx→a+

f(x) = y bzw. limx→b−

f(x) = y .

Für ein c ∈ (a, b) schreiben wir limx→c

f(x) = y, wenn beide einseitigen Grenzwerte limx→c+

f(x) und

limx→c−

f(x) existieren und gleich y sind. In allen den vorstehenden Fällen kann man eine analoge De�nition

formulieren für die Fälle y = ∞ bzw. y = −∞; wir lassen dies hier aus, verweisen aber auf die nächsteBemerkung.

Falls für ein c ∈ (a, b) die einseitigen Grenzwerte beide existieren und endlich, aber verschieden sind,nennen wir c eine Sprungstelle von f und nennen lim

x→c+f(x)− lim

x→c−f(x) die Sprunghöhe von f an dieser

Stelle. Falls a ∈ R ist, und falls f auch an der Stelle a de�niert ist, so nennen wir a Sprungstelle, fallsder rechtsseitige Grenzwert existiert, und in diesem Fall ist die Sprunghöhe als lim

x→a+f(x)−f(a) de�niert.

In analoger Weise de�niert man eine Sprungstelle bzw. -höhe bei b.

Bemerkung 6.5.2 Analog wie bei der Folgenstetigkeit kann man zeigen dass genau dann limx→a+ f(x) =y ist, wenn für alle Folgen (xn) mit xn > a, welche gegen a konvergieren, die Folge (f(xn)) gegen y kon-vergiert. Analoge Aussagen gelten in allen anderen Fällen, inklusive der Fälle y =∞ bzw. y = −∞.

De�nition 6.5.3 Für a, b ∈ R, a < b, heiÿt f : [a, b] −→ R linksseitig stetig in einem Punkt x0 ∈ (a, b],wenn

limx→x0−

f(x) = f(x0).

Analog wird die rechtsseitige Stetigkeit de�niert. O�enbar ist f stetig an einer Stelle x0 ∈ (a, b), wenn esdort sowohl rechts- als auch linksseitig stetig ist. Wir nennen f auch stückweise stetig, wenn f bis aufendlich viele Ausnahmestellen xj ∈ [a, b] stetig ist, und wenn an diesen Stellen xj noch die einseitigenGrenzwerte existieren, d. h., wenn alle Unstetigkeitsstellen Sprungstellen sind. Es ist nicht schwer zuzeigen, dass eine auf [a, b] stückweise stetige Funktion dort beschränkt ist.

67

Wir zeigen noch folgenden klassischen Satz:

Satz 6.5.4 (Abelscher Grenzwertsatz) Seien ak ∈ R so, dass die Reihe∑∞k=0 ak konvergiert. Dann

konvergiert∑∞k=0 ak x

k für alle x ∈ (−1, 1], und es gilt

limx→1−

∞∑k=0

ak xk =

∞∑k=0

ak .

Beweis: Aus der Konvergenz der Reihe∑∞k=0 ak folgt, dass die Potenzreihe

∑∞k=0 ak x

k einen Konver-genzradius R ≥ 1 hat. Mit f(x) =

∑∞k=0 ak x

k, a =∑∞k=0 ak folgt dann aus Behauptung 5.8.8

f(x)

1− x=

∞∑n=0

xnn∑k=0

ak =

∞∑n=0

xn(a −

∞∑k=n+1

ak

)=

a

1− x−

∞∑n=0

xn∞∑

k=n+1

ak .

Die Reihenreste rn =∑∞k=n+1 ak bilden nach Proposition 5.1.6 eine Nullfolge. Also gibt es zu jedem ε > 0

ein n0 ∈ N derart, dass |rn| < ε ist für n ≥ n0. Daher folgt für 0 < x < 1:

|f(x)− a| ≤ (1− x)∣∣∣ n0−1∑n=0

xn rn

∣∣∣ + ε (1− x)∞∑

n=n0

xn

= (1− x)∣∣∣ n0−1∑n=0

xn rn

∣∣∣ + ε xn0 .

In dieser Abschätzung geht die rechte Seite für x→ 1− gegen ε, und daher folgt |f(x)− a| < 2ε, wenn xdicht genug bei 1 ist. Daraus folgt die Behauptung. 2

Aufgabe 6.5.5 Berechne den Grenzwert einer rationalen Funktion für x −→∞.

Aufgabe 6.5.6 Formuliere und beweise Rechenregeln für die oben eingeführten Funktionsgrenzwerte.

Aufgabe 6.5.7 Sei f : [a, b] −→ R monoton wachsend. Zeige: Alle eventuellen Unstetigkeitsstellen vonf sind Sprungstellen. Die Menge aller Unstetigkeitsstellen ist höchstens abzählbar. Falls es unendlich vieleSprungstellen xk ∈ [a, b] mit Sprunghöhen fk gibt, dann ist die Reihe

∑fk konvergent, und ihr Wert ist

höchstens gleich f(b)− f(a).

Aufgabe 6.5.8 Zeige mit dem Beispiel ak = (−1)k, dass es Reihen∑∞k=0 ak gibt welche nicht konver-

gieren, für die aber∑∞k=0 ak x

k für alle x ∈ (−1, 1) konvergiert und a = limx→1−∑∞k=0 ak x

k existiert.Man nennt die Zahl a auch den Wert der Reihe

∑∞k=0 ak im Sinne des Abelschen Summationsverfahrens.

Aufgabe 6.5.9 Benutze (5.2.2) und den Sandwich-Satz, um zu zeigen, dass

limx→0+

sinx

x= 1, lim

x→0+

cosx− 1

x2=−12.

Untersuche auch den linksseitigen Grenzwert.

68

Kapitel 7

Di�erenzialrechnung

7.1 Die Ableitung

De�nition 7.1.1 Sei x0 ∈ K, und sei r ∈ R+, sowie Ur(x0) = {x ∈ K : |x − x0| < r}. Sei weiterf : Ur(x0) −→ K. Für x ∈ Ur(x0) \ {x0}, also h = x− x0 6= 0, heiÿt

f(x) − f(x0)

x − x0=

f(x0 + h) − f(x0)

h

der Di�erenzenquotient von f im Punkt x0. Im Fall K = R ist dieser Di�erenzenquotient gleich derSteigung der Sekante durch die Punkte (x, f(x)) und (x0, f(x0)) des Graphen von f . Falls der Grenzwertdes Di�erenzenquotienten für x → x0 existiert, heiÿt er auch die (erste) Ableitung von f im Punkt x0,und wir nennen f auch di�erenzierbar im Punkt x0 und schreiben

f ′(x0) =d f

dx(x0) = lim

x→x0

f(x) − f(x0)

x − x0= lim

h→0

f(x0 + h) − f(x0)

h.

Für K = R interpretieren wir die Ableitung als die Steigung der Tangente an den Graphen von f im Punktx0. Sei D ⊂ K gegeben. Wir nennen ein f : D −→ K auf D di�erenzierbar, wenn es zu jedem x0 ∈ D einr > 0 gibt, für welches Ur(x0) ⊂ D ist, und falls weiter f in jedem Punkt von D di�erenzierbar ist. Istdies der Fall, so ist die Ableitung f ′ wieder eine auf D de�nierte Funktion. Diese Funktion kann selbstwieder in einem Punkt (oder allen Punkten) von D di�erenzierbar sein. Der Wert der Ableitung von f ′

in einem Punkt x0 ∈ D heiÿt dann auch die zweite Ableitung oder die Ableitung zweiter Ordnung von fan dieser Stelle. Enstprechend werden höhere als zweite Ableitungen von f de�niert. Wir schreiben dannauch

f ′′(x), f ′′′(x), f (n)(x)

oderd2

dx2f(x),

d3

dx3f(x),

dn

dxnf(x)

für den Wert der zweiten bzw. dritten bzw. n-ten Ableitung von f im Punkt x. Wenn eine Funktion fauf D n-mal di�erenzierbar und die n-te Ableitung noch stetig ist, sagen wir auch: f ist (mindestens)n-mal stetig di�erenzierbar auf D. Beachte, dass die Stetigkeit der Ableitungen der Ordnungen ≤ n − 1aus Satz 7.1.2 folgt, nicht aber die der n-ten Ableitung! Wenn eine Funktion auf D Ableitungen von jederOrdnung besitzt, nennen wir sie auch beliebig oft di�erenzierbar. Seien a < b und f : [a, b] −→ R gegeben.Wir sagen: f ist im Punkt a rechtsseitig di�erenzierbar, wenn

limh→0+

f(a+ h)− f(a)h

69

existiert, und wir nennen seinen Wert die rechtsseitige Ableitung von f im Punkt a. Analog de�nieren wirlinksseitige Ableitung/Di�erenzierbarkeit im Punkt b. Sei I ⊂ R ein beliebiges Intervall. Falls f : I −→ Rin jedem Punkt von I di�erenzierbar ist, wobei wir in evtl. Randpunkten die entsprechende einseitigeDi�erenzierbarkeit meinen, dann sagen wir auch: f ist auf I di�erenzierbar.

Eine unmittelbare Folgerung aus der De�nition der Ableitung ist:

Satz 7.1.2 Ist eine Funktion in einem Punkt x0 di�erenzierbar, so ist sie dort auch stetig.

Einfache Beispiele di�erenzierbarer Funktionen sind in der folgenden Behauptung enthalten:

Behauptung 7.1.3

(a) Ist c ∈ K, und ist f(x) = c für alle x ∈ K, so ist f in jedem Punkt x ∈ K di�erenzierbar, undf ′(x) = 0 für alle diese x.

(b) Ist f(x) = x für alle x ∈ K, so ist f in jedem Punkt x ∈ K di�erenzierbar, und f ′(x) = 1 für allediese x.

(c) Die Funktion x 7→ |x| ist im Nullpunkt sowohl rechts- als auch linksseitig di�erenzierbar, aber nichtdi�erenzierbar.

Beweis: Zu (a), (b): Der Di�erenzenquotient hat immer denselben Wert 0 bzw. 1, also folgt die Behaup-tung.

Zu (d): Der Wert des Di�erenzenquotienten im Nullpunkt ist für h > 0 (h < 0) gleich 1 (gleich −1), unddaraus folgt die Behauptung. 2

Satz 7.1.4 (Gliedweises Di�erenzieren von Potenzreihen) Sei eine Potenzreihe∑∞k=0 ak (z−z0)k

mit einem Konvergenzradius R > 0 gegeben, und sei f ihre Grenzfunktion. Dann ist f auf UR(z0)di�erenzierbar, und es gilt

f ′(z) =∞∑k=0

(k + 1) ak+1 (z − z0)k ∀ z ∈ UR(z0).

Beweis: Aus k√k → 1 für k →∞ folgt, dass der Konvergenzradius der Potenzreihe

∑∞k=0(k+1) ak+1 (z−

z0)k ebenfalls gleich R ist. Deshalb de�niert diese Reihe auf UR(z0) eine Funktion, welche wir mit g

bezeichnen wollen (und von der wir beweisen wollen, dass sie die Ableitung von f ist). Durch eineIndexverschiebung folgt dann

g(z) =∞∑k=1

k ak (z − z0)k−1 ∀ z ∈ UR(z0).

Sei jetzt z ∈ UR(z0) festgehalten, sei r < R− |z − z0|, und sei h ∈ C so, dass |h| ≤ r ist. Wegen

(z + h− z0)k − (z − z0)k = k h (z − z0)k−1 +k∑j=2

(k

j

)(z − z0)k−j hj

70

folgt, dass

∣∣∣f(z + h)− f(z)h

− g(z)∣∣∣ =

∣∣∣ ∞∑k=2

ak

k∑j=2

(k

j

)(z − z0)k−j hj−1

∣∣∣≤

∞∑k=2

|ak|k∑j=2

(k

j

)|z − z0|k−j |h|j−1

≤ |h| M,

mit M =∑∞k=2 |ak|

∑kj=2

(kj

)|z − z0|k−j rj−2 <∞. Daraus folgt die Behauptung. 2

Durch gliedweises Ableiten der entsprechenden Potenzreihen zeigt man nun leicht:

Korollar zu Satz 7.1.4 Die Exponentialfunktion, die trigonometrischen sowie die hyperbolischen Funk-tionen sind auf C di�erenzierbar, und es gilt

(ez)′ = ez ∀ z ∈ C,

(sin z)′ = cos z, (cos z)′ = − sin z ∀ z ∈ C,

(sinh z)′ = cosh z, (cosh z)′ = sinh z ∀ z ∈ C.

Aufgabe 7.1.5 Beweise das Korollar zu Satz 7.1.4.

Satz 7.1.6 (Rechenregeln für Ableitungen) Seien f und g beide in einem Punkt x0 di�erenzierbar.Dann sind auch f + g und f g dort di�erenzierbar, und es gilt

(f + g)′(x0) = f ′(x0) + g′(x0), (f g)′(x0) = f ′(x0) g(x0) + f(x0) g′(x0).

Ist g(x0) 6= 0, so ist auch f/g im Punkt x0 di�erenzierbar, und es gilt

(f/g)′(x0) =f ′(x0) g(x0) − f(x0) g

′(x0)

g2(x0).

Beweis: Die Regel für f + g folgt sofort aus der De�nition. Für den Beweis der Produktregel schreibenwir

(f g)(x)− (f g)(x0)

x− x0= f(x)

g(x)− g(x0)x− x0

+ g(x0)f(x)− f(x0)

x− x0.

Da f im Punkt x0 stetig ist, gilt limx→x0 f(x) = f(x0), und deshalb folgt die Produktregel. Zum Beweisder Quotientenregel: Zu ε = |g(x0)| > 0 gibt es nach De�nition der Stetigkeit ein δ > 0mit |g(x)−g(x0)| <ε für |x − x0| < δ, und daraus folgt |g(x)| ≥ |g(x0)| − (|g(x) − g(x0)|) > 0 für diese x. Also ist 1/g aufUδ(x0) de�niert und stetig, und dort ist

(1/g)(x)− (1/g)(x0)

x− x0= − 1

g(x) g(x0)

g(x)− g(x0)x− x0

.

Daraus folgt die Di�erenzierbarkeit von 1/g, und die Regel

(1/g)′(x0) = − g′(x0)

g2(x0).

Also folgt jetzt mit der Produktregel die Quotientenregel. 2

71

Satz 7.1.7 (Kettenregel) Sind f in x0 und g in y0 = f(x0) di�erenzierbar, so ist g ◦ f in x0 di�eren-zierbar, und es gilt

(g ◦ f)′(x0) = g′(f(x0)) f′(x0) .

Beweis: Aus der Stetigkeit von f folgt, dass g ◦f auf Ur(x0) de�niert ist, für ein genügend kleines r > 0.Aus der Di�erenzierbarkeit folgt

f(x) = f(x0) + (x− x0) [f ′(x0) + rf (x)], g(y) = g(y0) + (y − y0) [g′(y0) + rg(y)],

mit stetigen Funktionen rf , rg, welche gegen 0 gehen für x→ x0 bzw. y → y0. Daraus folgt

g(f(x)) = g(f(x0)) + [f(x)− f(x0)] (g′(f(x0)) + rg(f(x)))

= g(f(x0)) + (x− x0) (f ′(x0) + rf (x)) (g′(f(x0)) + rg(f(x)))

= g(f(x0)) + (x− x0) (g′(f(x0)) f ′(x0) + rfg(x)) ,

rfg(x) = rf (x) (g′(f(x0)) + rg(f(x))) + f ′(x0) rg(f(x)) .

Weil rf (x) → 0 und rg(f(x)) → 0 für x → x0 gilt, folgt rfg(x) → 0 für x → x0. Daraus folgt dann dieBehauptung. 2

Aufgabe 7.1.8 Zeige: Polynome, rationale Funktionen, die Exponentialfunktion, die trigonometrischensowie die hyperbolischen Funktionen sind an allen Stellen ihres natürlichen De�nitionsbereiches beliebigoft di�erenzierbar.

