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Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Universität Hamburg Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007 - 1 - In der Strafsache ./. Z.A. u. a. – AZ des Generalbundesanwaltes 3 ARP 116/05-2 beantrage ich namens und in Vollmacht der Anzeigenerstatter M.K., z.Zt. Symkent, Kasachstan, E.U., T.C., sowie F.M., Mutter des zu Tode gekommenen M.A., alle Taschkent, Usbekistan, Geschä- digte von im einzelnen unten erläuterten Gefangenenmisshandlungen und Folterungen durch An- gehörige der usbekischen Polizei und Geheimdienste in usbekischen Haftanstalten bzw. Gefange- nenlagern, und der im Anschluss an das Andischan-Massaker geflohenen K.R., O.B., K.K., alle z.Zt. Amerfoort, Niederlande, Geschädigte des am 13.05.2005 von usbekischen Sicherheitskräften ver- übten Massakers in Andischan, alle usbekischer Nationalität, durch gerichtliche Entscheidung die Erhebung der öffentlichen Klage gegen die Beschuldigten 1. den früheren Innenminister der Republik Usbekistan, Z.A., geb. 10. Oktober 1949, Tasch- kent, Usbekistan, 2. den ersten Stellvertretenden Innenminister der Republik Usbekistan, T.O.M., geb. 10. Ok- tober 1950, Taschkent, Usbekistan, 3. den früheren Verteidigungsminister der Republik Usbekistan, K.G.G., geb. 17. Februar 1945, Taschkent, Usbekistan, 4. den früheren Sicherheitsberater und derzeitigen Verteidigungsminister R.M., Taschkent, Usbekistan, 5. den früheren Provinzgouverneur von Andischan S.B.B., Andischan 6. den Generalmajor K.A., Usbekistan, 7. den Generalmajor I.E.E., geb. 5. August 1945, Usbekistan, 8. den Oberst P.I.E., Usbekistan, 9. den Generalmajor V.A.M., Usbekistan, 10. den Oberst G.P., Usbekistan, 11. den Oberst V.T., Usbekistan, 12. den Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes R.R.I., geb. 22. Juni 1944, Usbekistan. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, § 7 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 10 VStGB, ge- fährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB, Mord und Totschlag, §§ 211 und 212 StGB i.V.m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UN-Antifolterkonvention, hilfsweise die Aufnahme von Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft anzuordnen. Der Antrag richtet sich gegen die Bescheide des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof vom 30.03.2006, in dem mitgeteilt wird, dass der Strafanzeige vom 12.12.2005 keine Folge geleis- tet wird, und vom 16.10.2006, mit dem die Gegenvorstellung verworfen wird. Fall Andischan Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007

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Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Universität Hamburg

Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007

- 1 -

In der Strafsache ./. Z.A. u. a. – AZ des Generalbundesanwaltes 3 ARP 116/05-2

beantrage ich namens und in Vollmacht der Anzeigenerstatter M.K., z.Zt. Symkent, Kasachstan, E.U., T.C., sowie F.M., Mutter des zu Tode gekommenen M.A., alle Taschkent, Usbekistan, Geschä-digte von im einzelnen unten erläuterten Gefangenenmisshandlungen und Folterungen durch An-gehörige der usbekischen Polizei und Geheimdienste in usbekischen Haftanstalten bzw. Gefange-nenlagern, und der im Anschluss an das Andischan-Massaker geflohenen K.R., O.B., K.K., alle z.Zt. Amerfoort, Niederlande, Geschädigte des am 13.05.2005 von usbekischen Sicherheitskräften ver-übten Massakers in Andischan, alle usbekischer Nationalität,

durch

gerichtliche Entscheidung

die Erhebung der öffentlichen Klage gegen die Beschuldigten

1. den früheren Innenminister der Republik Usbekistan, Z.A., geb. 10. Oktober 1949, Tasch-kent, Usbekistan,

2. den ersten Stellvertretenden Innenminister der Republik Usbekistan, T.O.M., geb. 10. Ok-tober 1950, Taschkent, Usbekistan,

3. den früheren Verteidigungsminister der Republik Usbekistan, K.G.G., geb. 17. Februar 1945, Taschkent, Usbekistan,

4. den früheren Sicherheitsberater und derzeitigen Verteidigungsminister R.M., Taschkent, Usbekistan,

5. den früheren Provinzgouverneur von Andischan S.B.B., Andischan

6. den Generalmajor K.A., Usbekistan,

7. den Generalmajor I.E.E., geb. 5. August 1945, Usbekistan,

8. den Oberst P.I.E., Usbekistan,

9. den Generalmajor V.A.M., Usbekistan,

10. den Oberst G.P., Usbekistan,

11. den Oberst V.T., Usbekistan,

12. den Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes R.R.I., geb. 22. Juni 1944, Usbekistan.

wegen

Verbrechen gegen die Menschlichkeit, § 7 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 10 VStGB, ge-fährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB, Mord und Totschlag, §§ 211 und 212 StGB i.V.m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UN-Antifolterkonvention,

hilfsweise die Aufnahme von Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft anzuordnen.

Der Antrag richtet sich gegen die Bescheide des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof vom 30.03.2006, in dem mitgeteilt wird, dass der Strafanzeige vom 12.12.2005 keine Folge geleis-tet wird, und vom 16.10.2006, mit dem die Gegenvorstellung verworfen wird.

Fall Andischan Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007

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Gliederung

1. Sachverhalt

1.1. Strafanzeige Rechtsanwalt W.K. vom 12.12.2005

1.2. Ergänzender Schriftsatz Rechtsanwalt W.K. vom 20.12.2005 mit Rechtsgutachten Cassese

1.3. Ergänzender Schriftsatz Rechtsanwalt W.K. vom 21.12.2005

2. Gang des Ermittlungsverfahrens

2.1. Einstellungsvermerk des Generalbundesanwalt vom 30.03.2006

2.2. Gegenvorstellung Rechtsanwalt W.K. vom 27.04.2006

2.3. Verwerfung der Gegenvorstellung des Generalbundesanwalts vom 16.10.2006

3. Formelle Voraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens

3.1. Antragsbefugnis

3.2. Einhaltung der Fristen

3.3. Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz Einstellung nach § 153f StPO

3.4. Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz nicht erfolgter Aufnahme von Er- mittlungen

4. Zusammenfassende Würdigung und Begründung des hinreichenden Tatverdachts ge-

gen Z.A. u.a.

4.1 Verpflichtung zur Strafverfolgung

4.2 Hinreichender Tatverdacht

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1. Sachverhalt

Am 12.12.2005 übersandte der Unterzeichnende dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichts-hof in Karlsruhe namens und in Vollmacht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, New York, USA, vertreten durch die Europa-Direktorin L.L., Brüssel, Belgien, sowie der usbekischen Staatsangehörigen und Opfer von Straftaten – Details dazu im Text unten- M.K., z.Zt. Symkent, Kasachstan, E.U., T.C., sowie F.M., Mutter des zu Tode gekommenen M.A., alle Taschkent, Usbe-kistan, und der im Anschluss an das Andischan-Massaker geflohenen K.R., O.B., K.K., alle z.Zt. Amerfoort, Niederlande, eine Strafanzeige wegen "sämtlicher in Betracht kommender Straftatbe-stände, namentlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, § 7 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 10 VStGB sowie wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB sowie wegen Mord und Totschlages, §§ 211 und 212 StGB i.V.m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UN-Antifolterkonvention" gegen die im Rubrum im einzelnen bezeichneten zwölf usbekische Staatsbür-ger.

Die Strafanzeige umfaßte zunächst eine Darstellung des Sachverhaltes (I.). Dieser bestand aus einer Schilderung der allgemeinen Situation in Usbekistan (I.1.) sowie der Folterungen und Repres-sionen, denen Teile der muslimischen Bevölkerung ausgesetzt sind (I.2.). Im Anschluss wurden Folterstraftaten geschildert, die bis zum 30. Juni 2002 verübt wurden (I.3.), wobei insgesamt 3 Einzelfälle exemplarisch dargestellt wurden (I.3.2.). Der allgemeinen Darstellung von Folterstrafta-ten, die nach dem 30. Juni 2002 begangen wurden, und der Schilderung von zwei Einzelfällen (I.4.1.+I.4.2.) folgte die Behandlung der im Zusammenhang mit dem Massaker von Andischan begangenen Verbrechen (5.).

Danach wurden die oben geschilderten Folterstraftaten materiellrechtlich als Körperverletzungs-straftaten und Tötungsdelikte gemäß §§ 223, 223a, 211 ff. StGB iVm § 6 Nr. 9 StGB und Art. 5 der UN-Anti-Folterkonvention sowie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 5 VStGB eingestuft (II.1.+2.). Die Straftaten im Zusammenhang mit dem Andischan-Massaker wurden als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 10 VStGB einge-stuft.

Hieran schloss sich die Darstellung der strafrechtlichen Verantwortung der Beschuldigten und ins-besondere die strafrechtliche Verantwortung Z.A.s als Vorgesetztem (III.) an. Weiterhin wurde das Bestehen der deutschen Strafgewalt (IV.) nach dem Weltrechtsprinzip sowie das Verfolgungser-messen der Staatsanwaltschaft gem. § 153f StPO dargelegt. Schließlich wurde die mangelnde Ver-folgung der Straftaten in Usbekistan (V.) und die Ermittlungsmöglichkeiten deutscher Strafverfolger (VI.) beschrieben sowie mögliche Hindernisse der Strafverfolgung in Deutschland wie die Immuni-tät einzelner Beschuldigter abgehandelt (VII.).

Im einzelnen hatte die Strafanzeige vom 29.11.2004 folgenden Wortlaut:

(vgl. als Kopie in Anlage 1)

"Strafanzeige

wegen Folter und Verbrechen gegen

die Menschlichkeit

nach dem Völkerstrafgesetzbuch

gegen den usbekischen Innenminister Z.A. u. a.

Namens und in Vollmacht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, New York, USA, vertreten durch die Europa-Direktorin L.L., Brüssel, Belgien, sowie der usbekischen Staatsangehö-rigen und Opfer von Straftaten – Details dazu im Text unten-

erstatte ich hiermit

Strafanzeige

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wegen sämtlicher in Betracht kommender Straftatbestände, namentlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, § 7 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 10 VStGB sowie wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB sowie wegen Mord und Totschlages, §§ 211 und 212 StGB i.V.m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UN-Antifolterkonvention gegen

die usbekischen Staatsbürger

1. den amtierenden Innenminister der Republik Usbekistan, Z.A., geb. 10. Oktober 1949, Taschkent, Usbekistan, z. Zt. Hannover, Deutschland,

2. den ersten Stellvertretenden Innenminister der Republik Usbekistan, T.O.M., geb. 10. Ok-tober 1950, Taschkent, Usbekistan,

3. den Verteidigungsminister der Republik Usbekistan, K.G.G., geb. 17. Februar 1945, Tasch-kent, Usbekistan,

4. den Sicherheitsberater R.M., Taschkent, Usbekistan,

5. den Provinzgouverneur von Andischan S.B.B., Andischan

6. den Generalmajor K.A., Usbekistan,

7. den Generalmajor I.E.E., geb. 5. August 1945, Usbekistan,

8. den Oberst P.I.E., Usbekistan,

9. den Generalmajor V.A.M., Usbekistan,

10. den Oberst G.P., Usbekistan,

11. den Oberst V.T., Usbekistan,

12. den Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes R.R.I., geb. 22. Juni 1944, Usbekistan.

Da sich der Beschuldigte Z.A. bekanntermaßen derzeit für einen gewissen, aber nach hiesigen Er-kenntnissen nicht unbegrenzten Zeitraum wegen einer Krankenbehandlung in Hannover in Deutschland aufhält, wird um dringende Behandlung der Angelegenheit gebeten. Es wird um Bestä-tigung des Eingangs dieses Schreibens sowie Mitteilung des Aktenzeichens und des zuständigen Sachbearbeiters bei der Bundesanwaltschaft gebeten, da ggf. weitere Informationen nachzutragen sind.

Gliederung

I. Sachverhalt

1. Allgemeine Situation in Usbekistan

2. Folter und Repression gegen sogenannte unabhängige Muslime

3. Folterstraftaten bis zum 30. Juni 2002

3.1. Allgemein

3.2. Einzelfälle

4. Folterstraftaten nach dem 30. Juni 2002

4.1. Allgemein

4.2. Einzelfälle

5. Das Massaker von Andischan am 13. Mai 2005

II. Rechtliche Würdigung

1. Körperverletzungsstraftaten und Tötungsdelikte gemäß §§ 223, 223a, 211ff StGB iVm § 6 Nr. 9 StGB und Art. 5 der UN-Anti-Folterkonvention

2. Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 und 5 VStGB)

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3. Das Andischan-Massaker als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 10 VStGB)

III. Strafrechtliche Verantwortung der Beschuldigten

IV. Bestehen der deutschen Strafgewalt, § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. Art. 5 der UN-Anti-Folter- konvention, § 1 VStGB und Verfolgungsermessen, § 153 f StPO

V. Straflosigkeit in Usbekistan

VI. Ermittlungsmöglichkeiten für deutsche Strafverfolger

VII. Keine Immunität

VIII. Schlussbemerkung

I. Sachverhalt

1. Allgemeine Situation in Usbekistan

Die ehemalige Sowjetrepublik Usbekistan wurde, wie ihre zentralasiatischen Nachbarn Turkmenis-tan, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan, 1991 selbständig. Die knapp 27 Millionen Einwohner sind zu 88 % sunnitische Muslime sowie zu 9 % russischorthodoxen Glaubens. Die von Präsident I.K. geführte Regierung unterdrückt seit mehreren Jahren jegliche demokratische Opposition. Us-bekistan gilt als eine der ärmsten Regionen der ehemaligen Sowjetunion und als gefährdet, zum sog. „failed state“ (zusammengebrochenen Staat) zu werden. Aufgrund diverser ökonomischer Maßnahmen der Regierung kam es in den vergangenen Jahren zu Demonstrationen und Protestak-tionen der betroffenen Bevölkerungsteile. Usbekistan ist seit dem 11.09.2001 außenpolitisch mit den USA und ihren Alliierten im sog. Anti-Terrorismus-Kampf verbündet. In der Folge des An-dischan-Massakers vom 13. Mai 2005 wurde die Kooperation mit den USA beendet und die USA mussten schließlich im November 2005 ihre letzten in Usbekistan stationierten Soldaten abziehen. Im Gegensatz dazu hat die Bundesrepublik Deutschland etwa 300 Soldaten in Termes, 500 km südlich der Hauptstadt Taschkent, stationiert. Der dortige Luftwaffenstützpunkt dient der Versor-gung der internationalen Schutztruppe in Afghanistan (ISAF) (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/usbekistan; International Crisis Group Asia, Briefing Nr. 38 vom 25.05.2005; FAZ „Washington muss Stützpunkt in Usbekistan verlassen“ vom 31.07.2005 und FAZ „Verschwörungstheorien“ von Reinhard Veser vom 24.11.2995). Eine neuerliche Vereinbarung wur-de nach Zeitungsmeldungen (siehe SZ, 19.12.2005, S. 9) zwischen der usbekischen Regierung und Verteidigungsstaatssekretär P. vor wenigen Tagen geschlossen, so dass die Bundeswehr den Flug-hafen Termes „langfristig“ nutzen kann.

2. Folter und Repressionen gegen sogenannte unabhängige Muslime

Menschenrechtsorganisationen und Vertreter von internationalen Institutionen wie der UN und der OSZE berichten seit den 90er Jahren von einer zunehmenden Unterdrückung von oppositionellen Strömungen sowie von Personen, die einen sogenannten unabhängigen Islam praktizieren.

Verschiedene Quellen sprechen von einer religiösen Verfolgung in Usbekistan, die zu Verhaftung und regelmäßig auch zu Folter von insgesamt ca. 7.000 Menschen geführt hat (vgl. die umfassende Dokumentation „Staatsfeinde schaffen. Religiöse Verfolgung in Usbekistan“, im englischen Original: „Creating Enemies of the State. Religious persecution in Uzbekistan“ von Human Rights Watch, 2004, abgedruckt bei : http://hrw.org/reports/2004/uzbekistan0304/; die Zahl wird bestätigt von der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“ ).

Dies bedarf einer kurzen Erklärung, da es in Usbekistan einen Staatsislam gibt und alleine deswe-gen nicht die Zugehörigkeit zum Islam per se Anlaß zur Strafverfolgung, sondern die Zugehörigkeit oder behauptete Zugehörigkeit zu bestimmte Strömungen. Unter dem Vorwurf, die unabhängigen Muslime wollten einen islamischen Staat errichten, und man müsse den Säkularismus des Landes bewahren, ging die Regierung in den 90er Jahren gegen unabhängige religiöse Strömungen und dabei insbesondere gegen Anhänger der umstrittenen islamischen Gruppe Hizb ut-Tahrir vor. Im Jahre 1999 kam es zu einer Reihe von Anschlägen, die extremistischen Islamisten zugeordnet wur-den, insbesondere einer Explosion von fünf Bomben am 16.02.1999 in der Hauptstadt Taschkent.

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Im Anschluss an diese Anschläge kam es zu einer umfassenden Verhaftungs- und Prozesswelle. Die Anschläge wurden der Islamischen Bewegung Usbekistan (IMU) zugeschrieben. Während nach un-abhängigen Quellenberichten die IMU militärisch im Anschluss an den Afghanistan-Krieg der USA und ihrer Verbündeten in Nordafghanistan fast vollkommen aufgerieben wurde, gilt die angebliche Zugehörigkeit zu dieser Gruppe bis heute der usbekischen Regierung als Grund für das Einschreiten und Tätigwerden gegen unabhängige islamische Gruppen und Personen (vgl. Marcus Bensmann, „Demokraten, Clans und Apparatschiks“, Le Monde Diplomatique, Oktober 2005).

Im Einzelnen dokumentieren die bezeichneten Menschenrechtsberichte regelmäßige und systemati-sche Verletzungen der Religions- und Glaubensausübung sowie des Rechts auf Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Wie aus den nachfolgend zitierten Berichten hervor-geht, wurden viele der verhafteten Menschen gefoltert und auf andere Weise misshandelt, um Ge-ständnisse zu erzwingen. Sie wurden oftmals in Isolationshaft gehalten, hatten keinen Zugang zu Verteidigern, erhielten kein faires Verfahren und wurden aufgrund von erfolterten Geständnissen und konstruierten Beweisen verurteilt. Human Rights Watch kommt in dem bereits angesprochen Bericht zu folgenden Schlussfolgerungen:

„Doch trotz der Behauptungen der usbekischen Regierung, dass ihre Verfolgungsmaßnahmen auf den Terrorismus abzielen, haben wir herausgefunden, dass die meisten Inhaftierten weder wegen terroristischer Handlungen noch wegen einer anderen Gewalttat angeklagt wurden. Terrorismusbe-kämpfung darf weder als Rechtfertigung für religiöse Verfolgung, noch darf sie als Rechtfertigung für eine Politik der Kollektivbestrafung, die zur Verhaftung von Eltern, Geschwister und Ehegatten führt, herangezogen werden. Es ist untragbar, dass Menschen bei ihrer Verhaftung gefoltert und öffentlich bloßgestellt werden, dass man Drogen und Waffen bei ihnen versteckt, dass es Gerichts-verfahren gibt, in denen fünfmaliges Beten am Tag als Beweis dafür angesehen wird, dass ein An-geklagter Revolutionspläne hegt. Solche Methoden verletzen das Recht auf ein zügiges und faires Verfahren auf das schwerste. Derartige Praktiken sind jedoch äußerst effektive Methoden zur religi-ösen Unterdrückung und haben verheerende Folgen für unabhängige muslimische Gemeinschaften.

Obwohl die Verhaftungskampagne landesweit durchgeführt wurde, scheint es, dass sich die Aktion vor allem auf die Hauptstadt Taschkent und auf einige Städte im Fergana Tal konzentrierte, wo am massivsten gegen unabhängige Muslimen vorgegangen wurde. Die überwältigende Mehrheit der Fälle, die von Human Rights Watch und „Memorial“ dokumentiert wurden, betraf die Verhaftung von Personen aus diesen Regionen. Wie in diesem Bericht aufgeführt, zielten die Aktionen der Re-gierung darauf ab, der angeblichen Bedrohung durch den islamischen „Fundamentalismus“ und „Extremismus“ Herr zu werden, indem Muslime, die sich gegen die Kontrolle ihrer Religion seitens der Regierung wehrten, zum Schweigen gebracht und bestraft werden. Diese Politik hatte zum Ziel, den charismatischen Islam von der politischen Bühne zu entfernen, um einen potentiellen Konkur-renzkampf zwischen der I.K.-Regierung und den unabhängigen muslimischen Führern, um die Au-torität und Loyalität der Menschen, zu verhindern. Die Angst der usbekischen Regierung, dass die Religion ihr die Gunst und den Willen der Bürger streitig machen könnte, ist ein Überbleibsel aus der Sowjetunion. Doch die I.K.-Regierung handelt ausschließlich im eigenen Interesse, wenn sie traditionelle Methoden der Kontrolle mit neuen Taktiken verbindet, um religiöse Überzeugungen davon abzuhalten, die Regierungsmacht herauszufordern. Die Regierungskampagne zielte zunächst auf muslimische Geistliche ab, die sich weigerten ihre Predigten und Lehren soweit einzuschränken, wie es von den Staatsbehörden vorgeschrieben wurde.

Andere Formen des Ungehorsams reichten von ihrem Widerstand gegen das Verbot der Regierung, Lautsprecher für den Aufruf zum Gebet zu benutzen, die Weigerung, Präsident I.K. während des Gottesdienstes zu loben und einer offenen Diskussion über die Vorteile eines islamischen Staates oder der Anwendung des islamischen Rechts, bis zu ihrer Weigerung Informationen über ihre Ge-meindemitglieder und Religionsbrüder an Sicherheitsdienste preiszugeben. Die Regierungsbehörden bezeichneten die geistlichen Führer unrechtmäßigerweise als “Wahhabis” und belästigten oder ver-hafteten Personen, die enge oder auch nur entfernte Verbindungen zu ihnen aufwiesen – darunter ihre Gemeindemitglieder (auch solche, die schon bevor ihre Führer in Ungnade gefallen waren nur gelegentlich die Gottesdienste besucht hatten), aber auch die Studenten der Imame, Beschäftigte der Moscheen und sogar ihre Angehörigen.

Im Jahre 1999 hatten die usbekischen Behörden systematisch begonnen, Personen wegen ihrer Mitgliedschaft in der Hizb ut-Tahrir oder dem Besitz oder der Verbreitung von Literatur der Organi-sation zu verhaften. Genau wie bei den Verhaftungen im Umfeld der Imame, gerieten auch Perso-nen mit nur gelegentlicher Verbindungen zu der Gruppe zur Zielscheibe. Die im Jahre 1950 im

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mittleren Osten gegründete Hizb ut-Tahrir erschien in Usbekistan zu ersten Mal um 1995. Zu Be-ginn hielt sich die Gruppe in Usbekistan eher bedeckt. Sie ging weder an die Öffentlichkeit, noch meldete sie sich offiziell als Vereinigung an. Auch äußerte sie keine öffentlichen Statements. Bis zum Jahr 1998 war die usbekische Regierung trotzdem auf die Mitglieder aufmerksam geworden. Zu diesem Zeitpunkt erhöhte sich ihre Mitgliederzahl und die Gruppe verteilte offen ihre Schriften, die nicht von den staatlichen Zensurbehörden, wie z.B. dem Verlag „Muslim Spiritual Board” (MSB), der für islamische Angelegenheiten zuständigen Regierungsbehörde und dem Komitee für religiöse Angelegenheiten, einer Abteilung des Ministerkabinetts, geprüft worden waren.

Weil die Ziele und Ideen von Hizb ut-Tahrir Religion und Politik kombinieren, kann die Gruppe als weder ausschließlich politische noch ausschließlich religiöse Einheit klassifiziert werden. In Usbekis-tan bestrafen die Staatsbehörden Hizb ut-Tahrir Mitglieder ausdrücklich wegen ihres Glaubens, der Äußerung dieses Glaubens und ihrer religiösen Aktivitäten.

Die usbekische Regierung verdächtigt alle Muslime, die nicht in dem von der Regierung festgeleg-ten Rahmen ihrem religiösen Glauben Ausdruck verleihen. „Unabhängig“ in diesem Sinne bedeutet nicht unbedingt einen Bruch mit traditionellen Formen der Religionsausübung, noch besteht Grund zur Annahme, dass unabhängige Muslime aktiv daran arbeiten die Regierung herauszufordern. Die usbekische Kampagne gegen den unabhängigen Islam zielt auf Muslime ab, die nicht darauf aus sind, Unabhängigkeit vom Staat zu suchen, sondern auf solche, die von Staatsbehörden ganz ein-fach als „zu fromm“ angesehen werden. Sowohl Mitglieder der Hizb ut-Tahrir als auch Muslime, die vom Staat als “Wahhabi” bezeichnet wurden, sehen sich größtenteils selbst als Hanafi Sunniten, wie auch die meisten anderen Muslime in Usbekistan. Sie sind keine Anhänger des Wahhabbismus, wie er im saudi-arabischen Kontext verstanden wird. Einige so genannte Wahhabis wurden deshalb so bezeichnet, weil sie fünf Mal am Tag beteten, was von einigen örtlichen Behörden in usbeki-schen Provinzen als Beweis für übertriebene oder verdächtige Frömmigkeit gesehen wurde. Gleich-ermaßen wurde das Tragen eines Bartes oder eines gesichtsbedeckenden Kopftuches als übermä-ßiges Kundtun des religiösen Glaubens gesehen“.

Um das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen und vor allem an Folterfällen in Usbekistan in den letzten Jahren zu verdeutlichen, seien nachfolgend, auch wegen der zahlreichen dokumentier-ten Einzelfälle, die Berichte internationaler Institutionen und Menschenrechtsorganisationen über Usbekistan mit Links auf die jeweiligen Fundstellen aufgelistet. Aus der Aufstellung geht im übrigen deutlich hervor, in welchem Umfang Folter in Usbekistan Thema internationaler Debatten und von Gesprächen mit der usbekischen Regierung war. Verantwortliche der usbekischen Regierung, vor allem die oben genannten Beschuldigten können, wenn sie nicht selbst in hohem Maße beteiligt waren, nicht behaupten, sie hätten nicht gewusst und hätten, wenn sie denn Kommandogewalt innehatten, nicht verhindern können, was in usbekischen Polizeizellen und Haftanstalten vor sich geht.

Europäische Union

• EU and Uzbekistan - 4th Meeting of the Cooperation Council Brussels, 27 Januar 2003 [http://europa.eu.int/comm/external_relations/uzbekistan/intro/cc4.htm]

• EU and Uzbekistan - 5th Meeting of the Cooperation Council Brussels, 27 Januar 2004 [http://europa.eu.int/comm/external_relations/uzbekistan/intro/cc5.htm]

United States Department of State- Länderberichte über Usbekistan

2004 http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2004/41717.htm 2003 http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2003/27873.htm 2002 http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2002/18400.htm 2001 http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2001/eur/8366.htm 2000 http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2000/eur/858.htm

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1999 http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/1999/369.htm

• Human Rights Watch

HRW World Report 2005 http://hrw.org/english/docs/2005/01/13/uzbeki9895.htm (events of 2004)

HRW World Report 2004 http://hrw.org/english/docs/2003/12/31/uzbeki7024.htm (events of 2003)

HRW World Report 2003 http://www.hrw.org/wr2k3/europe16.html (events of 2002)

HRW World Report 2002 http://hrw.org/wr2k2/europe22.html (events of 2001)

HRW World Report 2001 http://www.hrw.org/wr2k1/europe/uzbekistan.html

HRW World Report 2000 http://www.hrw.org/wr2k/Eca-23.htm

HRW World Report 1999 http://www.hrw.org/worldreport99/europe/uzbekistan.html (events of 1998)

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HRW World Report 1994 http://www.hrw.org/reports/1994/WR94/Helsinki24.htm# P786_243438 (events of 1993)

• International Crisis Group

The Andischan Uprising, 25. Mai 2005 http://www.crisisgroup.org/home/index.cfm?id=3469&l=1

The Failure of Reform in Uzbekistan: Ways Forward for the International Community, 11. März 2004 http://www.crisisgroup.org/home/index.cfm?id=2537&l=1

Uzbekistan’s Reform Program: Illusion or Reality?, 18. Februar 2003, http://www.crisisgroup.org/home/index.cfm?id=1446&l=1

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• International Helsinki Federation

“One Can’t Keep Silent” The Persecution of Human Rights Defenders in Uzbekistan in the Aftermath of Andischan, 15. Juli 2005 http://www.ihf-hr.org/documents/doc_summary.php?sec_id=3&d_id=4099

Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment in Selected OSCE Participa- ting States, Bericht der International Helsinki Federation for Human Rights (IHF) an das Spezial-OSZE-Treffen “Prevention of Torture” in Wien, 6./7. November 2003, p.42- 46 on Uzbekistan http://www.ihf-hr.org/documents/doc_summary.php?sec_id=3&d_id=3714

Human Rights in Uzbekistan –März 2003 http://www.ihf-hr.org/documents/doc_summary.php?sec_id=3&d_id=204

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International Helsinki Federation (IHF) Mission to Central Asia (Kazakhstan, Kyrgyzstan and Uzbekistan) 7-16. Juni 2001 http://www.ihf-hr.org/documents/doc_summary.php?sec_id=3&d_id=871 Jahresberichte 1999- 2005 : http://www.ihf-hr.org/cms/cms.php?sec_id=46 Jahresbericht 1998: http://www.ihf-hr.org/viewbinary/viewhtml.php?doc_id=4579 Jahresbericht 1997: http://www.ihf-hr.org/viewbinary/viewhtml.php?doc_id=4991

United Nations Sonderberichterstatter für Folter

• Sonderberichterstatter für Folter, T.V.B., berichtet im Februar 2003 nach einer Mission nach Uzbekistan von 24. November bis 6. Dezember 2002 [E/CN.4/2003/68/Add.2/p. 21 ,]

Committee against Torture

• November 1999: [Conclusions and recommendations of the Committee against Torture : Uzbekistan. 19/11/99. A/55/44,]

• April-Mai 2002: [Conclusions and recommendations of the Committee against Torture : Uzbekistan. 06/06/2002. CAT/C/CR/28/7.]

Amnesty International

Berichte über Individualfälle

- Urgent Action report: Khadji Khudjaev – 23 Aug 00 http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR460392000

- Urgent Action report: Yusuf Dzhumaev – 7 Nov 01 http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR620172001

- Urgent Action report: Muhammad Salih – 29 Nov 01 http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR710042001

- Urgent Action report: Mannopzhon Rakhmatullaye – 04 Dec 02 http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR460662002

- Urgent Action report: Azizbek Karimov – 4 Jun 04 http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR620112004

- Urgent Action report: Ikram Mukhtarov, Yusuf Zhumayev – 30 Jul 04 http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR620142004

- Urgent Action report: Sodik Kodirov, Shukhrat Aripov – 15 Oct 04 http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR620242004

Briefings und Berichte

- Briefing to UN Human Rights Committee: “Uzbekistan – The Rhetoric of Human Rights Protection” – 1 Jun 01

http://web.amnesty.org/library/Index/ENGEUR620062001?open&of=ENG-UZB

- Briefing on human rights situation – 11 Oct 01 http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR620162001

- Report: “Justice Only in Heaven – the Death Penalty in Uzbekistan” – 18 Nov 03 http://web.amnesty.org/library/Index/ENGEUR620112003?open&of=ENG-UZB

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- Report: “Lifting the Siege on the Truth about Andizhan” – 20 Sep 05 http://web.amnesty.org/library/Index/ENGEUR620212005?open&of=ENG-UZB

OMCT -World Organization Against Torture

• State Violence in Uzbekistan: An Alternative Report to the UN Human Rights Committee, 28. Februar 2005 http://www.omct.org/pdf/procedures/2005/s_violence_uzbekistan_2_2005_eng.pdf

• Bericht der Human Rights Society of Uzbekistan (HRSU) über Misshandlungen gegenüber Tolib Yakubov, Präsident der HRSU, und seiner Frau, Tursunoï Yakubova, 3. Dezember 2004

http://www.omct.org/base.cfm?page=article&num=5194&consol=close&kwrd=OMCT&ro ws=2&cfid=2694509&cftoken=68952649

• “Uzbekistan: torture of persons accused of membership with the Hizb-ut-Tahrir – based on HRW information”; August 2003 http://www.omct.org/base.cfm?page=article&num=3499&consol=close&kwrd=OMCT &rows=3&cfid=2694509&cftoken=68952649

• “Uzbekistan: torture and unfair trial of a minor, Chingiz Suleimanov – based on HRW information”, August 2003 http://www.omct.org/base.cfm?page=article&num=3480&consol=close&kwrd=OMCT&ro ws=3&cfid=2694509&cftoken=68952649

• Bericht des “Kyrgyz Committee for Human Rights” über die Verhaftung und Folter von Arabjon Sultanov wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Hizb-ut-Tahrir, Juni 2003 http://www.omct.org/base.cfm?cfid=2694509&cftoken=68952649&page=article&cons ol=close&rows=4&num=3344&kwrd=OMCT

• Bericht der “Human Rights Society of Uzbekistan (HRSU) ” über die Verhaftung und Folter von Nabigeon Mirzanov, Februar 2003 http://www.omct.org/base.cfm?page=article&num=2879&consol=close&kwrd=OMCT &rows=4&cfid=2694509&cftoken=68952649

United States Department of State – Länderberichte über Usbekistan

2004, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2004/41717.htm

2003, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2003/27873.htm

2002, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2002/18400.htm

2001, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2001/eur/8366.htm

2000, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2000/eur/858.htm

1999, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/1999/369.htm

Schließlich seien noch die Todesfälle hervorgehoben, die Untersuchungshäftlinge erlitten haben. 1998- 2000 dokumentierte Human Rights Watch 15 Todesfälle, die mit Folter in Verbindung ge-bracht werden konnten. [“And It Was Hell All Over Again…,” S.8; http://www.hrw.org/reports/2000/uzbek/]

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Im April 2003 berichtet Human Rights Watch, dass in den letzten Jahren in Usbekistan zahlreiche Inhaftierte in der Haft als direkte Folge von Folter und Mißhandlungen durch Polizisten und Sicher-heitsbeamte verstarben. Die usbekischen Behörden würden die Verantwortlichen nicht strafverfol-gen. [Deaths in Custody in Uzbekistan, Human Rights Watch Briefing Paper, 4. April 2003, S.2; http://hrw.org/backgrounder/eca/uzbek040403-bck.htm]

Zwischen November 2001 und April 2003 erhielt Human Rights Watch glaubhafte Informationen über 8 Todesfälle in Verbindung mit Folter sowie 13 Fälle, in denen Misshandlungen und Verweige-rung der notwendigen medizinischen Versorgung zum Tode führten. In keinem der Fälle fanden ernsthafte Untersuchungen statt. [Deaths in Custody in Uzbekistan, S.3, http://hrw.org/backgrounder/eca/uzbek040403-bck.htm]

3. Folterstraftaten bis 30. Juni 2002

3.1. Allgemein

In Strafverfahren in Usbekistan ist Folter an Inhaftierten üblich. Personen im Polizeigewahrsam werden regelmäßig physisch und psychisch gefoltert. Insbesondere während der jahrelangen Kam-pagne der Regierung gegen unabhängige Moslems ab der Mitte der 90er Jahre wandte die Polizei regelmäßig Folter an, um Geständnisse und Aussagen gegen andere Personen zu erzwingen. Bis auf einige Ausnahmefälle werden Verdächtige in Strafverfahren in Untersuchungshaft gehalten.

