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περ ρμηνείας - Ausdruck der Gedanken? Das Verhältnis von τ ™ν τ˝ φων˝, ψυχ˝ und πάθημα in 3 Anläufen (Lektürearbeit) Version 0.01 07.02.2010-14.02.2010 Andreas Kirchner ‹a0600112 at unet.univie.ac.at› http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/at/

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περ ρmicroηνείας - Ausdruck der GedankenDas Verhaumlltnis von τOtilde ν τIacute φωνIacute ψυχIacute und πάθηmicroα in 3 Anlaumlufen

(Lektuumlrearbeit)

Version 00107022010-14022010

Andreas Kirchner lsaquoa0600112 at unetunivieacatrsaquo

httpcreativecommonsorglicensesby-nc-sa30at

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 311 Fragen 412 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse 4

2 Auslegungen 721 Der klassische Weg Weidemann 722 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art 10

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis 13222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt 15223 Das Anrufende 16

23 Zusammenfassung Was ist Sprache 18

A Tabelle mit Termini 21

B Literaturverzeichnis 24

2

1 Einleitung

Thema der vorliegenden kurzen Abhandlung sind die viel diskutierten ersten beiden Ab-saumltze von Aristoteles Werk ΠΕΡΙ ΕΡΜΗΝΕΙΑΣ 16a1-9

1 Πρicircτον δε θέσθαι τί Ocircνοmicroα κα τί middotAacutemicroα πειτα τί

2 στιν centπόφασις κα κατάφασις κα centπόφανσις κα λόγος

3 Εστι microν οacircν τbrvbar ν τIacute φωνIacute τicircν ν τIacute ψυχIacute παθη-

4 microάτων σύmicroβολα κα τbrvbar γραφόmicroενα τicircν ν τIacute φωνIacute

5 κα eacuteσπερ οUgraveδ γράmicromicroατα πcopyσι τbrvbar αUgraveτά οUgraveδ φωνα α

6 αUgraveταί iumlν microέντοι ταagraveτα σηmicroεα πρώτων ταUgraveτbrvbar πcopyσι πα-

7 θήmicroατα τAacuteς ψυχAacuteς κα iumlν ταagraveτα ETHmicroοιώmicroατα πράγmicroατα

8 frac12δη ταUgraveτά περ microν οacircν τούτων ερηται ν τος περ ψυ-

9 χAacuteς - yenλλης γbrvbarρ πραγmicroατείας

Eine gebraumluchliche englische Uumlbersetzung von EMEdghill1

bdquoFirst we must define the terms rsquonounrsquo and rsquoverbrsquo then the terms rsquodenialrsquoand rsquoaffirmationrsquo then rsquopropositionrsquo and rsquosentencersquoSpoken words are the symbols of mental experience and written words are

the symbols of spoken words Just as all men have not the same writing soall men have not the same speech sounds but the mental experiences whichthese directly symbolize are the same for all as also are those things of whichour experiences are the images This matter has however been discussed inmy treatise about the soul for it belongs to an investigation distinct from thatwhich lies before usldquo

Eine gebraumluchliche deutsche Uumlbersetzung von Weidemann2

bdquoZunaumlchst gilt es festzusetzen was ein Nennwort und was ein Aussagewortist sodann was eine Verneinung eine Bejahung eine Behauptung und einWortgefuumlge istNun sind die (sprachlichen) Aumluszligerungen unserer Stimme Symbole fuumlr das

was (beim Sprechen) unserer Seele widerfaumlhrt und unsere schriftlichen Aumlu-szligerungen sind wiederum Symbole fuumlr die (sprachlichen) Aumluszligerungen unsererStimme Und wie nicht alle Menschen mit denselben Buchstaben schreiben

1Online verfuumlgbar uumlber das Perseus-Projekt2Aristoteles (1994)

3

1 Einleitung

so sprechen sie auch nicht alle dieselbe Sprache Die seelischen Widerfahrnisseaber fuumlr welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zei-chen ist sind bei allen Menschen dieselben und uumlberdies sind auch schon dieDinge von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind fuumlr alledieselben Von diesen (seelischen Widerfahrnissen) nun ist bereits in den Buuml-chern uumlber die Seele die Rede gewesen denn sie sind Gegenstand einer anderenDisziplinldquo

11 Fragen

Bei der Beschaumlftigung mit dem Segment sind folgende allgemeine Fragen aufgetaucht

bull Was ist die traditionelle Interpretation dieser Zeilen Gibt es mehrere Interpreta-tionen Was ist die gebraumluchlichste und wirkmaumlchtigste Blickrichtung3 die diesenAuslegungen tendenziell zugrunde liegt

bull Was setzt Heidegger und mit ihm Feacutedier dieser Interpretation entgegenhinzu Istdas plausibel

bull Wie werden zentrale Termini klassisch durch Heidegger und in Anschluss an Heideg-ger uumlbersetzt

bull Welches Sprachverstaumlndnis ergibt sich jeweils aus diesen Uumlbersetzungen und Inter-pretationen

Waumlhrend der Lektuumlre wird versucht auf diese teils zusammenhaumlngenden Fragen zu achtenwobei in diesem als kurze Arbeit konzeptionierten Werk keine umfassende Beantwortungerfolgen kann

12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse

Im Ankuumlndigungstext des Lektuumlre-Proseminars in dessen Rahmen diese Arbeit geschriebenwird findet sich folgender Hinweis

bdquoVorsicht ist bei der Analyse der aristotelischen Texte erforderlich Denn Ari-stoteles wirkt oftmals betruumlgerisch Es ist daher empfehlenswert dass man ausder Lektuumlre der Texte des Aristoteles keinen uumlberstuumlrzten Schluss ziehtldquo4

3(Heidegger 2002 Vgl)4Segalerba (2009)

4

1 Einleitung

Um diese Warnung ernst zu nehmen muumlssen wir zunaumlchst in die Falle kommen und sehenob und wie die genaue Lektuumlre dieser kurzen aber wirkmaumlchtigen Zeilen uns aus dieserFalle heraushelfen Darum beginnen wir die Zeilen in der Weidemann-Uumlbersetzung aufeine naive Art zu lesen und - womoumlglich uumlberstuumlrzt - zu schlieszligen

1 Der Titel περι ερmicroηνειας wird uumlblicherweise mit bdquoDe Interpretationeldquo ins Lateinischeund mit bdquoLehre vom Satzldquo ins Deutsche uumlbersetzt

2 Der erste Absatz skizziert das Programm Es scheint zunaumlchst um Definitionen zugehen wie man sie auch in Grammatik-Lehrbuumlchern findet Verb Nomen Satzge-fuumlge Bejahung Verneinung Mit dem Wissen dass Aristoteles als Begruumlnder derrsquoklassischenrsquo Logik gilt findet man sehr leicht dass es um eine logische Analyse derSprache und den Gesetzmaumlszligigkeiten derselben geht

3 Die zentrale Stelle dieser Passage nennt folgende Zusammenhaumlnge

a) Der Seele (p) widerfaumlhrt etwas Das Ergebnis sind die seelischen Widerfahrnisse(pd)

b) Die seelischen Widerfahrnisse (pd) sind ein Abbild der Dinge (d)

c) Die sprachlichen Aumluszligerungen (spd) sind Symbole von den seelischen Widerfahr-nissen (pd)

d) Die schriftlichen Aumluszligerungen (sspd) sind Symbole der sprachlichen Aumluszligerungen(spd)

e) Fuumlr die seelischen Widerfahrnisse (pd) ist das Geschriebene und Gesprochenersquoan erster Stellersquo ein Zeichen

f) Waumlhrend seelische Widerfahrnisse (pd) und Dinge (d) fuumlr alle Menschen diesel-ben sind sind Sprache und Schrift (spd) und (sspd) unterschiedlich

4 Aristoteles hat offenbar an anderer Stelle (De Anima) genauer uumlber die seelischenWiderfahrnisse geschrieben

Die Frage was unter seelischen Widerfahrnissen zu verstehen ist Gedanken oder Wahr-nehmungen - oder beides wird nicht entfaltet Ausgehend von obiger Interpretation scheintaber nahe zu liegen Der Bereich der seelischen Widerfahrnisse ist unsprachlich Sprachli-che Ausdruumlcke (Geschriebenes oder Gesprochenes) druumlcken seelische Widerfahrnisse ausindem sie Symbole derselben sind Umgekehrt sind sprachliche Ausdruumlcke Zeichen fuumlr dieseelischen Widerfahrnisse Was heiszligt jedoch ein Symbol oder Zeichen fuumlr etwas sein

Ein Symbol traumlgt in erster Annaumlherung eine oder mehrere Bedeutungen Demzufolge waumlredie Bedeutung des Lauts jenes seelische Widerfahrnis von dem der Laut das Symbol ist DieBedeutung eines Schriftzeichens waumlre jener Laut von dem das Schriftzeichen das Symbolist

5

1 Einleitung

Neben den beiden Symbolbeziehungen durch die seelische Widerfahrnisse offenbar zumAusdruck gebracht werden gibt es noch eine Abbildbeziehung zwischen dem Ding (in derWelt) und dem seelischen Widerfahrnis Was unterscheidet ein Abbild von einem SymbolWieder in erster Annaumlherung Ein Symbol steht fuumlr sich dessen Erscheinungsform mussmit den Bedeutungen die es traumlgt nichts zu tun haben Ein Abbild dagegen ist die Kopieeines Urbilds und daher von ihm abhaumlngig Das Abhaumlngigkeitsverhaumlltnis wird direkt imText deutlich Da die Dinge fuumlr alle Menschen dieselben sind sind auch die seelischenWiderfahrnisse welche Abbilder der Dinge sind fuumlr alle dieselben bzw umgekehrt daswird nicht deutlich

Dies ist fuumlr uns Heutige irritierend und jede Kognitionsforscherin wuumlrde laut aufschreienDas Ding und die seelischen Widerfahrnisse haumlngen damit nicht nur kausal miteinanderzusammen sondern sie gleichen einer mathematischen Funktion oder Relation Zu jedemDing gibt es eine genau festgelegte Menge von seelischen Widerfahrnissen (ob es ein odermehrere Widerfahrnisse sind wird aus dem Text nicht deutlich) Und jeder der ein Menschist empfaumlngt bei (sinnlichen) rsquoKontaktrsquo mit dem Ding dieselben seelischen WiderfahrnisseDie Mannigfaltigkeit und die Verwirrung kaumlmen demnach erst zustande nachdem man sichsprachlich ausdruumlckt

Zusammenfassend kann man also - wir sind noch im naiven Lektuumlremodus folgende Kau-salketten feststellen wobei die Pfeile Beziehungen symbolisieren und A fuumlr Abbild S fuumlrSymbol und Z fuumlr Zeichen steht

bull Ding Aminusrarr seelisches Widerfahrnis Sminusrarr Gesprochenes Sminusrarr Geschriebenes

bull GeschriebenesGesprochenes Zminusrarr seelisches Widerfahrnis Aminusrarr Ding

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2 Auslegungen

Der Text wurde seit jeher stark rezipiert und dessen Interpretation und Bedeutung bleibtweiterhin umstritten1 Untersuchen wir in welchem Verhaumlltnis sich die obige Annaumlherungzu bestehenden Auslegungen befindet Gelesen werden

bull Das Kommentar von Weidemann in Aristoteles (1994)

bull Feacutedier (1985) ein franzoumlsischer Text von den mir gluumlcklicherweise eine deutscheUumlbersetzung zur Verfuumlgung steht und der das erste Kapitel des Werks neu uumlbersetztund interpretiert 2

bull ein Text von Matthias Flatscher uumlber Aristoteles und Heidegger in der das Sprach-verstaumlndnis von Heidegger und das Spannungsverhaumlltnis das Heidegger stets zu Ari-stoteles hatte geschildert wirdFlatscher (2005)

bull und Texte von Heidegger um in sein Sprachverstaumlndnis einzusteigen

Wichtige Deutungen der griechischen Termini die sich waumlhrend der Lektuumlre ergeben sindin einer Tabelle am Ende der Arbeit in Anhang A zusammengefasst3

21 Der klassische Weg Weidemann

Der Weidemann-Kommentar4 ist insofern passend als er die Auslegungen und philolo-gischen Untersuchungen einer Reihe von anderen Autoren uumlber dieses Segment zusam-

1Weidemannn verweist auf mehrere Personen aus unterschiedlichen Jahrhunderten die eine Interpreta-tion dieses Werks als schwierig oder gar unmoumlglich einstuften teils aufgrund der Komprimiertheit derAussagen (Aristoteles 1994 Vgl S94Fuszlignote 10)

2Dafuumlr ist Johanna Gaitsch vom Insitut fuumlr Philosophie an der Universitaumlt Wien zweifach zu dankenerstens aufgrund der von ihr durchgefuumlhrten Uumlbersetzung zweitens dafuumlr dass Sie mir eine Kopiedieser unveroumlffentlichten Uumlbersetzung zukommen lieszlig Ohne dieser Umstaumlnde waumlre es mir nicht moumlg-lich gewesen diesen Text zu lesen Fehlerhafte Schluumlsse aus der Uumlbersetzung sind jedoch allein mirzuzuschreiben

3Empfehlung Um der Arbeit folgen zu koumlnnen sollte man sich den griechischen Text sowie die Weidemann-Uumlbersetzung aus dem Einleitungsabschnitt 1 gesondert auf den rsquoDesktoprsquo zu legen Fuumlr eine intensivereBeschaumlftigung sollte dies auch mit der Tabelle der Deutungen griechischer Termini im Anhang A ge-schehen Diese Arbeitsmethode hat sich auch fuumlr das Lesen der Texte von Weidemann und Feacutedier alssinnvoll herausgestellt Man ist bei der Lektuumlre auf Parallelprozesse rsquoPattern-Matchingrsquo Synchronisa-tion und idealerweise geteilte Arbeitsflaumlchen angewiesen

4(Aristoteles 1994 Vgl S133-153)

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2 Auslegungen

menfasst und abwaumlgt um auf dieser Basis selbst eine gebuumlndelte Auslegung abzugebenDadurch haben wir einen guten Uumlberblick uumlber traditionelle Interpretationen und koumlnnengemeinsame Merkmale herausheben

Fuumlr Weidemann geht es im 1 Kapitel um (1) sprachliche Ausdruumlcke in denen (2) Gedankenausgedruumlckt werden (3) wobei diese Gedanken bestimmte Dinge meinen5 Es wird also dasVerhaumlltnis von sprachlichen Ausdruumlcken Gedanken und gemeinten Dingen behandelt Dasist noch nicht weit weg von den Erkenntnissen im Abschnitt 12 wo wir in einem mehrintuitiven unmittelbaren Lektuumlremodus gearbeitet haben Doch sehen wir uns weiter anwie er den zentralen Abschnitt 16a3-9 interpretiert Hierfuumlr stellt er vier Fragen die wirzugleich mit einer komprimierten Version der Antworten (ohne die von ihm durchgefuumlhrtenAbwaumlgungen) nennen6

1 Was ist unter folgenden drei Termen zu verstehen

a) rsquoAumluszligerungen unserer Stimmersquo ( τbrvbar ν τIacute φωνIacute)7 Gemeint sind nicht alle stimm-lichen Aumluszligerungen sondern die menschlichen da sie seelische Widerfahrnissesymbolisieren von Schriftzeichen symbolisiert werden und selbst nicht-natuumlrlicheLautzeichen sind

b) rsquoWiderfahrnisse der (bzw in der) Seelersquo ( τicircν ν τIacute ψυχIacute ) Was widerfaumlhrt unsda Die Seele denkt Gedanken Indem sie sie denkt kommt sie bei den Dingenrsquozum stehenrsquo8 und das heiszligt die Seele meint diese Dinge Den Gedanken diedie Seele denkt wird mit Woumlrtern Ausdruck verliehen Die seelischen Wider-fahrnisse sind die Gedanken

c) rsquoDingersquo ( πράγmicroατα ) Dinge sind hier in einem weitlaumlufigen Sinn gemeint DieDinge muumlssen nicht existieren sie muumlssen sich nur denken und aussprechenlassen

2 Was heiszligt es dass

a) die Aumluszligerungen der Stimme SymboleZeichen σύmicroβολα σηmicroεα fuumlr seelischeWiderfahrnisse sind Symbole sind sprachliche Aumluszligerungen der Stimme undhaben Zeichencharakter dh ihre Bedeutung ist nicht naturgegeben sonderndurch Uumlbereinkunft entstanden wie Aristoteles in Kapitel 2 (16a26-29) erlaumlu-tert Symbole kennzeichnen aber zusaumltzlich zum Zeichencharakter dass Spracheund Denken parallel laufen und zusammengehoumlren was auch die Ethymologiedes Wortes nahe legt9

5(Aristoteles 1994 S44)6(Aristoteles 1994 S135-148)7Die woumlrtliche Uumlbersetzung nach Weidemann rsquoDas mit der Stimme geaumluszligertersquo8Hier wird ein Bezug zu Kapitel 14 erlaumlutert wo es in 437 A 4f heiszligt dass das Verstehen rsquounsere Seelebei den Dingen zum Stehen kommen laumlsstrsquo

9Zur Ethymologie siehe auch Tabelle im Anhang A

8

2 Auslegungen

b) die seelischen Widerfahrnisse Abbildungen ETHmicroοιώmicroατα von Dingen sind Eshandelt sich nach Weidemann weder um Abbilder wie bei einem Photoappa-rat noch um Wahrnehmungen oder Vorstellungen sondern darum dass wir dieDinge zum Stehen bringen im oben genannten Sinn des rsquoMeinensrsquo Dies wirdanhand einer Gespraumlchssituation erlaumlutert Wenn der Sprecher einen Gedankendenkt und dabei an ein Ding denkt und der Houmlrer diesen Gedanken denkt wirder auch an dieses Ding denken10

3 Wenn stimmliche Aumluszligerungen an erster Stelle Zeichen fuumlr seelische Widerfahrnissesind was sind sie dann an zweiter Stelle Symbole fuumlr seelische Widerfahrnisse Be-zeichnen sie Dinge Oder sind die schriftlichen Aumluszligerungen Zeichen fuumlr die seelischenWiderfahrnisse Dann bezoumlge sich an erster Stelle auf die seelischen Widerfahrnissenicht auf die stimmtlichen Aumluszligerungen Weidemann argumentiert dass sehr viel dafuumlrspricht dass unsere sprachlichen Aumluszligerungen an zweiter Stelle die Dinge bezeichnen

4 Was heiszligt dass sowohl die von den seelischen Widerfahrnissen abgebildeten Dingeals auch die seelischen Widerfahrnisse selbst fuumlr alle Menschen dieselben sind Mansoll dieser Aussage zumindest die Chance geben plausibel zu sein Natuumlrlich habennicht alle Menschen dieselben Gedanken beim Anblick einer Blume jedoch koumlnnensie dieselben Gedanken haben bei aller Verschiedenheit der Sprachen11 Aristoteleshaumltte zwar noch nicht gesehen dass das Denken sprachgebunden sein kann jedochverteidigt Weidemann ihn mit Frege demgemaumlszlig derselbe Sinn unterschiedlich ausge-druumlckt werden kann und daher weil es nur um unterschiedliche Faumlrbungen gleichsamum Akzidentielles geht in der Logik nicht beachtet werden muss Er zitiert aus FregesKleine Schriften dass die Menschheit trotz unterschiedlicher Sprachen einen gemein-samen Schatz von Gedanken habe12

Fuumlr Weidemann stellt die Passage 16a3-9 unter Voraussetzung der obigen Antwortenunmissverstaumlndlich ein Zeichenmodell dar das Freges moderne Semantik vorwegnimmtDie Gedanken sind demgemaumlszlig eine Relaisstation zwischen Dingen und sprachlichen Aus-druumlcken wobei er sich beeilt darauf hinzuweisen dass Frege mit Gedanken nicht - so wieAristoteles nach Weidemann - seelische Gebilde der Innenwelt unseres Bewusstseins meintsondern objektiv Vorhandenes das nur noch gefasst also ergriffen nicht mehr gebildetwerden muss Was bei Aristoteles nur angedeutet wird (siehe Frage 4) aber nicht klar her-auskommt ist die Unterscheidung zwischen der subjektiven Seite des Gedankens die dieFaumlrbung aber nicht den Sinn des Gedankens beeinflussen und dessen objektiven Seite

10Demgemaumlszlig duumlrfte es niemals Missverstaumlndnisse zwischen Sprecherin und Houmlrer geben Gerechterweisemuumlssen wir sagen dass es sich hier um ein stark simplifiziertes Houmlrerin-Sprecher-Modell handelt daausgeblendet ist dass - mit Aristoteles - verschieden Gesprochen und Geschrieben wird was Missver-staumlndnisse wieder einfuumlhren wuumlrde

11Mit dieser Erklaumlrung beruhigt sich die Irritation der Kognitionsforscherin aus dem ersten Lektuumlreanlaufim Abschnitt 12 ein wenig wobei sie sich wohl fragen wird ob es weniger dieselben Gedanken sindsondern viel mehr Annaumlherungen - im Modus einer strukturellen Kopplung Das scheint ein andererDiskurs zu sein auf den wir uns hier nicht einlassen

12(Aristoteles 1994 Vgl S147)

9

2 Auslegungen

dessen Inhalt gemeinsames Eigentum von vielen sein kann wie Frege sagt Wir scheinenuns hier die Verstaumlndigung zwischen Menschen durch eine uumlberindividuelle Sphaumlre vonGedanken13zu erklaumlren auf die die Menschen zugreifen um sich auf dasselbe beziehen zukoumlnnen (Aristoteles 1994 Vgl S150f)

Steht die Menge der Gedanken fuumlr alle Zeiten fest das heiszligt ist diese Sphaumlre invariantgegenuumlber Innovation Gibt es nichts Neues unter der Sonne

Mit dieser Frage beenden wir den zweiten Lektuumlreanlauf der einige Fragen aus dem ers-ten unmittelbaren Lektuumlreanlauf klaumlren konnte Etwa wurde die Unterscheidung zwischenZeichen Symbol und Abbild ein wenig spezifiziert Weiters sind wir mit der Deutung derseelischen Widerfahrnisse als Gedanken mitgegangen haben erfahren dass Geschriebenesund Gesprochnes Ausdruumlcke der Gedanken sind und dass sich in ihnen noch immer derBezug auf die Gemeinten Dinge befindet Und da es moumlglich ist dass andere Menschen -mit Hilfe einer uumlberindividuellen Sphaumlre - dieselben Gedanken denken ist eine Kommuni-kationsbasis und eine Bezugnahme auf dieselben Dinge moumlglich Dabei stelllt sich unterAnderem die Frage Wenn die Dinge nicht bloszlig als objektiv existierende Dinge sondern auchals Dinge der Vorstellung gedeutet werden in welchem Verhaumlltnis stehen diese dann zurobjektiven und uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken Beinhaltet diese auch den Bezugzu vorgestellten Dingen wie den beruumlhmten aristotelischen Bockhirsch Der gemeinsameSchatz von Gedanken in dieser Sphaumlre muumlsste um eine Kommunikation moumlglich zu ma-chen allein durch die kombinatorische Explosion der gemeinten existierenden Dinge schonuumlberabzahlbar groszlig und damit unbeherrschbar sein wenn wir Gedanke richtig verstandenhabe oder wenn Gedanken in diesem Sinne eine Sache des Verstehens sind

22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art

Francois Feacutedier unternimmt in seinem Aufsatz eine Relektuumlre des ersten Kapitels vonπερι ερmicroηνειας und kommt zu Deutungen der griechischen Termini die mit traditionellenUumlbersetzungen nicht immer vereinbar sind Eines der zentralen Momente das sich durchden ganzen Text durchzieht und der die obige Lektuumlre erschuumlttern muumlsste ist

Die aristotelische Analyse der Sprache bewegt sich in einem ganz anderen Ho-rizont als diejenige der Linguistik Es stehen nicht Elemente und Funktionenim Vordergrund sondern die Phaumlnomene das heiszligt das was die Dinge undihre Zustaumlnde erscheinen laumlsst14

Um dieses Moment besser zu verstehen starten wir einen erneuten Lektuumlreanlauf Feacutedieranalysiert Satz fuumlr Satz - teilweise Wort fuumlr Wort und kommt zu neuen Beleuchtungender griechishen Termini Er startet mit der Bemerkung dass der Text zumeist aus dem

13Weidemann verweist auf das stoische λεκτόν Sagbares ein Mittleres zwischen individuellen Gedankenund den Dingen

14(Feacutedier 1985 S3)

10

2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

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2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

12

2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

13

2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

14

2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

15

2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

16

2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

17

2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

18

2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

19

2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 311 Fragen 412 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse 4

2 Auslegungen 721 Der klassische Weg Weidemann 722 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art 10

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis 13222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt 15223 Das Anrufende 16

23 Zusammenfassung Was ist Sprache 18

A Tabelle mit Termini 21

B Literaturverzeichnis 24

2

1 Einleitung

Thema der vorliegenden kurzen Abhandlung sind die viel diskutierten ersten beiden Ab-saumltze von Aristoteles Werk ΠΕΡΙ ΕΡΜΗΝΕΙΑΣ 16a1-9

1 Πρicircτον δε θέσθαι τί Ocircνοmicroα κα τί middotAacutemicroα πειτα τί

2 στιν centπόφασις κα κατάφασις κα centπόφανσις κα λόγος

3 Εστι microν οacircν τbrvbar ν τIacute φωνIacute τicircν ν τIacute ψυχIacute παθη-

