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Mikrosoziologische Theorien Lydia Moreno, Evelyne Bäbler, Oliver Kaftan

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Page 1: Mikrosoziologische Theorien Lydia Moreno, Evelyne Bäbler, Oliver Kaftan

Mikrosoziologische Theorien

Lydia Moreno, Evelyne Bäbler, Oliver Kaftan

Page 2: Mikrosoziologische Theorien Lydia Moreno, Evelyne Bäbler, Oliver Kaftan

Einführung Hauptannahmen der Rational Choice Theory Überblick: Begrenzungen der Rationalität

Alternativkonzeptionen zur Theorie des rationalen Handelns The Framing of Decisions and the Psychology of

Choice (Kahneman & Tversky) Heuristiken/Ökologische Rationalität (Gigerenzer)

Diskussion

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Zentrale Idee: Maximierung des Nutzens

Nutzen = subjektiver Wert einer Konsequenz (Jungermann et al., 2005)

Berechnung Kosten/Gewinn

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„ Wir haben […] darauf hingewiesen, dass grundsätzlich alle Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden, weil die Konsequenzen jeder Entscheidung immer erst nach der Entscheidung eintreten und daher nie in einem absoluten Sinne sicher sein können“(Jungermann et. al., 1998: 196).

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SEU-Theory = Subjectivly Expected Utility Theory

Grundsatz: Maximierung des subjektiv erwarteten Nutzens

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Wert einer Option = Die Summe der Nutzenwerte der einzelnen möglichen Konsequenzen, gewichtet mit den Wahrscheinlichkeiten ihres Eintretens

Wichtig: Beide Faktoren (Unsicherheit und Nutzen) als subjektive Grössen

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Theoretisch, nach der RC Theory, muss der « Homo Oeconomicus »:

Vollständig informiert sein

Rational handeln und fähig sein, alle Optionen zu ordnen und die beste zu wählen

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Imperfekte menschliche Rationalität:

Informationsmangel

Schwierige Datenverarbeitung und Entscheidungsprozess

=> Die Rationalität ist begrenzt!

Page 9: Mikrosoziologische Theorien Lydia Moreno, Evelyne Bäbler, Oliver Kaftan

„Menschen verwenden somit vorhandene Informationen nicht in der Weise, wie in der ökonomischen Theorie angenommen wird. Bei der Schätzung von Wahrscheinlichkeiten benützen sie nur einen Teil der relevanten Informationen. Deshalb sind die Schätzungen verzerrt und die abgeleiteten Handlungen suboptimal“ (Bruno S. Frey, 1990: 164).

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« Bounded Rationality » (James G. March & Herbert A. Simon)

Zusatz der Begriffe Risiko und Ungewissheit

Begrenzungen der menschlichen Fähigkeiten gegenüber der Komplexität der Probleme

Vereinfachte Schemata

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Ein begrenzter « Referenzrahmen »

Befriedigende Lösungen statt optimaler Lösungen

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Rationalität bei Menschen

Rationale Wahl Konsistenz und Kohärenz

Systematische Verletzungen

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1. Unzureichende Berücksichtigung von Informationsmangel und Ambiguität

2. Annahme optimaler nutzen-maximierender Handlungswahl als unrealistische Prämisse (kognitive Beschränktheit!) und Tendenz zum „Satisficing“ (Simon, 1954)

3. Ursachen situational wechselnder Präferenzen

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4.Vernachlässigte Handlungsdeterminanten als Ursache von empirischen Anomalien der RCT

5.Framing nicht berücksichtigt

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Prospect-Theorie (deskriptive Theorie des menschlichen Risikoverhaltens)

wirkliches Verhalten im Vordergrund – Theorie beschreibt, wie sich der Mensch tatsächlich verhält

Entscheidungsproblem auf verschiedene Weise darstellen – „alternative frames“

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a) Sicherer Gewinn von Fr. 240.—b) 25% Chance, Fr. 1000.-- zu gewinnen

und 75% Chance nichts zu gewinnen Gewinn in Aussicht: risikovermeidend Abneigung gegenüber der

riskanteren Wahl, wenn es um Gewinne geht – auch wenn mehr Gewinn erzielt werden könnte