Aufgabe 7.1.9 Untersuche folgende Funktionen auf Di�erenzierbarkeit und berechne gegebenenfalls ihreAbleitungen:

(a) sin2 x (b) cosx sinx (c) 1+2 x2

x−1 (d) ex2

(e) 2 sin(1 + x2) cosx

Aufgabe 7.1.10 Unter der Annahme der Di�erenzierbarkeit von log x, für x ∈ R+, benutze die Glei-chung x = elog x, um die Ableitung zu berechnen. Wir werden später zeigen, dass die Umkehrfunktioneiner di�erenzierbaren Funktion ebenfalls di�erenzierbar ist.

Aufgabe 7.1.11 Zeige: Ist eine Funktion an einer Stelle x0 ∈ R sowohl rechts- als auch linksseitigdi�erenzierbar, so ist sie dort genau dann di�erenzierbar, wenn die rechts- und linksseitige Ableitungübereinstimmen.

Aufgabe 7.1.12 Gib ein Beispiel für eine Funktion, welche an einer Stelle x0 ∈ R sowohl rechts- alsauch linksseitig di�erenzierbar ist, ohne dort di�erenzierbar zu sein.

7.2 Satz von Rolle und erster Mittelwertsatz

Satz 7.2.1 (Satz von Rolle) Sei f : [a, b] −→ R stetig, und di�erenzierbar für alle x ∈ (a, b). Weitersei f(a) = f(b). Dann existiert ein ξ ∈ (a, b) mit f ′(ξ) = 0.

Beweis: Nach Satz 6.2.1 gibt es x∗, x∗ ∈ [a, b] mit

f(x∗) ≤ f(x) ≤ f(x∗) ∀ x ∈ [a, b] .

72

Falls auf beiden Seiten Gleichheit gilt, ist f konstant, und dann ist die Behauptung trivialerweise erfüllt.Andernfalls liegt x∗ oder x∗ im o�enen Intervall (a, b). Sei dies o. B. d. A. x∗ (sonst: betrachte −f). Danngilt für den Di�erenzenquotienten

f(x) − f(x∗)

x − x∗

{≥ 0 (a ≤ x < x∗),≤ 0 (x∗ < x ≤ b).

Daraus folgt, dass der Grenzwert für x→ x∗, also die Ableitung im Punkt x∗, gleich 0 sein muss. 2

Satz 7.2.2 (Erster Mittelwertsatz der Di�erenzialrechnung) Sei f auf [a, b] stetig, und di�eren-zierbar für alle x ∈ (a, b). Dann existiert ein ξ ∈ (a, b) mit

f(b) − f(a)

b − a= f ′(ξ).

Beweis: Setze g(x) = f(x)− [f(b)− f(a)] (x− a)/(b− a) und wende dann den Satz von Rolle auf g an.2

Aufgabe 7.2.3 Gib eine geometrische Interpretation des Mittelwertsatzes.

Aufgabe 7.2.4 Benutze den Mittelwertsatz, um eine Abschätzung für den Wert sin(1, 005) zu erhalten,wenn der Wert für sin 1, z. B. aus einer Wertetabelle, bekannt ist.

Korollar zu Satz 7.2.2 Sei f : [a, b] −→ R stetig, und di�erenzierbar für alle x ∈ (a, b). Dann gilt:

(a) f ′(x) = 0 ∀ x ∈ (a, b) ⇐⇒ f(x) ≡ const.

(b) Aus f ′(x) > 0 ∀ x ∈ (a, b) folgt, dass f auf [a, b] streng monoton wächst.

(c) Aus f ′(x) ≥ 0 ∀ x ∈ (a, b) folgt, dass f auf [a, b] monoton wächst.

Entsprechende Aussagen gelten auch für fallende Funktionen.

Beweis: Zu (a): Sei f ′(x) = 0 für alle x ∈ (a, b). Wenn x0 < x1 zwei beliebige Punkte aus [a, b] sind,folgt aus dem Mittelwertsatz, angewandt auf das Intervall [x0, x1], dass f(x1)− f(x0) = 0 ist. Also mussf konstant sein. Die Umkehrung ist klar, weil die Ableitung einer konstanten Funktion verschwindet.

Zu (b): Mit den gleichen Bezeichnungen wie im Beweis von (a) folgt jetzt, dass f(x1)− f(x0) immer dasgleiche Vorzeichen wie x1 − x0 hat, und das ist die Behauptung. Teil (c) wird ganz analog bewiesen. 2

Aufgabe 7.2.5 Prüfe, ob die Aussagen (b) und (c) in obigem Korollar zum Mittelwertsatz umkehrbarsind.

Bemerkung 7.2.6 (Newton-Verfahren) Sei f : (a, b) −→ R di�erenzierbar auf (a, b), und sei η ∈(a, b) eine Nullstelle von f mit f ′(η) 6= 0. Beginnend mit einem Startwert x0 ∈ (a, b), versuchen wir eineFolge (xn) durch die Vorschrift

xn+1 = xn −f(xn)

f ′(xn)∀ n ∈ N0

73

zu de�nieren. Dies gelingt nur, wenn xn keine Nullstelle von f ′ ist, und deshalb nehmen wir an, dass dasIntervall [a, b] bereits so klein ist, dass f ′ dort keine Nullstelle hat. Setzt man dann φ(x) = x−f(x)/f ′(x),so ist o�enbar φ(η) = η. Falls f sogar zweimal di�erenzierbar auf (a, b) ist, dann ist dort φ wenigstenseinmal di�erenzierbar, und φ′(x) = f(x) f ′′(x)/(f ′(x))2. Wir setzen voraus, dass |φ′(x)| ≤ α < 1 gilt füralle x ∈ (a, b) (dies gilt sicher, falls φ′ stetig und das Intervall (a, b) klein genug ist, denn φ′(η) = 0). Ausdem Mittelwertsatz folgt dann

|xn+1 − η| = |φ(xn)− η| ≤ α |xn − η|.

Mit dieser Abschätzung folgt wegen α < 1, dass alle xn ∈ (a, b) liegen, und dass die Folge (xn) gegen ηkonvergiert; dies wird ausführlicher in Analysis II behandelt werden. Dieses Newton-Verfahren konvergiertim Allgemeinen deutlich schneller als das Bisektionsverfahren oder die regula falsi. Z. B. ergeben sich fürf(x) = cosx und x0 = 1, 6 die Werte

x1 = 1, 570788 , x2 = 1, 5707963 ,

und der zweite Wert stimmt bereits mit π/2 in allen angegebenen Stellen überein.

Aufgabe 7.2.7 Zeige, dass das Newtonverfahren, angewandt auf f(x) = x2−a, gerade der Quadratwur-zeliteration in Proposition 4.4.4 entspricht. Finde selber das analoge Verfahren zur Berechnung von n

√a.

7.3 Gliedweises Di�erenzieren

Satz 7.3.1 (Gliedweises Di�erenzieren) Gegeben seien ein abgeschlossenes Intervall I = [a, b] ⊂ Rund Funktionen fn, gk : I −→ R für alle n, k ∈ N.

(a) Seien alle fn auf I stetig und im Inneren di�erenzierbar. Sei die gliedweise di�erenzierte Funk-tionenfolge (f ′n) auf dem o�enen Intervall (a, b) gleichmäÿig konvergent, und sei die Folge (fn(x))für wenigstens ein x = x0 ∈ I konvergent. Dann ist die Funktionenfolge (fn) auf I gleichmäÿigkonvergent, die Grenzfunktion f ist auf (a, b) di�erenzierbar, und es gilt

f ′(x) = limn→∞

f ′n(x) ∀ x ∈ (a, b).

(b) Seien alle gk auf I stetig und im Inneren di�erenzierbar. Sei die gliedweise di�erenzierte Funk-tionenreihe

∑∞k=1 g

′k auf dem o�enen Intervall (a, b) gleichmäÿig konvergent, und sei die Reihe∑∞

k=1 gk für wenigstens ein x = x0 ∈ I konvergent. Dann ist die Reihe∑∞k=1 gk auf I gleichmäÿig

konvergent, die Grenzfunktion f ist auf (a, b) di�erenzierbar, und es gilt

f ′(x) =∞∑k=1

g′k(x) ∀ x ∈ (a, b).

Beweis: Zu (a): Sei ε > 0 gegeben. Nach dem Cauchy-Kriterium für die (gleichmäÿige) Konvergenz gibtes dann ein N ∈ R+, für welches

|fn(x0)− fm(x0)| < ε/2, |f ′n(x)− f ′m(x)| < ε

2 (b− a)∀ x ∈ (a, b),

sofern nur n,m ≥ N sind. Mit dem Mittelwert folgt für jedes x ∈ I die Existenz von ξ zwischen x undx0 derart, dass (für n,m wie oben)

|fn(x)− fm(x) − (fn(x0)− fm(x0))| = |x− x0| |f ′n(ξ)− f ′m(ξ)| ≤ ε/2, (7.3.1)

74

Hieraus folgt mit der Dreiecksungleichung

|fn(x)− fm(x)| ≤ |fn(x0)− fm(x0)| + |fn(x)− fm(x) − (fn(x0)− fm(x0))| ≤ ε.

Das impliziert die gleichmäÿige Konvergenz von (fn) gegen eine Funktion f . Also sind die Voraussetzungendes Satzes für einen beliebigen Punkt x0 ∈ I erfüllt. Sei jetzt für beliebiges x, x0 ∈ (a, b) de�niert:

hn(x) =

{fn(x)−fn(x0)

x−x0(x 6= x0)

f ′n(x0) (x = x0)

Dann ist hn stetig auf (a, b), und aus (7.3.1) folgt die gleichmäÿige Konvergenz der Folge (hn) auf (a, b)gegen eine Grenzfunktion h, die nach Satz 6.1.4 stetig ist. O�enbar ist aber die Grenzfunktion gleich demDi�erenzenquotienten von f , falls x 6= x0 ist, bzw. gleich dem Grenzwert von (f ′n(x0)) für x = x0. Dahermuss f im Punkt x0 di�erenzierbar sein, und die Ableitung ist gleich f ′(x0).

Zu (b): Folgt aus (a), angewandt auf fn =∑nk=1 gk. 2

Aufgabe 7.3.2 Sei fn(x) = (1 + x/n)n für x ∈ R und n ∈ N. Zeige, dass die Voraussetzungen vonSatz 7.3.1 für jedes abgeschlossene Intervall [a, b] erfüllt sind. Gib durch Anwendung dieses Satzes einenneuen Beweis für die Di�erenzierbarkeit von ex. Untersuche, ob Satz 7.3.1 auf die Folge (fn) mit fn(x) =(1− x)xn, 0 ≤ x ≤ 1, angewandt werden kann.

7.4 Die Ableitung der Umkehrfunktion

Satz 7.4.1 Sei I ⊂ R ein Intervall, sei f : I −→ R stetig und streng monoton, und sei f(I) = J . Sei x0ein innerer Punkt, d. h., kein Randpunkt, von I, sei f di�erenzierbar im Punkt x0, und sei f ′(x0) 6= 0.Dann ist die Umkehrfunktion f−1 im Punkt y0 = f(x0) ∈ J di�erenzierbar, und es gilt

(f−1(y0))′ =

1

f ′(f−1(y0)).

Beweis: Es gilt o�enbar (mit y = f(x))

f−1(y)− f−1(y0)

y − y0=

x− x0f(x)− f(x0)

,

und wegen der Stetigkeit der Umkehrfunktion gilt x→ x0 für y → y0. Daraus folgt die Behauptung. 2

Aufgabe 7.4.2 Zeige (log x)′ = 1/x für alle x > 0.

Aufgabe 7.4.3 Zeige mit der Kettenregel und der De�nition der allgemeinen Potenzfunktion (6.3.1),dass (xα)′ = αxα−1 für alle x > 0 und α ∈ R.

Aufgabe 7.4.4 Zeige mit der Kettenregel und der De�nition der allgemeinen Potenzfunktion (6.3.1),dass (ax)′ = ax log a für alle a > 0 und x ∈ R.

75

7.5 Die Zahl Pi und die Arcusfunktionen

In diesem Abschnitt wollen wir die sog. Arcusfunktionen, d. h., die Umkehrfunktionen der trigonometri-schen Funktionen, einführen. Zur Vorbereitung benötigen wir aber einige weitere Eigenschaften dertrigonometrischen Funktionen:

De�nition 7.5.1 In Behauptung 6.2.8 haben wir gezeigt, dass die Cosinusfunktion auf dem reellen Inter-vall [x0, x1] mindestens eine Nullstelle haben muss. Die Stetigkeit sichert, dass das In�mum aller positivenNullstellen von cosx ebenfalls eine Nullstelle sein muss, und deshalb macht es Sinn, von der kleinstenpositiven Nullstelle der Cosinusfunktion zu sprechen. Wir de�nieren die wichtige Zahl π durch folgendeBedingung:

Die kleinste positive Nullstelle von cosx habe den Wert π/2.

Behauptung 7.5.2 Es gilt sinπ/2 = 1, und weiter

cos(z + π/2) = − sin z, sin(z + π/2) = cos z ∀ z ∈ C.

Durch wiederholte Anwendung dieser Gleichungen folgt weiter

cos(z + π) = − cos z, sin(z + π) = − sin z

cos(z + 2π) = cos z, sin(z + 2π) = sin z

}∀ z ∈ C.

Beweis: Aus (5.2.2) und der De�nition von π/2 (< 1, 6) folgt sinx > 0 für 0 ≤ x < π/2, und mit Be-hauptung 5.9.6 folgt deshalb sinπ/2 = 1. Daraus folgen die behaupteten Gleichungen mit Hilfe derAdditionstheoreme. 2

Satz 7.5.3 (Nullstellen der trigonometrischen Funktionen)Die Nullstellen der trigonometrischen Funktionen sind alle reell. Genauer gilt

sin z = 0 ⇐⇒ z = k π, k ∈ Z,

cos z = 0 ⇐⇒ z = (k + 1/2)π, k ∈ Z.

Beweis: Wegen Behauptung 7.5.2 reicht es aus, nur die Cosinusfunktion zu betrachten:

Für z = x + i y gilt nach einer Übungsaufgabe | cos z|2 = cosh2 y − sin2 x, und aus Behauptung 5.9.6folgt sin2 x ≤ 1. Direkt aus der De�nition der hyperbolischen Funktionen ergibt sich cosh y ≥ 1, wobeiGleichheit nur für y = 0 eintritt. Also gilt cos z = 0 höchstens wenn y = 0 ist, also wenn z = x ∈ R ist.Nach De�nition von π/2 folgt cosx > 0 für 0 ≤ x < π/2, und da cosx = cos(−x) ist gilt sogar cosx > 0für alle x ∈ (−π/2, π/2). Aus Behauptung 7.5.2 folgt aber dann für alle k ∈ Z:

(−1)k cosx > 0 ∀ x ∈((k − 1/2)π, (k + 1/2)π

).

Daraus folgt die Behauptung. 2

De�nition 7.5.4 Wir haben gezeigt, dass cosx = (sinx)′ > 0 ist für −π/2 < x < π/2. Deshalb ist dieSinusfunktion auf [−π/2, π/2] streng monoton wachsend, also injektiv, und die Wertemenge ist [−1, 1].Die Umkehrfunktion

arcsin : [−1, 1] −→ [−π/2, π/2] .

76

heiÿt die Arcussinusfunktion. Weiter ist cos : [0, π] −→ [−1, 1] streng monoton fallend, und die Umkehr-funktion

arccos : [−1, 1] −→ [0, π] .

heiÿt die Arcuscosinusfunktion.

Nach Aufgabe 7.5.6 ist tanx streng monoton wachsend auf (−π/2, π/2) und hat die Wertemenge R. DieUmkehrfunktion

arctan : R −→ (−π/2, π/2)heiÿt die Arcustangensfunktion. Der Vollständigkeit halber erwähnen wir noch, dass die Cotangensfunk-tion auf (0, π) streng monoton fallend ist und die Wertemenge R hat. Die Umkehrfunktion

arccot : R −→ (0, π)

heiÿt die Arcuscotangensfunktion.