4 microάτων σύmicroβολα κα τbrvbar γραφόmicroενα τicircν ν τIacute φωνIacute

5 κα eacuteσπερ οUgraveδ γράmicromicroατα πcopyσι τbrvbar αUgraveτά οUgraveδ φωνα α

6 αUgraveταί iumlν microέντοι ταagraveτα σηmicroεα πρώτων ταUgraveτbrvbar πcopyσι πα-

7 θήmicroατα τAacuteς ψυχAacuteς κα iumlν ταagraveτα ETHmicroοιώmicroατα πράγmicroατα

8 frac12δη ταUgraveτά περ microν οacircν τούτων ερηται ν τος περ ψυ-

9 χAacuteς - yenλλης γbrvbarρ πραγmicroατείας

Eine gebraumluchliche englische Uumlbersetzung von EMEdghill1

bdquoFirst we must define the terms rsquonounrsquo and rsquoverbrsquo then the terms rsquodenialrsquoand rsquoaffirmationrsquo then rsquopropositionrsquo and rsquosentencersquoSpoken words are the symbols of mental experience and written words are

the symbols of spoken words Just as all men have not the same writing soall men have not the same speech sounds but the mental experiences whichthese directly symbolize are the same for all as also are those things of whichour experiences are the images This matter has however been discussed inmy treatise about the soul for it belongs to an investigation distinct from thatwhich lies before usldquo

Eine gebraumluchliche deutsche Uumlbersetzung von Weidemann2

bdquoZunaumlchst gilt es festzusetzen was ein Nennwort und was ein Aussagewortist sodann was eine Verneinung eine Bejahung eine Behauptung und einWortgefuumlge istNun sind die (sprachlichen) Aumluszligerungen unserer Stimme Symbole fuumlr das

was (beim Sprechen) unserer Seele widerfaumlhrt und unsere schriftlichen Aumlu-szligerungen sind wiederum Symbole fuumlr die (sprachlichen) Aumluszligerungen unsererStimme Und wie nicht alle Menschen mit denselben Buchstaben schreiben

1Online verfuumlgbar uumlber das Perseus-Projekt2Aristoteles (1994)

3

1 Einleitung

so sprechen sie auch nicht alle dieselbe Sprache Die seelischen Widerfahrnisseaber fuumlr welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zei-chen ist sind bei allen Menschen dieselben und uumlberdies sind auch schon dieDinge von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind fuumlr alledieselben Von diesen (seelischen Widerfahrnissen) nun ist bereits in den Buuml-chern uumlber die Seele die Rede gewesen denn sie sind Gegenstand einer anderenDisziplinldquo

11 Fragen

Bei der Beschaumlftigung mit dem Segment sind folgende allgemeine Fragen aufgetaucht

bull Was ist die traditionelle Interpretation dieser Zeilen Gibt es mehrere Interpreta-tionen Was ist die gebraumluchlichste und wirkmaumlchtigste Blickrichtung3 die diesenAuslegungen tendenziell zugrunde liegt

bull Was setzt Heidegger und mit ihm Feacutedier dieser Interpretation entgegenhinzu Istdas plausibel

bull Wie werden zentrale Termini klassisch durch Heidegger und in Anschluss an Heideg-ger uumlbersetzt

bull Welches Sprachverstaumlndnis ergibt sich jeweils aus diesen Uumlbersetzungen und Inter-pretationen

Waumlhrend der Lektuumlre wird versucht auf diese teils zusammenhaumlngenden Fragen zu achtenwobei in diesem als kurze Arbeit konzeptionierten Werk keine umfassende Beantwortungerfolgen kann

12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse

Im Ankuumlndigungstext des Lektuumlre-Proseminars in dessen Rahmen diese Arbeit geschriebenwird findet sich folgender Hinweis

bdquoVorsicht ist bei der Analyse der aristotelischen Texte erforderlich Denn Ari-stoteles wirkt oftmals betruumlgerisch Es ist daher empfehlenswert dass man ausder Lektuumlre der Texte des Aristoteles keinen uumlberstuumlrzten Schluss ziehtldquo4

3(Heidegger 2002 Vgl)4Segalerba (2009)

4

1 Einleitung

Um diese Warnung ernst zu nehmen muumlssen wir zunaumlchst in die Falle kommen und sehenob und wie die genaue Lektuumlre dieser kurzen aber wirkmaumlchtigen Zeilen uns aus dieserFalle heraushelfen Darum beginnen wir die Zeilen in der Weidemann-Uumlbersetzung aufeine naive Art zu lesen und - womoumlglich uumlberstuumlrzt - zu schlieszligen

1 Der Titel περι ερmicroηνειας wird uumlblicherweise mit bdquoDe Interpretationeldquo ins Lateinischeund mit bdquoLehre vom Satzldquo ins Deutsche uumlbersetzt

2 Der erste Absatz skizziert das Programm Es scheint zunaumlchst um Definitionen zugehen wie man sie auch in Grammatik-Lehrbuumlchern findet Verb Nomen Satzge-fuumlge Bejahung Verneinung Mit dem Wissen dass Aristoteles als Begruumlnder derrsquoklassischenrsquo Logik gilt findet man sehr leicht dass es um eine logische Analyse derSprache und den Gesetzmaumlszligigkeiten derselben geht

3 Die zentrale Stelle dieser Passage nennt folgende Zusammenhaumlnge

a) Der Seele (p) widerfaumlhrt etwas Das Ergebnis sind die seelischen Widerfahrnisse(pd)

b) Die seelischen Widerfahrnisse (pd) sind ein Abbild der Dinge (d)

c) Die sprachlichen Aumluszligerungen (spd) sind Symbole von den seelischen Widerfahr-nissen (pd)

d) Die schriftlichen Aumluszligerungen (sspd) sind Symbole der sprachlichen Aumluszligerungen(spd)

e) Fuumlr die seelischen Widerfahrnisse (pd) ist das Geschriebene und Gesprochenersquoan erster Stellersquo ein Zeichen

f) Waumlhrend seelische Widerfahrnisse (pd) und Dinge (d) fuumlr alle Menschen diesel-ben sind sind Sprache und Schrift (spd) und (sspd) unterschiedlich

4 Aristoteles hat offenbar an anderer Stelle (De Anima) genauer uumlber die seelischenWiderfahrnisse geschrieben

Die Frage was unter seelischen Widerfahrnissen zu verstehen ist Gedanken oder Wahr-nehmungen - oder beides wird nicht entfaltet Ausgehend von obiger Interpretation scheintaber nahe zu liegen Der Bereich der seelischen Widerfahrnisse ist unsprachlich Sprachli-che Ausdruumlcke (Geschriebenes oder Gesprochenes) druumlcken seelische Widerfahrnisse ausindem sie Symbole derselben sind Umgekehrt sind sprachliche Ausdruumlcke Zeichen fuumlr dieseelischen Widerfahrnisse Was heiszligt jedoch ein Symbol oder Zeichen fuumlr etwas sein

Ein Symbol traumlgt in erster Annaumlherung eine oder mehrere Bedeutungen Demzufolge waumlredie Bedeutung des Lauts jenes seelische Widerfahrnis von dem der Laut das Symbol ist DieBedeutung eines Schriftzeichens waumlre jener Laut von dem das Schriftzeichen das Symbolist

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1 Einleitung

Neben den beiden Symbolbeziehungen durch die seelische Widerfahrnisse offenbar zumAusdruck gebracht werden gibt es noch eine Abbildbeziehung zwischen dem Ding (in derWelt) und dem seelischen Widerfahrnis Was unterscheidet ein Abbild von einem SymbolWieder in erster Annaumlherung Ein Symbol steht fuumlr sich dessen Erscheinungsform mussmit den Bedeutungen die es traumlgt nichts zu tun haben Ein Abbild dagegen ist die Kopieeines Urbilds und daher von ihm abhaumlngig Das Abhaumlngigkeitsverhaumlltnis wird direkt imText deutlich Da die Dinge fuumlr alle Menschen dieselben sind sind auch die seelischenWiderfahrnisse welche Abbilder der Dinge sind fuumlr alle dieselben bzw umgekehrt daswird nicht deutlich

Dies ist fuumlr uns Heutige irritierend und jede Kognitionsforscherin wuumlrde laut aufschreienDas Ding und die seelischen Widerfahrnisse haumlngen damit nicht nur kausal miteinanderzusammen sondern sie gleichen einer mathematischen Funktion oder Relation Zu jedemDing gibt es eine genau festgelegte Menge von seelischen Widerfahrnissen (ob es ein odermehrere Widerfahrnisse sind wird aus dem Text nicht deutlich) Und jeder der ein Menschist empfaumlngt bei (sinnlichen) rsquoKontaktrsquo mit dem Ding dieselben seelischen WiderfahrnisseDie Mannigfaltigkeit und die Verwirrung kaumlmen demnach erst zustande nachdem man sichsprachlich ausdruumlckt

Zusammenfassend kann man also - wir sind noch im naiven Lektuumlremodus folgende Kau-salketten feststellen wobei die Pfeile Beziehungen symbolisieren und A fuumlr Abbild S fuumlrSymbol und Z fuumlr Zeichen steht

bull Ding Aminusrarr seelisches Widerfahrnis Sminusrarr Gesprochenes Sminusrarr Geschriebenes

bull GeschriebenesGesprochenes Zminusrarr seelisches Widerfahrnis Aminusrarr Ding

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2 Auslegungen

Der Text wurde seit jeher stark rezipiert und dessen Interpretation und Bedeutung bleibtweiterhin umstritten1 Untersuchen wir in welchem Verhaumlltnis sich die obige Annaumlherungzu bestehenden Auslegungen befindet Gelesen werden

bull Das Kommentar von Weidemann in Aristoteles (1994)

bull Feacutedier (1985) ein franzoumlsischer Text von den mir gluumlcklicherweise eine deutscheUumlbersetzung zur Verfuumlgung steht und der das erste Kapitel des Werks neu uumlbersetztund interpretiert 2

bull ein Text von Matthias Flatscher uumlber Aristoteles und Heidegger in der das Sprach-verstaumlndnis von Heidegger und das Spannungsverhaumlltnis das Heidegger stets zu Ari-stoteles hatte geschildert wirdFlatscher (2005)

bull und Texte von Heidegger um in sein Sprachverstaumlndnis einzusteigen

Wichtige Deutungen der griechischen Termini die sich waumlhrend der Lektuumlre ergeben sindin einer Tabelle am Ende der Arbeit in Anhang A zusammengefasst3

21 Der klassische Weg Weidemann

Der Weidemann-Kommentar4 ist insofern passend als er die Auslegungen und philolo-gischen Untersuchungen einer Reihe von anderen Autoren uumlber dieses Segment zusam-

1Weidemannn verweist auf mehrere Personen aus unterschiedlichen Jahrhunderten die eine Interpreta-tion dieses Werks als schwierig oder gar unmoumlglich einstuften teils aufgrund der Komprimiertheit derAussagen (Aristoteles 1994 Vgl S94Fuszlignote 10)

2Dafuumlr ist Johanna Gaitsch vom Insitut fuumlr Philosophie an der Universitaumlt Wien zweifach zu dankenerstens aufgrund der von ihr durchgefuumlhrten Uumlbersetzung zweitens dafuumlr dass Sie mir eine Kopiedieser unveroumlffentlichten Uumlbersetzung zukommen lieszlig Ohne dieser Umstaumlnde waumlre es mir nicht moumlg-lich gewesen diesen Text zu lesen Fehlerhafte Schluumlsse aus der Uumlbersetzung sind jedoch allein mirzuzuschreiben

3Empfehlung Um der Arbeit folgen zu koumlnnen sollte man sich den griechischen Text sowie die Weidemann-Uumlbersetzung aus dem Einleitungsabschnitt 1 gesondert auf den rsquoDesktoprsquo zu legen Fuumlr eine intensivereBeschaumlftigung sollte dies auch mit der Tabelle der Deutungen griechischer Termini im Anhang A ge-schehen Diese Arbeitsmethode hat sich auch fuumlr das Lesen der Texte von Weidemann und Feacutedier alssinnvoll herausgestellt Man ist bei der Lektuumlre auf Parallelprozesse rsquoPattern-Matchingrsquo Synchronisa-tion und idealerweise geteilte Arbeitsflaumlchen angewiesen

4(Aristoteles 1994 Vgl S133-153)

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2 Auslegungen

menfasst und abwaumlgt um auf dieser Basis selbst eine gebuumlndelte Auslegung abzugebenDadurch haben wir einen guten Uumlberblick uumlber traditionelle Interpretationen und koumlnnengemeinsame Merkmale herausheben

Fuumlr Weidemann geht es im 1 Kapitel um (1) sprachliche Ausdruumlcke in denen (2) Gedankenausgedruumlckt werden (3) wobei diese Gedanken bestimmte Dinge meinen5 Es wird also dasVerhaumlltnis von sprachlichen Ausdruumlcken Gedanken und gemeinten Dingen behandelt Dasist noch nicht weit weg von den Erkenntnissen im Abschnitt 12 wo wir in einem mehrintuitiven unmittelbaren Lektuumlremodus gearbeitet haben Doch sehen wir uns weiter anwie er den zentralen Abschnitt 16a3-9 interpretiert Hierfuumlr stellt er vier Fragen die wirzugleich mit einer komprimierten Version der Antworten (ohne die von ihm durchgefuumlhrtenAbwaumlgungen) nennen6

1 Was ist unter folgenden drei Termen zu verstehen

a) rsquoAumluszligerungen unserer Stimmersquo ( τbrvbar ν τIacute φωνIacute)7 Gemeint sind nicht alle stimm-lichen Aumluszligerungen sondern die menschlichen da sie seelische Widerfahrnissesymbolisieren von Schriftzeichen symbolisiert werden und selbst nicht-natuumlrlicheLautzeichen sind

b) rsquoWiderfahrnisse der (bzw in der) Seelersquo ( τicircν ν τIacute ψυχIacute ) Was widerfaumlhrt unsda Die Seele denkt Gedanken Indem sie sie denkt kommt sie bei den Dingenrsquozum stehenrsquo8 und das heiszligt die Seele meint diese Dinge Den Gedanken diedie Seele denkt wird mit Woumlrtern Ausdruck verliehen Die seelischen Wider-fahrnisse sind die Gedanken

c) rsquoDingersquo ( πράγmicroατα ) Dinge sind hier in einem weitlaumlufigen Sinn gemeint DieDinge muumlssen nicht existieren sie muumlssen sich nur denken und aussprechenlassen

2 Was heiszligt es dass

a) die Aumluszligerungen der Stimme SymboleZeichen σύmicroβολα σηmicroεα fuumlr seelischeWiderfahrnisse sind Symbole sind sprachliche Aumluszligerungen der Stimme undhaben Zeichencharakter dh ihre Bedeutung ist nicht naturgegeben sonderndurch Uumlbereinkunft entstanden wie Aristoteles in Kapitel 2 (16a26-29) erlaumlu-tert Symbole kennzeichnen aber zusaumltzlich zum Zeichencharakter dass Spracheund Denken parallel laufen und zusammengehoumlren was auch die Ethymologiedes Wortes nahe legt9

5(Aristoteles 1994 S44)6(Aristoteles 1994 S135-148)7Die woumlrtliche Uumlbersetzung nach Weidemann rsquoDas mit der Stimme geaumluszligertersquo8Hier wird ein Bezug zu Kapitel 14 erlaumlutert wo es in 437 A 4f heiszligt dass das Verstehen rsquounsere Seelebei den Dingen zum Stehen kommen laumlsstrsquo

9Zur Ethymologie siehe auch Tabelle im Anhang A

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2 Auslegungen

b) die seelischen Widerfahrnisse Abbildungen ETHmicroοιώmicroατα von Dingen sind Eshandelt sich nach Weidemann weder um Abbilder wie bei einem Photoappa-rat noch um Wahrnehmungen oder Vorstellungen sondern darum dass wir dieDinge zum Stehen bringen im oben genannten Sinn des rsquoMeinensrsquo Dies wirdanhand einer Gespraumlchssituation erlaumlutert Wenn der Sprecher einen Gedankendenkt und dabei an ein Ding denkt und der Houmlrer diesen Gedanken denkt wirder auch an dieses Ding denken10

3 Wenn stimmliche Aumluszligerungen an erster Stelle Zeichen fuumlr seelische Widerfahrnissesind was sind sie dann an zweiter Stelle Symbole fuumlr seelische Widerfahrnisse Be-zeichnen sie Dinge Oder sind die schriftlichen Aumluszligerungen Zeichen fuumlr die seelischenWiderfahrnisse Dann bezoumlge sich an erster Stelle auf die seelischen Widerfahrnissenicht auf die stimmtlichen Aumluszligerungen Weidemann argumentiert dass sehr viel dafuumlrspricht dass unsere sprachlichen Aumluszligerungen an zweiter Stelle die Dinge bezeichnen

4 Was heiszligt dass sowohl die von den seelischen Widerfahrnissen abgebildeten Dingeals auch die seelischen Widerfahrnisse selbst fuumlr alle Menschen dieselben sind Mansoll dieser Aussage zumindest die Chance geben plausibel zu sein Natuumlrlich habennicht alle Menschen dieselben Gedanken beim Anblick einer Blume jedoch koumlnnensie dieselben Gedanken haben bei aller Verschiedenheit der Sprachen11 Aristoteleshaumltte zwar noch nicht gesehen dass das Denken sprachgebunden sein kann jedochverteidigt Weidemann ihn mit Frege demgemaumlszlig derselbe Sinn unterschiedlich ausge-druumlckt werden kann und daher weil es nur um unterschiedliche Faumlrbungen gleichsamum Akzidentielles geht in der Logik nicht beachtet werden muss Er zitiert aus FregesKleine Schriften dass die Menschheit trotz unterschiedlicher Sprachen einen gemein-samen Schatz von Gedanken habe12

Fuumlr Weidemann stellt die Passage 16a3-9 unter Voraussetzung der obigen Antwortenunmissverstaumlndlich ein Zeichenmodell dar das Freges moderne Semantik vorwegnimmtDie Gedanken sind demgemaumlszlig eine Relaisstation zwischen Dingen und sprachlichen Aus-druumlcken wobei er sich beeilt darauf hinzuweisen dass Frege mit Gedanken nicht - so wieAristoteles nach Weidemann - seelische Gebilde der Innenwelt unseres Bewusstseins meintsondern objektiv Vorhandenes das nur noch gefasst also ergriffen nicht mehr gebildetwerden muss Was bei Aristoteles nur angedeutet wird (siehe Frage 4) aber nicht klar her-auskommt ist die Unterscheidung zwischen der subjektiven Seite des Gedankens die dieFaumlrbung aber nicht den Sinn des Gedankens beeinflussen und dessen objektiven Seite

10Demgemaumlszlig duumlrfte es niemals Missverstaumlndnisse zwischen Sprecherin und Houmlrer geben Gerechterweisemuumlssen wir sagen dass es sich hier um ein stark simplifiziertes Houmlrerin-Sprecher-Modell handelt daausgeblendet ist dass - mit Aristoteles - verschieden Gesprochen und Geschrieben wird was Missver-staumlndnisse wieder einfuumlhren wuumlrde

11Mit dieser Erklaumlrung beruhigt sich die Irritation der Kognitionsforscherin aus dem ersten Lektuumlreanlaufim Abschnitt 12 ein wenig wobei sie sich wohl fragen wird ob es weniger dieselben Gedanken sindsondern viel mehr Annaumlherungen - im Modus einer strukturellen Kopplung Das scheint ein andererDiskurs zu sein auf den wir uns hier nicht einlassen

12(Aristoteles 1994 Vgl S147)

9

2 Auslegungen

dessen Inhalt gemeinsames Eigentum von vielen sein kann wie Frege sagt Wir scheinenuns hier die Verstaumlndigung zwischen Menschen durch eine uumlberindividuelle Sphaumlre vonGedanken13zu erklaumlren auf die die Menschen zugreifen um sich auf dasselbe beziehen zukoumlnnen (Aristoteles 1994 Vgl S150f)

Steht die Menge der Gedanken fuumlr alle Zeiten fest das heiszligt ist diese Sphaumlre invariantgegenuumlber Innovation Gibt es nichts Neues unter der Sonne

Mit dieser Frage beenden wir den zweiten Lektuumlreanlauf der einige Fragen aus dem ers-ten unmittelbaren Lektuumlreanlauf klaumlren konnte Etwa wurde die Unterscheidung zwischenZeichen Symbol und Abbild ein wenig spezifiziert Weiters sind wir mit der Deutung derseelischen Widerfahrnisse als Gedanken mitgegangen haben erfahren dass Geschriebenesund Gesprochnes Ausdruumlcke der Gedanken sind und dass sich in ihnen noch immer derBezug auf die Gemeinten Dinge befindet Und da es moumlglich ist dass andere Menschen -mit Hilfe einer uumlberindividuellen Sphaumlre - dieselben Gedanken denken ist eine Kommuni-kationsbasis und eine Bezugnahme auf dieselben Dinge moumlglich Dabei stelllt sich unterAnderem die Frage Wenn die Dinge nicht bloszlig als objektiv existierende Dinge sondern auchals Dinge der Vorstellung gedeutet werden in welchem Verhaumlltnis stehen diese dann zurobjektiven und uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken Beinhaltet diese auch den Bezugzu vorgestellten Dingen wie den beruumlhmten aristotelischen Bockhirsch Der gemeinsameSchatz von Gedanken in dieser Sphaumlre muumlsste um eine Kommunikation moumlglich zu ma-chen allein durch die kombinatorische Explosion der gemeinten existierenden Dinge schonuumlberabzahlbar groszlig und damit unbeherrschbar sein wenn wir Gedanke richtig verstandenhabe oder wenn Gedanken in diesem Sinne eine Sache des Verstehens sind

22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art

Francois Feacutedier unternimmt in seinem Aufsatz eine Relektuumlre des ersten Kapitels vonπερι ερmicroηνειας und kommt zu Deutungen der griechischen Termini die mit traditionellenUumlbersetzungen nicht immer vereinbar sind Eines der zentralen Momente das sich durchden ganzen Text durchzieht und der die obige Lektuumlre erschuumlttern muumlsste ist

Die aristotelische Analyse der Sprache bewegt sich in einem ganz anderen Ho-rizont als diejenige der Linguistik Es stehen nicht Elemente und Funktionenim Vordergrund sondern die Phaumlnomene das heiszligt das was die Dinge undihre Zustaumlnde erscheinen laumlsst14

Um dieses Moment besser zu verstehen starten wir einen erneuten Lektuumlreanlauf Feacutedieranalysiert Satz fuumlr Satz - teilweise Wort fuumlr Wort und kommt zu neuen Beleuchtungender griechishen Termini Er startet mit der Bemerkung dass der Text zumeist aus dem

13Weidemann verweist auf das stoische λεκτόν Sagbares ein Mittleres zwischen individuellen Gedankenund den Dingen

14(Feacutedier 1985 S3)

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2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

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2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

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2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

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2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

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2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

17

2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

18

2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

19

2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Thema der vorliegenden kurzen Abhandlung sind die viel diskutierten ersten beiden Ab-saumltze von Aristoteles Werk ΠΕΡΙ ΕΡΜΗΝΕΙΑΣ 16a1-9

1 Πρicircτον δε θέσθαι τί Ocircνοmicroα κα τί middotAacutemicroα πειτα τί

2 στιν centπόφασις κα κατάφασις κα centπόφανσις κα λόγος

3 Εστι microν οacircν τbrvbar ν τIacute φωνIacute τicircν ν τIacute ψυχIacute παθη-

4 microάτων σύmicroβολα κα τbrvbar γραφόmicroενα τicircν ν τIacute φωνIacute

5 κα eacuteσπερ οUgraveδ γράmicromicroατα πcopyσι τbrvbar αUgraveτά οUgraveδ φωνα α

6 αUgraveταί iumlν microέντοι ταagraveτα σηmicroεα πρώτων ταUgraveτbrvbar πcopyσι πα-

7 θήmicroατα τAacuteς ψυχAacuteς κα iumlν ταagraveτα ETHmicroοιώmicroατα πράγmicroατα

8 frac12δη ταUgraveτά περ microν οacircν τούτων ερηται ν τος περ ψυ-

9 χAacuteς - yenλλης γbrvbarρ πραγmicroατείας

Eine gebraumluchliche englische Uumlbersetzung von EMEdghill1

bdquoFirst we must define the terms rsquonounrsquo and rsquoverbrsquo then the terms rsquodenialrsquoand rsquoaffirmationrsquo then rsquopropositionrsquo and rsquosentencersquoSpoken words are the symbols of mental experience and written words are

the symbols of spoken words Just as all men have not the same writing soall men have not the same speech sounds but the mental experiences whichthese directly symbolize are the same for all as also are those things of whichour experiences are the images This matter has however been discussed inmy treatise about the soul for it belongs to an investigation distinct from thatwhich lies before usldquo

Eine gebraumluchliche deutsche Uumlbersetzung von Weidemann2

bdquoZunaumlchst gilt es festzusetzen was ein Nennwort und was ein Aussagewortist sodann was eine Verneinung eine Bejahung eine Behauptung und einWortgefuumlge istNun sind die (sprachlichen) Aumluszligerungen unserer Stimme Symbole fuumlr das

was (beim Sprechen) unserer Seele widerfaumlhrt und unsere schriftlichen Aumlu-szligerungen sind wiederum Symbole fuumlr die (sprachlichen) Aumluszligerungen unsererStimme Und wie nicht alle Menschen mit denselben Buchstaben schreiben

1Online verfuumlgbar uumlber das Perseus-Projekt2Aristoteles (1994)