Der Minister für Inneres und die ihm untergeordneten Behörden verweigern regelmäßig Gefange-nen, ihre Familien über ihre Verhaftung zu informieren sowie Besuch zu empfangen. Die Behörden verweigern den Untersuchungshäftlingen den Zugang zu Rechtsanwälten und erlauben lediglich in Ausnahmefällen so genannte private Treffen mit den Anwälten. Personen, die in Strafverfahren inhaftiert sind, die mit Religion oder Politik oder mit Straftaten der nationalen Sicherheit zu tun haben, werden regelmäßig in so genannter Incommunicado-Haft gehalten. Während der Untersu-chungen übt die Polizei oftmals Druck auf die Gefangenen aus, sich keinen Verteidiger zu nehmen. Wenn Verteidiger oder ihre Familien versuchen, einen unabhängigen Verteidiger zu engagieren, verweigern Polizei und Untersuchungsbehörden diesem Verteidiger oft den Zugang zum Gefange-nen, bis dieser ein Geständnis abgelegt hat. Die Polizei nötigt Gefangene oft dazu, Unabhängigen rechtlichen Beistand zu verweigern und drängt sie und ihre Familien dazu stattdessen, die Dienst von staatlichen Pflichtverteidigern in Anspruch zu nehmen. Diese verteidigen nicht die Interessen ihrer Mandanten und sind weiterhin nicht bereit, Beschwerden wegen Misshandlungen einzu-reichen. Selbst wenn Verteidiger Zugang zu ihren Mandanten erlangen, haben sie nicht das Recht eine unabhängige objektive forensische medizinische Untersuchung zu veranlassen, um Beweise für die erlittene Folter zu erlangen.

Die Folter findet in allen Haftstätten statt, in denen Untersuchungshaft vollstreckt wird, vor allem in Polizeikasernen, Provinzabteilungen des Innenministeriums und dem zentralen Gebäude des In-nenministeriums in Taschkent. Alle diese Gebäude werden vom Innenministerium verwaltet. Folter wird weiterhin nach der Verurteilung in den Strafkolonien und Gefängnissen praktiziert, die eben-falls vom Innenministerium verwaltet werden. Einige der dramatischsten Folterfälle, die dokumen-tiert sind, geschahen in den Gewahrsamszellen des zentralen Gebäudes des Innenministeriums und des Taschkenter Polizeipräsidiums. Folter wird ebenfalls in den Gebäuden des nationalen Sicher-heitsdienstes praktiziert. In einigen Fällen wurden Gefangene an unterschiedlichen Orten gefoltert.

Die gängigsten Foltermethoden sind das Schlagen mit Fäusten und Gummiknüppeln und Metallstä-ben, Vergewaltigung und sexuelle Gewalt, Elektroschocks sowie die Zufügung von Verbrennungen durch Zigaretten oder brennende Zeitungen, das Aufhängen von Gefangenen an ihren Fäusten oder Knöcheln sowie die Erzeugung von Erstickungszuständen durch übergestülpte Plastiktüten und Gasmasken.

Vor 2002 hat die usbekische Regierung keinerlei Anstalten unternommen, Polizei und Sicherheits-kräfte für Folterstraftaten verantwortlich zu machen oder diese zu ermitteln.

Da Usbekistan in der Zwischenzeit der UN-Anti-Folter-Konvention beigetreten ist, konnte das Komi-tee gegen Folter des UN-Menschenrechtskommissars im Jahre 2002 eine umfassende Untersu-chung in Usbekistan durchführen und gelangte dabei zu Ergebnissen, die in einem Bericht vom 06.

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Juni 2002 (in Kopie als Anlage) zusammengefasst sind. Das Komitee leitet seine Schlussfolgerun-gen damit ein, dass es Verständnis zeigt für die Schwierigkeiten in der Überwindung eines totalitä-ren Systems in Richtung einer demokratischen Regierungsform.

Dies könne jedoch nicht als Rechtfertigung für Folter dienen.

Namentlich drückt das Komitee seine Besorgnis über folgende Umstände aus:

• die zahlreichen dauerhaften und glaubwürdigen Berichte über besonders brutale Hand- lungen von Folter und anderen grausamen inhumanen und entwürdigender Behand- lung oder Bestrafung durch Strafverfolgungsbehörden dem Mangel an Zugang für Rechtsbeistände, Ärzte oder medizinische Experte und Familienangehörigen nach Frei- heitsentzug, als Vorkehrung gegen Folter

• die zahlreichen Fälle von Verurteilungen, die auf Geständnissen beruhen und der konti- nuierliche Gebrauch des Kriteriums von „gelösten Kriminalfällen“ als Basis für die Belo- bigung von Strafverfolgungsbehörden, die zusammengenommen mit anderen Bedin- gungen Voraussetzung für den Gebrauch von Folter und Misshandlung von Gefangenen schaffen, um Geständnisse zu erzielen.

(vgl. Bericht vom 06.06.2002 CAT/C/CR/28/7).

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Theo Van Boven kommt in seinen Berichten vom 3. Feb-ruar 2003, vom 13. Februar 2004 und vom 21. Februar 2005 (in Kopie anbei) zu ähnlichen Ergeb-nissen. Insbesondere stellt er fest, dass Folter in praktisch allen Fällen gebraucht wird, in denen es um Verbrechen nach Art. 156, 159 und 244 des usbekischen Strafgesetzbuches geht. Hier ginge es vor allem darum, Geständnisse der in Gewahrsam genommenen Personen zu erlangen und in den Augen der Öffentlichkeit diejenigen zu bestrafen, die in religiösen oder politischen Aktivitäten in Opposition zu staatlichen Interessen agieren, also bei sogenannten Staatssicherheitsverbrechen.

3.2 Einzelfälle

Es wird hinsichtlich der zahlreichen berichteten und dokumentierten Einzelfälle zunächst auf die in der Anlage beigefügten Berichte verwiesen. Einige prägnante Fälle, unter ihnen der nachfolgende des Menschenrechtsaktivisten M.K., sollen dennoch nachfolgend beschrieben werden.

M.K.

Der Menschenrechtsaktivist M.K. war der Vorsitzende des Büros der Uzbekistan (Human Rights Society of Uzbekistan (HRSU) in Buston in der Jizzakh- Provinz und ein Vertreter des regionalen Gremiums der Birlik-(„Einheit“) Oppositionspartei. Mehr als sieben Jahre lang ertrug M.K. Schika-nierungen, Verfolgung und durch die Regierung veranlasste Inhaftierung. M.K. befindet sich derzeit ausserhalb von Usbekistan aufgrund der nach wie vor für ihn bestehenden Bedrohungslage.

M.K. wurde 1998 wegen einer erfundenen Betäubungsmittel-Anzeige verhaftet und mit einer An-zeige wegen religiösen Extremismus bedroht. Er wurde in der Haft so stark gefoltert, dass er per-manente Schäden davon getragen hat. Er berichtet gegenüber Human Rights Watch über seinen Fall :

„Als ich am 3. September 1998 die Strasse entlang ging, hielten mich 4 Männer an. Ich kannte einen von ihnen und streckte zur Begrüßung meine Hand aus. Er nahm beide meiner Hände, drehte sie mir auf den Rücken und steckte mich in ein Auto.... Die Männer zu meinen beiden Seiten fingen an, mich im Auto zu schlagen... sie schlugen mich während der gesamten Fahrt zur benachbarten Polizeistation.“

Er berichtet weiter, wie er später in der Haftanstalt in dem Innenministerium in Taschkent festge-halten wurde: „Sie fragten mich, ob ich ein ‚Wahhabi’ sei: wo ich studiert hätte, wo ich unterrichten würde, wer mein Lehrer sei und ob ich O.Q. (O.Q.N.) kennen würde, in welcher Bezeihung ich zu T.I. (Generalsekretär der HRSU) stehen würde? ... Männer in Zivilkleidung kamen herein und ver-hörten mich und dann kamen andere und schlugen mich, jeden Tag. Sie legten Papierbögen auf den Tisch und verlangten, ich solle alles, was passiert war, aufschreiben. Ich schrieb alles auf, sie

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lasen es, aber sie billigten es nicht und schlugen mich. Daraufhin verliessen sie das Zimmer und meinten, ‚überlege es Dir noch einmal’.

In Bezug auf die Misshandlung durch die Polizei in der Haftanstalt des Innenministeriums sagte er, „sie schlugen mich mit ihren Fäusten. Einer schlug mir von hinten in die Seiten und sie drehten mich um und schlugen mir in den Bauch... Ich hatte danach sogar Angst, zu essen. Wenn du so geschlagen wirst, könnte dein Bauch platzen, daher habe ich nichts gegessen. Die ersten drei Tage rührten sie mich nicht an, sie befragten mich nur. Dann, nach drei Tagen, wiederholte sich die Si-tuation jeden Tag und sie schlugen mich eine Woche lang.“

M.K. schildert in einem Mitteilungsblatt der Menschenrechtsgesellschaft von Uzbekistan (Human Rights Society of Uzbekistan-HRSU) im Detail die erlittenen Misshandlungen durch die Polizei. Das im September 1999 veröffentlichte Blatt zitiert M.K. „über mehrere Tage zwangen sie mich, breit-beinig zu stehen und sie traten mir zwischen die Beine. Manchmal zwangen sie mich, auf den Bo-den zu liegen, sie fesselten meine Hände auf den Rücken und einer zwang mich auf den Boden in dem er seinen Fuß zwischen meine Schulterblätter drückte während ein Dritter mich auf meine Fußsohlen schlug... am häufigsten schlugen sie mir auf den Kopf, was noch lange danach weh tat.“

Am 16. Februar 2004 verhafteten Behörden M.K. erneut. Sie steckten ihn drei Tage in Isolations-haft, bedrohten und zwangen ihn, ein diktiertes Geständnis zu unterschreiben. Er wurde anschlie-ßend in einem unfairen Gerichtsverfahren, welches sich auf seine Menschenrechtsarbeit kon-zentrierte, zu 3 Jahren Freiheitsstrafe wegen angeblichen Waffenbesitzes verurteilt. Das Urteil wur-de in einer Berufung zu einer Geldstrafe reduziert.

Die Verfolgung durch Regierungsbehörden eskalierte nach dem Massaker von Andischan am 13. Mai 2005. Am 30. Mai 2005 reiste M.K. von Jizzakh zum Gebäude des Justizministeriums nach Taschkent, um an einer von Menschenrechtlern organisierten Demonstration teilzunehmen. Der Protest richtete sich gegen das Unterlassen der Regierung, die Birlik-Partei zu registrieren. Vier Männer in Zivilkleidung hielten M.K. fest und zogen seinen Ausweis sowie sein Mobiltelefon ein. Beamte verhörten ihn 6 Stunden lang und verlangten, dass er durch Unterschrift bestätige, illegal an einer Demonstration teilgenommen zu haben. M.K. berichtete Human Rights Watch: „sie be-drohten mich und meinten, falls ich Buston nicht verlassen würde, könnte meinen Kindern oder meiner Frau etwas zustoßen.“ Später, am selben Tag, hielt die Polizei M.K. fest, als er in einem Internet-Cafe seine E-Mails las.

M.K. wurde erneut am 1. Juni 2005 festgehalten und danach am 13. Juni und wurde während der Monate Juni und Juli 2005 unter konstante Bewachung und faktischen Hausarrest gestellt. Am 1. August – nachdem M.K. in Jizzkah den britischen Botschafter in Usbekistan getroffen hatte – hielt die Polizei ihn erneut fest. Ein ranghoher Beamter drohte ihm, seine Beziehungen zu Fremden ein-zustellen und Buston innerhalb von 15 Tagen zu verlassen. Er bedrohte darüber hinaus M.K.s Le-ben, indem er sagte „ich kann dich schlagen oder töten und niemand wird mich dazu befragen. Was soll ich mit dir machen? In Stücke reissen oder dich totschlagen? Du kannst wählen!“ Am 3. August, einen Tag vor einem geplanten Treffen in Jizzakh mit dem amerikanischen Botschafter in Usbekistan, hielt die Polizei M.K. erneut fest. Ein ranghoher Beamter drohte M.K. mit Haft. M.K. floh aus Jizzakh am 5. August 2005. Nach seiner Flucht aus Buston verfolgten ihn die Behörden weiterhin und fragten seine Verwandten und Nachbarn nach seinem Aufenthaltsort. Aus Furcht vor weiterer Verfolgung, ungesetzlicher Haft und Folter, floh M.K. aus Usbekistan.

Der Fall des Imam A.I.

Ein besonders drastischer Einzelfall ist der des Imam A.I.. Der 1968 geborene Absolvent des Isla-mischen Instituts in Buchhara war Assistent des mittlerweile verschwundenen Imam N.. Als dieser von seinem Posten als Imam der Tokhtaboy-Moschee 1996 entfernt wurde, inhaftierte man A.I. und hielt ihn für 15 Tage wegen „Hooliganismus“ inhaftiert. Danach war A.I. in Taschkent 1998 bis 1999 in der Burijar-Moschee als Imam tätig und erlangte schnell eine große Popularität.

Er wurde im Februar 1999 verhaftet und im Polizeigewahrsam geschlagen und gefoltert. Er wurde anschließend zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Im August 1999 wurde er auf Bewährung freigelassen. Zu den Bewährungsauflagen zählte die regelmäßige Meldung bei den Polizeibehörden. Im Juli 2000 wurde er durch die Polizei ein weiteres Mal inhaftiert. Er berichtete, dass er während der darauf folgenden Untersuchungshaft gefoltert wurde. Im April 2001 wurde er zu 19 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

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Insbesondere wurde A.I. durch Offiziere des Taschkenter Polizeipräsidiums (MVD) im Verlaufe sei-nes Gewahrsams im Februar 1999 mehrfach geschlagen. Die Offiziere nahmen A.I. auf eine Polizei-station in Raum 190, wo ein Mann, der lediglich als A. identifiziert werden konnte, begann, ihn zu beleidigen. Dann gingen vier Leute auf ihn los, forderten ihn auf, seine Jacke auszuziehen und setz-ten ihn in eine Ecke. Sie begannen ihn zu schlagen, drehten ihm die Arme hinter den Rücken und zwangen ihn zu Boden. Sie schlugen seine Arme und seine Beine und verursachten dabei mehrere Verletzungen. Ein OSZE-Prozessbeobachter konnte am letzten Tag der gegen A.I. laufenden Hauptverhandlung notieren, dass der Imam in der Hauptverhandlung die Polizei beschuldigte, ihn im Vernehmungsraum, aber auch im Aufzug und im Korridor der Polizeistation geschlagen zu ha-ben. Danach, so sagte A.I. aus, wurde er zum Raum 194 verbracht, wo er ebenfalls kontinuierlich geschlagen wurde. Die Beamten riefen zwei Zeugen herbei, um eine Durchsuchung seiner Habse-ligkeiten durchzuführen. Bei der Durchsuchung wurde ein Substanz „entdeckt“, die später als Opi-um identifiziert wurde. Als A.I. abstritt, dass die Drogen ihm gehörten und sich weigerte, eine ent-sprechenden Polizeireport zu unterzeichnen, schlug die Polizei ihn. Er wurde wegen illegalen Han-dels von Drogen angeklagt.

Als A.I.s Verteidigerin ihn am nächsten Tag, dem 21.02.1999 aufsuchte, bemerkte sie, dass sein Körper mit Schlag- und Verbrennungswunden bedeckt war. Nach diesem Zusammentreffen verbo-ten die Behörden A.I., seine Rechtsanwältin und seine Familie zu treffen, bis die Untersuchung beendet war. Während der Folgemonate waren seine Familienangehörigen noch nicht einmal dar-über informiert, wo er gefangen gehalten war. Über darauf folgende Zeit wird berichtet, dass er zunächst im Keller und später in einer regulären Zelle des Innenministeriums in Taschkent inhaf-tiert war für eine Woche, bevor er zum Taschkenter Polizeipräsidium verbracht wurde. Nach seiner Ankunft wurde er befragt, ob er Beschwerden hätte und er antwortete ja, er sei geschlagen wor-den. Statt diese Beschwerden aufzunehmen, wurde er in einem separaten Raum geschlagen. Er wurde solange geschlagen und befragt, ob er tatsächlich Beschwerden hätte, bis er sich unter dem Eindruck der Misshandlungen bereit erklärte, ein Dokument zu unterzeichnen, dass er keinerlei Beschwerden wegen physischer Misshandlungen gegen die Behörden habe.

In der Gerichtsverhandlung bezeichnete das Gericht, die Schilderungen von Misshandlungen durch A.I. als erfunden, um seine Bestrafung zu vermeiden.

Nachdem er aufgrund eines Gnadenaktes des Präsidenten entlassen worden war, wurde er im Juli 2000 erneut festgenommen und in Untersuchungshaft gehalten und dort gefoltert. Insgesamt wur-de er fünf Monate im Hauptquartier der Taschkenter Polizei (MVD) in Incommunicado-Haft gehal-ten. Ein Verteidiger wurde in dieser Zeit nicht zugelassen. In seiner Hauptverhandlung sagte A.I. aus, dass er mehr als zwei Wochen grausam gefoltert worden sei. Die Polizei hätte behauptet, er besitze Waffen und habe das Versteck von ihm wissen wollen. Er sagte aus, dass die Haut unter seinen Füßen verbrannt worden war und er an seinen Genitalen verbrannt worden sei.

Bei einer Gelegenheit wurde er nach eigenen Aussagen dem amtierenden Innenminister und Be-schuldigten zu 1. persönlich aus einer Folterzelle im zentralen Gebäude des Innenministeriums vorgeführt, was für ihn ein Ausdruck dafür war, welche Bedeutung die usbekischen Behörden sei-nem Fall beimaßen. A.I. sagte während seiner Hauptverhandlung aus, dass ihn Z.A. persönlich befragt und ihn gedrängt habe, die Wahrheit auszusagen. A.I. habe Z.A. erklärt, dass er durch Angehörige der Polizeikräfte gefoltert worden sei und dass diese ihn dazu gezwungen hätten, zu gestehen, dass er Waffen besitze, obwohl er diese in Wirklichkeit nicht besäße. Z.A. habe weiterhin A.I. gedrängt, er möge sagen, wo die Gewehre sein. Als A.I. aussagte, er habe keine Gewehre, habe Z.A. erwidert, er habe doch bereits einmal ausgesagt, dass da seien Gewehre. A.I. sagte wei-ter aus, dass er nach dem Zusammentreffen mit dem Minister erneut gefoltert worden wäre und gezwungen worden wäre, auszusagen, dass die Waffen sich in Kasachstan befänden.

Er gab den Polizisten eine Adresse in Kasachstan als Versteck an. Später teilte die kasachische Polizei mit, dass es eine solche Adresse nicht gebe. Nachdem die usbekischen Offiziellen an das Innenministerium von Kasachstan Vorwürfe gerichtet hatten, sie würden es versäumen, die Einfuhr von Waffen nach Usbekistan zu verhindern, verlangte ein stellvertretender Innenminister der Re-publik Kasachstan A.I. zu sprechen. Die usbekische Polizei instruierte A.I., bei dieser Begegnung zu sagen, was sie ihm vorgaben. Da sein Gesicht auf der linken Seite angeschwollen war, wollten sie ihn schließlich nicht mit dem stellvertretenden Minister reden lassen und bereiteten stattdessen ein schriftliches Geständnis vor und dieses wurde dann an den kasachischen Regierungsvertreter so weitergegeben. Schließlich wurde er nicht wegen des Besitzes von Waffen angeklagt (vgl. die Fall-darstellung im Human Rights Watch-Bericht, „Creating Enemies of the State“, S. 95 ff., S. 232 ff.).

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4. Folterstraftaten nach 30. Juni 2002

4.1 Allgemein

Trotz der oben angesprochenen Besuche und den Berichten des UN-Sonderberichterstatters für Folter und des UN-Komitees gegen Folter im Jahre 2002 setzte sich die Praxis von systematischer Folter im Polizeigewahrsam in Usbekistan fort. Insbesondere fand weiterhin Folter in Untersu-chungshaftstätten und Strafhaftanstalten statt, die unmittelbar unter Verwaltung des Ministeriums für Inneres standen. Weder die Foltermethoden noch die Haftbedingungen änderten sich wesent-lich. Lediglich aufgrund des internationalen Drucks fanden seit 2002 mehrere von der usbekischen Regierung so bezeichneten Untersuchungen wegen Foltervorwürfen statt. In drei Todesfällen in Haft im Jahre 2004 erlaubte die usbekische Regierung unabhängigen Experten, die Fälle zu unter-suchen. Die Experten kamen in diesen Fällen zu dem Schluss, dass Folter und Misshandlungen die Tode nicht verursacht hätten.

Nichtsdestotrotz bestand und besteht eine Kultur von Straflosigkeit für Folterstraftaten und die Regierung hat es insgesamt verabsäumt, Verantwortliche für Folter zur Verantwortung zu ziehen. Die Regierung behauptet zwar, im Jahre 2003 insgesamt 192 Angehörige der Strafverfolgungsbe-hörden dafür diszipliniert zu haben, dass sie die Strafprozessordnung und die verfassungsrechtli-chen Rechte von Beschuldigten verletzt hätten. Aber weder die Natur der Verletzungen noch der Inhalt der Disziplinarmaßnahmen wurde mitgeteilt. Solche unspezifizierten Berichte existieren ebenfalls für das Jahr 2002. Insgesamt hat die Regierung keinerlei Schritte unternommen, Folter-opfer zu entschädigen oder zu rehabilitieren.

Stattdessen bestreitet die Regierung regelmäßig das Ausmaß des Folterproblems und bezeichnet die Fälle als Einzelvorkommnisse. So bezeichneten Menschenrechtsorganisationen den Plan der Regierung zur Implementierung der UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, inhumane und entwürdigende Behandlung oder Bestrafung vom 09.03.2004 als schwach, weil keine der Emp-fehlungen des UN-Sonderberichterstatters umgesetzt worden seien.

Insgesamt haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche internationale Institutionen und Men-schenrechtsorganisationen mit der systematischen Folter in Usbekistan beschäftigt. Die bereits wiedergegebene Liste von Berichten belegt eindrücklich das Ausmaß von Folter und Gefangenen-misshandlung auf der einen Seite. Auf der anderen Seite verdeutlicht die Liste, dass Beschwerden wegen der Folterstraftaten und Gefangenenmisshandlungen ständiges Thema zwischen Vertretern internationaler Institutionen und der usbekischen Regierung waren.

Eine Zusammenfassung der Situation der Jahre 2002 bis 2005 nach dem Besuch des UN-Sonderberichterstatters in Usbekistan gibt ein Human Rights Watch-Bericht vom 18.03.2005 mit dem Titel „Torture Reform Assessment: Uzbekistan’s Implementation of the Recommendation of the Special Rapporteur on Torture“. In diesem Bericht werden die rechtlichen und praktischen Be-mühungen usbekischer Behörden zur Umsetzung der Empfehlungen des UN-Sonderberichterstatters untersucht. Im letzten Kapitel gelangen die Berichterstatter unter der Überschrift „Fortgesetzte Folter“ zu dem desaströsen Ergebnis, dass unabhängig von dem nationa-len Regierungs- Aktionsplan Folter in Usbekistan fortgesetzt wird und die Kultur der Straflosigkeit sich nicht verändert habe. Das Büro von Human Rights Watch in der Hauptstadt Taschkent habe zahlreiche ernste Fälle von Foltervorwürfen seit 2002 dokumentiert. In Prozessen, die von der Men-schenrechtsorganisation beobachtet worden waren, hätten Richter nach wie vor vollkommene In-differenz gegenüber Foltervorwürfen gezeigt und Beweise akzeptiert, die mutmaßlich unter Folter gewonnen worden sind. In Berichten werden u.a. die Fälle von B.M. und A.Y., sowie von F.T. und J.V. ausführlich dargestellt.

4.2 Einzelfälle

M.A.

Im 17.01.2000 verhaftet der usbekische Geheimdienst (SMB) M.A. wegen mutmaßlicher Mitglied-schaft in Hizb ut-Tahrir. Er wurde zwei Tage lang in dem Gebäude des SMB im Keller gefoltert und insbesondere elektroschockgefoltert. Mitte 2002 wurde M.A. zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er basierend auf dem Buch „Die islamische Charta“ Unterrichtsstunden gegeben habe sowie damit verbundenen Tatvorwürfe. Im Februar 2001 wurde seine Strafe in einem Berufungsverfahren auf 19 Jahre reduziert.

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Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007

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M.A. wurde zur Strafvollstreckung in das Jaslyk Gefängnis im Westen von Usbekistan verbracht, eine Haftstätte, die für ihre harte Behandlung von religiösen Gefangenen bekannt ist. Im Mai 2002 erhielt Human Rights Watch Informationen darüber, dass M.A. im Gefängnis geschlagen und in eine Strafzelle gesteckt worden sei, weil er sich geweigert habe, seine Gebete zu beenden. Ein Mitge-fangener berichtete, dass sowohl M.A. als auch ein anderer religiöser Gefangener, H.A., in so ge-nannte Strafzellen verbracht worden seien als Bestrafung dafür, dass sie ihre religiöse Praxis im Gefängnis fortsetzten.

Am 08.08.2002 wurde der Körper von M.A. seiner Familie in Taschkent gebracht. Am gleichen Tag wurde der Familie von H.A. dessen Körper gebracht. Beide waren in Jaslyk zu Tode gefoltert wor-den. Einzelpersonen berichteten Human Rights Watch, dass diese Körper klare Zeichen von Folter, insbesondere von Verbrennungen an Füßen, Armen und Unterarmen sowie schweren Verbrennun-gen an Hals und Nacken aufgezeigt hätten. M.A.s Hände hätten keine Fingernägel mehr gehabt. Fotografien dokumentierten die Körperverletzungen. Ein Arzt teilte der Familie mit, dass die Ver-brennungen nur aufgrund der Verbrühung mit heißem Wasser zugefügt worden sein können. Eine große Zahl von Polizeibeamten war anwesend, als der Körper von M.A. seiner Familie übergeben wurde und Polizei kontrollierte die Besucher in dem Haus der Familie und bei der Beerdigung. Poli-zeifahrzeuge hatten die Gegend weiträumig abgesperrt und alle Besucher auf dem Weg zum Haus der Familie untersucht und einigen Besucher, wie einer Expertin von Human Rights Watch, den Zugang verweigert. Angestellte des Büros des Generalstaatsanwaltes K. bedrohten die Familie von M.A. mehrfach, dass sie keine Interviews über die Umstände von M.A.s Tod geben sollten. Ein Mit-gefangener, M.Z., der in den Nachbarzellen gefoltert worden zur gleichen Zeit wie M.A. und H.A. und später in ein Gefängnis Nr. 46 nahe der Stadt Navui verbracht worden ist, hatte in der Zwi-schenzeit einem Vertreter der US-Botschaft mitgeteilt, dass der Leiter der Haftanstalt in Jaslyk, G.S., die drei zu Tode gekommenen Gefangenen mehrfach gesehen hätte, aber keinen Arzt oder medizinische Hilfe herbeigeholt hätte.

Die internationale Gemeinschaft protestierte in ungewöhnlich starker und vereinter Art und Weise gegen die brutalen Todesfälle. Repräsentanten der EU, der OSZE und der Vereinigten Staaten tra-fen sich jeweils mit dem damaligen Außenminister K. und protestierten gegen die Todesfälle und forderten eine unabhängige Untersuchung. Die usbekische Regierung teilte 2003 mit, dass die zum Tode führenden Verletzungen aufgrund eines kurzen Kampfes, der wenige Minuten gewährt habe, zwischen Inhaftierten verursacht worden sei, in dessen Verlauf heißes Wasser über M.A. und H.A. geschüttet worden sei. Die OSZE beschwerte sich über dieses Untersuchungsergebnis, das mit den objektiven Befunden nicht in Einklang zu bringen sei. Insbesondere belegte ein forensischer Be-richt, den die britische Botschaft in Taschkent veranlasst hatte, auf der Grundlage der Fotografien von M.A.s Körper, dass dieser multiple Schlagverletzungen und in deren Folge eine Trauma erlitten hatte. Im übrigen würde das Muster der Verbrennungen auf dem Körper eine Linie auf dem unteren Brustkorb markieren, was ein klares Anzeichen dafür sei, dass dem Inhaftierten heißes Wasser beigebracht worden sei, während diese Person in irgendeiner Form in einem Bad oder in einem Behältnis aufhältig war. Solche Verbrühungen seien nicht aufgrund eines schnellen Übergießens mit heißem Wasser zu erzielen.

Danach unternahmen die usbekischen Behörden keine weiteren Schritte, um die Todesfälle näher aufzuklären oder gar die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen.

5. Das Massaker von Andischan am 13. Mai 2002

Am 13.05.2005 kam es in der von über 300.000 Einwohnern bewohnten Provinzhauptstadt im Fer-ghana-Tal im Wesen Usbekistans nahe der Grenze zu Kirgisien zu dem bisher schwersten Massaker durch Regierungstruppen mit schätzungsweise 700 bis 1.000 toten Zivilisten.

Das Ferghana-Tal ist nicht nur eine der bevölkerungsreichsten Regionen Usbekistans, sondern wird auch von mehrheitlich streng gläubigen Muslimen bewohnt. Aufgrund der sozialen politischen und religiösen Konfrontation im Laufe der 90er war das Tal ein Schwerpunkt der Auseinandersetzungen. Bereits 1997/1998 kam es nach der Ermordung mehrerer Milizionäre zu einer Verhaftungswelle von 1.000 bis 1.500 Personen. Auch im Anschluss an die oben dargestellten Bombenexplosionen am 10.02.1999 wurden innerhalb von zwei Wochen 200 bis 500 Menschen festgenommen. Aufgrund von extremen sozialen Spannungen wegen Importrestriktionen und wegen der teilweisen Zerstö-rung von traditionellen Basarvierteln kam es 2004/2005 zu Demonstrationen und Straßenblocka-den.

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Der unmittelbare Anlass für die Ereignisse am 13.05.2005 in Andischan war ein Strafverfahren gegen 23 lokale Geschäftsleute, Unternehmer und Handwerker. Diese waren inhaftiert und be-schuldigt worden, Mitglieder eine islamischen Gruppierung namens Akrmiya zu sein und den Sturz der Regierung vorbereitet zu haben. Nach allen Kommentierungen bleibt unklar, ob eine Gruppe mit diesem Namen tatsächlich existiert. Der Name geht jedenfalls auf einen muslimischen Lehrer namens A.Y. zurück, der 1992 ein Traktat mit dem Namen „Der Weg zum Glauben“ verfasst hatte. A.Y. ist – mit kurzen Unterbrechungen – seit 1998 inhaftiert und verbüßt derzeit eine 17jährige Freiheitsstrafe. Die Geschäftsleute hatten mit ihren Unternehmungen relativ großen wirtschaftli-chen Erfolg und waren populär für ihre soziale Beschäftigungspolitik und für darüber hinausgehen-de Sozialleistungen wie die Errichtung von Schulen. Von einigen Kommentatoren wird gemutmaßt, dass dieser wirtschaftliche Erfolg den traditionell korrupten Funktionären Anstoß zu den Repressa-lien gab. Der gegen die Geschäftsleute geführte Strafprozess wurde seit dem 10.02.2005 vor dem Strafgericht in Andischan verhandelt und wurde an jedem Hauptverhandlungstag mit friedlichen und schweigsamen Demonstrationen vor dem Gerichtsgebäude begleitet. Am letzten Prozesstag, dem 11.05.2005 hatten sich mehr als 2.000 Menschen vor dem Termin eingefunden.