Satz 7.5.5 Es gilt

(a) (arcsinx)′ = 1√1−x2

∀ x ∈ (−1, 1).

(b) (arccosx)′ = −1√1−x2

∀ x ∈ (−1, 1).

(c) (arctanx)′ = 11+x2 ∀ x ∈ R.

(d) (arccotx)′ = −11+x2 ∀ x ∈ R.

Beweis: Wir zeigen nur (a); die übrigen Beweise sind analog.

Aus dem Satz über die Ableitung der Umkehrfunktion folgt

(arcsinx)′ =1

cos(arcsinx)∀ x ∈ (−1, 1).

Da y = arcsinx ∈ (−π/2, π/2) ist, ist cos y > 0, und daher gilt cos y =√

1− sin2 y . Wegen sin y = xfolgt die Behauptung. 2

Aufgabe 7.5.6 Zeige: (tanx)′ = 1/ cos2 x für (k − 1/2)π < x < (k + 1/2)π, mit k ∈ Z, und dieTangensfunktion nimmt auf jedem der obigen Intervalle jede reelle Zahl als Wert an.

Aufgabe 7.5.7 Beweise die Teile (b) � (d) von Satz 7.5.5.

Aufgabe 7.5.8 Benutze Behauptung 7.5.2, um zu zeigen:

arcsinx = π/2 − arccosx ∀ x ∈ (−1, 1).

Finde eine analoge Beziehung zwischen arctanx und arccotx.

Aufgabe 7.5.9 Zeige: Die Funktion sinhx ist auf R streng monoton wachsend, und ihre Wertemengeist gleich R. Ihre Umkehrfunktion

Arsinh : R −→ Rheiÿt Areasinus hyperbolicus. Zeige weiter: Die Funktion coshx ist auf R+ streng monoton wachsend,und die Wertemenge ist gleich [1,∞). Ihre Umkehrfunktion

Arcosh : [1,∞) −→ R+

heiÿt Areacosinus hyperbolicus. Zu der hyperbolischen Tangens- und Cotangensfunktion sowie derenUmkehrfunktionen siehe [15, 7.18].

77

7.6 Das Argument und der Logarithmus einer komplexen Zahl

Seien r ∈ R+ und φ ∈ R gegeben. Dann wird durch

z = r (cosφ + i sinφ) = r eiφ (7.6.1)

eine komplexe Zahl z gegeben. Ihr Realteil ist o�enbar gleich x = r cosφ, ihr Imaginärteil gleich y =r sinφ. Wegen Behauptung 5.9.6 folgt r = |z|, also liegt z auf dem Kreis um 0 mit Radius r und kanninsbesondere nicht gleich 0 sein. Weiter gilt folgendes hinsichtlich des Verhaltens von z in Abhängigkeitvon φ:

1. Für 0 ≤ φ ≤ π/2 folgt x, y ≥ 0, und x ist streng monoton fallend von r nach 0, dagegen ist y strengmonoton wachsend von 0 nach r. Also wandert z auf dem besagten Kreis im Gegenuhrzeigersinnvon der positiv-reellen zur positiv-imaginären Achse.

2. Für π/2 ≤ φ ≤ π folgt x ≤ 0, y ≥ 0, und x ist weiterhin streng monoton fallend von 0 nach −r,während y jetzt ebenfalls streng monoton fällt von r nach 0. Daher wandert der Punkt z im selbenSinn weiter bis zur negativ-reellen Achse.

3. Für π ≤ φ ≤ 3π/2 folgt x, y ≤ 0, und x ist streng monoton wachsend von −r nach 0, aber y iststreng monoton fallend von 0 nach −r. Somit wandert z weiter bis zur negativ-imaginären Achse.

4. Für 3π/2 ≤ φ ≤ 2π schlieÿlich folgt x ≥ 0, y ≤ 0, und x und y sind beide streng monoton wachsendvon 0 bis r bzw. von −r bis 0. Daher wandert z weiter zur positiv-reellen Achse.

Das bedeutet, dass die Zahl z mit wachsendem φ auf dem Kreis um 0 mit Radius r wandert, und zwarimmer im Gegenuhrzeigersinn. Ersetzt man φ durch φ± 2π, so erhält man wegen Behauptung 7.5.2 diegleiche Zahl z, d. h., nachdem φ ein Intervall der Länge 2π durchlaufen hat, beginnt die Reise von zwieder von vorne.

Ein Paar (r, φ) legt also eine von 0 verschiedene Zahl z fest. Umgekehrt, sei z = x+ i y ∈ C\{0} gegeben,und sei r = |z| =

√x2 + y2 gesetzt. Dann sind x/r, y/r ∈ [−1, 1]. Falls y ≥ 0 ist, sei φ = arccos (x/r).

Dann ist 0 ≤ φ ≤ π und x = r cosφ. Weiter gilt y =√r2 − x2 = r

√1− cos2 φ = r sinφ. Falls y < 0

ist, sei φ = π + arccos (−x/r) gewählt. Dann folgt cosφ = − cos (arccos (−x/r)) = x/r, also x = r cosφ.Jetzt ist y = −

√r2 − x2 = −r

√1− cos2 φ . Wegen φ ∈ [π, 2π], also sinφ ≤ 0, folgt wieder y = r sinφ.

Das bedeutet: Zu jedem z ∈ C \ {0} gibt es r ∈ R+ und φ ∈ R so, dass (7.6.1) gilt, und φ ist eindeutigbestimmt, wenn wir verlangen, dass φ in irgendeinem halbo�enen Intervall der Länge 2π liegt.

De�nition 7.6.1 Sei z ∈ C \ {0}. Ein φ ∈ R mit (7.6.1) heiÿt ein Argument für z. Wir schreiben auchetwas ungenau φ = arg z. Derjenige Wert für φ im halbo�enen Intervall [−π, π) heiÿt auch der Hauptwertdes Arguments. Der komplexen Zahl 0 wird entweder überhaupt kein Argument zugeordnet, oder man sagt,dass sie jedes Argument haben kann.

Für z = r eiφ mit r = |z| > 0, φ = arg z ∈ [−π, π) heiÿt die Zahl

log z = log |z|+ i arg z

der Hauptwert des Logarithmus der komplexen Zahl z. Beachte, dass damit jeder komplexen Zahl auÿer0 ein Logarithmus zugeordnet ist.

Dass das Argument einer komplexen Zahl gleich dem Winkel, im sogenannten Bogenmaÿ, zwischen derpositiv-reellen Achse und der von 0 durch z gehenden Halbgeraden ist, wird erst aus der Theorie derKurvenlänge in Analysis II folgen.

78

Aufgabe 7.6.2 Diskutiere, in welchen Sinne folgende Aussage richtig ist: Beim Multiplizieren zweierkomplexer Zahlen addieren sich deren Argumente.

Aufgabe 7.6.3 Finde den Hauptwert des Arguments und des Logarithmus für die folgenden komplexenZahlen:

−1 , i , 1 + i , 2 (1− i) , −i .

Aufgabe 7.6.4 Zeige: Genau dann ist ez = 1, wenn z = 2 k π i ist für ein k ∈ Z.

Aufgabe 7.6.5 Zeige e±π i = −1.

7.7 Lokale Extremwerte

De�nition 7.7.1 Sei f : (a, b) −→ R, mit a < b. Wir sagen, dass f an einer Stelle x0 ∈ (a, b) einlokales Maximum bzw. ein lokales Minimum hat, wenn ein ε > 0 existiert, so dass f(x) ≤ f(x0) bzw.f(x) ≥ f(x0) für alle x ∈ (a, b)∩ (x0− ε, x0+ ε) gilt. In beiden Fällen sprechen wir dann auch von einemlokalen Extremum von f an der Stelle x0.

Satz 7.7.2 Für f : (a, b) −→ R, mit a < b gilt:

(a) Falls f in x0 ∈ (a, b) di�erenzierbar ist und dort ein lokales Extremum besitzt, dann ist f ′(x0) = 0.

(b) Falls f in (a, b) di�erenzierbar ist, und falls für ein x0 ∈ (a, b) gilt

(x− x0) f ′(x) ≥ 0 (bzw. (x− x0) f ′(x) ≤ 0 ) ∀ x ∈ (a, b),

dann ist x0 ein lokales Minimum bzw. Maximum von f .

Beweis: Zu (a): Der Di�erenzenquotient hat für x > x0 bzw. x < x0 unterschiedliches Vorzeichen, unddaher folgt die Behauptung.

Zu (b): Im ersten Fall ist f ′(x) ≥ 0 für x > x0, und f ′(x) ≤ 0 für x < x0. Mit dem Mittelwertsatz folgt,dass der Di�erenzenquotient an der Stelle x0 dasselbe Vorzeichen wie die Ableitung an einer Zwischenstelleξ haben muss, und daraus folgt die Behauptung für diesen Fall. Der andere Fall kann genauso bewiesenwerden. 2

Korollar zu Satz 7.7.2 Falls f in (a, b) di�erenzierbar ist, und falls für ein x0 ∈ (a, b) die ersteAbleitung verschwindet, während die zweite Ableitung von f existiert und nicht verschwindet, dann hatf in x0 ein lokales Extremum, und zwar ein Minimum falls f ′′(x0) > 0 ist, und ein Maximum fallsf ′′(x0) < 0 ist.

Beweis: Nach De�nition der zweiten Ableitung ist (wegen f ′(x0) = 0)

f ′′(x0) = limx→x0

f ′(x)

x− x0.

Falls f ′′(x0) > 0 ist, folgt deshalb dass der rechts stehende Di�erenzenquotient ebenfalls positiv seinmuss, sofern nur x − x0 genügend klein ist. Hieraus folgt (x − x0) f ′(x) > 0 für alle diese x, und daherhat f hier nach Satz 7.7.2 (b) ein lokales Minimum (beachte, dass wir o. B. d. A. das Intervall (a, b) soverkleinern können, dass die Voraussetzung auf dem ganzen Intervall gilt). Der andere Fall wird genausobewiesen. 2

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Aufgabe 7.7.3 Zeige: Die Funktion sinx hat lokale Extrema an allen Nullstellen von cosx.

Aufgabe 7.7.4 Finde alle lokalen Extremstellen von f(x) = [1− x2]−1.

7.8 Zweiter Mittelwertsatz u. Zwischenwertsatz für Ableitungen

Satz 7.8.1 (Zweiter Mittelwertsatz der Di�erenzialrechnung)Seien f und g auf [a, b] stetig und auf (a, b) di�erenzierbar. Dann existiert ein ξ ∈ (a, b) mit(

f(b) − f(a))g′(ξ) =

(g(b) − g(a)

)f ′(ξ) . (7.8.1)

Beweis: Sei h(x) = (f(b) − f(a)) g(x) − (g(b) − g(a)) f(x). Dann erfüllt h alle Voraussetzungen desSatzes von Rolle, und daher existiert ein ξ ∈ (a, b) mit h′(ξ) = 0. Daraus folgt die Behauptung. 2

Wenn eine Funktion di�erenzierbar ist, braucht die Ableitung nicht unbedingt stetig zu sein. Trotzdemgilt:

Satz 7.8.2 (Zwischenwertsatz für Ableitungen)Sei f auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] di�erenzierbar, und sei y eine beliebige Zahl mit f ′(a) ≤y ≤ f ′(b) oder f ′(b) ≤ y ≤ f ′(a). Dann gibt es ein x ∈ [a, b] mit f ′(x) = y.

Beweis: Falls y = f ′(a) oder y = f ′(b) ist, ist nichts zu zeigen. Sonst sei g(x) = f(x) − x y gesetzt.Sei o. B. d. A. f ′(a) < y < f ′(b) angenommen (sonst: betrachte −f und −y). Dann ist g′(a) < 0 undg′(b) > 0. Daraus folgt, dass das Minimum von g (welches nach Satz 6.2.1 existieren muss) nicht in einemder Randpunkte liegen kann, also in einem Punkt x0 ∈ (a, b) angenommen werden muss. Nach Satz 7.7.2folgt g′(x0) = 0, also die Behauptung. 2

Aufgabe 7.8.3 Warum ist folgendes Argument kein Beweis für den zweiten Mittelwertsatz:

Nach dem ersten Mittelwertsatz gilt f(b)− f(a) = f ′(ξ) (b− a) für ein ξ ∈ (a, b). Dasselbe gilt auch fürg anstelle von f , und daraus folgt (7.8.1).

Aufgabe 7.8.4 Zeige: Die Funktion

f(x) =

{x2 sin(1/x) (x 6= 0)0 (x = 0)

ist in jedem Punkt von R, also auch im Nullpunkt, di�erenzierbar, aber die Ableitung ist nicht stetig imPunkt x = 0.

7.9 Die Regeln von de l'Hospital

Oft sucht man den Grenzwert eines Quotienten f(x)/g(x), wobei sowohl Zähler als auch Nenner gegen 0gehen, sodass der Grenzwert sozusagen �von der unbestimmten Form� 0/0 ist. Hierzu kann man manchmaldie sogenannte l'Hospitalsche Regel verwenden. Beachte, dass man in manchen Beispielen die Regel auchmehrmals anwenden kann, falls der Grenzwert des Quotienten der ersten Ableitungen wieder von derunbestimmten Form 0/0 ist.

80

Proposition 7.9.1 (Erste l'Hospitalsche Regel) Für a, b ∈ R mit a < b seien f, g auf (a, b) di�e-renzierbar, und sei g′(x) 6= 0 auf (a, b). Ferner gelte noch

limx→b−

f(x) = limx→b−

g(x) = 0.

Dann ist g(x) 6= 0 für alle x ∈ (a, b), und es gilt die Gleichung

limx→b−

f(x)

g(x)= lim

x→b−

f ′(x)

g′(x)

falls der rechte Grenzwert eigentlich oder uneigentlich existiert. Entsprechendes gilt auch für den Grenz-übergang x→ a+.

Beweis: Sei zunächst b < ∞ angenommen. Wenn wir f(b) = g(b) = 0 setzen, dann sind f, g auf(a, b] stetig. Nach dem Zwischenwertsatz für Ableitungen muss g′(x) für alle x ∈ (a, b) immer gleichesVorzeichen haben, und daraus folgt die strenge Monotonie von g. Deswegen kann also g keine Nullstellehaben. Aus dem zweiten Mittelwertsatz folgt dann

f(x)

g(x)=

f(x)− f(b)g(x)− g(b)

=f ′(ξ)

g′(ξ),

für ein ξ ∈ (x, b), und daraus folgt die Behauptung in diesem Fall.

Falls b = ∞ ist, sei o. B. d. A. a > 0 angenommen. Durch Anwendung des oben Bewiesenen auf dieFunktionen f(x) = f(−1/x), g(x) = g(−1/x) und das Intervall (−1/a, 0) folgt dann die Behauptung. 2

Der Vollständigkeit halber geben wir noch eine weitere Grenzwertregel von l'Hospital an für den Fall,dass der Grenzwert eines Quotienten von der Form∞/∞, also ebenfalls unbestimmt ist; für einen Beweissiehe das Buch von W. Walter [15]:

Proposition 7.9.2 (Zweite l'Hospitalsche Regel) Für a, b ∈ R mit a < b seien f, g auf (a, b) di�e-renzierbar, und sei g′(x) 6= 0 auf (a, b). Ferner gelte noch

limx→b−

g(x) = ∞.

Dann ist g(x) 6= 0 für alle groÿen x ∈ (a, b), und es gilt die Gleichung

limx→b−

f(x)

g(x)= lim

x→b−

f ′(x)

g′(x)

falls der rechte Grenzwert eigentlich oder uneigentlich existiert. Entsprechendes gilt auch für den Grenz-übergang x→ a+.