3

1 Einleitung

so sprechen sie auch nicht alle dieselbe Sprache Die seelischen Widerfahrnisseaber fuumlr welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zei-chen ist sind bei allen Menschen dieselben und uumlberdies sind auch schon dieDinge von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind fuumlr alledieselben Von diesen (seelischen Widerfahrnissen) nun ist bereits in den Buuml-chern uumlber die Seele die Rede gewesen denn sie sind Gegenstand einer anderenDisziplinldquo

11 Fragen

Bei der Beschaumlftigung mit dem Segment sind folgende allgemeine Fragen aufgetaucht

bull Was ist die traditionelle Interpretation dieser Zeilen Gibt es mehrere Interpreta-tionen Was ist die gebraumluchlichste und wirkmaumlchtigste Blickrichtung3 die diesenAuslegungen tendenziell zugrunde liegt

bull Was setzt Heidegger und mit ihm Feacutedier dieser Interpretation entgegenhinzu Istdas plausibel

bull Wie werden zentrale Termini klassisch durch Heidegger und in Anschluss an Heideg-ger uumlbersetzt

bull Welches Sprachverstaumlndnis ergibt sich jeweils aus diesen Uumlbersetzungen und Inter-pretationen

Waumlhrend der Lektuumlre wird versucht auf diese teils zusammenhaumlngenden Fragen zu achtenwobei in diesem als kurze Arbeit konzeptionierten Werk keine umfassende Beantwortungerfolgen kann

12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse

Im Ankuumlndigungstext des Lektuumlre-Proseminars in dessen Rahmen diese Arbeit geschriebenwird findet sich folgender Hinweis

bdquoVorsicht ist bei der Analyse der aristotelischen Texte erforderlich Denn Ari-stoteles wirkt oftmals betruumlgerisch Es ist daher empfehlenswert dass man ausder Lektuumlre der Texte des Aristoteles keinen uumlberstuumlrzten Schluss ziehtldquo4

3(Heidegger 2002 Vgl)4Segalerba (2009)

4

1 Einleitung

Um diese Warnung ernst zu nehmen muumlssen wir zunaumlchst in die Falle kommen und sehenob und wie die genaue Lektuumlre dieser kurzen aber wirkmaumlchtigen Zeilen uns aus dieserFalle heraushelfen Darum beginnen wir die Zeilen in der Weidemann-Uumlbersetzung aufeine naive Art zu lesen und - womoumlglich uumlberstuumlrzt - zu schlieszligen

1 Der Titel περι ερmicroηνειας wird uumlblicherweise mit bdquoDe Interpretationeldquo ins Lateinischeund mit bdquoLehre vom Satzldquo ins Deutsche uumlbersetzt

2 Der erste Absatz skizziert das Programm Es scheint zunaumlchst um Definitionen zugehen wie man sie auch in Grammatik-Lehrbuumlchern findet Verb Nomen Satzge-fuumlge Bejahung Verneinung Mit dem Wissen dass Aristoteles als Begruumlnder derrsquoklassischenrsquo Logik gilt findet man sehr leicht dass es um eine logische Analyse derSprache und den Gesetzmaumlszligigkeiten derselben geht

3 Die zentrale Stelle dieser Passage nennt folgende Zusammenhaumlnge

a) Der Seele (p) widerfaumlhrt etwas Das Ergebnis sind die seelischen Widerfahrnisse(pd)

b) Die seelischen Widerfahrnisse (pd) sind ein Abbild der Dinge (d)

c) Die sprachlichen Aumluszligerungen (spd) sind Symbole von den seelischen Widerfahr-nissen (pd)

d) Die schriftlichen Aumluszligerungen (sspd) sind Symbole der sprachlichen Aumluszligerungen(spd)

e) Fuumlr die seelischen Widerfahrnisse (pd) ist das Geschriebene und Gesprochenersquoan erster Stellersquo ein Zeichen

f) Waumlhrend seelische Widerfahrnisse (pd) und Dinge (d) fuumlr alle Menschen diesel-ben sind sind Sprache und Schrift (spd) und (sspd) unterschiedlich

4 Aristoteles hat offenbar an anderer Stelle (De Anima) genauer uumlber die seelischenWiderfahrnisse geschrieben

Die Frage was unter seelischen Widerfahrnissen zu verstehen ist Gedanken oder Wahr-nehmungen - oder beides wird nicht entfaltet Ausgehend von obiger Interpretation scheintaber nahe zu liegen Der Bereich der seelischen Widerfahrnisse ist unsprachlich Sprachli-che Ausdruumlcke (Geschriebenes oder Gesprochenes) druumlcken seelische Widerfahrnisse ausindem sie Symbole derselben sind Umgekehrt sind sprachliche Ausdruumlcke Zeichen fuumlr dieseelischen Widerfahrnisse Was heiszligt jedoch ein Symbol oder Zeichen fuumlr etwas sein

Ein Symbol traumlgt in erster Annaumlherung eine oder mehrere Bedeutungen Demzufolge waumlredie Bedeutung des Lauts jenes seelische Widerfahrnis von dem der Laut das Symbol ist DieBedeutung eines Schriftzeichens waumlre jener Laut von dem das Schriftzeichen das Symbolist

5

1 Einleitung

Neben den beiden Symbolbeziehungen durch die seelische Widerfahrnisse offenbar zumAusdruck gebracht werden gibt es noch eine Abbildbeziehung zwischen dem Ding (in derWelt) und dem seelischen Widerfahrnis Was unterscheidet ein Abbild von einem SymbolWieder in erster Annaumlherung Ein Symbol steht fuumlr sich dessen Erscheinungsform mussmit den Bedeutungen die es traumlgt nichts zu tun haben Ein Abbild dagegen ist die Kopieeines Urbilds und daher von ihm abhaumlngig Das Abhaumlngigkeitsverhaumlltnis wird direkt imText deutlich Da die Dinge fuumlr alle Menschen dieselben sind sind auch die seelischenWiderfahrnisse welche Abbilder der Dinge sind fuumlr alle dieselben bzw umgekehrt daswird nicht deutlich

Dies ist fuumlr uns Heutige irritierend und jede Kognitionsforscherin wuumlrde laut aufschreienDas Ding und die seelischen Widerfahrnisse haumlngen damit nicht nur kausal miteinanderzusammen sondern sie gleichen einer mathematischen Funktion oder Relation Zu jedemDing gibt es eine genau festgelegte Menge von seelischen Widerfahrnissen (ob es ein odermehrere Widerfahrnisse sind wird aus dem Text nicht deutlich) Und jeder der ein Menschist empfaumlngt bei (sinnlichen) rsquoKontaktrsquo mit dem Ding dieselben seelischen WiderfahrnisseDie Mannigfaltigkeit und die Verwirrung kaumlmen demnach erst zustande nachdem man sichsprachlich ausdruumlckt

Zusammenfassend kann man also - wir sind noch im naiven Lektuumlremodus folgende Kau-salketten feststellen wobei die Pfeile Beziehungen symbolisieren und A fuumlr Abbild S fuumlrSymbol und Z fuumlr Zeichen steht

bull Ding Aminusrarr seelisches Widerfahrnis Sminusrarr Gesprochenes Sminusrarr Geschriebenes

bull GeschriebenesGesprochenes Zminusrarr seelisches Widerfahrnis Aminusrarr Ding

6

2 Auslegungen

Der Text wurde seit jeher stark rezipiert und dessen Interpretation und Bedeutung bleibtweiterhin umstritten1 Untersuchen wir in welchem Verhaumlltnis sich die obige Annaumlherungzu bestehenden Auslegungen befindet Gelesen werden

bull Das Kommentar von Weidemann in Aristoteles (1994)

bull Feacutedier (1985) ein franzoumlsischer Text von den mir gluumlcklicherweise eine deutscheUumlbersetzung zur Verfuumlgung steht und der das erste Kapitel des Werks neu uumlbersetztund interpretiert 2

bull ein Text von Matthias Flatscher uumlber Aristoteles und Heidegger in der das Sprach-verstaumlndnis von Heidegger und das Spannungsverhaumlltnis das Heidegger stets zu Ari-stoteles hatte geschildert wirdFlatscher (2005)

bull und Texte von Heidegger um in sein Sprachverstaumlndnis einzusteigen

Wichtige Deutungen der griechischen Termini die sich waumlhrend der Lektuumlre ergeben sindin einer Tabelle am Ende der Arbeit in Anhang A zusammengefasst3

21 Der klassische Weg Weidemann

Der Weidemann-Kommentar4 ist insofern passend als er die Auslegungen und philolo-gischen Untersuchungen einer Reihe von anderen Autoren uumlber dieses Segment zusam-

1Weidemannn verweist auf mehrere Personen aus unterschiedlichen Jahrhunderten die eine Interpreta-tion dieses Werks als schwierig oder gar unmoumlglich einstuften teils aufgrund der Komprimiertheit derAussagen (Aristoteles 1994 Vgl S94Fuszlignote 10)

2Dafuumlr ist Johanna Gaitsch vom Insitut fuumlr Philosophie an der Universitaumlt Wien zweifach zu dankenerstens aufgrund der von ihr durchgefuumlhrten Uumlbersetzung zweitens dafuumlr dass Sie mir eine Kopiedieser unveroumlffentlichten Uumlbersetzung zukommen lieszlig Ohne dieser Umstaumlnde waumlre es mir nicht moumlg-lich gewesen diesen Text zu lesen Fehlerhafte Schluumlsse aus der Uumlbersetzung sind jedoch allein mirzuzuschreiben

3Empfehlung Um der Arbeit folgen zu koumlnnen sollte man sich den griechischen Text sowie die Weidemann-Uumlbersetzung aus dem Einleitungsabschnitt 1 gesondert auf den rsquoDesktoprsquo zu legen Fuumlr eine intensivereBeschaumlftigung sollte dies auch mit der Tabelle der Deutungen griechischer Termini im Anhang A ge-schehen Diese Arbeitsmethode hat sich auch fuumlr das Lesen der Texte von Weidemann und Feacutedier alssinnvoll herausgestellt Man ist bei der Lektuumlre auf Parallelprozesse rsquoPattern-Matchingrsquo Synchronisa-tion und idealerweise geteilte Arbeitsflaumlchen angewiesen

4(Aristoteles 1994 Vgl S133-153)

7

2 Auslegungen

menfasst und abwaumlgt um auf dieser Basis selbst eine gebuumlndelte Auslegung abzugebenDadurch haben wir einen guten Uumlberblick uumlber traditionelle Interpretationen und koumlnnengemeinsame Merkmale herausheben

Fuumlr Weidemann geht es im 1 Kapitel um (1) sprachliche Ausdruumlcke in denen (2) Gedankenausgedruumlckt werden (3) wobei diese Gedanken bestimmte Dinge meinen5 Es wird also dasVerhaumlltnis von sprachlichen Ausdruumlcken Gedanken und gemeinten Dingen behandelt Dasist noch nicht weit weg von den Erkenntnissen im Abschnitt 12 wo wir in einem mehrintuitiven unmittelbaren Lektuumlremodus gearbeitet haben Doch sehen wir uns weiter anwie er den zentralen Abschnitt 16a3-9 interpretiert Hierfuumlr stellt er vier Fragen die wirzugleich mit einer komprimierten Version der Antworten (ohne die von ihm durchgefuumlhrtenAbwaumlgungen) nennen6

1 Was ist unter folgenden drei Termen zu verstehen

a) rsquoAumluszligerungen unserer Stimmersquo ( τbrvbar ν τIacute φωνIacute)7 Gemeint sind nicht alle stimm-lichen Aumluszligerungen sondern die menschlichen da sie seelische Widerfahrnissesymbolisieren von Schriftzeichen symbolisiert werden und selbst nicht-natuumlrlicheLautzeichen sind

b) rsquoWiderfahrnisse der (bzw in der) Seelersquo ( τicircν ν τIacute ψυχIacute ) Was widerfaumlhrt unsda Die Seele denkt Gedanken Indem sie sie denkt kommt sie bei den Dingenrsquozum stehenrsquo8 und das heiszligt die Seele meint diese Dinge Den Gedanken diedie Seele denkt wird mit Woumlrtern Ausdruck verliehen Die seelischen Wider-fahrnisse sind die Gedanken

c) rsquoDingersquo ( πράγmicroατα ) Dinge sind hier in einem weitlaumlufigen Sinn gemeint DieDinge muumlssen nicht existieren sie muumlssen sich nur denken und aussprechenlassen

2 Was heiszligt es dass

a) die Aumluszligerungen der Stimme SymboleZeichen σύmicroβολα σηmicroεα fuumlr seelischeWiderfahrnisse sind Symbole sind sprachliche Aumluszligerungen der Stimme undhaben Zeichencharakter dh ihre Bedeutung ist nicht naturgegeben sonderndurch Uumlbereinkunft entstanden wie Aristoteles in Kapitel 2 (16a26-29) erlaumlu-tert Symbole kennzeichnen aber zusaumltzlich zum Zeichencharakter dass Spracheund Denken parallel laufen und zusammengehoumlren was auch die Ethymologiedes Wortes nahe legt9

5(Aristoteles 1994 S44)6(Aristoteles 1994 S135-148)7Die woumlrtliche Uumlbersetzung nach Weidemann rsquoDas mit der Stimme geaumluszligertersquo8Hier wird ein Bezug zu Kapitel 14 erlaumlutert wo es in 437 A 4f heiszligt dass das Verstehen rsquounsere Seelebei den Dingen zum Stehen kommen laumlsstrsquo

9Zur Ethymologie siehe auch Tabelle im Anhang A

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2 Auslegungen

b) die seelischen Widerfahrnisse Abbildungen ETHmicroοιώmicroατα von Dingen sind Eshandelt sich nach Weidemann weder um Abbilder wie bei einem Photoappa-rat noch um Wahrnehmungen oder Vorstellungen sondern darum dass wir dieDinge zum Stehen bringen im oben genannten Sinn des rsquoMeinensrsquo Dies wirdanhand einer Gespraumlchssituation erlaumlutert Wenn der Sprecher einen Gedankendenkt und dabei an ein Ding denkt und der Houmlrer diesen Gedanken denkt wirder auch an dieses Ding denken10

3 Wenn stimmliche Aumluszligerungen an erster Stelle Zeichen fuumlr seelische Widerfahrnissesind was sind sie dann an zweiter Stelle Symbole fuumlr seelische Widerfahrnisse Be-zeichnen sie Dinge Oder sind die schriftlichen Aumluszligerungen Zeichen fuumlr die seelischenWiderfahrnisse Dann bezoumlge sich an erster Stelle auf die seelischen Widerfahrnissenicht auf die stimmtlichen Aumluszligerungen Weidemann argumentiert dass sehr viel dafuumlrspricht dass unsere sprachlichen Aumluszligerungen an zweiter Stelle die Dinge bezeichnen

4 Was heiszligt dass sowohl die von den seelischen Widerfahrnissen abgebildeten Dingeals auch die seelischen Widerfahrnisse selbst fuumlr alle Menschen dieselben sind Mansoll dieser Aussage zumindest die Chance geben plausibel zu sein Natuumlrlich habennicht alle Menschen dieselben Gedanken beim Anblick einer Blume jedoch koumlnnensie dieselben Gedanken haben bei aller Verschiedenheit der Sprachen11 Aristoteleshaumltte zwar noch nicht gesehen dass das Denken sprachgebunden sein kann jedochverteidigt Weidemann ihn mit Frege demgemaumlszlig derselbe Sinn unterschiedlich ausge-druumlckt werden kann und daher weil es nur um unterschiedliche Faumlrbungen gleichsamum Akzidentielles geht in der Logik nicht beachtet werden muss Er zitiert aus FregesKleine Schriften dass die Menschheit trotz unterschiedlicher Sprachen einen gemein-samen Schatz von Gedanken habe12

Fuumlr Weidemann stellt die Passage 16a3-9 unter Voraussetzung der obigen Antwortenunmissverstaumlndlich ein Zeichenmodell dar das Freges moderne Semantik vorwegnimmtDie Gedanken sind demgemaumlszlig eine Relaisstation zwischen Dingen und sprachlichen Aus-druumlcken wobei er sich beeilt darauf hinzuweisen dass Frege mit Gedanken nicht - so wieAristoteles nach Weidemann - seelische Gebilde der Innenwelt unseres Bewusstseins meintsondern objektiv Vorhandenes das nur noch gefasst also ergriffen nicht mehr gebildetwerden muss Was bei Aristoteles nur angedeutet wird (siehe Frage 4) aber nicht klar her-auskommt ist die Unterscheidung zwischen der subjektiven Seite des Gedankens die dieFaumlrbung aber nicht den Sinn des Gedankens beeinflussen und dessen objektiven Seite

10Demgemaumlszlig duumlrfte es niemals Missverstaumlndnisse zwischen Sprecherin und Houmlrer geben Gerechterweisemuumlssen wir sagen dass es sich hier um ein stark simplifiziertes Houmlrerin-Sprecher-Modell handelt daausgeblendet ist dass - mit Aristoteles - verschieden Gesprochen und Geschrieben wird was Missver-staumlndnisse wieder einfuumlhren wuumlrde

11Mit dieser Erklaumlrung beruhigt sich die Irritation der Kognitionsforscherin aus dem ersten Lektuumlreanlaufim Abschnitt 12 ein wenig wobei sie sich wohl fragen wird ob es weniger dieselben Gedanken sindsondern viel mehr Annaumlherungen - im Modus einer strukturellen Kopplung Das scheint ein andererDiskurs zu sein auf den wir uns hier nicht einlassen

12(Aristoteles 1994 Vgl S147)

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2 Auslegungen

dessen Inhalt gemeinsames Eigentum von vielen sein kann wie Frege sagt Wir scheinenuns hier die Verstaumlndigung zwischen Menschen durch eine uumlberindividuelle Sphaumlre vonGedanken13zu erklaumlren auf die die Menschen zugreifen um sich auf dasselbe beziehen zukoumlnnen (Aristoteles 1994 Vgl S150f)

Steht die Menge der Gedanken fuumlr alle Zeiten fest das heiszligt ist diese Sphaumlre invariantgegenuumlber Innovation Gibt es nichts Neues unter der Sonne

Mit dieser Frage beenden wir den zweiten Lektuumlreanlauf der einige Fragen aus dem ers-ten unmittelbaren Lektuumlreanlauf klaumlren konnte Etwa wurde die Unterscheidung zwischenZeichen Symbol und Abbild ein wenig spezifiziert Weiters sind wir mit der Deutung derseelischen Widerfahrnisse als Gedanken mitgegangen haben erfahren dass Geschriebenesund Gesprochnes Ausdruumlcke der Gedanken sind und dass sich in ihnen noch immer derBezug auf die Gemeinten Dinge befindet Und da es moumlglich ist dass andere Menschen -mit Hilfe einer uumlberindividuellen Sphaumlre - dieselben Gedanken denken ist eine Kommuni-kationsbasis und eine Bezugnahme auf dieselben Dinge moumlglich Dabei stelllt sich unterAnderem die Frage Wenn die Dinge nicht bloszlig als objektiv existierende Dinge sondern auchals Dinge der Vorstellung gedeutet werden in welchem Verhaumlltnis stehen diese dann zurobjektiven und uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken Beinhaltet diese auch den Bezugzu vorgestellten Dingen wie den beruumlhmten aristotelischen Bockhirsch Der gemeinsameSchatz von Gedanken in dieser Sphaumlre muumlsste um eine Kommunikation moumlglich zu ma-chen allein durch die kombinatorische Explosion der gemeinten existierenden Dinge schonuumlberabzahlbar groszlig und damit unbeherrschbar sein wenn wir Gedanke richtig verstandenhabe oder wenn Gedanken in diesem Sinne eine Sache des Verstehens sind

22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art

Francois Feacutedier unternimmt in seinem Aufsatz eine Relektuumlre des ersten Kapitels vonπερι ερmicroηνειας und kommt zu Deutungen der griechischen Termini die mit traditionellenUumlbersetzungen nicht immer vereinbar sind Eines der zentralen Momente das sich durchden ganzen Text durchzieht und der die obige Lektuumlre erschuumlttern muumlsste ist

Die aristotelische Analyse der Sprache bewegt sich in einem ganz anderen Ho-rizont als diejenige der Linguistik Es stehen nicht Elemente und Funktionenim Vordergrund sondern die Phaumlnomene das heiszligt das was die Dinge undihre Zustaumlnde erscheinen laumlsst14

Um dieses Moment besser zu verstehen starten wir einen erneuten Lektuumlreanlauf Feacutedieranalysiert Satz fuumlr Satz - teilweise Wort fuumlr Wort und kommt zu neuen Beleuchtungender griechishen Termini Er startet mit der Bemerkung dass der Text zumeist aus dem

13Weidemann verweist auf das stoische λεκτόν Sagbares ein Mittleres zwischen individuellen Gedankenund den Dingen

14(Feacutedier 1985 S3)

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2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

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2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

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2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

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2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

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2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

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2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

19

2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

1 Einleitung

so sprechen sie auch nicht alle dieselbe Sprache Die seelischen Widerfahrnisseaber fuumlr welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zei-chen ist sind bei allen Menschen dieselben und uumlberdies sind auch schon dieDinge von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind fuumlr alledieselben Von diesen (seelischen Widerfahrnissen) nun ist bereits in den Buuml-chern uumlber die Seele die Rede gewesen denn sie sind Gegenstand einer anderenDisziplinldquo

11 Fragen

Bei der Beschaumlftigung mit dem Segment sind folgende allgemeine Fragen aufgetaucht

bull Was ist die traditionelle Interpretation dieser Zeilen Gibt es mehrere Interpreta-tionen Was ist die gebraumluchlichste und wirkmaumlchtigste Blickrichtung3 die diesenAuslegungen tendenziell zugrunde liegt

bull Was setzt Heidegger und mit ihm Feacutedier dieser Interpretation entgegenhinzu Istdas plausibel

bull Wie werden zentrale Termini klassisch durch Heidegger und in Anschluss an Heideg-ger uumlbersetzt

bull Welches Sprachverstaumlndnis ergibt sich jeweils aus diesen Uumlbersetzungen und Inter-pretationen

Waumlhrend der Lektuumlre wird versucht auf diese teils zusammenhaumlngenden Fragen zu achtenwobei in diesem als kurze Arbeit konzeptionierten Werk keine umfassende Beantwortungerfolgen kann

12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse

Im Ankuumlndigungstext des Lektuumlre-Proseminars in dessen Rahmen diese Arbeit geschriebenwird findet sich folgender Hinweis

bdquoVorsicht ist bei der Analyse der aristotelischen Texte erforderlich Denn Ari-stoteles wirkt oftmals betruumlgerisch Es ist daher empfehlenswert dass man ausder Lektuumlre der Texte des Aristoteles keinen uumlberstuumlrzten Schluss ziehtldquo4

3(Heidegger 2002 Vgl)4Segalerba (2009)

4

1 Einleitung

Um diese Warnung ernst zu nehmen muumlssen wir zunaumlchst in die Falle kommen und sehenob und wie die genaue Lektuumlre dieser kurzen aber wirkmaumlchtigen Zeilen uns aus dieserFalle heraushelfen Darum beginnen wir die Zeilen in der Weidemann-Uumlbersetzung aufeine naive Art zu lesen und - womoumlglich uumlberstuumlrzt - zu schlieszligen

1 Der Titel περι ερmicroηνειας wird uumlblicherweise mit bdquoDe Interpretationeldquo ins Lateinischeund mit bdquoLehre vom Satzldquo ins Deutsche uumlbersetzt

2 Der erste Absatz skizziert das Programm Es scheint zunaumlchst um Definitionen zugehen wie man sie auch in Grammatik-Lehrbuumlchern findet Verb Nomen Satzge-fuumlge Bejahung Verneinung Mit dem Wissen dass Aristoteles als Begruumlnder derrsquoklassischenrsquo Logik gilt findet man sehr leicht dass es um eine logische Analyse derSprache und den Gesetzmaumlszligigkeiten derselben geht

3 Die zentrale Stelle dieser Passage nennt folgende Zusammenhaumlnge

a) Der Seele (p) widerfaumlhrt etwas Das Ergebnis sind die seelischen Widerfahrnisse(pd)

b) Die seelischen Widerfahrnisse (pd) sind ein Abbild der Dinge (d)

c) Die sprachlichen Aumluszligerungen (spd) sind Symbole von den seelischen Widerfahr-nissen (pd)

d) Die schriftlichen Aumluszligerungen (sspd) sind Symbole der sprachlichen Aumluszligerungen(spd)

e) Fuumlr die seelischen Widerfahrnisse (pd) ist das Geschriebene und Gesprochenersquoan erster Stellersquo ein Zeichen

f) Waumlhrend seelische Widerfahrnisse (pd) und Dinge (d) fuumlr alle Menschen diesel-ben sind sind Sprache und Schrift (spd) und (sspd) unterschiedlich

4 Aristoteles hat offenbar an anderer Stelle (De Anima) genauer uumlber die seelischenWiderfahrnisse geschrieben

Die Frage was unter seelischen Widerfahrnissen zu verstehen ist Gedanken oder Wahr-nehmungen - oder beides wird nicht entfaltet Ausgehend von obiger Interpretation scheintaber nahe zu liegen Der Bereich der seelischen Widerfahrnisse ist unsprachlich Sprachli-che Ausdruumlcke (Geschriebenes oder Gesprochenes) druumlcken seelische Widerfahrnisse ausindem sie Symbole derselben sind Umgekehrt sind sprachliche Ausdruumlcke Zeichen fuumlr dieseelischen Widerfahrnisse Was heiszligt jedoch ein Symbol oder Zeichen fuumlr etwas sein