Der unmittelbare Anlass für die Ereignisse ist nach den verschiedenen Quellen strittig. Eine Gruppe bewaffneter Personen soll in der Nacht vom 12. auf den 13.05.2005 zunächst eine Polizeistation und später eine Kaserne überfallen und dort Waffen geraubt haben. Im Anschluss daran werden aus dem Gefängnis von Andischan 600, nach anderen Angaben bis zu 2.000 Personen, darunter die 23 angeklagten Geschäftsleute, befreit. Es scheint unklar, aus welchen Personen sich die jeweiligen angreifenden Gruppen zusammensetzten und ob ein unmittelbarer Zusammenhang mit den De-monstrationen anlässlich des Prozesses gegen die Geschäftsleute besteht.

Jedenfalls wurde im Laufe des 13.05.2005 eine zentrale Demonstrationsveranstaltung auf dem Hauptplatz von Andischan, dem Babur-Platz, einberufen. Zu dieser Demonstration fanden sich viele der aus dem Gefängnis befreiten Personen sowie zwischen 10.000 und 15.000 Zivilisten zusam-men. Bereits auf dem Wege zur Demonstration kam es zu mehreren einzelnen Schusswechseln, deren genaue Ursache und Ausgang unklar ist. So soll es zu Schießereien am Geheimdienstgebäu-de gekommen sein mit etwa 30 Toten. Im Laufe des Vormittags des 13.05.2005 stürmte eine be-waffnete Gruppe das zentrale Verwaltungsgebäude, den Hokimiyat und nahm ca. 30 Personen, darunter den Leiter der Staatsanwaltschaft und den Leiter der Steuerinspektion, als Geiseln. Die Masse der Demonstranten nahm an diesen Ausschreitungen nicht teil. Vielmehr wurde auf dem Platz auf die sozialen Verhältnisse in der Region und die korrupte unsoziale Wirtschaftspolitik der Regierung angeprangert.

Nach mittlerweile vorliegenden Protokollen von Telefonkontakten soll ein Teil der bewaffneten Gruppe unmittelbar Kontakt mit dem usbekischen Innenminister Z.A. aufgenommen haben. Dieser lehnte jedoch Verhandlungen ab und stellte den Demonstranten Ultimaten.

Bereits im Verlaufe des Tages war es zu einzelnen Schusswechseln gekommen. Militär- und Polizei-fahrzeuge fuhren im hohen Tempo an den Demonstranten vorbei und beschossen diese gezielt. Dabei war es bereits zu mehreren Dutzend Toten gekommen. Nichtsdestotrotz harrten die De-monstranten auf dem Hauptplatz aus. Zum einen mag die desaströse soziale und wirtschaftliche Lage der Menschen dabei ein Motiv gewesen sein. Zum anderen soll nach mehreren Zeugenaussa-gen das Gerücht umhergegangen sein, dass Präsident I.K. persönlich auf dem Platz erscheine und mit der Versammlung über ihre Forderungen wolle.

Dann wurde das Gelände um den Platz von Polizei und Regierungstruppen weiträumig mit Schüt-zenpanzern, LKW und Militärjeeps abgesperrt. Auf höheren Gebäuden und auf Dächern und hinter Hauseingängen sowie Barrikaden wurden Scharfschützen postiert. Zwischen 17.00 und 18.00 Uhr sollen Regierungstruppen das Feuer auf die Menschenmassen auf dem Platz eröffnet haben. Von mehreren Seiten gleichzeitig wurde ungezielt das Feuer auf die Masse der Zivilisten eröffnet. Au-genzeugen schilderten das weitere Geschehen dann so, dass ein scheinbarer Ausweg über eine der Hauptstraßen, den Cholpon-Prospekt, freigelassen wurde. In der Hoffnung, über diese Hauptstraße entfliehen zu können, flohen die Tausende von Menschen, unter ihnen Frauen, Kinder und alte Menschen und wurden dabei gezielt von den Regierungstruppen beschossen. Hierbei kam es zu 700 bis 1.000 Toten.

Ein großer Teil von vor allem jungen Menschen und Männern, ca. 500 Menschen, passierte die kir-gisische Grenze, nachdem es auch dort zu einer Schießerei gekommen war. Für diese Flüchtlinge wurde ein Flüchtlingslager errichtet, das Anfang Juni in das Landesinnere der kirgisischen Provinz Jalal-Abad verlegt wurde. Mittlerweile befindet sich auch ein Großteil der Flüchtlinge in einem von der rumänischen Regierung verwalteten Flüchtlingslager in Rumänien aufgrund der sich verschär-

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fenden Sicherheitssituation in Kirgisien. Ein weiter Teil der Flüchtlinge wurde in diverse westliche Staaten u.a. Finnland, Holland und Deutschland verbracht.

Im Anschluss an das Massaker verbreitete die usbekische Regierung zunächst eine Version, wonach bewaffnete Rebelen für das Blutbad verantwortlich seien. Innerhalb weniger Tage wurden die Stra-ßen von Andischan von Toten und verletzten Personen gesäubert. Die Strassen wurden gewaschen und blutüberspritzte Gebäudefassaden überstrichen. Allen unabhängigen Journalisten und Men-schenrechtlern wurde der Zugang zu Krankenhäusern, Leichenschauhäusern und Friedhöfen, die alle von bewaffneten Kräften bewacht wurden, verwehrt. Ausländische Journalisten wurden inhaf-tiert und gezwungen, die Stadt zu verlassen. Ihre Notizen, Filme und Videos wurden von den Be-hörden beschlagnahmt. Zahlreiche Körper wurden außerhalb der Stadt mit unbekannten Verbleib transportiert. Bis heute wissen viele Familienangehörigen nicht, wo ihre toten Angehörigen verblie-ben sind. Nach Zeugenaussagen soll es zumindest zu 2.000 Verletzten gekommen sein, deren wei-terer Verbleib teilweise ebenfalls ungeklärt ist. Nach drei Tagen lud die usbekische Regierung inter-nationale Beobachter in die Stadt ein. Die eingeladenen Personen konnten jedoch mit keinen Au-genzeugen sprechen. Im weiteren Verlauf kam es dann zu mehreren Aussagen von Augenzeugen, unter ihnen teilweise prominente Menschenrechtler, die den Ausmaß des von Regierungstruppen angerichteten Massakers wahrheitsgemäß berichten konnten. Die usbekische Regierung reagierte darauf mit einer beispiellosen Verhaftungswelle, die vor allem Menschenrechtler und Journalisten sowie potenzielle Augenzeugen betraf. So befinden sich derzeit der Sprecher der Gruppe ‚Appeli-atsa’, S.Z., L.S., beide aus Andischan und sieben weitere Aktivisten aus anderen Städten in Haft. In der weiteren Abfolge wurden von mehreren internationalen Organisationen umfangreiche Berichte über den Aufstand veröffentlicht, die größtenteils auf der Befragung von einzelnen Zeugen und vor allem von Augenzeugen, die sich in die Flüchtlingslager in Kirgisien bzw. Rumänien retten konnten, beruhten. Die Regierung bemühte sich darum, einzelne Flüchtlinge durch Täuschung und Zwang zur Rückkehr zu bewegen, verlangte die Auslieferung einzelner Personen von den Aufnahmeländern und übte massiven Druck auf die im Lande verbliebenen Verwandten der Flüchtlinge aus. Vier Asyl-suchende wurden von Kirgisien gegen ihren Willen usbekischen Behörden übergeben, sie „ver-schwanden“ für zwei Monate und sollen nunmehr vor Gericht gestellt werden.

Nachdem die International Crisis Group am 25.05.2005 ihren Bericht „Usbekistan – Der Aufstand in Andischan“ und Human Rights Watch am 03.06.2005 den 60seitigen Bericht „Kugeln fielen wie Regen“ veröffentlicht hatten, kam es auch auf Ebene der Europäischen Union und der OSZE zu drastischen Stellungnahmen. Die OSZE veröffentlichte einen umfassenden Untersuchungsbericht am 20. Juni 2005 (OSZE-ODIHIR-Bericht vom 20.06.2005 “Preliminary Findings On The Events In Andijan, Uzbekistan, 13 May 2005” in Kopie als Anlage anbei) und forderte den OSZE-Teilnahmestaat Usbekistan auf, eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse zuzulassen. Der NATO-Rat forderte am 24.05.2005 eine unabhängige Untersuchung der Fälle. Am 13.06.2005 wur-de auf einem EU-Außenministertreffen in Luxemburg beschlossen, dass Sanktionen gegen Usbekis-tan ergriffen würden, wenn keine unabhängige Untersuchung der Ereignisse stattfinden würde. Insbesondere die US-Regierung forderte die usbekische Regierung zu Untersuchungen auf. Aus diesem Grunde wurden die USA im Juli 2005 dazu aufgefordert, ihren Stützpunkt in Karschi-Chanbad aufzugeben und binnen 180 Tagen sämtliche Flugzeuge und Soldaten aus Usbekistan abzuziehen. Diese Operation wurde nach Pressemeldungen am 24.11.2005 abgeschlossen durch den Rückzug der letzten Soldaten (vgl. FAZ, 31.07.2005 und 24.11.2005). Am 03.10.2005 ergriff schließlich der Rat der Europäischen Außenminister Maßnahmen gegen Usbekistan. Ein Waffenem-bargo wurde verhängt. Das EU-Usbekistan-Kooperationsabkommen wurde eingefroren. Im übrigen wurde eine gemeinsame Position des Rates am 14.11.2005 mit restriktiven Maßnahmen gegen Usbekistan abgefasst (Position 2005/792/GASP).

Als in diesem Zusammenhang wohl wichtigste Maßnahme wurde in Art. 3 der Position beschlossen, dass die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen zu unternehmen hätten, um die Einreise oder den Transit der Individuen, die in einer an die Position anschließenden Liste aufgelistet wur-den, die direkt verantwortlich für die ungezielten und unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt in Andischan und die Verhinderung einer unabhängigen Untersuchung sind.

Diese Liste umfasst an der Spitze den Beschuldigten Z.A. sowie die weiteren als Beschuldigten auf-geführten elf Personen.

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Die Anzeigenerstatter, die Opfer der Ereignisse in Andischan waren

Alle vier Anzeigenerstatter waren am 13. Mai 2005 auf dem Bobur-Platz, als usbekische Sicher-heitskräfte begannen, die Menschenmasse zu beschießen. Auf sie und ihre Familien wurde wieder-holt geschossen. Sie waren gezwungen, den Platz unter heftigem Artilleriefeuer zu verlassen. Sie beobachteten die Tötung vieler anderer Demonstranten, die sich mit ihnen auf dem Platz befanden. Die vier flohen mit mehreren hundert weiteren Personen mit einem Fußmarsch nach Kirgisien. Spä-ter wurden sie von dem UN- Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) nach Rumänien und schließ-lich nach Holland transportiert, wo sie sich zur Zeit aufhalten.

II. Rechtliche Würdigung

Die angezeigten Straftaten sind nach deutschem Strafrecht sowohl materiell als auch strafanwen-dungsrechtlich und prozessual unterschiedlich danach zu bewerten, ob sie vor dem 30.06.2002 oder nach Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches, also nach dem 30.06.2002 stattgefunden haben.

1. Körperverletzungsstraftaten gemäß §§ 223, 223a, 211 ff. StGB i.V.m. § 6 Nr. 9 StGB

und Art. 5 der UN- Anti-Folterkonvention

In den Todesfällen sind die Tatbestände des Mordes (§ 211 StGB), des Totschlages (§ 212 StGB) oder der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) gegeben. Darüberhinaus ist in allen Folter-fällen der Tatbestand der Gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) in mehreren Tatbestandsal-ternativen in fast allen beschriebenen Fällen erfüllt, nämlich § 224 I Nr. 2 (begangen mittels Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges), Nr. 4 (gemeinschaftlich begangen) und Nr. 5 (mit-tels einer das Leben gefährdenden Handlung) StGB. Daneben sind in mehreren Fällen die Tatbe-stände des Menschenraubes (§ 234 StGB) sowie in fast allen Fällen die Tatbestände der Freiheits-beraubung (§ 239 StGB) und der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt.

2. Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB)

In den Fällen mit Tatzeitpunkt nach dem 30.6.2002 liegen verschiedene Tatbestandsvarianten des § 7 VStGB, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, vor. Es sind zumindest die Varianten des § 7 VStGB Nr. 1 (Töten eines Menschen), Nr. 5 (Folter), Nr. 7 (Verschwindenlassen), Nr. 8 (schwere Körperverletzung) , Nr. 9 (schwere Freiheitsberaubung) und Nr. 10 (Verfolgung einer Gruppe) ver-wirklicht.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB sind die im Tatbestand aufgezählten Einzelta-ten, die „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölke-rung“ begangen wurden.

Das Vorliegen der Einzeltaten ist nach dem oben unter 1. dargestellten Tötungs-, Folter-, Freiheits-beraubungs- sowie Gruppenverfolgungshandlungen unproblematisch. Ein Angriff gegen die Zivilbe-völkerung erfordert nach der zur Auslegung des § 7 VStGB heranzuziehenden Art. 7 Abs. 2 a IStGH-Statuts „eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Abs. 1 genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zur Folge hat.“(vgl. Werle, Völkerstrafrecht Rn. 628 ff.). Entscheidend ist also zunächst, dass sich die Taten gegen eine Zivil-bevölkerung schlechthin („any civilian population“) und nicht gegen Einzelpersonen richten müs-sen. Isolierte Gewaltakte sollten dem Tatbestand nicht unterliegen.

Im vorliegenden Fall richten sich sämtliche unter I. aufgezählten Straftaten gegen die Zivilbevölke-rung. Unzweifelhaft handelt es sich bei der politischen Situation in Usbekistan um keine Kriegs- oder Bürgerkriegssituation. Auch die Tatsache, dass einzelnen Betroffenen von Folter- oder Tö-tungsdelikten vorgeworfen wird, sich bewaffnet gegen die Regierung in Usbekistan aufgelehnt zu haben, nimmt der betroffenen Gruppe insgesamt nicht den Charakter der Zivilbevölkerung. Denn für die Bestimmung der Zivilbevölkerung soll „die Schutzbedürftigkeit der Opfer, die aus ihrer Wehrlosigkeit gegenüber staatlicher, militärischer oder sonst organisierter Gewalt folgt“, aus-schlaggebend sein. Die Zivilpersonen, die zum Zeitpunkt der Tatbegehung nicht Teil einer organi-

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sierten gewaltanwendenden Macht sind, die ihrer tatsächlichen Rolle in diesem Zeitpunkt nach nicht an Feindseeligkeiten teilnehmen, sind ebenso wie gefangengenommene Soldaten oder Teil-nehmer an bewaffneten Auseinandersetzungen im Kriegsfalle taugliche Tatobjekte als Teil der Zi-vilbevölkerung. Die obigen Ausführungen insbesondere zur Errichtung eines systematischen Folter-regimes in Usbekistan belegen, dass es sich um einen ausgedehnten und systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung handelt. Die systematische Anwendung von Folter und von Misshandlun-gen geht letztlich aus der Gesamtheit der oben dokumentierten Menschenrechtsberichte hervor, nicht zuletzt aus den ausdrücklichen Feststellungen des UN-Sonderberichterstatters, Theo van Boven, in seinen Berichten.

3. Das Andischan-Massaker als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB)

Selbst im Falle der Auseinandersetzung von Andischan kann die Anwesenheit von einzelnen be-waffneten Elementen innerhalb der zehntausendköpfigen Menge von Demonstranten den Charakter dieser Menschenmasse als Zivilbevölkerung aufgrund der genannten Kriterien nicht aufheben (vgl. m.w.N. Werle, Rn. 629 bis 633).

Allein die Zahl der Todesopfer und Verletzen im Falle der Auseinandersetzung von Andischan bele-gen eindrücklich, dass es sich bei dem koordinierten Vorgehen von den unterschiedlichen Einheiten der staatlichen Sicherheitskräfte um einen ausgedehnten Angriff im Sinne von § 7 VStGB handelte. Auch der Bundesgesetzgeber ist der Auffassung, dass dann ein ausgedehnter Angriff dann vorlie-gen soll, wenn er „eine große Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung fordert“ ( vgl. Gesetzesbe-gründung, BT-Drucks. 14/8524 S. 20)

Das für die Erfüllung des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erforderliche „Poli-tikelement“ liegt ebenfalls vor, da die Darlegungen systematische Folterstraftaten und dem militä-risch organisiertes Andischan-Massaker belegen, dass die Repressionsmaßnahmen Ausdruck der Politik der Regierung von Usbekistan sind. Im übrigen belegen die umfangreichen Bemühungen der usbekischen Regierung, eine Aufklärung der Ereignisse zu verhindern und Augenzeugen und Be-troffene zu inhaftieren und bedrohen, diesen Befund. An der unmittelbaren Beteiligung von staatli-chen Funktionsträgern bestehen keinerlei Zweifel.

III. Die strafrechtliche Verantwortung der Beschuldigten, insbes. des Z.A.

Zur Beschreibung der Rolle der Beschuldigten und einer ersten Einschätzung ihrer strafrechtlichen Verantwortung könnte man sich zunächst darauf beschränken, allgemein auf die bereits mehrfach angesprochene gemeinsame Position der Europäischen Union 205/792/GASP vom 15.11.2005 be-treffend restriktive Maßnahmen gegen Usbekistan zu verweisen. Denn die Einleitung eines Ermitt-lungsverfahrens gem. § 160 Abs. 1 StPO setzt zunächst nur einen Anfangsverdacht voraus. Dieser liegt im vorliegenden Fall bereits schon deswegen vor, weil die Europäische Union in Art. 3 der an-gesprochenen gemeinsamen Position beschlossen hat, die notwendigen Maßnahmen zu unterneh-men, um die Einreise oder den Transit der oben genannten Beschuldigten in einen Mitgliedsstaat zu verhindern, weil offensichtlich nach den bei der Europäischen Union vorliegenden Informationen diese Personen direkt verantwortlich für den wahllosen und unverhältnismäßigen Gebrauch von Gewalt bei dem Massaker von Andischan und der Verhinderung einer nachfolgenden unabhängigen Untersuchung sind.

Insofern wird angeregt, über die beteiligten Bundesministerien die Informationen beizuziehen, die zu der geschilderten Auffassung der Europäischen Union geführt haben.

Darüber hinaus lässt sich allerdings über die Rolle des Beschuldigten Z.A. einiges mehr ausführen. Denn er hat als amtierender Innenminister sowohl bezüglich der Folterstraftaten und vor allem bei dem Einsatz von Regierungstruppen gegen die Zivilbevölkerung in Andischan am 13.05.2005 eine herausragende Rolle gespielt.

Allgemein ist zur Struktur der Exekutive in Usbekistan auszuführen, dass der Präsident von Usbe-kistan das Staatsoberhaupt und die oberste Autorität der Republik ist und als Sprecher des Kabi-netts der Minister gem. Art. 89 der usbekischen Verfassung fungiert. Das Kabinett wird durch ihn in der Weise geleitet, dass er Minister einstellen und entlassen kann und diese dann vom Parlament bestätigt sein müssen.

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Innerhalb des Kabinetts spielt der Minister für Inneres eine hervorgehobene Rolle. Er ist dem Präsi-denten untergeordnet und dem Präsidenten, dem Rest des Kabinetts und dem Parlament verant-wortlich (vgl. Art. 2, 3, 15 des Statuts über das Ministerium für Inneres der Republik Usbekistan). Gem. Art. 16 des Statuts ist der Innenminister verantwortlich für die materielle und technische Ausstattung der internen Regierungstruppen. Der Minister fungiert gleichzeitig als Oberbefehlsha-ber für die motorisierten Elemente der Polizei sowie die internen Truppen. Er ist ermächtigt, alle Mittel, inklusive Gewalt einzusetzen „um massive Störungen und andere außerordentliche Umstän-de auf dem Territorium der Republik zu lösen“. Er ist ebenfalls ermächtigt, die Spezialeinheiten der Polizei einzusetzen, um die nationale Sicherheit und außerordentliche Umstände auf dem Territori-um der Republik zu regeln.

Z.A. wurde in Taschkent in 1949 geboren. Von 1967 bis 1971 war er als Metallarbeiter, danach bei den Sowjetischen Streitkräften tätig. In den Jahren 1971-76, arbeitete Z.A. im Ministerium des Inneren. 1976 graduierte er an der Rechtsfakultät der Staatlichen Universität von Taschkent. Von 1976 bis 1991 hatte er diverse Regierungsfunktionen inne, u.a. Leiter des Taschkenter Regional- Exekutiv-Komitee des Ministeriums des Inneren und Leiter der Kriminaluntersuchungsabteilung. Der Beschuldigte Z.A. ist seit dem 16. September 1991 Minister für Inneres von Usbekistan. (Bio-grafie nach Radio Free Europe/Radio Liberty)

Der Innenminister in Usbekistan ist der Kopf der mächtigsten Sicherheitsbehörde der Republik. Nach einer Studie des Open Society Institute sind die Polizeikräfte Usbekistans wie in anderen zentralasiatischen Staaten wesentlich mächtiger als die Militärs und haben ihre eigenen bewaffne-ten Einheiten, die für die innere Kontrolle eingesetzt werden (vgl. Dimitry Pashkun, „Structure practice of State Administration in Uzbekistan“, Open Society Institute, Budapest 2003, S. 32). Dementsprechend ist auch das Auftreten von Innenminister Z.A. bei verschiedenen Gelegenheiten im Falle innenpolitischer Auseinandersetzungen in Usbekistan ausgefallen. So hat er bspw. bei ei-nem Treffen von örtlichen Führern im November 2002 ausgeführt, „dass Usbeken gnadenlos gegen Terroristen kämpfen müssen. Nur in diesem Fall wird unsere Ideologie verteidigt“ (vgl. BBC-Überschrift und Übersetzung einer Sendung des usbekischen Fernsehkanals TV 1 vom 31.10.2002). Auch bei anderen Gelegenheiten war Z.A. derjenige Minister der usbekischen Regierung, der auf vermeintliche oder wirkliche terroristische Bedrohungen reagiert hat. So hat er nach dem 11.09.2001 eine erhöhte Sicherheitsstufe angeordnet und interne Regierungstruppen in der ge-samten Republik in Alarmbereitschaft versetzt (vgl. BBC-Übersetzung eines Berichtes von Interfax News Agency Moskau vom 26.09.2001).

Nach den bisherigen Feststellungen und Äußerungen zur Beteiligung von Regierungstruppen an dem Massaker von Andischan ist davon auszugehen, dass diese Truppen unter der effektiven Be-fehlsgewalt des Innenministers Z.A. standen. Dies kommt bspw. in einem Schreiben der US-Außenministerin C.R. an den Senator J.B. des US-Senates zum Ausdruck, in dem es wie folgt heißt:

„Es scheint so, dass die meisten der Einheiten, die in die Andischan-Tragödie verwickelt waren, zum Ministerium für Inneres gehörten sowie einige Elemente des nationalen Sicherheitsdienstes, der Grenztruppen und des Verteidigungsministeriums ebenfalls beteiligt waren. Einige Augenzeu-gen hatten berichtet, dass die Einheit des Ministeriums für Inneres direkt in die Ereignisse verwi-ckelt waren.“ (vgl. Brief der Außenministerin C.R. vom 27.07.2005)

Ein Augenzeuge, der von Human Rights Watch interviewt wurde, konnte berichten, dass am Mor-gen des 13.05.2005 keine Polizisten auf der Straße waren, aber in der Nähe des Polizeipräsidiums eine große Anzahl von Polizisten voll bewaffnet und mit kugelsicheren Westen versammelt war. Zahlreiche Medienveröffentlichungen wiesen drauf hin, dass Andischan am 13.05.2005 von einem soliden Ring von Einheiten von usbekischen Truppen und insbesondere usbekischer Polizei um-schlossen war. Diese Truppen bestanden aus größeren Einheiten von Regierungstruppen und Per-sonal des Ministeriums für Inneres. Auf der Straße in Richtung des kirgisischen Ortes Osh waren etwa zehn Checkpoints der Polizei MVD eingerichtet. Am 14.05.2005 wurde in der Presse berichtet, dass Andischan unter totaler Kontrolle der Behörden von Usbekistan steht, auch wenn einzelne Schüsse noch zu hören sind. Darüber sei die Presse von einem MVD-Angehörigen informiert wor-den, der anonym bleiben wollte.

Auf der Liste der Personen, die nicht in die Europäische Union einreisen dürfen, befinden sich der Generalmajor V.M. (Beschuldigter zu 9) sowie der Oberst V.T. (Beschuldigter zu 11). Die beiden Männer sind die verantwortlichen Kommandeure für ein Bataillon, das als „Bars“ bzw. einer Spezi-altruppe des 7. Direktorates angesehen wird. Die Tatsache, dass sich die Kommandeure dieser beiden Eliteeinheiten auf der Liste befinden, belegt, dass die Europäische Union davon ausgeht,

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dass sie an den Ereignissen von Andischan beteiligt waren. Als Vorgesetzter dieser beiden Einheiten ist Innenminister Z.A. unmittelbar verantwortlich.

In einer Vielzahl von offiziellen Verlautbarungen war im übrigen davon die Rede, dass Z.A. selbst die Befehlsgewalt zur Niederschlagung des Aufstandes Andischan hatte. Anlässlich des EU-Gipfeltreffens vom 09.06.2005 meldete Reuters, dass Innenminister Z.A. offiziell Verantwortung darüber hatte, die Rebellion in Andischan niederzuschlagen, eine Maßnahme, die die usbekische Regierung als erfolgreiche Operation gegen Terroristen und Banditen bezeichnet hatte (vgl. Reuters News vom 09.06.2005). Eine Reihe von Journalisten berichteten, dass Z.A. für die Sicherheitskräfte verantwortlich war, die später in die Protestmenge im Osten der Stadt gefeuert haben (vgl. Jeremy Page und Antony Browne, The Times, 18.11.2005). Präsident I.K. selbst hat gegenüber der Presse geäußert, dass die Regierung in direkten Verhandlungen mit einem Teil der protestierenden Menge stand. In erster Linie hätte die Regierung dem usbekischen Innenminister Z.A. diese schwierige und komplizierte Aufgabe übergeben. Z.A. hätte permanent die Verhandlungen über das Telefon geführt (vgl. BBC, Transkript und Übersetzung einer Sendung des 1. Usbekischen Radios vom 14.05.2005). Weiter hieß es darüber hinaus, dass der usbekische Innenminister Z.A. und der Gou-verneur der Region, S.B., Beschuldigter zu 5., die Verhandlungen geführt und Repräsentanten der Öffentlichkeit ebenfalls daran teilgenommen hätten (vgl. BBC, Transkript und Übersetzung einer Sendung des 1. Usbekischen Fernsehens vom 14.05.2005). Im übrigen äußerte sich Z.A. selbst in bezug auf einen der bewaffneten Personen innerhalb der protestierenden Menge, K.P., dass dieser der Mann gewesen sei, mit dem er Z.A. am 13.05.2005 gesprochen habe. Nach Beendigung der Demonstration „haben wir weder seinen Körper gefunden noch befand er sich unter den gefange-nen Militanten“ (vgl. „The Times of central Asia“ vom 18.05.2005). In dem OSZE-Bericht zu den Ereignissen vom 13.05.2005 heißt es ebenfalls:

„Gegen 13.00 Uhr, so wird berichtet, fand eine telefonische Besprechung zwischen einem der Or-ganisatoren der Protestveranstaltung und dem Minister für Inneres Z.A. statt. Die Organisatoren forderten Freiheit, Demokratie und die Freilassung von politischen Gefangenen, einschließlich A.Y.. Der Minister für Inneres soll geantwortet haben, dass er ihre Forderungen bedenkt und sie zurück-rufen würde. Der Menge wurde über dieses Gespräch berichtet und bejubelte das Ergebnis. Eine Stunde später, während einer anderen telefonischen Unterhaltung zwischen den beiden, soll Z.A. gesagt haben, dass die Protestveranstaltung augenblicklich zu beenden sei. Falls dies nicht der Fall sei, würden Sicherheitskräfte schießen. Er bot den Protestierenden einen Korridor nach Kirgisien an und befahl den Protestierenden Usbekistan zu verlassen. Er soll sie Terroristen genannt haben und ausgeführt haben, dass Terroristen keinen Platz in Usbekistan hätten.“ (vgl. OSZE-Bericht, S. 22).

In dem Human Rights Watch-Bericht heißt es ebenfalls, dass eine der bewaffneten Personen inner-halb der protestierenden Menge Kontakt zu hohen Regierungsoffiziellen aufgenommen habe und insbesondere mit Innenminister Z.A. zu verhandeln begonnen habe. Nach der Aussage eines Zeu-gen, der im Gebäude des Hokimiyat anwesend war, soll der als Geisel genommene Staatsanwalt der Stadt dem bereits erwähnten A.P. Z.A.s Telefonnummer gegeben haben und A.P. dazu ge-drängt haben, Z.A. persönlich anzurufen. Der Staatsanwalt habe ausgeführt, dass er sicher sei, dass die Regierung die Forderungen der Protestierenden anhören würde, zumal wenn die Funktio-näre realisieren würden, wie groß die Menge der Protestierenden sei. Der Zeuge sagte weiter aus, dass A.P. daraufhin Z.A. angerufen und die Verhandlungen begonnen habe. Präsident I.K. gab bei mehreren Gelegenheiten bekannt, dass Minister Z.A. den Kontakt zu den Geiselnehmern in Ho-kimiyat gehalten habe (vgl. BBC, Monitoring Central Asia vom 14.05.2005).

Schließlich wird berichtet, dass das letzte Telefonat zwischen Z.A. und A.P. gegen 17.00 Uhr am Nachmittag des 13.05.2005 stattgefunden habe. Etwa 15 bis 20 Minuten bevor der Sturm der Re-gierungstruppen auf den Platz und die protestierende Menge begonnen habe. Bei dieser Gelegen-heit habe Z.A. eine Warnung an die Protestierenden gerichtet. Er soll gesagt haben, dass wenn nötig, 300 bis 400 Menschen umgebracht würden (vgl. Galima Bukharbaeva, „Blood in the Streets of Andijan“, The Wallstreet Journal Europe vom 17.05.2005).

Der Beschuldigte Z.A. ist nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft kraft Organisations-herrschaft strafrechtlich verantwortlich für das gesamte angezeigte Geschehen. Die Prinzipien der Rechtssprechung zur strafrechtlichen Verantwortung der ehemaligen DDR-Politbüromitglieder sind in vollem Umfange auf sie anwendbar ( vgl. insbesondere BGH, NJW 1994, Seite 2703 ff).

Nach dieser Rechtssprechung verwirklicht der Hintermann den Tatbestand dann, wenn er durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst. Derartige Rahmenbedingungen kommen insbesondere bei staatlichen, unternehmerischen oder geschäftsähnlichen Organisationsstrukturen in Betracht. Handelt der Hin-

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termann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, ist er Täter in der Form mittelbarer Täter-schaft. Den Hintermann in solchen Fällen nicht als den Täter zu behandeln, würde dem objektiven Gewicht seines Tatbeitrages nicht gerecht, zumal häufig der Verantwortlichkeit mit größerem Ab-stand zum Tatort, nicht ab, sondern zunimmt“ (BGH a. a. O. Seite 2706).

Die bisherigen Erkenntnisse über seine Rolle bei dem Massaker am 13.05.2005 legen nahe, dass Z.A. selber als mittelbarer Täter der am 13.05.2005 begangenen Verbrechen gegen die Mensch-lichkeit strafrechtlich verantwortlich ist. Bezüglich der weiteren elf Beschuldigten müssen die Er-mittlungen abgewartet werden, um zu beurteilen, ob diese ebenfalls als mittelbare Täter bzw. als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen gem. §§ 25 f. StGB haftbar sind.

Vorgesetztenverantwortlichkeit (§ 4 VStGB)

Im übrigen ist Z.A. nach den Kriterien der Vorgesetztenverantwortlichkeit gem. § 4 VStGB verdäch-tig.

Die Verantwortlichkeit von militärischen und zivilen Vorgesetzten ist seit den Nürnberger und dem Tokioter Kriegsverbrechertribunalen sowie den UNWCC-Prozessen völkergewohnheitsrechtlich an-erkannt (vgl. Kai Ambos, Der allgemeine Teil des Völkerstrafrechtes, S. 666 ff, 97 ff m. w. N., Wer-le, a.a.O., S. 178 ff). Das Prinzip der Vorgesetztenverantwortlichkeit ist danach durch die internati-onalen Strafgerichtshöfe für Ruanda und Jugoslawien in zahlreichen Fällen bestätigt worden (vgl. Werle, a.a.o., S. 180 m.w.N. ) und im römischen Statut des internationalen Strafgerichtshof wird die Materie in Artikel 28 geregelt.