(Ohne Beweis)

Aufgabe 7.9.3 Berechne limx→0

sin xx , lim

x→0

1sin x −

1x .

Aufgabe 7.9.4 Berechne limx→∞

sinh xcosh x .

Aufgabe 7.9.5 Finde ein Beispiel dafür, dass die erste l'Hospitalsche Regel falsch wird, wenn wir dieVoraussetzung lim

x→b−f(x) = lim

x→b−g(x) = 0 fallen lassen.

81

Kapitel 8

Integralrechnung

8.1 Riemann-Summen und Riemann-Integral

Wenn nicht anderes gesagt wird, betrachten wir im Folgenden immer Funktionen f : [a, b] −→ R mitfesten reellen Zahlen a < b.

De�nition 8.1.1 Eine Menge Z = {x0, . . . , xN}, N ∈ N, heiÿt Zerlegung von [a, b], wenn gilt

a = x0 < x1 < . . . < xN−1 < xN = b.

Die Zahl |Z| = max{xk − xk−1 : 1 ≤ k ≤ N} heiÿt die Feinheit der Zerlegung, während N die Zahl derTeilintervalle genannt werden soll. Die Zahlen xk heiÿen auch die Teilpunkte der Zerlegung. Ein Vektorξ = (ξ1, . . . , ξN )T heiÿt ein Zwischenpunktvektor zu Z, falls

xk−1 ≤ ξk ≤ xk ∀ k = 1, . . . , N.

Für jede Zerlegung Z und jeden Zwischenpunktvektor ξ zu Z heiÿt die Zahl

S(Z, ξ) =N∑k=1

f(ξk) (xk − xk−1)

die zu Z und ξ gehörige Riemannsumme von f .

Eine Folge (Zn) von Zerlegungen heiÿt zulässig, falls limn→∞

|Zn| = 0 gilt.

Falls für jede zulässige Zerlegungsfolge und jede Wahl von Zwischenpunktvektoren die zugehörige Folgevon Riemannsummen konvergiert, dann heiÿt f über das Intervall [a, b] Riemann-integrierbar. In dernächsten Behauptung wird gezeigt, dass der Grenzwert der Riemannsummen in diesem Fall nicht von derWahl der Zerlegungsfolge oder der Zwischenpunktvektoren abhängt. Diesen Wert nennen wir dann das(Riemann-)Integral von f über [a, b] und schreiben∫ b

a

f(x) dx .

Für die geometrische Bedeutung von Riemannsumme und Integral, siehe die untenstehende Bemerkung.

Behauptung 8.1.2 Wenn für jede zulässige Zerlegungsfolge und jede Wahl von Zwischenpunktvektorendie zugehörige Folge von Riemannsummen konvergiert, dann ist der Grenzwert immer der gleiche, alsounabhängig von der Wahl der Zerlegungsfolge oder der Zwischenpunktvektoren.

82

Beweis: Seien (Zn) und (Zn) zwei zulässige Zerlegungsfolgen, und seien (ξn) bzw. (ξn) zugehörige Folgenvon Zwischenpunktvektoren. Durch Mischen der Folgen bilden wir zwei weitere Folgen (Zn) und (ξn) mit

Zn =

{Zk (n = 2k)

Zk (n = 2k + 1), ξn =

{ξk (n = 2k)

ξk (n = 2k + 1).

Dabei entsteht wieder eine zulässige Zerlegungsfolge mit zugehörigen Zwischenpunktvektoren, welchebeide Ausgangsfolgen als Teilfolgen beisitzt. Da die zu (Zn) und (ξn) gehörigen Riemannsummen konver-gieren müssen, müssen also die beiden Teilfolgen den gleichen Grenzwert besitzen, was zu beweisen war.

2

Bemerkung 8.1.3 Wenn f(x) ≥ 0 ist für alle x ∈ [a, b], dann ist eine Riemannsumme die Summeder Flächeninhalte von Rechtecken mit Breite xk − xk−1 und Höhe f(ξk). Daraus ergibt sich, dass dasIntegral von f über [a, b] den Flächeninhalt der Figur in einer (x, y)-Ebene unterhalb des Graphen von fbzw. oberhalb der x-Achse und mit seitlichen Begrenzungslinien x = a bzw. x = b de�niert.

Die folgende Proposition erlaubt, dass wir im nächsten Abschnitt zur weiteren Untersuchung der Inte-grierbarkeit nur beschränkte Funktionen betrachten:

Proposition 8.1.4

(a) (Fundamentalabschätzung) Jede über [a, b] integrierbare Funktion f ist dort beschränkt, und esgilt ∣∣∣ ∫ b

a

f(x) dx∣∣∣ ≤ (b − a) sup { |f(x)| : a ≤ x ≤ b } .

(b) (Linearität des Integrals) Sind f und g über [a, b] integrierbar, und sind α, β ∈ R, so ist auchα f + β g über [a, b] integrierbar, und es gilt∫ b

a

(α f(x) + β g(x)) dx = α

∫ b

a

f(x) dx + β

∫ b

a

g(x) dx .

Beweis: Die Fundamentalabschätzung folgt, da der Betrag jeder Riemannsumme höchstens gleich derrechten Seite ist (auch falls f unbeschränkt sein sollte). Sei jetzt f auf [a, b] nach oben unbeschränkt,und sei Zn eine zulässige Zerlegungsfolge. Für jedes n ist dann f in mindestens einem Teilintervall vonZn nach oben unbeschränkt, und deshalb kann man in einem solchen Teilintervall den Zwischenpunkt sowählen, dass die zugehörige Riemannsumme ≥ n ausfällt. Deshalb kann f nicht integrierbar sein. DurchÜbergang zu −f folgt, dass auch nach unten unbeschränkte Funktionen nicht integrierbar sind. Also gilt(a). Teil (b) ist aber unmittelbar klar wegen der De�nition des Integrals. 2

Aufgabe 8.1.5 Zeige: Die sogenannte Dirichletsche Sprungfunktion

f(x) =

{0 (x ∈ Q)1 (x 6∈ Q)

ist nicht über [a, b] integrierbar.

Aufgabe 8.1.6 Zeige: Eine konstante Funktion ist über jedes abgeschlossene Intervall integrierbar. Findeden Wert des Integrals!

83

8.2 Ober- und Untersummen

De�nition 8.2.1 Sei f auf [a, b] beschränkt, und sei Z = {x0, . . . , xN} eine Zerlegung von [a, b]. Für

mk = inf {f(x) : xk−1 ≤ x ≤ xk} , Mk = sup {f(x) : xk−1 ≤ x ≤ xk} ,

heiÿen

U(Z) =N∑k=1

mk (xk − xk−1) , O(Z) =N∑k=1

Mk (xk − xk−1)

die zu Z gehörige Unter- und Obersumme von f . O�enbar gilt für alle Zwischenpunktvektoren immer

U(Z) ≤ S(Z, ξ) ≤ O(Z).

Seien zwei Zerlegungen Z1,Z2 von [a, b] gegeben. Wir nennen Z2 Verfeinerung von Z1, wenn Z2 alle Teil-punkte von Z1 enthält. Wir schreiben Z1+Z2 für diejenige Zerlegung, welche genau aus allen Teilpunktenvon Z1 und Z2 besteht, und nennen Z1 + Z2 Überlagerung von Z1 und Z2.

Aufgabe 8.2.2 Finde den Zusammenhang zwischen den Obersummen von f und den Untersummen von−f .

Lemma 8.2.3 Sei |f(x)| ≤ K für alle x ∈ [a, b], und sei Z0 eine Zerlegung von [a, b] mit N Teilinter-vallen. Dann gilt für jede Zerlegung Z

U(Z) ≤ U(Z + Z0) ≤ U(Z) + 2N K |Z|,

O(Z) ≥ O(Z + Z0) ≥ O(Z) − 2N K |Z|.

Beweis: Sei Z = {x0, . . . , xn}. Falls Z+Z0 = Z ist (also falls alle Teilpunkte von Z0 auch zu Z gehören),ist die Behauptung trivial erfüllt. Im anderen Fall betrachte ein j, 1 ≤ j ≤ n, für welches Teilpunkte vonZ0 im Intervall (xj−1, xj) liegen, und bezeichne diese mit ξ1 < . . . < ξν . Seien mk wie in obiger De�nition,und µτ = inf{f(x) : ξτ−1 ≤ x ≤ ξτ}, für 1 ≤ τ ≤ ν +1, wobei ξ0 = xj−1, ξν+1 = xj gesetzt sei. Dann gilt

mj = min{µ1, . . . , µν+1} ≤ max{µ1, . . . , µν+1} ≤ mj + 2K ,

und deshalb folgt für jedes solche j

mj (xj − xj−1) ≤ν+1∑τ=1

µτ (ξτ − ξτ−1) ≤ mj (xj − xj−1) + 2K |Z| .

Hieraus folgt durch Summation über j die behauptete Ungleichung für die Untersummen. Die Ungleichungfür Obersummen beweist man analog, oder man führt sie durch Übergang zu −f auf die für Untersummenzurück. 2

Korollar zu Lemma 8.2.3 Sei f auf [a, b] beschränkt. Für beliebige Zerlegungen Zj von [a, b] gilt dannstets

U(Z1) ≤ O(Z2) .

Beweis: Für Z = Z1, Z0 = Z2 folgt aus dem Lemma U(Z1) ≤ U(Z1 + Z2). Trivialerweise gilt U(Z1 +Z2) ≤ O(Z1 + Z2), und durch Vertauschen von Z1,Z2 folgt aus dem Lemma O(Z1 + Z2) ≤ O(Z2). 2

84

De�nition 8.2.4 Sei f auf [a, b] beschränkt. Nach obigem Korollar sind die Obersummen (Untersum-men) von f stets nach unten (oben) beschränkt. Wir de�nieren deshalb

I∗ = _

∫ b

a

f(x) dx = sup {U(Z)} , I∗ =_∫ b

a

f(x) dx = inf {O(Z)} ,

wobei das Supremum bzw. In�mum jeweils über alle Zerlegungen von [a, b] gebildet wird. Die so de�niertenWerte I∗, I

∗ heiÿen das Unter- bzw. Oberintegral von f über [a, b]. O�enbar ist I∗ ≤ I∗, und wir werdensehen, dass f genau dann über [a, b] integrierbar ist, wenn I∗ = I∗ gilt.

Wir charakterisieren jetzt das Riemann-Integral durch Grenzwerte von Ober- und Untersummen:

Satz 8.2.5 Für jede auf [a, b] beschränkte Funktion f gilt:

(a) Für jede zulässige Zerlegungsfolge (Zn) konvergieren die Folgen (U(Zn)) und (O(Zn)), und es gilt

_

∫ b

a

f(x) dx = limn→∞

U(Zn),_∫ b

a

f(x) dx = limn→∞

O(Zn).

(b) Die Funktion f ist genau dann integrierbar über [a, b], wenn ihr Unter- und Oberintegral überein-stimmen, und dann ist ∫ b

a

f(x) dx = _

∫ b

a

f(x) dx =_∫ b

a

f(x) dx .

Beweis: Zu (a): Aus der De�nition von I∗ ergibt sich, dass zu jedem ε > 0 eine Zerlegung Z existiertmit I∗ − ε ≤ U(Z) ≤ I∗. Ist N die Zahl der Teilintervalle von Z, so folgt aus Lemma 8.2.3

U(Zn) ≤ U(Z + Zn) ≤ U(Zn) + 2N K |Zn| ∀ n ≥ 1.

Genauso folgt aber U(Z) ≤ U(Z + Zn), und deshalb ist

I∗ − ε − 2N K |Zn| ≤ U(Zn) ≤ I∗ ∀ n ≥ 1.

Wegen |Zn| → 0 folgt daraus U(Zn)→ I∗ für n→∞. Für die Obersummen schlieÿt man genauso.

Zu (b): Da für jede Zerlegung Z und jede Wahl von Zwischenpunkten die zugehörige Riemannsummezwischen Unter- und Obersumme liegt, folgt aus I∗ = I∗ mit Hilfe von (a) die Integrierbarkeit und diebehauptete Gleichung. Sei jetzt f integrierbar über [a, b], und sei (Zn) eine zulässige Zerlegungsfolge.Dann kann man zu jedem n ∈ N einen Zwischenpunktvektor ξn so wählen, dass 0 < O(Zn)−S(Zn, ξn) <1/n ausfällt. Da die Riemannsummen gegen das Integral konvergieren müssen, folgt dasselbe für dieObersummen. Genauso schlieÿt man aber auf die Konvergenz der Untersummen gegen das Integral, unddeshalb folgt die Gleichheit von Ober- und Unterintegral. 2

Proposition 8.2.6 (Riemannsches Integrabilitätskriterium))Eine beschränkte Funktion f : [a, b] −→ R ist genau dann über [a, b] integrierbar, wenn es zu jedem ε > 0eine Zerlegung Z von [a, b] gibt mit O(Z)− U(Z) < ε.

Beweis: Sei f integrierbar, dann folgt aus dem vorausgegangenen Satz für jede zulässige Zerlegungsfolge(Zn), dass limn→∞(O(Zn)−U(Zn)) = 0, und daraus folgt die eine Richtung der Behauptung. Umgekehrtfolgt aus der Ungleichung O(Z)−U(Z) < ε, dass I∗ − I∗ < ε ist, und da ε beliebig klein sein kann, folgtdie Gleichheit von Ober- und Unterintegral, also die Integrierbarkeit. 2

85

Aufgabe 8.2.7 Sei f über [a, b] integrierbar, und sei g(x) = f(x) bis auf endlich viele x ∈ [a, b]. Zeige,

dass auch g über [a, b] integrierbar ist und dass∫ baf(x) dx =

∫ bag(x) dx ist.

Mit dem Riemannschen Kriterium zeigt man die folgenden Resultate:

Satz 8.2.8 Jede auf [a, b] stetige oder monotone Funktion ist integrierbar.

Beweis: Jedes auf [a, b] stetige f ist dort beschränkt und gleichmäÿig stetig; also gibt es zu ε > ein δ > 0,so dass |f(x1)− f(x2)| < ε ist, falls nur |x1 − x2| < δ gilt. Sei Z eine Zerlegung mit Feinheit < δ. Dannist Mk −mk < ε für alle k = 1, . . . , N , und daraus folgt O(Z)− U(Z) < ε

∑Nk=1(xk − xk−1) = ε (b− a).

Daraus folgt die Integrierbarkeit mit dem Riemannschen Integrabilitätskriterium.

Falls f monoton (o. B. d. A. wachsend) ist, ist f auch beschränkt, und für jede Zerlegung Z gilt Mk =f(xk), mk = f(xk−1). Also ist

O(Z)− U(Z) =

N∑k=1

(f(xk)− f(xk−1)) (xk − xk−1) ≤ |Z|N∑k=1

(f(xk)− f(xk−1)) ,

und die rechtsstehende Teleskopsumme ergibt f(b) − f(a). Hieraus folgt die Integrierbarkeit mit demRiemannschen Kriterium. 2

Satz 8.2.9 Sind f und g über [a, b] integrierbar, so gilt dasselbe auch für f g.

Beweis: Da integrierbare Funktionen beschränkt sein müssen, gibt es ein K ∈ R mit |f(x)|, |g(x)| ≤ Kfür alle x ∈ [a, b]. Also gilt

|f(x) g(x)− f(y) g(y)| ≤ |f(x)| |g(x)− g(y)|+ |g(y)| |f(x)− f(y)|

≤ K(|g(x)− g(y)|+ |f(x)− f(y)|

).

Ist Z eine beliebige Zerlegung, und stehen Uf , Of , bzw. Ug, Og, bzw. Ufg, Ofg für die zugehörigen Unter-und Obersummen von f , bzw. g, bzw. f g, so folgt hieraus

Ofg − Ufg ≤ K (Of − Uf +Og − Ug).

