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Jim Garrison WER ERSCHOSS JOHN F. KENNEDY? Auf der Spur der Mörder von Dallas Aus dem Amerikanischen von Uwe Anton Gustav Lübbe Verlag

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Jim Garrison

WER ERSCHOSSJOHN F. KENNEDY?Auf der Spur der Mörder von Dallas

Aus dem Amerikanischenvon Uwe Anton

Gustav Lübbe Verlag

Copyright © 1988 by Jim GarrisonPublished by Arrangement with Sheridan Square PressTitel der Originalausgabe: On the Trau of the Assassins.My Investigation and Prosecution of the Murderof President KennedyOriginalverlag: Sheridan Square Press, New YorkAus dem Amerikanischen von Uwe Anton

© 1992 für die deutschsprachige Ausgabe beiGustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch GladbachBearbeitung der Übersetzung: Heike RosbachUmschlagentwurf: Manfred Peters, Bergisch Gladbach,unter Verwendung eines Fotos von Colorific, LondonSatz: Kremerdruck GmbH, LindlarDruck und Einband: Ebner Ulm

Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrücklicheGenehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziertoder übermittelt werden, weder in mechanischer nochin elektronischer Form (incl. Fotokopie).

02Printed in GermanyISBN 3-7857-o626-X

1. In der heiteren Gelassenheit der Unwissenheit ___ 152. Das Erwachen ______________________ 273. Kriegsspiele _______________________ 474. Der gesellschaftliche Aufstieg

des Lee Harvey Oswald _________________ 635. Die Präparierung des Sündenbocks __________ 816. Perfekte Tarnung ____________________ 1037. Die Titelseite _______________________ 1178. Verdeckte Operationen ________________9. Freundschaftsbande __________________ 149

10. Die Iden des Februar __________________ 15911. Schachmatt _______________________ 17312. Konfrontation _____________________13. Der Gegenschlag ____________________ 20114. Die Firma ________________________ 22515. Tricksereien _______________________ 24916. Die Flucht der Attentäter _______________ 26317. Die zurückhaltenden Ermittler ____________ 27718. Das Verfahren gegen Clay Shaw ____________ 29119. Die Erhabenheit des Gesetzes _____________ 32320. Die heimlichen Drahtzieher ______________ 347

Nachwort von Carl Oglesby: Ist die Mafia-Theorieeine vertretbare Alternative? _____________ 377

Anmerkungen ________________________ 393Personenregister _______________________ 419

INHALTEinführung.

Dieses Buch ist den Kollegen gewidmet, die in den sechzigerJahren für die Bezirksstaatsanwaltschaft New Orleans gear-beitet haben: dem verstorbenen Frank Klein, Andrew »MooMoo« Sciambra, James Alcock, Louis Ivon, D'Alton Williams,Alvin Oser und Numa Bertel.

Sie haben den Kampf, der Wahrheit ans Licht zu verhelfen,nie aufgegeben. Ihnen lief lediglich die Zeit davon.

EINFÜHRUNG

In dem vorliegenden Buch werden nicht — wie in vielenanderen Publikationen zu diesem Thema - die trockenenFakten der Ermordung von Präsident John F. Kennedy auf-geführt und untersucht. Statt dessen schildere ich hier inchronologischer Abfolge, was ich bei dem Versuch erlebthabe, die Wahrheit über das Attentat herauszufinden unddie dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Ichschreibe nicht als Außenstehender, sondern als Beteiligter,Ankläger und Ermittler.

Zur Zeit des Attentats, am 22. November 1963, war ich Be-zirksstaatsanwalt in New Orleans. Da der mutmaßliche Atten-täter, Lee Harvey Oswald, im Sommer vor dem Anschlag inNew Orleans gewohnt hat, bekam ich sofort mit dem Fall zutun. Über drei Jahre später, im März 1967, erreichten meineErmittlungen wegen Verschwörung zur Ermordung John F.Kennedys ihren Höhepunkt mit der Verhaftung Clay Shaws,der Direktor des International Trade Märt war und zur HighSociety von New Orleans zählte.

In den Monaten bis zu Shaws Prozeß im Jahre 1969 er-klärte ich öffentlich, daß Angehörige der Geheimdienste derVereinigten Staaten, darunter Shaw, verantwortlich für dasAttentat seien und es ausgeführt hätten, um Präsident Kenne-dys Bemühungen, mit der Außenpolitik des kalten Krieges zubrechen, ein Ende zu setzen. Als das Schwurgericht meine Be-weisführung akzeptierte, daß es eine Verschwörung gegebenhatte, wußte es noch nichts von Shaws Rolle als verdeckt ar-beitender CIA-Agent. Von seinen Motiven nicht überzeugt,sprachen ihn die Geschworenen von der Anklage frei.

Die Geschichte revidiert so manche Urteile. Vor fünfund-zwanzig Jahren akzeptierten die meisten Amerikaner bereit-willig die Behauptung der Regierung, das Attentat sei eine in-dividuell motivierte Gewalttat gewesen. Ein einsamer jungerMann, den Kopf voll von marxistischen Flausen, dem Anscheinnach von seiner Unfähigkeit frustriert, irgend etwas richtig zumachen, hatte sich hinter das Fensterbrett eines Lagerhausesgekauert und - in sechs Sekunden, die die Welt erzittern lie-ßen - den Präsidenten der Vereinigten Staaten getötet.

Als diese Erklärung kurz nach dem Attentat bekanntge-geben wurde, war das Land zutiefst schockiert. Wir hattenplötzlich einen ganz besonderen politischen Führer verloren,dessen persönliche Eigenschaften - Frische, Jugend, Humor,Stil, Intelligenz, Herzlichkeit - uns wieder mit neuem Stolz aufdas Amt des Präsidenten erfüllten. Das ganze Land trauerte,als wir die mittlerweile vertrauten Fernsehbilder von der Ver-eidigung Lyndon B. Johnsons als Präsident sahen, von demernsten Begräbnis, der trauernden Familie des Präsidenten,von Oswald, der vor laufenden Kameras im Keller eines Poli-zeireviers in Dallas von Jack Ruby erschossen wurde. Dietrauernden und erzürnten Amerikaner forderten eine Ant-wort. Und wir erhielten eine. Die Polizei von Dallas schloß denFall nach dem Tod des angeblichen Attentäters sofort ab underklärte Lee Harvey Oswald ohne Prozeß für schuldig. Das FBIstimmte dem zu und legte den Fall ein paar Wochen später zuden Akten. Und die kurz nach dem Attentat einberufene War-ren-Kommission bestätigte keine zehn Monate später offizielldie Ermittlungsergebnisse.

Doch die Zeit hat die offizielle Erklärung, der die mei-sten Amerikaner zunächst Glauben schenkten, widerlegt. Estauchten zu viele Widersprüche, zu viele Zeugen, zu viele Fo-tos und Filme von der Szene, zu viele Skeptiker auf. Im Verlaufder Zeit wurden zahlreiche, bislang noch nicht vernommeneZeugen ausfindig gemacht. Man stellte fest, daß die Berichteder Ermittler falsch waren und andere Beweise manipuliertoder vernichtet worden waren. Selbst die Tatsache, daß die

Bundesregierung die vorliegenden Beweise fünfundsiebzigJahre lang unter Verschluß halten wird1, konnte nicht verhin-dern, daß unabhängige Journalisten und Rechercheure klaf-fende Lücken im Bericht der Warren-Kommission aufdeckten.1967 akzeptierten zwei Drittel der Öffentlichkeit nicht die Be-hauptung, Lee Oswald sei der alleinige Attentäter.2

In den siebziger Jahren öffnete der neu eingeführte Free-dom of Information Act, ein Gesetz, das die Informationsfrei-heit des amerikanischen Bürgers garantieren soll, .zahlreicheTüren. Material, das die Bundesbehörden in der Hoffnung, eswürde für immer geheimgehalten werden, in ihren Akten-schränken vergraben hatten, wurde der Öffentlichkeit zu-gänglich. Seit dieser Zeit haben fähige Journalisten beträcht-liche Forschungsarbeit geleistet. Viele Bücher haben bohrendeFragen über die offizielle Darstellung gestellt und neue, unan-genehme Beweise vorgelegt. Dennoch blieben viele dieser In-formationen der Mehrheit der Amerikaner unbekannt. ZumBeispiel:

Fünf Tage vor dem Attentat erhielt die FBI-Niederlassungin New Orleans ein Telex mit der Warnung, am Ende der Wo-che würde in Dallas ein Anschlag auf den Präsidenten erfol-gen. Das FBI leitete diese Warnung weder an den Secret Ser-vice noch an andere Behörden weiter. Kurz nach dem Attentatwurde das Telex aus den Akten der FBI-Niederlassung in NewOrleans entfernt.

Die große Mehrheit der Zeugen an der Dealey Plaza in Dal-las hörte mehrere Gewehrschüsse, die von der vor KennedysWagen befindlichen Graskuppe kamen. Bei der anschließen-den Verfolgungsjagd nahm die Polizei von Dallas drei Männerfest und führte sie mit Waffengewalt ab. Doch die zahlreichenPressefotos ihrer Verhaftung wurden nie veröffentlicht, und eslassen sich weder ihre Fotos noch ihre Fingerabdrücke oderNamen in den Unterlagen finden.

Am Tag seiner Verhaftung wurde Lee Oswald einem Nitrat-test unterzogen. Das Ergebnis erwies, daß er in den letztenvierundzwanzig Stunden keine Waffe abgefeuert hatte. Diese

Tatsache wurde sowohl von der Bundesregierung als auch vonder Polizei von Dallas zehn Monate lang unterschlagen.

Über fünf Jahre lang wurde der Attentatsfilm, den der Au-genzeuge Abraham Zapruder aufnahm, der Öffentlichkeit ver-heimlicht und von der Zeitschrift Life in einem Tresor aufbe-wahrt. Der Film zeigt, wie Kennedy heftig zurückgeworfenwird - ein klarer Beweis dafür, daß er von vorne von einemGewehrschuß getroffen wird.

Etwa eine Stunde vor der Ankunft von Kennedys Auto-kolonne wurde Jack Ruby, der Mann, der später Lee Oswald er-mordete, beobachtet, wie er an der Graskuppe vorbeifuhr undeinen Mann aussteigen ließ, der in einem Koffer ein Gewehrbei sich hatte. Die Aussage von Julia Ann Mercer, die den Vor-gang beobachtete, wurde vom FBI dahingehend verändert,daß sie den Betreffenden nicht als Ruby identifizieren konnte.Diese betrügerische Manipulation wurde von der Bundes-regierung nie erklärt oder auch nur bestritten.

Nachdem ein Militärarzt die Autopsie des Leichnams vonKennedy durchgeführt hatte, verschwand das Gehirn des Prä-sidenten. Das Gehirn, das auch nach fünfundzwanzig Jahrennicht aufgetaucht ist, wurde in Formalin eingelegt, um es zuhärten. Anhand seiner Untersuchung hätte man feststellenkönnen, aus welcher Richtung die Kopfschüsse erfolgten. Fotosund Röntgenbilder, die bei der Autopsie entstanden und eben-falls Aufschluß über dieses Thema geben könnten, wurdender Warren-Kommission nie vorgelegt.

Der Pathologe, der Kennedys Autopsie im Bethesda NavalHospital leitete, verbrannte die erste Ausfertigung seines Aut-opsieberichts zu Hause in seinem Kamin.

Obwohl diese Enthüllungen nicht allgemein verbreitet wur-den, zwangen sie das House Select Committee on Assassina-tions3 - den Ausschuß aus ausgewählten Mitgliedern des Re-präsentantenhauses zur Untersuchung von Attentaten - zuweiteren Nachforschungen, die von 1976 bis 1979 durchge-führt wurden. Diese Untersuchung kam offiziell zu dem -mündlich publizierten - Ergebnis, daß es wahrscheinlich eine

Verschwörung zur Ermordung Präsident Kennedys gegebenund mehr als ein Mann auf ihn geschossen hatte. Doch die Er-mittlung hatte nur begrenzten Umfang, und es wurden keineweiteren Versuche unternommen, die Urheber des Attentatsaufzudecken.