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c) Sicherer Verlust von Fr. 750.—d) 75% Chance, 1000.– zu verlieren

und 25% Chance, nichts zu verlieren

Wahl zwischen Verlusten: risikofreudiges Verhalten

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a) 200 sicher gerettet vs.b) 25% Ws, dass 600 gerettet und 75% Ws,

dass niemand gerettet Gewinn in Aussicht: risikovermeidend Abneigung gegenüber der riskanteren

Wahl, wenn es um Gewinne geht – auch wenn mehr Menschenleben gerettet werden

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c) 400 Personen sicher totd) Mit 25% Ws niemand tot und 75% Ws

600 tot

Wahl zwischen Verlusten: risikofreudiges Verhalten

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1. Referenzpunktabhängigkeit: Handlungsalternativen nicht in Bezug auf das resultierende absolute Endergebnis, sondern immer auf der Basis ihres positiven oder negativen Veränderungspotentials beurteilt

Resultate (outcomes) als positive/negative Abweichungen von einem neutralen Referenzresultat

Unterschiedliche Bewertungsgrundlagen bei Gewinnen und Verlusten

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21Bild: Mark Schweizer: www.decisions.ch/dissertation/diss_prospect_theory.html

Gewinne konkav

Verluste konvexVerluste

Gewinne

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Unterschied zwischen 0 und 100 subjektiv grösser als Unterschied zwischen 1000 und 1100

Funktion im Bereich der Verluste steiler als im Bereich der Gewinne (der „Wert“ eines Verlustes wird stärker empfunden als der Wert eines Gewinns) – loss aversion

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Verstärkte Abneigung gegenüber Verlusten – warum?

Loss aversion = status quo bias = Neigung, eine Wahl zu treffen, die den Ist-Zustand erhält oder leicht verbessert

Mit loss aversion kann man auch Besitztumseffekt erklären

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Objektive Erfolgswahrscheinlichkeit nicht linear in subjektive Erfolgserwartung der Akteure umgesetzt:

A) 45% Chance, Fr. 6000.– zu gewinnenB) 90% Chance, Fr. 3000.– zu gewinnen

Risikoscheues Verhalten

C) 1Promille Chance, Fr. 6000.– zu gewinnenD) 2 Promille Chance, Fr. 3000.– zu gewinnen

Riskantere Wahl attraktiver24

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Bild: Mark Schweizer: www.decisions.ch/dissertation/diss_prospect_theory.html

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3. Bei der Wahrnehmung des Referenzpunktes (Definition der Entscheidung als Gewinn- oder Verlustsituation) nicht nur durch das objektive Ergebnispotential der Handlungsalternativen bestimmt sondern

Instrumentell irrelevante Aspekte der Entscheidungsalternativen und des gesamten Entscheidungskontextes

Diese Faktoren wirken sich auf die mentale Repräsentation der entscheidungsrelevanten Merkmale aus

Resultierende Situationsrepräsentation = Frame26

Page 27: Mikrosoziologische Theorien Lydia Moreno, Evelyne Bäbler, Oliver Kaftan

Gesamtbewertung der Handlungsoptionen aus der mentalen Repräsentation der

Erfolgswahrscheinlichkeiten und der jeweils frame-spezifischen Bewertung

der vorliegenden Ergebnispotentialen: Gewinn-Frames: risikoavers Verlust-Frames: risikofreudig Kognitive Illusionen

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Viele Entscheidungen betreffen Handlungen, die die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr eliminieren sollen

Versicherungen: Umfänglicher Schutz gegen einen identifizierten Schaden

Bsp. Impfung gegen Virus

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Manipulation/Verschiebung des Referenzpunktes

Bestimmt, ob als Verlust oder Gewinn betrachtet

Formulierung wichtig Bsp. Vorsorgeuntersuchung

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Sichtweise der menschlichen Rationalität ist „begrenzt“

In komplexen Entscheidungssituationen

arbeitet Mensch nicht nach der im entscheidungstheoretischen rationalen Sinne (maximierende) Lösung, sondern nach einer zufriedenstellenden (Simon, 1956) – satisficing

Infoaufnahme und kognitiver Verarbeitung ist selektiv und fehlerhaft

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Fehler bei Beurteilung von Alternativen Fehler bei der Anwendung von

Beurteilungskriterien Schwierigkeiten bei Wahrscheinlichkeiten Entscheidungspräferenzen verschieben

sich je nach Darbietung (Framing) der Information – auch wenn Optionen faktisch identisch

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Bei Framing-Theorien handelt es sich um Ansätze, „bei denen fehlende Informationen und die daraus resultierende Ambiguität über die Entscheidungsgrundlagen im Mittelpunkt der Erklärung stehen. Framing-Effekte ergeben sich entsprechend dann, wenn sich die Interpretation der fehlenden Informationskomponenten systematisch zwischen den Framing-Bedingungen unterscheidet“ (Stocké, 2002: 35).