Daraus folgt die Behauptung mit dem Riemannschen Kriterium. 2

Lemma 8.2.10 Sei f : [a, b] −→ A ⊂ R über [a, b] integrierbar, und gelte für g : A → R eine Lipschitz-bedingung auf A. Dann ist g ◦ f über [a, b] integrierbar.

Beweis: Für jedes Teilintervall I von [a, b] sei ωf (I) = sup{f(x) : x ∈ I} − inf{f(x) : x ∈ I}. Damitfolgt aus der Lipschitzbedingung, dass

ωg◦f (I) ≤ L ωf (I) .

Daraus folgt die Behauptung mit dem Riemannschen Kriterium. 2

86

Proposition 8.2.11 (Dreiecksungleichung für Integrale)Ist f über [a, b] integrierbar, so auch |f |, und es gilt∣∣∣ ∫ b

a

f(x) dx∣∣∣ ≤ ∫ b

a

|f(x)| dx.

Beweis: Für g(x) = |x| folgt aus dem obigen Lemma die Integrierbarkeit von |f |, und die Ungleichungfolgt aus der Dreiecksungleichung für die Riemannsummen. 2

Aufgabe 8.2.12 Sei f über [a, b] integrierbar, und sei p > 1. Zeige mit Lemma 8.2.10 die Integrierbarkeitvon |f |p über [a, b].

Aufgabe 8.2.13 Sei f über [a, b] integrierbar. Zeige die Integrierbarkeit von f+, f−, mit

f+(x) = max{f(x), 0}, f−(x) = max{−f(x), 0} ∀ x ∈ [a, b] .

Satz 8.2.14 Für a < c < b ist eine Funktion f genau dann über [a, b] integrierbar, wenn sie sowohl über[a, c] als auch über [c, b] integrierbar ist, und dann gilt∫ b

a

f(x) dx =

∫ c

a

f(x) dx +

∫ b

c

f(x) dx .

Beweis: Aus Lemma 8.2.3 folgt, dass bei Verfeinerung einer Zerlegung die Untersummen bzw. Ober-summen nicht abnehmen bzw. nicht zunehmen können. Daraus ergibt sich, dass wir o. B. d. A. nurZerlegungen betrachten können, die c als einen Teilpunkt enthalten. Damit folgt die Behauptung mitdem Riemannschen Integrabilitätskriterium. 2

Aufgabe 8.2.15 Zeige, dass stückweise stetige Funktionen immer integrierbar sind.

Bemerkung 8.2.16 Sei f über [a, b] integrierbar, und seien x0, x1 ∈ [a, b]. Ist x0 < x1, so folgt aus demvorstehenden Satz die Integrierbarkeit von f über [x0, x1]. Es ist üblich,∫ x0

x1

f(x) dx = −∫ x1

x0

f(x) dx ,

∫ x0

x0

f(x) dx = 0

zu setzen. Mit diesen Vereinbarungen folgt dann für beliebige x0, x1, x2 ∈ [a, b] aus obigem Satz∫ x1

x0

f(x) dx +

∫ x2

x1

f(x) dx =

∫ x2

x0

f(x) dx .

Lemma 8.2.17 Sei f über [a, b] integrierbar, und sei x0 ∈ [a, b], sowie

F (x) =

∫ x

x0

f(t) dt ∀ x ∈ [a, b] .

Dann erfüllt F eine Lipschitzbedingung auf [a, b] und ist insbesondere dort stetig.

Beweis: Für x1, x2 ∈ [a, b] folgt aus der obigen Bemerkung, dass F (x1) − F (x2) =∫ x1

x2f(t) dt ist. Aus

der Fundamentalabschätzung folgt dann die Behauptung mit der Lipschitzkonstanten L = sup[a,b] |f(t)|.2

Aufgabe 8.2.18 Gib ein Beispiel einer über [a, b] integrierbaren Funktion f , für welche die in Lem-ma 8.2.17 de�nierte Funktion F nicht auf [a, b] di�erenzierbar ist.

87

8.3 Die Hauptsätze der Di�erenzial- und Integralrechnung

De�nition 8.3.1 Sei I ein beliebiges Intervall, und sei f : I −→ R. Falls eine auf I di�erenzierbareFunktion F existiert mit der Eigenschaft F ′(x) = f(x) für alle x ∈ I, dann nennen wir F eine Stamm-funktion zu f . Wir schreiben in diesem Fall auch

F (x) =

∫f(x) dx

und nennen das rechtsstehende Symbol auch unbestimmtes Integral von f .

Aufgabe 8.3.2 Finde Stammfunktionen zu den Funktionen

cosx , x2 + 1 ,1

cos2 x,

1

x,

jeweils für x auf dem natürlichen De�nitionsbereich in R.

Behauptung 8.3.3 Ist F auf einem Intervall I Stammfunktion zu f , und ist c ∈ R, so ist auch F + ceine Stammfunktion zu f . Umgekehrt, sind F1 und F2 zwei Stammfunktionen zu f auf I, so ist F2 − F1

konstant.

Beweis: Folgt mit einem Korollar zum ersten Mittelwertsatz der Di�erenzialrechnung (Seite 73). 2

Satz 8.3.4 (Erster Hauptsatz der DI)Falls f über [a, b] integrierbar ist und eine Stammfunktion F besitzt, dann gilt∫ b

a

f(x) dx = F (b) − F (a)(

= F (x)|ba).

Beweis: Für eine beliebige Zerlegung Z = {x0, . . . , xN} folgt mit dem ersten Mittelwertsatz der Di�e-renzialrechnung

F (b)− F (a) =N∑k=1

(F (xk)− F (xk−1)) =

N∑k=1

f(ξk) (xk − xk−1) ,

mit geeigneten Zwischenwerten ξk ∈ (xk−1, xk). Mit der De�nition des Integrals folgt dann die Behaup-tung. 2

Aufgabe 8.3.5 Berechne die Integrale∫ 1

0(x2 + 1) dx und

∫ π/20

cosx dx.

Satz 8.3.6 (Zweiter Hauptsatz der DI) Sei f auf [a, b] stetig, und sei x0 ∈ [a, b]. Dann ist durch

F (x) =

∫ x

x0

f(t) dt ∀ x ∈ [a, b]

eine Stammfunktion zu f de�niert.

88

Beweis: Bemerkung 8.2.16 stellt zunächst sicher, dass F immer de�niert ist, und dass

F (x+ h)− F (x)h

=1

h

∫ x+h

x

f(t) dt .

Weiter ist∫ x+hx

f(x) dt = h f(x). Also folgt mit der Fundamentalabschätzung

∣∣∣F (x+ h)− F (x)h

− f(x)∣∣∣ =

∣∣∣ 1h

∫ x+h

x

(f(t) − f(x)) dt∣∣∣ ≤ mx(h) ,

wobei mx(h) das Maximum von |f(t)− f(x)| auf dem von x und x+ h begrenzten Intervall bezeichnet.Da f stetig ist, gilt mx(h)→ 0 für h→ 0. Daraus folgt die Behauptung. 2

8.4 Weitere Ergebnisse

Satz 8.4.1 (Partielle Integration)Seien f, g über [a, b] integrierbar, und seien F bzw. G Stammfunktionen zu f bzw. g. Dann gilt∫ b

a

f(x)G(x) dx = F (x)G(x)|ba −∫ b

a

F (x) g(x) dx.

Beweis: Es ist (F (x)G(x))′ = f(x)G(x)+F (x) g(x), und da F,G di�erenzierbar (also stetig) sind, folgtdie Integrierbarkeit von f G und F g (also auch die von (F G)′). Mit dem ersten Hauptsatz folgt danndie Behauptung. 2

Aufgabe 8.4.2 Berechne∫ π0x cosx dx und

∫ 2π

0cosx sinx dx mit partieller Integration.

Satz 8.4.3 (Substitutionsregel) Seien f stetig auf [a, b] und g stetig di�erenzierbar auf [α, β], undgelte g([α, β]) ⊂ [a, b] sowie

g(α) = a, g(β) = b, oder g(α) = b, g(β) = a.

Dann gilt ∫ g(β)

g(α)

f(x) dx =

∫ β

α

f(g(t)) g′(t) dt.

Beweis: Sei F Stammfunktion zu f . Mit der Kettenregel folgt (F (g(t)))′ = f(g(t)) g′(t). Also gilt nachdem ersten Hauptsatz∫ g(β)

g(α)

f(x) dx = F (g(β)) − F (g(α)) =

∫ β

α

f(g(t)) g′(t) dt.

Das ist die Behauptung. 2

Aufgabe 8.4.4 Berechne∫ 1

0x ex

2

dx und∫ 1

0

√1− x2 dx mit der Substitutionsregel.

89

Aufgabe 8.4.5 Zeige für t = tan(x/2) die Gleichungen

cos2(x/2) =1

1 + t2, sin2(x/2) =

t2

1 + t2,

und schlieÿe daraus mit Hilfe der Additionstheoreme für die trigonometrischen Funktionen, dass

cosx =1− t2

1 + t2, sinx =

2 t

1 + t2.

Zeige damit, dass Integrale über eine rationale Funktion von sinx und cosx durch die Substitution x =2 arctan t in ein Integral verwandelt werden, dessen Integrand eine rationale Funktion von t ist.

Aufgabe 8.4.6 Zeige mit der Substitutionsregel∫ a0f(x) dx =

∫ 0

−a f(−x) dx. Benutze dies, um zu zeigen,dass das Integral einer ungeraden Funktion über ein Intervall [−a, a] immer 0 ergibt.

Lemma 8.4.7 (Integration von Ungleichungen)

(a) Seien f, g über [a, b] integrierbar, und gelte f(x) ≤ g(x) für alle x ∈ [a, b]. Dann folgt∫ baf(x) dx ≤∫ b

ag(x) dx.

(b) Sei f stetig und nicht-negativ auf [a, b], und gelte∫ baf(x) dx = 0. Dann folgt f(x) = 0 für alle

x ∈ [a, b].

Beweis: Zu (a): Für jede Zerlegung von [a, b] und jede Wahl von Zwischenpunkten ist die Riemannsummevon f nicht gröÿer als die von g. Daher folgt die Behauptung mit der De�nition des Integrals.

Zu (b): Die Funktion F (x) =∫ x0f(t) dt ist monoton wachsend, da F ′(x) = f(x) ≥ 0 ist. Wegen F (a) =

F (b) = 0 folgt also, dass F die Nullfunktion ist, und deshalb gilt dasselbe auch für f . 2

De�nition 8.4.8 Sei a < b, und sei f über [a, b] integrierbar. Die Zahl

µ =1

b− a

∫ b

a

f(x) dx

heiÿt der Mittelwert von f über [a, b].

Satz 8.4.9 (Erster Mittelwertsatz der Integralrechnung)Sei a < b, sei f über [a, b] integrierbar, und sei µ der Mittelwert von f über [a, b]. Dann ist

m = inf{f(x) : a ≤ x ≤ b} ≤ µ ≤ sup{f(x) : a ≤ x ≤ b} =M.

Falls f auf [a, b] stetig ist, existiert ein ξ ∈ [a, b] mit µ = f(ξ).

Beweis: Wegen m ≤ f(x) ≤ M folgt die Ungleichung aus Lemma 8.4.7 (a), und der Zusatz ergibt sichaus dem Zwischenwertsatz. 2

Satz 8.4.10 (Erweiterter Mittelwertsatz der Integralrechnung)Seien g und f g über [a, b] integrierbar, und sei g(x) ≥ 0 für alle x ∈ [a, b]. Dann existiert ein µ ∈ [m,M ],mit m, M wie im vorigen Satz, so dass∫ b

a

f(x) g(x) dx = µ

∫ b

a

g(x) dx .

Ist f stetig auf [a, b], so gibt es ein ξ ∈ [a, b] mit f(ξ) = µ.

90

Beweis: Es gilt

m

∫ b

a

g(x) dx ≤∫ b

a

f(x) g(x) dx ≤M∫ b

a

g(x) dx ,

und daraus folgt die Behauptung. 2

Satz 8.4.11 (Zweiter Mittelwertsatz der Integralrechnung)Seien f stetig di�erenzierbar und monoton, sowie g stetig auf [a, b]. Dann existiert ein ξ ∈ [a, b] mit∫ b

a

f(x) g(x) dx = f(a)

∫ ξ

a

g(x) dx + f(b)

∫ b

ξ

g(x) dx .

Beweis: O. B. d. A. sei f wachsend, also f ′(x) ≥ 0. Sei G Stammfunktion von g, dann folgt mit partiellerIntegration ∫ b

a

f(x) g(x) dx = f(x)G(x)|ba −∫ b

a

f ′(x)G(x) dx .

Aus dem vorherigen Satz und dem Zwischenwertsatz folgt die Existenz von ξ mit∫ b

a

f ′(x)G(x) dx = G(ξ)

∫ b

a

f ′(x) dx = G(ξ) f(x)|ba .

Daraus ergibt sich die Behauptung. 2

Satz 8.4.12 (Gliedweise Integration) Gegeben sei ein abgeschlossenes Intervall [a, b] ⊂ R, sowieFunktionen fn, gk : [a, b] −→ K für alle n, k ∈ N. Dann gilt:

(a) Sind alle fn über [a, b] integrierbar, und ist die Funktionenfolge (fn) auf [a, b] gleichmäÿig konver-gent, so ist auch die Grenzfunktion f über [a, b] integrierbar, und es gilt∫ b

a

f(x) dx = limn→∞

∫ b

a

fn(x) dx.

(b) Sind alle gk über [a, b] integrierbar, und ist die Funktionenreihe∑∞k=1 gk auf [a, b] gleichmäÿig

konvergent, so ist auch die Grenzfunktion f über [a, b] integrierbar, und es gilt∫ b

a

f(x) dx =

∞∑k=1

∫ b

a

gk(x) dx.

Beweis: Zu (a): O. B. d. A. sei b > a. Zu ε > 0 gibt es nach De�nition der gleichmäÿigen Konvergenzein n ∈ N mit |f(x)− fn(x)| ≤ ε/(b− a) für alle x ∈ [a, b ]. Daraus folgt für jede Zerlegung Z von [a, b ]für die Obersummen Of (Z), Ofn(Z) und Untersummen Uf (Z), Ufn(Z) von f bzw. fn, dass

|Uf (Z)− Ufn(Z)| ≤ ε , |Of (Z)−Ofn(Z)| ≤ ε .

Nach dem Riemannschen Integrabilitätskriterium existiert eine Zerlegung Z mit Ofn(Z) − Ufn(Z) < ε,und daher folgt

Of (Z)− Uf (Z) = Of (Z)−Ofn(Z) + Ufn(Z)− Uf (Z) +Ofn(Z)− Ufn(Z)< 3 ε .

91

Daraus folgt die Integrierbarkeit von f mit dem Riemannschen Integrabilitätskriterium. Die behaupteteGleichung folgt sofort wegen∣∣∣ ∫ b

a

(f(x) − fn(x)) dx∣∣∣ ≤ (b− a) max

x∈[a,b]|f(x) − fn(x)|

aus der gleichmäÿigen Konvergenz. Der Teil (b) kann wie üblich mit fn =∑nk=1 gk auf (a) zurückgeführt

werden. 2

Aufgabe 8.4.13 Finde eine Potenzreihenentwicklung für arctanx und Entwicklungspunkt x0 = 0.

Lösung: Aus dem ersten Hauptsatz folgt wegen arctan 0 = 0, dass

arctanx =

∫ x

0

1

1 + t2dt ∀ x ∈ R.