Dieses Buch nimmt die Verantwortung auf sich, der derAusschuß des Repräsentantenhauses auswich. Basierend aufmeinen Erfahrungen als Bezirksstaatsanwalt, der aktiv überdas Attentat ermittelte, und auf den Nachforschungen, die ichseither ständig betrieben habe, liefere ich im letzten Kapitelhistorisch fundierte Mutmaßungen darüber, was wirklich ge-schehen ist - wer John F. Kennedy getötet hat, und warum.Ich behaupte jedoch nicht, alle Antworten zu dem Attentat zukennen. Das kann niemand. Um die ganze Wahrheit aufzu-decken, wäre eine offene, ehrliche Ermittlung der Bundesbe-hörden notwendig - doch die hat bislang nicht stattgefunden.

Ich muß gleich zu Beginn vorwegschicken, daß mich dieEinzelheiten des Attentats - wer geschossen hat, aus welchemGebäude, mit welcher Waffe und so weiter - nicht mehr vor-dringlich interessieren. Das Attentat war ein überaus wichti-ges Ereignis. Doch meines Erachtens ist noch wichtiger, wasdanach geschah: die Bestätigung der offiziellen Darstellung,die ein absurdes Märchen ist, durch die Regierung und dieMedien.

Unmittelbar nach dem Attentat haben die Bundesregie-rung und die wichtigen Medien Vogel Strauß gespielt - beidehaben, abseits jeglicher Vernunft, den Kopf tief in den Sandgesteckt. Da sie die Auffassung vertraten, ein einzelner Mannhabe das Attentat durchgeführt, weigerten sie sich, irgend-welche Fakten anzuerkennen, die diese Theorie widerlegten,und griffen jeden an, der eine andere Erklärung anbot.

Ihr Dilemma ist verständlich. Hätten die Regierung und diebedeutenden Medien eingeräumt, was praktisch jeder wußte(daß mit mehreren Waffen auf Kennedy geschossen wordenwar), hätte dies das Ende der geheiligten Legende bedeutet,das Attentat auf den Präsidenten sei rein zufällig erfolgt. Das

Eingeständnis einer Verschwörung hätte unausweichlich zuder Frage geführt, warum sie zustande gekommen war. Demwäre die Erkenntnis gefolgt, daß es in der Regierung starkenWiderstand gegen die Bemühungen Präsident Kennedys gab,den kalten Krieg zu beenden. Zum Beispiel wäre sein Wunschbekanntgeworden, sich aus Vietnam zurückzuziehen. Dem-entsprechend wäre auch die Rolle jener Menschen deutlichergeworden, die Amerika in einen neunjährigen Krieg in Viet-nam hineinzogen.

Als ich versuchte, einige dieser überaus unangenehmenZusammenhänge ans Licht zu bringen, fielen die Regierungder Vereinigten Staaten und die großen Medien über mich her.Sowohl vor als auch nach Clay Shaws Prozeß wurde ich vonRegierungsbeamten und Massenmedien denunziert, weil ichangedeutet hatte, Mitglieder unserer eigenen Geheimdienstehätten sich zur Ermordung des Präsidenten verschworen. Ichwurde in der Presse als publicitysüchtiger Politiker, Scharla-tan und Kommunist verleumdet. Die Bundesregierung erhobfalsche Beschuldigungen der Bestechlichkeit gegen mich, alsich mitten im Wahlkampf zur Wiederwahl als Bezirksstaats-anwalt steckte. Obwohl meine Unschuld vor Gericht nach-gewiesen wurde, verlor ich die Wahl knapp. Damit war derRegierung der Versuch geglückt, mich aus dem Amt zuentfernen.

Im feindseligen Klima jener Zeit war es unmöglich, meineSicht der Geschehnisse mitzuteilen. Fast zwanzig Jahre späterhat sich dies geändert. Wir haben den Vietnamkrieg, Water-gate und die Iran/Contra-Affäre durchgemacht. Wir habenviel über unsere Geheimdienste und darüber erfahren, wassie in unserem Namen getan haben. Von der CIA durchge-führte Attentate sind nicht mehr unvorstellbar; sie sind einebekannte historische Tatsache. Die Existenz geheimer Regie-rungsoperationen wird bei Kongreßanhörungen und im na-tionalen Fernsehen eingestanden. In dieser liberaleren Atmo-sphäre ist es für mich an der Zeit - um der Historie und derZukunft willen -, die ganze Geschichte meiner Ermittlungen

zu erzählen und der jüngeren Generation zu ermöglichen, siezu bewerten.

Die Ermittlungen im Mordfall Kennedy und meine späte-ren Erfahrungen haben mein Leben und Denken für immerverändert. Dieses Buch beschäftigt sich eigentlich mit demProzeß dieser Veränderung - mit meiner zunehmenden Er-nüchterung, meinem wachsenden Zorn und meinen sich stän-dig erweiternden Kenntnissen. Aufgrund meiner Rolle alsprominenter Mitwirkender dieser historischen Ereignissesind diese Erfahrungen nicht unbedingt typisch. Doch unsergesamtes Land nahm in unterschiedlichen Abstufungen andieser Bewußtseinsveränderung teil. Ein Vierteljahrhundertspäter wird deutlich, daß das Attentat und die Vertuschungdurch Regierung und Medien die Weichen für die Zukunft die-ses Landes gestellt haben. Hier, an diesem Punkt, verlor dasAmerika der Nachkriegszeit seine Unschuld, hier nahm diederzeitige Phase der Unzufriedenheit mit und des Mißtrauensgegenüber unserer Regierung und grundlegenden Institutionenihren Anfang.

Ich hoffe, daß dieses Buch der jüngeren Generation helfenwird, die politische, soziale und geschichtliche Bedeutung desAttentats und der nachfolgenden Vertuschung besser zu ver-stehen. Heute müssen wir noch immer mit diesen Folgen le-ben - mit einem bedrohlichen kalten Krieg, der erst langsamzu Ende geht, mit einer betrügerischen Schattenregierung, ei-ner fügsamen Presse, dem stets gegenwärtigen Zynismus undder Korruption. Nur wenn wir den kalten Krieg und unserenationale Sicherheit in einem neuen Licht betrachten, könnenwir diese Epoche der Lügen seitens unserer gewählten unddie verdeckten Operationen seitens unserer Schattenregie-rung, die den Fortbestand unserer Gesellschaft bedrohen, be-enden. Unsere Beziehungen zur Sowjetunion und zu anderenehemals kommunistischen Ländern müssen neu überdachtund in eine realistische Perspektive gerückt werden, die vor-wärts ins nächste Jahrhundert blickt und nicht zurück in diefünfziger Jahre.

In der kurzen Amtszeit von drei Jahren hatte PräsidentKennedy bereits damit begonnen, unsere Einstellung zum kal-ten Krieg zu verändern. Ich glaube, daß seine aufgeklärtere,weniger polarisierte Sicht der Erde und der auf ihr lebendenMenschen zu seinem Tod geführt hat.

Doch diese Auffassung zeigt uns auch eine Möglichkeit,wie wir eine globale Katastrophe vermeiden können. Wennwir heute, achtundzwanzig Jahre später, seinen tragischenTod erneut untersuchen, sollten wir nicht sein fortdauerndesErbe vergessen, das er so wortgewandt anläßlich einer Redeim Juni 1963 an der American University zusammengefaßthat: ».. .und wenn wir unsere Differenzen nicht beilegen kön-nen, können wir zumindest dazu beitragen, daß die Welt inihrer Vielgestaltigkeit sicherer wird. Denn letztendlich bestehtunsere grundlegende Gemeinsamkeit darin, daß wir alle aufdiesem kleinen Planeten leben. Wir atmen alle die gleicheLuft. Wir alle wollen, daß unsere Kinder auch in Zukunft über-leben können. Und wir alle sind sterblich.«4

1. IN DER HEITEREN GELASSENHEIT DERUNWISSENHEIT

Ich arbeitete als Bezirksstaatsanwalt von New Orleans an mei-nem Schreibtisch im Gerichtsgebäude, als die Tür aufgerissenwurde und mein Assistent hereinstürmte. »Der Präsident isterschossen worden!« rief er. Es war kurz nach halb eins amFreitag, dem 22. November 1963.

Heute, ein Vierteljahr hundert später, kann ich mich immernoch erinnern, wie geschockt und ungläubig ich auf dieseNachricht reagierte. Nachdem ich begriffen hatte, was FrankKlein gesagt hatte, klammerte ich mich an die Hoffnung, daßKennedy vielleicht nur verwundet war und überleben würde.

Frank und ich fuhren zu Tortorich's auf der Royal Street,ein stilles, selten überfülltes Restaurant im French Quarter, indem ein Fernsehgerät stand. Unterwegs erfuhren wir ausdem Autoradio, daß John F. Kennedy gestorben war. Die rest-liche Strecke legten wir in absolutem Schweigen zurück.

Im Restaurant starrten die Mittagsgäste ernst auf dasFernsehgerät, das hoch in einer Ecke des Raums angebrachtwar. Ich verspürte ein Gefühl der Unwirklichkeit, als ich end-lose Berichte aus Dallas verfolgte. Die Gäste an den Tischensprachen kaum. Ein Kellner kam, wir bestellten etwas. Alsdas Essen serviert wurde, stocherten wir darin herum, dochkeiner von uns aß auch nur einen Bissen.

Die Informationen im Fernsehen waren wenig aussage-kräftig. Obwohl sich der Secret Service, das FBI, die Polizeivon Dallas und eine gewaltige Menschenmenge am Tatort inDallas aufgehalten hatten, lieferten die betroffenen Stimmender Reporter und Nachrichtensprecher fast zwei Stunden langkeine echten Fakten über die Identität des oder der Schützen.

Doch wir waren wie hypnotisiert von der Verwirrung, denohne Unterlaß präsentierten, unbedeutenden Informations-brocken und der Magie des Fernsehspektakels. Niemand ver-ließ an diesem Nachmittag das Restaurant; wir waren zu be-troffen vom Schicksal des Präsidenten. Geschäftsleute, diezum Mittagessen hierhergekommen waren, sagten ihre Ver-abredungen ab. Frank und ich meldeten uns telefonisch imBüro ab und kehrten vor den Fernseher zurück.

Dann, es war bereits später Nachmittag, wurde plötzlichdie Verhaftung des vermeintlichen Attentäters bekanntgege-ben. Etwa fünfzehn Beamte der Polizei von Dallas hatten ihnverhaftet, als er, ein beträchtliches Stück vom Tatort entfernt,in einem Kino gesessen hatte. Die Nachricht von der verspä-teten Verhaftung schlug wie eine Bombe ein, und das langeSchweigen im Restaurant fand ein Ende. Man konnte spüren,wie plötzlich die Wut und der Haß auf diesen bislang unbe-kannten jungen Mann ausbrachen. Sein Name lautete LeeHarvey Oswald.

Während Frank Klein und ich bei Tortorich's wie gebannt vordem Fernseher saßen, ereignete sich etwa zwölf Häuser-blocks weiter, auf der anderen Seite der Canal Street, im Büroeines gewissen Guy Banister ein sehr ungewöhnlicher Zwi-schenfall. Zumindest war er für Banister, einen ehemaligenSpecial Agent, ungewöhnlich, der die Leitung der FBI-Nieder-lassung in Chicago innegehabt hatte, Deputy Superintendentder Polizei von New Orleans gewesen war und als ein Manngalt, der sein Leben lang beharrlich für Gesetz und Ordnungeingetreten war.

Ich kannte Banister ziemlich gut. Als er noch bei der Polizeigewesen war, hatten wir gelegentlich miteinander zu Mittaggegessen und Anekdoten aus unserer früheren Zeit beim FBIausgetauscht. Er hatte eine gesunde Gesichtsfarbe, blaue Au-gen, die einen direkt musterten, war stets makellos gekleidetund trug immer eine kleine Rose im Knopfloch.

Obwohl Banister gelegentlich im International House einen

Martini zu sich nahm, konnte niemand behaupten, daß ertagsüber jemals stark getrunken hätte. Er war ein enthaltsamlebender Mensch, der sich voll im Griff hatte. Doch an diesemlangen Nachmittag mit den Fernsehberichten über das Atten-tat in Dallas unternahm der ehemalige FBI-Mann den ernst-haften Versuch, sich durch sämtliche Schnapsvorräte der Kat-zenjammer-Bar im 5ooer-Block der Camp Street zu trinken.Als die Sonne über dem nahegelegenen Mississippi unterging,kehrte er mit Jack Martin, der ihn bei der Tour begleitet hatte,in sein Büro zurück. Dort entspann sich ein heftiger Streitzwischen Banister und Martin, einem Schmarotzer, der oft inBanisters Büro herumhing und gelegentlich als Privatdetektivarbeitete.