Ein Symbol traumlgt in erster Annaumlherung eine oder mehrere Bedeutungen Demzufolge waumlredie Bedeutung des Lauts jenes seelische Widerfahrnis von dem der Laut das Symbol ist DieBedeutung eines Schriftzeichens waumlre jener Laut von dem das Schriftzeichen das Symbolist

5

1 Einleitung

Neben den beiden Symbolbeziehungen durch die seelische Widerfahrnisse offenbar zumAusdruck gebracht werden gibt es noch eine Abbildbeziehung zwischen dem Ding (in derWelt) und dem seelischen Widerfahrnis Was unterscheidet ein Abbild von einem SymbolWieder in erster Annaumlherung Ein Symbol steht fuumlr sich dessen Erscheinungsform mussmit den Bedeutungen die es traumlgt nichts zu tun haben Ein Abbild dagegen ist die Kopieeines Urbilds und daher von ihm abhaumlngig Das Abhaumlngigkeitsverhaumlltnis wird direkt imText deutlich Da die Dinge fuumlr alle Menschen dieselben sind sind auch die seelischenWiderfahrnisse welche Abbilder der Dinge sind fuumlr alle dieselben bzw umgekehrt daswird nicht deutlich

Dies ist fuumlr uns Heutige irritierend und jede Kognitionsforscherin wuumlrde laut aufschreienDas Ding und die seelischen Widerfahrnisse haumlngen damit nicht nur kausal miteinanderzusammen sondern sie gleichen einer mathematischen Funktion oder Relation Zu jedemDing gibt es eine genau festgelegte Menge von seelischen Widerfahrnissen (ob es ein odermehrere Widerfahrnisse sind wird aus dem Text nicht deutlich) Und jeder der ein Menschist empfaumlngt bei (sinnlichen) rsquoKontaktrsquo mit dem Ding dieselben seelischen WiderfahrnisseDie Mannigfaltigkeit und die Verwirrung kaumlmen demnach erst zustande nachdem man sichsprachlich ausdruumlckt

Zusammenfassend kann man also - wir sind noch im naiven Lektuumlremodus folgende Kau-salketten feststellen wobei die Pfeile Beziehungen symbolisieren und A fuumlr Abbild S fuumlrSymbol und Z fuumlr Zeichen steht

bull Ding Aminusrarr seelisches Widerfahrnis Sminusrarr Gesprochenes Sminusrarr Geschriebenes

bull GeschriebenesGesprochenes Zminusrarr seelisches Widerfahrnis Aminusrarr Ding

6

2 Auslegungen

Der Text wurde seit jeher stark rezipiert und dessen Interpretation und Bedeutung bleibtweiterhin umstritten1 Untersuchen wir in welchem Verhaumlltnis sich die obige Annaumlherungzu bestehenden Auslegungen befindet Gelesen werden

bull Das Kommentar von Weidemann in Aristoteles (1994)

bull Feacutedier (1985) ein franzoumlsischer Text von den mir gluumlcklicherweise eine deutscheUumlbersetzung zur Verfuumlgung steht und der das erste Kapitel des Werks neu uumlbersetztund interpretiert 2

bull ein Text von Matthias Flatscher uumlber Aristoteles und Heidegger in der das Sprach-verstaumlndnis von Heidegger und das Spannungsverhaumlltnis das Heidegger stets zu Ari-stoteles hatte geschildert wirdFlatscher (2005)

bull und Texte von Heidegger um in sein Sprachverstaumlndnis einzusteigen

Wichtige Deutungen der griechischen Termini die sich waumlhrend der Lektuumlre ergeben sindin einer Tabelle am Ende der Arbeit in Anhang A zusammengefasst3

21 Der klassische Weg Weidemann

Der Weidemann-Kommentar4 ist insofern passend als er die Auslegungen und philolo-gischen Untersuchungen einer Reihe von anderen Autoren uumlber dieses Segment zusam-

1Weidemannn verweist auf mehrere Personen aus unterschiedlichen Jahrhunderten die eine Interpreta-tion dieses Werks als schwierig oder gar unmoumlglich einstuften teils aufgrund der Komprimiertheit derAussagen (Aristoteles 1994 Vgl S94Fuszlignote 10)

2Dafuumlr ist Johanna Gaitsch vom Insitut fuumlr Philosophie an der Universitaumlt Wien zweifach zu dankenerstens aufgrund der von ihr durchgefuumlhrten Uumlbersetzung zweitens dafuumlr dass Sie mir eine Kopiedieser unveroumlffentlichten Uumlbersetzung zukommen lieszlig Ohne dieser Umstaumlnde waumlre es mir nicht moumlg-lich gewesen diesen Text zu lesen Fehlerhafte Schluumlsse aus der Uumlbersetzung sind jedoch allein mirzuzuschreiben

3Empfehlung Um der Arbeit folgen zu koumlnnen sollte man sich den griechischen Text sowie die Weidemann-Uumlbersetzung aus dem Einleitungsabschnitt 1 gesondert auf den rsquoDesktoprsquo zu legen Fuumlr eine intensivereBeschaumlftigung sollte dies auch mit der Tabelle der Deutungen griechischer Termini im Anhang A ge-schehen Diese Arbeitsmethode hat sich auch fuumlr das Lesen der Texte von Weidemann und Feacutedier alssinnvoll herausgestellt Man ist bei der Lektuumlre auf Parallelprozesse rsquoPattern-Matchingrsquo Synchronisa-tion und idealerweise geteilte Arbeitsflaumlchen angewiesen

4(Aristoteles 1994 Vgl S133-153)

7

2 Auslegungen

menfasst und abwaumlgt um auf dieser Basis selbst eine gebuumlndelte Auslegung abzugebenDadurch haben wir einen guten Uumlberblick uumlber traditionelle Interpretationen und koumlnnengemeinsame Merkmale herausheben

Fuumlr Weidemann geht es im 1 Kapitel um (1) sprachliche Ausdruumlcke in denen (2) Gedankenausgedruumlckt werden (3) wobei diese Gedanken bestimmte Dinge meinen5 Es wird also dasVerhaumlltnis von sprachlichen Ausdruumlcken Gedanken und gemeinten Dingen behandelt Dasist noch nicht weit weg von den Erkenntnissen im Abschnitt 12 wo wir in einem mehrintuitiven unmittelbaren Lektuumlremodus gearbeitet haben Doch sehen wir uns weiter anwie er den zentralen Abschnitt 16a3-9 interpretiert Hierfuumlr stellt er vier Fragen die wirzugleich mit einer komprimierten Version der Antworten (ohne die von ihm durchgefuumlhrtenAbwaumlgungen) nennen6

1 Was ist unter folgenden drei Termen zu verstehen

a) rsquoAumluszligerungen unserer Stimmersquo ( τbrvbar ν τIacute φωνIacute)7 Gemeint sind nicht alle stimm-lichen Aumluszligerungen sondern die menschlichen da sie seelische Widerfahrnissesymbolisieren von Schriftzeichen symbolisiert werden und selbst nicht-natuumlrlicheLautzeichen sind

b) rsquoWiderfahrnisse der (bzw in der) Seelersquo ( τicircν ν τIacute ψυχIacute ) Was widerfaumlhrt unsda Die Seele denkt Gedanken Indem sie sie denkt kommt sie bei den Dingenrsquozum stehenrsquo8 und das heiszligt die Seele meint diese Dinge Den Gedanken diedie Seele denkt wird mit Woumlrtern Ausdruck verliehen Die seelischen Wider-fahrnisse sind die Gedanken

c) rsquoDingersquo ( πράγmicroατα ) Dinge sind hier in einem weitlaumlufigen Sinn gemeint DieDinge muumlssen nicht existieren sie muumlssen sich nur denken und aussprechenlassen

2 Was heiszligt es dass

a) die Aumluszligerungen der Stimme SymboleZeichen σύmicroβολα σηmicroεα fuumlr seelischeWiderfahrnisse sind Symbole sind sprachliche Aumluszligerungen der Stimme undhaben Zeichencharakter dh ihre Bedeutung ist nicht naturgegeben sonderndurch Uumlbereinkunft entstanden wie Aristoteles in Kapitel 2 (16a26-29) erlaumlu-tert Symbole kennzeichnen aber zusaumltzlich zum Zeichencharakter dass Spracheund Denken parallel laufen und zusammengehoumlren was auch die Ethymologiedes Wortes nahe legt9

5(Aristoteles 1994 S44)6(Aristoteles 1994 S135-148)7Die woumlrtliche Uumlbersetzung nach Weidemann rsquoDas mit der Stimme geaumluszligertersquo8Hier wird ein Bezug zu Kapitel 14 erlaumlutert wo es in 437 A 4f heiszligt dass das Verstehen rsquounsere Seelebei den Dingen zum Stehen kommen laumlsstrsquo

9Zur Ethymologie siehe auch Tabelle im Anhang A

8

2 Auslegungen

b) die seelischen Widerfahrnisse Abbildungen ETHmicroοιώmicroατα von Dingen sind Eshandelt sich nach Weidemann weder um Abbilder wie bei einem Photoappa-rat noch um Wahrnehmungen oder Vorstellungen sondern darum dass wir dieDinge zum Stehen bringen im oben genannten Sinn des rsquoMeinensrsquo Dies wirdanhand einer Gespraumlchssituation erlaumlutert Wenn der Sprecher einen Gedankendenkt und dabei an ein Ding denkt und der Houmlrer diesen Gedanken denkt wirder auch an dieses Ding denken10

3 Wenn stimmliche Aumluszligerungen an erster Stelle Zeichen fuumlr seelische Widerfahrnissesind was sind sie dann an zweiter Stelle Symbole fuumlr seelische Widerfahrnisse Be-zeichnen sie Dinge Oder sind die schriftlichen Aumluszligerungen Zeichen fuumlr die seelischenWiderfahrnisse Dann bezoumlge sich an erster Stelle auf die seelischen Widerfahrnissenicht auf die stimmtlichen Aumluszligerungen Weidemann argumentiert dass sehr viel dafuumlrspricht dass unsere sprachlichen Aumluszligerungen an zweiter Stelle die Dinge bezeichnen

4 Was heiszligt dass sowohl die von den seelischen Widerfahrnissen abgebildeten Dingeals auch die seelischen Widerfahrnisse selbst fuumlr alle Menschen dieselben sind Mansoll dieser Aussage zumindest die Chance geben plausibel zu sein Natuumlrlich habennicht alle Menschen dieselben Gedanken beim Anblick einer Blume jedoch koumlnnensie dieselben Gedanken haben bei aller Verschiedenheit der Sprachen11 Aristoteleshaumltte zwar noch nicht gesehen dass das Denken sprachgebunden sein kann jedochverteidigt Weidemann ihn mit Frege demgemaumlszlig derselbe Sinn unterschiedlich ausge-druumlckt werden kann und daher weil es nur um unterschiedliche Faumlrbungen gleichsamum Akzidentielles geht in der Logik nicht beachtet werden muss Er zitiert aus FregesKleine Schriften dass die Menschheit trotz unterschiedlicher Sprachen einen gemein-samen Schatz von Gedanken habe12

Fuumlr Weidemann stellt die Passage 16a3-9 unter Voraussetzung der obigen Antwortenunmissverstaumlndlich ein Zeichenmodell dar das Freges moderne Semantik vorwegnimmtDie Gedanken sind demgemaumlszlig eine Relaisstation zwischen Dingen und sprachlichen Aus-druumlcken wobei er sich beeilt darauf hinzuweisen dass Frege mit Gedanken nicht - so wieAristoteles nach Weidemann - seelische Gebilde der Innenwelt unseres Bewusstseins meintsondern objektiv Vorhandenes das nur noch gefasst also ergriffen nicht mehr gebildetwerden muss Was bei Aristoteles nur angedeutet wird (siehe Frage 4) aber nicht klar her-auskommt ist die Unterscheidung zwischen der subjektiven Seite des Gedankens die dieFaumlrbung aber nicht den Sinn des Gedankens beeinflussen und dessen objektiven Seite

10Demgemaumlszlig duumlrfte es niemals Missverstaumlndnisse zwischen Sprecherin und Houmlrer geben Gerechterweisemuumlssen wir sagen dass es sich hier um ein stark simplifiziertes Houmlrerin-Sprecher-Modell handelt daausgeblendet ist dass - mit Aristoteles - verschieden Gesprochen und Geschrieben wird was Missver-staumlndnisse wieder einfuumlhren wuumlrde

11Mit dieser Erklaumlrung beruhigt sich die Irritation der Kognitionsforscherin aus dem ersten Lektuumlreanlaufim Abschnitt 12 ein wenig wobei sie sich wohl fragen wird ob es weniger dieselben Gedanken sindsondern viel mehr Annaumlherungen - im Modus einer strukturellen Kopplung Das scheint ein andererDiskurs zu sein auf den wir uns hier nicht einlassen

12(Aristoteles 1994 Vgl S147)

9

2 Auslegungen

dessen Inhalt gemeinsames Eigentum von vielen sein kann wie Frege sagt Wir scheinenuns hier die Verstaumlndigung zwischen Menschen durch eine uumlberindividuelle Sphaumlre vonGedanken13zu erklaumlren auf die die Menschen zugreifen um sich auf dasselbe beziehen zukoumlnnen (Aristoteles 1994 Vgl S150f)

Steht die Menge der Gedanken fuumlr alle Zeiten fest das heiszligt ist diese Sphaumlre invariantgegenuumlber Innovation Gibt es nichts Neues unter der Sonne

Mit dieser Frage beenden wir den zweiten Lektuumlreanlauf der einige Fragen aus dem ers-ten unmittelbaren Lektuumlreanlauf klaumlren konnte Etwa wurde die Unterscheidung zwischenZeichen Symbol und Abbild ein wenig spezifiziert Weiters sind wir mit der Deutung derseelischen Widerfahrnisse als Gedanken mitgegangen haben erfahren dass Geschriebenesund Gesprochnes Ausdruumlcke der Gedanken sind und dass sich in ihnen noch immer derBezug auf die Gemeinten Dinge befindet Und da es moumlglich ist dass andere Menschen -mit Hilfe einer uumlberindividuellen Sphaumlre - dieselben Gedanken denken ist eine Kommuni-kationsbasis und eine Bezugnahme auf dieselben Dinge moumlglich Dabei stelllt sich unterAnderem die Frage Wenn die Dinge nicht bloszlig als objektiv existierende Dinge sondern auchals Dinge der Vorstellung gedeutet werden in welchem Verhaumlltnis stehen diese dann zurobjektiven und uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken Beinhaltet diese auch den Bezugzu vorgestellten Dingen wie den beruumlhmten aristotelischen Bockhirsch Der gemeinsameSchatz von Gedanken in dieser Sphaumlre muumlsste um eine Kommunikation moumlglich zu ma-chen allein durch die kombinatorische Explosion der gemeinten existierenden Dinge schonuumlberabzahlbar groszlig und damit unbeherrschbar sein wenn wir Gedanke richtig verstandenhabe oder wenn Gedanken in diesem Sinne eine Sache des Verstehens sind

22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art

Francois Feacutedier unternimmt in seinem Aufsatz eine Relektuumlre des ersten Kapitels vonπερι ερmicroηνειας und kommt zu Deutungen der griechischen Termini die mit traditionellenUumlbersetzungen nicht immer vereinbar sind Eines der zentralen Momente das sich durchden ganzen Text durchzieht und der die obige Lektuumlre erschuumlttern muumlsste ist

Die aristotelische Analyse der Sprache bewegt sich in einem ganz anderen Ho-rizont als diejenige der Linguistik Es stehen nicht Elemente und Funktionenim Vordergrund sondern die Phaumlnomene das heiszligt das was die Dinge undihre Zustaumlnde erscheinen laumlsst14

Um dieses Moment besser zu verstehen starten wir einen erneuten Lektuumlreanlauf Feacutedieranalysiert Satz fuumlr Satz - teilweise Wort fuumlr Wort und kommt zu neuen Beleuchtungender griechishen Termini Er startet mit der Bemerkung dass der Text zumeist aus dem

13Weidemann verweist auf das stoische λεκτόν Sagbares ein Mittleres zwischen individuellen Gedankenund den Dingen

14(Feacutedier 1985 S3)

10

2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

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2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

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2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

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2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

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2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

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2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

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A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Um diese Warnung ernst zu nehmen muumlssen wir zunaumlchst in die Falle kommen und sehenob und wie die genaue Lektuumlre dieser kurzen aber wirkmaumlchtigen Zeilen uns aus dieserFalle heraushelfen Darum beginnen wir die Zeilen in der Weidemann-Uumlbersetzung aufeine naive Art zu lesen und - womoumlglich uumlberstuumlrzt - zu schlieszligen

1 Der Titel περι ερmicroηνειας wird uumlblicherweise mit bdquoDe Interpretationeldquo ins Lateinischeund mit bdquoLehre vom Satzldquo ins Deutsche uumlbersetzt

2 Der erste Absatz skizziert das Programm Es scheint zunaumlchst um Definitionen zugehen wie man sie auch in Grammatik-Lehrbuumlchern findet Verb Nomen Satzge-fuumlge Bejahung Verneinung Mit dem Wissen dass Aristoteles als Begruumlnder derrsquoklassischenrsquo Logik gilt findet man sehr leicht dass es um eine logische Analyse derSprache und den Gesetzmaumlszligigkeiten derselben geht

3 Die zentrale Stelle dieser Passage nennt folgende Zusammenhaumlnge

a) Der Seele (p) widerfaumlhrt etwas Das Ergebnis sind die seelischen Widerfahrnisse(pd)

b) Die seelischen Widerfahrnisse (pd) sind ein Abbild der Dinge (d)

c) Die sprachlichen Aumluszligerungen (spd) sind Symbole von den seelischen Widerfahr-nissen (pd)

d) Die schriftlichen Aumluszligerungen (sspd) sind Symbole der sprachlichen Aumluszligerungen(spd)

e) Fuumlr die seelischen Widerfahrnisse (pd) ist das Geschriebene und Gesprochenersquoan erster Stellersquo ein Zeichen

f) Waumlhrend seelische Widerfahrnisse (pd) und Dinge (d) fuumlr alle Menschen diesel-ben sind sind Sprache und Schrift (spd) und (sspd) unterschiedlich

4 Aristoteles hat offenbar an anderer Stelle (De Anima) genauer uumlber die seelischenWiderfahrnisse geschrieben

Die Frage was unter seelischen Widerfahrnissen zu verstehen ist Gedanken oder Wahr-nehmungen - oder beides wird nicht entfaltet Ausgehend von obiger Interpretation scheintaber nahe zu liegen Der Bereich der seelischen Widerfahrnisse ist unsprachlich Sprachli-che Ausdruumlcke (Geschriebenes oder Gesprochenes) druumlcken seelische Widerfahrnisse ausindem sie Symbole derselben sind Umgekehrt sind sprachliche Ausdruumlcke Zeichen fuumlr dieseelischen Widerfahrnisse Was heiszligt jedoch ein Symbol oder Zeichen fuumlr etwas sein

Ein Symbol traumlgt in erster Annaumlherung eine oder mehrere Bedeutungen Demzufolge waumlredie Bedeutung des Lauts jenes seelische Widerfahrnis von dem der Laut das Symbol ist DieBedeutung eines Schriftzeichens waumlre jener Laut von dem das Schriftzeichen das Symbolist

5

1 Einleitung

Neben den beiden Symbolbeziehungen durch die seelische Widerfahrnisse offenbar zumAusdruck gebracht werden gibt es noch eine Abbildbeziehung zwischen dem Ding (in derWelt) und dem seelischen Widerfahrnis Was unterscheidet ein Abbild von einem SymbolWieder in erster Annaumlherung Ein Symbol steht fuumlr sich dessen Erscheinungsform mussmit den Bedeutungen die es traumlgt nichts zu tun haben Ein Abbild dagegen ist die Kopieeines Urbilds und daher von ihm abhaumlngig Das Abhaumlngigkeitsverhaumlltnis wird direkt imText deutlich Da die Dinge fuumlr alle Menschen dieselben sind sind auch die seelischenWiderfahrnisse welche Abbilder der Dinge sind fuumlr alle dieselben bzw umgekehrt daswird nicht deutlich

Dies ist fuumlr uns Heutige irritierend und jede Kognitionsforscherin wuumlrde laut aufschreienDas Ding und die seelischen Widerfahrnisse haumlngen damit nicht nur kausal miteinanderzusammen sondern sie gleichen einer mathematischen Funktion oder Relation Zu jedemDing gibt es eine genau festgelegte Menge von seelischen Widerfahrnissen (ob es ein odermehrere Widerfahrnisse sind wird aus dem Text nicht deutlich) Und jeder der ein Menschist empfaumlngt bei (sinnlichen) rsquoKontaktrsquo mit dem Ding dieselben seelischen WiderfahrnisseDie Mannigfaltigkeit und die Verwirrung kaumlmen demnach erst zustande nachdem man sichsprachlich ausdruumlckt

Zusammenfassend kann man also - wir sind noch im naiven Lektuumlremodus folgende Kau-salketten feststellen wobei die Pfeile Beziehungen symbolisieren und A fuumlr Abbild S fuumlrSymbol und Z fuumlr Zeichen steht

bull Ding Aminusrarr seelisches Widerfahrnis Sminusrarr Gesprochenes Sminusrarr Geschriebenes

bull GeschriebenesGesprochenes Zminusrarr seelisches Widerfahrnis Aminusrarr Ding

6

2 Auslegungen

Der Text wurde seit jeher stark rezipiert und dessen Interpretation und Bedeutung bleibtweiterhin umstritten1 Untersuchen wir in welchem Verhaumlltnis sich die obige Annaumlherungzu bestehenden Auslegungen befindet Gelesen werden

bull Das Kommentar von Weidemann in Aristoteles (1994)

bull Feacutedier (1985) ein franzoumlsischer Text von den mir gluumlcklicherweise eine deutscheUumlbersetzung zur Verfuumlgung steht und der das erste Kapitel des Werks neu uumlbersetztund interpretiert 2

bull ein Text von Matthias Flatscher uumlber Aristoteles und Heidegger in der das Sprach-verstaumlndnis von Heidegger und das Spannungsverhaumlltnis das Heidegger stets zu Ari-stoteles hatte geschildert wirdFlatscher (2005)

bull und Texte von Heidegger um in sein Sprachverstaumlndnis einzusteigen

Wichtige Deutungen der griechischen Termini die sich waumlhrend der Lektuumlre ergeben sindin einer Tabelle am Ende der Arbeit in Anhang A zusammengefasst3

21 Der klassische Weg Weidemann

Der Weidemann-Kommentar4 ist insofern passend als er die Auslegungen und philolo-gischen Untersuchungen einer Reihe von anderen Autoren uumlber dieses Segment zusam-

1Weidemannn verweist auf mehrere Personen aus unterschiedlichen Jahrhunderten die eine Interpreta-tion dieses Werks als schwierig oder gar unmoumlglich einstuften teils aufgrund der Komprimiertheit derAussagen (Aristoteles 1994 Vgl S94Fuszlignote 10)

2Dafuumlr ist Johanna Gaitsch vom Insitut fuumlr Philosophie an der Universitaumlt Wien zweifach zu dankenerstens aufgrund der von ihr durchgefuumlhrten Uumlbersetzung zweitens dafuumlr dass Sie mir eine Kopiedieser unveroumlffentlichten Uumlbersetzung zukommen lieszlig Ohne dieser Umstaumlnde waumlre es mir nicht moumlg-lich gewesen diesen Text zu lesen Fehlerhafte Schluumlsse aus der Uumlbersetzung sind jedoch allein mirzuzuschreiben

3Empfehlung Um der Arbeit folgen zu koumlnnen sollte man sich den griechischen Text sowie die Weidemann-Uumlbersetzung aus dem Einleitungsabschnitt 1 gesondert auf den rsquoDesktoprsquo zu legen Fuumlr eine intensivereBeschaumlftigung sollte dies auch mit der Tabelle der Deutungen griechischer Termini im Anhang A ge-schehen Diese Arbeitsmethode hat sich auch fuumlr das Lesen der Texte von Weidemann und Feacutedier alssinnvoll herausgestellt Man ist bei der Lektuumlre auf Parallelprozesse rsquoPattern-Matchingrsquo Synchronisa-tion und idealerweise geteilte Arbeitsflaumlchen angewiesen

4(Aristoteles 1994 Vgl S133-153)

7

2 Auslegungen

menfasst und abwaumlgt um auf dieser Basis selbst eine gebuumlndelte Auslegung abzugebenDadurch haben wir einen guten Uumlberblick uumlber traditionelle Interpretationen und koumlnnengemeinsame Merkmale herausheben

Fuumlr Weidemann geht es im 1 Kapitel um (1) sprachliche Ausdruumlcke in denen (2) Gedankenausgedruumlckt werden (3) wobei diese Gedanken bestimmte Dinge meinen5 Es wird also dasVerhaumlltnis von sprachlichen Ausdruumlcken Gedanken und gemeinten Dingen behandelt Dasist noch nicht weit weg von den Erkenntnissen im Abschnitt 12 wo wir in einem mehrintuitiven unmittelbaren Lektuumlremodus gearbeitet haben Doch sehen wir uns weiter anwie er den zentralen Abschnitt 16a3-9 interpretiert Hierfuumlr stellt er vier Fragen die wirzugleich mit einer komprimierten Version der Antworten (ohne die von ihm durchgefuumlhrtenAbwaumlgungen) nennen6