Aufgrund des verfassungsrechtlich abgesicherten Schuldprinzips im deutschen Strafrecht regelt das Völkerstrafgesetzbuch die Vorgesetztenverantwortlichkeit abweichend vom ISTGH-Statut in drei verschiedenen Normen, nämlich § 4, § 13 und § 14 VStGB. Die für die nachfolgenden rechtlichen Erwägungen wichtigste Vorschrift des § 4 VStGB lautet wie folgt:

„Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter

Absatz 1:

Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Unter-gebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des StGB findet in diesem Fall keine Anwendung.

Absatz 2:

Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt.“

Im Einzelnen setzt die Strafbarkeit nach § 4 VStGB ein Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis, ein durch den Untergebenen begangenes Völkerrechtsverbrechen als Folge der Aufsichtsverletzung, die Kenntnis dieses Völkerrechtsverbrechen sowie schließlich das Unterlassen der gebotenen Maßnah-men durch den Vorgesetzten voraus.

Das Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis erfordert bei militärischen Befehlshabern, dass sie in-nerhalb eines militärischen Verbandes Befehlsgewalt („command“) inne haben (vgl. Werle, a.a.O., S. 181 ff, Ambos, a.a.O., S. 673 ff). Entscheidend ist jedoch nicht die formale Befehlsgewalt. „Vielmehr kann eine Einstufung als Vorgesetzter immer unter Berücksichtigung der tatsächlichen Befehls- und Weisungsverhältnisse im konkreten Fall begründet werden“ (vgl. Werle, a.a.O.). Für zivile bzw. nicht militärische Vorgesetzte ist kennzeichnend, dass sie effektive Kontrollmöglichkei-ten über Personen ausüben. Ambos spricht von tatsächlicher Führungsgewalt und Kontrolle.

Die Voraussetzung des Grundverbrechens erfordert ein in Folge des Versäumnisses des Vorgesetz-ten begangenes Völkerrechtsverbrechen.

Der Vorgesetzte macht sich dann nach § 4 VStGB strafbar, wenn er die erforderlichen und ange-messenen Maßnahmen unterlässt. Er muss über die tatsächlichen Möglichkeiten verfügen, das Völ-

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kerrechtsverbrechen zu verhindern oder Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Weiterhin sind die erforderlichen und angemessenen Gegenmaßnahmen durch ihn zu ergreifen.

Während es für eine Strafbarkeit nach Art. 28 IStGH genügt, dass der Vorgesetzte die Verbrechen seiner Untergebenen hätte kennen müssen, setzt § 4 VStGB Vorsatz, also mindestens dolus even-tualis, voraus.

Gemessen an diesen Kriterien ist der Beschuldigte Z.A. nicht nur für das Massaker vom 13.05.2005 in Andischan als Vorgesetzter unmittelbar strafrechtlich verantwortlich, sondern für die oben be-zeichneten Folterfälle.

Nach übereinstimmenden Aussagen des Präsidenten I.K. und des Beschuldigten selbst sowie weite-rer Augenzeugen war er am 13.05.2005 der verantwortliche Regierungsfunktionär zur Niederschla-gung der Protestdemonstration in Andischan. Dies kommt zum einen dadurch zum Ausdruck, dass er selber die Verhandlungen mit den teilweise bewaffneten Geiselnehmern während des gesamten Tages geführt hat und diesen gegenüber den Einsatz von Gewalt angedroht hat und dass schließ-lich kurz nach dem letzten Gespräch, in dem diese Drohung noch einmal erneuert wurde, der Ein-satz von Gewalt tatsächlich erfolgte. Z.A. ist im übrigen Oberbefehlshaber der meisten am 13.05.2005 eingesetzten Truppen gewesen.

Bezüglich der Foltertaten ist festzuhalten, dass im Prinzip sämtliche Haftstätten, in denen Untersu-chungshaft und sämtliche Haftanstalten, in denen später Strafhaft vollstreckt wird unter dem Ober-kommando des Innenministers Z.A. stehen. Lediglich einige Gewahrsamsstätten befinden sich in den Händen des Sicherheitsdienstes. Aber in den oben angesprochenen Einzelfällen wurden die Betroffenen an Orten und von Personal gefoltert, das dem Innenminister Z.A. direkt unterstand. Z.A. ist auch in vielfältigster Weise über die Tatsache informiert (gewesen), dass in seiner Verwal-tung stehenden Haftanstalten und durch ihm unterstelltes Personal in vielfältiger Weise gefoltert worden ist und gefoltert wird. Dies ist zum einen belegt durch die Vielzahl der veröffentlichten Menschenrechtsberichte, die bereits oben unter 1. im Rahmen des Sachverhaltes geschildert wur-den. Weiterhin haben sich eine Vielzahl von Vertretern der bezeichneten Menschenrechtsorganisa-tionen sowie der UN und der OSZE und diplomatisches Personal bei diversen Gelegenheiten mit Z.A. und der gesamten usbekischen Regierung ins Benehmen gesetzt, um die Beendigung der sys-tematischen Folter in usbekischer Haft zu fordern.

Hierbei ist an erster Stelle der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Folter, Theo van Boven zu nennen. Van Boven besuchte das Land im Rahmen einer UN-Mission im Jahre 2002, sein Report vom Jahre 2003 basiert auf dieser Mission. Anlässlich seines Besuches hat er Z.A. getroffen und das Thema der andauernden Folter in Usbekistan mit ihm besprochen. Eine Vielzahl von ehemals in Usbekistan eingesetzten Diplomaten kann dies ebenfalls bezeugen. Im Einzelnen werden die als Zeugen in Betracht kommenden Personen unten unter V. (Ermittlungsmöglichkeiten für deutsche Strafverfolger) bezeichnet werden.

Human Rights Watch führt zum Beleg für die Informiertheit von Z.A. über die systematische An-wendung von Folter folgende Besprechungen einzelner Mitglieder der Organisation mit dem Innen-ministerium und Briefwechsel zum Thema ‚Folter’ auf :

“Meetings with Minister of the Interior Z.A. or his Deputy regarding torture

• The Special Rapporteur on Torture met with Minister of Interior Z.A. during his mission in November/December 2002.

• On October 28 1999, J.F., chair of Human Rights Watch’s Board of Directors, and H.G., director of the Europe and Central Asia division of Human Rights Watch, met with the De-puty Minister of Interior S.A. in Tashkent and presented HRW’s concerns about torture, in-cluding the case of the death in custody of F.U. and the torture of B.S.. The Deputy Minis-ter claimed that complaints about ill-treatment while in police custody were simply at-tempts by detainees to interfere with the process of the investigation: “Of course, regar-ding complaints of ill-treatment during interrogation, yes, we’ve received such complaints. Such complaints are regular and [were] even directed at me. But of course there are no cases when the criminal agrees freely to work and cooperate with us…. These statements are rare and such complaints actually are submitted by people who want to escape from criminal responsibility.” [“And It Was Hell All Over Again…,” p. 47.]

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• In December 2000, K.R., executive director of Human Rights Watch, met with the Deputy Minister of Interior S.A. and presented the findings of Human Rights Watch’s report “And It Was Hell All Over Again…”: Torture in Uzbekista, including raising a number of specific cases of torture and ill-treatment and pressing the Deputy Minister to hold torturers ac-countable.

• On March 30, 2004, R.D., then-acting director of the ECA division of HRW, together with A.S. and A.G., met with R.K., deputy minister and head of GUIN (prison administration) and M.G., (then) chief of staff at GUIN, as well as I.P., head of the republic department of counterterrorism to present the findings from our report "Enemies of the State," and to set out specific concerns relating to allegations of MVD torture and mistreatment of detainees in pre-trial and post-conviction

• On December 17, 2004, R.D., S.K., a member of HRW’s Board, C.B., HRW’s Associate Di-rector, and A.G. met with Col. A.S. (was then head of the investigations directorate, now is a deputy minister), A.Z. (expert in Religious extremism), A.S. (newly appointed MVD ex-pert in human rights) to discuss our concerns regarding torture and the ongoing atmosphe-re of impunity.

• It should also be noted that the U.S. Embassy reports that it raises torture cases with Mi-nister Z.A. on a regular basis. Other embassies, as well as the representative of the Orga-nization for Security and Cooperation in Europe in Tashkent, may also raise torture con-cerns in regular meetings with Z.A. and other senior government officials. It is unclear whether any of these officials would be able or willing to testify against Z.A.. However, the-re is at least one former diplomat who would be willing to testify about his meetings with Z.A.

Letters on Torture Sent to the Minister of Interior Z.A. or other Ministry of Interior Staff

Human Rights Watch sent numerous letters to the Uzbek government setting out our concern re-garding torture or asking for additional information regarding torture. The following letters were either sent directly to Minister of the Interior Z.A. or he was copied on the correspondence:

Case reporting:

August 31, 1998 • Reported human rights violations, including torture, committed prior to and during the

Supreme Court criminal trial [torture allegations in cases of I.P., N.Y., J.Y. (who was six-teen years old, and U.Y.)]

August 1, 2000 • Reported information on T.A. case (relatives of a prisoner were harassed for their contact

with human rights organizations)

March 22, 2001 • Reported a death from torture in MIA custody (case of E.U.)

August 19, 2002 • Additional reporting on Y.R. case (torture). Initial letter was sent to President K. on June 21, 2002

January 7, 2005 • Reported death of S.U. in Novoi prison 64/29 on January 2, 2005

Information Requests:

November 11, 1997 • Info request re widespread police abuse [received response no.6/983 from December 17, 1997]

August 1, 2000 • Info request re efforts to combat torture, the status of human rights work, and the pro blem of domestic violence

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• Specific request to provide info for a report on torture [And It Was Hell All Over Again: Torture in Uzbekistan]

February 7, 2000 • Info request for a report on torture [And It Was Hell All Over Again: Torture in Uzbeki stan]

Government’s Acknowledgement of Torture

Before U.N. Committee against Torture

• The Uzbek government’s own Initial Report to the United Nations Committee against Torture confirmed in 1999 that citizens’ complaints of police abuse, including physical and psychological ill-treatment, were in fact increasing. [U.N. Committee against Torture “Consideration of Reports Submitted by States Parties Under Article 19 of the Convention: Initial Reports of States Parties Due in 1996 Addendum: Uzbekistan,” 24 August 1999, please see attached file]

By government officials

• In meeting with HRW in October 1999, A.S., head of the (government) Center for Human Rights, acknowledged that there is a problem of torture and that it is obvious from people’s complaints [Holly’s notes from meeting with A.S.]

• National Action Plan, June 2004 [UN document A 15916, please see attachment]

• The measures, taken by the Government of the Republic OF Uzbekistan in the field of providing and encouraging human rights [Document circulated by the Uzbek Embassy, please see attachment]”

Es steht somit zweifelsfrei fest, dass Innenminister Z.A. als Befehlshaber bzw. als ziviler Vorgesetz-ter sowohl bezüglich der Folterstraftaten als auch bezüglich des Massakers von Andischan am 13.05.2005 effektive Befehlsgewalt inne hatte. Er war über alle Ereignisse in seinem Verantwor-tungsbereich bestens informiert, wie die Zeugenaussagen und Berichte eindrücklich belegen. Es besteht im übrigen kein Zweifel daran, dass er die effektive Möglichkeit gehabt hätte, die Folter-straftaten und das in Andischan begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern. Damit ist eine Vorgesetztenverantwortlichkeit nach § 4 VStGB gegeben.

Im übrigen kommen sowohl für den Beschuldigten Z.A. als auch für sämtliche weitere Beschuldigte als sonstige Straftaten die Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 13 VStGB sowie das Unterlassen der Meldung einer Straftat nach § 14 VStGB in Betracht.

IV. Begründung der deutschen Strafgewalt gem. § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. Art. 5 der UN-Anti-

Folterkonvention und § 1 VStGB und Verfolgungsermessen, § 153f StPO

Als Ergebnis der im vorhergehenden Abschnitt vorgenommenen rechtlichen Würdigung ist folgen-des festzuhalten: Materiellrechtlich gesehen sind die hier angezeigten Taten als Tötungsdelikte (§§ 211 ff StGB), Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff StGB) und Straftaten gegen die persönliche Frei-heit (§§ 235, 239 ff StGB) und als Foltertaten im Sinne der Anti-Folter-Konvention und schließlich – die nach dem 30. Juni 2002 begangenen- als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ( § 7 VStGB) zu sehen.

Strafanwendungsrechtlich gilt für die Foltertaten das deutsche Strafrecht gem. § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. Art. 5 der UN-Anti-Folterkonvention. Für die nach diesem Datum, also nach dem Inkrafttre-ten des Völkerstrafgesetzbuches, begangenen Taten gilt zusätzlich § 1 VStGB sowie die flankieren-de strafprozessuale Norm des § 153f StPO.

Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Begründung der deutschen Strafgewalt und dem (eventu-ellen) Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft.

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Für die Folterdelikte gilt das deutsche Strafrecht aufgrund der Generalklausel des § 6 Nr. 9 StGB. Hier besteht bezüglich der Folterstraftaten vor Geltung des Völkerstrafgesetzbuches die Auffas-sung, dass durch das Übereinkommen gegen Folter und andere unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984, jedenfalls nach Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 06.04.1990 (BGBl 1990 II, 246) – ebenfalls vorbehaltlich eines eventuellen Erfordernisses des Inlandsbezuges – das deutsche Strafrecht gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2001 – 3 StR 372/00, S. 8f. , Schönke/Schröder-Eser, StGB 26. Auflage, § 6 Rd 11, jeweils m. w. N.).

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6 StGB alter Fassung galt für die im § 6 aufgezählten Kata-logtaten das Weltrechtsprinzip, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters, dem Recht des Tatortes und dem Tatort. Dennoch entwickelte die Rechtssprechung als ungeschriebene Vorausset-zung das Erfordernis des sogenannten „legitimierenden inländischen Anknüpfungspunktes“, dass also im Einzelfall – und zwar zur Begründung der deutschen Strafgewalt- ein unmittelbarer Bezug der Strafverfolgung zum Inland bestehen müsse. Angesichts der Vielzahl der im § 6 StGB aufge-zählten Taten mag diese Rechtssprechung bei einem Teil der dort aufgezählten Delikte eine gewis-sen Berechtigung haben. Bezüglich der Völkerstraftaten wurde die Rechtssprechung vor Inkrafttre-ten des Völkerstrafgesetzbuches stark kritisiert (vgl. nur Merkel, Universale Jurisdiktion bei völker-rechtlichen Verbrechen. Zugleich ein Beitrag zur Kritik des § 6 StGB, in: Lüderssen (Hrsg.) Aufge-klärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse? 1998, Band 3, 273ff.). Jedenfalls lehnte die herrschende Auffassung im Schrifttum dieses Erfordernis bei Völkerstraftaten ab (vgl. vor allem Eser, in: Eser u.a. (Hrsg.), Festschrift für Meyer-Goßner, 2001, S.3ff.; Werle, JZ 1999, S.1181,1182; JZ 2000,755,759). Letztlich wurde diese Rechtssprechung hinsichtlich Völkerstrafta-ten vor allem bei der Beurteilung von Balkankriegsverbrechen relevant. Insoweit ließ es das Bun-desverfassungsgericht zuletzt (Beschluss vom 12.12. 2000 – 2 BvR 1290/99, S.22) offen, ob ein zusätzlicher legitimierender inländischer Anknüpfungspunkt überhaupt erforderlich ist. Der Bundes-gerichtshof nahm in seinem bereit oben zitierten Urteil (a.a.O., S. 20) einen unmittelbaren Bezug zur Strafverfolgung im Inland durch den ständigen Aufenthalt des Angeklagten in Deutschland zwar als gegeben an, neigte jedoch dazu, jedenfalls bei § 6 Nr. 9 StGB keinen „über den Wortlaut des § 6 StGB hinaus legitimierenden Anknüpfungspunkt im Einzelfall“ mehr zu verlangen. Durch das In-krafttreten des Völkerstrafgesetzbuches und des § 153f StPO hat sich dieses Problem entschärft bzw. von der Begründung der deutschen Strafgewalt in die Bestimmung des staatsanwaltschaftli-chen Ermessens verlagert. Diese – erneute eindeutige – gesetzgeberische Wertung, von der Litera-tur einhellig als „Klarstellung“ und nicht als Novum kommentiert ( vgl. Gesetzesbegründung, BT Drucksache 14 8527, a.a.O.; Löwe- Rosenberg- Beulke, Strafprozessordnung, Nachlieferung, Rn. 1 zu § 153 c, Rn. 2 zu § 153f) und Absage an die vom Bundesgerichtshof scheinbar selbst aufgebene Rechtsprechung muss dann im übrigen auch bei der Auslegung des § 6 I Nr.1 und 9 StGB in der Weise berücksichtigt werden, dass ein inländischer Anknüpfungspunkt auch für Altfälle nicht mehr notwendig ist (Beulke a.a.O. hält die Frage unter Verweis auf Zimmermann, ZRP 2002, 97, 100 für noch „ungeklärt“).

Der Wortlaut des § 1 VStGB läßt hinsichtlich der nach dem 30.06.2002 verübten Taten keinerlei Zweifel: Das Völkerstrafgesetzbuch gilt für die hier in Rede stehenden Verbrechen des Völkermor-des und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit „auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist“. Damit ist die deutsche Strafgewalt für diese Taten unproblematisch begründet. ( vgl. Gesetzesbegründung, BT- Drucksache 14/8527, a.a.O.; Löwe-Rosenberg-Beulke, Strafprozessordnung, Nachlieferung, Rn. 1 zu § 153 c, Rn. 2 zu § 153f)

Die deutsche Strafgewalt – für die nach dem 30.06.2002 begangenen Taten wegen § 1 VStGB oh-nehin gegeben – ist daher auch für die Alttaten begründet, richtigerweise schon wegen des eindeu-tigen Wortlautes des § 6 StGB und der oben zitierten herrschenden Literturmeinung dazu.

Bei Alttaten gilt die Vorschrift des § 153c StPO, die der Staatsanwaltschaft prinzipiell ein weites Ermessen einräumt. Dieses Ermessen ist jedoch im vorliegenden Fall einerseits durch das Ausmass der angezeigten Taten und deren Qualifikation als Völkerstraftaten erheblich eingeschänkt und durch die hinsichtlich der Völkerrechtsverbrechen eindeutigen gesetzgeberischen Wertungen und politischen Initiativen der Bundesregierung, die durch eine Nichtaufnahme von Ermittlungen gera-dezu konterkariert würden. Schließlich reduzieren die oben genannten Gesichtspunkte das staats-anwaltschaftliche Ermessen, so dass ein Absehen von der Verfolgung nach Maßgabe des § 153c StPO kaum rational begründbar erscheint.

Für die nach neuem Recht zu beurteilenden Taten ist der Maßstab des § 153f StPO relevant. Diese prozessuale Regel soll das in § 1 VStGB festgelegte Weltrechtsprinzip, „flankieren“ und das Ermes-sen des Staatsanwaltes strukturieren, der nach neuem Recht nicht nur eine Befugnis, sondern eine

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Strafverfolgungspflicht hat (vgl. Werle/Jessberger, JZ 2002,725,732 f). Das Völkerstrafgesetzbuch bezieht auch insoweit eine völkerstrafrechtsfreundliche Position.

Nach den obigen Erörterungen ist eine der Voraussetzungen des § 153f Abs. 1 zumindest teilweise erfüllt, nämlich dass ein Inlandsaufenthalt eines der Tatverdächtigen gegeben ist (vgl. Wer-le/Jessberger, a.a.O.).

Im Übrigen stellt die Regelung des § 153f StPO klar, dass die Staatsanwaltschaft zwar von der Verfolgung bestimmter Taten absehen kann und insoweit das Ermessen nach § 153f StPO struktu-riert und eingeschränkt ist. Jedoch muss die Staatsanwaltschaft bei dem Nichtvorliegen der in § 153f StPO genannten Voraussetzungen nicht einstellen. Weiterhin ist durch die Verwendung des Wortes insbesondere in Abs. 2 klar gestellt, dass auch andere, den Inlandsbezug herstellende Vo-raussetzungen das Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft reduzieren. Daher kommen die im vorherigen Abschnitt dargestellten Inlandsbezüge hier zum Tragen. Die Gesetzesbegründung zu § 153f Abs. 2 Strafprozessordnung (BT Drucksache 14/8524, S. 38) macht zudem deutlich, dass die Regel, nämlich die Geltung des Weltrechtsprinzips gemäß § 1 VStGB, nur in den Fällen durchbro-chen wird, wo der Inlandsbezug komplett fehlt „und außerdem kein internationaler Strafgerichtshof oder ein unmittelbar betroffener Staat – im Rahmen eines justitiziellen Verfahrens – die Verfolgung der Tat übernommen hat“. Dann sei nach dem Grundsatz der Subsidiarität von der Strafverfolgung in Deutschland abzusehen. Das Legalitätsprinzip bleibe aber unberührt, wenn es nur am Inlandsbe-zug fehle oder nur die Verfolgung im Ausland eingeleitet worden ist. An diesen beiden Vorausset-zungen fehlt es hier: weder fehlt es am Inlandsbezug noch sind von unmittelbar betroffenen Staa-ten Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet worden. In Usbekistan werden im Gegenteil im Falle des Massakers von Andischan Aufklärungsmaßnahmen noch verhindert.

Damit gilt das Weltrechtsprinzip; dessen Ziel, die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, ist zu befördern.

Die beiden wesentlichen Gesichtspunkte, die für eine Einstellung sprechen könnten (vgl. insoweit die Kommentierung von Beulke, a.a.O., R. 41), nämlich bereits angelaufene Strafverfolgungstätig-keiten eines vorrangig berufenen Staates oder einer internationalen Behörde und völlige Inlands-ferne der Fälle, sind beim hiesigen Fallgeschehen nicht gegeben.

Für eine Einstellung des Verfahrens nach § 153f Strafprozessordnung ist daher kein Raum.

V. Straflosigkeit in Usbekistan

Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden deutscher Strafverfolgungsbehörden ist sowohl nach dem Völkerstrafgesetzbuch (§ 1 VStGB, § 153f StPO) als auch nach dem für die Taten vor dem 30.06.2002 geltenden Rechts unproblematisch gegeben. Im Rahmen der Erwägungen nach § 153f StPO mag sich darüber hinaus eine Frage stellen, die in der bisherigen Praxis der Verhandlung von Fällen nach dem Völkerstrafgesetzbuch nach Ansicht des Generalbundesanwaltes eine große Rolle spielt. In dem Einstellungsbescheid des Generalbundesanwaltes vom 10.02.2005 zur Einstellung bzw. Nichteinleitung eines Strafverfahrens gegen den US-Verteidigungsminister D.R. u.a. heißt es dazu:

„Das Weltrechtsprinzip legitimiert jedoch nicht ohne weiteres eine uneingeschränkte Strafverfol-gung. Ziel des Völkerstrafgesetzbuches ist es, Strafbarkeits- und Strafverfolgungslücken zu unter-binden. Dies hat jedoch vor dem Hintergrund der Nichteinmischung in die Souveränität fremder Staaten zu geschehen.“

Dies folge aus dem Komplementaritäts-Prinzip des Art. 17 des IStGH-Statuts. Nur wenn die zur Aburteilung berufene Justiz des betroffenen Nationalstaats „unwilling“ oder „unable“ zur Strafver-folgung ist, können deutsche Strafverfolgungsbehörden tätig werden. Die Zuständigkeit der deut-schen Strafverfolgungsbehörden ist nachrangig gegenüber dem Tatortstaat und dem Heimatstaat von Tätern und Opfern und als so genannte Auffangzuständigkeit zu verstehen, die eine Straflosig-keit vermeiden soll, im übrigen aber die zuständigen Gerichtsbarkeiten nicht unangemessen zur Seite drängen soll.

Im Falle von Usbekistan muss von einem Zustand umfassender Straflosigkeit sowohl für die Folter-straftaten als auch für das Massaker von Andischan vom 13.05.2005 ausgegangen werden. Der Vollständigkeit halber sei hervorgehoben, dass internationale Gerichtsbarkeit für die zur Anzeige

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gebrachten Straftaten nicht in Betracht kommt: weder hat Usbekistan das Rom-Statut des Interna-tionalen Strafgerichtshof gezeichnet, noch hat der Sicherheitsrat der UN Anstalten unternommen, die in Usbekistan begangenen Verbrechen durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag untersuchen zu lassen. Andere nationale Justizbehörden von Drittstaaten sind bisher nicht tätig geworden. Es besteht daher ein klassischer Fall von Straflosigkeit für schwerste Menschenrechts-verletzungen. Dies wurde bereits oben im Rahmen des Sachverhaltes zu Folterstraftaten ausge-führt. Hinsichtlich des Massakers von Andischan am 13.05.2005 lassen die Reaktionen der usbeki-schen Behörden an Eindeutigkeit nicht zu wünschen übrig. Bereits in einer ersten Presseerklärung befand Präsident I.K., dass fanatische und extremistische Gruppen den Volksaufstand in Kirgisien in Usbekistan wiederholen wollten, um ein utopisches muslimisches Kalifat zu errichten. Die be-waffneten Menschen seien aus dem Ausland gekommen und hätten mit Hilfe von Ausländern und ausländischer Unterstützung Verbrechen begangen. Die Regierung bestritt, dass Regierungstruppen auf jene Demonstranten geschossen hätten und bezeichneten im übrigen alle Toten als Folge des Vorgehens der bewaffneten Extremisten. Durch eine Vielzahl von Maßnahmen behinderten die us-bekische Regierung die Aufklärung des Massakers vom 13.05.2005. Wie bereits hervorgehoben wurden der Bobur-Platz und Cholbon-Prospekt gesperrt und von Körpern und Spuren von Toten und Verletzten gereinigt. Die Körper wurden mit unbekanntem Ziel entfernt. Beschädigte und ver-schmutzte Gebäude wurden hergerichtet. Medienvertreter wurden nach Andischan eingeladen. Allerdings wurden Notizen und Filme der Journalisten konfisziert, die Augenzeugen der Ereignisse waren. Die Journalisten wurden bedroht und dazu gezwungen, die Stadt zu verlassen. Andischan wurde von Sicherheitskräften umschlossen. Die von usbekischen Behörden am 18.05.2005 für Dip-lomaten und Journalisten organisierte Tour durch Andischan dauerte eine Stunde und ließ den Be-teiligten keine Möglichkeit, mit Augenzeugen und Bewohnern der Stadt zu sprechen. Sicherheitsbe-hörden hielten die Vertreter von so genannten Nachbarschaftskomitees dazu an, allen Anwohnern mitzuteilen, dass ihnen verboten sei, mit Ausländern oder Journalisten über die Ereignisse vom 13.05.2005 zu sprechen. Die Regierung inhaftierte hunderte, möglicherweise tausende von Perso-nen in der Nachfolge der Ereignisse vom 13.05.2005. Viele der Inhaftierten wurden bedroht bzw. geschlagen, um Geständnisse zu erzwingen, dass sie zu extremistischen religiösen Organisationen gehören sowie während der Proteste am 13.05.2005 Waffen getragen zu haben, um andere Betei-ligte zu belasten.

Im Übrigen fand im Anschluss an den 13.05.2005 eine Repressionskampagne der Regierung gegen Menschenrechtsorganisationen, politischer Aktivisten und unabhängiger Journalisten statt. Insbe-sondere die Akteure der zivilen Gesellschaft, die Augenzeugen der Ereignisse waren, wurden be-droht bzw. inhaftiert. Mindestens sieben Verteidiger von Menschenrechts- und politischen Aktivis-ten aus Andischan sind derzeit in Untersuchungshaft und erwarten einen Strafprozess. Mindestens zwei Menschenrechtsaktivisten wurden gezwungen, das Land zu verlassen.

Darüberhinaus hat sich die usbekische Regierung geweigert, dem Druck der internationalen Ge-meinschaft nach einer unabhängigen internationalen Untersuchung stattzugeben. Es wurden eine Reihe von Versuchen unternommen, die usbekische Regierung zu Untersuchungen anzuhalten. Nach einer Meldung der BBC vom 25.05.2005 hat Präsident I.K. all diese Forderungen zurückge-wiesen. Seine Begründung lautet, dass Usbekistan ein souveräner Staat ist, sein eigenes Verfas-sungssystem, seine gewählte Regierung und seinen gewählten Präsidenten habe. Es sei daher nicht möglich, dass eine Kommission von außen käme und einen weiteren Aufstand provozieren sowie ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen und die Weltöffentlichkeit falsch informieren würde. Er könne bereits im Voraus sagen, wie die Schlussfolgerungen lauten würden. Sie wären nicht anders als in Tschetschenien und in anderen Ländern. Das Ziel solcher Untersuchungen wäre es, die usbe-kische Regierung dafür zu beschuldigen, was sie alles nicht getan hat und wofür sie verantwortlich sei. Als ob Usbekistan ein schuldiges Land sei, müsse man um Nachgiebigkeit bitten.

Die usbekische Regierung hat nachgewiesenermaßen lediglich die Straftaten ermittelt und vor Ge-richt gestellt, die durch bewaffnete Gruppen am 12. und 13.05.2005 begangen wurden. Diese Straftaten wurden als Terrorismus, Angriff auf die konstitutionelle Ordnung, Mord, Organisation einer kriminellen Bande und von Massenprotesten, Geiselnahme und illegaler Besitz von Waffen und Explosivmaterial bezeichnet. Der Einsatz von Gewalt durch Regierungstruppen wurde nicht untersucht. Zwar wurde durch das usbekische Parlament eine so genannte Untersuchungskommis-sion über die Ereignisse in Andischan eingesetzt, deren Mandat eine sorgfältige Analyse der Hand-lungen der Regierung und Sicherheitsstrukturen beinhalten sollte. Angehörige der Generalstaats-anwaltschaft präsentierten die Ergebnisse dieser Kommission am 05. und 06.09.2005. Die Schluss-folgerung der Kommission lautete, dass schwerbewaffnete Rebelengruppen, unterstützt von aus-ländischen extremistischen Organisationen 300 Waffen geraubt hätten und damit terroristische

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Akte in Andischan begangen hätten. Als Ergebnis dieser Untersuchung wurden zunächst 15 Perso-nen wegen der oben bezeichneten Straftaten vor Gericht gestellt. Diese von der internationalen Presse als Schauprozesse bezeichneten Gerichtsverhandlungen haben in der Zwischenzeit unter teilweise internationaler Beobachtung stattgefunden. Die Angeklagten hatten keinen Zugang zu kompetenten und effektiven Verteidigern, sondern mussten mit Pflichtverteidigern vor Gericht auf-treten, von denen keiner die Schuld seiner Mandanten in Frage stellte, sondern die vielmehr nach einhelligen Berichten hervorhoben, dass ihre Mandanten unmittelbar gestanden hätten und um Vergebung durch den Präsidenten von Usbekistan bitten würden. Es wurden keinerlei objektive Beweise in den Gerichtsverhandlungen erhoben. Weder forensische noch ballistische noch medizini-sche Berichte wurden präsentiert. Lediglich solche Zeugen wurden vernommen, die die Version der Regierung unterstützten.

Die Verfahren nahmen einen derartigen kritikwürdigen Verlauf, dass der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, vier UN-Sonderberichterstatter sowie der Verantwortliche für eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik der EU J.S. im Laufe der Zeit scharfe Kritik an den Prozessen äußer-ten.

Es kann somit festgehalten werden, dass sowohl bezüglich der angezeigten Folterstraftaten als auch bezüglich der Straftaten von Regierungstruppen bei den Ereignissen in Andischan am 13.05.2005 absolute Straflosigkeit herrscht.

VI. Ermittlungsmöglichkeiten für deutsche Strafverfolger

Bundesdeutsche Strafverfolgungsbehörden sind nicht nur legitimiert gem. § 6 Nr. 9 StGB und § 1 VStGB sowie wegen Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht, die in Usbekistan begange-nen Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Sie sind nach geltenden deutschem Verfassungs- und Strafprozessrecht dazu verpflichtet, zumal - wie oben ausgeführt - in Usbekistan ein Zustand der Straflosigkeit herrscht. Denn, wie in der Gesetzesbegründung zurecht ausgeführt wird: Selbst wenn „die Tat keinen Inlandsbezug auf(weist, WK), … aber noch keine vorrangige Jurisdiktion mit Ermittlungen begonnen (hat, WK), so verlangt das Legalitätsprinzip im Zusammenhang mit dem Weltrechtsgrundsatz, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden jedenfalls die

ihnen möglichen Ermittlungsanstrengungen unternehmen, um eine spätere Strafverfol-

gung (sei es in Deutschland oder im Ausland) vorzubereiten“.

Deutsche Strafverfolgungsbehörden haben aber auch eine Vielzahl von Möglichkeiten, die in Usbe-kistan begangenen Straftaten zu ermitteln.