Zum ersten Wortgefecht kam es, nachdem Martin eine un-besonnene Bemerkung gemacht hatte. Während des Streitssagte er zu Banister, er habe gewisse ungewöhnliche Dingenicht vergessen, die sich während des Sommers im Büro er-eignet hätten. Daraufhin zog Banister seine .357er Magnumund schickte sich an, Martins Kopf mit ihr zu massieren.

Eine -357er Magnum ist keine normale Pistole. Da ihreMündungsgeschwindigkeit hoch sein soll, ist sie außerge-wöhnlich schwer. Nach diesem kurzen Schlagabtausch warMartin innerhalb von ein oder zwei Minuten blutüberströmt,und ein Streifenwagen der Polizei fuhr ihn ins Charity Hospi-tal an der Tulane Avenue.1 Wie ein winziger Same, dessenEinpflanzung zu dieser Zeit unbemerkt blieb, sollte die unge-wöhnliche und gewalttätige Handlung Guy Banisters letztend-lich zur einzigen Verurteilung im Mordfall John F. Kennedyführen. Von dem Schmerz seiner Verletzungen und der Wutgereizt, vertraute Jack Martin etwa einen Tag später einemFreund den vagen Verdacht an, daß David Ferrie, ein KollegeGuy Banisters und Dauergast seines Büros, am Tag des Atten-tats nach Dallas gefahren war, um für die Männer, die in dasAttentat verstrickt waren, als Fluchtfahrer zu füngieren.

Als Jack Martin am Freitag abend benommen im Kranken-haus saß, war es mit der Nachrichtenknappheit aus Dallas ab-rupt zu Ende. Die Bulletins jagten einander im Fernsehen. Amfolgenden Tag war der Name Lee Harvey Oswald so oft in denMedien wiederholt worden, daß auf der ganzen Welt jederwußte, von wem die Rede war. Sein Lebenslauf wurde fastebensoschnell nachgeliefert, und es wurden immer mehrEinzelheiten über seinen Aufenthalt in New Orleans im Som-mer vor dem Attentat bekannt. Obwohl ich zu dieser Zeitkeinen Grund hatte, die offizielle Darstellung vom einsamenAttentäter in Zweifel zu ziehen, die die Medien so schnellpräsentierten, durfte ich Lee Harvey Oswalds ungeklärte dreiMonate in der Stadt nicht einfach ignorieren. Die Verbindungmit New Orleans, so peripher sie auch sein mochte, bedeuteteauch, daß meine Behörde herausfinden mußte, inwiefernOswald in unsere Gerichtsbarkeit fiel.

Ich berief sofort eine Sondersitzung mit einem halben Dut-zend wichtiger Mitarbeiter meines Stabs ein. Am Sonntagnachmittag trafen sich die Senior District Attorneys (die mirdirekt unterstellten Staatsanwälte) und Ermittler in meinemBüro. Solche Wochenendsitzungen waren stets dann fällig,wenn Spuren eines Verbrechens von nationaler Bedeutungnach New Orleans führten.

Als wir alle Bekannten Oswalds in der Stadt überprüften,stellten wir fest, daß der vermeintliche Attentäter im Sommermit einem Mann namens David Ferrie gesehen worden war.Ich schickte meine Leute augenblicklich ans Telefon, damit sieklärten, ob es zwischen Oswald und Ferrie eine Beziehunggab.

Ich hatte David Ferrie einmal getroffen. Die Begegnungwar beiläufig, aber unvergeßlich gewesen. Kurz nach meinerWahl zum Bezirksstaatsanwalt hatte ich in der Nähe der Canaldie Carondelet Street überquert. Als mir bewußt wurde, daßdie an der Ampel wartenden Fahrzeuge jeden Augenblick los-fahren würden, beschleunigte ich meine Schritte. Genau indiesem Moment hielt mich ein Mann an beiden Armen fest.

Das Gesicht, das mich grimmig angrinste, erinnerte michan eine dämonische Halloween-Maske. Die Augenbrauen wa-ren offensichtlich mit Bühnenschminke nachgezogen, und dieeine saß beträchtlich höher als die andere. Eine zottige, rote,selbstgemachte Perücke saß schief auf seinem Kopf. Der Mannstarrte mich an. Er hielt mich noch immer fest; der Verkehrbrandete um uns herum, und ich konnte ihn unter dem Dröh-nen der Hupen kaum verstehen.

Dann gratulierte er mir lautstark zu meinem Wahlsieg. Alsich mich endlich aus seinem Griff befreien konnte und einemWagen auswich, rief er mir noch nach, er sei privater Ermitt-ler. Unsere kurze Begegnung auf der Straße hatte irgendwannim Jahre 1962 stattgefunden.

Diese Erinnerung rührte andere auf. Mir fiel Ferries Rufals Abenteurer und Pilot ein. Da ich im Zweiten Weltkriegauch Flieger gewesen war, war mir die Legende im Gedächt-nis haftengeblieben, er könne ein Flugzeug auf dem kleinstenFeld starten und landen. Weitere schwache Erinnerungenstellten sich ein - seine Beteiligung an der gescheiterten Inva-sion in der Schweinebucht 1961 auf Kuba, seine gegen Castrogerichteten Aktivitäten und seine zahlreichen Reden vor Vete-ranengruppen über Patriotismus und Antikommunismus. DerName David Ferrie war in New Orleans gut bekannt.

Bald fand einer meiner Assistenten, Staatsanwalt HermanKohlman, verblüffende Neuigkeiten heraus. Er hatte erfah-ren, daß Ferrie erst achtundvierzig Stunden zuvor überstürztnach Texas gereist war - am Tag des Attentats. Die Quelle, dieKohlman als völlig zuverlässig bezeichnete, war der Mann,dem sich Jack Martin anvertraut hatte, nachdem Guy Bani-ster ihm die Pistole über den Schädel gezogen hatte. Martinhatte dieser Quelle von seinem vagen Argwohn hinsichtlichFerries plötzlicher Reise nach Texas berichtet.

Eine Routineüberprüfung unserer Akten ergab, daß gegenFerrie einst Anzeige erstattet worden war und daß ein Polizei-bericht über ihn vorlag. Die Anzeige, ein minderes Delikt, warnicht weiterverfolgt worden, doch der Bericht enthielt Ferries

derzeitige Adresse am Louisiana Avenue Parkway. Ich schickteFrank Klein und zwei Ermittler dorthin. In Ferries verkom-menem Kaninchenloch von Wohnung fanden sie mehrereArmeegewehre, Munitionsmagazine, Militärfeldflaschen, einKoppel und - an der Wand - eine große Landkarte von Kuba.Zur allgemeinen Verwirrung trugen noch zwei junge Männerbei, die auf Ferrie warteten. Sie sagten aus, Ferrie sei amfrühen Freitag nachmittag mit dem Wagen nach Texas gefah-ren - etwa eine Stunde nach dem Attentat.

Ihre Zeitangabe wurde später von anderen Zeugen bestä-tigt, die Ferrie noch am Mittag des 22. November in New Or-leans gesehen hatten.2 Das bedeutete einerseits, daß Ferriewahrscheinlich nicht den »Fluchtwagen« gefahren hatte, wieJack Martin annahm, hieß andererseits aber auch nicht, daßer nichts mit dem Attentat zu tun hatte.

Ich ließ rund um die Uhr eine Wache in seiner Wohnung,die dort auf seine Rückkehr warten sollte. Am Montag morgenerschien Ferrie dort und wurde zum Verhör in mein Büro ge-bracht. Er war wie üblich angezogen, als habe man ihn imLaufschritt durch ein Kleiderlager der Heilsarmee gehetzt,und er wirkte genauso verwirrt wie damals, 1962, als ich ihmauf der Carondelet Street begegnet war. Er stritt ab, Lee Os-wald gekannt zu haben, gestand jedoch ein, am frühen Freitagnachmittag nach Houston gefahren zu sein.

Bedenkt man sein übertriebenes Selbstvertrauen bei unse-rer letzten Begegnung, so machte er diesmal eindeutig einenunbehaglichen und nervösen Eindruck. Und je mehr er sagte,desto weniger hielt seine Geschichte stand. Als ich ihn zumBeispiel fragte, warum er eine Stunde nach dem Attentat ausNew Orleans aufgebrochen sei, erwiderte er, er habe in Hous-ton Schlittschuh fahren wollen. Als ich ihn dann fragte,warum er sich zum Schlittschuhfahren ausgerechnet einesder schwersten Gewitter der letzten Jahre ausgesucht habe,blieb er mir eine Antwort schuldig.Später erfuhren wir auf der Eislaufbahn, daß er nie Schlitt-schuhe angezogen, sondern die gesamte Zeit in einer Telefon-

zelle verbracht hatte, in der er sowohl Anrufe empfing alsauch tätigte. Zudem fanden wir später heraus, daß er vonHouston nach Galveston weitergefahren war, wo er sich zufäl-lig befand, als Jack Ruby dort an dem Abend anrief, bevor erLee Oswald erschoß. Ich muß nicht eigens betonen, daß Fer-rie diese Einzelheiten verschwieg, als ich ihn befragte.

Aus seinen Antworten wurde nicht ersichtlich, daß er di-rekt etwas mit dem Attentat zu tun hatte, doch ich entschloßmich, weitere Nachforschungen über diesen seltsamen Men-schen und seine Vergnügungsreise durchzuführen. Ich wiesmeine Ermittler an, ihn zur Polizeiwache des Ersten Revierszu bringen und ihn dort festzuhalten, bis er vom FBI verhörtworden war.

Ich war überzeugt, daß das FBI in Sachen David Ferrie - undaller anderen, die auch nur entfernt mit der Ermordung desPräsidenten in Verbindung gebracht werden konnten -gründlich ermitteln würde. Diese Hoffnung war wahrschein-lich im Jahre 1963 typisch für die meisten Amerikaner. Dochin meinem Fall war sie wegen meines Hintergrunds beson-ders stark ausgeprägt: Mein Vater war Anwalt gewesen,genau wie sein Vater vor ihm. Daher empfand ich, durchOsmose oder Kulturübertragung, Respekt für das Gesetz.

Thomas Jefferson Garrison, mein Großvater väterlicher-seits, war Leiter der Rechtsabteilung bei der NorthwesternRailway mit Sitz in Chicago gewesen. Einer seiner Untergebe-nen - ein junger Anwalt namens Clarence Darrow - hattemeinem Großvater mit seiner Neigung, gegen einige starrköp-fige Kritiker des Gesetzes zu rebellieren, beträchtliche Unan-nehmlichkeiten bereitet. Ich habe mir sagen lassen, daß Groß-vater Garrison sehr erleichtert war, als Darrow aus denDiensten der Eisenbahn ausschied, um den SozialistenführerEugene Debs zu vertreten. Wie bekannt ist, wurde Darrow ei-ner der bekanntesten Strafverteidiger Amerikas. Obwohl ichmeinen Großvater bewunderte, entwickelte ich ironischer-weise eine hohe Meinung von Darrows einzigartigen Fähig-

keiten als Strafverteidiger und seiner großen Leidenschaft fürGerechtigkeit. Aus diesem Grund (und vielleicht wegen seinerBeziehung zu meinem Großvater) wurde einer meiner Söhneauf den Namen Darrow getauft.

Mein Großvater mütterlicherseits, William Oliver Robin-son, war ein sehr patriotischer Mann. Er kam aus einer vor-herrschend irischen Familie und maß zwei Meter einund-zwanzig. (Seine beiden Brüder waren jeweils zwei Meterdreizehn groß.) Er hatte keine Geduld mit Narren oder Men-schen, die nicht der Ansicht waren, die Vereinigten Staatenvon Amerika seien das beste Land der Welt. Als erfolgreicherImmobilienmakler und Kohlenhändler hielt er sich kerzen-gerade, trug einen prächtigen Jahrhundertwende-Schnurr-bart und ging elegant gekleidet. Er ließ sich seine Anzüge voneinem New Yorker Schneider anfertigen und zuschicken.(Damals gab es natürlich noch keine Spezialgeschäfte für be-sonders hochgewachsene Männer.)