Aus der geometrischen Reihe folgt

1

1 + t2=

∞∑k=0

(−1)k t2k ∀ |t| < 1,

und die Reihe ist sogar gleichmäÿig konvergent für |t| ≤ r, mit beliebigem r < 1. Deshalb folgt ausSatz 8.4.12, dass

arctanx =∞∑k=0

(−1)k x2k+1

2k + 1,

zunächst nur für |x| ≤ r, aber da ja r beliebig dicht bei 1 sein kann, ist dies sogar richtig für alle x mit|x| < 1. 2

8.5 Die Partialbruchzerlegung

Auf der einen Seite garantiert der zweite Hauptsatz zu jeder stetigen Funktion f die Existenz einerStammfunktion F , andererseits gibt er keinen Hinweis darauf, wie man F explizit berechnen kann. Tat-sächlich ist es so, dass man z. B. für f(x) = exp(−x2) keine Stammfunktion durch die uns bekanntenFunktionen ausdrücken kann. In diesem Abschnitt wollen wir allerdings zeigen, dass man beliebige ra-tionale Funktionen in einfache Ausdrücke zerlegen kann, für welche man dann einzeln Stammfunktionen�ndet. Dazu benötigen wir einige Hilfsmittel:

Satz 8.5.1 (Fundamentalsatz der Algebra)Jedes nicht konstante Polynom p ∈ C[z] besitzt mindestens eine Nullstelle in C.

Beweis: Sei p(z) =∑nk=0 ak z

k, mit n ∈ N, ak ∈ C, an 6= 0. Sei f(z) = |p(z)| ≥ 0, und sei µ = inf{f(z) :z ∈ C}. Es gilt f(z) ≥ |an| rn −

∑n−1k=0 |ak| rk → ∞ für r = |z| → ∞. Deshalb gibt es ein R > 0 derart,

dass f(z) > µ für |z| > R, und somit muss es eine Folge (zn) in der Kreisscheibe um 0 mit Radius Rgeben, für welche limn→∞ f(zn) = µ gilt. Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraÿ besitzt diese Folge einekonvergente Teilfolge, etwa mit Grenzwert z0, und wegen der Stetigkeit von f folgt hieraus f(z0) = µ.Wir nehmen an, dass µ > 0 ist und setzen q(z) = p(z + z0)/p(z0). Dann ist q ein Polynom n-ten Grades

92

mit |q(z)| ≥ q(0) = 1. Sei q(z) = 1 +∑nk=m bk z

k, mit bm 6= 0, m ≥ 1. Setze bm = ρ eiφ, und wählez = r e−i(φ+π)/m, also zm bm = −rm ρ < 0. Dann ist

|q(z)| ≤ 1 − rm ρ +n∑

k=m+1

|bk| rk < 1

falls r genügend klein ist. Das ist ein Widerspruch zu |q(z)| ≥ 1. 2

Korollar zu Satz 8.5.1 Zu jedem p ∈ C[z] vom Grade n ≥ 1 existieren verschiedene z1, . . . , zm ∈ C,natürliche Zahlen ν1, . . . , νm mit ν1 + . . .+ νm = n, und ein a ∈ C \ {0} derart, dass

p(z) = a (z − z1)ν1 · . . . · (z − zm)νm ∀ z ∈ C. (8.5.1)

Beweis: Induktion über n: Für n = 1 ist p(z) = az+b, mit a 6= 0, also gilt p(z) = a (z−z1)mit z1 = −b/a.Für n ≥ 2 existiert nach Satz 8.5.1 ein z0 ∈ C mit p(z0) = 0. Nach Ergebnissen in Abschnitt 3.2 gilt dannp(z) = (z− z0)ν q(z) mit einer natürlichen Zahl ν und einem Polynom q vom Grade n− ν mit q(z0) 6= 0.Anwendung der Induktionshypothese liefert dann die Behauptung. 2

Satz 8.5.2 Zu jedem reellen Polynom p ∈ R[x] vom Grade n ≥ 1 existieren verschiedene x1, . . . , xµ ∈ R,verschiedene (a1, b1), . . . , (aν , bν) ∈ R2, wobei auch µ = 0 oder ν = 0 eintreten kann, eine reelle Zahla 6= 0, sowie natürliche Zahlen ν1, . . . , νµ, σ1, . . . , σν derart, dass folgendes gilt:

(a) Es ist∑µk=1 νk + 2

∑νk=1 σk = n.

(b) Es ist a2k < 4 bk, d. h., x2 − ak x+ bk hat keine reellen Nullstellen, für alle k = 1, . . . , ν.

(c) Es gilt die Darstellung

p(x) = a (x− x1)ν1 · . . . · (x− xµ)νµ (x2 − a1 x+ b1)σ1

· . . . · (x2 − aν x+ bν)σν ∀ x ∈ R. (8.5.2)

Beweis: Es ist p(x) =∑nk=0 ak x

k, mit ak ∈ R. Ist z0 eine nicht-reelle Nullstelle von p, so folgt

p(z0) =

n∑k=0

ak z0k =

( n∑k=0

ak zk0

)= p(z0) = 0.

Daher ist also z0 ebenfalls eine Nullstelle von p, und man kann zeigen, dass beide die gleiche Vielfachheithaben. Die Nullstellenmenge von p besteht also aus (verschiedenen) reellen Nullstellen x1, . . . , xµ ∈ R(wobei evtl. µ = 0 sein kann), sowie (gleichfalls verschiedenen) Paaren von konjugiert-komplexen nicht-reellen Nullstellen (z1, z1), . . . , (zν , zν) (wobei auch ν = 0 eintreten kann). Sind ν1, . . . , νµ, σ1, . . . , σν diezugehörigen Vielfachheiten, so folgt (a). Setzt man ak = 2 Re zk, bk = |zk|2, so folgt (x− zk) (x− zk) =x2 − ak x + bk, und es gilt (b). Aus dem Korollar zu Satz 8.5.1 folgt dann (c), und da a o�enbar derhöchste Koe�zient von p ist, ist a ∈ R. 2

Satz 8.5.3 (Partialbruchzerlegung im Komplexen) Seien p, q ∈ C[z] mit 0 ≤ deg p < deg q, undgelte (8.5.1) für q an Stelle von p. Dann gibt es eindeutig bestimmte Zahlen ajk ∈ C mit

r(z) =p(z)

q(z)=

m∑k=1

νk∑j=1

ajk(z − zk)j

∀ z ∈ C \ {z1, . . . , zm}. (8.5.3)

93

Beweis: Die Gleichung (8.5.3) ist äquivalent zu der Polynomgleichung

p(z) =m∑k=1

νk∑j=1

ajk pjk(z), pjk(z) := (z − zk)νk−j∏µ6=k

(z − zµ)νµ =q(z)

a (z − zk)j.

Also ist zu zeigen, dass jedes Polynom p vom Grade echt kleiner als n = deg q = ν1 + . . . + νm eineLinearkombination der n Polynome pjk ist, und dies ist wiederum äquivalent zur linearen Unabhängigkeitder pjk. Wir zeigen deshalb durch Induktion über n: Wenn verschiedene Zahlen z1, . . . , zm ∈ C undnatürliche Zahlen ν1, . . . , νm mit ν1+ . . .+νm = n gegeben sind, dann sind die entsprechenden Polynomepjk immer linear unabhängig. Für n = 1 ist o�enbar nichts zu zeigen. Sei also n ≥ 2, und sei

0 =

m∑k=1

νk∑j=1

ajk pjk(z) ∀ z ∈ C. (8.5.4)

O�enbar gilt pjk(zτ ) = 0 auÿer für k = τ und j = ντ , aber pνττ (zτ ) 6= 0. Einsetzen von zτ , für irgend einτ = 1, . . . ,m, in (8.5.4) ergibt deshalb 0 = aνττ . Also folgt jetzt

0 =m∑k=1

νk−1∑j=1

ajk pjk(z) ∀ z ∈ C,

wobei einige der inneren Summen auch leer sein können. Die übrig gebliebenen Polynome haben alle dieNullstellen z1, . . . , zm, und deshalb können wir die Gleichung durch (z−z1)·. . .·(z−zm) dividieren. Die soentstehende Gleichung ist wieder von der gleichen Natur wie (8.5.4), aber so, dass die Induktionshypotheseanwendbar ist. Aus dieser folgt, dass auch die übrigen Koe�zienten ajk = 0 sein müssen. 2

Satz 8.5.4 (Partialbruchzerlegung im Reellen) Seien p, q ∈ R[x] mit 0 ≤ deg p < deg q, und gel-te (8.5.2). Dann gibt es eindeutig bestimmte Zahlen ajk, αjk, βjk ∈ R so, dass

r(x) =

µ∑k=1

νk∑j=1

ajk(x− xk)j

+ν∑k=1

σk∑j=1

αjk x+ βjk(x2 − ak x+ bk)j

∀ x ∈ D, (8.5.5)

mit D = R \ {x1, . . . , xµ}.

Beweis: Der Beweis ist weitgehend analog zu dem des vorherigen Satzes: Wir betrachten wieder dieäquivalente Polynomgleichung

p =

µ∑k=1

νk∑j=1

ajk pjk +ν∑k=1

νk∑j=1

(αjk x+ βjk) qjk,

mit pjk(x) = q(x)/(x−xk)j , qjk(x) = q(x)/(x2−ak x+bk)j (beachte, dass dies tatsächlich alles Polynomein x sind). Wieder sieht man, dass die Behauptung äquivalent zur linearen Unabhängigkeit der Polynomepjk(x), qjk(x) und x qjk(x) ist. Also betrachten wir die Gleichung

0 =

µ∑k=1

νk∑j=1

ajk pjk(x) +ν∑k=1

νk∑j=1

(αjk x+ βjk) qjk(x) ∀ x ∈ R.

Aus dem Nullstellensatz für Polynome folgt, dass dieselbe Gleichung aber auch für alle z ∈ C gelten muss.Einsetzen der reellen Nullstellen x1, . . . , xµ ∈ R ergibt dann aνkk = 0 für alle k. Setzt man ein Paar vonkonjugiert komplexen Nullstellen ein, so erhält man zwei Gleichungen, aus denen ασkk = βσkk = 0 folgt.Danach kann man auf die verbleibende Summe wieder die Induktionshypothese anwenden. 2

94

Bemerkung 8.5.5 (Durchführung der Partialbruchzerlegung)Hat man den entsprechenden Ansatz für die Partialbruchzerlegung gemacht, so multipliziert man am bes-ten beide Seiten mit dem Nennerpolynom q(x) und erhält so eine äquivalente Polynomgleichung. Danachbieten sich folgende Möglichkeiten an:

1. Durch Sammeln aller Terme mit gleichen Potenzen der Variablen, also durch Koe�zientenvergleich,erhält man ein lineares Gleichungssystem, welches in jedem Fall eindeutig gelöst werden kann.

2. Durch Einsetzen geeigneter Werte, vor allem der Nullstellen des Nennerpolynoms, erhält man Glei-chungen, welche in der Regel sehr einfach nach einer der Unbekannten au�ösbar sind. In jedem Fallfolgt aus dem Nullstellensatz für Polynome, dass sich durch Einsetzen von n verschiedenen Wertenein Gleichungssystem ergibt, welches eindeutig lösbar ist.

3. Durch Di�erenzieren der Polynomgleichung kann man eine neue, einfachere Gleichung erhalten, ausder man einige Unbekannte bestimmen kann.

Man kann auch Schritte der drei obigen Typen mischen, wenn man die bereits berechneten Werte füreinige der Unbekannten in die Polynomgleichung einsetzt. In jedem Fall muss man ein Gleichungssystemin n Unbekannten lösen, und der obige Satz besagt gerade, dass diese Unbekannten eindeutig bestimmbarsind. Siehe dazu auch die folgenden Beispiele und Aufgaben.

Beispiel 8.5.6 Sei r(x) = 1/(x2 − x). Da der Nenner die Nullstellen 0 und 1 hat, welche beide dieVielfachheit 1 haben, folgt aus obigem Satz, dass es eindeutig bestimmte Zahlen a und b aus R gebenmuss, für welche

r(x) =1

x2 − x=

a

x+

b

x− 1∀ x ∈ R \ {0, 1}.

Um sie zu �nden, multiplizieren wir die Gleichung mit dem Nennerpolynom und erhalten die äquivalenteGleichung

1 = a (x− 1) + b x ∀ x ∈ R.Einsetzen von x = 0 ergibt a = −1, einsetzen von x = 1 ergibt b = 1.

Beispiel 8.5.7 Sei jetzt r(x) = 1/(x3 + x)2. Jetzt sind sechs reelle Zahlen a, b, c, d, e, f zu �nden mit

r(x) =1

(x3 + x)2=

a

x+

b

x2+

c x+ d

x2 + 1+

e x+ f

(x2 + 1)2∀ x ∈ R \ {0}.

Dies ist äquivalent zu

1 = a x (x2 + 1)2 + b (x2 + 1)2 + (c x+ d)x2 (x2 + 1) + (e x+ f)x2 ∀ x ∈ R.

Für x = 0 folgt b = 1. Da die Gleichung auch für komplexe x richtig sein muss, erhält man durchEinsetzen von ±i die Gleichungen

1 = −(e i+ f) = −(−e i+ f).

Daraus folgt e = 0, f = −1. Bringt man die schon gefundenen Terme auf die linke Seite, so erhält man

−x2 (x2 + 1) = a x (x2 + 1)2 + (c x+ d)x2 (x2 + 1) ∀ x ∈ R.

Jetzt kann man o�enbar durch x (x2 + 1) teilen und erhält so

−x = a (x2 + 1) + (c x+ d)x ∀ x ∈ R.

Einsetzen von x = 0 liefert a = 0. Einsetzen von ±i ergibt die Gleichungen

−1 = i c+ d = −i c+ d,

woraus d = −1 und c = 0 folgen. Eine Probe ist hier sicher angebracht!

95

Als Anwendung der Partialbruchzerlegung wollen wir nun das Problem angehen, zu einer beliebigenrationalen Funktion (mit reellen Koe�zienten) eine Stammfunktion zu �nden:

Aufgabe 8.5.8 Gegeben sei eine rationale Funktion r ∈ R(x). Finde eine Stammfunktion.

Lösung: Sei r = p/q. Falls deg p ≥ deg q ist, kann man nach einer Übungsaufgabe auf Seite 30 Polynomep1, p2 ∈ R[x] �nden mit

r =p

q= p1 +

p2q,

und deg p2 < deg q. Da man zu p1 sofort eine Stammfunktion angeben kann, soll imWeiteren angenommensein, dass deg p < deg q ist. Dann kann man nach dem Satz über die Partialbruchzerlegung im Reellen dieFunktion r in eine Summe von einfachen Termen zerlegen. Es bleibt also zu zeigen, dass man zu jedemeinzelnen Term eine Stammfunktion angeben kann. Dies wollen wir jetzt tun, wobei in jedem Fall durchDi�erenzieren nachgeprüft werden kann, dass die angegebene Funktion F tatsächlich Stammfunktion zuf ist:

1. f(x) = (x− x0)−1 hat die Stammfunktion F (x) = log |x− x0|.

2. f(x) = (x− x0)−j hat die Stammfunktion F (x) = (1− j)−1 (x− x0)1−j für alle natürlichen Zahlenj ≥ 2.

3. Sei jetzt f(x) = (αx+β)/(x2−a x+ b), wobei a2 < 4 b sei, damit der Nenner keine reelle Nullstellemehr hat. Wir zerlegen f = g + h mit

g(x) =α

2

2x− ax2 − a x+ b

, h(x) =β + aα/2

x2 − a x+ b.

Mit der Kettenregel zeigt man, dass G(x) = (α/2) log |x2 − a x+ b| Stammfunktion zu g ist, und

H(x) =2β + αa√4 b− a2

arctan2x− a√4 b− a2

ist Stammfunktion zu h.

4. Als letztes sei f(x) = (αx + β)/(x2 − a x + b)j für eine natürliche Zahl j ≥ 2 und a2 < 4 b. Wirzerlegen f = f1 + f2, mit

f1(x) =α

2

2x− a(x2 − a x+ b)j

, f2(x) =aα/2 + β

(x2 − a x+ b)j.

Eine Stammfunktion zu f1 ist

F1(x) =−α

2 (j − 1)

1

(x2 − a x+ b)j−1.