In den vergangenen Wochen haben Mitarbeiter von Human Rights Watch und andere Menschen-rechtsorganisationen zahlreiche Versuche unternommen, mit Opfern und Augenzeugen der Ereig-nisse von Andischan Kontakt aufzunehmen. Die Menschen sind zum großen Teil traumatisiert und eingeschüchtert. Vor allem diejenigen, die Familienangehörige in Usbekistan haben, sind sehr vor-sichtig mit Meinungsäußerungen gegenüber ausländischen Vertretern. Obwohl viele sich eine Straf-verfolgung der Verantwortlichen des Massakers vom 13.05.2005 wünschen, sind sie alle nicht be-reit, eventuelle Schritte selbst zu unternehmen bzw. Vollmachten zu zeichnen, weil sie Repressalien gegen sie selbst bzw. ihre Familien befürchten.

Es kommt jedoch eine Vielzahl von Personen als Zeugen für die Ereignisse vom 13.05.2005 in Be-tracht. Dies sind namentlich die 450 bis 500 Personen, die noch am Tag der Ereignisse aus Usbe-kistan nach Kirgisien geflüchtet sind. Von diesen Personen sind mittlerweile über 400 in einem Flüchtlingslager in Rumänien aufhältig. 15 Personen befinden sich als Flüchtlinge in Deutschland, elf in Finnland, andere in Norwegen, den Niederlanden und Schweden. Die Verwaltungsakten der in Deutschland aufhältlichen, wegen der Ereignisse in Andischan geflüchteten, Personen können im übrigen beigezogen werden, woraus sich weitere Ermittlungsansätze ergeben dürften.

Viele dieser Personen sind unmittelbare Opfer und haben Schusswunden erlitten. Alle können Au-genzeugnisse über die Ereignisse vom 13.05.2005 ablegen. Es sei an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben, dass bisher niemand umfassend die Zeugnisse der hier bezeichneten Personen aufgenommen und diese auch nur in irgendeiner Form systematisiert hat. Diese Arbeit ist in jedem Fall zu leisten, um zu verhindern, dass auch in der Zukunft die Verbrechen der usbekischen Regie-rungsverantwortlichen ungestraft bleiben. Wenn internationale Strafverfolgungsbehörden und An-

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gehörige der Justiz von dritten Staaten dazu weder willens noch in der Lage sind, müssen deutsche Strafverfolgungsbehörden angesichts der beschriebenen Voraussetzungen dies übernehmen.

Schließlich ist eine Vielzahl von Personen, die im Nachfolgenden namentlich bezeichnet werden, bereit oder jedenfalls dazu in der Lage, Zeugnis über die Ereignisse in Usbekistan und die Reaktio-nen von usbekischen Regierungsverantwortlichen, insbesondere des Beschuldigten Innenministers Z.A. abzulegen.

• Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Folter T.V.B. hat eine umfassende UN-Mission im Jahre 2002 in Usbekistan durchgeführt und auf dieser Grundlage einen Bericht im Jahre 2003 erstattet. Er hat selbst mit Z.A. Gespräche geführt, in denen es um die Fol-tervorwürfe gegen Usbekistan ging. Herr T.V.B. kann den systematischen Einsatz von Folter in Usbekistan ebenso bezeugen wie das Fehlen von effektiven Reaktionen der Regierung, um dieses Problem zu lösen.

• Der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan C.M., ist derzeit in London aufhältig und ist bereit und in der Lage über zahlreiche Treffen mit Z.A., in denen es um Folter ging, zu berichten. Seine Kontaktadresse sowie seine Telefonnummer lauten wie folgt: [hier anonymisiert]

• Der ehemalige deutsche Botschafter in Usbekistan Dr. M.H. hat bis 2004 residiert. Auch er dürfte in der Lage sein, über seine Treffen mit Z.A. und die Gespräche über Misshandlu-gen und Folter zu berichten. Dr. M.H. ist derzeit in Weißrussland aufhältig.

• Der ehemalige US-Botschafter in Usbekistan J.H. hat bis 2003 residiert. Er hat während zahlreicher Gespräche das Thema der Folter mit usbekischen Regierungsbehörden regel-mäßig erörtert, zum Teil täglich. Insbesondere hat er die Todesfälle M.A. u.a. direkt mit der Regierung erörtert, aber dabei war vor allem der Beschuldigte Z.A. sein unmittelbarer Ge-sprächspartner. J.H. ist derzeit in der Ukraine aufhältig.

• Der ehemalige Botschafter S.S. hat Usbekistan im Jahre 2000 besucht und dabei Präsi-dent K. und möglicherweise auch Minister Z.A. getroffen.

• Der ehemalige niederländische diplomatische Repräsentant in Taschkent T.K. hat die Folterfälle ebenfalls sorgfältig verfolgt und war in Gespräche mit der Regierung beteiligt.

• Die Menschenrechtsaktivisten und Untersucher von Amnesty International A.S.P. und M.W. sowie von

• Die Memorial-Mitglieder V.P. und N.M. können über ihre Untersuchungen ebenso berich-ten wie die Menschenrechtsaktivisten L.S., R.S., M.K.. L.S. war Augenzeuge der Ereignisse von Andischan. Er hat insbesondere beobachtet wie Körper am Tage nach dem Massaker am Schauplatz des Verbrechens wegtransportiert wurden. Er konnte weiterhin Polizeibeam-te beobachten, die zwischen den Körpern umhergingen und nach Verwundeten gefragt ha-ben. Wenn sich Überlebende gemeldet haben, wurden sie durch gezielte Schüsse ermordet. S. ist derzeit in den USA aufhältig. R.S. kann über die Folter und Bedrohungen im Polizei-gewahrsam berichten, die er selber erlitten hat. Er lebt ebenfalls zur Zeit in den USA. M.K. war ebenfalls Opfer von Misshandlungen im Polizeigewahrsam im Jahre 1998. Er wartet derzeit auf eine Entscheidung des UNHCR über seinen Flüchtlingsstatuts und eine Zuwei-sung zu einem sicheren Drittstaat.

• Der ehemalige Korrespondent für Zentralasien des dänischen Radios M.A. hat eine Viel-zahl von Folterfällen systematisch verfolgt. Er war nach dem Andischan-Massaker in Osh in Kirgisien und hat dort zahlreiche Überlebende und Augenzeugen des Massakers interviewt.

• F.M. ist die Mutter des zu Tode gekommenen M.A. Sie kann über seine Verletzungen und über ihre eigenen Nachforschungen berichten. Sie lebt in Usbekistan.

• T.C. kann ebenfalls über Misshandlungen ihres Sohnes D.C. im Polizeigewahrsam berich- ten.

• E.U. und I.A. sind Menschenrechtsaktivisten, die selber Opfer von Polizeigewalt und Misshandlungen geworden sind. Beide leben zur Zeit in Usbekistan.

• I.M. ist eine unabhängige Anwältin und frühere Richterin, die eine Reihe von wichtigen politischen und religiösen Personen in den 90er Jahren bis heute vertreten hat. Viele dieser Personen haben ihr gegenüber berichtet, dass sie in Untersuchungshaft und in Strafhaft

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gefoltert wurden. Sie kann über die objektiven Anzeichen für Folter und die Berichte ihrer Mandanten Zeugnis ablegen.

• N.K. ist ebenfalls Anwältin und Leiterin der Rechtshilfegesellschaft von Usbekistan. Sie hat ebenfalls eine Vielzahl von Folteropfern verteidigt .

• D.K. und Dr. O.R. und A.M. leben alle in Usbekistan und haben Beobachtungen mitzutei- len über Folterungen gegenüber ihren Familienangehörigen.

• M.I., ein Menschenrechtsaktivist der derzeit in Norwegen lebt, hat ebenfalls zahlreiche Folterfälle untersucht und kann hierüber berichten.

• Der deutsche Staatsbürger und Journalist M.B. war am 13.05.2005 auf dem Hauptplatz in Andischan anwesend und kann darüber Zeugnis ablegen. Er lebt derzeit in Kasachstan.

• Frau B.B. ist Journalistin und war ebenfalls als Reporterin für AP am 13.05.2005 in Andi- jan anwesend. Sie hat über die Gespräche zwischen den Beschuldigten Z.A. und dem als Teilnehmer an den bewaffneten Auseinandersetzungen verdächtigen Parpef berichtet und kann hierüber Zeugnis ablegen. Sie lebt derzeit in Kasachstan.

VII. Keine Immunität

Zum möglichen Verfahrenshindernis der Immunität bei einzelnen Angezeigten, vor allem dem am-tierenden Innenminister Usbekistans Z.A. sei nur ausgeführt, dass selbst nach dem hoch umstritte-nen Urteil des Internationalen Gerichtshofes (IGH) vom 14.02.2002 im Yerodia–Fall ( EuGRZ 2003, 563ff) eine solche nur bei amtierenden Aussenministern (bzw. Staatspräsidenten) in Betracht käme (vgl. Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 ff). Weiterhin und dies wird insbesondere in der deutschen Dis-kussion oft übersehen bezieht sich das Urteil nur auf den Erlass eines Haftbefehls gegen eine aktu-ell von der Immunität geschützte Person und nicht auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Da Z.A. sich im übrigen auf einem rein privaten Aufenthalt in Deutschland, nämlich zur Krankenbe-handlung, zu befinden scheint, kann auch nicht wegen § 20 Abs. 1 GVG von der Strafverfolgung abgesehen werden. Die Tatsache, dass ihm die Bundesrepublik Deutschland in Ausnahme von dem generellen Einreiseverbot gemäß der Gemeinsamen Position der EU 2005/792/GASP vom 14.11.2005 aus humanitären Gründen (nach Artikel 3 Nr. 6 der Position) ein Visum erteilt hat, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Die visaerteilende Stelle ist nicht befugt, Z.A. strafrecht-liche Immunität zu gewähren. Z.A. konnte im übrigen hierauf auch nicht vertrauen. Er ist vielmehr auf eigenes Risiko nach Deutschland eingereist. Hätte er vor seiner Einreise Rechtsrat eingeholt, wäre er auf eine mögliche Strafverfolgung nach den oben dargelegten Vorschriften aufmerksam gemacht worden.

VIII. Schlußbemerkung

Aufgrund des umfangreichen Sachverhaltes und der damit verbundenen rechtlichen Probleme konnten nicht alle Gesichtspunkte in der vorliegenden Anzeige umfassend abgehandelt werden, ohne den Umfang der vorliegende Strafanzeige ausufern zu lassen. Es wird daher ausdrücklich um Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme sowie zur Einreichung von Gutachten bzw.

Unterlagen gebeten, falls die Bundesanwaltschaft beabsichtigen sollte, kein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Angesichts der bisherigen Erfahrungen in Verfahren nach dem VStGB kann der Anzei-generstatter nicht auf die Möglichkeit einer Gegenvorstellung verwiesen werden, wenn die eigentli-che Entscheidung der Bundesanwaltschaft bereits gefallen ist und letztlich keine Einflussmöglichkeit mehr besteht. Vielmehr gebietet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs eine Gelegenheit zur Stel-lungnahme, wenn dies - wie hier- ausdrücklich angekündigt und erbeten wird.

Es wird darauf hingewiesen, dass hier keine Informationen über den Gesundheitszustand des Be-schuldigten Z.A. vorliegen. Sein genauer Zustand ist letzlich für die Frage der Einleitung eines Er-mittlungsverfahrens und der einzuleitenden strafprozessualen Maßnahmen zunächst unerheblich. Es versteht sich von selbst, dass entgegen öffentlicher Äußerungen von Vertretern von Bundesmi-nisterien seine gesundheitliche Situation für die Einleitung von Ermittlungen, selbst für strafpro-

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zessuale Maßnahmen gegen ihn selbst, kein Hindernis darstellt. Vielmehr legen die gegen ihn vor-liegenden Beweismittel und Indizien gerade angesichts einer möglicherweise drohenden Ausreise eine schnelle Abwägung auch der Anordnung von Untersuchungshaft gemäß §§ 112 ff StPO unter Berücksichtigung möglicher Beeinträchtigungen seiner Haftfähigkeit nahe.

Die Bundesanwaltschaft ist nach altem Recht nicht zuständig für die Ermittlungen wegen der Fol-terstraftaten (§§ 223ff, 211ff StGB i. V. m. § 6 Nr. 9 StGB und UN-Anti-Folterkonvention). Es müsste daher theoretisch eine Entscheidung nach § 13 a StPO bezüglich der aufgelisteten Folter-einzelfälle beantragt werden, was hiermit für den Fall der Nichtaufnahme von Ermittlungen wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ausdrücklich beantragt wird. Für diesen Fall wird vorgeschlagen, das Landgericht Hannover als das zuständige zu bestimmen.

Eine solche Gerichtsstandbestimmung erübrigt sich nach hiesiger Auffassung bei Einleitung eines Ermittlungsverfahren wegen Völkermordes, da die Folterstraftaten dann Annexstraftaten im Sinne der bekannten Rechtssprechung bundesdeutscher Obergerichte (zu den Jugoslawienverfahren, vgl. BGH NStZ 1999, S.396ff.) darstellen und die Bundesanwaltschaft insoweit für die Ermittlungsver-fahren zuständig bleibt."

Der Strafanzeige wurden die folgenden deutsch- und englischsprachigen Anlagen beigefügt:

1. Vollmachten der Anzeigenerstatter

2. Bericht der International Crisis Group, The Andijan Uprising, 25. Mai 2005

3 A. United Nations Sonderberichterstatter für Folter, Bericht von Februar 2003 über eine Mission nach Usbekistan von 24. November bis 6. Dezember 2002 [E/CN.4/2003/68/Add.2/p. 21 ,]

3 B. United Nations Sonderberichterstatter für Folter, Bericht von Februar 2004 über eine Mission nach Usbekistan von November bis Dezember 2002 [E/CN.4/2004/56/Add.3]

3 C. United Nations Sonderberichterstatter für Folter, Bericht von Februar 2005 über eine Misstion nach Usbekistan von November bis Dezember 2002 [E/CN4./2005/62/Add.2]

4. Committee against Torture, April-Mai 2002, Conclusions and Recommendations of the Commit- tee against Torture: Uzbekistan. 06/06/2002. CAT/C/CR/28/7

5. Human Rights Watch-Bericht vom 18.03.2005 „Torture Reform Assessment: Uzbekistan’s Im- plementation of the Recommendation of the Special Rapporteur on Torture“.

6. Human Rights Watch-Bericht vom 03.06.2005 „Bullets were falling like rain“

7. OSZE-ODIHIR-Bericht vom 20.06.2005 “Preliminary Findings On The Events In Andijan, Uzbeki- stan, 13 May 2005”

8. Human Rights Watch-Bericht von September 2005 „Burying the Truth“

9. Gemeinsame Position der Europäischen Union 205/792/GASP vom 15.11.2005 betreffend re- striktive Maßnahmen gegen Usbekistan

10. Englische Übersetzung eines Briefes von Dmitri Chikunov an seine Mutter Tamara Chikunova aus dem Jahre 1999.

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1.2.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2005 an den Generalbundesanwalt bat der Unterzeichner ausdrücklich darum, die Namen der Anzeigenerstatter, insbesondere der sich in Usbekistan aufhaltenden, so vertraulich wie im Rahmen eines Strafverfahrens dieser Art möglich, zu behandeln. Human Rights Watch habe insbesondere auf die für die in Usbekistan lebenden Anzeigenerstatter bestehende ernsthafte Gefahr hingewiesen. Sie seien trotz der konkreten Gefahr, die für sie bestand, ent-schlossen gewesen, sich der Strafanzeige anzuschließen.

Mit Schriftsatz vom 15.12.2005 bestätigte der Generalbundesanwalt den Eingang der Strafanzeige vom 12.12.2005 nebst Anlagen und teilte das Aktenzeichen 3 ARP 116/05-2 mit.

Mit Schriftsatz vom 20.12.2005 nahm der Unterzeichnende ergänzend Stellung. Insbesondere wur-de ein für das vorliegende Verfahren erstelltes Rechtsgutachten von Prof. Antonio Cassese, Profes-sor für internationales Recht an der Universität von Florenz in Italien, ehemaliger Richter und Prä-sident des Internationalen Strafgerichtshofes für das frühere Jugoslawien (1993 bis 2000) sowie ehemaliger Vorsitzender der UN-Untersuchungskommission für Darfur (2004 bis 2005) mit dem Titel „Immunität für ausländische Staatsfunktionäre bei Verdacht von internationalen Verbrechen“ überreicht und kurz erläutert. (vgl. Gutachten in Kopie als Anlage 2)

Cassese stellte die Prinzipien der Immunität im Völkerrecht, der Wegfall der Immunität im Falle von internationalen Verbrechen und die verschiedenen Kategorien der durch die Immunitätsregeln ge-schützten Staatsfunktionäre und die in der Strafanzeige vertretene Ansicht dar, dass der usbeki-sche Innnenminister Z.A. hinsichtlich der ihm gemachten Tatvorwürfe keine Immunität genieße.

Im Einzelnen kam Prof. Cassese zu folgenden Ergebnissen:

Grundsätzlich genieße ein Innenminister, der sich im Ausland aufhält, nach allgemeinem internati-onalen Völkerrecht keine persönliche Immunität gegen Strafverfolgung bezüglich offizieller oder privater Handlungen. Allerdings könne ihm unter speziellen Umständen persönliche Immunität ge-währt werden, insbesondere, wenn er sich auf offizieller Mission im Ausland aufhält und dabei sei-nen eigenen Staat repräsentiert.

Zwar könne nationales Recht bis zu einem gewissen Umfang einen breiteren Rahmen für die Im-munität ausländischer Offizieller gewähren. Wenn es jedoch um mögliche Strafverfolgung für inter-nationale Verbrechen geht, sei die Gewährung von Immunitäten, die nicht im internationalen Recht vorgesehen sind, von folgenden unbedingten Voraussetzungen abhängig:

a) Immunität müsse explizit gewährt werden; sie könne nicht implizit daraus geschlossen werden, dass einem ausländischen Staatsfunktionär die Einreise auf das Gebiet des Forumstaates gewährt wird. b) Sie müsse in irgendeiner Form mit einem offiziellen Anlass verbunden sein; c) Sie dürfe nicht zur Immunität für internationale Verbrechen führen; d) Sie müsse zeitlich begrenzt sein.

Zwar gewährte das deutsche Recht persönliche Immunitäten für ausländische Offizielle, die deut-sches Territorium auf offizieller Einladung betreten (§ 20 GVG), so Cassese. Diese Vorschrift müsse jedoch im Lichte von und im Einklang mit den generellen Prinzipien und Regeln des internationalen Rechts ausgelegt werden. Daraus folge, dass die deutsche Vorschrift so interpretiert werden muss, dass ein ausländischer Offizieller in Deutschland dann persönliche Immunität genießt, solange er deutsches Territorium auf Einladung betritt, um bilaterale oder multilaterale Treffen oder eine offi-zielle Zeremonie wegen ähnlicher offizieller Anlässe zu besuchen. Der ausländische Offizielle, der aus privaten Gründen nach Deutschland einreist, genieß daher keine Immunität nach § 20 GVG.

Die Gewährung eines Einreisevisums aus humanitären Gründen an einen ausländischen Staatsoffi-ziellen nach der Gemeinsamen Position des Europäischen Rates, um diesen von Reiserestriktionen nach Art. 3 der GASP 2005/792/GASP einer Ausnahme zu gewähren, umfasst laut Cassese nicht die Gewährung von Immunität für die Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter. Die fragliche Einreiseausnahme aus humanitären Gründen rechtfertige lediglich die Ausnahme von dem generellen Einreise- oder Transitverbot. Der ausländische Staatsoffizielle darf sich auf dem Territorium eines Mitgliedstaates der Europäischen Union aufhalten. Wenn er aller-dings internationaler Verbrechen beschuldigt wird, existieren keine legalen Hürden, um ihn für die-se Verbrechen strafzuverfolgen. Die Gewährung einer Ausnahme von einem Einreiseverbot der Europäischen Union kommt laut Cassese keiner offiziellen Einladung nach deutschem Recht gleich.

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Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007

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1.3.

Mit weiterem Schriftsatz vom 21.12.2005 übersandte der Unterzeichner eine auf den 20.05.2005 datierte Stellungnahme des ehemaligen UN-Sonderberichterstatters für Folter, Herrn Theo van Boven, die eigens für dieses Verfahren erstellt worden war. (vgl. den Brief als Anlage 3)

Die Ausführungen von Herrn van Boven bestätigten nochmals, dass Folter eine systematische Pra-xis in Usbekistan darstellt, welche als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten ist. Van Boven wies daraufhin, dass hohe Regierungsfunktionäre entweder die Folterpraxis kennen müssen oder sie hätten kennen müssen. Schließlich erklärte sich Herr van Boven bereit, als Zeuge für ein deutsches Ermittlungsverfahren zur Verfügung zu stehen.

Der Unterzeichner vertrat die Auffassung, dass selbst nach einer möglichen Ausreise von Minister Z.A. aus Deutschland ein Ermittlungsverfahren durchgeführt werden müsse. Denn genau dieser Fall sei im Gesetzgebungsverfahren für das Völkerstrafgesetzbuch erörtert worden. Ein Niederschlag dieses Gedankens finde sich in der Gesetzesbegründung. Hinsichtlich der manifesten Verbrechen in Usbekistan existiere absolute Straflosigkeit, und weder internationale Strafverfolgungsbehörden noch die Behörden dritter Staaten zeigten sich rechtlich dazu befugt bzw. willens, notwendige Er-mittlungshandlungen durchzuführen. Um eine eventuelle Strafverfolgung des Innenminister Z.A.s u.a. in die Menschenrechtsverletzungen verwickelten Personen für die Zukunft zu ermöglichen, müssen derzeit von dazu befugten Strafverfolgungsbehörden Beweise gesichert werden.

Aus diesem Grunde seien in der Strafanzeige vom 12.12.2005 zahlreiche Vorschläge für Ermitt-lungshandlungen gemacht worden. Der eine Teil bezog sich auf Ermittlungen über Menschen-rechtsverletzungen vertraute Personen wie Herrn van Boven. Der andere Teil der vonseiten der Anzeigenerstatter vorgeschlagenen Ermittlungshandlungen bezieht sich auf die Vernehmung von Personen, die Zeuge und Opfer des Massakers von Andischan waren. Diese Personen seien für deutsche Strafverfolgungsbehörden unmittelbar greifbar. Ein gutes Dutzend usbekischer Flüchtlinge befinde sich in Deutschland. Vier der Anzeigenerstatter befänden sich in den Niederlanden und seien bereit, entweder zur Vernehmung nach Deutschland einzureisen oder Aussagen vor einer deutschen Stelle in den Niederlanden zu tätigen. Weitere Flüchtlinge befänden sich in anderen Mit-gliedsstaaten der Europäischen Union. Dazu komme eine große Anzahl von Flüchtlingen, die sich nach wie vor in Rumänien befinden und deren Zeugnisse bisher noch von keiner Strafverfolgungs-behörde aufgenommen wurden. Der Unterzeichner wies weiterhin daraufhin, dass mit einem dau-ernden Beweisverlust zu rechnen sei, wenn die Gelegenheit versäumt würde, zum die Zeugnisse der bezeichneten Personen aufzunehmen. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man den Aufenthalt der im unmittelbaren Anschluss an das Massaker geflüchteten Personen aus Andischan noch vollziehen und die Erinnerung der Auskunftspersonen sei noch frisch.

Mit Schriftsatz vom 3.1.2006 reichte der Unterzeichner im Nachgang zu seiner Strafanzeige vom 12.12.2005 sowie seinem ergänzenden Schreiben vom 20.12.2005 anbei eine von ihm veranlasste Übersetzung des Gutachtens von Prof. Antonio Cassese.

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2. Gang des Ermittlungsverfahrens

2.1.

Mit Schriftsatz vom 23.03.2006, zugestellt am 30.03.2006, teilte der Generalbundesanwalt dem Unterzeichnenden mit, dass er die mit Schriftsatz vom 12.12.2005 erstattete und mit Schreiben vom 20. und 21.12.2005 ergänzte Anzeige geprüft habe und aus den in einem beigefügten Ver-merk ausgeführten Gründen der Anzeige keine Folge geben würde.

Dem Vermerk des Generalbundesanwalts vom 23.03.2006 wurde folgende Begründung angefügt: (vgl. den Vermerk in Kopie als Anlage 4)

"1. Die Mehrzahl der angezeigten Folterstraftaten wurde nach dem Vorbringen der Anzeigeer-statter vor Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches am 30.Juni 2002 begangen. Auf diese Taten ist das VStGB nicht anwendbar (§ 2 Abs.1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG).

2. Hinsichtlich aller Vorfälle, die nach Einführung des Völkerstrafgesetzbuches am 30. Juni 2002 zum Nachteil ausländischer Staatsbürger stattgefunden haben könnten, ergibt die nach § 153f Abs. 1 StPO vorzunehmende Abwägung, dass für ein Tätigwerden deutscher Ermittlungsbehörden kein Raum ist.

a) Zwar gilt für die im Völkerstrafgesetzbuch unter Strafandrohung gestellten Verbrechen das Weltrechtsprinzip (§ 1 VStGB). Danach bedarf es für die Anwendung des Völkerstrafge-setzbuches keines wie immer gearteten Bezugs zum Inland. Jedoch gilt nach § 153f StPO das Legalitätsprinzip auch bei Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch nicht uneinge-schränkt. Zumal in Fällen, in denen ein Deutscher weder als Täter noch als Opfer in Be-tracht kommt und sich ein möglicher Täter weder im Inland aufhält noch ein solcher Auf-enthalt zu erwarten ist, kann von der Strafverfolgung abgesehen werden, wenn die Auf-nahme von Ermittlungen keinen nennenswerten Aufklärungserfolg verspricht. Diese Vo-raussetzungen sind hier erfüllt.

- Sämtliche Vorfälle wurden außerhalb des Geltungsbereiches der Strafprozessordnung be- gangen (§ 153 c Abs. 1 Nr. 1 StPO).

- Die angezeigten und in sonstigen, hier vorliegenden Unterlagen genannten Personen sind keine deutschen Staatsbürger (§ 153f Abs. 2 Satz1 Nr. 1 StPO).

- Keine der angezeigten Personen hält sich im Inland auf. Auch ist ein solcher Aufenthalt unter Umständen, die eine Strafverfolgung erlauben würden, nicht zu erwarten (§153f Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Dies betrifft insbesondere den ehemaligen usbekischen In- nenminister Z.A.. Zwar hatte sich Z.A. aufgrund eines aus humanitären Gründen erteil-ten Visums zeitweilig zu einer Heilbehandlung in Hannover aufgehalten. Jedoch hatte er nach vorliegenden Erkenntnissen Deutschland bereits etwa zwei Wochen vor Ein-gang der Strafanzeige von amnesty international am 5. Dezember 2005 wieder ver- las-sen. Ein künftiger Aufenthalt von Herrn Z.A. ist nicht zu erwarten. Zum einen we- gen des von der Europäischen Union gegen ihn verhängten Einreiseverbotes, aber auch we-gen der breiten öffentlichen Diskussion der Vorgänge in den Medien, die nach der Öf- fent-lichmachung der Strafanzeigen durch amnesty international und Human Rights Watch erfolgte.

b) Umstände, die eine Aufnahme von Ermittlungen trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 153f StPO rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn durch Ermittlungen deutscher Strafverfolgungsbehörden ein nennenswerter Aufklärungser-folg erzielt werden könnte, um eine spätere Strafverfolgung (sei es in Deutschland oder im Ausland) vorzubereiten. Dies ist hier nicht der Fall. Zur Aufklärung möglicher Tatvorwürfe gemäß § 7 VStGB (namentlich den Nachweis von Gesamttat und Politikelement) wären in beiden Tatkomplexen Ermittlungen vor Ort in Usbekistan unerlässlich. Diese könnten, da deutsche Ermittlungsbehörden in Usbekistan über keine Exekutivbefugnisse verfügen, nur durch Rechtshilfe der usbekischen Regierung erfolgen. Dies erscheint vornherein aussichts-los. Angesichts dieser Beweislage war im Übrigen zu keiner Zeit ein dringender Tatverdacht gegen eine der angezeigten Personen gegeben. Ein solcher wäre jedoch Voraussetzung für den Erlass eines von amnesty international thematisierten Haftbefehl gegen den ehemali-gen usbekischen Innenminister gewesen.

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Darüber, dass ein nennenswerter Aufklärungserfolg der angezeigten Tat nur durch Ermitt-lungen vor Ort in Usbekistan erzielt werden kann, sind sich auch die Anzeigeerstatter im Klaren. Amnesty international selbst führt in seinen Andischan-Report vom September 2005 Folgendes aus: […]

Vergleichbar eingehende Ausführungen müssten auch zur Aufklärung der zur Anzeige ge-brachten Folterstraftaten durchgeführt werden. Besonderes Augenmerk wäre dabei auf den Nachweis des sogenannten Politikelements zu richten. Danach muss der Angriff gegen die Zivilbevölkerung "in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat" (Art. 7 Abs. 2 lit. a IStGH-Statut) er-folgen. Anderenfalls verwirklichen die in §§ 7 VStGB aufgeführten Einzeltaten nicht den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Die Anzeigeerstatter verweisen hierzu auf die Berichte des UN-Sonderberichterstatters van Boven, der die Anwendung von Folter in Usbekistan als "systematisch" bezeichnet habe. Unerwähnt bleibt indessen, dass, so van Boven, die Folter tatsächlich einen systematischen Charakter haben kann, ohne aus der direkten Absicht einer Regierung zu resultieren. "Sie kann die Folge von Faktoren sein, deren Kontrolle für die Regierung schwierig ist, und ihre Existenz kann eine Diskrepanz zwi-schen der Politik, die von der zentralen Regierung festgesetzt wird, und deren Umsetzung seitens der lokalen Verwaltung sein. Eine unzureichende Gesetzgebung, die in der Praxis Spielraum für den Einsatz von Folter lässt, kann ebenfalls zur systematischen Anwendung dieser Praxis beitragen."

Letzteres weist die usbekische Regierung ebenso mit Nachdruck zurück, wie auch den Vor-wurf, die Empfehlungen des Sonderberichterstatters der UN-Menschenrechtskonvention für Fragen der Folter nur unzureichend umgesetzt zu haben. Die usbekische Botschaft in Deutschland führt hierzu aus: […]

Ob und inwieweit vor diesem Hintergrund gleichwohl von einer nach § 7 VStGB strafbe-gründenden Duldung oder gar Förderung systematischer Folter durch die usbekische Regie-rung ausgegangen werden muss, ist durch deutsche Strafverfolgungsbehörden nicht auf-klärbar.

Bei verständiger Gesamtwürdigung der Beweislage ist somit in keinem der angezeigten Tatkomplexe ein wesentlicher Beweisverlust durch ein Nichttätigwerden deutscher Strafver-folgungsbehörden zu besorgen. Hinzu kommt, dass viele Sachverhalte bereits umfänglich von Nichtregierungsorganisationen und von den Vereinten Nationen dokumentiert worden sind. Die Auffassung, gleichwohl müsse in einem deutschen Ermittlungsverfahren weltweit existierendes Beweismaterial mit Blick auf das uneingeschränkte Weltrechtsprinzip (§ 1 VStGB) durch Strengbeweis dokumentiert und systematisch aufbereitet werden, auch wenn ein Aufenthalt und damit eine Verurteilung der Täter in Deutschland nicht zu erwarten sei, geht fehl. Dies würde im Ergebnis auf eine rein symbolische Strafverfolgung hinauslaufen. Eine solche war vom deutschen Gesetzgeber aber auch bei Völkerstraftaten ausdrücklich nicht gewollt, zumal hierdurch die ohnehin personell und finanziell begrenzten Strafverfol-gungsressourcen zu Lasten sonstiger, erfolgversprechender Strafverfolgung langfristig ge-bunden würden.

3. Abschließend bedarf es auch keiner Gerichtsstandsbestimmung bezüglich der angezeigten Foltertaten, die vor Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches am 30. Juni 2002 begangen wurden. Aus den oben dargelegten Gründen ist nicht damit zu rechnen, dass diese Taten durch eine Landesstaatsanwaltschaft verfolgt würde (§ 153c StPO)."

Mit Schreiben vom 19.04.2006 beantragte der Unterzeichnende beim Generalbundesanwalt Akten-einsicht. Dem Ersuchen kam der Generalbundesanwalt durch Übersendung der Akten mit Schreiben vom 27.4.2006 nach. Aus der Akte ergeben sich keine weiteren Erkenntnisse, da sie im Prinzip nur den Schriftverkehr zwischen dem Unterzeichner und der Bundesanwaltschaft enthält. Weiterhin ist der Akte lediglich zu entnehmen, dass sich kurz vor der hiesigen Anzeigenerstattung bereits amne-sty international - Deutschland - mit einem kurzen Anschreiben an die Bundesanwaltschaft ge-wandt hatte, das die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Z.A. nahe legte, ohne dies ausführlich zu begründen.

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2.2.

Am 27.04.2006 erhob der Unterzeichner namens und in Vollmacht der Anzeigeerstatter Gegenvor-stellung gegen den Bescheid vom 30.03.2006.

Die vom Unterzeichner gefertigte Gegenvorstellung hat im einzelnen folgenden Wortlaut: (vgl. als Kopie Anlage 5)

"namens und in Vollmacht der von mir vertretenen Anzeigenerstatter erhebe ich

Gegenvorstellung

gegen den Bescheid vom 30.03.2006.