Zu den führenden Geschäftsleuten von Knoxville, lowa,und zweifellos zu den Honoratioren zählend, vertrat er dieStadt oft am Bahnhof, wenn wichtige Würdenträger im Über-landzug vorbeifuhren. Dabei trug er ein rotweißblauesKostüm mit Zylinder, das Uncle Sam darstellen und denPatriotismus der Bürger Knoxvilles ausdrücken sollte. Ichhabe ein Foto von ihm, auf dem er in seinem patriotischenStaat Präsident William Howard Taft begrüßt, der gerade ausdem Zug gestiegen ist.

Ich wurde mit diesem Knoxville-Patriotismus im Blut inNew Orleans geboren. Dort wuchs ich auch auf, doch die prä-genden Jahre meiner Jugend verbrachte ich beim Militär. ImAlter von neunzehn Jahren, ein Jahr vor dem Angriff auf PearlHarbor, ging ich zur Army, wo es mir so gut gefiel, daß das Mi-litär zu meiner Ersatzfamilie wurde. Nachdem ich 1942 zumLieutenant der Feldartillerie befördert worden war, meldeteich mich freiwillig zur Pilotenausbildung. Nach der taktischenFlugausbildung in Leichtflugzeugen zur Observierung feind-licher Ziele in Fort Sill, Oklahoma, wurde ich nach Europa ge-

schickt, wo ich in Frankreich und Deutschland Kampfeinsätzeüber den Frontlinien flog.

Wie die anderen Männer in meiner Einheit war auch ichhauptsächlich des Abenteuers wegen Beobachtungsflieger ge-worden. Doch ich flog auch, um die Regierung der VereinigtenStaaten bei ihrem Versuch zu unterstützen, die Nazis und dasBöse, das sie repräsentierten, zu besiegen. Ich wurde mir die-ser Tatsache nie so bewußt wie bei meiner Ankunft in Dachau,als ich einen Tag, nachdem die Infanterie mit Hilfe meiner Ar-tillerie-Einheit das Konzentrationslager eingenommen hatte,die dürren, ausgehungerten Leichen der Insassen sah, die anden Mauern des Krematoriums mit den hohen, stark verruß-ten Ziegelschornsteinen aufgestapelt lagen.

Während meiner fünf Jahre in der Army im Zweiten Welt-krieg und weiterer achtzehn Jahre als Offizier der Feldartille-rie der Nationalgarde wurde ich nie mit einer wie auch immergearteten Täuschung konfrontiert. Für mich war die Army be-deutungsgleich mit der Regierung der Vereinigten Staaten. Ichsollte hinzufügen, daß ich noch in der Nationalgarde war unddie Army noch mit der Regierung der Vereinigten Staatengleichsetzte, als Präsident Kennedy ermordet wurde und ichDavid Ferrie verhaftete.

Nach meiner Rückkehr ins Zivilistendasein nach demZweiten Weltkrieg folgte ich der Familientradition und stu-dierte Jura in Tulane. Ich erwarb sowohl den akademischenGrad des Bachelor of Laws als auch den des Master of CivilLaws (Magister). Kurz darauf ging ich zum FBI. Als SpecialAgent in Seattle und Tacoma beeindruckte mich die Kompe-tenz und Effizienz des Bundeskriminalamts. Doch es lang-weilte mich über alle Maßen, Klinken zu putzen und Erkun-digungen über die Loyalität und die Bekannten von Personeneinzuziehen, die sich um Jobs in Rüstungsbetrieben bewar-ben. Also entschloß ich mich, wieder in den Beruf des Juristenzurückzukehren.

Es war eher ein Zufall, daß ich die Stelle des Bezirksstaats-anwalts von New Orleans bekam. Als ich Ende der fünfziger,

Anfang der sechziger Jahre in einer privaten Kanzlei als Straf-verteidiger tätig war, hatte Richard Dowling dieses Amt inne.Er war ein ausgezeichneter Anwalt für Staats- und Zivilrechtgewesen, doch seine Amtsführung als Strafverfolger ließ eineMenge zu wünschen übrig. Als ehemaliger Unterbezirksstaats-anwalt, ein Amt, das ich von 1954 bis 1958 ausgeübt hatte,beunruhigte mich der Zustand seiner Behörde stark. Als Dow-ling sich 1961 zur Wiederwahl stellte, kandidierte ich nebenmehreren anderen gegen ihn.

Ich hatte keine Chance, die Wahl zu gewinnen. Doch ichwar der Auffassung, meine Teilnahme an der Wahl könneeinem der anderen Kandidaten helfen, die einen besserenStaatsanwalt abgeben würden. Während meines Wahlkampfsging ich nicht unter das Volk, ich schüttelte keine Hände undklopfte den Menschen nicht auf den Rücken. Ich versuchteauch nicht, Wahlkampfkundgebungen für mich organisierenzu lassen. Ich ließ keine Handzettel verteilen, die zu meinerUnterstützung aufriefen. Ich vergewisserte mich auch nichtder Hilfe irgendwelcher politischer Organisationen. Ichsprach einfach im Fernsehen zu den Menschen. Und da ich,von einer Handvoll Freunden abgesehen, wirklich keine orga-nisierte Unterstützung erhielt, legte ich stets Wert darauf,allein im Fernsehen aufzutreten, um meine Unabhängigkeitzu betonen und meinen Mangel an politischem Rückhalt ineinen Vorteil umzumünzen.

Ich mußte zur Stichwahl gegen Dowling antreten, erhieltunerwartet Schützenhilfe von einer örtlichen Zeitung undführte den Wahlkampf in der zweiten Runde genau wie in derersten.

Zu meiner Überraschung - und zum Erstaunen vieler an-derer - wurde ich gewählt und am 3. März 1962 in das Amtdes Bezirksstaatsanwalts eingeführt. Es war das erste Mal inder Geschichte von New Orleans, daß ein Staatsbeamter ohnedie Unterstützung einer politischen Vereinigung gewählt wor-den war.

Dementsprechend bescherte ich der Stadt eine nagelneue

und tatsächlich unabhängige Behörde. Von Anfang an wählteich meine Staatsanwälte, die Assistant District Attorneys, un-ter den besten Absolventen der benachbarten Jura-Fakultätenund den besten jungen Strafverteidigern der Stadt aus. KeinBeamter meines Stabs wurde aus politischen Gründen er-nannt. Deshalb konnten wir ohne Rücksicht auf irgendwelcheaußenstehenden Personen oder Organisationen operieren.

Als John F. Kennedy ermordet wurde, war ich dreiundvier-zig Jahre alt und seit eindreiviertel Jahren Bezirksstaatsan-walt. Ich war ein altmodischer Patriot, ein Produkt meinerFamilie, meiner beim Militär gemachten Erfahrungen undmeiner jahrelangen Praxis als Anwalt. Ich konnte mir damalsnicht vorstellen, daß die Regierung die Bürger unseres Landesje täuschen würde. Infolgedessen nahm ich einfach hin, daßdas FBI David Ferrie überraschend schnell freiließ und damitandeutete, man habe ihm keinerlei Verbindung mit dem Atten-tat nachweisen können.3 Ich setzte voraus, daß das BureauFerries Reise gründlich überprüft hatte und sie nicht für wich-tig hielt. Es wurmte mich etwas, daß der Special Agent, derdie Zweigstelle in New Orleans leitete, unaufgefordert die Er-klärung abgab, Ferries Verhaftung sei nicht vom FBI ausge-gangen, sondern von der Staatsanwaltschaft. Es war noch nievorgekommen, daß ein Vollstreckungsbeamter einen derarti-gen Kommentar über einen anderen geäußert hatte.

Ich hätte eine solche Erklärung von Ferries Anwalt erwar-tet, aber kaum von einem anderen Regierungsbeamten. Ichwar davon ausgegangen, daß die Bundesregierung und ichauf derselben Seite standen. Doch ich ignorierte den Kom-mentar und widmete meine Aufmerksamkeit wieder derStrafverfolgung von Einbrüchen, Raubüberfällen und anderenVerbrechen in New Orleans.

2. Das Erwachen

Fast drei Jahre verstrichen. -Es waren Jahre großer Befriedigung für mich. Wir hatten

eine idyllische Behörde in eine erstklassige Staatsanwalt-schaft verwandelt. Wir hatten drei Jahre lang keinen einzigenMordprozeß mehr verloren - und es sollten noch weitere achtJahre vergehen, bis wir den ersten verloren. An die Stelle derrosa gestrichenen Wände und grünen Rohre der Büroräumewaren Nußbaumverkleidungen getreten. Ich nahm regelmä-ßig an den Versammlungen der National District Attorneys'Association (Vereinigung der amerikanischen Bezirksstaats-anwälte) an so interessanten Orten wie Phoenix, Las Vegasoder Los Angeles teil. Von Ausnahmefällen abgesehen konnteich mir einmal pro Woche freinehmen und in Restaurants wieBrennan's, Moran's oder Antoine's speisen.

Mittlerweile war unser Militär tief in den Krieg in Südost-asien verstrickt. Wie die meisten Amerikaner ging ich davonaus, die Regierung habe unsere Truppen dorthin beordert, umSüdvietnam die Demokratie zu bringen. Und wie die meistenAmerikaner glaubte ich, daß die Regierung das Attentat aufPräsident Kennedy vollständig aufgeklärt habe und es sichtatsächlich um die individuell motivierte Tat eines Einzelgän-gers gehandelt hatte. Mir kam gewiß nicht in den Sinn, daß eszwischen dem Mord an Präsident Kennedy und der darauffol-genden Entsendung einer halben Million Soldaten nach Viet-nam einen Zusammenhang geben könnte.

Natürlich war ich mir einiger seltsamer Ungereimtheitendes Attentats bewußt. Es war allgemein bekannt, daß die mei-sten Menschen aus der Menge an der Dealey Plaza meinten,

sie hätten gehört - ja, sogar gesehen -, daß auf dem Grashü-gel1 vor dem Präsidenten Schüsse gefallen seien. Einige vonihnen waren den Hügel hinaufgelaufen, waren über den Holz-zaun geklettert und bis zu dem dahinterliegenden Rangier-bahnhof gerannt, wo sie von Männern zurückgeschickt wur-den, die sich als Agenten des Secret Service auswiesen.

Es läßt sich nicht bestreiten, daß es bei den Sicherheitsvor-kehrungen für den Präsidenten beträchtliche Nachlässigkei-ten gegeben hat. Die Schutzkuppel war von seiner Limousineentfernt worden2, und jeder kannte die Fotos, die die zahlrei-chen weit geöffneten Fenster mit Blick auf die Dealey Plazazeigten. Doch ich ging davon aus, daß sich jedwede Ermitt-lung zuerst in diese Punkte verbissen hätte. Das FBI hattediese Aspekte untersucht, und als sei dies noch nicht genug,hatte sich auch die Warren-Kommission zehn Monate langintensiv damit befaßt.3

Daß diese beiden gewichtigen Körperschaften überein-stimmend zu der Schlußfolgerung gelangt waren, alle Schüsseseien von einem einzigen Mann hinter dem Präsidenten abge-geben worden, überzeugte mich, daß es sich bei den angeb-lichen Geschehnissen vor dem Präsidenten auf dem Grashügelund dem dahinter gelegenen Rangierbahnhof um bloße Spe-kulationen handelte.

So sah ich die Dinge Ende des Jahres 1966. Ich war glück-lich verheiratet, Vater dreier Kinder (zwei weitere sollten nochkommen) und hatte einen tollen Job. Ich war völlig zufriedenmit dem Verlauf, den mein Leben nahm, und der Welt ummich herum. In der Rückschau wäre die Feststellung vielleichtangemessen, daß ich von der Welt, in der ich lebte, ruhigge-stellt wurde.

Eines Tages in jenem Herbst unterhielt ich mich dann zu-fällig mit Russell Long, einem Senator aus Louisiana. Wir ka-men auf das Attentat an Kennedy zu sprechen. Bis zum heuti-gen Tag erinnere ich mich an seine Worte: »Die Burschen vonder Warren-Kommission haben völlig falschgelegen«, sagte ergeradeheraus, wie es seine Art ist. »Es ist unmöglich, daß

Jack Kennedy auf diese Weise von einem einzigen Mann er-schossen wurde.«

Ich war überrascht, dies von einem der intelligentestenMitglieder des Senats zu hören, von einem Mann, den ich per-sönlich kannte und sehr respektierte. Zum erstenmal wurdeich gewahr, daß in diesen hohen Kreisen Zweifel an der gül-tigen Version des Attentats kursierten. Die Entschiedenheit inSenator Longs Worten erregte meine Neugier. Ich bestellte au-genblicklich den gesamten Satz der von der Warren-Kommis-sion herausgegebenen Bände - die Anhörungen, die Beweis-mittel und den Kommissionsbericht.