1 Was ist unter folgenden drei Termen zu verstehen

a) rsquoAumluszligerungen unserer Stimmersquo ( τbrvbar ν τIacute φωνIacute)7 Gemeint sind nicht alle stimm-lichen Aumluszligerungen sondern die menschlichen da sie seelische Widerfahrnissesymbolisieren von Schriftzeichen symbolisiert werden und selbst nicht-natuumlrlicheLautzeichen sind

b) rsquoWiderfahrnisse der (bzw in der) Seelersquo ( τicircν ν τIacute ψυχIacute ) Was widerfaumlhrt unsda Die Seele denkt Gedanken Indem sie sie denkt kommt sie bei den Dingenrsquozum stehenrsquo8 und das heiszligt die Seele meint diese Dinge Den Gedanken diedie Seele denkt wird mit Woumlrtern Ausdruck verliehen Die seelischen Wider-fahrnisse sind die Gedanken

c) rsquoDingersquo ( πράγmicroατα ) Dinge sind hier in einem weitlaumlufigen Sinn gemeint DieDinge muumlssen nicht existieren sie muumlssen sich nur denken und aussprechenlassen

2 Was heiszligt es dass

a) die Aumluszligerungen der Stimme SymboleZeichen σύmicroβολα σηmicroεα fuumlr seelischeWiderfahrnisse sind Symbole sind sprachliche Aumluszligerungen der Stimme undhaben Zeichencharakter dh ihre Bedeutung ist nicht naturgegeben sonderndurch Uumlbereinkunft entstanden wie Aristoteles in Kapitel 2 (16a26-29) erlaumlu-tert Symbole kennzeichnen aber zusaumltzlich zum Zeichencharakter dass Spracheund Denken parallel laufen und zusammengehoumlren was auch die Ethymologiedes Wortes nahe legt9

5(Aristoteles 1994 S44)6(Aristoteles 1994 S135-148)7Die woumlrtliche Uumlbersetzung nach Weidemann rsquoDas mit der Stimme geaumluszligertersquo8Hier wird ein Bezug zu Kapitel 14 erlaumlutert wo es in 437 A 4f heiszligt dass das Verstehen rsquounsere Seelebei den Dingen zum Stehen kommen laumlsstrsquo

9Zur Ethymologie siehe auch Tabelle im Anhang A

8

2 Auslegungen

b) die seelischen Widerfahrnisse Abbildungen ETHmicroοιώmicroατα von Dingen sind Eshandelt sich nach Weidemann weder um Abbilder wie bei einem Photoappa-rat noch um Wahrnehmungen oder Vorstellungen sondern darum dass wir dieDinge zum Stehen bringen im oben genannten Sinn des rsquoMeinensrsquo Dies wirdanhand einer Gespraumlchssituation erlaumlutert Wenn der Sprecher einen Gedankendenkt und dabei an ein Ding denkt und der Houmlrer diesen Gedanken denkt wirder auch an dieses Ding denken10

3 Wenn stimmliche Aumluszligerungen an erster Stelle Zeichen fuumlr seelische Widerfahrnissesind was sind sie dann an zweiter Stelle Symbole fuumlr seelische Widerfahrnisse Be-zeichnen sie Dinge Oder sind die schriftlichen Aumluszligerungen Zeichen fuumlr die seelischenWiderfahrnisse Dann bezoumlge sich an erster Stelle auf die seelischen Widerfahrnissenicht auf die stimmtlichen Aumluszligerungen Weidemann argumentiert dass sehr viel dafuumlrspricht dass unsere sprachlichen Aumluszligerungen an zweiter Stelle die Dinge bezeichnen

4 Was heiszligt dass sowohl die von den seelischen Widerfahrnissen abgebildeten Dingeals auch die seelischen Widerfahrnisse selbst fuumlr alle Menschen dieselben sind Mansoll dieser Aussage zumindest die Chance geben plausibel zu sein Natuumlrlich habennicht alle Menschen dieselben Gedanken beim Anblick einer Blume jedoch koumlnnensie dieselben Gedanken haben bei aller Verschiedenheit der Sprachen11 Aristoteleshaumltte zwar noch nicht gesehen dass das Denken sprachgebunden sein kann jedochverteidigt Weidemann ihn mit Frege demgemaumlszlig derselbe Sinn unterschiedlich ausge-druumlckt werden kann und daher weil es nur um unterschiedliche Faumlrbungen gleichsamum Akzidentielles geht in der Logik nicht beachtet werden muss Er zitiert aus FregesKleine Schriften dass die Menschheit trotz unterschiedlicher Sprachen einen gemein-samen Schatz von Gedanken habe12

Fuumlr Weidemann stellt die Passage 16a3-9 unter Voraussetzung der obigen Antwortenunmissverstaumlndlich ein Zeichenmodell dar das Freges moderne Semantik vorwegnimmtDie Gedanken sind demgemaumlszlig eine Relaisstation zwischen Dingen und sprachlichen Aus-druumlcken wobei er sich beeilt darauf hinzuweisen dass Frege mit Gedanken nicht - so wieAristoteles nach Weidemann - seelische Gebilde der Innenwelt unseres Bewusstseins meintsondern objektiv Vorhandenes das nur noch gefasst also ergriffen nicht mehr gebildetwerden muss Was bei Aristoteles nur angedeutet wird (siehe Frage 4) aber nicht klar her-auskommt ist die Unterscheidung zwischen der subjektiven Seite des Gedankens die dieFaumlrbung aber nicht den Sinn des Gedankens beeinflussen und dessen objektiven Seite

10Demgemaumlszlig duumlrfte es niemals Missverstaumlndnisse zwischen Sprecherin und Houmlrer geben Gerechterweisemuumlssen wir sagen dass es sich hier um ein stark simplifiziertes Houmlrerin-Sprecher-Modell handelt daausgeblendet ist dass - mit Aristoteles - verschieden Gesprochen und Geschrieben wird was Missver-staumlndnisse wieder einfuumlhren wuumlrde

11Mit dieser Erklaumlrung beruhigt sich die Irritation der Kognitionsforscherin aus dem ersten Lektuumlreanlaufim Abschnitt 12 ein wenig wobei sie sich wohl fragen wird ob es weniger dieselben Gedanken sindsondern viel mehr Annaumlherungen - im Modus einer strukturellen Kopplung Das scheint ein andererDiskurs zu sein auf den wir uns hier nicht einlassen

12(Aristoteles 1994 Vgl S147)

9

2 Auslegungen

dessen Inhalt gemeinsames Eigentum von vielen sein kann wie Frege sagt Wir scheinenuns hier die Verstaumlndigung zwischen Menschen durch eine uumlberindividuelle Sphaumlre vonGedanken13zu erklaumlren auf die die Menschen zugreifen um sich auf dasselbe beziehen zukoumlnnen (Aristoteles 1994 Vgl S150f)

Steht die Menge der Gedanken fuumlr alle Zeiten fest das heiszligt ist diese Sphaumlre invariantgegenuumlber Innovation Gibt es nichts Neues unter der Sonne

Mit dieser Frage beenden wir den zweiten Lektuumlreanlauf der einige Fragen aus dem ers-ten unmittelbaren Lektuumlreanlauf klaumlren konnte Etwa wurde die Unterscheidung zwischenZeichen Symbol und Abbild ein wenig spezifiziert Weiters sind wir mit der Deutung derseelischen Widerfahrnisse als Gedanken mitgegangen haben erfahren dass Geschriebenesund Gesprochnes Ausdruumlcke der Gedanken sind und dass sich in ihnen noch immer derBezug auf die Gemeinten Dinge befindet Und da es moumlglich ist dass andere Menschen -mit Hilfe einer uumlberindividuellen Sphaumlre - dieselben Gedanken denken ist eine Kommuni-kationsbasis und eine Bezugnahme auf dieselben Dinge moumlglich Dabei stelllt sich unterAnderem die Frage Wenn die Dinge nicht bloszlig als objektiv existierende Dinge sondern auchals Dinge der Vorstellung gedeutet werden in welchem Verhaumlltnis stehen diese dann zurobjektiven und uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken Beinhaltet diese auch den Bezugzu vorgestellten Dingen wie den beruumlhmten aristotelischen Bockhirsch Der gemeinsameSchatz von Gedanken in dieser Sphaumlre muumlsste um eine Kommunikation moumlglich zu ma-chen allein durch die kombinatorische Explosion der gemeinten existierenden Dinge schonuumlberabzahlbar groszlig und damit unbeherrschbar sein wenn wir Gedanke richtig verstandenhabe oder wenn Gedanken in diesem Sinne eine Sache des Verstehens sind

22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art

Francois Feacutedier unternimmt in seinem Aufsatz eine Relektuumlre des ersten Kapitels vonπερι ερmicroηνειας und kommt zu Deutungen der griechischen Termini die mit traditionellenUumlbersetzungen nicht immer vereinbar sind Eines der zentralen Momente das sich durchden ganzen Text durchzieht und der die obige Lektuumlre erschuumlttern muumlsste ist

Die aristotelische Analyse der Sprache bewegt sich in einem ganz anderen Ho-rizont als diejenige der Linguistik Es stehen nicht Elemente und Funktionenim Vordergrund sondern die Phaumlnomene das heiszligt das was die Dinge undihre Zustaumlnde erscheinen laumlsst14

Um dieses Moment besser zu verstehen starten wir einen erneuten Lektuumlreanlauf Feacutedieranalysiert Satz fuumlr Satz - teilweise Wort fuumlr Wort und kommt zu neuen Beleuchtungender griechishen Termini Er startet mit der Bemerkung dass der Text zumeist aus dem

13Weidemann verweist auf das stoische λεκτόν Sagbares ein Mittleres zwischen individuellen Gedankenund den Dingen

14(Feacutedier 1985 S3)

10

2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

11

2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

12

2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

13

2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

14

2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

15

2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

16

2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

17

2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

18

2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

19

2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Neben den beiden Symbolbeziehungen durch die seelische Widerfahrnisse offenbar zumAusdruck gebracht werden gibt es noch eine Abbildbeziehung zwischen dem Ding (in derWelt) und dem seelischen Widerfahrnis Was unterscheidet ein Abbild von einem SymbolWieder in erster Annaumlherung Ein Symbol steht fuumlr sich dessen Erscheinungsform mussmit den Bedeutungen die es traumlgt nichts zu tun haben Ein Abbild dagegen ist die Kopieeines Urbilds und daher von ihm abhaumlngig Das Abhaumlngigkeitsverhaumlltnis wird direkt imText deutlich Da die Dinge fuumlr alle Menschen dieselben sind sind auch die seelischenWiderfahrnisse welche Abbilder der Dinge sind fuumlr alle dieselben bzw umgekehrt daswird nicht deutlich

Dies ist fuumlr uns Heutige irritierend und jede Kognitionsforscherin wuumlrde laut aufschreienDas Ding und die seelischen Widerfahrnisse haumlngen damit nicht nur kausal miteinanderzusammen sondern sie gleichen einer mathematischen Funktion oder Relation Zu jedemDing gibt es eine genau festgelegte Menge von seelischen Widerfahrnissen (ob es ein odermehrere Widerfahrnisse sind wird aus dem Text nicht deutlich) Und jeder der ein Menschist empfaumlngt bei (sinnlichen) rsquoKontaktrsquo mit dem Ding dieselben seelischen WiderfahrnisseDie Mannigfaltigkeit und die Verwirrung kaumlmen demnach erst zustande nachdem man sichsprachlich ausdruumlckt

Zusammenfassend kann man also - wir sind noch im naiven Lektuumlremodus folgende Kau-salketten feststellen wobei die Pfeile Beziehungen symbolisieren und A fuumlr Abbild S fuumlrSymbol und Z fuumlr Zeichen steht

bull Ding Aminusrarr seelisches Widerfahrnis Sminusrarr Gesprochenes Sminusrarr Geschriebenes

bull GeschriebenesGesprochenes Zminusrarr seelisches Widerfahrnis Aminusrarr Ding

6

2 Auslegungen

Der Text wurde seit jeher stark rezipiert und dessen Interpretation und Bedeutung bleibtweiterhin umstritten1 Untersuchen wir in welchem Verhaumlltnis sich die obige Annaumlherungzu bestehenden Auslegungen befindet Gelesen werden

bull Das Kommentar von Weidemann in Aristoteles (1994)

bull Feacutedier (1985) ein franzoumlsischer Text von den mir gluumlcklicherweise eine deutscheUumlbersetzung zur Verfuumlgung steht und der das erste Kapitel des Werks neu uumlbersetztund interpretiert 2

bull ein Text von Matthias Flatscher uumlber Aristoteles und Heidegger in der das Sprach-verstaumlndnis von Heidegger und das Spannungsverhaumlltnis das Heidegger stets zu Ari-stoteles hatte geschildert wirdFlatscher (2005)

bull und Texte von Heidegger um in sein Sprachverstaumlndnis einzusteigen

Wichtige Deutungen der griechischen Termini die sich waumlhrend der Lektuumlre ergeben sindin einer Tabelle am Ende der Arbeit in Anhang A zusammengefasst3

21 Der klassische Weg Weidemann

Der Weidemann-Kommentar4 ist insofern passend als er die Auslegungen und philolo-gischen Untersuchungen einer Reihe von anderen Autoren uumlber dieses Segment zusam-

1Weidemannn verweist auf mehrere Personen aus unterschiedlichen Jahrhunderten die eine Interpreta-tion dieses Werks als schwierig oder gar unmoumlglich einstuften teils aufgrund der Komprimiertheit derAussagen (Aristoteles 1994 Vgl S94Fuszlignote 10)

2Dafuumlr ist Johanna Gaitsch vom Insitut fuumlr Philosophie an der Universitaumlt Wien zweifach zu dankenerstens aufgrund der von ihr durchgefuumlhrten Uumlbersetzung zweitens dafuumlr dass Sie mir eine Kopiedieser unveroumlffentlichten Uumlbersetzung zukommen lieszlig Ohne dieser Umstaumlnde waumlre es mir nicht moumlg-lich gewesen diesen Text zu lesen Fehlerhafte Schluumlsse aus der Uumlbersetzung sind jedoch allein mirzuzuschreiben

3Empfehlung Um der Arbeit folgen zu koumlnnen sollte man sich den griechischen Text sowie die Weidemann-Uumlbersetzung aus dem Einleitungsabschnitt 1 gesondert auf den rsquoDesktoprsquo zu legen Fuumlr eine intensivereBeschaumlftigung sollte dies auch mit der Tabelle der Deutungen griechischer Termini im Anhang A ge-schehen Diese Arbeitsmethode hat sich auch fuumlr das Lesen der Texte von Weidemann und Feacutedier alssinnvoll herausgestellt Man ist bei der Lektuumlre auf Parallelprozesse rsquoPattern-Matchingrsquo Synchronisa-tion und idealerweise geteilte Arbeitsflaumlchen angewiesen

4(Aristoteles 1994 Vgl S133-153)

7

2 Auslegungen

menfasst und abwaumlgt um auf dieser Basis selbst eine gebuumlndelte Auslegung abzugebenDadurch haben wir einen guten Uumlberblick uumlber traditionelle Interpretationen und koumlnnengemeinsame Merkmale herausheben

Fuumlr Weidemann geht es im 1 Kapitel um (1) sprachliche Ausdruumlcke in denen (2) Gedankenausgedruumlckt werden (3) wobei diese Gedanken bestimmte Dinge meinen5 Es wird also dasVerhaumlltnis von sprachlichen Ausdruumlcken Gedanken und gemeinten Dingen behandelt Dasist noch nicht weit weg von den Erkenntnissen im Abschnitt 12 wo wir in einem mehrintuitiven unmittelbaren Lektuumlremodus gearbeitet haben Doch sehen wir uns weiter anwie er den zentralen Abschnitt 16a3-9 interpretiert Hierfuumlr stellt er vier Fragen die wirzugleich mit einer komprimierten Version der Antworten (ohne die von ihm durchgefuumlhrtenAbwaumlgungen) nennen6

1 Was ist unter folgenden drei Termen zu verstehen

a) rsquoAumluszligerungen unserer Stimmersquo ( τbrvbar ν τIacute φωνIacute)7 Gemeint sind nicht alle stimm-lichen Aumluszligerungen sondern die menschlichen da sie seelische Widerfahrnissesymbolisieren von Schriftzeichen symbolisiert werden und selbst nicht-natuumlrlicheLautzeichen sind

b) rsquoWiderfahrnisse der (bzw in der) Seelersquo ( τicircν ν τIacute ψυχIacute ) Was widerfaumlhrt unsda Die Seele denkt Gedanken Indem sie sie denkt kommt sie bei den Dingenrsquozum stehenrsquo8 und das heiszligt die Seele meint diese Dinge Den Gedanken diedie Seele denkt wird mit Woumlrtern Ausdruck verliehen Die seelischen Wider-fahrnisse sind die Gedanken

c) rsquoDingersquo ( πράγmicroατα ) Dinge sind hier in einem weitlaumlufigen Sinn gemeint DieDinge muumlssen nicht existieren sie muumlssen sich nur denken und aussprechenlassen

2 Was heiszligt es dass

a) die Aumluszligerungen der Stimme SymboleZeichen σύmicroβολα σηmicroεα fuumlr seelischeWiderfahrnisse sind Symbole sind sprachliche Aumluszligerungen der Stimme undhaben Zeichencharakter dh ihre Bedeutung ist nicht naturgegeben sonderndurch Uumlbereinkunft entstanden wie Aristoteles in Kapitel 2 (16a26-29) erlaumlu-tert Symbole kennzeichnen aber zusaumltzlich zum Zeichencharakter dass Spracheund Denken parallel laufen und zusammengehoumlren was auch die Ethymologiedes Wortes nahe legt9

5(Aristoteles 1994 S44)6(Aristoteles 1994 S135-148)7Die woumlrtliche Uumlbersetzung nach Weidemann rsquoDas mit der Stimme geaumluszligertersquo8Hier wird ein Bezug zu Kapitel 14 erlaumlutert wo es in 437 A 4f heiszligt dass das Verstehen rsquounsere Seelebei den Dingen zum Stehen kommen laumlsstrsquo

9Zur Ethymologie siehe auch Tabelle im Anhang A

8

2 Auslegungen

b) die seelischen Widerfahrnisse Abbildungen ETHmicroοιώmicroατα von Dingen sind Eshandelt sich nach Weidemann weder um Abbilder wie bei einem Photoappa-rat noch um Wahrnehmungen oder Vorstellungen sondern darum dass wir dieDinge zum Stehen bringen im oben genannten Sinn des rsquoMeinensrsquo Dies wirdanhand einer Gespraumlchssituation erlaumlutert Wenn der Sprecher einen Gedankendenkt und dabei an ein Ding denkt und der Houmlrer diesen Gedanken denkt wirder auch an dieses Ding denken10

3 Wenn stimmliche Aumluszligerungen an erster Stelle Zeichen fuumlr seelische Widerfahrnissesind was sind sie dann an zweiter Stelle Symbole fuumlr seelische Widerfahrnisse Be-zeichnen sie Dinge Oder sind die schriftlichen Aumluszligerungen Zeichen fuumlr die seelischenWiderfahrnisse Dann bezoumlge sich an erster Stelle auf die seelischen Widerfahrnissenicht auf die stimmtlichen Aumluszligerungen Weidemann argumentiert dass sehr viel dafuumlrspricht dass unsere sprachlichen Aumluszligerungen an zweiter Stelle die Dinge bezeichnen

4 Was heiszligt dass sowohl die von den seelischen Widerfahrnissen abgebildeten Dingeals auch die seelischen Widerfahrnisse selbst fuumlr alle Menschen dieselben sind Mansoll dieser Aussage zumindest die Chance geben plausibel zu sein Natuumlrlich habennicht alle Menschen dieselben Gedanken beim Anblick einer Blume jedoch koumlnnensie dieselben Gedanken haben bei aller Verschiedenheit der Sprachen11 Aristoteleshaumltte zwar noch nicht gesehen dass das Denken sprachgebunden sein kann jedochverteidigt Weidemann ihn mit Frege demgemaumlszlig derselbe Sinn unterschiedlich ausge-druumlckt werden kann und daher weil es nur um unterschiedliche Faumlrbungen gleichsamum Akzidentielles geht in der Logik nicht beachtet werden muss Er zitiert aus FregesKleine Schriften dass die Menschheit trotz unterschiedlicher Sprachen einen gemein-samen Schatz von Gedanken habe12

Fuumlr Weidemann stellt die Passage 16a3-9 unter Voraussetzung der obigen Antwortenunmissverstaumlndlich ein Zeichenmodell dar das Freges moderne Semantik vorwegnimmtDie Gedanken sind demgemaumlszlig eine Relaisstation zwischen Dingen und sprachlichen Aus-druumlcken wobei er sich beeilt darauf hinzuweisen dass Frege mit Gedanken nicht - so wieAristoteles nach Weidemann - seelische Gebilde der Innenwelt unseres Bewusstseins meintsondern objektiv Vorhandenes das nur noch gefasst also ergriffen nicht mehr gebildetwerden muss Was bei Aristoteles nur angedeutet wird (siehe Frage 4) aber nicht klar her-auskommt ist die Unterscheidung zwischen der subjektiven Seite des Gedankens die dieFaumlrbung aber nicht den Sinn des Gedankens beeinflussen und dessen objektiven Seite

10Demgemaumlszlig duumlrfte es niemals Missverstaumlndnisse zwischen Sprecherin und Houmlrer geben Gerechterweisemuumlssen wir sagen dass es sich hier um ein stark simplifiziertes Houmlrerin-Sprecher-Modell handelt daausgeblendet ist dass - mit Aristoteles - verschieden Gesprochen und Geschrieben wird was Missver-staumlndnisse wieder einfuumlhren wuumlrde

11Mit dieser Erklaumlrung beruhigt sich die Irritation der Kognitionsforscherin aus dem ersten Lektuumlreanlaufim Abschnitt 12 ein wenig wobei sie sich wohl fragen wird ob es weniger dieselben Gedanken sindsondern viel mehr Annaumlherungen - im Modus einer strukturellen Kopplung Das scheint ein andererDiskurs zu sein auf den wir uns hier nicht einlassen

12(Aristoteles 1994 Vgl S147)

9

2 Auslegungen

dessen Inhalt gemeinsames Eigentum von vielen sein kann wie Frege sagt Wir scheinenuns hier die Verstaumlndigung zwischen Menschen durch eine uumlberindividuelle Sphaumlre vonGedanken13zu erklaumlren auf die die Menschen zugreifen um sich auf dasselbe beziehen zukoumlnnen (Aristoteles 1994 Vgl S150f)

Steht die Menge der Gedanken fuumlr alle Zeiten fest das heiszligt ist diese Sphaumlre invariantgegenuumlber Innovation Gibt es nichts Neues unter der Sonne

Mit dieser Frage beenden wir den zweiten Lektuumlreanlauf der einige Fragen aus dem ers-ten unmittelbaren Lektuumlreanlauf klaumlren konnte Etwa wurde die Unterscheidung zwischenZeichen Symbol und Abbild ein wenig spezifiziert Weiters sind wir mit der Deutung derseelischen Widerfahrnisse als Gedanken mitgegangen haben erfahren dass Geschriebenesund Gesprochnes Ausdruumlcke der Gedanken sind und dass sich in ihnen noch immer derBezug auf die Gemeinten Dinge befindet Und da es moumlglich ist dass andere Menschen -mit Hilfe einer uumlberindividuellen Sphaumlre - dieselben Gedanken denken ist eine Kommuni-kationsbasis und eine Bezugnahme auf dieselben Dinge moumlglich Dabei stelllt sich unterAnderem die Frage Wenn die Dinge nicht bloszlig als objektiv existierende Dinge sondern auchals Dinge der Vorstellung gedeutet werden in welchem Verhaumlltnis stehen diese dann zurobjektiven und uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken Beinhaltet diese auch den Bezugzu vorgestellten Dingen wie den beruumlhmten aristotelischen Bockhirsch Der gemeinsameSchatz von Gedanken in dieser Sphaumlre muumlsste um eine Kommunikation moumlglich zu ma-chen allein durch die kombinatorische Explosion der gemeinten existierenden Dinge schonuumlberabzahlbar groszlig und damit unbeherrschbar sein wenn wir Gedanke richtig verstandenhabe oder wenn Gedanken in diesem Sinne eine Sache des Verstehens sind

22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art

Francois Feacutedier unternimmt in seinem Aufsatz eine Relektuumlre des ersten Kapitels vonπερι ερmicroηνειας und kommt zu Deutungen der griechischen Termini die mit traditionellenUumlbersetzungen nicht immer vereinbar sind Eines der zentralen Momente das sich durchden ganzen Text durchzieht und der die obige Lektuumlre erschuumlttern muumlsste ist

Die aristotelische Analyse der Sprache bewegt sich in einem ganz anderen Ho-rizont als diejenige der Linguistik Es stehen nicht Elemente und Funktionenim Vordergrund sondern die Phaumlnomene das heiszligt das was die Dinge undihre Zustaumlnde erscheinen laumlsst14

Um dieses Moment besser zu verstehen starten wir einen erneuten Lektuumlreanlauf Feacutedieranalysiert Satz fuumlr Satz - teilweise Wort fuumlr Wort und kommt zu neuen Beleuchtungender griechishen Termini Er startet mit der Bemerkung dass der Text zumeist aus dem

13Weidemann verweist auf das stoische λεκτόν Sagbares ein Mittleres zwischen individuellen Gedankenund den Dingen

14(Feacutedier 1985 S3)