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“A heuristic is a rule or a guideline that is easily applied to make complex tasks more simple. While the heuristics for the most part lead to appropriate judgments, they may not always do so” (Detmer, Fryback & Gassner, 1978).

Keine Optimierung!33

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Gigerenzer (2008) unterscheidet drei Systeme, welche die Ziele des menschlichen Verhaltens beschreiben: Logik Wahrscheinlichkeitstheorie Modelle der heuristischen Kognition

Aber: Es gibt kein „bestes“ System Lösung: Integration in der „adaptive

toolbox“34

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Aufgabe: Definition von Klassen von Problemen nötig, in denen eine gegebene Strategie aus den drei Systemen funktioniert.→ Ökologische Rationalität einer Strategie

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(1)Deskriptives Ziel Analyse der „adaptive toolbox“

(2)Präskriptives Ziel Passung zwischen Geist und Umwelt

→ ökologische Rationalität(3)Design

Aus (1) und (2) Heuristiken und/oder Umwelten entwerfen, um die Entscheidungsfindung zu verbessern

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Beispiele für Heuristiken: „Satisficing“ (Simon, 1955; Todd & Miller, 1999) „1/N; equality heuristic“ (DeMiguel et al., 2006) „Tit-for-tat“ (Axelrod, 1984) etc.

Faktoren, welche die Wahl von Heuristik x determinieren:a)Individuelles Verstärkungslernenb)Soziales Lernenc)Evolutionäres Lernen

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Anwendung von Heuristiken: Überprüfung der ökologischen Rationalität Heuristik als Standard Blockierung durch widersprechendes Wissen Problem: Adaptive Selektion ist nicht perfekt Allerdings: Modulare Organisation der

„adaptive toolbox“ verringert das Problem der adaptiven Selektion

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Abhängigkeit zwischen Heuristiken und entwickelten Fähigkeiten

Heuristiken sind so simpel, weil sie komplexe entwickelte Fähigkeiten ausnutzen

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ALLGEMEINES VERSTÄNDNIS Verhalten nach

Gesetzen der Logik Verhalten

entsprechend der Wahrscheinlichkeits-theorie

Kohärenz

ÖKOLOGISCHE RATIONALITÄT Ein Organismus strebt

danach, in seiner Umwelt bestimmte Ziele zu erreichen: Bildung von Allianzen, Partnerfindung, Schutz des Nachwuchses.

Korrespondenz (Kognitionen ↔Umwelt)

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Page 41: Mikrosoziologische Theorien Lydia Moreno, Evelyne Bäbler, Oliver Kaftan

Passung zwischen Heuristiken und Umweltstrukturen Beispiel „Imitate the majority“-Heuristik:

Ökologisch rational bei langsam sich verändernder Umwelt, kostenintensiver und zeitraubender Informationssuche.

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Strukturen entdecken, die allgemeine Schlussfolgerungen bezüglich der Passung zwischen kognitiven Prozessen und Umwelten erlauben Beispiel „Imitate the majority“-Heuristik:

Vorhersage von Massenphänomenen und kultureller Evolution

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Beispiele: Dawes (1979): Bessere Voraussagen

durch „tallying“-Heuristik als durch multiple Regresssion

Gigerenzer & Goldstein (1999): „Take-the-best“-Heuristik ist sparsamer und präziser als multiple Regression

Brighton (2006): „Take-the-best“-Heuristik ist sparsamer und präziser als komplexe nichtlineare Algorithmen

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Page 44: Mikrosoziologische Theorien Lydia Moreno, Evelyne Bäbler, Oliver Kaftan

Fazit: Ein adaptives System weiss, wann es Informationen ignorieren soll → Intuitive Anwendung von Heuristiken

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Page 45: Mikrosoziologische Theorien Lydia Moreno, Evelyne Bäbler, Oliver Kaftan

Eine gute Theorie des Geistes sollte nützlich sein→Ziel des Studiums von Heuristiken:

Strategien und/oder Umwelten verbessern, um bessere Entscheidungen zu ermöglichen

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