Während ich darauf wartete, daß die Bücher eintrafen,forschte ich in der Bibliothek nach, wie die Warren-Kommis-sion zustande gekommen war. Fünf Tage nach dem Attentathatte der Kongreßabgeordnete Charles Goodell aus New Yorkvorgeschlagen, ein gemeinsamer Ausschuß von jeweils siebenAbgeordneten und Senatoren solle eine Untersuchung durch-führen. Zwei Tage später, bevor der Kongreß auf Goodells Vor-schlag reagieren konnte, erklärte Präsident Lyndon B. John-son, er habe bereits einen Ermittlungsausschuß gebildet undsieben Mitglieder bestimmt. Um die mögliche Kritik zu ver-meiden, er habe dem Kongreß die Untersuchung aus denHänden genommen, berief er je zwei Abgeordnete beiderKammern in den Ausschuß.

Ich verschaffte mir biographische Informationen über dievon Präsident Johnson ausgewählten Kommissionsmitglieder.Augenscheinlich handelte es sich bei allen um leidlich wich-tige Männer, die dem Geheimdienst oder dem Militär gegen-über positiv eingestellt waren. Allen Dulles war neun Jahrelang Direktor der CIA gewesen. Kongreßabgeordneter GeraldFord wurde von Newsweek als »der beste Freund der CIA imKongreß« bezeichnet. Senator Richard Russell saß dem Streit-kräfte-Ausschuß des Senats vor und auch dessen Geheim-dienst-Unterausschuß. John J. McCloy war gegen Ende desZweiten Weltkrieges stellvertretender Kriegsminister undHochkommissar im besetzten Deutschland gewesen. Zur Zeit

seiner Berufung in die Warren-Kommission galt er allgemeinals wichtigste inoffizielle Kapazität der amerikanischen Au-ßenpolitik.4 Zu dieser Zeit stellte ich die Zusammensetzungder Kommission nicht in Frage. Auch hatte ich keinen Grund,die Ehrlichkeit oder Integrität dieser respektierten Politiker zubezweifeln.

Als die sechsundzwanzig Bände der Warren-Kommissioneintrafen, vertiefte ich mich einige Wochen lang in die Aus-sagen und Beweisstücke, meist abends und an den Wochen-enden. Sie entsprachen zwar nicht meiner Vorstellung von an-regender Lektüre, doch ich las sie aus dem gleichen Grund,aus dem ich - im Jahr 1963 - Ermittlungen zu David Ferrieszeitlich seltsam übereinstimmender Reise nach Texas durch-geführt hatte. Lee Oswald hatte den Sommer vor dem Attentatin New Orleans verbracht. Das fiel in meinen Zuständigkeits-bereich als Staatsanwalt.

In Anbetracht des erhabenen Rufs der Kommissionsmit-glieder und der Qualität und Zahl der Mitarbeiter, die ihnenzur Verfügung gestanden hatten, rechnete ich damit, einegründliche und professionelle Ermittlung vorzufinden. Nichtsdergleichen war der Fall. Die Masse der Informationen warungeordnet und wirr. Die Kommission hatte kein hinläng-liches Beweismittelverzeichnis beigefügt (wenngleich spätereines von Sylvia Meagher erstellt wurde5, einer prominentenKritikerin der offiziellen Attentatsversion). Die zahlreichenvielversprechenden Spuren, die nie verfolgt wurden, stellteneine Beleidigung meiner Berufsauffassung als Staatsanwaltdar. Und am schlimmsten war vielleicht, daß die Schlußfolge-rungen des Berichts offenbar auf einer selektiven Beweisaus-wahl beruhten und glaubwürdige Aussagen Dutzender Zeu-gen buchstäblich ignorierten.

Die Kommission kam zum Beispiel zu dem Schluß, derMord an Kennedy sei von einem Mann begangen worden, derden Präsidenten von hinten erschossen habe. Das war nichtnur der entscheidende Punkt der offiziellen Darstellung; eswar etwas Unantastbares.

Doch ich stellte bei der Lektüre schon früh fest, daß dieAussagen zahlreicher Zeugen an der Dealey Plaza die offi-zielle Version nicht stützten. Stellen Sie sich die Szene an derDealey Plaza vor.6 Die Wagenkolonne, die gerade von derHouston Street links abgebogen war, fuhr in westlicher Rich-tung über die Elm Street. Als der Präsident getroffen wurde,befand sich das Texas School Book Depository, ein Auslie-ferungslager für Schulbücher, aus dem Oswald der Warren-Kommission zufolge alle Schüsse abgegeben hatte, ein gutesStück rechts hinter ihm. Ein Stück rechts vor ihm lag derGrashügel mit dem Holzlattenzaun, eine niedrige Umzäu-nung. An den Lattenzaun drängten sich einige kleine Bäume.Ebenfalls rechts vor ihm, aber in geringerer Entfernung, be-fand sich eine Arkade aus Beton. All dies lag auf einer Ter-rasse hoch über dem grasbedeckten Hügel, der die Elm Streetüberblickte.

Eine Reihe von Zeugen erinnerte sich lebhaft daran, zu derZeit, als die Schüsse fielen, seltsame Aktivitäten auf demGrashügel beobachtet zu haben. Eine Stunde vor dem Atten-tat fuhr zum Beispiel Julia Ann Mercer7, eine Angestellte derFirma Automat Distributers, an dem Grashügel neben derElm Street vorbei. Sie blieb in einem Verkehrsstau steckenund mußte neben einem Kleinlaster anhalten, der halb aufdem Bürgersteig parkte. Sie sah, daß ein junger Mann mit ei-nem Gewehr in einem Koffer ausstieg und den steilen Hügelhinaufging. Wie ich später herausfand, meldete sie diese be-unruhigende Beobachtung einen Tag später sowohl der FBI-Zweigstelle Dallas als auch dem Sheriff.8 Doch seltsamerweisewurde Julia Ann Mercer nie vom Stab der Kommission be-fragt.

Lee Bowers, der Weichensteller des Rangierbahnhofs, hattein seinem Glasturm fünf Meter über dem Bahnhof einen Logen-blick auf den Grashügel. Seiner Aussage zufolge9 beobachteteer ein paar Minuten, bevor die Schüsse fielen, daß zwei ihmunbekannte Männer hinter dem Lattenzaun auf dem Hügelstanden und der sich nähernden Wagenkolonne entgegen-

blickten. Zuvor hatte er gesehen, wie ein ihm unbekannterMann auf dem Rangierbahnhof hinter dem Hügel in einemWagen umherfuhr. Der Mann schien in ein Mikrofon zu spre-chen, das er in der Hand hielt.

In einer eidesstattlichen Erklärung sagte J. C. Price10, einDachdecker aus Dallas, vor dem Sheriff aus, er habe gesehen,daß nach den Schüssen »ein Mann auf die Personenwaggonszulief, die auf dem Rangiergleis standen. [...] Er hielt etwas inder Hand. Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte ein Kopf-hörer gewesen sein.«

Einige Zeugen hörten - im Gegensatz zum Abschlußbe-richt der Warren-Kommission - nicht nur, wie vom Latten-zaun aus Schüsse fielen, sie entdeckten auch, daß zwischenden Bäumen Rauch von Gewehrschüssen aufstieg. Wie J. C.Price hatte eine noch größere Zahl den Eindruck, nach denSchüssen seien Männer von dem Hügel auf den dahinterlie-genden Rangierbahnhof gelaufen. Joseph Smith11, ein Polizist,der mit einem Motorrad neben dem Wagen des Präsidentenfuhr, lief den Hügel zu dem Zaun hinauf.

S. M. Holland, Stellwerkleiter bei der Union Terminal Rail-road, beschrieb die Schüsse folgendermaßen12: »Ich hörte ei-nen dritten Knall und zählte vier Schüsse, und [...] in dieserBaumgruppe gab es einen Knall, einen Schuß, ich weiß nicht,ob es ein Schuß war. Das kann ich nicht sagen. Und eineRauchwolke erhob sich, vielleicht zwei bis zweieinhalb Meterhoch, direkt über den Bäumen. [...] Ich habe nicht den gering-sten Zweifel, daß ich eine Rauchwolke zwischen den Bäumenhabe aufsteigen sehen. [...] Ich habe die Rauchwolke ganz be-stimmt gesehen und unter den Bäumen einen Knall gehört...«

0. V. Campbell, der Geschäftsführer des Schulbuch-Auslie-ferungslagers, sagte aus, die Schüsse seien »von der Gras-flache dort hinten«13 gekommen, wobei er in die Richtungdeutete, in die die Wagenkolonne fuhr, nachdem sie das Aus-lieferungslager passiert hatte. Er sagte: »Ich habe Schüsse ge-hört, die von einer Stelle abgegeben wurden, die in der Näheder Eisenbahngleise lag.«I4

James Tague, Autoverkäufer aus Dallas, der - möglicher-weise von einer verirrten Kugel - im Gesicht verletzt wurde,sagte: »Mein erster Eindruck war, daß dort oben bei demMonument, oder wie man es auch nennen soll..., daß dortjemand ein Feuerwerk zündete ... und die Polizei dort hinauf-lief.«15

Billy Lovelady, ein Angestellter des Auslieferungslagers,der auf der Treppe des Gebäudes ein Butterbrot aß, erinnertesich, daß die Schüsse »direkt von da hinten [gekommen sind],von dem kleinen Betonding auf dem Hügel ... zwischen derUnterführung und dem Gebäude rechts auf dem Hügel«16.

Abraham Zapruder, der berühmt wurde, weil er das Atten-tat zufällig filmte, stand auf einer Betonplatte neben demGrashügel und hatte den Rücken an den Lattenzaun gelehnt.Er beschrieb, daß die Polizisten an ihm vorbei zu dem Ge-lände hinter dem Hügel liefen.17 Auf die Frage, woher dieSchüsse gekommen seien, fügte er hinzu: »Ich dachte auch,sie seien von hinter mir gekommen.«

Forrest Sorrells, der Leiter der örtlichen Secret-Service-Zweigstelle, fuhr in der Autokolonne ganz vorn. Er sagte aus,als er die Schüsse gehört habe, »etwas zu laut für ein Feuer-werk«, habe er »zu dem Terrassenteil dort [gesehen], weil esso klang, als seien sie von da hinten und da oben abgefeuertworden«18.

William Newman, ein technischer Zeichner aus Dallas,hatte die Parade mit seiner Familie auf dem Bürgersteig amFuß des Grashügels beobachtet, ein kurzes Stück vor dem Lat-tenzaun. Newman sagte19: »Wir standen am Rand des Bürger-steigs und schauten auf den Wagen, der auf uns zukam, undplötzlich gab es einen Knall, anscheinend einen Schuß. DerPräsident fuhr in seinem Sitz hoch, und es sah aus, als sei einFeuerwerk losgegangen. Ich dachte, er hätte es gemerkt. Eswar einfach wie eine Explosion, und er stand auf. Mittlerweilewar er direkt vor uns, und ich sah ihn direkt an, als er in dieSchläfe getroffen wurde. [...] Da es den Anschein hatte, daßwir uns voll in der Schußlinie befanden, warfen wir uns dann

aufs Gras. [...] Ich dachte, der Schuß sei aus dem Gartendirekt hinter mir gekommen. [...] Ich erinnere mich nicht,zum Texas School Book Depository gesehen zu haben. Ichhabe zum Garten zurückgeschaut.«

L. C. Smith, ein Angestellter des Sheriffs, war auf der MainStreet, als er die Schüsse hörte, und lief »so schnell ich konntezur Elm Street, direkt links von der Houston«20. Dort stieß erauf eine Frau, die ihm mitteilte, »der Präsident sei in den Kopfgeschossen worden, und die Schüsse kämen von dem Zaunauf der rechten Seite der Elm Street«, womit sie den Latten-zaun vor dem Grashügel meinte.