Der Generalbundesanwalt verkennt den Sinn und Zweck des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) – dazu 1), geht fälschlicherweise davon aus, dass durch Ermittlungen deutscher Strafverfolgungsbe-hörden kein nennenswerter Aufklärungserfolg erzielt werden könnte und dies ein Grund für die Einstellung des Verfahrens sei - dazu 2), zieht unverständlicherweise entgegen anderslautender Berichte des UN-Sonderberichterstatters für Folter einen offiziellen Bericht der usbekischen Bot-schaft in Deutschland zur Begründung dafür heran, dass eine nach § 7 VStGB strafbegründende Duldung oder Förderung systematischer Folter durch die usbekische Regierung durch deutsche Strafverfolgungsbehörden nicht aufklärbar sei - dazu 3) und verkennt sämtliche vom Anzeigener-statter beigebrachten Informationen und Beweise, die den Verdacht erhärten, dass die angezeigten Straftaten in Ausführung und Unterstützung der staatlichen Politik Usbekistans begangen wurden - dazu 4).

1.

Der Generalbundesanwalt hat mit der Entscheidung, keine Ermittlungen im Fall Z.A. einzuleiten, dem Sinn und Zweck des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) zuwidergehandelt.

a. Mit dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes und dem VStGB wurden zu-sätzliche Instrumente geschaffen, die es ermöglichen sollen, Straftaten, die sich gegen die vitalen Interessen der Völkergemeinschaft richten, weltweit zu verfolgen. Aus diesem Grund knüpfen beide Regelwerke nicht an einen wie auch immer gearteten Inlandsbezug an, sondern sind Ausdruck des Weltrechtsprinzips. Sie knüpfen an Völkergewohnheitsrecht und an zahlreiche einschlägige Konven-tionen an, als deren wichtigste die Völkermordkonvention, die Genfer Rotkreuz-Abkommen und das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Be-handlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 zu nennen sind. Aus den genannten Konventionen ergeben sich nicht nur (Straf-) Tatbestände, sondern auch die Befugnis zu strafen sowie teilweise Verfolgungs- und Bestrafungspflichten.1 Ziel des VStGB ist es, die Straflosigkeit von Völkerstrafta-ten zu beenden oder zumindest zu minimieren.2

Das VStGB und das Rom-Statut bauen dabei auf dem Prinzip der Solidarität auf.3 Der verfolgende Drittstaat wird „im Interesse der Staatengemeinschaft als Ganzer“ tätig.4 Die internationale Staa-tengemeinschaft einerseits und die einzelnen Staaten andererseits verpflichten sich, zur Verbrei-tung des humanitären Völkerrechts die sogenannten Kernverbrechen (core crimes) zu verfolgen. Die sich dabei ergebende Überlappung der Strafverfolgungszuständigkeit, bspw. des IStGH, des Tatortstaates und der Bundesrepublik Deutschland, wird nicht nur hingenommen, sondern ist sogar gewollt, um eine lückenlose Strafverfolgung zu gewährleisten.5

Die usbekischen Behörden haben kein einziges Verfahren gegen Angehörige des Staatsapparates wegen Folter oder wegen des Massakers in Andischan eingeleitet. Im Gegenteil: in Usbekistan herrscht ein Zustand der Straflosigkeit für staatlich verstärkte Kriminalität. Die Regierung ist aktiv an der Vernichtung von Beweisen beteiligt, schüchtert Zeugen und Opfer von Staatsverbrechen ein und setzt sie teilweise selber einer Strafverfolgung aus. Die Behörden des primär zuständigen Tat-ort-Staates sind mithin nicht gewillt, Straftaten von Mitgliedern der eigenen Regierung oder des

1 Kai Ambos, Internationales Strafrecht, München 2006, Rn. 93ff. ; Gerhard Werle, Völkerstraf-recht, Tübingen 2003, Rn. 170ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen 2 BT-Drucks. 14/8524, S. 37.

3 BT-Drucks. 14/8524, S. 37; KK-Schoreit, 5. Aufl., 2003, § 153 f Rn. 3.

4 Ambos, a.a.O.

5 Ambos, a.a.O., Rn. 129ff.

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eigenen Staatsapparates aufzuklären und zu verfolgen. Der IStGH ist nicht zuständig, da Usbekis-tan das Rom-Statut nicht unterzeichnet und ratifiziert hat. Gerade in solchen, für die Deliktskons-tellation typischen, Situationen ist es notwendig, dass Staaten wie Deutschland, deren Strafrecht eine weltweite Verfolgung von Völkerstraftaten vorsieht, stellvertretend für die internationale Staa-tengemeinschaft die Strafverfolgung übernehmen.

Auf diesem Gedanken der Komplementarität baut das gesamte Völkerstrafrecht auf.6 Wie der Ge-neralbundesanwalt selbst in seiner Entscheidung im Falle des US-Verteidigungsministers D.R. vom 10.02.20057 ausführt, zielt das deutsche Völkerstrafgesetzbuch darauf ab, Strafbarkeits- und Strafverfolgungslücken zu schließen. Die Zuständigkeit deutscher Strafverfolgungsbehörden greife dann ein, wenn die Strafverfolgung durch den vorrangig zuständigen Staat – hier Usbekistan – oder einen internationalen Gerichtshof nicht gewährleistet wird oder nicht gewährleistet werden kann.8 Die Übertragung dieser von dem Generalbundesanwalt selbst aufgestellten Prinzipien führt in diesem Fall zu dem zwingenden Erfordernis, Ermittlungen in Deutschland gegen die angezeigten Personen aufzunehmen.

Im übrigen missachtet der Generalbundesanwalt rechtlich verbindliche Entscheidungen auf europä-ischer Ebene. Denn der Ratsbeschluss vom 8. Mai 2003 -2003/335/JHA- legt den nationalen Straf-verfolgungsbehörden eine Reihe von Pflichten auf und verweist in der Präämbel (7) und (8) aus-drücklich darauf, dass die „Wirksamkeit der Ermittlung und Strafverfolgung“ von Kriegsverbrechen u.a. auf nationaler Ebene von einer „engen Zusammenarbeit zwischen den betreffenden nationalen Strafverfolgungs- und Ausländerbehörden“ abhänge und die „enge grenzüberschreitende Zusam-menarbeit zwischen den betreffenden Behörden der Vertragsparteien des Römischen Statuts“ von grosser Bedeutung sei. Eine national beschränkte Betrachtungsweise, wie sie der Generalbundes-anwalt in seiner Entscheidung zum Ausdruck bringt, ist nicht nur systemwidrig und schadet dem Gedanken und der Praxis universeller Verfolgung internationaler Delikte, sondern verkennt Ent-scheidungen auf europäischer Ebene.

b. Dem Bescheid des Generalbundesanwalts liegt zudem eine grundsätzlich falsche Interpretation des § 153f StPO zugrunde. Im Bereich des VStGB gilt – wie auch im gesamten übrigen Strafrecht – das Legalitätsprinzip, so dass es den deutschen Strafverfolgungsbehörden nur in dem eng begrenz-ten Rahmen des § 153f StPO möglich ist, von einer Strafverfolgung abzusehen. Diese Norm ermög-licht ein Absehen von der Verfolgung nur, wenn die Straftaten nicht im Inland begangen wurden, Täter oder Opfer keine Deutschen sind und der Täter sich nicht im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist (Abs. 1) und wenn schon eine anderweitige Strafverfolgung stattfindet (Abs. 2). Liegen diese Voraussetzungen – wie in diesem Fall – vor, dann steht es im Ermessen der Staatsanwaltschaft, von einer Strafverfolgung abzusehen. Der Generalbundesanwalt ist aber weder dazu verpflichtet, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 153f StPO eine Aufnahme von Ermittlungen abzulehnen, noch bedarf es einer besonderen Rechtferti-gung, wenn der Generalbundesanwalt trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f StPO ein Ermittlungsverfahren einleitet. Wenn der Generalbundesanwalt aber ausführt, dass „Umstände, die eine Aufnahme von Ermittlungen trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f StPO rechtferti-gen könnten“, nicht vorlägen und daher für ein Tätigwerden der deutschen Strafverfolgungsbehör-den kein Raum sei, wird das Legalitätsprinzip auf den Kopf gestellt. Nicht die Aufnahme von Ermitt-lungen ist begründungsbedürftig, sondern die Nichteinleitung bzw. Einstellung eines Ermittlungs-verfahrens.

c. Darüber hinaus verkennt der Generalbundesanwalt, dass § 153f StPO auf das hiesige Fallge-schehen nicht ohne weiteres anwendbar ist. Denn die Vorschrift geht in Absatz 2 von einer Einstel-lungsmöglichkeit nur für den Fall aus, dass ein Beschuldigter niemals in Deutschland aufhältig war und dies ist zumindest im Falle Z.A. nachweislich nicht der Fall: Z.A. war im November 2005 für einen gewissen Zeitraum in Deutschland. Damit ist das Erfordernis der Präsenz im Geltungsbereich des VStGB erfüllt. Dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden im Moment seines Aufenthaltes keine Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet haben, kann nicht dazu führen, dass Z.A. davon in der Weise profitiert, dass nunmehr kein Verfahren mehr gegen ihn stattfinden kann. Die Bundes-anwaltschaft hätte proprio motu Ermittlungen gegen ihn einleiten müssen, dazu war sie verpflich-tet.

6 BT-Drucks. 14/8524, S. 37, vgl. auch Ambos und Werle, a.a.O.

7 JZ 2005, S. 311.

8 Ebd.

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2.

Der Generalbundesanwalt geht weiterhin davon aus, dass durch Ermittlungen deutscher Strafver-folgungsbehörden kein nennenswerter Aufklärungserfolg erzielt werden könnte. Der Generalbun-desanwalt stellt dabei im wesentlichen darauf ab, dass zur Aufklärung der angezeigten Taten Er-mittlungen vor Ort erforderlich seien. Dafür seien die deutschen Ermittlungsbehörden auf die Rechtshilfe der usbekischen Regierung angewiesen, deren Gewährung aber unrealistisch sei.

a. Zwar ist es richtig, dass ein Absehen von der Verfolgung in den Fällen nahe liegen kann, in de-nen Ermittlungen deutscher Behörden keinen nennenswerten Aufklärungserfolg versprechen. Aller-dings handelt es sich dabei nicht – wie es der Bescheid des Generalbundesanwalts nahe legt – um ein Tatbestandsmerkmal, sondern um ein Kriterium, dass bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens eine Rolle spielen kann. Ein mangelnder Aufklärungserfolg ist aber nur dann zu erwar-ten, wenn es überhaupt keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die deutschen Strafverfolgungsbehör-den Beweise erheben und Beweismittel sichern können. Dieses Kriterium kann daher nur in eng begrenzten Ausnahmefällen ausschlaggebend sein. Würde man tatsächlich das Kriterium des zu erwartenden Aufklärungserfolges als Maßstab für die Beantwortung der Frage heranziehen, ob Er-mittlungen eingeleitet werden oder nicht, dann würde man den Sinn und Zweck eines jeden Ermitt-lungsverfahrens umkehren. Denn ein Aufklärungserfolg lässt sich regelmäßig nicht am Anfang, sondern erst nach Abschluss der Ermittlungen feststellen.

b. Ein Aufklärungserfolg ist immer unter Berücksichtigung der oben skizzierten Grundsätze des internationalen Systems der Strafverfolgung im Völkerstrafrecht zu beurteilen. Ein Aufklärungser-folg ist daher nicht erst dann anzunehmen, wenn mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass man dem Tatverdächtigen das Vorliegen sämtlicher schuldbegründender Tatsachen nachwei-sen kann. Vielmehr ist es ausreichend, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der bestehende Anfangsverdacht durch die Aufnahme von Ermittlungen erhärtet werden kann. Die so gewonnenen Erkenntnisse, selbst wenn sie möglicherweise allein für eine Anklage nicht ausreichen werden, kön-nen dann in einem eventuellen Verfahren – bei geänderter Situation – in Usbekistan, in einem Drittland oder vor einem internationalen Gericht verwendet werden.9 Der mögliche Einwand, ein Strafverfahren in Deutschland könne nicht dem Zweck dienen, Ermittlungsergebnisse für derartige Verfahren im Ausland zu sammeln, geht zumindest im Völkerstrafrecht fehl bzw. ist angesichts der oben geschilderten Entwicklung antiquiert. Die grosse Bedeutung internationaler Zusammenarbeit wird bei diesem Argument ebenso verkannt wie die Tatsache, dass im Völkerstrafrecht die herge-brachten Strafzwecke nicht ohne weiteres anwendbar sind und dass deutsche Strafverfolgungsbe-hörden stellvertretend für die Weltgemeinschaft tätig würden.

c. Der Generalbundesanwalt überschätzt daher auch grundsätzlich die Notwendigkeit, Ermittlungen in Usbekistan vorzunehmen, um einen Verdacht gegen einen der angezeigten Personen zu erhär-ten. Zwar ist es ohne jeden Zweifel am sinnvollsten und am effektivsten, Beweise direkt vor Ort zu erheben, Zeugenbefragungen durchzuführen, Tatorte zu besichtigen, medizinische und andere Sachverständige heranzuziehen. Dies wäre wünschenswert. Im Moment sind aber derartige Ermitt-lungen in weiter Ferne. Vielmehr herrscht in Usbekistan absolute Straflosigkeit für die angezeigten Straftaten. Diese Situation ist geradezu typisch für Fälle von Strafverfahren nach dem Weltrechts-prinzip, für die auch das VStGB gedacht ist.

Allerdings sind auch außerhalb Usbekistans Beweismittel verfügbar, die zunächst erhoben werden können und in der Anzeige benannt worden sind. Dieses Beweismaterial ist auch nicht weltweit verstreut, wie vom Generalbundesanwalt behauptet, sondern befindet sich im mittelbaren oder unmittelbaren Zugriff des Generalbundesanwaltes.

Allein 15 Personen, die Zeugen der Ereignisse vom 13.05.2005 geworden sind, befinden sich als Flüchtlinge in Deutschland. Die Asylverfahrensakten der in Deutschland aufhältigen Personen las-sen sich in einem Ermittlungsverfahren beiziehen und können Anhaltspunkte für weitere Ermittlun-gen geben. Weitere Flüchtlinge und Zeugen der angezeigten Taten, die sich in Finnland, Schweden, den Niederlanden und Rumänien aufhalten, können auch durch deutsche Strafverfolgungsbehörden vernommen werden. Möglich ist auch eine kommissarische Vernehmung durch Vertreter der jewei-ligen nationalen Strafverfolgungsbehörden. Aufgrund der Schwere der Delikte ist es dem General-bundesanwalt auch möglich, Eurojust einzuschalten. Gemäß Art. 4 Abs. 2 Eurojust-Decision kann Eurojust auf Antrag einer mitgliedsstaatlichen Strafverfolgungsbehörde tätig werden. Eine Verneh-mung der Tatzeugen ist dringend angezeigt, da ansonsten Beweisverlust droht, wenn erst abge-

9 Vgl. auch BT-Drucks. 14/8524, S. 37.

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wartet wird und die Zeugen dann nur noch schwer auffindbar sein werden. Ausserdem droht insbe-sondere bei den Zeugen eine Abnahme des Erinnerungsvermögens.

Auch die weiteren in der Anzeige genannten Experten und Journalisten, die Aufschluss darüber geben können, in welchem Maße in Usbekistan durch staatliche Stellen die in der Anzeige aufge-führten Straftaten begangen werden, sind nicht weltweit verstreut, sondern ohne größeren Auf-wand zu vernehmen. Die Namen und Adressen sind in der Strafanzeige benannt worden. Auch wenn dies in vielen Fällen nicht im Strengbeweisverfahren möglich ist, können zur Sicherung der Beweise Befragungen der Zeugen durch Konsulatsangehörige oder durch Beauftragte vorgenom-men werden. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter Theo van Boven, und andere Zeugen sind sogar bereit, für eine Aussage nach Deutschland zu reisen.

d. Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist es daher auch nicht von Bedeutung, ob Rechtshilfe von der usbekischen Regierung zu erwarten ist. Das VStGB wurde gerade für solche Konstellationen geschaffen, in denen der primär zuständige Staat – weil er dazu nicht willens oder nicht in der Lage ist – die nach dem VStGB strafbaren Delikte nicht verfolgt. In den meisten Fällen wird es sich um regierungsnahe oder staatsverstärkte Kriminalität handeln, die von den Behörden des Staates aus nahe liegenden Gründen nicht verfolgt und sanktioniert wird. Aus eben diesen Gründen werden die Regierungsstellen Rechtshilfeersuchen der deutschen Strafverfolgungsbehör-den in den meisten Fällen ablehnen. Würde man die Kooperationsbereitschaft des primär zuständi-gen Staates zur Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach dem VStGB machen, würde man das Weltrechtsprinzip aufgeben und in das Ermessen derjenigen stellen, die eigentlich mit dem Instrument des Völkerstrafrechts verfolgt werden sollten. Von der usbekischen Regierung zu erwarten, dass sie Ermittlungen eines ausländischen Staates auf ihrem Territorium wegen Straftaten, die usbekische Staatsvertreter begangen haben sollen, zulassen oder dulden werden, ist realitätsfern. Insofern kann die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach dem VStGB nicht davon abhängig sein, ob auch Ermittlungen vor Ort – in diesem Fall in Usbekistan – vorge-nommen werden können.

3.

Gänzlich unverständlich ist die Argumentation des Generalbundesanwalts, wenn er einen offiziellen Bericht des usbekischen Botschaft in Deutschland heranzieht, um zu begründen, dass eine nach § 7 VStGB strafbegründende Duldung oder Förderung systematischer Folter durch die usbekische Re-gierung durch deutsche Strafverfolgungsbehörden nicht aufklärbar sei. Überraschend ist der Um-stand, dass für die Staatsanwaltschaft mittlerweile die Aussage von potentiell Beschuldigten ausrei-chend ist, um das Vorliegen eines gegen sie gerichteten Tatverdachts zu verneinen, ohne dass auch nur ansatzweise die Glaubhaftigkeit der Aussage überprüft wird. Der Bericht der usbekischen Botschaft enthält fast ausschließlich allgemeine Aussagen, die lediglich in einem Fall (der Erweite-rung des Folter-Paragraphen) fallspezifische Informationen enthält.

4.

Der Generalbundesanwalt verkennt auch sämtliche vom Anzeigenerstatter beigebrachten Informa-tionen und Beweise, die den Verdacht erhärten, dass die angezeigten Straftaten in Ausführung und Unterstützung der staatlichen Politik Usbekistans begangen wurden.

a. Zwar ist Usbekistan der UN-Anti-Folter-Konvention mittlerweile beigetreten. Allerdings führte dies nicht zu einer Veränderung der Situation in den staatlichen Gefängnissen und Anstalten. Auch nach dem Beitritt wurden immer wieder Berichte über Folter von Betroffenen und von internationa-len Beobachtern, wie dem Komitee gegen Folter des UN-Menschenrechtskommissars oder dem UN-Sonderberichterstatter für Folter, Theo van Boven, veröffentlicht. Zwar wurden in einigen wenigen Fällen von der usbekischen Regierung Untersuchungen vorgenommen; in den meisten Fällen blie-ben die staatlichen Folterungen aber folgenlos, wie der Human Rights Watch-Bericht vom 18.03.2005 über die Folter-Praxis in Usbekistan dokumentiert. Danach dominiert weiterhin eine Kultur der Straflosigkeit in Bezug auf Folter. Die Regierung und insbesondere der Innenminister Z.A. haben, obwohl sie spätestens seit dem Bericht des UN-Anti-Folter-Komitees von der ausufern-den Praxis von Folter in den staatlichen Gefängnissen Kenntnis hatten, nichts unternommen, um diese Praxis zu beenden und die Verantwortlichen strafzuverfolgen. Diese Fälle können daher nicht als Verfehlungen Einzelner interpretiert werden, sondern legen es nahe, sie als Ausdruck einer staatlichen Politik zu verstehen.

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Das „Politikelement“ in dem Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfordert zwar, wie der Generalbundesanwalt unter Bezug auf Werle10 ausführt, einen Angriff gegen die Zivilbevöl-kerung „in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat“. Die Voraussetzungen für die Annahme eines derartigen „Politi-kelements“ liegen hier aber vor. Denn diese sind nicht so restriktiv zu interpretieren, wie es der Generalbundesanwalt in seiner Entscheidung nahe legt. Dies legt gerade der in Bezug genommene Werle in seinen weiteren Ausführungen dar11. So setzt das Merkmal „Politik“ weder förmliche pro-grammatische Festlegungen voraus, noch bedarf es einer klaren und präzisen Ausformulierung auf höchster Staats- oder Organisationsebene. Der Begriff ist vielmehr, so Werle12, „im weiten Sinne einer geplanten, geleiteten oder organisierten Tatbegehung zu verstehen, die den Gegensatz zu spontanen und isolierten Gewaltalten bildet“. Die Politik des Staates muss dabei nicht in der Über-nahme einer Führungsrolle bei der Verbrechensbegehung oder in der aktiven Förderung der Ge-samttat bestehen, sondern kann schon in deren Duldung begründet sein.13

Hier liegt zumindest eine Duldung einer systematischen Praxis von Folter vor. Zwar ist es richtig, wenn der Generalbundesanwalt unter Bezugnahme auf die Definition des Anti-Folter Komitees der Vereinten Nationen darauf verweist, dass die Bezeichnung einer Folterpraxis als „systematisch“ nicht notwendigerweise eine entsprechende Absicht der Regierung mit umfasst. Allerdings hat der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Theo van Boven, in seinem Bericht, auf den sich auch der Generalbundesanwalt bezieht, nicht nur eine systematische Anwendung von Folter in Usbekistan festgestellt, sondern – in dem darauf folgenden Absatz! – auch deren Kenntnis bzw. vorsätzliche Nichtkenntnis durch höhere Dienstränge und politisch Verantwortliche konstatiert. So führt der Bericht aus: „If the top leadership of these forces and those politically responsible above them do not know of the existence of a system which the Special Rapporteur’s delegation was able to dis-cover in a few days, it can only be because of a lack of a desire to know. […] The very hierarchical nature of the law enforcement bodies also make it difficult to believe that the top leadership of these forces is not aware of the situation.“14

Diese Ausführungen weisen daraufhin hin, dass zumindest eine Duldung der Verbrechensbegehung durch politische und staatliche Verantwortungsträger vorliegt. Der Generalbundesanwalt liegt damit falsch in der Annahme, dass die strafbegründende Duldung oder gar Förderung systematischer Folter durch die usbekische Regierung nicht durch deutsche Strafverfolgungsbehörden aufklärbar sei. Dafür bedürfte es nur der umfassenden Sichtung und Prüfung des von dem Anzeigenerstatter beigebrachten Beweismaterials. Sowohl Vertreter von Human Rights Watch als auch der UN-Anti-Folter-Kommission und der UN-Sonderberichterstatter für Folter können Informationen darüber bereitstellen, inwieweit die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung in Ausführung oder zur Unterstüt-zung der Politik eines Staates erfolgten bzw. erfolgen. Nicht ausreichend kann es hingegen sein, wenn der Generalbundesanwalt lediglich auf offizielle Verlautbarungen staatlicher Institutionen abstellt, um damit eine Nichtnachweisbarkeit des „Politikelements“ zu begründen. Dagegen spricht nicht nur die in diesem Fall erdrückende Beweislage, sondern auch die Ratio des Völkerstrafrechts: Der Tatbestand würde zu einem Papiertiger verkommen, wenn die Propaganda einer Regierung oder des Staates dazu führen könnte, dass der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlich-keit nicht mehr nachweisbar wird. Die Fälle, in denen staatliche Institutionen von sich aus zugeben, Folter als Mittel ihrer Politik einzusetzen, dürften recht selten vorkommen. Staatlichen und Regie-rungsstellen stünde es damit offen, durch simple Propagandaschriften eine Strafverfolgung ihrer Vertreter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern.

Die hier vertretene Sichtweise wird nunmehr auch massiv von Theo van Boven, dem ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für Folter, gestützt, der sich nach Kenntnisnahme des Einstellungsbe-scheides mit einem Brief an die Generalbundesanwältin wandte und sich gegen Fehlinterpretatio-nen seines eigenen Berichtes verwehrt. Der Brief wird in deutscher Übersetzung als Anlage beige-fügt. Van Boven stellt mit aller Deutlichkeit klar, dass Folter ständige Praxis in Usbekistan ist. Selbst wenn die Befehlshaber von dieser Praxis nicht gewusst haben sollten, hätten sie jedenfalls davon wissen müssen. Hinsichtlich der Bezugnahme des Generalbundesanwaltes auf einen Bericht der usbekischen Botschaft über „Reformbemühungen“ weist er daraufhin, dass er wie alle unab-

10 Werle, Völkerstrafgesetzbuch (2003), Rn. 640.

11 Ebd., Rn. 642 f. mit weiteren Nachweisen

12 Ebd.,

13 Ebd., Rn. 647.

14 Bericht des Sonderberichterstatters für Folter, Theo van Boven, zu seinem Besuch in Usbekistan vom

24.11.-06.12.2002, Seite 21.

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hängigen Beobachter diese Massnahmen als Schaufensterschmuck ansieht. Abschliessend bedauert er die Einstellung des Verfahrens und hält sie für ein falsches Signal in Richtung der usbekischen Behörden und für einen Mangel an Aufmerksamkeit für das Anliegen der Opfer von Folter und des Andischan-Massakers.

Auch der Nachfolger Theo van Bovens in der Position des UN-Sonderberichterstatters für Folter, Manfred Nowak, teilt in einem ebenfalls in deutscher Übersetzung beigefügten Brief vom 14. Juni 2006 an die Europadirektorin von Human Rights Watch, L.L., dessen Auffassung, dass Folter in Usbekistan systematisch praktiziert wird. Er teilt mit, dass seit dem Bericht seines Vorgängers aus dem Jahre 2002 weiterhin ernsthafte Foltervorwürfe gegen usbekische Strafverfolgungsbehörden erhoben werden. Im Anschluss an die Ereignisse von Andischan im Mai 2005 hätte auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte berichtet, dass gewichtige Beweise existierten, dass usbeki-sches Militär und Sicherheitskräfte schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen hätten. Ein Beleg hierfür sei auch, dass unabhängige internationale Untersuchungen der Ereignisse nicht zuge-lassen würden.

b. Auch das Massaker in Andischan, das den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllt (§ 7 VStGB, siehe Anzeige), erfolgte in Ausübung und Unterstützung der staatlichen Politik.

In einer Vielzahl von offiziellen Verlautbarungen war davon die Rede, dass Z.A. selbst die Befehls-gewalt zur Niederschlagung des Aufstandes von Andischan hatte. Anlässlich des EU-Gipfeltreffens vom 09.06.2005 meldete Reuters, dass Innenminister Z.A. offiziell Verantwortung darüber hatte, die Rebellion in Andischan niederzuschlagen; eine Maßnahme, die die usbekische Regierung als erfolgreiche Operation gegen Terroristen und Banditen bezeichnet hatte (vgl. Reuters News vom 09.06.2005). Eine Reihe von Journalisten berichteten, dass Z.A. für die Sicherheitskräfte verant-wortlich war, die später in die Protestmenge im Osten der Stadt gefeuert haben (vgl. Jeremy Page und Antony Browne, The Times, 18.11.2005). Präsident I.K. selbst hat gegenüber der Presse geäu-ßert, dass die Regierung in direkten Verhandlungen mit einem Teil der protestierenden Menge stand. In erster Linie hätte die Regierung dem usbekischen Innenminister Z.A. diese schwierige und komplizierte Aufgabe übergeben. Z.A. hätte permanent die Verhandlungen über das Telefon geführt (vgl. BBC, Transkript und Übersetzung einer Sendung des 1. Usbekischen Radios vom 14.05.2005). Weiter hieß es, dass der usbekische Innenminister Z.A. und der Gouverneur der Re-gion, S.B.B., Beschuldigter zu 5., die Verhandlungen geführt und Repräsentanten der Öffentlichkeit ebenfalls daran teilgenommen hätten (vgl. BBC, Transkript und Übersetzung einer Sendung des 1. Usbekischen Fernsehens vom 14.05.2005). Im übrigen äußerte sich Z.A. selbst in Bezug auf eine der bewaffneten Personen innerhalb der protestierenden Menge, K.P., dass dieser der Mann gewe-sen sei, mit dem er, Z.A., am 13.05.2005 gesprochen habe: Nach Beendigung der Demonstration „haben wir weder seinen Körper gefunden noch befand er sich unter den gefangenen Militanten“ (vgl. „The Times of central Asia“ vom 18.05.2005). In dem OSZE-Bericht zu den Ereignissen vom 13.05.2005 heißt es ebenfalls:

„Gegen 13.00 Uhr, so wird berichtet, fand eine telefonische Besprechung zwischen einem der Or-ganisatoren der Protestveranstaltung und dem Minister für Inneres Z.A. statt. Die Organisatoren forderten Freiheit, Demokratie und die Freilassung von politischen Gefangenen, einschließlich A.Y.. Der Minister für Inneres soll geantwortet haben, dass er ihre Forderungen bedenkt und sie zurück-rufen würde. Der Menge wurde über dieses Gespräch berichtet und bejubelte das Ergebnis. Eine Stunde später, während einer anderen telefonischen Unterhaltung zwischen den beiden, soll Z.A. gesagt haben, dass die Protestveranstaltung augenblicklich zu beenden sei. Falls dies nicht der Fall sei, würden Sicherheitskräfte schießen. Er bot den Protestierenden einen Korridor nach Kirgisien an und befahl den Protestierenden Usbekistan zu verlassen. Er soll sie Terroristen genannt haben und ausgeführt haben, dass Terroristen keinen Platz in Usbekistan hätten.“ (vgl. OSZE-Bericht, S. 22).

In dem Human Rights Watch-Bericht heißt es ebenfalls, dass eine der bewaffneten Personen inner-halb der protestierenden Menge Kontakt zu hohen Regierungsoffiziellen aufgenommen habe und insbesondere mit Innenminister Z.A. zu verhandeln begonnen habe. Nach der Aussage eines Zeu-gen, der im Gebäude des Hokimiyat anwesend war, soll der als Geisel genommene Staatsanwalt der Stadt dem bereits erwähnten A.P. Z.A.s Telefonnummer gegeben haben und A.P. dazu ge-drängt haben, Z.A. persönlich anzurufen. Der Staatsanwalt habe ausgeführt, dass er sicher sei, dass die Regierung die Forderungen der Protestierenden anhören würde, zumal wenn die Funktio-näre realisieren würden, wie groß die Menge der Protestierenden sei. Der Zeuge sagte weiter aus, dass A.P. daraufhin Z.A. angerufen und die Verhandlungen begonnen habe. Präsident I.K. gab bei mehreren Gelegenheiten bekannt, dass Minister Z.A. den Kontakt zu den Geiselnehmern in Ho-kimiyat gehalten habe (vgl. BBC, Monitoring Central Asia vom 14.05.2005).

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Schließlich wird berichtet, dass das letzte Telefonat zwischen Z.A. und A.P. gegen 17.00 Uhr am Nachmittag des 13.05.2005 stattgefunden habe. Etwa 15 bis 20 Minuten bevor der Sturm der Re-gierungstruppen auf den Platz und die protestierende Menge begonnen habe. Bei dieser Gelegen-heit habe Z.A. eine Warnung an die Protestierenden gerichtet. Er soll gesagt haben, dass wenn nötig, 300 bis 500 Menschen umgebracht werden würden (vgl. Galima Bukharbaeva, „Blood in the Streets of Andijan“, The Wallstreet Journal Europe vom 17.05.2005).

Aus diesen Berichten und Zitaten wird deutlich, dass das Massaker von Andischan nicht das Ergeb-nis des Handelns einzelner Sicherheitskräfte darstellt oder als Exzess von Polizeieinheiten angese-hen werden kann, sondern Ausdruck einer staatlichen Politik ist, für die u.a. der Beschuldigte Z.A. verantwortlich ist. Schon die nachträgliche Rechtfertigung des Verbrechens als „erfolgreiche Opera-tion gegen Terroristen“ durch die Regierung macht deutlich, dass die Folgen des Einsatzes der Si-cherheitskräfte gegen die protestierende Menge wenn nicht von den Regierungsmitgliedern gewollt, so doch zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Z.A. selbst hat, wie aus den obigen Berich-ten ersichtlich ist, im Rahmen der Verhandlung mit Vertretern der Demonstranten angekündigt, dass geschossen werden würde und dass, wenn es nötig sei, 300-500 Menschen umgebracht wer-den würden, wenn die Veranstaltung nicht sofort beendet werde. Diese vorherige Ankündigung macht deutlich, dass der darauf folgende Einsatz von massiver Waffengewalt nicht als Exzess der unmittelbar vor Ort handelnden Sicherheitskräfte zu interpretieren ist, sondern direkte Folge einer staatlichen Politik ist, die mit allen Mitteln versucht, jeglichen Protest zu unterdrücken.

Gestützt wird dieser Befund durch die Vielzahl der Berichte von internationalen Institutionen und Menschenrechtsorganisationen über die erste Prozessserie gegen Teilnehmer an den Andischan-Protesten. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, wurde trotz mehrerer hundert Toter nicht ein einziges Verfahren gegen einen Angehörigen der Sicherheitskräfte eingeleitet. Stattdessen finden Schauprozesse gegen mutmassliche Teilnehmer an den Andischan-Protesten statt, die mit rechts-staatlichen Maßstäben nicht zu vereinbaren sind. Neben den in der Strafanzeige bereits zitierten Berichten kommt zuletzt das OSZE-ODIHR (Office for Democratic Institutions and Human Rights) in seinem Bericht vom 21. April 200615 zu diesem Ergebnis.