Es reicht deshalb aus, eine Stammfunktion zu gj(x) = (x2−a x+b)−j zu �nden. Man rechnet nach,dass gilt

(4 b− a2) (j − 1) gj(x) =2 (2 j − 3)

(x2 − a x+ b)j−1+

d

dx

2x− a(x2 − a x+ b)j−1

.

Der zweite Term hat natürlich eine Stammfunktion, während der erste Term, bis auf eine Konstante,gleich gj−1 ist. Daher kann man aus dieser Formel rekursiv eine Stammfunktion zu gj berechnen.

Es sei noch erwähnt, dass man die oben angegebenen Stammfunktionen sowie viele weitere in zahlreichenFormelsammlungen wie etwa [3] nachschlagen kann. 2

96

Aufgabe 8.5.9 Führe eine Partialbruchzerlegung im Reellen für folgende rationale Funktionen durch:

1

x (x− 1) (x+ 1),

x2

(x− 1)2 (x+ 1),

x2

(x− 1)2 (x2 + 1).

Aufgabe 8.5.10 Finde Stammfunktionen zu den drei rationalen Funktionen aus der vorigen Aufgabe.

8.6 Der Taylorsche Satz

Im Folgenden betrachten wir ein abgeschlossenes Intervall [a, b] ⊂ R und ein f : [a, b] −→ R.

Lemma 8.6.1 (Mehrfache Stammfunktion) Sei f stetig auf [a, b], und sei für ein x0 ∈ [a, b] undn ∈ N

Fn(x) =

∫ x

x0

(x− t)n−1

(n− 1)!f(t) dt ∀ x ∈ [a, b].

Dann ist Fn auf [a, b] n-mal stetig di�erenzierbar. Weiter gilt F(k)n (x0) = 0 für 0 ≤ k ≤ n − 1, und die

n-te Ableitung von Fn ist f .

Beweis: Induktion über n: Für n = 1 folgt die Behauptung aus dem zweiten Hauptsatz. Sei jetzt n ≥ 1,und sei Fn+1 betrachtet. Nach der binomischen Formel gilt

Fn+1(x) =n∑k=0

xk

k!

∫ x

x0

(−t)n−k

(n− k)!f(t) dt,

und daraus folgt mit dem zweiten Hauptsatz, dass

F ′n+1(x) =

n∑k=1

xk−1

(k − 1)!

∫ x

x0

(−t)n−k

(n− k)!f(t) dt +

n∑k=0

xk

k!

(−x)n−k

(n− k)!f(x)

=n−1∑k=0

xk

k!

∫ x

x0

(−t)n−k−1

(n− k − 1)!f(t) dt +

xnf(x)

n!

n∑k=0

(n

k

)(−1)n−k

= Fn(x) +xnf(x)

n!(1− 1)n = Fn(x) .

Daraus folgt die Behauptung. 2

Satz 8.6.2 (Satz von Taylor) Sei f auf [a, b] (n + 1)-mal stetig di�erenzierbar. Dann gilt für allex, x0 ∈ [a, b]

f(x) =n∑k=0

f (k)(x0)

k!(x− x0)k +

1

n!

∫ x

x0

(x− t)n f (n+1)(t) dt.

Beweis: Wir setzen abkürzend

g(x) =1

n!

∫ x

x0

(x− t)n f (n+1)(t) dt.

Nach dem obigen Lemma ist die (n+ 1)-te Ableitung von g gleich f (n+1), und alle früheren Ableitungenverschwinden an der Stelle x0. Also folgt, dass die Di�erenzfunktion h = f −g auf [a, b] (n+1)-mal stetig

97

di�erenzierbar ist, und dass h(n+1)(x) ≡ 0 ist. Mit einer Übungsaufgabe folgt hieraus, dass h ein Polynomhöchstens n-ten Grades ist. Also gilt

f(x) =n∑k=0

hk (x− x0)k + g(x)

mit noch zu bestimmenden Koe�zienten hk. Durch Di�erenzieren und Einsetzen von x0 folgt dann aberk!hk = f (k)(x0), da alle Ableitungen von g bis zur Ordnung n an der Stelle x0 verschwinden. 2

Korollar zu Satz 8.6.2 Sei f mindestens 2n-mal stetig di�erenzierbar auf einem o�enen Intervall(a, b), für ein n ∈ N, und gelte für ein x0 ∈ (a, b):

f ′(x0) = f ′′(x0) = . . . = f (2n−1)(x0) = 0, f (2n)(x0) 6= 0.

Dann hat f im Punkt x0 ein lokales Extremum, und zwar ein lokales Minimum für f (2n)(x0) > 0, undein lokales Maximum für f (2n)(x0) < 0.

Beweis: Aus dem Taylorschen Satz folgt

f(x)− f(x0) =1

(2n− 1)!

∫ x

x0

(x− t)2n−1 f (2n)(t) dt ∀ x ∈ (a, b).

Da f (2n) stetig ist, gibt es ein ε > 0 für welches f (2n)(x) auf (x0 − ε, x0 + ε) stets das gleiche Vorzeichenhat wie f (2n)(x0). Daraus folgt für x > x0 sofort, dass auch f(x)−f(x0) gleiches Vorzeichen wie f (2n)(x0)hat. Beachtet man, dass per De�nition gilt∫ x0

x

(x− t)2n−1 f (2n)(t) dt = −∫ x

x0

(x− t)2n−1 f (2n)(t) dt

so folgt dasselbe aber auch für x < x0. 2

De�nition 8.6.3 Sei f auf [a, b] wenigstens n-mal di�erenzierbar, und sei x0 ∈ [a, b]. Dann heiÿt

pn(x) =n∑k=0

f (k)(x0)

k!(x− x0)k

das n-te Taylorpolynom von f an der Stelle x0. Die Di�erenz rn = f − pn heiÿt das Taylorsche Restgliedn-ter Ordnung.

Ist f sogar beliebig oft di�erenzierbar auf [a, b], so heiÿt die Potenzreihe

∞∑k=0

f (k)(x0)

k!(x− x0)k

die Taylorreihe von f im Punkt x0.

Bemerkung 8.6.4 Wir haben eine Reihe von Funktionen über Potenzreihen de�niert. Es ist leicht zusehen, dass diese Reihen gerade die Taylorreihen der entsprechenden Funktionen im Punkt x0 = 0 sind.Per De�nition konvergiert die Talyorreihe von f genau dann für ein x gegen f(x), wenn gilt rn(x) −→ 0für n → ∞. Dies muss aber durchaus nicht gelten: Es kann vorkommen, dass die Taylorreihe für allex 6= x0 divergiert, oder dass sie konvergiert, aber sozusagen gegen den falschen Wert, soll heiÿen, nichtgegen f(x). Der Satz von Taylor kann kurz so ausgedrückt werden:

rn(x) =1

n!

∫ x

x0

(x− t)n f (n+1)(t) dt.

98

Man nennt diese Gleichung auch die Darstellung des Restgliedes in Integralform. Aus dem erweiter-ten Mittelwertsatz folgt, wenn man dort f durch f (n+1) und g durch (x − t)n/n! ersetzt und noch denZwischenwertsatz benutzt, dass für einen geeigneten Wert ξ zwischen x und x0 gilt

rn(x) = (x− x0)n+1 f (n+1)(ξ)

(n+ 1)!.

Man nennt diese Gleichung auch die Darstellung des Restgliedes in di�erenzieller Form.

Behauptung 8.6.5 Für alle α ∈ R gilt

(1 + x)α =∞∑k=0

k

)xk ∀ x ∈ (−1, 1) .

Die Reihe heiÿt auch die Binomialreihe.

Beweis: Die Behauptung ist klar wenn α ∈ N ist. Im anderen Fall folgt aus Satz 5.8.7, dass dieBinomialreihe den Konvergenzradius R = 1 hat. Auÿerdem ist die Reihe gerade die Taylorreihe vonf(x) = (1 + x)α (mit x0 = 0), und das Restglied ist in diesem Fall gleich

rn(x) =

n

)(α− n)

∫ x

0

(x− t)n (1 + t)α−n−1 dt.

Zu zeigen ist also, dass das Restglied für |x| < 1 gegen 0 geht wenn n → ∞. Dies folgt allerdings für xnahe bei −1 nicht direkt aus den üblichen Abschätzungen. Deshalb gehen wir anders vor:

Nach einer der unten stehenden Aufgaben folgt, dass es genau eine auf (−1, 1) stetig di�erenzierbareFunktion y(x) gibt, die die Bedingungen

y′(x) =α

(1 + x)y(x) ∀ x ∈ (−1, 1) , y(0) = 1

erfüllt. O�ensichtlich sind diese Gleichungen richtig für y(x) = (1 + x)α. Man rechnet aber leicht nach,dass auch die durch die Binomialreihe de�nierte Funktion eine Lösung dieses Anfangswertproblems ist,und daher muss die Behauptung gelten. 2

Aufgabe 8.6.6 Zeige durch Induktion über n: Ist f auf einem Intervall I n-mal di�erenzierbar, und istdie n-te Ableitung von f die Nullfunktion, so ist f ein Polynom vom Grade höchstens gleich n− 1.

Aufgabe 8.6.7 Sei f mindestens (2n + 1)-mal stetig di�erenzierbar auf einem o�enen Intervall (a, b),für ein n ∈ N, und gelte für ein x0 ∈ (a, b):

f ′(x0) = f ′′(x0) = . . . = f (2n)(x0) = 0, f (2n+1)(x0) 6= 0.

Zeige: Dann hat f im Punkt x0 kein lokales Extremum.

Aufgabe 8.6.8 Finde die Taylorreihe von f(x) = log x im Punkt x0 = 1 und untersuche ihre Konver-genz.

Aufgabe 8.6.9 (Lineare homogene Di�erenzialgleichung erster Ordnung) Sei I ⊂ R ein Inter-vall, sei f : I −→ R stetig, und sei F (x) =

∫ xx0f(t) dt, für ein x0 ∈ I. Sei schlieÿlich y0 ∈ R.

99

1. Zeige: Die Funktion y(x) = y0 eF (x) erfüllt die beiden Bedingungen

y′(x) = f(x) y(x) , ∀ x ∈ I, y(x0) = y0.

Man nennt die erste der beiden Gleichungen eine lineare homogene Di�erenzialgleichung ersterOrdnung (und y eine Lösung derselben), während die zweite auch Anfangsbedingung genannt wird.Beide zusammen stellen ein Anfangswertproblem dar.

2. Zeige weiter: Ist y irgend eine Funktion auf I, die beiden Bedingungen genügt, so ist y(x) e−F (x)

konstant, und durch Einsetzen von x = x0 folgt dann y(x) = y0 eF (x).

Schlieÿe hieraus dass das obige Anfangswertproblem genau eine Lösung y besitzt.

Aufgabe 8.6.10 (Di�erenzialgl. mit getrennten Veränderlichen) Seien I1, I2 ⊂ R zwei Intervalle,seien f : I1 −→ R und g : I2 −→ R stetig, und sei g(x) > 0 auf I2. Seien weiter F und G Stammfunktionenzu f bzw. 1/g (also G streng monoton wachsend auf I2). Seien schlieÿlich x0 ∈ I1, y0 ∈ I2.

1. Zeige: Ist I ⊂ I1 ein Intervall, und ist y : I −→ I2 stetig di�erenzierbar, mit

y′(x) = f(x) g(y(x)) ∀ x ∈ I, y(x0) = y0, (8.6.1)

so folgt F (x)−F (x0) =∫ xx0f(t) dt =

∫ xx0y′(t)/g(y(t)) dt = G(y(x))−G(y0) für x ∈ I. Da G injektiv

ist, kann diese Gleichung nach y(x) aufgelöst werden, und wir erhalten

y(x) = G−1(G(y0) + F (x)− F (x0)

)∀x ∈ I. (8.6.2)

2. Zeige: Ist I ⊂ I1 ein Intervall und so, dass für x ∈ I immer gilt G(y0) +F (x)−F (x0) ∈ G(I2), undde�niert man y durch (8.6.2), so erfüllt y die Bedingungen (8.6.1).

Schlieÿe hieraus dass das Anfangswertproblem (8.6.1) auf dem in 2. angegebenen Intervall genau eineLösung y besitzt.

8.7 Uneigentliche Integrale

Im Folgenden betrachten wir ein Intervall der Form [a, b) mit a ∈ R und b ∈ R, a < b.

De�nition 8.7.1 Sei f : [a, b) −→ R über jedes Intervall der Form [a, c], mit a ≤ c < b, integrierbar,und existiere limc→b−

∫ caf(x) dx. Dann heiÿt f über [a, b) uneigentlich integrierbar, und wir nennen∫ b

a

f(x) dx = limc→b−

∫ c

a

f(x) dx

das uneigentliche Integral von f über [a, b). Wir sagen manchmal: das uneigentliche Integral ist konver-gent, falls f uneigentlich integrierbar ist. Falls |f | über [a, b) uneigentlich integrierbar ist, sagen wir auch:das uneigentliche Integral von f ist absolut konvergent. Beachte: Falls b < ∞ ist, und falls f auf [a, b]integrierbar ist, gilt für alle c ∈ [a, b):∫ b

a

f(x) dx =

∫ c

a

f(x) dx +

∫ b

c

f(x) dx.

100

Die Fundamentalabschätzung impliziert mit M = sup |f(x)|, dass∣∣∣ ∫ b

c

f(x) dx∣∣∣ ≤M (b− c)→ 0 (c→ b−).

Deshalb ist f auch uneigentlich integrierbar über [a, b), und das uneigentliche Integral ist gleich dem Inte-gral. In analoger Weise kann man auch uneigentliche Integrale über Intervalle der Form (a, b] de�nieren,wobei a auch gleich −∞ sein kann.

Beispiel 8.7.2 Sei α > 1. Aus∫ a1x−αdx = (α − 1)−1 (1 − a1−α) → (α − 1)−1 für a → ∞ folgt die

Konvergenz des uneigentlichen Integrals∫∞1x−αdx, und∫ ∞

1

dx

xα=

1

α− 1.

Beispiel 8.7.3 Sei 0 < α < 1. Aus∫ 1

εx−αdx = (1− α)−1 (1− ε1−α)→ (1− α)−1 für ε→ 0+ folgt die

Konvergenz des uneigentlichen Integrals∫ 1

0x−αdx, und∫ 1

0

dx

xα=

1

1− α.

Satz 8.7.4 (Cauchy-Kriterium für uneigentliche Integrale)

Das uneigentliche Integral∫ baf(x) dx ist genau dann konvergent, wenn gilt

∀ ε > 0 ∃ c ∈ [a, b) ∀ ξ ∈ [c, b), ∀ η ∈ [ξ, b) :∣∣∣ ∫ η

ξ

f(x) dx∣∣∣ < ε. (8.7.1)

Beweis: Sei I =∫ baf(x) dx konvergent. Aus der De�nition des Funktionsgrenzwertes folgt dann:

∀ ε > 0 ∃ c ∈ [a, b) ∀ ξ ∈ [c, b) :∣∣∣I − ∫ ξ

a

f(x) dx∣∣∣ < ε/2.

Wegen∫ ηξf(x) dx =

∫ ηaf(x) dx−

∫ ξaf(x) dx folgt dann für ξ ∈ [c, b), η ∈ [ξ, b):

∣∣∣ ∫ η

ξ

f(x) dx∣∣∣ ≤ ∣∣∣ ∫ η

a

f(x) dx− I∣∣∣ +

∣∣∣I − ∫ ξ

a

f(x) dx∣∣∣ < ε.

Um die Umkehrung zu zeigen, sei (cn) eine Folge aus [a, b), welche von links gegen b konvergiert, undsei In =

∫ cnaf(x) dx. Dann folgt aus (8.7.1), dass (In) eine Cauchy-Folge ist, also gegen einen Wert

I konvergiert. Dieser Wert ist von der Wahl der Folge (cn) unabhängig, und dies ist äquivalent zurKonvergenz des uneigentlichen Integrals. 2

Korollar zu Satz 8.7.4 Aus der absoluten Konvergenz des uneigentlichen Integrals∫ baf(x) dx folgt die

Konvergenz.