Malcolm Summers, Besitzer einer Druckerei und Werbe-agentur in Dallas, erinnerte sich an den Augenblick, als dieSchüsse aufhörten21: »Dann liefen alle Leute zu der Terrassehoch. Alle liefen einfach zu den Eisenbahngleisen, und ichwußte, daß sie dort jemanden aufgespürt hatten.«

Eine Frau, Jean Hill, verfolgte sogar einen der Männer. Siegestand ein, nicht gewußt zu haben, was sie mit ihm hättemachen sollen, falls sie ihn eingeholt hätte. Sie sagte aus, siehabe gesehen, wie der Mann »zu den Eisenbahngleisen linksvon uns« ging.22

Laut Jean Hills Schilderung war der Rangierbahnhof -rechts oberhalb der Stelle, wo der Präsident getroffen wordenwar - eindeutig das Ziel der Männer, die vom Tatort wegrann-ten. Ich wandte mich wieder der Aussage des WeichenstellersLee Bowers zu23 und las seine Antworten zu Fragen über dieEreignisse nach dem Attentat, die ihm Joseph A. Ball, derRechtsanwalt der Warren-Kommission, gestellt hatte.

»MR. BALL: Kamen danach ziemlich viele Leute zu diesererhöhten Stelle am Turm?

MR. BOWERS: Eine große Anzahl Leute kam (aus) mehr alseiner Richtung. Eine Gruppe lief an der Ecke Elm Street undHouston zusammen, die Elm Street entlang und auf den Hü-gel, und andere - eine andere große Gruppe - liefen um diedreieckige Fläche zwischen der Houston und Elm und dannüber die Elm und den Hang hinauf. Einige von ihnen bis ganz

nach oben. Viele von ihnen, darunter natürlich auch zwi-schen fünf zig und hundert Polizisten, die nach höchstens fünfMinuten dort eintrafen.

MR. BALL: An die Stelle rund um Ihren Turm?MR. BOWERS: Genau. Ich riegelte das Gebiet ab und hielt

die Züge an, bis sie durchsucht werden konnten, und in we-nigstens einen Zug stiegen ein paar Fahrgäste ein.

MR. BALL: Darüber haben wir schon gesprochen, bevorIhre Aussage aufgenommen wurde, nicht wahr?

MR. BOWERS: Ja.MR. BALL: Fällt Ihnen sonst noch etwas ein, wonach ich Sie

nicht gefragt habe?MR. BOWERS: Nein, sonst nichts.«[Hervorhebungen vom Verfasser]Jeder gute Anwalt hätte sich normalerweise in die Tatsa-

che verbissen, daß wenigstens einer der Züge auf dem Ran-gierbahnhof angehalten werden mußte, damit »Fahrgäste«einsteigen konnten. Doch wie mir auffiel, wechselte der un-beeindruckte Rechtsberater der Kommission schnell dasThema, um jedes weitere Gespräch über die Unbekannten,die auf dem Rangierbahnhof einen Zug bestiegen, zu unter-binden.

Ein ähnliches Manöver fiel mir auf, als Sergeant D. V Hark-ness, der Beamte, der die Aufgabe hatte, die abfahrendenZüge zu durchsuchen, aufprägen des Rechtsberaters der War-ren-Kommission, David Belin, antwortete24:

»MR. HARKNESS: Ich ging wieder nach vorn, und Inspec-tor Sawyer [...] half mir, zuerst die Menge zurückzudrängen.Dann schickte Inspector Sawyer mich zu einigen Güterwag-gons, die aus dem Rangierbahnhof ausführen, und beauf-tragte mich, runterzugehen und alle Güterzüge zu durchsu-chen, die den Bahnhof verließen.

MR. BELIN: Was haben Sie dann getan?MR. HARKNESS: Na ja, wir kamen zu einem langen Güter-

zug, der dort stand, und wir holten einige Leute heraus undbrachten sie zur Wache.

ä MR. BELIN: Sie meinen, einige Fahrgäste? MR. HARKNESS: Tramps und Hobos.

MR. BELIN: Die auf dem Güterwagen waren?MR. HARKNESS: Ja, Sir.MR. BELIN: Was haben Sie dann getan?MR. HARKNESS: Das war mein ganzer Auftrag, weil sie

zwei lange Güterzüge filzten, die gerade abfuhren. MeinesWissens waren mehrere Beamte damit beschäftigt.

MR. BELIN: Wissen Sie, ob irgend jemand irgendwie ver-dächtige Leute dort auf dem Güterbahnhof gefunden hat?

MR. HARKNESS: Ja, Sir. Wir haben einige Leute verhaftet.Ich buchtete selbst einige ein.

MR. BELIN: Waren das die Leute, die Sie als Hobos oderTramps bezeichnet haben?

MR. HARKNESS: Ja, Sir.MR. BELIN: Wurden diese Leute verhört?MR. HARKNESS: Ja, Sir. Sie wurden zur Wache gebracht

und verhört.MR. BELIN: Wurden irgendwelche Waffen gefunden?MR. HARKNESS: Meines Wissens nicht.MR. BELIN: Ich möchte noch einmal auf diesen Amos Euins

zurückkommen. Erinnern Sie sich, was er zu Ihnen gesagt hatund was Sie zu ihm gesagt haben, als Sie sich das erste Malbegegneten?«

[Hervorhebungen vom Verfasser]Diesen Themenwechsel fand ich bemerkenswert. Da er-

fuhr Rechtsanwalt Belin gerade von mehreren Fremden, diedie Gegend, in der der Präsident gerade ermordet wordenwar, mit einem abfahrenden Zug verließen, doch statt mehrals nur ein paar beiläufige Folgefragen zu stellen, wechselt erdas Thema. Amos Euins, ein weiterer Zeuge, hatte nicht dasgeringste mit den Aktivitäten auf dem Grashügel und dem in-teressanten Zufall zu tun, daß ausgerechnet in diesem Augen-blick Züge abfuhren. Belin fragte Sergeant Harkness nichtnach weiteren Einzelheiten über die Verhafteten, auch nichtdanach, wer sie »zur Wache abgeführt und verhört« hatte.

Weder im Büro des Sheriffs noch im Polizeipräsidium von Dal-las gibt es irgendwelche Unterlagen über diese Verhaftungenund Verhöre. Auch wurden ihre Namen, soweit ich feststellenkonnte, in keinem der sechsundzwanzig Bände der Warren-Kommission erwähnt.

Außerdem wurde nie die ebenso interessante Spur ver-folgt, daß sich in der Nähe des Rangierbahnhofs Männer auf-gehalten hatten, die sich als Agenten des Secret Service aus-gaben.

Joe M. Smith, Verkehrspolizist an der Kreuzung Elm Streetund Houston Street, erfuhr von einer Frau25, daß die Schüsse»aus den Büschen« gekommen waren, verließ seinen Postenund lief den Hügel hinter dem Lattenzaun hinauf. Er antwor-tete auf Fragen des Rechtsberaters Wesley J. Liebeier von derWarren-Kommission26:

»MR. SMITH: Als wir dort ankamen, war ein Deputy Sheriffbei mir, und ich glaube, ein Mann vom Secret Service... Ichkam mir schrecklich lächerlich vor, aber nach den Schüssenund dieser Frau zog ich meine Pistole aus dem Halfter unddachte, es ist lächerlich, ich weiß nicht, nach wem ich suche.Gerade als ich sie wieder wegstecken wollte, zeigte er mir, daßer ein Agent vom Secret Service war.

MR. LIEBELER: Haben Sie diesen Mann angesprochen?MR. SMITH: Na ja, er sah mich mit meiner Pistole kommen

und zeigte mir sofort, wer er war.MR. LIEBELER: Erinnern Sie sich an seinen Namen?MR. SMITH: Nein, Sir, das nicht...«Doch dem Bericht der Warren-Kommission zufolge waren

alle Agenten des Secret Service, die die Parade begleitet hat-ten, mit ihr zum Krankenhaus gefahren.27 Den Unterlagendes Secret Service ist zu entnehmen, daß sich - abgesehenvon denen, die mit der Wagenkolonne durchführen, was inMinutenschnelle geschah - kein einziger seiner Agenten amTatort befand. Das bedeutete entweder, daß der Secret Servicelog oder sich irrte, oder daß der Mann, den Officer Smith an-sprach, kein Agent des Secret Service war.

Sergeant Harkness sagte weiterhin aus28, daß, als er hinterdem Auslieferungslager eintraf (noch vor seiner Durchsu-chung des Rangierbahnhofs), »sich dort einige Secret-Service-Agenten befanden. Ihre Ausweise bekam ich nicht zu sehen.Sie sagten mir, sie seien Agenten des Secret Service.« FürHarkness wurde es daher deutlich, daß sich nicht nur einer,sondern mehrere Menschen, die behaupteten, dem SecretService anzugehören, auf einem Gelände aufhielten, in demangeblich kein einziger Agent eingesetzt war.

Diese Ungereimtheit wurde nicht nur von Officer Smithund Sergeant Harkness bezeugt. Ich fand heraus, daß JeanHill, die einen vom Tatort fliehenden Mann verfolgte, auf demParkplatz hinter dem Zaun des Hügels aufgehalten wurde.29

Der Mann, der Zivilkleidung trug, hielt ihr seinen Secret-Ser-vice-Ausweis hin. Nach dieser Unterbrechung war der Flüch-tige verschwunden.

Trotz dieser Anzeichen, daß sich entweder mehrere Män-ner fälschlicherweise als Secret-Service-Agenten ausgegebenhatten beziehungsweise der Secret Service keine Ahnunghatte, wo seine Agenten wirklich gewesen waren, ließen dieWarren-Kommission und ihr Stab die Sache einfach fallen.

Bei der Lektüre des Berichts kam ich zu der Erkenntnis,daß nicht nur die Warren-Kommission und ihr Stab die Er-mittlungen unorthodox betrieben hatten. Die Polizei von Dal-las, die den Fall in ihren Unterlagen höchst zügig abschloß,führte ebenfalls eine höchst unsystematische Untersuchungdurch. Zum Beispiel wurde Lee Harvey Oswald nach seinerVerhaftung verhört, als er sich im Gewahrsam von CaptainWill Fritz befand, dem Leiter der Mordkommission von Dallas.Als Staatsanwalt weiß ich, daß auch bei geringeren Kapital-verbrechen solche Verhöre routinemäßig aufgezeichnet wer-den. Doch dem Warren-Bericht zufolge wurde der vermeint-liche Mörder des Präsidenten der Vereinigten Staaten insgesamtzwölf Stunden lang verhört, ohne daß dabei ein Tonband liefoder ein Stenograph mitschrieb.30 Es war auch kein Anwaltanwesend. Das Fehlen jeglicher Unterlagen über Oswalds Ver-

hör enthüllte eine Mißachtung grundlegender verfassungs-mäßiger Rechte, die mir völlig fremd war. Mir wurde klar, daßes sich dabei nicht nur um Nachlässigkeit handelte.31 Ein Poli-zeibeamter mit dreißigjähriger Berufserfahrung wie CaptainFritz mußte doch wissen, daß alles, was Oswald unter diesenUmständen sagte, beim nachfolgenden Prozeß nicht zugelas-sen werden würde.

Bei meiner Lektüre überraschte es mich auch, wie schnelldas FBI seine Untersuchung abgeschlossen hatte und inner-halb weniger Wochen zu der Schlußfolgerung gelangt war, LeeOswald sei ein Einzeltäter. Bei diesen zahlreichen, nicht aus-geführten Routinetätigkeiten, auf die ich in den Zeugenaussa-gen und Beweismitteln der Warren-Kommission stieß, schienmir ein so schneller Abschluß des Falles unbegreiflich.

Je länger ich las, desto deutlicher begriff ich, daß sämtlicheoffiziellen Regierungsuntersuchungen des Attentats systema-tisch alle Beweise ignoriert hatten, die zu einer anderenSchlußfolgerung als der hätten führen können, Lee Oswald seiein Einzeltäter. Zuerst wußte ich nicht, was ich davon haltensollte, also las ich weiter. Eines Freitagabends begutachteteich die Zeugenaussage des Lieutenant Colonel Allison G. Fol-som jr.32, der aus Oswalds Militärakte vorlas. Er führte aus,Oswald habe in der Marinebasis El Toro in Kalifornien eineRussischprüfung abgelegt; kurz darauf war er, worüber dieMedien natürlich lautstark berichtet hatten, in die Sowjet-union übergelaufen.