10

2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

11

2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

12

2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

13

2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

14

2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

18

2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

Der Text wurde seit jeher stark rezipiert und dessen Interpretation und Bedeutung bleibtweiterhin umstritten1 Untersuchen wir in welchem Verhaumlltnis sich die obige Annaumlherungzu bestehenden Auslegungen befindet Gelesen werden

bull Das Kommentar von Weidemann in Aristoteles (1994)

bull Feacutedier (1985) ein franzoumlsischer Text von den mir gluumlcklicherweise eine deutscheUumlbersetzung zur Verfuumlgung steht und der das erste Kapitel des Werks neu uumlbersetztund interpretiert 2

bull ein Text von Matthias Flatscher uumlber Aristoteles und Heidegger in der das Sprach-verstaumlndnis von Heidegger und das Spannungsverhaumlltnis das Heidegger stets zu Ari-stoteles hatte geschildert wirdFlatscher (2005)

bull und Texte von Heidegger um in sein Sprachverstaumlndnis einzusteigen

Wichtige Deutungen der griechischen Termini die sich waumlhrend der Lektuumlre ergeben sindin einer Tabelle am Ende der Arbeit in Anhang A zusammengefasst3

21 Der klassische Weg Weidemann

Der Weidemann-Kommentar4 ist insofern passend als er die Auslegungen und philolo-gischen Untersuchungen einer Reihe von anderen Autoren uumlber dieses Segment zusam-

1Weidemannn verweist auf mehrere Personen aus unterschiedlichen Jahrhunderten die eine Interpreta-tion dieses Werks als schwierig oder gar unmoumlglich einstuften teils aufgrund der Komprimiertheit derAussagen (Aristoteles 1994 Vgl S94Fuszlignote 10)

2Dafuumlr ist Johanna Gaitsch vom Insitut fuumlr Philosophie an der Universitaumlt Wien zweifach zu dankenerstens aufgrund der von ihr durchgefuumlhrten Uumlbersetzung zweitens dafuumlr dass Sie mir eine Kopiedieser unveroumlffentlichten Uumlbersetzung zukommen lieszlig Ohne dieser Umstaumlnde waumlre es mir nicht moumlg-lich gewesen diesen Text zu lesen Fehlerhafte Schluumlsse aus der Uumlbersetzung sind jedoch allein mirzuzuschreiben

3Empfehlung Um der Arbeit folgen zu koumlnnen sollte man sich den griechischen Text sowie die Weidemann-Uumlbersetzung aus dem Einleitungsabschnitt 1 gesondert auf den rsquoDesktoprsquo zu legen Fuumlr eine intensivereBeschaumlftigung sollte dies auch mit der Tabelle der Deutungen griechischer Termini im Anhang A ge-schehen Diese Arbeitsmethode hat sich auch fuumlr das Lesen der Texte von Weidemann und Feacutedier alssinnvoll herausgestellt Man ist bei der Lektuumlre auf Parallelprozesse rsquoPattern-Matchingrsquo Synchronisa-tion und idealerweise geteilte Arbeitsflaumlchen angewiesen

4(Aristoteles 1994 Vgl S133-153)

7

2 Auslegungen

menfasst und abwaumlgt um auf dieser Basis selbst eine gebuumlndelte Auslegung abzugebenDadurch haben wir einen guten Uumlberblick uumlber traditionelle Interpretationen und koumlnnengemeinsame Merkmale herausheben

Fuumlr Weidemann geht es im 1 Kapitel um (1) sprachliche Ausdruumlcke in denen (2) Gedankenausgedruumlckt werden (3) wobei diese Gedanken bestimmte Dinge meinen5 Es wird also dasVerhaumlltnis von sprachlichen Ausdruumlcken Gedanken und gemeinten Dingen behandelt Dasist noch nicht weit weg von den Erkenntnissen im Abschnitt 12 wo wir in einem mehrintuitiven unmittelbaren Lektuumlremodus gearbeitet haben Doch sehen wir uns weiter anwie er den zentralen Abschnitt 16a3-9 interpretiert Hierfuumlr stellt er vier Fragen die wirzugleich mit einer komprimierten Version der Antworten (ohne die von ihm durchgefuumlhrtenAbwaumlgungen) nennen6

1 Was ist unter folgenden drei Termen zu verstehen

a) rsquoAumluszligerungen unserer Stimmersquo ( τbrvbar ν τIacute φωνIacute)7 Gemeint sind nicht alle stimm-lichen Aumluszligerungen sondern die menschlichen da sie seelische Widerfahrnissesymbolisieren von Schriftzeichen symbolisiert werden und selbst nicht-natuumlrlicheLautzeichen sind

b) rsquoWiderfahrnisse der (bzw in der) Seelersquo ( τicircν ν τIacute ψυχIacute ) Was widerfaumlhrt unsda Die Seele denkt Gedanken Indem sie sie denkt kommt sie bei den Dingenrsquozum stehenrsquo8 und das heiszligt die Seele meint diese Dinge Den Gedanken diedie Seele denkt wird mit Woumlrtern Ausdruck verliehen Die seelischen Wider-fahrnisse sind die Gedanken

c) rsquoDingersquo ( πράγmicroατα ) Dinge sind hier in einem weitlaumlufigen Sinn gemeint DieDinge muumlssen nicht existieren sie muumlssen sich nur denken und aussprechenlassen

2 Was heiszligt es dass

a) die Aumluszligerungen der Stimme SymboleZeichen σύmicroβολα σηmicroεα fuumlr seelischeWiderfahrnisse sind Symbole sind sprachliche Aumluszligerungen der Stimme undhaben Zeichencharakter dh ihre Bedeutung ist nicht naturgegeben sonderndurch Uumlbereinkunft entstanden wie Aristoteles in Kapitel 2 (16a26-29) erlaumlu-tert Symbole kennzeichnen aber zusaumltzlich zum Zeichencharakter dass Spracheund Denken parallel laufen und zusammengehoumlren was auch die Ethymologiedes Wortes nahe legt9

5(Aristoteles 1994 S44)6(Aristoteles 1994 S135-148)7Die woumlrtliche Uumlbersetzung nach Weidemann rsquoDas mit der Stimme geaumluszligertersquo8Hier wird ein Bezug zu Kapitel 14 erlaumlutert wo es in 437 A 4f heiszligt dass das Verstehen rsquounsere Seelebei den Dingen zum Stehen kommen laumlsstrsquo

9Zur Ethymologie siehe auch Tabelle im Anhang A

8

2 Auslegungen

b) die seelischen Widerfahrnisse Abbildungen ETHmicroοιώmicroατα von Dingen sind Eshandelt sich nach Weidemann weder um Abbilder wie bei einem Photoappa-rat noch um Wahrnehmungen oder Vorstellungen sondern darum dass wir dieDinge zum Stehen bringen im oben genannten Sinn des rsquoMeinensrsquo Dies wirdanhand einer Gespraumlchssituation erlaumlutert Wenn der Sprecher einen Gedankendenkt und dabei an ein Ding denkt und der Houmlrer diesen Gedanken denkt wirder auch an dieses Ding denken10

3 Wenn stimmliche Aumluszligerungen an erster Stelle Zeichen fuumlr seelische Widerfahrnissesind was sind sie dann an zweiter Stelle Symbole fuumlr seelische Widerfahrnisse Be-zeichnen sie Dinge Oder sind die schriftlichen Aumluszligerungen Zeichen fuumlr die seelischenWiderfahrnisse Dann bezoumlge sich an erster Stelle auf die seelischen Widerfahrnissenicht auf die stimmtlichen Aumluszligerungen Weidemann argumentiert dass sehr viel dafuumlrspricht dass unsere sprachlichen Aumluszligerungen an zweiter Stelle die Dinge bezeichnen

4 Was heiszligt dass sowohl die von den seelischen Widerfahrnissen abgebildeten Dingeals auch die seelischen Widerfahrnisse selbst fuumlr alle Menschen dieselben sind Mansoll dieser Aussage zumindest die Chance geben plausibel zu sein Natuumlrlich habennicht alle Menschen dieselben Gedanken beim Anblick einer Blume jedoch koumlnnensie dieselben Gedanken haben bei aller Verschiedenheit der Sprachen11 Aristoteleshaumltte zwar noch nicht gesehen dass das Denken sprachgebunden sein kann jedochverteidigt Weidemann ihn mit Frege demgemaumlszlig derselbe Sinn unterschiedlich ausge-druumlckt werden kann und daher weil es nur um unterschiedliche Faumlrbungen gleichsamum Akzidentielles geht in der Logik nicht beachtet werden muss Er zitiert aus FregesKleine Schriften dass die Menschheit trotz unterschiedlicher Sprachen einen gemein-samen Schatz von Gedanken habe12

Fuumlr Weidemann stellt die Passage 16a3-9 unter Voraussetzung der obigen Antwortenunmissverstaumlndlich ein Zeichenmodell dar das Freges moderne Semantik vorwegnimmtDie Gedanken sind demgemaumlszlig eine Relaisstation zwischen Dingen und sprachlichen Aus-druumlcken wobei er sich beeilt darauf hinzuweisen dass Frege mit Gedanken nicht - so wieAristoteles nach Weidemann - seelische Gebilde der Innenwelt unseres Bewusstseins meintsondern objektiv Vorhandenes das nur noch gefasst also ergriffen nicht mehr gebildetwerden muss Was bei Aristoteles nur angedeutet wird (siehe Frage 4) aber nicht klar her-auskommt ist die Unterscheidung zwischen der subjektiven Seite des Gedankens die dieFaumlrbung aber nicht den Sinn des Gedankens beeinflussen und dessen objektiven Seite

10Demgemaumlszlig duumlrfte es niemals Missverstaumlndnisse zwischen Sprecherin und Houmlrer geben Gerechterweisemuumlssen wir sagen dass es sich hier um ein stark simplifiziertes Houmlrerin-Sprecher-Modell handelt daausgeblendet ist dass - mit Aristoteles - verschieden Gesprochen und Geschrieben wird was Missver-staumlndnisse wieder einfuumlhren wuumlrde

11Mit dieser Erklaumlrung beruhigt sich die Irritation der Kognitionsforscherin aus dem ersten Lektuumlreanlaufim Abschnitt 12 ein wenig wobei sie sich wohl fragen wird ob es weniger dieselben Gedanken sindsondern viel mehr Annaumlherungen - im Modus einer strukturellen Kopplung Das scheint ein andererDiskurs zu sein auf den wir uns hier nicht einlassen

12(Aristoteles 1994 Vgl S147)

9

2 Auslegungen

dessen Inhalt gemeinsames Eigentum von vielen sein kann wie Frege sagt Wir scheinenuns hier die Verstaumlndigung zwischen Menschen durch eine uumlberindividuelle Sphaumlre vonGedanken13zu erklaumlren auf die die Menschen zugreifen um sich auf dasselbe beziehen zukoumlnnen (Aristoteles 1994 Vgl S150f)

Steht die Menge der Gedanken fuumlr alle Zeiten fest das heiszligt ist diese Sphaumlre invariantgegenuumlber Innovation Gibt es nichts Neues unter der Sonne

Mit dieser Frage beenden wir den zweiten Lektuumlreanlauf der einige Fragen aus dem ers-ten unmittelbaren Lektuumlreanlauf klaumlren konnte Etwa wurde die Unterscheidung zwischenZeichen Symbol und Abbild ein wenig spezifiziert Weiters sind wir mit der Deutung derseelischen Widerfahrnisse als Gedanken mitgegangen haben erfahren dass Geschriebenesund Gesprochnes Ausdruumlcke der Gedanken sind und dass sich in ihnen noch immer derBezug auf die Gemeinten Dinge befindet Und da es moumlglich ist dass andere Menschen -mit Hilfe einer uumlberindividuellen Sphaumlre - dieselben Gedanken denken ist eine Kommuni-kationsbasis und eine Bezugnahme auf dieselben Dinge moumlglich Dabei stelllt sich unterAnderem die Frage Wenn die Dinge nicht bloszlig als objektiv existierende Dinge sondern auchals Dinge der Vorstellung gedeutet werden in welchem Verhaumlltnis stehen diese dann zurobjektiven und uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken Beinhaltet diese auch den Bezugzu vorgestellten Dingen wie den beruumlhmten aristotelischen Bockhirsch Der gemeinsameSchatz von Gedanken in dieser Sphaumlre muumlsste um eine Kommunikation moumlglich zu ma-chen allein durch die kombinatorische Explosion der gemeinten existierenden Dinge schonuumlberabzahlbar groszlig und damit unbeherrschbar sein wenn wir Gedanke richtig verstandenhabe oder wenn Gedanken in diesem Sinne eine Sache des Verstehens sind

22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art

Francois Feacutedier unternimmt in seinem Aufsatz eine Relektuumlre des ersten Kapitels vonπερι ερmicroηνειας und kommt zu Deutungen der griechischen Termini die mit traditionellenUumlbersetzungen nicht immer vereinbar sind Eines der zentralen Momente das sich durchden ganzen Text durchzieht und der die obige Lektuumlre erschuumlttern muumlsste ist

Die aristotelische Analyse der Sprache bewegt sich in einem ganz anderen Ho-rizont als diejenige der Linguistik Es stehen nicht Elemente und Funktionenim Vordergrund sondern die Phaumlnomene das heiszligt das was die Dinge undihre Zustaumlnde erscheinen laumlsst14

Um dieses Moment besser zu verstehen starten wir einen erneuten Lektuumlreanlauf Feacutedieranalysiert Satz fuumlr Satz - teilweise Wort fuumlr Wort und kommt zu neuen Beleuchtungender griechishen Termini Er startet mit der Bemerkung dass der Text zumeist aus dem

13Weidemann verweist auf das stoische λεκτόν Sagbares ein Mittleres zwischen individuellen Gedankenund den Dingen

14(Feacutedier 1985 S3)

10

2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

11

2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

12

2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

13

2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

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2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

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2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

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A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

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B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

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  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

menfasst und abwaumlgt um auf dieser Basis selbst eine gebuumlndelte Auslegung abzugebenDadurch haben wir einen guten Uumlberblick uumlber traditionelle Interpretationen und koumlnnengemeinsame Merkmale herausheben

Fuumlr Weidemann geht es im 1 Kapitel um (1) sprachliche Ausdruumlcke in denen (2) Gedankenausgedruumlckt werden (3) wobei diese Gedanken bestimmte Dinge meinen5 Es wird also dasVerhaumlltnis von sprachlichen Ausdruumlcken Gedanken und gemeinten Dingen behandelt Dasist noch nicht weit weg von den Erkenntnissen im Abschnitt 12 wo wir in einem mehrintuitiven unmittelbaren Lektuumlremodus gearbeitet haben Doch sehen wir uns weiter anwie er den zentralen Abschnitt 16a3-9 interpretiert Hierfuumlr stellt er vier Fragen die wirzugleich mit einer komprimierten Version der Antworten (ohne die von ihm durchgefuumlhrtenAbwaumlgungen) nennen6

1 Was ist unter folgenden drei Termen zu verstehen

a) rsquoAumluszligerungen unserer Stimmersquo ( τbrvbar ν τIacute φωνIacute)7 Gemeint sind nicht alle stimm-lichen Aumluszligerungen sondern die menschlichen da sie seelische Widerfahrnissesymbolisieren von Schriftzeichen symbolisiert werden und selbst nicht-natuumlrlicheLautzeichen sind

b) rsquoWiderfahrnisse der (bzw in der) Seelersquo ( τicircν ν τIacute ψυχIacute ) Was widerfaumlhrt unsda Die Seele denkt Gedanken Indem sie sie denkt kommt sie bei den Dingenrsquozum stehenrsquo8 und das heiszligt die Seele meint diese Dinge Den Gedanken diedie Seele denkt wird mit Woumlrtern Ausdruck verliehen Die seelischen Wider-fahrnisse sind die Gedanken

c) rsquoDingersquo ( πράγmicroατα ) Dinge sind hier in einem weitlaumlufigen Sinn gemeint DieDinge muumlssen nicht existieren sie muumlssen sich nur denken und aussprechenlassen

2 Was heiszligt es dass

a) die Aumluszligerungen der Stimme SymboleZeichen σύmicroβολα σηmicroεα fuumlr seelischeWiderfahrnisse sind Symbole sind sprachliche Aumluszligerungen der Stimme undhaben Zeichencharakter dh ihre Bedeutung ist nicht naturgegeben sonderndurch Uumlbereinkunft entstanden wie Aristoteles in Kapitel 2 (16a26-29) erlaumlu-tert Symbole kennzeichnen aber zusaumltzlich zum Zeichencharakter dass Spracheund Denken parallel laufen und zusammengehoumlren was auch die Ethymologiedes Wortes nahe legt9

5(Aristoteles 1994 S44)6(Aristoteles 1994 S135-148)7Die woumlrtliche Uumlbersetzung nach Weidemann rsquoDas mit der Stimme geaumluszligertersquo8Hier wird ein Bezug zu Kapitel 14 erlaumlutert wo es in 437 A 4f heiszligt dass das Verstehen rsquounsere Seelebei den Dingen zum Stehen kommen laumlsstrsquo

9Zur Ethymologie siehe auch Tabelle im Anhang A

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2 Auslegungen

b) die seelischen Widerfahrnisse Abbildungen ETHmicroοιώmicroατα von Dingen sind Eshandelt sich nach Weidemann weder um Abbilder wie bei einem Photoappa-rat noch um Wahrnehmungen oder Vorstellungen sondern darum dass wir dieDinge zum Stehen bringen im oben genannten Sinn des rsquoMeinensrsquo Dies wirdanhand einer Gespraumlchssituation erlaumlutert Wenn der Sprecher einen Gedankendenkt und dabei an ein Ding denkt und der Houmlrer diesen Gedanken denkt wirder auch an dieses Ding denken10

3 Wenn stimmliche Aumluszligerungen an erster Stelle Zeichen fuumlr seelische Widerfahrnissesind was sind sie dann an zweiter Stelle Symbole fuumlr seelische Widerfahrnisse Be-zeichnen sie Dinge Oder sind die schriftlichen Aumluszligerungen Zeichen fuumlr die seelischenWiderfahrnisse Dann bezoumlge sich an erster Stelle auf die seelischen Widerfahrnissenicht auf die stimmtlichen Aumluszligerungen Weidemann argumentiert dass sehr viel dafuumlrspricht dass unsere sprachlichen Aumluszligerungen an zweiter Stelle die Dinge bezeichnen

4 Was heiszligt dass sowohl die von den seelischen Widerfahrnissen abgebildeten Dingeals auch die seelischen Widerfahrnisse selbst fuumlr alle Menschen dieselben sind Mansoll dieser Aussage zumindest die Chance geben plausibel zu sein Natuumlrlich habennicht alle Menschen dieselben Gedanken beim Anblick einer Blume jedoch koumlnnensie dieselben Gedanken haben bei aller Verschiedenheit der Sprachen11 Aristoteleshaumltte zwar noch nicht gesehen dass das Denken sprachgebunden sein kann jedochverteidigt Weidemann ihn mit Frege demgemaumlszlig derselbe Sinn unterschiedlich ausge-druumlckt werden kann und daher weil es nur um unterschiedliche Faumlrbungen gleichsamum Akzidentielles geht in der Logik nicht beachtet werden muss Er zitiert aus FregesKleine Schriften dass die Menschheit trotz unterschiedlicher Sprachen einen gemein-samen Schatz von Gedanken habe12

Fuumlr Weidemann stellt die Passage 16a3-9 unter Voraussetzung der obigen Antwortenunmissverstaumlndlich ein Zeichenmodell dar das Freges moderne Semantik vorwegnimmtDie Gedanken sind demgemaumlszlig eine Relaisstation zwischen Dingen und sprachlichen Aus-druumlcken wobei er sich beeilt darauf hinzuweisen dass Frege mit Gedanken nicht - so wieAristoteles nach Weidemann - seelische Gebilde der Innenwelt unseres Bewusstseins meintsondern objektiv Vorhandenes das nur noch gefasst also ergriffen nicht mehr gebildetwerden muss Was bei Aristoteles nur angedeutet wird (siehe Frage 4) aber nicht klar her-auskommt ist die Unterscheidung zwischen der subjektiven Seite des Gedankens die dieFaumlrbung aber nicht den Sinn des Gedankens beeinflussen und dessen objektiven Seite

10Demgemaumlszlig duumlrfte es niemals Missverstaumlndnisse zwischen Sprecherin und Houmlrer geben Gerechterweisemuumlssen wir sagen dass es sich hier um ein stark simplifiziertes Houmlrerin-Sprecher-Modell handelt daausgeblendet ist dass - mit Aristoteles - verschieden Gesprochen und Geschrieben wird was Missver-staumlndnisse wieder einfuumlhren wuumlrde

11Mit dieser Erklaumlrung beruhigt sich die Irritation der Kognitionsforscherin aus dem ersten Lektuumlreanlaufim Abschnitt 12 ein wenig wobei sie sich wohl fragen wird ob es weniger dieselben Gedanken sindsondern viel mehr Annaumlherungen - im Modus einer strukturellen Kopplung Das scheint ein andererDiskurs zu sein auf den wir uns hier nicht einlassen

12(Aristoteles 1994 Vgl S147)

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2 Auslegungen

dessen Inhalt gemeinsames Eigentum von vielen sein kann wie Frege sagt Wir scheinenuns hier die Verstaumlndigung zwischen Menschen durch eine uumlberindividuelle Sphaumlre vonGedanken13zu erklaumlren auf die die Menschen zugreifen um sich auf dasselbe beziehen zukoumlnnen (Aristoteles 1994 Vgl S150f)

Steht die Menge der Gedanken fuumlr alle Zeiten fest das heiszligt ist diese Sphaumlre invariantgegenuumlber Innovation Gibt es nichts Neues unter der Sonne

Mit dieser Frage beenden wir den zweiten Lektuumlreanlauf der einige Fragen aus dem ers-ten unmittelbaren Lektuumlreanlauf klaumlren konnte Etwa wurde die Unterscheidung zwischenZeichen Symbol und Abbild ein wenig spezifiziert Weiters sind wir mit der Deutung derseelischen Widerfahrnisse als Gedanken mitgegangen haben erfahren dass Geschriebenesund Gesprochnes Ausdruumlcke der Gedanken sind und dass sich in ihnen noch immer derBezug auf die Gemeinten Dinge befindet Und da es moumlglich ist dass andere Menschen -mit Hilfe einer uumlberindividuellen Sphaumlre - dieselben Gedanken denken ist eine Kommuni-kationsbasis und eine Bezugnahme auf dieselben Dinge moumlglich Dabei stelllt sich unterAnderem die Frage Wenn die Dinge nicht bloszlig als objektiv existierende Dinge sondern auchals Dinge der Vorstellung gedeutet werden in welchem Verhaumlltnis stehen diese dann zurobjektiven und uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken Beinhaltet diese auch den Bezugzu vorgestellten Dingen wie den beruumlhmten aristotelischen Bockhirsch Der gemeinsameSchatz von Gedanken in dieser Sphaumlre muumlsste um eine Kommunikation moumlglich zu ma-chen allein durch die kombinatorische Explosion der gemeinten existierenden Dinge schonuumlberabzahlbar groszlig und damit unbeherrschbar sein wenn wir Gedanke richtig verstandenhabe oder wenn Gedanken in diesem Sinne eine Sache des Verstehens sind

22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art

Francois Feacutedier unternimmt in seinem Aufsatz eine Relektuumlre des ersten Kapitels vonπερι ερmicroηνειας und kommt zu Deutungen der griechischen Termini die mit traditionellenUumlbersetzungen nicht immer vereinbar sind Eines der zentralen Momente das sich durchden ganzen Text durchzieht und der die obige Lektuumlre erschuumlttern muumlsste ist

Die aristotelische Analyse der Sprache bewegt sich in einem ganz anderen Ho-rizont als diejenige der Linguistik Es stehen nicht Elemente und Funktionenim Vordergrund sondern die Phaumlnomene das heiszligt das was die Dinge undihre Zustaumlnde erscheinen laumlsst14

Um dieses Moment besser zu verstehen starten wir einen erneuten Lektuumlreanlauf Feacutedieranalysiert Satz fuumlr Satz - teilweise Wort fuumlr Wort und kommt zu neuen Beleuchtungender griechishen Termini Er startet mit der Bemerkung dass der Text zumeist aus dem

13Weidemann verweist auf das stoische λεκτόν Sagbares ein Mittleres zwischen individuellen Gedankenund den Dingen

14(Feacutedier 1985 S3)

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2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

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2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

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2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

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2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

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2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

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2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

b) die seelischen Widerfahrnisse Abbildungen ETHmicroοιώmicroατα von Dingen sind Eshandelt sich nach Weidemann weder um Abbilder wie bei einem Photoappa-rat noch um Wahrnehmungen oder Vorstellungen sondern darum dass wir dieDinge zum Stehen bringen im oben genannten Sinn des rsquoMeinensrsquo Dies wirdanhand einer Gespraumlchssituation erlaumlutert Wenn der Sprecher einen Gedankendenkt und dabei an ein Ding denkt und der Houmlrer diesen Gedanken denkt wirder auch an dieses Ding denken10

3 Wenn stimmliche Aumluszligerungen an erster Stelle Zeichen fuumlr seelische Widerfahrnissesind was sind sie dann an zweiter Stelle Symbole fuumlr seelische Widerfahrnisse Be-zeichnen sie Dinge Oder sind die schriftlichen Aumluszligerungen Zeichen fuumlr die seelischenWiderfahrnisse Dann bezoumlge sich an erster Stelle auf die seelischen Widerfahrnissenicht auf die stimmtlichen Aumluszligerungen Weidemann argumentiert dass sehr viel dafuumlrspricht dass unsere sprachlichen Aumluszligerungen an zweiter Stelle die Dinge bezeichnen