Beweis: Folgt aus |∫ ηξf(x) dx| ≤

∫ ηξ|f(x)| dx und dem Cauchy-Kriterium. 2

Beispiel 8.7.5 Sei α > 0, und gelte 1 ≤ ξ < η. Dann ist∫ η

ξ

sinx

xαdx = − cosx

∣∣∣ηξ− α

∫ η

ξ

cosx

xα+1dx .

101

Daraus folgt ∣∣∣ ∫ η

ξ

sinx

xαdx∣∣∣ ≤ 1

ξα+

1

ηα+ α

∫ η

ξ

1

xα+1dx .

Mit Beispiel 8.7.2 und dem Cauchy-Kriterium folgt hieraus die Konvergenz des uneigentlichen Integrals∫∞1x−α sinx dx.

Satz 8.7.6 (Majorantenkriterium für uneigentliche Integrale)

Gilt |f(x)| ≤ g(x) für x ∈ [a, b), und ist das uneigentliche Integral∫ bag(x) dx konvergent, so ist

∫ baf(x) dx

absolut konvergent.

Beweis: Folgt aus dem Cauchy-Kriterium, denn∫ ηξ|f(x)| dx ≤

∫ ηξg(x) dx. 2

Satz 8.7.7 (Integralkriterium)Sei p ∈ Z, und sei f auf [p,∞) positiv und monoton fallend. Dann gilt: Genau dann ist das uneigentlicheIntegral

∫∞pf(x) dx konvergent, wenn die Reihe

∑∞n=p f(n) konvergiert, und

∞∑n=p+1

f(n) ≤∫ ∞

p

f(x) dx ≤∞∑n=p

f(n) .

Beweis: Aus der Monotonie von f folgt die Ungleichung f(n+ 1) ≤ f(x) ≤ f(n) für alle x ∈ [n, n+ 1],und hieraus folgt f(n+ 1) ≤

∫ n+1

nf(x) dx ≤ f(n), was die Behauptung ergibt. 2

Aufgabe 8.7.8 Zeige, dass das uneigentliche Integral∫∞1x−αdx für 0 ≤ α ≤ 1 nicht konvergiert.

Aufgabe 8.7.9 Zeige, dass das uneigentliche Integral∫ 1

0x−αdx für α ≥ 1 nicht konvergiert.

Aufgabe 8.7.10 Zeige für 0 ≤ α ≤ 1 dass∫∞1x−α sinx dx nicht absolut konvergiert.

8.8 Die Gamma-Funktion

De�nition 8.8.1 Sei f : [a, b] −→ C. Dann ist f(x) = u(x) + i v(x), u(x), v(x) ∈ R für alle x ∈ [a, b].Wir nennen f über [a, b] integrierbar, wenn u und v über [a, b] integrierbar sind, und setzen∫ b

a

f(x) dx =

∫ b

a

u(x) dx + i

∫ b

a

v(x) dx.

Beispiel 8.8.2 Für t ∈ R+ und z = x+ i y ∈ C ist

tz = e(x+i y) log t = tx (cos(y log t) + i sin(y log t)) .

Also ist per De�nition für 0 < ε < a:∫ a

ε

tz−1 e−t dt =

∫ a

ε

tx−1 e−t cos(y log t) dt + i

∫ a

ε

tx−1 e−t sin(y log t) dt .

Beide Integrale auf der rechten Seite haben für a→∞ immer einen Grenzwert. Dagegen muss x > 0 sein,damit auch für ε→ 0 ein Grenzwert existiert. Wir sagen deshalb: Das uneigentliche Integral

∫∞0tz−1 e−t dt

konvergiert für x = Re z > 0.

102

De�nition 8.8.3 Für Re z > 0 heiÿt die Abbildung z 7→ Γ(z) mit

Γ(z) =

∫ ∞

0

tz−1 e−t dt

die Gamma-Funktion.

Proposition 8.8.4 Für die Gamma-Funktion gilt die Darstellung

Γ(z) =

∫ ∞

1

tz−1 e−t dt +∞∑n=0

(−1)n

n! (n+ z), Re z > 0 .

Das uneigentliche Integral konvergiert für alle z ∈ C. Die unendliche Reihe konvergiert absolut in derMenge G = C \ {0, −1, −2, . . .}. Wir sagen deshalb, dass sich die Gamma-Funktion in die Menge Gfortsetzen läÿt.

Beweis: Aus der Exponentialreihe folgt die Entwicklung

tz−1 e−t =∞∑n=0

(−1)n tn+z−1

n!,

wobei die Reihe auf jedem Intervall der Form [ε, 1], mit ε > 0, gleichmäÿig konvergiert. Deshalb giltwegen des Satzes über gliedweise Integration∫ 1

ε

tz−1 e−t dt =

∞∑n=0

(−1)n tn+z

n! (n+ z)

∣∣∣∣1ε

,

und für ε→ 0 folgt die Behauptung. 2

Aufgabe 8.8.5 Zeige durch partielle Integration Γ(z + 1) = z Γ(z), für alle z ∈ C \ {0, −1, −2, . . .}.

Aufgabe 8.8.6 Berechne Γ(1), und zeige mit Hilfe der vorigen Aufgabe, dass Γ(n+ 1) = n! ist, für allen ∈ N0.

Satz 8.8.7 (Stirlingsche Formel) Für reelle Werte von x gilt

limx→∞

Γ(x) ex√x

xx=√2π .

(Ohne Beweis)

103

Index

=⇒, ⇐⇒, ∀, ∃, ∃1, 6(αn

), 24

◦, 8∅, 7∫, 82∏, 24∑, 24

A ⊂ B, 6A ∪B, A ∩B, A \B, A×B, 6[a, b ], (a, b), (a, b ], [a, b), 16Abänderung einer Folge, 37Abbildung, 8

auf, 8Abelscher Grenzwertsatz, 68abgeschlossen, 64Ableitung

der Umkehrfunktion, 75einseitige, 69erste, 69zweite, 69

absolute Konvergenz, 47von Integralen, 100

abzählbar, 22Addition, 9Additionstheoreme, 60AGM-Ungleichung, 33Archimedes, 20arcsinx, arccosx,. . . , 77Arcusfunktionen, 77Areafunktionen, 77arg z, 78Argument, 78arithmetisches Mittel, 32Assoziativgesetz, 9Auswahlaxiom, 22

Bernoullische Ungleichung, 25beschrankt, 12

nach oben/unten, 12Betrag, 15, 17bijektiv, 8Binomialkoe�zient, 24Binomialreihe, 99Binomischer Lehrsatz, 25Bisektionsmethode, 65

Bolzano-Weierstras, 41

C, 17Cauchy-Folge, 42Cauchy-Kriterium

für Folgen, 42für gleichmäsige Konverg., 56für Reihen, 45für uneigentliche Integrale, 101

Cauchy-Produkt, 53cos z, 59cosh z, 59Cosinusfunktion, 59

De�nitionsbereich, 8deg p, 28Di�erenz von Mengen, 7Di�erenzenquotient, 69Di�erenzialgleichung

lineare homogene, 99mit getrennten Veränd., 100

Di�erenzierbarkeit, 69einseitige, 69

Dirichletsche Sprungfunktion, 83Distributivgesetz, 9Divergenz, 35

bestimmte, 38Division mit Rest, 26

für Polynome, 30Doppelreihe, 52Dreiecksungleichung, 15

allgemeine, 25für Integrale, 87fürkomplexe Zahlen, 18nach unten, 15verallgemeinerte, 48

Durchschnitt, 7

e, 39eineindeutig, 8Einschrankung, 9einseitige Ableitung, 69Element, 6

maximales/minimales, 12Entwicklungspunkt

einer Potenzreihe, 57

104

Erster Hauptsatz, 88Eulersche Gleichung, 60exp(x), 39Exponentialfunktion, 39

Eigenschaften, 39Exponentialreihe, 49

f−1, 8f : X −→ Y , 8f+, f−, 27f(A), f−1(B), 8Fakultät, 24Feinheit, 82Folgen, 22

beschränkte, 34bestimmt divergente, 38divergente, 35konvergente, 35Null-, 34

Fortsetzung, 9Fundamentalabschätzung, 83Fundamentalsatz der Algebra, 92Funktionalgleichung

der Exponentialfunktion, 40im Komplexen, 59

des Logarithmus, 66Funktionen, 8

(un)gerade, 27beschränkte, 27di�erenzierbare, 69Gleichheit von, 8hyperbolische, 59konstante, 27lineare, 28monotone, 31quadratische, 28rationale, 28trigonometrische, 59

Funktionenfolge, 56Funktionenreihe, 56Funktionsgrenzwerte, 67

Γ(z), 103Gamma-Funktion, 103geometrische Reihe, 45geometrisches Mittel, 32gleichmäsige Stetigkeit, 66Glieder einer Reihe, 44gliedweise Integration, 91gliedweises Di�erenzieren, 74

von Potenzreihen, 70Grad, 28Graph, 8Grenzwert

einer Folge, 35

Groser Umordnungssatz, 52Grundrechenarten, 10

harmonisches Mittel, 33Häufungspunkt, 41

gröster/kleinster, 42uneigentlicher, 43

Hauptsatz der DIerster, 88zweiter, 88

Hintereinanderausführung, 8l'Hospitalsche Regeln

erste, 81zweite, 81

idX , 8identische Abbildung, 8Identitätssatz für Polynome, 29Im z, 17Imaginarteil, 17Induktion, 19Induktionsanfang, 20Induktionsprinzip, 19Induktionsschritt, 20induktiv, 19inf A, 13In�mum, 13injektiv, 8Integral, 82

e. komplexwertigen F., 102Riemann-, 82unbestimmtes, 88uneigentliches, 100Unter-/Ober-, 85

Integralkriterium, 102Interpolation, 30Intervall

abgeschlossenes, 16halbo�enes, 16o�enes, 16

Inverses Element, 9, 10Eindeutigkeit, 10

iterierte Reihe, 52

K+, 11Körper

der rationalen Zahlen, 21kartesisches Produkt, 7

bel. vieler Mengen, 22Kettenregel, 72Koe�zienten

einer Potenzreihe, 57eines Polynoms, 28

Kommutativgesetz, 9Komposition, 8

105

konjugiert komplex, 17Konvergenz, 35

absolute, 47von Integralen, 100

gleichmäsige, 56punktweise, 56unbedingte, 50uneigentliche, 38

KonvergenzkriteriumLeibniz, 46Majoranten-, 48Minoranten-, 48Quotienten-, 48Wurzel-, 48

Konvergenzradius, 57Ber. mit Quotientenkr., 58

Korper, 9der reellen Zahlen, 14geordneter, 11vollstandiger, 14

leere Menge, 7Leibniz-Kriterium, 46lim, 35limes superior/inferior, 42Lipschitzbedingung, 62Lipschitzkonstante, 62log x, 66Logarithmus, 66

einer komplexen Zahl, 78lokales Extremum, 79

Majorantenkriterium, 48für gleichmäsige Konverg., 56für uneigentliche Integrale, 102

maxA, 12Maximum/Minimum

von Funktionen, 64lokales, 79

von Mengen, 12Menge

(un)endliche, 22abzählbare, 22induktive, 19überabzählbare, 22

Mengenoperationen, 6minA, 12Minorantenkriterium, 48Mittel

arithmetisches, 32geometrisches, 32harmonisches, 33

Mittelwerteiner Funktion, 90

Mittelwertsatz, 73

der Integralrechnungerster, 90erweiterter, 90zweiter, 91

zweiter, 80de Morgansche Regeln, 7Multiplikation, 9

N, 19Na, 19N0, 22negativ, 11Neutrales Element, 9, 10

Eindeutigkeit, 10Newton-Verfahren, 73Nullfolge, 34Nullpolynom/funktion, 28Nullstelle, 29, 65

O. B. d. A., 21obere Schranke, 12Oberintegral, 85Obersumme, 84Ordnung, 29

P(A), 7Partialbruchzerlegung

im Komplexen, 93im Reellen, 94

Partialsummen, 44partielle Integration, 89Polynom, 28

Interpolations-, 30lineares, 28quadratisches, 28vom Grade n, 28

Polynomdivision, 30positiv, 11positiver Kegel, 11Potenzmenge, 7Potenzreihe, 57Produkt

Cauchy-, 53-regel, 71

Q, 21Quadratwurzel, 14

-iteration, 39Quotienten

-körper, 21-kriterium, 48-regel, 71

R, 14R+, 14

106

R, 15Re z, 17Realteil, 17Rechenregeln, 10

für ±∞, 15für Ableitungen, 71für allgemeine Potenzen, 66für Grenzwerte, 36für Reihen, 44für Ungleichungen, 11

reelle Zahl, 14regula falsi, 65Reihe, 44

alternierende, 46alternierende harmonische, 47Exponential-, 49geometrische, 45harmonische, 47allgemeine, 50

Konvergenz einer R., 44Rechenregeln für R., 44Teleskop-, 46Umordnung einer R., 50Wert einer R., 44

Relation, 8Restriktion, 9Riemann

-integrierbarkeit, 82-summe, 82Integrabilitätskriterium, 85

Sandwich-Satz, 37Satz

von Archimedes, 20von Bolzano-Weierstras, 41von Rolle, 72von Taylor, 97

Schrankekleinste obere/untere, 13obere/untere, 12

Sekantensteigung, 69sgn a, 15Signum, 15sin z, 59sinh z, 59Sinusfunktion, 59Sprunghöhe, 67Sprungstelle, 67Stammfunktion, 88

n-fache, 97Steigung

der Sekante, 69der Tangente, 69

Stetige Di�erenzierbarkeit, 69

Stetigkeitauf einer Menge, 62der Umkehrfunktion, 65einseitige, 67gleichmäsige, 66in einem Punkt, 62stückweise, 67

stückweisestetig, 67

Substitutionsregel, 89Summe

Riemann-, 82Teleskop-, 46

supA, 13Supremum, 13surjektiv, 8

Tangentensteigung, 69Taylor

-polynom, 98-reihe, 98-scher Satz, 97Restglied, 98

Teilfolge, 37Teilmenge, 6

triviale, 7Teleskopreihe, 46Teleskopsumme, 46triviale Teilmenge, 7

Ur(x0), 69überabzählbar, 22Überlagerung von Zerleg., 84Umkehrfunktion, 8

Stetigkeit der, 65Ableitung der, 75

Umordnungeiner Folge, 37einer Reihe, 50

unbedingte Konvergenz, 50Unbestimmte, 28unbestimmtes Integral, 88Ungleichungen, 11

Rechenregeln, 11untere Schranke, 12Unterintegral, 85Untersumme, 84

Vereinigung, 6Verfeinerung von Zerleg., 84Vielfachhheit, 29vollständige Induktion, 19vollstandig, 14Vorzeichen, 15

107

Wert einer Reihe, 44Wertebereich, 8Wertemenge, 8Wurzelfunktion, 32Wurzelkriterium, 48

n√x, 32√x , 14

x 7→ y, 8xR y, 8x1/n, 32[x], 21x ∈ A, 6

Z, 21Z, 82Z1 + Z2, 84Zahlen, 9

g-adische Darstellungreeller Zahlen, 54

g-adische Darstellungganzer Zahlen, 26

ganze, 21irrationale, 21natürliche, 19rationale, 21

Zahlenebene, 17Zerlegung

Überlagerung, 84eines Intervalls, 82Feinheit einer, 82Teilpunkte, 82Verfeinerung, 84Zahl der Teilintervalle, 82

Zerlegung einer Menge, 52Zweiter Hauptsatz, 88Zwischenpunktvektor, 82Zwischenwerteigenschaft, 65Zwischenwertsatz, 64

108