5. Selbst wenn man eine unmittelbare Tatbeteiligung des Beschuldigten Z.A. an den angezeigten Taten entgegen den obigen Ausführungen verneint, ist dieser nach den Kriterien der Vorgesetzten-verantwortlichkeit gem. § 4 VStGB verdächtig; ein Umstand, der von dem Generalbundesanwalt überhaupt nicht thematisiert wurde. Nach § 4 VStGB macht sich ein Vorgesetzter dann strafbar, wenn er vorsätzlich die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen unterlässt, Völkerstraftaten, die von seinen Untergebenen begangen werden, zu verhindern, obwohl er über die tatsächliche Möglichkeit dazu verfügt.

a. Als Innenminister unterstehen ihm sämtliche Haftstätten, in denen Untersuchungshaft und spä-ter Strafhaft vollstreckt wird. Wie schon in der Anzeige ausgeführt, hatte der Beschuldigte Z.A. umfangreich Kenntnis über die fortgesetzten Folterungen in den ihm unterstehenden usbekischen Gefängnissen. Allein Vertreter von Human Rights Watch haben ihn seit 1999 mindestens in sechs Fällen aufgesucht, um ihn über die ständigen Folterungen zu informieren. Auch Vertreter der UN und der OSZE haben in persönlichen Gesprächen den Beschuldigten Z.A. über den Sachverhalt informiert. Die einzelnen Gespräche wurden schon in der Anzeige aufgelistet. Als unmittelbarer Vorgesetzter hatte Z.A. somit Kenntnis von den von seinen Untergebenen begangenen Völkerstraf-taten. Er leitete aber keine Maßnahmen ein, die geeignet gewesen wären, diese Straftaten für die Zukunft zu verhindern, obwohl er als Dienstherr die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Die in dem Bericht der usbekischen Botschaft in Deutschland aufgelisteten Maßnahmen sind viel zu unkonkret, um der Regierung und damit auch dem Beschuldigten Z.A. ein wirklich ernsthaftes und effektives Vorgehen gegen Folter in den staatlichen Haftanstalten unterstellen zu können. Eine Verbesserung des Systems der gerichtsmedizinischen Kontrolle von Gefangenen und die Einrichtung einer Ver-waltung für den Schutz von Menschenrechten, wie in dem Bericht angekündigt, sind zwar grund-sätzlich begrüssenswert, allerdings viel zu vage, um die Annahme zu rechtfertigen, dass die Regie-rung aktiv wirksame Möglichkeiten zur Unterbindung von Folterungen in den staatlichen Gefängnis-sen unternimmt. Sie waren nachweislich auch in der Praxis nicht effektiv.

b. Das Massaker von Andischan, dem Hunderte von Menschen zum Opfer fielen, wurde ebenfalls zu einem großen Teil von den Polizeieinheiten, die der Befehlsgewalt des Innenministers unterstehen, verübt. Diese Polizeieinheiten haben nicht etwa autonom oder im Exzess gehandelt, sondern in

15 Warschau, Mai 2006; vgl. auch die elektronische Version des Berichtes auf http://www.osce.org/odihr/

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Kenntnis und in Absprache mit dem Beschuldigten Z.A.. Wie schon in der Strafanzeige ausgeführt, hatte der Innenminister an diesem Tag die Befehlsgewalt über die eingesetzten Polizeieinheiten. Z.A. hatte Kenntnis von der gesamten Situation, also von der Demonstration und der Anwesenheit der Polizeieinheiten. Kurz nachdem die Geiselnehmer mit dem Beschuldigten per Telefon verhan-delt hatten, fand der Sturm der Regierungstruppen auf die protestierende Menge statt. Diesen An-griff hätte Z.A. – wenn er ihn nicht sogar befohlen hat, wovon realistischerweise auszugehen ist – verhindern können, indem er auf die ihm unterstehenden Einsatzkräfte einwirkt, um ein gewalttäti-ges Vorgehen gegen die protestierende Menge zu unterbinden. Diese Möglichkeit hat der Beschul-digte Z.A. nicht genutzt, obwohl er die Möglichkeit gehabt hätte, woraus sich zweifelsfrei eine Vor-gesetztenverantwortlichkeit auch für die Ereignisse in Andischan ergibt.

6.

Widersprüchlich ist auch die Argumentation des Generalbundesanwalts, eine Einreise des usbeki-schen Innenministers sei aufgrund der breiten, öffentlichen, durch die Strafanzeige ausgelösten Diskussion nicht zu erwarten und das Verfahren daher schon aus diesem Grunde einzustellen sei. Dies würde bedeuten, dass die Aufnahme von Ermittlungen mit dem Argument abgelehnt werden könnte, dass ein Ermittlungsverfahren deshalb nicht zum Erfolg führen würde, da dieses dazu führt, dass die beschuldigte Person nicht in den Geltungsbereich des VStGB einreisen werde. Damit würde das VStGB ad absurdum geführt. Der Generalbundesanwalt muss sich bei dieser Argumenta-tion die Frage gefallen lassen, warum er nicht von sich aus und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit Ermittlungen aufgenommen hat, als sich der usbekische Innenminister im Dezember 2005 in Deutschland aufgehalten hat, obwohl er dazu verpflichtet gewesen ist.

Die Ausführungen des Generalbundesanwalts lassen auch den Eindruck aufkommen, als wenn ge-nerell bei nichtinländischem Aufenthalt des Beschuldigten kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Zumindest wenn es sich um den Vorwurf des Terrorismus oder um BtM-Delikte handelt, las-sen sich deutsche Strafverfolger in der Praxis nicht davon abschrecken, Ermittlungsmaßnahmen auch gegen einen Beschuldigten zu ergreifen, der sich nicht im Inland aufhält. Darüber hinaus exis-tiert auch die Möglichkeit, einen internationalen Haftbefehl gegen einen Beschuldigten zu erlassen. Das Beispiel von Herrn Z.A., der von Deutschland nach Dubai gereist sein soll, zeigt auch, dass Beschuldigte von VStGB-Vorwürfen in Länder reisen, mit denen auf vertraglicher oder vertragsloser Grundlage eine Auslieferungsverpflichtung gegenüber Deutschland existiert. Dem Generalbundes-anwalt stehen daher ausreichend Möglichkeiten der Strafverfolgung auch von sich nicht im Inland aufhaltenden Beschuldigten offen. Der Generalbundesanwalt übersieht im übrigen, dass sich die Anzeige nicht nur auf den usbekischen Innenminister, sondern auch auf andere Personen der Staatsapparates erstreckt.

7. Schließlich geht die Begründung des Generalbundesanwalts zur Gerichtsstandsbestimmung nach § 13a StPO fehl. Da die Bundesanwaltschaft für die Ermittlung der Folterstraftaten, die vor dem 30.06.2002 begangen wurden und daher nicht nach dem VStGB verfolgt werden können, sondern nur nach den §§ 223 ff, 211 ff. i. V. m. § 6 Nr. 9 StGB und UN-Folter-Konvention, bedarf es, da es an einem nach §§ 7-9 StPO begründeten Gerichtsstand fehlt, einer Gerichtsstandsbestimmung durch den Bundesgerichtshof. Wenn der Generalbundesanwalt darauf abstellt, dass die dann zu-ständige Landesstaatsanwaltschaft das Verfahren nach § 153c StPO einstellen werde, überschreitet er seine Befugnisse. Diese Entscheidung muss der zuständigen Landesstaatsanwaltschaft überlas-sen bleiben.

Die Sache ist daher insoweit dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen."

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2.3.

Mit Schreiben vom 16.10.2006 teilte der Generalbundesanwalt mit, dass er der Gegenvorstellung des Unterzeichners nicht Folge leisten werde.

Diese Entscheidung wurde wie folgend begründet: (vgl. Vermerk in Kopie als Anlage 6)

"1. Das Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens beruht nicht auf einer Verkennung des Normzweckes des § 153f Abs. 1 Satz 1 StPO.

Diese Vorschrift knüpft nach Wortlaut und Gesetzeszweck nicht an das Erfordernis einer vorrangi-gen anderweitigen Strafverfolgung an. Dementsprechend kann bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f Abs. 1 Satz 1 StPO auch keine Pflicht deutscher Strafverfolgungsbehörden zur Verfol-gung von Straftaten nach dem VStGB für den Fall hergeleitet werden, dass der Sachverhalt nicht durch eine vorrangig zuständige Gerichtsbarkeit verfolgt wird. Aus der Entscheidung über die ge-gen den US-Verteidigungsminister D.R. und andere gestellten Strafanzeige ergibt sich nichts ande-res. Dort wurde hinsichtlich der angezeigten Personen, die sich nach dem damaligen Sachvortrag nicht im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, an die Voraussetzungen des § 153f Abs. 1 Satz 1 StPO angeknüpft und von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgese-hen. Der hier erst nach seiner Ausreise durch die Strafanzeigen vom 5. und 12. Dezember 2005 bekannt gewordene zeitweilige Aufenthalt des Angezeigten Z.A. in der Bundesrepublik Deutschland steht einer Entscheidung gemäß § 153f StPO im vorliegenden Fall nicht entgegen. Die Anwendbar-keit des § 153f StPO wird nur durch eine im Beurteilungszeitpunkt fortdauernde oder künftig zu erwartende, nicht aber durch eine bereits beendete Anwesenheit eines Beschuldigten ausgeschlos-sen.

2. Ein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigender Ermittlungserfolg ist beim ange-zeigten Sachverhalt nicht zu erzielen.

Sinn und Zweck der Regelung des VStGB und des § 153f StPO ist es nicht, Strafverfolgungsbehör-den in jedem Fall zu einer Strafverfolgung anzuhalten, auch wenn diese, wie im konkreten Fall, nur ansatzweise möglich ist (vgl. BT-Drucksache 14/8542, S. 37). Die bloße Erhärtung eines An-fangsverdachts, der absehbar nicht einer umfasssenden Sachverhaltsaufklärung zugeführt werden kann, rechtfertigt nicht die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. So liegt es hier. Für eine umfas-sende Aufklärung der angezeigten Sachverhaltskomplexe, insbesondere das Funktionieren der in-kriminierten staatlichen Sicherheitsapparate, sind Ermittlungen vor Ort in Usbekistan erforderlich. Diese Notwendigkeit resultiert auch aus der Stellungnahme der usbekischen Botschaft in Deutsch-land zur Frage der Umsetzung von Vorschlägen der UN-Menschenrechtskommission, die deswegen im Bescheid vom 30. März 2006 zitiert wurde. Die darin aufgeführten Darstellungen der Situation in Usbekistan enthalten zugleich ein qulifiziertes Bestreiten von Misständen und umreißen den The-menbereich, über den Beweis zu erheben wäre, um den Nachweis für die systematische, politisch gewollte Verletzung von Menschenrechten zu erbringen. Da deutsche Ermittlungsbehörden ohne Einwilligung des betroffenen Staates kein Mandat für ein Vorgehen auf fremdem Hoheitsgebiet be-sitzen und es an der Bereitschaft usbekischer Behörden zur Zusammenarbeit für ein von deutschen Behörden geführtes Strafverfahren fehlt, ist ein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfer-tigender Ermittlungserfolg nicht erkennbar.

3. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Verpflichtung des Generalbundesanwalts, den Sachverhalt hinsichtlich nicht in seiner Zuständigkeit fallender Tatkomplexe dem Bundesgerichtshof zur Ge-richtsstandsbestimmung vorzulegen, besteht nicht.

Auch eine sachlich zuständige, aber örtlich nicht zuständige Staatsanwaltschaft eines Bundeslandes kann - selbst bei Vorliegen des Voraussetzungen des § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO - einen Antrag ge-mäß § 13a StPO auf Gerichtsstandsbestimmung stellen. Sie wird dies tun, wenn sie eine hinrei-chende Erfolgsaussicht für die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens sieht, ansonsten von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO absehen (vgl. Mey-er-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 13a Rn. 4)."

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Mit Schriftsatz vom 18.10.2006 an den Generalbundesanwalt übersandte der Unterzeichnende eine im Journal of International Criminal Justice, Ausgabe 4/2006 von Salvatore Zappalá, Professor für Internationales und EU-Recht an der Universität Catania, verfasste Kritik der Entscheidung des Generalbundesanwalts vom 23.03.2006, gegen Z.A. keine Ermittlungen einzuleiten. (vgl. Artikel in Kopie als Anlage 7)

3. Formelle Voraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens

3.1. Antragsbefugnis

Die Geschädigten M.K., z.Zt. Symkent, Kasachstan, E.U., T.C., sowie F.M., Mutter des zu Tode gekommenen M.A., alle Taschkent, Usbekistan, und der im Anschluss an das Andischan-Massaker geflohenen K.R., O.B., K.K., alle z.Zt. Amerfoort, Niederlande sind befugt, das Klageerzwingungs-verfahren zu betreiben, weil sie sich der Strafanzeige vom 12.12.2005 angeschlossen haben und weil sie Verletzte im Sinne des § 172 Abs. 1 StPO sind. Sie wären als Verletzte von Tötungs- bzw. Körperverletzungsdelikten nebenklageberechtigt gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 1 c), Abs. 2 Nr. 1 StPO. Die Anzeigenerstatter M.K., E.U., T.C. und F.M. bzw. ihre Angehörigen sind wiederholt Opfer von Misshandlungen und Folter in der Haft geworden und sind teilweise in der Haft an den Folgen der Misshandlungen und folterbedingten Verletzungen gestorben. Die Anzeigeerstatter K.R., O.B. und K.K. sind von usbekischen Sicherheitskräften am 13. Mai 2005 auf dem Bobur-Platz in Andischan beschossen worden und sind daher Opfer von versuchten Körperverletzungs- und Tötungsdelikten.

Die Schilderungen der Anzeigenerstatter in der Strafanzeige erlauben nur eine vorläufige rechtliche Würdigung. Eine umfassende Würdigung muss zu einem späteren Zeitpunkt nach erfolgten Zeu-genvernehmungen der Geschädigten und weiteren Ermittlungen vorbehalten bleiben. Mit dem An-schluss an die Strafanzeige und der Erhebung der nachfolgenden Gegenvorstellung haben die Ge-schädigten jedenfalls ihr unbedingtes Strafverfolgungsinteresse zum Ausdruck gebracht.

3.2. Einhaltung der Fristen

Das Rechtsmittel der Beschwerde gemäß § 172 Abs. 1 StPO ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der Einstellungsbescheid von der Bundesanwaltschaft stammt. Der Bescheid der Bundesanwalt-schaft vom 23.03.2006, im Büro des Unterzeichners am 30.03.2006 eingegangen, enthielt jedoch keine Rechtsmittelbelehrung. Die Ein-Monats-Frist gemäß § 172 Abs. 2 S. 1 StPO läuft daher ge-mäß § 172 Abs. 2 S. 3 StPO nicht.

3.3. Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz Einstellung nach § 153f StPO

Die in der Gegenvorstellung näher erläuterte Ausgestaltung des § 153f StPO bestimmt auch die Möglichkeiten eines Klageerzwingungsverfahren. Grundsätzlich ist zwar nach § 172 Abs. 2 Satz 3 StPO eine Klageerzwingung ausgeschlossen, wenn die Staatsanwaltschaft aus Opportunitätsgrün-den, wozu auch § 153f StPO gezählt wird, von der Verfolgung abgesehen hat. Jedoch ist ein Klage-erzwingungsverfahren gegen Opportunitätsentscheidungen in den Fällen zulässig, in denen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der das Opportunitätsprinzip und damit das staatsanwalt-schaftliche Ermessen eröffnenden Norm nicht gegeben sind oder jedenfalls deren Nichtvorliegen gerügt wird. Einer gerichtlichen Überprüfung durch ein Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 2 Satz 3 StPO sind die sich auf § 153f StPO berufenden Entscheidungen der Staatsanwaltschaft zugänglich, die sich auf die in Abs. 1 und Abs. 2 niedergelegten gesetzlichen Voraussetzungen be-ziehen. Denn diese sind Ausdruck des § 153f StPO zugrunde gelegten und von § 172 StPO ge-schützten Legalitätsprinzips. Daher unterliegt es gerichtlicher Kontrolle, ob die Tatbestandsvoraus-setzungen des § 153f StPO erfüllt sind (im einzelnen streitig bei OLG Stuttgart, NStZ 2006, S. 117). Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 153f StPO vor, so ist zumindest weiterhin ge-richtlich überprüfbar, ob das Ermessen überhaupt ausgeübt und ob die Grenze zur Willkür über-schritten worden ist (OLG Stuttgart, NStZ 2006, S. 117).

Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob ein Inlandsaufenthalt der Beschuldigten besteht bzw. zu erwarten ist (§ 153f Abs. 1 S. 1 StPO). Weiterhin ist zu erläutern, warum der Generalbun-desanwalt seine Einstellungsentscheidung angesichts der nicht zu erwartenden Strafverfolgung im Hinblick auf § 153f Abs. 2 Nr. 4 StPO so nicht hätte treffen dürfen. Auch ist die Annahme falsch, dass Ermittlungen durch deutsche Strafverfolgungsbehörden keine Aussicht auf Erfolg hätten und

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damit das Ermessen des Generalbundesanwalts gegen die Aufnahme von Ermittlungen ausfallen musste.

Der Unterzeichner rügt, dass der Generalbundesanwalts fälschlich vom Vorliegen der Tatbestands-voraussetzung des § 153f Abs. 1 StPO ausgegangen ist und die sich hieran anschließende Ermes-sensentscheidung willkürlich getroffen hat. Damit ist das Klageerzwingungsverfahren statthaft.

Außenpolitische oder anderweitig begründete Bedenken im Wege einer Güterabwägung (§ 34 StGB) einer eventuellen Strafverfolgung entgegenzustellen (KK-Schoreit § 153f. Rn. 3), wäre unzu-lässig. Denn die gesetzlichen Einstellungsvoraussetzungen – und damit die Geltung des Legalitäts-prinzips – sind gesetzlich geregelt und in diesem Rahmen gibt es für eine derartige Interpretation keinen Raum. Das Legalitätsprinzip kann nur durch Gesetz eingeschränkt werden, ansonsten wäre es ein Opportunitätsprinzip.

3.4 Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz nicht erfolgter Aufnahme von

Ermittlungen

„Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass das Gesetz in § 172 StPO die Statthaf-tigkeit des Klageerzwingungsverfahrens an sich nur für den Fall vorsieht, dass die Staatsanwalt-schaft überhaupt Ermittlungen aufgenommen und das Verfahren sodann mangels genügendem Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Der nicht aus-drücklich geregelte Fall, dass die Ermittlungsbehörde überhaupt von der Einleitung eines Ermitt-lungsverfahrens absieht, weil nach ihrer Ansicht hierfür keine zureichenden tatsächlichen Anhalts-punkte vorliegen, kann nicht anders behandelt werden. Denn für die rechtliche Bewertung macht es keinen Unterschied, ob die Staatsanwaltschaft formell Ermittlungen durchführt oder diese ab-lehnt, weil in beiden Fällen die Beachtung des Legalitätsprinzips in Frage steht“ (so ausdrücklich OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Januar 2005 – 1 Ws 152/03 – unter Bezugnahme auf OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Dezember 2002 – 1 Ws 85/02).

Dementsprechend hat sich das Oberlandesgericht Karlsruhe in dem Beschluss vom 16. Dezember 2003 ausdrücklich einer Rechtsprechung mehrerer weiterer Oberlandesgerichte angeschlossen, welche eine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft durch das Oberlandesgericht zur Aufnahme der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens dann für zulässig erklärt haben, wenn die Ermittlungsbehör-de zu Unrecht aus Rechtsgründen einen Anfangsverdacht verneint und deshalb jede tatsächliche Aufklärung des Sachverhaltes unterlassen hat. Diesen Fall habe der Gesetzgeber mit Beseitigung der gerichtlichen Voruntersuchung durch das erste Strafverfahrensänderungsgesetz zum 01. Janu-ar 1975 (vgl. BGBl. Teil 1, S. 3393 ff, 3399) nicht bedacht. Deshalb komme eine lückenfüllende Rechtsfortbildung in Betracht (vgl. hierzu Rieß, NStZ 1986, S. 433; KG NStZ 1990, S. 355 ff). Die-se Auffassung entspräche der in der Strafprozessordnung vorgesehenen Rollenverteilung, „nach welcher die Ermittlungskompetenz der Staatsanwaltschaft zugewiesen ist und es nicht Aufgabe der Oberlandesgerichte im Klageerzwingungsverfahren sein kann, ggf. unter Bestimmung von Tatver-dächtigen umfangreiche Sachverhalte selbst aufzuklären“. Zwar sähe die Vorschrift des § 173 Abs. 3 StPO die Möglichkeit der Anordnung von Ermittlungen durch den Senat des Oberlandesgerichts zur Vorbereitung seiner Entscheidung vor. Damit seien aber nur solche Fälle erfasst, „in welchen bereits ein weitgehend aufgeklärter Sachverhalt“ vorläge, „der lediglich in einzelnen Punkten nähe-rer Vertiefung“ bedürfe. Die Ermittlungsbehörde habe in rechtlicher Hinsicht die Reichweite des Legalitätsprinzips gem. § 152 Abs. 2 StPO verkürzt, wenn sie ohne nähere Sachaufklärung eine Strafbarkeit zu Unrecht aus rechtlichen Gründen verneine. § 152 Abs. 2 StPO sei „Ausfluss des Legalitätsprinzips“. Danach sei die Staatsanwaltschaft „dann zur Aufnahme von Ermittlungen ver-pflichtet, wenn nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat besteht. Wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat bestehen, so obläge es der Staats-anwaltschaft und der Polizei diese nach Ihren Möglichkeiten aufzuklären“ (§ 160 StPO). Das Legali-tätsprinzip geböte es, „den Ermittlungsansätzen im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten und Ressourcen zunächst einmal nachzugehen“ (so ausdrücklich OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Januar 2005; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Dezember 2002 unter Bezugnahme auf OLG Zweibrücken, NStZ 1981, 193; OLG Bremen, OLGSt StPO § 175 Nr. 1, OLG Koblenz, NStZ 1995, 50 ff; OLG Braunschweig, Wistra 1993, 31 ff; KG NStZ 1990, 355 ff, mit Anm. Wohlers, 300 f = JZ 1991, 46, mit Anm. Eisenberg, 47ff, OLG Celle, Beschluss vom 26.04.2002, 2 Ws 94/02; jüngst auch OLG Köln, NStZ-RR 2003, 212; OLG Hamm StV 2002, 128, 129 ff; zustimmend Lilie Anmer-kung zu OLG Hamm StV 2002, 130; Meyer-Goßner, 47. Auflage, § 175 Rn 2; a. A. KK-Schmid, § 175, 5. Auflage, Rn 2 unter Verweis „den klaren, einer richterlichen Rechtsfortbildung nicht zu-gänglichen Wortlaut der §§ 171, 172, 173 Abs. 3 und 175“; Kuhlmann, NStZ 1981, 193f).

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Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007

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Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass das Klageerzwingungsverfahren zunächst aus den oben (3.3) ausgeführten Gründen zulässig ist, obwohl die Bundesanwaltschaft sich bei der Nichtaufnahme von Ermittlungen auf § 153f StPO stützt. Die Tatsache, dass dementsprechend keine Ermittlungen stattgefunden haben und auch kein Einstellungsbescheid nach § 170 Abs. 2 StPO vorliegt, hindert entsprechend der geschilderten Argumentation des Oberlandesgerichts Karls-ruhe und weiterer Oberlandesgerichte nicht an der Durchführung eines Klageerzwingungsverfah-rens.

4. Zusammenfassende Würdigung und Begründung des hinreichenden Tatverdachts ge-

gen Z.A.

4.1. Verpflichtung zur Strafverfolgung

a) In einem Gutachten von November 2006 zur Geltung des Weltrechtsprinzips im VStGB, das für ein anderes Ermittlungsverfahren nach VStGB eingeholt wurde, haben Prof. Dr. Michael Bothe und Dr. Andreas Fischer-Lescano folgendes ausgeführt: (vgl. in Kopie als Anlage 8)

„Die Völkerrechtsentwicklung der letzten Jahrzehnte ist dadurch gekennzeichnet, dass grundlegen-de und wertbezogene Ordnungsvorstellungen sich in den internationalen Beziehungen verdichten. Kernpunkt dieser Ordnungsvorstellungen ist der Schutz der Menschenrechte. Eine Verletzung dieser Grundsätze betrifft nicht nur den Staat, dessen Territorium, dessen Staatsorgane oder dessen Staatsangehörige, die durch diese Verletzung konkret betroffen sind, sondern sie betrifft rechtlich gesehen jedes Mitglied der Internationalen Rechtsgemeinschaft. Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang auch von Verpflichtungen erga omnes. Konsequenz dieser Betroffenheit aller Staa-ten ist ihre Befugnis, Schritte zu ergreifen, die Beachtung dieser grundlegenden Ordnungsprinzipien gegenüber einem Staat, der sie verletzt, durchzusetzen. Zu solchen Schritten gehört auch die Aus-übung staatlicher Strafgewalt nach dem Weltrechtsprinzip (universal jurisdiction). Eine Grenze die-ser Befugnis zur Rechtsdurchsetzung ist das völkerrechtliche Gewaltverbot, obwohl das nicht mehr unbestritten ist.

Diese Entwicklung ist im Grundsatz unbestritten. Zu den Delikten, die auf diese Weise nach dem Grundsatz der universal jurisdiction von Staaten verfolgt und bestraft werden dürfen, gehören heu-te Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In den Worten der Richterin am Jugoslawien-Strafgerichtshof van den Wyngaert:

„Internationally law clearly permits universal jurisdiction for war-crimes and crimes against hu-manity. For both crimes, permission under international law exists. For crimes against humanity, there is no clear treaty provision on the subject but it is accepted that, at least in the case of geno-cide, states are entitled to assert extraterritorial jurisdiction”.

Eben davon geht auch das am 30.06.2002 in Kraft getretene deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) aus. Das VStGB ist gegenüber dem Strafgesetzbuch und dem IStGH-Statutgesetz ein ei-genständiges Regelwerk. Es enthält einen Teil mit allgemeinen Bestimmungen und einen besonde-ren, in dem die Tatbestände des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen normiert werden. Diese Strafgewalt wird nach dem Weltrechtsprinzip ausgeübt, § 1 VStGB, d.h. auf den Tatort und die Staatsangehörigkeit von Täter und Opfer kommt es insoweit nicht an.“ (aaO. S.3 ff.)

Der Wortlaut des § 1 VStGB läßt hinsichtlich der nach dem 30.06.2002 verübten Taten keinerlei Zweifel: Das Völkerstrafgesetzbuch gilt für die hier in Rede stehenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit „auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum In-land aufweist“. Damit ist die deutsche Strafgewalt für diese Taten unproblematisch begründet (vgl. Gesetzesbegründung, BT Drucksache 14 8527, a.a.O.; Löwe- Rosenberg- Beulke, Strafprozessord-nung, Nachlieferung, Rn. 1 zu § 153 c, Rn. 2 zu § 153f).

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Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007

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b) Der Generalbundesanwalt hat insbesondere verkannt, dass die tatbestandlichen Voraussetzun-gen der das Opportunitätsprinzip und damit das staatsanwaltschaftliche Ermessen eröffnenden Norm (§ 153f Abs. 1 i.V.m. § 153f Abs. 2 StPO) nicht gegeben waren. Denn er geht fälschlicher Weise davon aus, dass ein Aufenthalt der Tatverdächtigen in Deutschland nicht mehr zu erwarten sei. Dabei missachtete er aber das vom Gesetzgeber intendierte weite Verständnis des Inlandsauf-enthalts, wonach jeder (freiwillige oder unfreiwillige) Kontakt mit dem deutschen Hoheitsgebiet (sei es ein vorübergehender Aufenthalt oder eine Durchreise), der eine Ergreifung ermöglicht, ausreicht (vgl. Gesetzesbegr. in Lüder/Vormbaum (Hrsg.), Materialien zum VStGB, 2003, S. 61); auch: LR-Beulke § 153f Rn 15; SK-Weßlau § 153f Rn 9). Eine Einstellungsmöglichkeit ergibt sich daher nur für den Fall, dass der Beschuldigte zu keinem Zeitpunkt in Deutschland aufhältig war (vgl. Zappalà, Journal of International Criminal Justice 4/2006, S. 606, in Kopie als Anlage 8). Der Beschuldigte Z.A. hat sich jedoch nachweislich im November 2005 für einen gewissen Zeitraum in Deutschland zur Krankenbehandlung aufgehalten, womit das Erfordernis der Präsenz im Geltungsbereich des VStGB erfüllt ist. Da es sich dem Vernehmen nach um eine schwerwiegende Erkrankung handelte, ist anzunehmen, dass die Behandlung durch deutsche Spezialisten zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt wird und ein zukünftiger Aufenthalt Z.A.s in Deutschland daher nicht auszuschließen ist. Ausserdem laufen die Reisebeschränkungen aus der Gemeinsamen Position der Europäischen Union Mitte März 2007 aus, da sich die Staaten der EU nach Ablauf der ursprünglichen einjährigen Frist nur auf eine kurze Verlängerung von drei Monaten einigen konnten. Danach bestehen daher aller Voraussicht nach keine Einreisehindernisse für Z.A..

Im übrigen kann der Umstand, dass eine Einleitung der Strafverfolgung zum Zeitpunkt des Aufent-haltes Z.A.s nicht erfolgte, nicht dazuführen, dass der Beschuldigte sich durch Ausreise einer Straf-verfolgung entziehen kann. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden bereits vor der Anzeigeerstat-tung tätig werden können und müssen. Von der Kenntnis der deutschen Behörden, wenn auch nicht notwendigerweise der Bundesanwaltschaft, über den Aufenthalt Z.A.s ist auszugehen, da vor seiner Einreise ein aufwendiges Visa-Genehmigungsverfahren durchlaufen werden musste. Es liegt daher ein organisatorisches Versäumnis auf Seiten bundesdeutscher Behörden vor, da Teile der Bundesregierung und untergeordneter Behörden über die Ein- und Ausreise Z.A.s offenkundig in-formiert, diese auch teilweise abgewickelt haben, die Strafverfolgungsbehörden jedoch entgegen des Legalitätsprinzips keine Ermittlungen gegen den in Deutschland aufhältlichen und damit gemäß § 153f StPO strafzuverfolgenden Z.A. eingeleitet haben. Dieses Versäumnis der deutschen Straf-verfolgungsbehörden kann sich schlechterdings nicht zu Gunsten des Beschuldigten auswirken.

Selbst wenn man mit dem Generalbundesanwalt vom Vorliegen der tatbestandlichen Vorausset-zungen des § 153f Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 StPO ausgeht, war dieser nicht verpflichtet, die Aufnahme von Ermittlungen abzulehnen. Vielmehr entspricht es dem gesetzgeberischen Willen nur in einem eng begrenzten Rahmen, Ausnahmen vom Legitimitätsprinzip zu machen (vgl. auch Zappalà, aaO., S. 607). Es hätte also keiner besonderen Rechtfertigung bedurft, trotz des Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f StPO ein Ermittlungsverfahren einzuleiten (vgl. Ambos, NStZ 2006, S. 435). Wenn der Generalbundesanwalt aber ausführt, dass „Umstände, die eine Aufnahme von Ermittlungen trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f StPO rechtfertigen könnten“, nicht vorlägen und daher für ein Tätigwerden der deutschen Strafverfolgungsbehörden kein Raum sei, wird das Legalitätsprinzip auf den Kopf gestellt. Nicht die Aufnahme von Ermittlungen ist be-gründungsbedürftig, sondern die Nichteinleitung bzw. Einstellung eines Ermittlungsverfahrens.

Mit seiner Argumentation erweckt der Generalbundesanwalt den Eindruck, als sei es gängige staatsanwaltschaftliche Praxis, bei nicht inländischem Aufenthalt von Beschuldigten kein Ermitt-lungsverfahren einzuleiten. Hierzu ist auszuführen, dass sich deutsche Strafverfolger in der Regel nicht davon abschrecken lassen, Ermittlungsverfahren auch gegen solche Beschuldigte zu ergrei-fen, die sich nicht im Inland aufhalten, zumal wenn es sich beispielsweise um Vorwürfe des Terro-rismus oder des BtM-Handels handelt. Denn in jenen Verfahren erwägen deutsche Strafverfolger regelmäßig die Möglichkeit, internationale Haftbefehle bzw. europäische Haftbefehle gegen die dor-tigen Beschuldigten zu erwirken. Selbst wenn man dem GBA folgen will und zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung den dringenden Tatverdacht für nicht gegeben ansieht, hätte die Möglichkeit eines späteren, andernorts zu vollstreckenden haftbefehls im hiesigen Verfahren erwogen werden müssen.

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c) Die vom Generalbundesanwalt zu treffende Ermessensentscheidung über eine Verfahrenseinstel-lung nach § 153f Abs. 1, 2 StPO darf nicht aufgrund falsch gedeuteter tatsächlicher Umstände oder auf andere Weise fehlerhaft getroffen worden sein.