4 Was heiszligt dass sowohl die von den seelischen Widerfahrnissen abgebildeten Dingeals auch die seelischen Widerfahrnisse selbst fuumlr alle Menschen dieselben sind Mansoll dieser Aussage zumindest die Chance geben plausibel zu sein Natuumlrlich habennicht alle Menschen dieselben Gedanken beim Anblick einer Blume jedoch koumlnnensie dieselben Gedanken haben bei aller Verschiedenheit der Sprachen11 Aristoteleshaumltte zwar noch nicht gesehen dass das Denken sprachgebunden sein kann jedochverteidigt Weidemann ihn mit Frege demgemaumlszlig derselbe Sinn unterschiedlich ausge-druumlckt werden kann und daher weil es nur um unterschiedliche Faumlrbungen gleichsamum Akzidentielles geht in der Logik nicht beachtet werden muss Er zitiert aus FregesKleine Schriften dass die Menschheit trotz unterschiedlicher Sprachen einen gemein-samen Schatz von Gedanken habe12

Fuumlr Weidemann stellt die Passage 16a3-9 unter Voraussetzung der obigen Antwortenunmissverstaumlndlich ein Zeichenmodell dar das Freges moderne Semantik vorwegnimmtDie Gedanken sind demgemaumlszlig eine Relaisstation zwischen Dingen und sprachlichen Aus-druumlcken wobei er sich beeilt darauf hinzuweisen dass Frege mit Gedanken nicht - so wieAristoteles nach Weidemann - seelische Gebilde der Innenwelt unseres Bewusstseins meintsondern objektiv Vorhandenes das nur noch gefasst also ergriffen nicht mehr gebildetwerden muss Was bei Aristoteles nur angedeutet wird (siehe Frage 4) aber nicht klar her-auskommt ist die Unterscheidung zwischen der subjektiven Seite des Gedankens die dieFaumlrbung aber nicht den Sinn des Gedankens beeinflussen und dessen objektiven Seite

10Demgemaumlszlig duumlrfte es niemals Missverstaumlndnisse zwischen Sprecherin und Houmlrer geben Gerechterweisemuumlssen wir sagen dass es sich hier um ein stark simplifiziertes Houmlrerin-Sprecher-Modell handelt daausgeblendet ist dass - mit Aristoteles - verschieden Gesprochen und Geschrieben wird was Missver-staumlndnisse wieder einfuumlhren wuumlrde

11Mit dieser Erklaumlrung beruhigt sich die Irritation der Kognitionsforscherin aus dem ersten Lektuumlreanlaufim Abschnitt 12 ein wenig wobei sie sich wohl fragen wird ob es weniger dieselben Gedanken sindsondern viel mehr Annaumlherungen - im Modus einer strukturellen Kopplung Das scheint ein andererDiskurs zu sein auf den wir uns hier nicht einlassen

12(Aristoteles 1994 Vgl S147)

9

2 Auslegungen

dessen Inhalt gemeinsames Eigentum von vielen sein kann wie Frege sagt Wir scheinenuns hier die Verstaumlndigung zwischen Menschen durch eine uumlberindividuelle Sphaumlre vonGedanken13zu erklaumlren auf die die Menschen zugreifen um sich auf dasselbe beziehen zukoumlnnen (Aristoteles 1994 Vgl S150f)

Steht die Menge der Gedanken fuumlr alle Zeiten fest das heiszligt ist diese Sphaumlre invariantgegenuumlber Innovation Gibt es nichts Neues unter der Sonne

Mit dieser Frage beenden wir den zweiten Lektuumlreanlauf der einige Fragen aus dem ers-ten unmittelbaren Lektuumlreanlauf klaumlren konnte Etwa wurde die Unterscheidung zwischenZeichen Symbol und Abbild ein wenig spezifiziert Weiters sind wir mit der Deutung derseelischen Widerfahrnisse als Gedanken mitgegangen haben erfahren dass Geschriebenesund Gesprochnes Ausdruumlcke der Gedanken sind und dass sich in ihnen noch immer derBezug auf die Gemeinten Dinge befindet Und da es moumlglich ist dass andere Menschen -mit Hilfe einer uumlberindividuellen Sphaumlre - dieselben Gedanken denken ist eine Kommuni-kationsbasis und eine Bezugnahme auf dieselben Dinge moumlglich Dabei stelllt sich unterAnderem die Frage Wenn die Dinge nicht bloszlig als objektiv existierende Dinge sondern auchals Dinge der Vorstellung gedeutet werden in welchem Verhaumlltnis stehen diese dann zurobjektiven und uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken Beinhaltet diese auch den Bezugzu vorgestellten Dingen wie den beruumlhmten aristotelischen Bockhirsch Der gemeinsameSchatz von Gedanken in dieser Sphaumlre muumlsste um eine Kommunikation moumlglich zu ma-chen allein durch die kombinatorische Explosion der gemeinten existierenden Dinge schonuumlberabzahlbar groszlig und damit unbeherrschbar sein wenn wir Gedanke richtig verstandenhabe oder wenn Gedanken in diesem Sinne eine Sache des Verstehens sind

22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art

Francois Feacutedier unternimmt in seinem Aufsatz eine Relektuumlre des ersten Kapitels vonπερι ερmicroηνειας und kommt zu Deutungen der griechischen Termini die mit traditionellenUumlbersetzungen nicht immer vereinbar sind Eines der zentralen Momente das sich durchden ganzen Text durchzieht und der die obige Lektuumlre erschuumlttern muumlsste ist

Die aristotelische Analyse der Sprache bewegt sich in einem ganz anderen Ho-rizont als diejenige der Linguistik Es stehen nicht Elemente und Funktionenim Vordergrund sondern die Phaumlnomene das heiszligt das was die Dinge undihre Zustaumlnde erscheinen laumlsst14

Um dieses Moment besser zu verstehen starten wir einen erneuten Lektuumlreanlauf Feacutedieranalysiert Satz fuumlr Satz - teilweise Wort fuumlr Wort und kommt zu neuen Beleuchtungender griechishen Termini Er startet mit der Bemerkung dass der Text zumeist aus dem

13Weidemann verweist auf das stoische λεκτόν Sagbares ein Mittleres zwischen individuellen Gedankenund den Dingen

14(Feacutedier 1985 S3)

10

2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

11

2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

12

2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

13

2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

14

2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

15

2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

16

2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

17

2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

18

2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

19

2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

dessen Inhalt gemeinsames Eigentum von vielen sein kann wie Frege sagt Wir scheinenuns hier die Verstaumlndigung zwischen Menschen durch eine uumlberindividuelle Sphaumlre vonGedanken13zu erklaumlren auf die die Menschen zugreifen um sich auf dasselbe beziehen zukoumlnnen (Aristoteles 1994 Vgl S150f)

Steht die Menge der Gedanken fuumlr alle Zeiten fest das heiszligt ist diese Sphaumlre invariantgegenuumlber Innovation Gibt es nichts Neues unter der Sonne

Mit dieser Frage beenden wir den zweiten Lektuumlreanlauf der einige Fragen aus dem ers-ten unmittelbaren Lektuumlreanlauf klaumlren konnte Etwa wurde die Unterscheidung zwischenZeichen Symbol und Abbild ein wenig spezifiziert Weiters sind wir mit der Deutung derseelischen Widerfahrnisse als Gedanken mitgegangen haben erfahren dass Geschriebenesund Gesprochnes Ausdruumlcke der Gedanken sind und dass sich in ihnen noch immer derBezug auf die Gemeinten Dinge befindet Und da es moumlglich ist dass andere Menschen -mit Hilfe einer uumlberindividuellen Sphaumlre - dieselben Gedanken denken ist eine Kommuni-kationsbasis und eine Bezugnahme auf dieselben Dinge moumlglich Dabei stelllt sich unterAnderem die Frage Wenn die Dinge nicht bloszlig als objektiv existierende Dinge sondern auchals Dinge der Vorstellung gedeutet werden in welchem Verhaumlltnis stehen diese dann zurobjektiven und uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken Beinhaltet diese auch den Bezugzu vorgestellten Dingen wie den beruumlhmten aristotelischen Bockhirsch Der gemeinsameSchatz von Gedanken in dieser Sphaumlre muumlsste um eine Kommunikation moumlglich zu ma-chen allein durch die kombinatorische Explosion der gemeinten existierenden Dinge schonuumlberabzahlbar groszlig und damit unbeherrschbar sein wenn wir Gedanke richtig verstandenhabe oder wenn Gedanken in diesem Sinne eine Sache des Verstehens sind

22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art

Francois Feacutedier unternimmt in seinem Aufsatz eine Relektuumlre des ersten Kapitels vonπερι ερmicroηνειας und kommt zu Deutungen der griechischen Termini die mit traditionellenUumlbersetzungen nicht immer vereinbar sind Eines der zentralen Momente das sich durchden ganzen Text durchzieht und der die obige Lektuumlre erschuumlttern muumlsste ist

Die aristotelische Analyse der Sprache bewegt sich in einem ganz anderen Ho-rizont als diejenige der Linguistik Es stehen nicht Elemente und Funktionenim Vordergrund sondern die Phaumlnomene das heiszligt das was die Dinge undihre Zustaumlnde erscheinen laumlsst14

Um dieses Moment besser zu verstehen starten wir einen erneuten Lektuumlreanlauf Feacutedieranalysiert Satz fuumlr Satz - teilweise Wort fuumlr Wort und kommt zu neuen Beleuchtungender griechishen Termini Er startet mit der Bemerkung dass der Text zumeist aus dem

13Weidemann verweist auf das stoische λεκτόν Sagbares ein Mittleres zwischen individuellen Gedankenund den Dingen

14(Feacutedier 1985 S3)

10

2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

11

2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

12

2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

13

2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

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2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

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2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

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A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

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B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

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  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

Blickstand der Grammatik interpretiert wurde dass aber die Grammatik sich im Anschlussan Aristoteles entwickelt hat

bdquo[W]enn es wirklich die Arbeit des Aristoteles ist welche das Erscheinen derGrammatik ermoumlglicht hat ist es zumindest unklug sie ausgehend von ihrerKonsequenz zu lesenldquo15

Wenn wir also wissen wollen was es mit diesen Entwicklungen die zur Grammatik gefuumlhrthaben auf sich hat so muumlssen wir Aristoteles so wie er sich von sich selbst her zeigtlesen rsquo[A]nders gesagt wir halten all das auszligerhalb unserer Betrachtung was nicht strengAristotelisch istrsquo16 Diesmal also eine phaumlnomenologisch orientierte Lektuumlre

Wie kommt Feacutedier dazu sich nicht mehr auf die traditionellen Deutungen zu verlassenEine Antwort die zu begruumlnden hier nicht der Ort ist Er hat Heidegger gelesen Lassen wiralso Heidegger aus Sein und Zeit zu Wort kommen um besser zu verstehen von welchemBlickstand aus die Relektuumlre ihren Lauf nimmt

Die [] zur Herrschaft kommende Tradition macht zunaumlchst und zumeist daswas sie rsquouumlbergibtrsquo so wenig zugaumlnglich daszlig sie es vielmehr verdeckt Sie uumlber-antwortet das Uumlberkommene der Selbstverstaumlndlichkeit und verlegt den Zugangzu den urspruumlnglichen rsquoQuellenrsquo daraus die uumlberlieferten Kategorien und Be-griffe zum Teil in echter Weise geschoumlpft wurden Die Tradition macht sogar einesolche Herkunft uumlberhaupt vergessen Sie bildet die Unbeduumlrftigkeit aus einensolchen Ruumlckgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen Die Traditionentwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit daszlig es sich nur noch imInteresse an der Vielgestaltigkeit moumlglicher Typen Richtungen Standpunktedes Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt undmit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhuumlllen sucht Die Folgewird daszlig das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer fuumlr sei-ne philologisch rsquosachlichersquo Interpretation die elementarsten Bedingungen nichtmehr versteht die einen positiven Ruumlckgang zur Vergangenheit im Sinne einerproduktiven Aneignung ihrer allein ermoumlglichen17

Es geht also um eine produktive Aneignung von dem was durch die Tradition und ihrerInterpretation verdeckt wird Und was wurde verdeckt Die Quellen von denen her dieKategorien und Begriffe entstanden sind Diese Destruktion ist kein Angriff auf die Aristo-telische Uumlberlieferung oder auf die Tatsache dass wir in einer Tradition stehen sondernbdquoauf die Rolle die sie im gegenwaumlrtigen Leben spieltldquo18

Nun lassen wir uns auf die Lektuumlre ein Der erste Satz (16a1f) in Feacutediers Aneignunglautet

15(Feacutedier 1985 S29)16(Feacutedier 1985 S48)17(Heidegger 1967 S21)18(Figal 1992 S30)

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2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

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2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

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2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

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2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

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2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

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A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

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B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

bdquoAls erstes muss sich einstellen was rsquoBenennungrsquo und was rsquoSagenrsquo ist dannwas rsquoApophasersquo und rsquoKataphasersquo und rsquoEntdeckungrsquo und (endlich in absoluerWeise) rsquologosrsquo istldquo19

Am auffaumllligsten ist wohl die Uumlbersetzung des griechischen Worts centπόφανσις durch dasWort Entdeckung das uumlberlicherweise mit Proposition oder Behauptung uumlbersetzt wirdExemplarisch wollen wir der Aneignung von Feacutedier folgen Er betont dass man die Kon-notationen die mit dem Wort rsquoBehauptungrsquo einher gehen etwa dass sich durch eine Be-hauptung etwas rdquoausdruumlcktrdquo etwas heraus-setzt nicht im griechischen centπόφανσις findetEs sei vielmehr das Substantiv des Verbs apophaino wobei Phaino rsquosichtbar machenrsquo oderrsquoerscheinen lassenrsquo bedeutet und apo auf eine Herkunft deutet von der sich das was imherkommen ist entfernt Zusammen bedeutet es also eine Entdeckung jedoch mit der zu-saumltzlichen Konnotation dass diese Entdeckung im Ausgang dessen geschieht was sichentdeckt Das sich ent-decken meint daher keine arbitraumlre Setzung so dass jemand etwasauf-deckt sondern dass es sich (selbst) aufdeckt

Feacutedier weist darauf hin dass diese Uumlbersetzung weniger bdquointelligibelldquo ist als die andereDieses Kriterium laumlsst er jedoch nicht gelten Es gelte zunaumlchst den Termini des Aristotelesnachzuspuumlren und zu vermeiden in Fahrwasser zu gelangen die wir nur deshalb akzep-tieren weil wir sie gewohnt sind oder weil wir uumlberein gekommen sind20 Uumlberdies haumlttenwir ein ganz anderes Verstaumlndnis und einen ganz anderen Bezug zu Sprache das heiszligtein anderes Verstaumlndnis uumlber den Zusammenhang von Ding und Sprache 21 sodass es imersten Schritt ein gutes Zeichen ist wenn wir es nicht verstehen

Er gibt ein interessantes Beispiel

bdquoEs muss in aller Strenge gesagt werden dass die Griechen nicht handelten zu-mal es sich fuumlr sie um etwas handelte (fuumlr den Tischler handelt es sich um Bettund Tisch fuumlr den Strategen um die Schlacht fuumlr den Philosophen handelt essich um das Sein) Unser rsquoreflexivesrsquo Verb rsquosich handeln umrsquo laumlsst auf bewun-dernswerte Weise etwas erahnen vom wesenhaft rsquoapersonalenrsquo Bezug (dh nichtsubjektiv) des griechischen Menschen zu seiner Weltldquo 22

Er bringt ein aumlhnliches Beispiel in dem der Gott Hermes einer Schildkroumlte begegnet unddiese Begegnung nicht im Sinne rsquoIch bin auf eine Schildkroumlte gestoszligenrsquo interpretiert son-dern die Schildkroumlte hatte genauso viel Anteil an der Begegnung wie Hermes23

Es geht demnach beim griechischen Menschen nicht um ein Ich das in seiner inneren Sphaumlrebeschlieszligt zu handeln oder das in einerseitiger Weise auf eine Welt stoumlszligt Doch was sonstGeht das handeln von der Welt aus Gibt es uumlberhaupt eine Zuschreibung von wem dieses

19(Feacutedier 1985 S4)20(Feacutedier 1985 S35)21(Feacutedier 1985 Vgl S33S58)22(Feacutedier 1985 S55)23(Feacutedier 1985 Vgl S39f)

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2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

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2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

14

2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

18

2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

19

2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

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  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

Handeln ausgeht Das Handeln scheint sich zu ereignen und man thematisiert nicht denUrsprung den ausgehenden Impuls zu handeln oder zu erkennen

In aumlhnliche Gebiete des Fragens nach dem Verbleib des Subjekts kommt man wenn diegedraumlngte Passage (16a3-8) vom Verhaumlltnis zwischen ψυχIacute den Dingen und dem Geschrie-benenGesprochenen auf diese Weise uumlbersetzt wird Feacutedier widmet diesem Segment etwaein Drittel seines Artikels24 Wir wollen das phaumlnomenologische Fragen an die griechischenTerme an das griechischen Denken und das Vernehmen des Widerhalls auf diese Fragendenn das charakterisiert die Lektuumlre von Feacutedier ganz gut fuumlr einen Moment aussetzen undseine Deutung des gesamten Segments praumlsentieren

bdquoAn erster Stelle bildet also das was die Verlautbarung sagt eine Einheit alsZusammenhaltendes der der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge in gleicher Weise ist dieSchrift das Zusammenhaltende dessen was die Verlautbarung sagt und ganzwie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sind sind die Sprechwei-sen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und was sowohlSchreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alle es sind die Dinge alsder ψυχIacute Gegenwaumlrtige und das dessen Angleichungen letztere sind sind dieDinge selbst (um die es sich im ganzen menschlichen Leben handelt) welcheevidenterweise im Voraus die Selben sind (fuumlr alle)rsquo25

Wie es zu dieser eigenwilligen Uumlbersetzung kommt verstehen wir erst wenn wir die Feacute-dierrsquosche Lektuumlre mitvollziehen - was im Folgenden ein Stuumlck weit versucht wird EinigeErlaumluterungen finden sich in den Fuszlignoten der Tabelle (Anhang A) Sie dienen als Hinweiseund Gedaumlchtnisstuumltze fuumlr den folgenden Lektuumlreprozess

221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis

An zentraler Stelle ist diese Analyse bemuumlht zu zeigen dass Aristoteles in diesemWerk - vonsich her gelesen26 - die ψυχIacute nicht als einen mentalen innerlichen Bereich verstanden hat inder die aumluszligerlichen Dinge auf Basis von Affektionen abgebildet werden (offenbar auch nichtgemeint werden in dem Sinne dass das Gemeinte Inhalt der Gedanken waumlre wie Weidemannschreibt) sondern sie ist ein Auszliger-sich-sein eine Oumlffnung der die Phaumlnomene zustoszligenund die ihr auf diese Weise gegenwaumlrtig werden Die Phaumlnomene die der (menschlichen)24(Feacutedier 1985 S35-58)25(Feacutedier 1985 S56)26Wobei man noch genauer nachfragen muumlsste inwieweit die Rede vom Von-sich-her-zeigen ein rhetori-

scher Trick oder ein ehrliches phaumlnomenologisches Fragen ist was mir manchmal nicht klar war zBwenn stellenweise ohne Begruumlndung davon ausgegangen wird dass die griechischen Menschen einfachnicht so denken wie die Tradition gedacht hat Warum bei den Beleuchtungen der griechischen Terminigerade diese Blickbahn genommen wurde erklaumlrt sich durch Blickstand und Blickhabe dh die Lebens-welt und die Vorzeichnungen der Terme etwa durch die Ethymologie Dies alles was nach Heideggerfuumlr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand noumltig ist muumlsste man ausweisen Vgl dazuHeidegger (2002)

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2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

14

2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

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2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

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A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

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  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

(a) Semiotische Dreiecke nach Weidemann (b) Schema nach Feacutedier

Abbildung 21 Vergleich der beiden Lesarten

ψυχIacute widerfahren werden παθήmicroατα genannt Bei der Eroumlterung dieses Terms wird einBeispiel von Descartes phaumlnomenologisch gewendet27 Die Flamme einer Fackel entsendetLichtstrahlen die wir uumlber unsere Sinne wahrnehmen sie werden durch unsere Nervenzum Gehirn weitergeleitet welches der Seele Empfindungen mitteilt Wir aber denkendass wir die Flamme selbst sehen Feacutedier sagt Genau wir sehen die Flamme selbst keineLichtwellen oder -Teilchen Und genau darauf moumlchte Aristoteles - in phaumlnomenologischerManier - hinweisen rsquo παθήmicroατα meint die Sache selbst als durch die ψυχIacute enthuumllltersquo28 DerψυχIacute geht es dabei wie dem Himmel Ihm widerfahren zwar verschiedene Dinge (er faumlrbtsich am Abend rot er fuumlllt sich nachts mit Sternen) und doch ist das keine Modifikationer wird nicht affiziert Trotzdem sagen wir zB Der Himmel faumlrbt sich rot Genauso beider ψυχIacute Die Dinge sind in ihr aber nicht im Sinne eines Behaumllters sondern womoumlglich imSinne eines Panoramas 29

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2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

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2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

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2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

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A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

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B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

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  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt

Doch was ist mit dem Geschriebenen und dem Gesprochenen Bei Weidemann handeltees sich um eine Hierarchie von zwei symbolischen Beziehungen wobei das Geschriebe-ne von den seelischen Widerfahrnissen weiter weg ist was die Abbildung 21(a) zeigt30Demgegenuumlber kommt Feacutedier dazu dass Schriftliches Verlautbartes und die in der ψυχIacute

gegenwaumlrtigen Dinge eine vorgaumlngige Einheit bilden Und wie kommt er dazu Durch dieUumlbersetzung von σύmicroβολον mit Zusammenhaltendes (siehe Tabelle aus Anhang A) Sehenwir genauer zu Aristoteles schreibt - nach Feacutedier - von zwei Zusammenhaltenden und dreiHaltenden

1 Ein Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem was in derψυχIacute gegenwaumlrtig ist (die παθήmicroατα) zusammen und bildet eine vorgaumlngige EinheitDas bedeutet Man kann deshalb vom Verlautbarten zu den Dingen kommen weiles sich im Voraus auf die Dinge bezieht jedoch nicht im Sinne eines Symbols mitZeichencharakter sondern indem es eine Einheit mit den Dingen bildet31

2 Ein zweites Zusammenhaltendes haumllt das was in der Verlautbarung ist mit dem wasgeschrieben ist zusammen und bildet eine vorgaumlngige Einheit Das bedeutet Es kannnur geschrieben werden was sich sagen laumlsst Und das was geschrieben wird mussauch gesagt werden koumlnnen 32

Feacutedier betont dass es sich hier um nicht-hierarchische Verhaumlltnisse handelt

bdquoAnstelle einer Hierarchie erscheint eine viel schoumlnere Ordnung wo jeder Aus-druck je schon auf den anderen verweist um sich zu konstituieren Kein πάθηmicroα

ohne Verlautbartes noch Verlautbartes ohne πάθηmicroα kein Verlautbartes ohneGeschriebenes noch Geschriebenes ohne Verlautbartesldquo33

Was noch nicht deutlich ist ist das Verhaumlltnis der beiden Einheiten Warum gibt es kei-nen direkten Zusammen-halt zwischen den Dingen und dem Geschriebenen Oder ist der

27(Feacutedier 1985 S37)28(Feacutedier 1985 S38)29Die Raumfahrt zerstoumlrt das romantische Beispiel des Himmels in gewisser Weise Dem koumlnnte man jedoch

entgegen halten dass das wo hinein die Raumfahrt fliegt nicht der Himmel ist sondern der Weltraumda der Himmel kein physikalisches Gegebenes ist Wie lieszlige er sich aber naumlher spezifizieren Aumlhnlichbei der ψυχIacute

30Weidemann laumlsst von Anfang an bei den von ihm aufgeworfenen Fragen die schriftlichen Aumluszligerungenweg(Aristoteles 1994 Vgl S134) Daruumlber hinaus rechtfertigt er waumlhrend des ganzen Kommentarsnicht warum die geschriebenen Worte von den seelischen Widerfahrnissen weiter entfernt liegen als diegesprochenen Es mag an der angenommenen Selbstverstaumlndlichkeit liegen die dadurch entsteht dassdie Symbol-Relation auch als Bezeichnungs-Relation genommen wird Das Geschriebene wuumlrde nichtdirekt auf einen Inhalt sondern auf einen Behaumllter verweisen welcher auf einen Inhalt verweist

31Dinge sind weiterhin zu verstehen als (in) der ψυχIacute gegenwaumlrtige32Derrida waumlre damit etwas ungluumlcklich verloumlre die Diffeacuterance ihren Effekt und seine Botschaft im Wi-

derspruch zu dem hier eroumlrterten doch das muss in einer anderen Arbeit behandelt werden33(Feacutedier 1985 S46)

15

2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

16

2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

18

2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

Zusammen-halt transitiv sodass sehr wohl ein direkter Zusammen-halt besteht Wir findeneinen Hinweis in einer Klammer-Bemerkung der gegen die Transitivitaumlt spricht

bdquoPruumlfen wir nun die zweite Einheit die Moumlglichkeit das Wort rsquoMenschrsquo zuschreiben (das bedeutet die Verlautbarung niederschreiben - hier bricht diewesenhafte Begrenzung aller einfach phonetischen Verschriftlichung auf sie al-lein genuumlgt nicht eine Verlautbarung wiederherzustellen Mit anderen Wortendie Verlautbarung hat immer ein rsquoMehrrsquo an Sinn) konstituiert die Moumlglichkeitdieses Wort zu sagen oder besser zu verlautbaren apriorisch mit umgekehrt istdie Moumlglichkeit zu verlautbaren a priori mitkonstituierend fuumlr die Ermoumlglichungdes Schreibensldquo