Eine Russischprüfung\ Ich stellte die Ohren auf.In all meinen Jahren im Militärdienst während des Zweiten

Weltkrieges - und danach - hatte ich nie eine Prüfung in rus-sischer Sprache abgelegt. Colonel Folsoms weitere Aussage,Oswald habe bei der Prüfung schlecht abgeschnitten und vonallen russischen Worten kaum mehr als die Hälfte richtigübersetzt, erinnerte mich an den Witz über den Mann, dersagt, sein Hund sei nicht besonders intelligent, da er ihn nurbei zwei von fünf Schachspielen schlagen könne. Ich hättekein einziges russisches Wort übersetzen können. 1959, als

Oswald die Prüfung ablegte, war ich Stabsoffizier in einemBataillon der Nationalgarde, das aus Hunderten von Soldatenbestand. Von keinem war je verlangt worden, seine Russisch-kenntnisse unter Beweis zu stellen. An diesem Abend imJahre 1966, an dem ich Colonel Folsoms Aussage las, standich noch im Militärdienst - mittlerweile als Major - undkonnte mich nicht daran erinnern, daß man je von einem ein-zigen Soldaten gefordert hatte, seine Russischkenntnisse zubeweisen.

Soldaten werden normalerweise ebensowenig in Russischwie in Philosophie, Kunst oder Musik unterrichtet - nicht,wenn sie wirklich den Streitkräften angehören, denen sie zu-geteilt sind. Die Zeugen der Regierung führten aus, daß Os-wald bei den Marines der Luftabwehr zugeteilt worden war.Ein Soldat, der wirklich bei der Luftabwehr Dienst tat, hätteRussisch ebenso gut einsetzen können wie eine Katze einenSchlafanzug.

Ich las an diesem Abend nicht weiter. Ich mußte erst ein-mal das erste Anzeichen dafür verdauen, daß Lee Oswald -zumindest im Jahr 1959 - für den Nachrichtendienst ausge-bildet worden war. Wie jeder mit militärischem Backgroundwußte ich, daß die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten derMarine vom Office of Naval Intelligence (ONI) gesteuert wur-den. Mit der Frage im Kopf, welche mögliche Verbindung eszwischen dem ONI und Lee Harvey Oswald geben könne, gingich zu Bett. Ich schlief in dieser Nacht nicht viel.

Am nächsten Morgen fuhr ich in jenen heruntergekommenen,schäbigen Teil der Innenstadt, in dem die Camp Street liegt.33

Ich war einige Wochen zuvor bei der Lektüre der Beweismittelder Warren-Kommission auf diese Adresse gestoßen. Der Ab-sender Camp Street 544 stand handgestempelt auf einem derFlugblätter, die Oswald im Sommer 1963 auf den Straßen vonNew Orleans verteilt hatte. Oswald war mehrmals bei solchenFlugblattaktionen beobachtet worden. Bei einer derartigenGelegenheit am 9. August war er auf der Canal Street in ein

Handgemenge mit mehreren Exilkubanern geraten und ver-haftet worden. Die Warren-Kommission hatte aus diesem undanderen Beweisen geschlossen, Oswald sei ein engagierterund aktiver, wenn auch auf einsamem Posten stehender Kom-munist gewesen, der sich dem Fair Play for Cuba Committeeangeschlossen hatte, das Fidel Castro unterstützte.

Aufgrund mehrerer Ungereimtheiten hatte mich diese ge-schliffene Erklärung nie ganz überzeugt. Ich wußte zum Bei-spiel, daß Oswald den Stempel mit dem Absender CampStreet 544 nur bei seinen Flugblättern vom 9. August verwen-det hatte. Auf den Pamphleten, die er später verteilte, tauchteer nie wieder auf. Und jetzt wollte ich mir das Haus einmalselbst ansehen.

Schräg gegenüber des Lafayette Square befand sich derEingang 544 Camp Street in einem kleinen, mausgrauen Ge-bäude, bei dessen Fassade es sich um eine offensichtlich miß-lungene Granitstein-Imitation handelte. Das bescheidene Ge-bilde hieß, wie ich später herausfand, nach seinem jetzigenBesitzer »Newman Building«. Der Eingang 544 Camp führteeine Treppe zum ersten Stock hinauf.

Mir kam das Gebäude irgendwie bekannt vor, und ichbrauchte einen Augenblick, bis ich mein Gedächtnis aufge-frischt hatte. Dann bog ich um die Ecke, an dem Haus vorbei,das früher einmal Mancusos kleines Restaurant beherbergthatte. Ich ging ein paar Schritte über die Lafayette Street zumanderen Eingang des Gebäudes. Dort fand ich mich vor derTür wieder, die 1963 Eingang zu dem im ersten Stock gelege-nen Büro des Privatdetektivs Guy Banister war. An der Tür desHauses 531 Lafayette Street hatte sich damals ein Schild mitder Aufschrift »Guy Banister Associates, Inc. Investigators«befunden. Also führten beide Eingänge - 544 Camp und 531Lafayette - in ein und dasselbe Haus. Und seltsamerweisewar der Name Guy Banister wieder aufgetaucht, der schonvor drei Jahren eine Rolle gespielt hatte.

Banister war 1964 - etwa neun Monate nach dem Attentat -gestorben, doch nun begriff ich, warum der Absender »544

Camp Street« nur auf einem einzigen Flugblatt Oswalds auf-getaucht war. Jemand - wahrscheinlich Banister oder einerseiner Geschäftspartner - hatte Oswald davon abgehalten, dieAdresse auf einem späteren Flugblatt nochmals zu verwen-den. Kein Wunder - Guy Banister war wahrscheinlich kaumbegeistert davon, daß der junge Ex-Marine seine Adresse aufPro-Castro-Literatur stempelte.

Obwohl Banister zu dieser Zeit nicht mehr beim FBI war,teilte er die Auffassungen J. Edgar Hoovers. Ich wußte, daß erstark in alle möglichen antikommunistischen Unternehmun-gen verwickelt gewesen war. Ein junger Anwalt, mit dem ichoft im New Orleans Chess Club Schach spielte, hatte mir er-zählt, daß Banister ihn als Collegestudenten angeheuert hatte,um auf dem Campus radikale oder auch nur liberale Organi-sationen ausfindig zu machen, sich in sie einzuschleichen undsie zu unterwandern. Des weiteren wußte ich, daß Banisterein führendes Mitglied der Anti-Communist League of theCaribbean (Antikommunistische Liga der Karibik) war. Ichhatte von einem seiner Partner in der Organisation, einemAnwalt namens Maurice Gatlin, der zur gleichen Zeit wie ichin dem Apartmenthaus Claiborne Towers gewohnt hatte, vondieser äußerst rechtsstehenden Gruppe gehört.

Da ich nun wußte, daß Guy Banisters Büro das Hauptquar-tier war, von dem aus Oswald gearbeitet hatte, wurden mir ei-nige Dinge klar, die ich über den »marxistisch orientierten«Flugblattverteiler erfahren hatte. Wenn Oswald zum Beispielseine Pro-Castro-Flugblätter verteilte, ging er regelmäßig zueinem der örtlichen Arbeitsämter und heuerte Männer an, dieihm dabei helfen sollten. Dies fand ich heraus, als mir auffiel,daß auf einem Foto in einer Lokalzeitung, das Oswald mit eini-gen Männern bei einer solchen Aktion zeigte, ein Mann abge-bildet war, der wie der Sohn eines Artillerieoffiziers aussah,der mit mir in der Nationalgarde gedient hatte. Ich riefCharles Steele an und erfuhr, daß es sich tatsächlich um sei-nen Sohn Charles jr. handelte. Wir sprachen mit dem jungenSteele34 und stellten fest, daß Oswald ihm und den anderen

für das Verteilen der Flugblätter zwei Dollar pro Stunde be-zahlt hatte. Oswald hatte ihnen gesagt, sie müßten sie solange unters Volk bringen, bis die Pressefotografen wiederweg seien; danach könnten sie gehen. Diese Rekrutierungs-methode war für eine echt marxistische Gruppe höchst unge-wöhnlich. Die meisten dieser Gruppen hatten genug Mitglie-der, um Flugblätter zu verteilen, aber kaum Geld. OswaldsFair Play for Cuba Committee andererseits schien bis auf ihnselbst kein weiteres Mitglied zu haben - doch genug Geld, umArbeitslose anzuheuern.

Das war der erste Hinweis, daß es sich bei Lee Oswald kei-neswegs um einen »Kommunisten« oder »Marxisten« gehan-delt hatte. Viel wahrscheinlicher erschien mir nun, da ich dasHaus 544 Camp Street gesehen hatte, daß Guy Banister - oderjemand in seinen Diensten - Oswald als Agent provocateurbenutzt hatte. Zu welchem Zweck und in wessen Auftrag bliebein Geheimnis.

Falls Oswald in diesem Sommer unter Banister gearbeitethatte, würde dies einige andere Ungereimtheiten erklären,die ich bei meiner Lektüre entdeckt hatte. Dem Bericht derWarren-Kommission zufolge verlangte Oswald, als er am9. August auf der Canal Street verhaftet und auf die Wachegebracht wurde, augenblicklich einen FBI-Agenten zusprechen.35 Oswald wurde von den anderen Verhafteten ab-gesondert und in ein Hinterzimmer geführt, in dem er mitSpecial Agent John Quigley von der örtlichen FBI-Niederlas-sung sprach. Später verbrannte Agent Quigley seine Ge-sprächsnotizen. Das verstößt gegen die übliche FBI-Proze-dur.36 Normalerweise werden solche Notizen zusammen mitdem Bericht über den Vorfall zu den Akten gegeben. DieseSonderbehandlung für einen kommunistischen Schreihalskam mir unerklärlich vor - es sei denn, Oswald hatte in Wirk-lichkeit mit Guy Banister zusammengearbeitet, einem ehema-ligen hochrangigen FBI-Beamten, der dies leicht hätte arran-gieren können.37

Etwa eine Woche nachdem Oswald auf der Canal Street

verhaftet worden war, arrangierte jemand seine Teilnahme aneiner Rundfunkdebatte des Senders WDSU.38 Das Thema lau-tete im Prinzip: Kapitalismus kontra Kommunismus. Oswaldvertrat die linke Position und bezeichnete sich in der auf Ton-band aufgezeichneten Sendung pflichtgemäß als Marxist.Nach dem Attentat auf Kennedy und kaum eine Woche, nach-dem Oswald seinerseits ermordet worden war, wurdenKopien des Bandes als eindeutiger Beweis an Mitglieder desRepräsentantenhauses geschickt, daß ein Kommunist denPräsidenten getötet hatte.

Könnte es Banister oder einer seiner Kollegen gewesensein, so fragte ich mich, der die Debatte arrangiert und aufge-zeichnet hat? Falls Oswald in diesem Sommer in BanistersAuftrag gearbeitet hatte, war klar, daß weder seine Flugblät-ter noch sein Auftritt im Radio jemanden zum Kommunismusbekehren sollten. Sie sollten vielmehr nur eines bewerkstel-ligen: in der Öffentlichkeit ein deutlich sichtbares Profil LeeHarvey Oswalds als Kommunist zu schaffen.

Ich wandte mich von Banisters altem Büro ab und sah überdie Lafayette Street, in der sich das U.S. Post Office Buildingerhob. Das Gebäude nahm einen ganzen Häuserblock ein undwirkte im Gegensatz zu der verfallenen, mitgenommenen Um-gebung majestätisch und zeitlos. Es beherbergte die New Or-leanssche Niederlassung des Secret Service. Wie mir nun ein-fiel, befand sich in einer der oberen Etagen auch das Office ofNaval Intelligence, jene Organisation, die mir am Abend zuvorim Zusammenhang mit Oswalds Ausbildung beim Marine-nachrichtendienst aufgefallen war. War es nur ein Zufall,fragte ich mich, daß Guy Banister, der seine Laufbahn imZweiten Weltkrieg beim ONI begonnen hatte, sich ein Büro ge-nau gegenüber von seinem alten Brötchengeber gesuchthatte? Ein ebensolcher Zufall, vermutete ich, wie die Wahl desStandorts seiner Privatdetektei - genau gegenüber den NewOrleansschen Niederlassungen der CIA und des FBI.