Soweit das OLG Stuttgart in seinem Beschluss vom 13.9.2005 – 5 Ws 109/05 feststellt, dass die eigentliche Ermessensentscheidung i.R.d. §153f StPO nicht justiziabel sei und gerichtlich nur über-prüfbar sei, ob überhaupt Ermessen ausgeübt wurde und ob die Grenze zur Willkür überschritten sei, kann dies nicht überzeugen. Durch diese Selbstbeschneidung gerichtlicher Prüfungskompetenz wird ermöglicht, dass der im VStGB niedergelegte gesetzgeberische Wille der Einführung des Welt-rechtsprinzip faktisch durch politische Erwägungen der Staatsanwaltschaft umgangen werden kann.

Der renommierte Völkerstrafrechtler Kai Ambos, der in der Expertenarbeitsgruppe des Bundesmi-nisteriums der Justiz an der Ausarbeitung des Entwurfes zum Völkerstrafgesetzbuch beteiligt war, kritisiert daher den Beschluss des OLG Stuttgart, weil „die zentrale Frage einer Verfolgung durch den zuständigen Staat als eigentliche Ermessensentscheidung nicht gerichtlich überprüfbar sein soll“ und dies zu der Besorgnis Anlass gebe, „dass das WRP faktisch (im prozessualen Wege) durch eine exekutivische Steuerung der völkerrechtlichen Strafverfolgungstätigkeit desavouiert wird" (Ambos, NStZ 2006, S. 437). Der bloße Verweis auf das Opportunitätsprinzip und den Ausschluss des Klageerzwingungsverfahrens nach § 172 Abs. 2 Satz 3 könne nicht überzeugen, da der Gesetz-geber sich „aus Zeitgründen“ diesbezüglich „keine weiteren Gedanken über Rechtsbehelfsmöglich-keiten und insbesondere“ darüber hat machen können, „das § 153f rein numerisch in die in § 172 Abs. 2 Satz 3 letzter Halbsatz StPO genannte Aufzählung fällt. Immerhin seien schon nach gelten-der Rechtslage ein Klageerzwingungsverfahren gegen eine Einstellung aufgrund des §§ 153 ff. StPO mit der Behauptung zulässig, „dass die gesetzlichen Ermessensvoraussetzungen nicht vorge-legen haben, der Ermessenspielraum also überhaupt nicht eröffnet gewesen sei und deshalb die Anklagepflicht fortbestanden habe“. Diese Erwägungen müssten „erst recht für § 153f“ gelten, „denn diese Vorschrift sieht eine doppelte Ausnahme vom WRP und Legalitätsprinzip für Verbre-chen vor, die über die Anklagepflicht des nationalen Strafprozessrechts hinaus einer völkerrechtli-chen Verfolgungs- und Bestrafungspflicht unterliegen“. Dies spreche für eine „strikte Rechtskontrol-le“. Im Ergebnis bedeute „all dies das bei § 153f völkerrechtlich verstärkte Legalitätsprinzip durch eine gerichtliche Mitwirkungspflicht gesichert werden“ müsse. Dies könne entweder durch eine ana-loge Anwendung der Vorschriften des Klageerzwingungsverfahrens gem. § 172 oder durch die Ein-fügung eines obergerichtlichen Zustimmungserfordernisses in § 153f geschehen. Zuletzt weist Am-bos darauf hin – und dies ist für die vorliegende Anzeige von besonderer Bedeutung –, dass eine Einstellung nach § 153f StPO keine strafklageverbrauchende Wirkung zukomme, so „dass eine einmal zurückgewiesene Anzeige – bei vorliegender Tatsache – durchaus erneut eingereicht“ wer-den könne.

Der allgemeine Verweis auf die gerichtliche Unüberprüfbarkeit staatsanwaltschaftlicher Einstel-lungsentscheidungen, die auf dem Opportunitätsprinzip (§ 153 ff. StPO) beruhen (arg. ex § 172 II S. 3 StPO) ist auch deshalb nicht ausreichend, weil berücksichtigt werden muss, dass nach der gesetzlichen Systematik grundsätzlich eine gerichtliche Beteiligung bei Opportunitätsentscheidun-gen vorgesehen ist (§§ 153 Abs.1 Satz 1, 153a Abs. 1 Satz1, 153b, 153e StPO) und nur bei Taten von geringer Schwere, seien es geringfügige Vergehen (§ 153 Abs. 1 Satz 1, § 153a Abs. 1 Satz 7) oder jegliche Auslandstaten (§ 153c) oder der Strafverfolgung stehen überwiegende politische In-teressen entgegen (§ 153c Abs. 3, § 153d). Keiner dieser Gründe trifft auf § 153f StPO zu: die angezeigten Straftaten sind von erheblicher Schwere, im Völkerstrafrecht gilt ausdrücklich das Weltrechtsprinzip und überwiegende politische Interessen sind nicht geltend gemacht worden. Dar-über hinaus bestehen auch angesichts der EU-weiten Verurteilung und Sanktionsmaßnahmen infol-ge des Massakers von Andischan keine überwiegenden politischen Interessen an einer Nichtverfol-gung der Taten.

Aus den eben genannten Gründen ist die Einstellungsentscheidung des Generalbundesanwalts im vollen Umfang gerichtlich überprüfbar.

Im vorliegenden Fall hat der Generalbundesanwalt bereits deshalb sein Ermessen fehlerhaft ausge-übt, weil er fälschlicher Weise davon ausgeht, dass durch Ermittlungen deutscher Strafverfolgungs-behörden kein nennenswerter Aufklärungserfolg erzielt werden könnte und diese Umstände ihn zur Einstellung der Ermittlungen bewegt haben. Im Wesentlichen stellt er darauf ab, dass zur Aufklä-rung der angezeigten Taten Ermittlungen vor Ort erforderlich seien, wofür die deutschen Ermitt-lungsbehörden auf die Rechtshilfe der usbekischen Regierung angewiesen, deren Gewährung aber unrealistisch sei. Dabei ließ der GBA zum einen unberücksichtigt, dass die benannten und ohne weiteres im Inland und europäischen Ausland zu vernehmenden Augenzeugen des Andischan-

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massakers durchaus Beobachtungen hätten neben dem unmittelbaren Tatgeschehen bekunden können, die für die Beurteilung der Rolle der Beschuldigten von Bedeutung hätte sein können z.B. Präsenz von Beschuldigten an oder in der Nähe des Tatortes, Stärke und genaue Ausstattung, möglicherweise sogar genaue Zuordnung der Polizei- und Militäreinheiten.

Zwar mag es richtig sein, dass ein Absehen von der Verfolgung in den Fällen nahe liegen kann, in denen Ermittlungen deutscher Behörden keinen nennenswerten Aufklärungserfolg versprechen. Ein mangelnder Aufklärungserfolg ist im Prinzip nur dann zu erwarten, wenn es überhaupt keine An-haltspunkte dafür gibt, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden Beweise erheben oder Be-weismittel sichern können. Dieses Kriterium kann daher nur in eng begrenzten Ausnahmefällen ausschlaggebend sein. Hier hätten es schon Gründe der Beweissicherung geboten, die Augenzeu-gen des Massakers zu vernehmen. Denn ihre Erinnerungen werden nicht ewig halten. Jeder Straf-jurist ist sich darüber im klaren, wie schnell gerade bei komplexen Geschehen mit hunderten von handelnden Personen wie die Geschehnisse vom 30.05.2005 Erinnerungen verblassen, wie wichtig zeitnahe Vernehmungen sind. Alleine schon deswegen hätte aus Beweissicherungsgründen Deutschland stellvertretend für die anderen EU-Mitgliedsstaaten tätig werden müssen, da sich Z.A. nun einmal auf deutschem Territorium aufgehalten hat. Würde man tatsächlich das Kriterium des zu erwartenden Aufklärungserfolges als Maßstab für die Beantwortung der Frage heranziehen, ob Ermittlungen eingeleitet werden oder nicht, dann würde man den Sinn und Zweck eines jeden Er-mittlungsverfahrens umkehren. Denn ein Aufklärungserfolg lässt sich regelmäßig nicht am Anfang, sondern erst nach Abschluss der Ermittlungen feststellen.

Die Bundesanwaltschaft hat auch nicht berücksichtigt, dass Deutschland auf vielfältige Weise im internationalen Rechtshilfe- und Auslieferungsverkehr vernetzt ist. In erster Linie ist hier das euro-päische Haftbefehlsverfahren zu nennen, dass eine vereinfachte Auslieferung zwischen den Staaten der europäischen Union erlaubt. Verbrechen gegen die Menschlichkeit zählen sowohl nach dem europäischen Rahmenabkommen über den europäischen Haftbefehl als auch nach dem neuen Ge-setz über den europäischen Haftbefehl zu den Delikten, in denen auf das Prinzip der Gegenseitig-keit verzichtet und daher im Wege des europäischen Haftbefehls ausgeliefert werden kann. Dane-ben bestehen Möglichkeiten im Rahmen des europäischen Auslieferungsabkommens vom 13.12.1957 (BGBl. 1964 II , 1369, 1976 II, 1778, 1982 I, 2071, 1994 II, 299). Diesem Abkommen haben sich eine Reihe von Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören, angeschlossen wie die Schweiz, Israel, Ukraine, Türkei (siehe allein die Vertragstabelle des europäischen Ausliefe-rungsübereinkommens bei: Schomburg/Lagodny: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rd. 10 zum Europäischen Auslieferungsabkommen). Zudem bestehen zahlreiche bilaterale Rechtshilfe- und Auslieferungsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen und es wird auf vertragsloser Grundlage zwischen verschiedenen Ländern und der Bundesrepublik Deutschland Auslieferungsverkehr betrieben (z.B. Argentinien). All diese Möglichkeiten der interna-tionalen Rechtshilfe könnten im Ermittlungsverfahren gegen Z.A. genutzt werden. Mithin stehen der Bundesanwaltschaft ausreichende Möglichkeiten der Strafverfolgung weswegen es für die Ein-leitung eines Ermittlungsverfahrens nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, ob Rechtshilfe von der usbekischen Regierung zu erwarten ist.

Weiterhin hat der Generalbundesanwalt die Grundsätze des internationalen Systems der Strafver-folgung im Völkerstrafrecht nicht hinreichend berücksichtigt. Das VStGB und das Rom-Statut bauen dabei auf dem Prinzip der Solidarität auf und sind Ausdruck dafür, dass sich die internationale Staatengemeinschaft ebenso wie die einzelnen Staaten zur Verfolgung von schweren Völkerrechts-verbrechen verpflichtet haben (BT-Drucks. 14/8524, S. 37; KK-Schoreit, 5. Aufl., 2003, § 153f Rn. 3). Der verfolgende Drittstaat wird „im Interesse der Staatengemeinschaft als Ganzer“ tätig (Kai Ambos, Internationales Strafrecht, München 2006, Rn 93 ff.). Auch die Gesetzesbegründung zum Völkerstrafgesetzbuch stellt klar, dass selbst wenn „die Tat keinen Inlandsbezug auf [weist, WK], …, aber noch keine vorrangige Juristriktion mit Ermittlungen begonnen [hat, WK], „verlangt das Legalitätsprinzip im Zusammenhang mit dem Weltrechtsgrundsatz, dass die deutschen

Strafverfolgungsbehörden jedenfalls die ihnen möglichen Ermittlungsanstrengungen

unternehmen, um eine spätere Strafverfolgung (sei es in Deutschland oder im Ausland)

vorzubereiten“. (vgl. hierzu auch: Zappalà, aaO., S. 608)

Ein Aufklärungserfolg ist im Völkerstrafrecht daher nicht erst dann anzunehmen, wenn mit Sicher-heit davon ausgegangen werden kann, dass man dem Tatverdächtigen das Vorliegen sämtlicher schuldbegründender Tatsachen nachweisen kann. Vielmehr ist es ausreichend, wenn es Anhalts-punkte dafür gibt, dass der bestehende Anfangsverdacht durch die Aufnahme von Ermittlungen erhärtet werden kann. Die so gewonnenen Erkenntnisse, selbst wenn sie möglicherweise allein für eine Anklage nicht ausreichen werden, können dann in einem eventuellen Verfahren – bei geänder-

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ter Situation – in Usbekistan, in einem Drittland oder vor einem internationalen Gericht verwendet werden. Der mögliche Einwand, ein Strafverfahren in Deutschland könne nicht dem Zweck dienen, Ermittlungsergebnisse für derartige Verfahren im Ausland zu sammeln, geht zumindest im Völker-strafrecht fehl. Die grosse Bedeutung internationaler Zusammenarbeit wird bei diesem Argument ebenso verkannt wie die Tatsache, dass im Völkerstrafrecht die hergebrachten Strafzwecke nicht ohne weiteres anwendbar sind und dass deutsche Strafverfolgungsbehörden stellvertretend für die Weltgemeinschaft tätig würden.

Unberücksichtigt ließ der Generalbundesanwalt auch, die möglichen Auswirkungen die die Aufnah-me von Ermittlungen durch deutsche Behörden auf die usbekischen Strafverfolgungsorgane haben könnte. Wie der Fall Pinochet gezeigt hat, kann die Aufnahme von Ermittlungen in einem Drittland, den primär zuständigen Staat dazu bewegen, das Strafverfahren zu übernehmen.

Der Generalbundesanwalt überschätzt daher - aus den genannten Gründen - auch grundsätzlich die Notwendigkeit, Ermittlungen in Usbekistan vorzunehmen, um einen Verdacht gegen einen der an-gezeigten Personen zu erhärten. Zwar ist es ohne jeden Zweifel am sinnvollsten und am effektivs-ten, Beweise direkt vor Ort zu erheben, Zeugenbefragungen durchzuführen, Tatorte zu besichtigen, medizinische und andere Sachverständige heranzuziehen. Aber auch außerhalb Usbekistans sind hinreichende Beweismittel verfügbar. Dieses Beweismaterial ist auch nicht weltweit verstreut, wie vom Generalbundesanwalt behauptet, sondern befindet sich im mittelbaren oder unmittelbaren Zugriff des Generalbundesanwaltes, wie bereits in der Anzeige und der Gegenvorstellung ausführ-lich dargestellt.

Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist es daher auch nicht von Bedeutung, ob Rechtshil-fe von der usbekischen Regierung zu erwarten ist. Das VStGB wurde gerade für solche Konstellati-onen geschaffen, in denen der primär zuständige Staat – weil er dazu nicht willens oder nicht in der Lage ist – die nach dem VStGB strafbaren Delikte nicht verfolgt. In den meisten Fällen wird es sich um regierungsnahe oder staatsverstärkte Kriminalität handeln, die von den Behörden des Staates aus nahe liegenden Gründen nicht verfolgt und sanktioniert wird. Aus eben diesen Gründen werden die Regierungsstellen Rechtshilfeersuchen der deutschen Strafverfolgungsbehörden in den meisten Fällen ablehnen. Würde man die Kooperationsbereitschaft des primär zuständigen Staates zur Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach dem VStGB machen, würde man das Weltrechtsprinzip aufgeben und in das Ermessen derjenigen stellen, die eigentlich mit dem Instrument des Völkerstrafrechts verfolgt werden sollten. Insofern kann die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach dem VStGB nicht davon abhängig sein, ob auch Ermittlungen vor Ort – in diesem Fall in Usbekistan – vorgenommen werden können.

d) Der Generalbundesanwalt kommt aber nicht nur zu einer falschen Einschätzung der Erfolgsaus-sichten eines Ermittlungsverfahrens, sondern berücksichtigt in seiner Ermessensentscheidung auch nicht den fundamentalen Grundsatz des Völkerstrafgesetzbuches der Verhinderung der Straflosig-keit von Völkerrechtsverbrechen (BT-Drucks. 14/8524, S. 37).

Mit dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes und dem VStGB wurden Instru-mente geschaffen, die es ermöglichen sollen, Straftaten, die sich gegen die vitalen Interessen der Völkergemeinschaft richten, weltweit zu verfolgen. Aus diesem Grund knüpfen beide Regelwerke nicht an einen wie auch immer gearteten Inlandsbezug an, sondern sind Ausdruck des Weltrechts-prinzips. Die sich aus der Einführung des Weltrechtsprinzips ergebende Überlappung der Strafver-folgungszuständigkeit, bspw. des IStGH, des Tatortstaates und der Bundesrepublik Deutschland, wird nicht nur hingenommen, sondern ist sogar gewollt, um eine lückenlose Strafverfolgung zu gewährleisten (Ambos, a.a.O., Rn. 129ff.). Dieser Grundsatz der Verhinderung der Straflosigkeit von Völkerrechtsverbrechen findet auch Ausdruck im § 153f Abs. 2 Satz 1 StPO, wonach "insbe-sondere" beim kumulativen Vorliegen der Nr. 1-4 ein Verfahren eingestellt werden "kann", wenn u.a. eine anderweitige strafrechtliche Verfolgung der Tat (Nr. 4) gewährleistet ist.

Die in § 153f Abs. 2 StPO geregelte Konstellation liegt jedoch im vorliegenden Fall nicht vor. Im Bezug auf die angezeigten Straftaten besteht bisher absolute Straflosigkeit: Die usbekischen Be-hörden haben kein einziges Verfahren gegen Angehörige des Staatsapparates wegen Folter oder wegen des Massakers in Andischan eingeleitet. Die Regierung ist aktiv an der Vernichtung von Be-weisen beteiligt, schüchtert Zeugen und Opfer von Staatsverbrechen ein und setzt sie teilweise selber einer Strafverfolgung aus. Die Behörden des primär zuständigen Tatort-Staates sind mithin nicht gewillt, Straftaten von Mitgliedern der eigenen Regierung oder des eigenen Staatsapparates aufzuklären und zu verfolgen. Der IStGH ist nicht zuständig, da Usbekistan das Rom-Statut nicht unterzeichnet und ratifiziert hat.

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In dieser für die Deliktskonstellation typischen, Situationen ist es notwendig und vom deutschen Gesetzgeber mit der Schaffung des VStGB gewollt, dass Staaten wie Deutschland, deren Strafrecht eine weltweite Verfolgung von Völkerstraftaten vorsieht, stellvertretend für die internationale Staa-tengemeinschaft die Strafverfolgung übernehmen. Der Generalbundesanwalt hat jedoch völlig ver-kannt, dass sich aus dem übergeordneten Ziel des deutschen VStGB, der Verhinderung des Straflo-sigkeit von Völkerrechtsverbrechen, auch bei reinen Auslandstaten eine Ermessensreduktion zu Gunsten der Aufnahme der Ermittlungen ergeben kann, um damit ein späteres Rechtshilfeersuchen oder Ermittlungen in einem anderen Staat oder durch den IStGH vorzubereiten bzw. zu unterstüt-zen (vgl. Gesetzesbegr. in Lüder/Vorbaumb (Hrsg.), Materialien zum VStGB, 2003, S. 61, KK-Schoreit § 153f, Rn 9, LR-Beulke § 153f Rn 42; SK-Weßlau § 153f Rn 11).

Im Übrigen missachtet der Generalbundesanwalt rechtlich verbindliche Entscheidungen auf europä-ischer Ebene. Denn der Ratsbeschluss vom 8. Mai 2003 -2003/335/JHA- legt den nationalen Straf-verfolgungsbehörden eine Reihe von Pflichten auf und verweist in der Präämbel (7) und (8) aus-drücklich darauf, dass die „Wirksamkeit der Ermittlung und Strafverfolgung“ von Kriegsverbrechen u.a. auf nationaler Ebene von einer „engen Zusammenarbeit zwischen den betreffenden nationalen Strafverfolgungs- und Ausländerbehörden“ abhänge und die „enge grenzüberschreitende Zusam-menarbeit zwischen den betreffenden Behörden der Vertragsparteien des Römischen Statuts“ von grosser Bedeutung sei. Eine national beschränkte Betrachtungsweise, wie sie der Generalbundes-anwalt in seiner Entscheidung zum Ausdruck bringt, ist nicht nur systemwidrig und schadet dem Gedanken und der Praxis universeller Verfolgung internationaler Delikte, sondern verkennt Ent-scheidungen auf europäischer Ebene und ist der europäischen Zusammenarbeit bei der Strafverfol-gung wenig dienlich.

e) Die Entscheidung des Generalbundesanwalts, die Ermittlungen unter Berufung auf § 153f StPO nicht zu erheben, ist – wie gezeigt – in verschiedener Hinsicht fehlerhaft.

Zum einen hat der Generalbundesanwalt fälschlicher Weise das Vorliegen aller Tatbestandsmerk-male des § 153f Abs. 1 Satz1 StPO angenommen. Zum anderen ist er unzutreffender Weise davon ausgegangen, dass Ermittlungstätigkeiten deutscher Strafverfolgungsorgane keine Aussicht auf Erfolg hätten. Darüber hinaus hat der Generalbundesanwalt fundamentale Grundsätze des deut-schen VStGB, des internationalen Völkerstrafrechts und des Europarechts im Rahmen seiner Er-messensentscheidung nicht beachtet. Dieses völlige Verkennen der gesetzgeberischen Intention und der besonderen Umstände des internationalen Völkerstrafrechts führt dazu, dass die Entschei-dung des Generalbundesanwalts auch nach den vom OLG Stuttgart (aaO.) aufgestellten Kriterien bei einer Einstellungsentscheidung nach § 153f StPO als willkürlich eingeschätzt werden muss.

4.2. Hinreichender Tatverdacht

Das Oberlandesgericht Karlsruhe legt in der oben zitierten Entscheidung vom 10. Januar 2005 Wert darauf, dass auch in der Konstellation, der Nichtdurchführung von Ermittlungen durch die Staats-anwaltschaft, die formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf gerichtliche Entschei-dungen vorliegen. Diese eröffneten erst den Rechtsweg zum Oberlandesgericht (vgl. a.a.O., S. 13). Erforderlich ist demnach, dass in dem Antrag die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen und die Beweismittel angegeben sind. Das Gericht solle in die Lage versetzt werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft und Anlagen, eine Schlüs-sigkeitsprüfung hinsichtlich der Erfolgsaussichten in formeller und materieller Hinsicht vorzuneh-men.

Dies mag bei den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen wie Antragsbefugnis, Einhaltung der Fristen sowie Schilderung des Gangs der Ermittlungen ohne weiteres einzuhalten sein. Problemati-scher erweisen sich diese Anforderungen in dem vorliegenden Fall bezüglich der Begründung der Erhebung der öffentlichen Klage gegen die zwölf Beschuldigten. Denn die Strafanzeige vom 12.12.2005 intendierte die Begründung eines Anfangsverdachts gegen die zwölf Beschuldigten sowie die Mitteilung der Tatsachen, aus denen sich dieser Anfangsverdacht herleitet. Ein wesentli-cher Teil des Sachverhaltes ist bisher noch nicht aufgeklärt. Nichtsdestotrotz soll anhand des bishe-rigen Vortrages nachfolgend eine vorläufige zusammenfassende Würdigung und Begründung des hinreichenden Tatverdachtes erfolgen. Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich dabei im We-sentlichen auf die Darlegungen in der (oben zitierten) Strafanzeige vom 12.12.2005 sowie einzelne Erkenntnisse aus den ergänzend beigebrachten Schriftsätzen und Materialien. Dabei sollen Wieder-holungen vermieden werden, so dass bezüglich der Begründung sowie des Umfanges der deut-schen Strafgewalt voll umfänglich auf die Darlegungen in der Strafanzeige zu § 1 VStGB, § 6 Nr. 9

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Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007

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StGB und bezüglich der Körperverletzungsdelikte auf die vom Bundesgerichtshof in den Fällen des Völkermordes in Bosnien entwickelten Rechtsprechung zur Annexstraftaten (vgl. BGH NStZ 1999, 396 ff) verwiesen werden soll. Gleiches gilt für eventuelle Strafverfolgungshindernisse (Immunität).

Die rechtliche Würdigung der an den Anzeigenerstattern begangenen Misshandlungen als Folter und damit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist ebenfalls in der Strafanzeige detailliert vor-genommen worden. Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich.

Wesentliche Dokumente, vor allem interne Regierungspapiere und Befehle, harren allerdings noch der Veröffentlichung und Auswertung. Es ist nur ein Bruchteil der infrage kommenden Zeugen, sowohl aus dem Bereich der usbekischen Regierung, Verwaltung und des Militärs als auch aus dem Kreise der Geschädigten, – in welcher Form auch immer – zu Wort gekommen. Daher sind die nachfolgenden Ausführungen zur Täterschaft der einzelnen Beschuldigten nur als vorläufig zu be-trachten. Allerdings ist wie in der Strafanzeige bei den nachfolgenden Ausführungen in besonderer Weise zu berücksichtigen, dass sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in ihrer gemeinsa-men Position der Europäischen Union 205/792/GASP vom 15.11.2005 betreffend restriktive Maß-nahmen gegen Usbekistan (siehe als Kopie in Anlage 9) nach eigenen Ermittlungen nicht nur da-rauf verständigt hatten, den Einsatz von Gewalt durch usbekische Sicherheitskräfte in Andischan zu verurteilen. Man hat sich vielmehr ausweislich des Absatzes 6 der Präambel dazu entschlossen, Restriktionen gegen die Personen zu ergreifen, „die unmittelbar verantwortlich für den wahllosen und unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt in Andischan und die Verhinderung einer unabhängi-gen Untersuchung“ seien. Dem Annex II der gemeinsamen Position ist dann weiterhin zu entneh-men, dass die zwölf hier Beschuldigten nach Auffassung der EU genau diese Kriterien erfüllen. Im einzelnen dazu:

Der Beschuldigte zu 1), Z.A., hat sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 8 VStGB) strafbar gemacht, indem er als Innenminister der Republik Usbekistan kraft der Organisationsherrschaft, über die aufgrund seines Amtes verfügte, am 13.05.2005 Anweisungen geben hat, auf die in Andischan versammelten zivilen Demonstranten wahllos und massenhaft scharf zu schießen. Als Innenminister befehligt der Beschuldigte zu 1) die bewaffneten und sonsti-gen Polizeikräfte Usbekistans sowie die internen Regierungstruppen. Die am 13.05.2005 in An-dischan eingesetzten Regierungstruppen gehörten zu den Z.A. unterstehenden Einheiten. Aus dem Umstand, dass der Beschuldigte zu 1) teilweise selbst mit den Demonstrierenden im telefonischen Kontakt stand (vgl. Präsident Karimov in: BBC a.a.O.; OSZE-Bericht, S. 22; Galima Burkharbaeva, aaO.), ergibt sich, dass er unmittelbar an den Vorgängen am 13.05.2005 beteiligt war. Selbst wenn eine kleine Zahl der Demonstranten bewaffnet war, ändert dies nichts an dem Umstand, dass die sich in Andischan versammelnden Menschen als Zivilbevölkerung i.S.d. § 7 VStGB eingeordnet werden müssen (vgl. Werle, a.a.O., Rn 629 ff.). Da die usbekische Regierung verlautbaren ließ, dass sie das Vorgehen vom 13.05.2005 als eine erfolgreiche Operation gegen Terroristen und Ban-diten wertete, und Z.A. laut Zeugenaussage ein blutiges Ende der Demonstration vom 13.05.2005 mit mehreren 300 – 400 Toten angedroht hat (vgl. Galima Burkharbaeva, a.a.O.) ist davon auszu-gehen, dass Z.A. bewußt und zielgerichtet die wahllose Erschießung von Zivilisten in einem ausge-dehnten Umfang angeordnet hat. Aufgrund der aufgeführten Aussage, kann es sich bei den Schüs-sen auf die Demonstranten nicht um eine unvorhergesehenen Überreaktion einzelner Sicherheits-kräfte halten. Auch angesichts der großen Zahl an Verletzten und Toten muss der Angriff als auf-gedehnt i.S.d. § 7 VStGB angesehen werden.

Weiterhin hat sich der Beschuldigte zu 1) gemäß § 4 VStGB strafbar gemacht, indem er als ziviler Vorgesetzter es unterlassen hat, den ausgedehnten Angriff auf die Demonstranten in Andischan zu verhindern. Nach übereinstimmender Aussage des Präsidenten I.K. und des Beschuldigten war dieser der verantwortliche Befehlshaber zur Niederschlagung der Demonstration. Da er selbst Ver-handlungen mit den bewaffneten Geiselnehmern in Andischan an diesem Tag geführt und Gewalt angedroht hat, hatte er Kenntnis vom Angriff auf die Demonstranten und hätte damit die Verant-wortung gehabt diese zu verhindern.

Im Bezug auf die Folterstraftaten hat sich der Beschuldigte zu 1) insoweit gemäß § 4 VStGB i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 7, Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 10 VStGB sowie wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224, 25 Abs.2 StGB sowie wegen Mord und Tötung gemäß §§ 211 und 212, 25 Abs. 2 StGB i.V.m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UN-Antifolterkonvention strafbar gemacht.

Sämtliche Haftstätten der Untersuchungshaft und des Strafvollzuges unterstehen dem Oberkom-mando des Beschuldigten in seiner Funktion als Innenminister. In den dargestellten Fällen wurden

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Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007

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die Opfer in Haftstätten und von Personal gefoltert, die dem Beschuldigten direkt unterstanden. Der Beschuldigte ordnete die oben dargestellte Folterpraxis persönlich an. Zumindest hatte er aber Kenntnis von dem Umstand, dass in seinem Machtbereich massenhaft gefoltert wird und dies sys-tematisch als Verhörmethode eingesetzt wurde. Diese Kenntnis kann der Beschuldigte spätestens seit dem Besuch des ehemaligen UN-Sonderberichtserstatters für Folter, Theo van Boven, nicht mehr bestreiten. Denn Theo van Boven hat persönlich und ausführlich im Jahr 2002 mit dem Be-schuldigten über die andauernden Folterpraktiken in Usbekistan gesprochen. Eine Vielzahl damals anwesender Diplomaten kann dies bezeugen. Dennoch hat es der Beschuldigte unterlassen, effek-tive Masnahmen zur Verhinderung der angezeigten Folterstraftaten zu erlassen, wie verschiedene aktuelle Berichte belegen. Der Bericht der usbekischen Botschaft in Deutschland kann diese Fest-stellung vieler unabhängiger Beobachter nicht entkräften, da er eindeutig im Interesse der Be-schuldigten geschrieben worden ist und daher eher als Schutzbehauptung gewertet werden muss.

Die Beschuldigten zu 2) - 12) haben sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 8 VStGB strafbar gemacht, indem sie als ranghohe zivile bzw. militärische Machthaber kraft ihrer Organisationsherrschaft, über die sie aufgrund ihrer Ämter verfügten, am 13.05.2005 Anweisungen gaben, bzw. weiterleiteten und umsetzten, die zu dem massenhaften und wahllosen Angriff gegen die unbewaffneten, friedlichen Demonstranten in Andischan führten. Auf-grund der Schlüsselfunktion ihrer Ämter haben die Beschuldigten an der Niederschlagung des Mas-sakers und damit an der Tötung bzw. Verletzung hunderter von Menschen aktiv teilgenommen.

Der Beschuldigte zu 9) und der Beschuldigte zu 11) sind Kommandeure eines Bataillons, das als Spezialtruppe des 7. Direktorats angesehen wird. Sie sind hinreichend verdächtig, ihre Truppen am 13.05.2005 eingesetzt zu haben und damit unmittelbar an dem Einsatz der Truppen gegen die Zivilbevölkerung beteiligt gewesen zu sein.

Diese Annahmen werden dadurch bestätigt, dass – wie oben dargestellt- die EU die Beschuldigten mit einem Einreiseverbot belegt hat.

Darüber hinaus hat sich der Beschuldigte zu 12.) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ge-mäß § 4 VStGB i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 7, Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 10 StGB sowie wegen gefährli-cher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224, 25 Abs.2 StGB sowie wegen Mord und Tötung gemäß §§ 211 und 212, 25 Abs. 2 StGB i.V.m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UN-Antifolterkonvention strafbar gemacht, indem er kraft seiner Organisationsherrschaft als Leiter des Nationalen Sicher-heitsdienstes die systematische Anwendung von Folter bei Vernehmungen durch Angehörige seines Sicherheitsdienstes anordnete. Aufgrund der systematischen Folterpraxis sind zahlreiche Men-schen, darunter die Anzeigenerstatter, über einen langen Zeitraum an unbekannten Orten festge-halten worden, ohne dass Familienangehörige und Rechtsbeistände darüber informiert wurden. Sie wurden körperlich misshandelt oder getötet und sonst menschenunwürdig behandelt. Diese Vor-gänge waren dem Beschuldigte zumindest bekannte und er duldete diese. Spätestens durch den Besuch des UN-Sonderberichtserstatter Theo van Boven im Jahr 2002 muss der Beschuldigte auf die Folterpraktiken seines Sicherheitsdienstes in Kenntnis gesetzt worden sein. Dennoch hat er es unterlassen effektive Maßnahmen zur Verhinderung der angezeigten Folterstraftaten durch seine Untergebenen zu verhindern.

Die in Betracht kommenden Beweismittel sind oben (S.56) im einzelnen dargestellt und erläutert worden. Neben den in bezug genommenen Berichten sind dies vor allem die Zeugen, Theo Van Boven, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Folter, der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan C.M., der ehemalige deutsche Botschafter in Usbekistan M.H. und der ehemalige US-Botschafter in Usbekistan J.H. sowie zahlreiche Journalisten als Augenzeugen.

W.K.,

Rechtsanwalt