Die Verlautbarung hat immer ein Mehr an Sinn Worin soll dieses Mehr bestehen Dem-gemaumlszlig scheint mir doch eine Art Abbild-Charakter den Feacutedier eigentlich vermeiden wollte(und den er nach der Klammer-Bemerkung auch relativiert) vorzukommen diesmal nichtim Sinne von naumlher am Original sondern informationstechnisch gesprochen Die Verlaut-barung laumlsst sich nicht ohne Verluste verschriftlichen34

223 Das Anrufende

Feacutedier uumlbersetzt σηmicroεον mit das Anrufende und bringt uA ein Beispiel aus der Alltags-sprache Eine dunkle Wolke so sagt man ist ein Zeichen fuumlr Regen Sie ist ein Zeichenfuumlr den Regen weil sie den Regen anruft in zweierlei Sinne Sie ruft ihn ins Sein da sieandeutet dass der Regen bald sein wird Feacutedier spricht von der bdquoimmer moumlglichen Annauml-herungldquo35 Wie bei der Telekommunikation Dadurch dass man immer angerufen werdenkann ist eine Annaumlherung immer moumlglich im Sinne der Kontakt-Aufnahme und trotzdembleibt das Angerufene fern Die Wolke ist das Anrufende der Regen das Angerufene Aberdie Anrufung hat noch eine zweite Facette die Erinnerung an das Angerufene zB an des-sen Namen an bestimmte Vorstellungen uumlber das Angerufene Die Wolke erinnert michder ich die Wolke sehe an den Regen bzw an den Namen des Regens Die beiden Facettenbedingen sich nach Feacutedier gegenseitig

Wenn Feacutedier uumlbersetzt bdquoganz wie die Weisen zu schreiben nicht bei allen die selben sindsind die Sprechweisen auch nicht die selben dennoch ist das was vorgaumlngig ist und wassowohl Schreib- wie Sprechweisen anrufen das selbe fuumlr alleldquo so spricht er sich fuumlr folgendesaus

Im Gegensatz zur zusammen-haltenden Beziehung wo die Verlautbarung ein Mehr anSinn hatte rufen Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaszligen die Dinge als in der ψυχIacutegegenwaumlrtige an bdquoDer Bezug von Schrift und Verlautbarung zur Sache selbst als der ψυχIacutegegenwaumlrtig ist es anrufend zu seinldquo 36 Er geht explizit darauf ein dass wir bdquowiederldquo sehen34Derrida versucht das Gegenteil Die Schrift laumlsst sich nicht ohne Verluste verlautbaren vergegenwaumlrtigen35(Feacutedier 1985 S50)36(Feacutedier 1985 S51)

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2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

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2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

18

2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

19

2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

koumlnnen dass es keine Hierarchie zwischen dem Graphischen und dem Verlautbarten gibtwas der obigen Klammerbemerkung scheinbar widerspricht Er toppt das noch indem ersagt bdquo[T]atsaumlchlich ist das Geschriebene kein Anrufendes der Stimmhaftigkeit sonderndirekt des Phaumlnomens-in-der-ψυχIacuteldquo37 Selbst wenn er bdquowiederldquo sagt zuvor sprach er nochvon dem Mehr an Sinn den ein Verlautbartes haumltte Doch eine Seite weiter klaumlrt sich dieserscheinbare Widerspruch auf Wir muumlssen dies in voller Laumlnge zitieren

bdquoNehmen wir [] das Wort rsquoBaumrsquo wir muumlssen von der Schrift also trennenwas geschrieben ist auf der einen Seite ist dieses Wort σηmicroεον auf der anderenσύmicroβολον Die Differenz zwischen anrufend und zusammenhaltend liegt nur inder Art und Weise sich demgegenuumlber zu artikulieren was das erste ist dasPhaumlnomen (als der ψυχIacute gegenwaumlrtig) In seiner Artikulation des Anrufens (dasheiszligt auch als Geschriebenes) ist das Wort beispielsweise direkt an den Baumgebunden den ich sehe oder an den ich mich erinnere wenn ich die Erinnerungniederschreibe in seiner Artikulation des Zusammenhaltens (das heiszligt als daswas geschrieben ist) ist das Wort von vornherein gebunden an das was in derVerlautbarung ist - dieses ist seinerseits zusammenhaltend mit dem was in derPsyche ist Von beiden Seiten herrscht also Uumlbereinstimmung uumlber dasder-yuqnot-gegenwaumlrtige-Phaumlnomen dies ist das Erste in Bezug auf den ganzenRestldquo38

Versuchen wir ein eigenes Beispiel Ich lese griechische Terme was sich fuumlr mich nochimmer schwierig gestaltet Ich muss das Geschriebene die einzelnen Buchstaben zuerstdechiffrieren (es hilft sogar ungemein es sich leise vorzusagen es also zu verlautbaren) umdanach das Wort als Wort zu erkennen

Das was bei Feacutedier unter den Charakter des Anrufens faumlllt sind nicht die einzelnen Buch-staben sondern das Wort das ich als Wort erkenne Und was heiszligt es das Wort als Wort zuerkennen Indem ich das Wort lese oder schreibe wende ich mich (nach der Dechiffrierungs-phase bei Einsteigerinnen der Sprache) von den einzelnen Buchstaben ab und die Schriftdas Wort ruft mich Die ψυχIacute stoumlszligt in ihrer Offenheit und ihrem Entbergungs-Charakterauf etwas Aber analytisch betrachtet besteht das Wort nunmal aus einzelnen Buchstabenaus Gekritzel Das Wort als Wort weist uumlber das Gekritzel hinaus Wie geschieht dasDurch das Zusammen-halten Die in der ψυχIacute gegenwaumlrtigen Dinge halten zuerst mit demVerlautbarten zusammen und das Verlautbarte mit dem Geschriebenen Feacutedier fuumlgt nocheinen raumltselhaften Satz hinzu

bdquodie Pluralitaumlt der Phaumlnomene die der ψυχIacute zustoszligen sind tatsaumlchlich nichtrsquoInhaltrsquo der Verlautbarung sondern die Verlautbarung selbst als verlautbartebenso ist das Graphomen nicht der rsquoInhaltrsquo der Schrift (der rsquoGeistrsquo gegenuumlberdem rsquoBuchstabenrsquo - diese Distinktion ist nicht im mindesten griechisch) sondern

37(Feacutedier 1985 S51)38(Feacutedier 1985 S52)

17

2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

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2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

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A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

die Schrift selbst als auch zusammenhaltend (man muumlsste schreiben als zuerstzusammenhaltend)ldquo39

Die Dinge in der ψυχIacute sind die Verlautbarung selbst als verlautbart Was koumlnnte das be-deuten Es wurde gesagt dass die Dinge mit der Verlautbarung ein Zusammenhaltendesbilden eine vorgaumlngige Einheit Sie konstituieren sich also gegenseitig Ich kann nicht ver-lautbaren ohne etwas zu verlautbaren bdquoIch kann nicht schreiben ohne etwas zu schreibenldquoDie Dichotomie zwischen Behaumlltnis und Inhalt wird sekundaumlr und es zeigt sich eine vor-gaumlngige Einheit die beides auf eine nicht-hierarchische Weise zusammen-haumllt Deshalbsind die Dinge die in der ψυχIacute gegenwaumlrtig sind nicht identifizierbare Inhalte sondern einZusammen-halten mit der Verlautbarung wobei es uns schwer faumlllt aus dem Schema vonidentifizierter Bezeichnung und identifiziertem Bezeichneten herauszufallen40

23 Zusammenfassung Was ist Sprache

Wir sparen uns aus Platzgruumlnden der Analyse von Feacutedier weiter zu folgen da wir auf einenwichtigen Punkt gestoszligen sind von dem aus wir abschlieszligend uumlber zum Sprachverstaumlndnisvon Feacutedier (und - wie wir sehen werden - von Heidegger) im Unterschied zu einer eherlogischen Analyse der Sprache (im Sinne einer Zeichentheorie) kommen werden

Heidegger kritisiert in einem Vortrag Der Weg zur Sprache dass bei dem uns interessieren-dem Textsegment die Terme σηmicroεα (das Zeigende)σύmicroβολα (das Zu-einander-Haltende)und ETHmicroοιώmicroατα (das Angleichende) bdquodurchgaumlngig vom Zeigen im Sinne des Erscheinen-lassens das seinerseits im Walten der Entbergung (centλήθεια) beruhtldquo verstanden wurdenwobei die bdquoVerschiedenheit der angefuumlhrten Weisen des Zeigens [uumlbersehen wurde] Derniemals rein aus ihm selbst und seiner Herkunft entfaltete Bezug des Zeigens zu seinemGezeigten wandelt sich in der Folgezeit zu der durch Abrede ausgemachten Beziehung zwi-schen einem Zeichen und dessen Bezeichnetem In der hohen Zeit des Griechentums wirddas Zeichen aus dem Zeigen erfahren durch dieses fuumlr es gepraumlgtbdquo41

Hier finden wir ganz zentrale Verwandtschaften mit Feacutediers Lektuumlre

bull Feacutedier versucht die Verscheidenheit aller drei Arten des Zeigens herauszuarbeitenwobei wir nur die ersten beiden mitverfolgt haben

bull Die durch Abrede ausgemachte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem sprichtgenau die Konventionalitaumlt der sprachlichen Ausdruumlcke an die wir bei Weidemanngefunden haben

39(Feacutedier 1985 S54)40Dass wir mit dieser Unterscheidung weit gekommen sind darf nicht vergessen werden Gleichzeitig wird

man die Grenzen dieser Dichotomie im Blick haben muumlssen41(Heidegger 1959 S234)

18

2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

19

2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

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  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

bull Bei beiden ist eine flammende Hochachtung vor den Griechen und ihrer Art zu denkenzu bemerken wobei andernorts Heideggers ambivalentes Verhaumlltnis zu den Griechenund Aristoteles im Speziellen herausgearbeitet wurde42 weshalb wir nicht ausschlieszlig-lich auf dieser Bemerkung beharren moumlchten

Wir werden langsam ungeduldig und fragen Zu welchem Verstaumlndnis von Sprache fuumlhrtdas Dazu eine aufgrund der Schoumlnheit der Worte etwas laumlngere ausfallende Zitation ausHeideggers Vortrag die allein in der Art des Sprechens schon das zeigt was wir fragen

bdquoDas Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige Deren Zeigen gruumlndet nichtin irgendwelchen Zeichen sondern alle Zeichen stammen einem Zeigen in des-sen Bereich und fuumlr dessen Absichten sie Zeichen sein koumlnnen Im Blick auf dasGefuumlge der Sage duumlrfen wir jedoch das Zeigen weder ausschlieszliglich noch maszligge-bend dem menschlichen Tun zuschreiben [] Selbst dort wo das Zeigen durchunser Sagen vollbracht wird geht diesem Zeigen als Hinweisen ein Sichzeigen-lassen vorauf[]Man kennt das Sprechen als die gegliederte Verlautbarung desGedankens mittels der Sprechwerkezuge Allein Sprechen ist zugleich HoumlrenNach der Gewohnheit werden Sprechen und Houmlren einander entgegengesetztDer eine spricht der andere houmlrt Aber das Houmlren begleitet und umgibt nichtnur das Sprechen wie solches im Gespraumlch stattfindet Das Zugleich von Spre-chen und Houmlren meint mehr Das Sprechen ist als Sagen von sich aus ein HoumlrenEs ist das Houmlren auf die Sprache die wir sprechen So ist denn das Sprechennicht zugleich sondern zuvor ein Houmlren Dieses Houmlren auf die Sprache gehtauch allem sonst vorkommenden Houmlren in der unscheinbarsten Weise voraufWir sprechen nicht nur die Sprache wir sprechen aus ihr Dies vermoumlgen wireinzig dadurch daszlig wir je schon auf die Sprache gehoumlrt haben Was houmlren wirda Wir houmlren das Sprechen der Sprache Aber spricht denn die Sprache selbstWie soll sie dies bewerkstelligen wo sie doch nicht mit Sprechwerkezugen aus-gestattet ist Indes die Sprache spricht Sie befolgt zuerst und eigentlich dasWesende des Sprechens das Sagen Die Sprache spricht indem sie sagt dhzeigt[] Die Sage - laufen wir nicht doch Gefahr wenn wir aus ihr das Sprach-wesen zu denken versuchen daszlig wir die Sprache zu einem phantastischen ansich bestehenden Wesen hinaufsteigern das wir nirgendwo finden solange wirnuumlchtern der Sprache nachsinnen Die Sprache bleibt doch unverkennbar andas menschliche Sprechen gebunden Gewiszlig Allein welcher Art ist das BandWoher und wie waltet sein Bindendes Die Sprache braucht das mensch-liche Sprechen und ist gleichwohl nicht das bloszlige Gemaumlchte unsererSprechtaumltigkeit[Fettdruck von AK]ldquo43

Kurz gesagt Wir haben die Sprache bislang anthropozentrisch gesehen und nicht von derSprache her wie sie sich von sich selbst her zeigt Sie ist nach Heidegger kein als Ganzes

42(Flatscher 2005 Vgl S5ff)43(Heidegger 1959 S242f)

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2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

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A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

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A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

2 Auslegungen

verfuumlgbares und entzieht sich daher einer totalen Vergegenstaumlndlichung44

Der Ankuumlpfungspunkt zwischen diesen Uumlberlegungen und Aristoteles scheint uumlber Feacutedierzu gehen der Aristoteles ein nicht-ausschlieszliglich instrumentalisiertes Sprachverstaumlndniszubilligt eines das nicht bloszliges Gemaumlchte unserer Sprechtaumltigkeit waumlre Bei Heideggerfuumlhrt das dazu dass man da der Mensch als sprachbegabt charakterisiert wird durch dasneue Verstaumlndnis von Sprache auch zu einem neuen Verstaumlndnis des Menschen kommtbdquoNicht er verfuumlgt als subiectum uumlber Sprache sondern er verdankt sich diesem Zuspruchin seinem Entsprechenldquo45 was noch naumlher zu bedenken waumlre

44(Flatscher 2005 S3) Wir weisen auch auf die von uns gestellte Frage im Abschnitt 21 hin wo wir unsuumlber die Beherrschbarkeit der uumlberindividuellen Sphaumlre der Gedanken gemacht haben dessen Mengeja uumlberabzaumlhlbar sein muumlsste Vermutlich geht diese Aumlhnlichkeit aber nicht weit da diese Sphaumlrevermutlich eine nicht-sprachliche ist was wir jedoch bei Weidemann nicht explizit dargelegt fanden

45(Flatscher 2005 S27)

20

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

A Tabelle mit Termini

Die folgende Tabelle gibt einen Uumlberblick und eine Zusammenfassung uumlber die unterschied-lichen Deutungen und Uumlbersetzungen der hier diskutierten griechischen Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungπερι ερmicroηνειας bull De Interpretatione (lat) 1

bull Lehre vom Satzbull Hermeneutik 2

bull Von der Rede als Ausdruck derGedankenbull Uumlber das Aussagen 3

bull Das Sein der Sprachebull Fuumlr den der es betrachtet waszwischen-seiend die Sprache moumlglichmacht4

δε θέσθαι gilt festzusetzen muss sich bestimmen einstellenτί was ist was ist5

Ocircνοmicroα Nomen Name Nennwort Benennung6

middotAacutemicroα Verb Aussagewort sagen ins-Werk-Setzen der rsquoSpra-chersquo (parole)7

centπόφασις Verneinung Negation Apo-phase Ein Sagen welches et-was sagt im Entzug8

κατάφασις Bejahung Affirmation Ein Sagen welches et-was sagt indem es das zu Sagendeauf etwas bezieht9

1Das Wort Interpretatio hat folgende Wortbedeutungen Deutung Auslegung Erklaumlrung persoumlnlicheAuffassung Im Allgemeinen erlaumlutert Weidemann dass der Titel nicht von Aristoteles selbst stammenkoumlnnte (Aristoteles 1994 S40)

2Bei Liddel-Scott wird ρmicroηνεα mit rsquointerpretationrsquorsquoexplanationrsquo uumlbersetzt3(Heidegger 1959 Vgl S232)4(Feacutedier 1985 S29)5bdquo[D]as Wesen verstanden im Sinne von das wodurch etwas ist was es ist[]nicht ein bestimmtes Wesenist hier gefragt sondern das was etwas zu einem solchen macht[]Die Frage τί ist die philosophischeFrage schlechthin wenn es wahr ist dass die Philosophie sich nie um etwas anderes dreht denn um dasSein des Seiendenldquo(Feacutedier 1985 S30)

6bdquodas Geben seinesihres Namens an das was man benenntldquo(Feacutedier 1985 S30)7(Feacutedier 1985 S31)8bdquoDieses Sagen welches entzieht ist nicht negativ es ergibtsetzt (poser) zuerst das wovon etwas entzo-gen wird danach das was entzogen wird Bemerken wir dass die Negation selbst in aller Strenge dieApophase als ihren Traumlger voraussetztldquo (Feacutedier 1985 S31)

9bdquoDer Himmel ist blauldquo sagt die Blaumlue indem man sie auf den Himmel bezieht (Feacutedier 1985 Vgl S31)

21

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungcentπόφανσις Proposition Wortgefuumlge Entdeckung Ans-Licht-Stellen 10

λόγος Diskurs Wortgefuumlge Rede Logos unuumlbersetzbar 11

ν τIacute φωνIacute bull sprachliche Aumluszligerung der Stimmebull die Laute ausgesandt von derStimmebull das was in der Stimme ist12

Verlautbarung 13

ψυχIacute Anima Seele Auszliger-sich-sein 14

πάθηmicroα Empfindung Eindruck Leiden Passion Affektion

Widerfahrnis die Sache selbst alsdurch die ψυχIacute enthuumlllte das Phauml-nomen als der ψυχIacute gegenwaumlrtig15

σύmicroβολον Symbol (konventionelles Zeichen)16 das-zusammen-haltende17

γραφόmicroενα das Geschriebene das was geschrieben ist18

10(Feacutedier 1985 Vgl S32f)11bdquo[Das Wort λόγος] ist schlechthin unuumlbersetzbar da sich in ihm die fundamentale und fundierende

Seinserfahrung der Griechen versammelt Uumlberfluumlssig festzuhalten dass die traditionelle Uumlbersetzungvon logos durch rsquoDiskursrsquo vielmehr Hindernis denn Steg in die Richtung dessen ist was dieses Wortbesagt (Feacutedier 1985 S33f) wobei sich im frz rsquorecueillementrsquo (Sammlung aber auch Andacht) einwenig von rsquoLogosrsquo finden soll wenn man die spirituelle Bedeutung weglaumlsst

12lat bdquoquae sunt in voce alte scholastische Uumlbersetzung der Phrase ν τIacute φωνIacute(Feacutedier 1985 S35f)13Heidegger uumlbersetzt die Phrase mit bdquodas was in der stimmlichen Verlautbarung (sich begibt)ldquo (Hei-

degger 1959 S253) Fedier setzt hinzu dass die Menschlichkeit der Stimme spezifisch ist daher seiVerlautbarung die Stimme des Menschen insofern sie sprichthoumlren laumlsst(Feacutedier 1985 S36)

14Spricht man von der menschlichen ψυχIacute dann ist sie fuumlr Feacutedier in Bezug auf die Nikomachische EthikBuch VI 1139b15 - im Unterschied zu jener von anderen Lebewesen - eine ent-huumlllende bdquoWir bestehenauf der Tatsache dass die ψυχIacute nicht das Bewusstsein ist keine rsquoinnerliche Weltrsquo welche in die rsquoaumlu-szligerliche Weltrsquo muumlndet - nach Gott weiszlig welchen Vorgaumlngen []Es gilt zu verstehen dass es mit derψυχIacute keine vorgaumlngige Innerlichkeit geben kann und dass folglich die Problematik von Innen und Auszligenabgeleitet und sekundaumlr ist Die ψυχIacute als rsquoAuszliger-sich-seinrsquo entfaltet ein rsquoAuszligenrsquo als ihren eigentlichenrsquoOrtrsquo man kann vielleicht sagen die ψυχIacute ist in ihrem rsquoAuszliger-sich-selbst-Seinrsquo in sich selbst(Feacutedier1985 S37)

15Weidemann uumlbersetzt das Wort ebenfalls mit Widerfahrnis Feacutedier stellt das Wort jedoch in Zusammen-hang mit mit einem anderen Wort bdquoUm die Widerfahrnis der Psyche von allem was ist auszusagenhaben die Griechen ein hervorragendes Wort - aber dieses Mal nennt das Wort die Sache im Ausgang derSache (und nicht mehr ausgehend von der ψυχIacute) Dieses Wort ist τό φαινόmicroενον - das Phaumlnomenldquo(Feacutedier1985 S39)

16Weidemann bescheinigt dem Term aber auch auf die rsquoParallelitaumlt zwischen Denken und Sprachersquo hin-zuweisen(Aristoteles 1994 S139f)

17Kommt von συmicroβάλλω zusammen-werfen-tun(Dunshirn 2008 Vgl S112f) Nach Feacutedier nennt der Termeine Begegnung bei der die zu begegnenden nicht als die einzelne Sache selbst erscheinen sondern imRahmen der Begegnung die die Begegnenden zu einer Ganzheit fuumlhrt oder bei der beim Begegnen einerSache die Ganzheit stets miterkannt wird Der Term ist das Resultat von συmicroβάλλειν Das Resultatvon Zusammenlegen-fuumlgen ist das Zusammen-sein jedoch nicht nur als singulaumlres Ereignis sondernmit einer bleibenden Kraft (der Kraft des Zusammen wie Feacutedier sagt) sodass die Ganzheit bestehenbleibt (Feacutedier 1985 S40-43)

18bdquodergestalt dass man es lesen kannldquo(Feacutedier 1985 S44)

22

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

24

  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

A Tabelle mit Termini

Deutungen griechischer TerminiGr Term Klassische Uumlbersetzung Alternative Deutungγράmicromicroατα Buchstaben rsquothat which is drawnrsquo

(Plural)19die Pluralitaumlt der Weisen zu schrei-ben20

φωνα rsquovoicersquo21 die Pluralitaumlt der Verlautbarun-gen22

σηmicroεον Zeichen Anrufendes Ruft dasjenige ins Seindessen σηmicroεον es ist23

ETHmicroοίωmicroα Aumlhnlichkeit Abbild24 das Gleiche als Resultat einer An-gleichung25

Tabelle A1 Deutungen griechischer Termini

19nach Liddell-Scott20(Feacutedier 1985 S47)21nach Liddell-Scott22(Feacutedier 1985 S47)23(Feacutedier 1985 S51)24(Dunshirn 2008 Vgl auch S112)25(Feacutedier 1985 Vgl S56)

23

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

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  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis

B Literaturverzeichnis

Aristoteles 1994 Aristoteles Peri Hermeneias Paderborn Akademie-Verlag1994 ndash Uumlbersetzt und erlaumlutert von Hermann Weidemann

Dunshirn 2008 Dunshirn Alfred Griechisch fuumlr das Philosophiestudium Wien Facultas 2008

Feacutedier 1985 Feacutedier Francois Peri Hermecircneacuteias ou De Interpretatione In Interpreacuteta-tions (1985) S 15ndash88 ndash Ins Deutsche uumlbersetzt von Johanna Gaitsch

Figal 1992 Figal Guumlnther Martin Heidegger Zur Einfuumlhrung Dresden Junius1992

Flatscher 2005 Flatscher Matthias Aristoteles und Heidegger Eine geschichtlicheBesinnung auf das Phaumlnomen Sprache In Heidegger und die Antike (2005) S 97ndash123ndash URL httpsammelpunktphiloat80801507 ndash [Online Stand 13 Februar 2010]

Heidegger 1959 Heidegger Martin Der Weg zur Sprache In Herrmann Friedrich-Wilhelm von (Hrsg) Gesamtausgabe Band 12 Unterwegs zur Sprache Frankfurt aM Klostermann 1959 S 227ndash257

Heidegger 1967 Heidegger Martin Sein und Zeit Tuumlbingen Niemeyer-Verlag1967 ndash Elfte unveraumlnderte Auflage

Heidegger 2002 Heidegger Martin Anzeige der hermeneutischen Situation InNeumann Guumlnther (Hrsg) Phaumlnomenologische Interpretationen zu Aristoteles Frank-furt aM Reclam 2002 S 5ndash44

Segalerba 2009 Segalerba Gianluigi Antike Philosophie-Wiki 2009 ndash URL httpswikiphlunivieacatantikephiloHome ndash [Online Stand 10 Februar 2010]

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  • 1 Einleitung
    • 11 Fragen
    • 12 Uumlberstuumlrzte Schluumlsse
      • 2 Auslegungen
        • 21 Der klassische Weg Weidemann
        • 22 Feacutediers Lektuumlre nach Heidegger-Art
          • 221 Das Phaumlnomen Auszliger-sich-seinende Widerfahrnis
          • 222 Das Zusammen-Haltende und die Frage der Transitivitaumlt
          • 223 Das Anrufende
            • 23 Zusammenfassung Was ist Sprache
              • A Tabelle mit Termini
              • B Literaturverzeichnis