Ich ging die Lafayette Street entlang auf den Mississippi zu,um mir zwei weitere Adressen im 6ooer-Block der Magazine

Street anzusehen, mit denen, wie ich aus meiner Lektürewußte, Oswald ebenfalls zu tun gehabt hatte.39 Die erste wardie Reily Coffee Company, für die Oswald im Jahre 1963 gear-beitet hatte, kurz bevor er auf der Straße auftauchte und Flug-blätter verteilte, in denen er zur fairen Behandlung Fidel Ca-stros aufrief. Man müßte schon völlig fremd in der Stadt sein,um nicht zu wissen, daß William Reily, der Präsident der Kaf-feerösterei, die Anti-Castro-Bewegung seit Jahren aktiv unter-stützte.40

Als ich das kleine Gebäude der Kaffeerösterei umrundete,fragte ich mich, ob Lee Oswald dort tatsächlich als »zweiterÖler« gearbeitet hatte, wie die Firmenunterlagen andeuteten,oder ob ihm die Firma einfach als Unterschlupf gedient hatte,bis es an der Zeit gewesen war, seinen verhängnisvollen Auf-trag als Agent provocateur für Guy Banister auszuführen.

Ich schlenderte weiter zur zweiten Adresse, die ich über-prüfen wollte - die Crescent City Garage. Adrian Alba, ihremBesitzer, zufolge hatte Lee Oswald eine Menge jener Zeit indem Parkhaus verbracht, in der er eigentlich nebenan beiReily's hätte arbeiten sollen.41 Bei seiner Aussage vor derWarren-Kommission ließ sich Alba darüber aus, daß sichOswald für die dort herumliegenden Waffen-Magazine inter-essiert hatte.42

Es überrascht nicht, daß Oswald dort jede Menge Waffen-Magazine durchstöbern konnte. Die Garage war nicht geradeein Versammlungsort der Jungen Sozialisten. Ganz im Gegen-teil, sie war jahrelang das offizielle Parkhaus der örtlichenFBI-Niederlassung gewesen. Nun, da das FBI vor kurzem inneue Büros an der Loyola Avenue umgezogen war, war dieCrescent City Garage allerdings noch immer das Parkhaus,das dem Office of Naval Intelligence und dem Secret Serviceam nächsten lag. Überdies befanden sich die Büros der Cen-tral Intelligence Agency, die in dem dunkelgrauen, als »Frei-maurer-Tempel« bekannten Gebäude im 3ooer-Block derSt. Charles Avenue untergebracht waren, nur wenige Blocksentfernt.43

Wenn man bedenkt, wie eng die Angehörigen der verschie-denen Geheimdienste zusammenarbeiten, verwundert eskaum, daß sie sich selbst als »Geheimdienst-Gemeinde« be-zeichnen. Doch ich hatte den Eindruck, daß es von einem Ein-zeltäter, der den Präsidenten ermorden will, äußerst unbe-darft gewesen wäre, seine Freizeit ausgerechnet in jenerGegend zu verbringen, in der sich die Geheimdienste der Ver-einigten Staaten geradezu zusammenballen.

In den meisten Ländern hätte unter solchen Umständeneine ernsthafte Untersuchung mit der Arbeitshypothese be-gonnen, daß die Geheimdienste in New Orleans Lee Oswaldals Agent provocateur eingesetzt hatten. In diesem Zusam-menhang wäre auch sein außerordentlich starkes Profil alsAnhänger Fidel Castros verständlich gewesen.

Doch in den Jahren seit Präsident Kennedys Ermordungwar mir aufgrund der Lektüre der Warren-Berichte klar ge-worden, daß die Bundesermittler nicht einmal in die offen-sichtlichsten Richtungen geblickt hatten. Gleichermaßenschienen die höchsten Beamten der Regierung der Vereinig-ten Staaten nicht die geringste Vorstellung vom Agent provo-cateur zu haben.

Als ich an diesem Tag nach Hause fuhr, wurde mir klar, daßich auf einige gravierende Probleme gestoßen war. Wenn ichdie mir zur Verfügung stehenden Beweise zu einem schlüssi-gen Denkmodell zusammenfügte, blieb nur eine besorgnis-erregende Schlußfolgerung übrig: Es war möglich, daß eszwischen dem Mann, der der offiziellen Darstellung zufolgePräsident Kennedy als Einzeltäter ermordet hatte, und denGeheimdiensten der Vereinigten Staaten schon vor der Tateine Beziehung gegeben hatte.

3. KRIEGSSPIELE

Drei Jahre zuvor war der glückliche Zufall, daß ich über DavidFerrie gestolpert war, von der Versicherung des FBI einfachweggewischt worden, es bestünde kein Grund, ihn zu über-prüfen. Nun schien mir die beste Möglichkeit, zum Anfang un-serer Ermittlungen zurückzukehren, darin zu liegen, die ur-sprüngliche Quelle der Information ausfindig zu machen,Ferrie sei am Tag des Attentats nach Texas gefahren.

Am Montag morgen sprach ich in der Staatsanwaltschaftmit Herman Kohlman, dem Assistant District Attorney, deram Sonntag nach dem Attentat auf diese Spur gestoßen war.Er teilte mir mit, er habe damals die Information von JackMartin erhalten, dem Guy Banister eins mit der Pistole über-gezogen hatte.

Nach ein paar Stunden hatten wir Martin aufgespürt, under saß vor meinem Schreibtisch. Seine ängstlichen Blicke ver-folgten jede meiner Bewegungen. Als Alkoholiker, der es im-mer wieder mal kurzfristig schaffte, der Flasche zu entkom-men, war er ein hagerer Mann mit tief in den Höhlenliegenden, besorgten Augen. Obwohl er von vielen als Null ab-getan wurde, hatte ich ihn schon seit langem als aufmerk-samen, wenn auch etwas unordentlichen Privatdetektiv mitschneller Auffassungsgabe eingeschätzt. Ich kannte ihn bei-läufig aus meiner Zeit als Assistant District Attorney und warimmer gut mit ihm zurechtgekommen.

»Jack«, sagte ich, »warum entspannen Sie sich nicht? Siesollten doch mittlerweile wissen, daß Sie hier unter Freundensind.«

Er nickte nervös. Er saß in dem bequemen, gepolsterten

Sessel vor meinem Schreibtisch, doch ihm schien überaus un-behaglich zumute zu sein. Ich bot ihm eine Tasse Kaffee an.»Sie stehen nicht im Kreuzverhör, Jack«, sagte ich. »Ich brau-che nur Ihre Hilfe. Haben Sie verstanden?«

Er nickte ruckartig.»Ich brauche ein paar Informationen über den Tag, als Guy

Banister Ihnen die Magnum über den Schädel zog. ErinnernSie sich daran?«

»Wie könnte ich das vergessen? Er hätte mich beinahe um-gebracht.«

»Ich habe folgendes Problem, Jack«, sagte ich. »Sie habenmir erzählt, Sie und Guy wären seit über zehn Jahren guteFreunde gewesen, als das passierte.«

»Mindestens zehn Jahre«, sagte er. »Könnten auch mehrgewesen sein.«

»Und er hat Sie nie zuvor geschlagen?«»Hat mich nie angerührt.«Wir sahen uns nun in die Augen.»Im Polizeibericht steht, Banister hätte Sie verprügelt, weil

Sie einen Streit über die Telefonrechnung hatten.« Ich zogeine Kopie des Polizeiberichts aus der Schreibtischschubladeund schob sie ihm hinüber. »Hier, schauen Sie sich den Be-richt an.«

Er beugte sich vor und musterte den Bericht, als hätte erihn noch nie gesehen. Ich war sicher, daß er ihn oft gesehenhatte; wahrscheinlich besaß er sogar eine Kopie davon.

»Ist ein einfacher Streit über eine Telefonrechnung eineglaubwürdige Erklärung für Sie?« fragte ich.

Ich wartete. Dann schüttelte er verträumt den Kopf.»Nein«, gestand er ein. »Es ging um viel mehr.«

»Worum ging es?«Erneut wartete ich. Er holte tief Luft. .-»Es fing ganz harmlos an«, begann er dann zu erzählen.

»Wir hatten in der Katzenjammer-Bar 'n paar getrunken -vielleicht ein paar mehr als sonst, wegen des Attentats und soweiter. Besonders Banister hatte ordentlich geladen.«

Er hielt inne, um mit großen Schlucken eine zweite TasseKaffee auszutrinken, und bemühte sich dabei ernsthaft, seineGedanken zu ordnen.

»Na ja, als wir wieder im Büro waren, fing Banister an,an allem Möglichem herumzumeckern. Er war ganz mies ge-launt. Dann beschuldigte er mich plötzlich, seine privatenAkten durchstöbert zu haben. Aber ich habe mir seine Pri-vatsachen nie angesehen, wirklich nicht. Und da wurde ichwirklich wütend.«

Er zögerte lange.»Erzählen Sie ruhig weiter, Jack«, sagte ich sanft.»Ich bin wohl in die Luft gegangen«, fuhr er fort, und sein

Gesicht errötete stark eingedenk dieser Ungerechtigkeit. »Ichhab' ihm gesagt, er solle lieber nicht so mit mir reden. Ichhab' ihm gesagt, daß ich nicht vergessen hätte, was für Leuteich in diesem Sommer im Büro gesehen hätte. Und da ginger auf mich los. Schnell wie der Blitz. Er zückte die großeMagnum und zog sie mir über die Schläfe.«

»Nur, weil Sie nicht vergessen hatten, was für Leute Sie injenem Sommer in seinem Büro gesehen hatten?« fragte ich.

»Ja, das reichte schon. Er drehte völlig durch.«»Und was für Leute haben Sie in jenem Sommer in seinem

Büro gesehen?« bohrte ich vorsichtig.»'ne ganze Menge. Es war wie im Zirkus. Da waren all

diese Kubaner - sie kamen und gingen, kamen und gingen.Für mich sahen sie alle gleich aus.«

Jemand hat einmal gesagt, auch wenn man wirklich unge-sehen bleiben will, und wenn man sich noch so sehr bemüht,ungesehen zu bleiben, es gibt immer einen, der unter derEiche sitzt. An diesem seltsamen Ort, in Banisters Büro, warJack Martin derjenige gewesen, der mittendrin und von kei-nem bemerkt unter der Eiche gesessen hatte.

Er atmete tief ein. »Und dann waren da all die anderen Ty-pen. Dave Ferrie zum Beispiel. Aber von dem wissen Sie ja.«

»War er oft da?« fragte ich.»Oft? Er hat praktisch da gewohnt.«

Dann schwieg Martin. Ich erkannte an seinem Blick, daßer nichts mehr sagen würde.

Ich wollte meinen Wochenendbesuch in der Camp Streetnicht einfach so den Bach hinunterrauschen lassen, und sohalf ich ihm etwas. »Und Lee Harvey Oswald?« fügte ichhinzu. Jack schluckte und nickte dann. Ich hatte fast den Ein-druck, als sei er erleichtert, daß ihm diese Last von den Schul-tern genommen wurde. »Ja, der war auch da. Manchmalmachte Banister die Tür zu, wenn sie sich unterhielten.Manchmal laberte er mit Dave Ferrie herum. Aber er warziemlich oft da.«

»Was hat Guy Banister bei diesen Gelegenheiten getan?«»Na ja, er leitete doch den ganzen Zirkus.«»Was ist mit seiner Arbeit als Privatdetektiv?«»Hm, da kam nicht viel rein, und wenn doch, kümmerte

ich mich darum. Deshalb war ich ja bei ihm.«»Also, Jack«, sagte ich. »Was genau ging in Banisters Büro

vor?«Er nahm die Hände hoch. »Das kann ich nicht beantwor-

ten«, sagte er fest. »Ich kann über diese Sache nicht reden.«Überraschend stand er auf. »Ich gehe jetzt lieber«, sagte er.

»Warten Sie mal, Jack. Wo liegt das Problem, wenn wir unsdarüber unterhalten, was in Banisters Büro passiert ist?«

»Wo das Problem liegt?« sagte er. »Wo das Problem liegt?«wiederholte er, als könne er es nicht glauben. »Das Problemist, daß uns dann die gottverdammte Bundesregierung auf diePelle rückt! Muß ich noch deutlicher werden? Ich könnte um-kommen - und Sie auch.«

Er drehte sich um. »Ich gehe lieber«, murmelte er. Als erzur Tür schritt, schwankte er.

Selbst nach dem Gespräch mit Martin war es noch zu früh,offiziell ein Team von Ermittlern zusammenzustellen und dasAttentat zu untersuchen. Die Behörde litt unter Personalman-gel, und wir hatten noch nicht genug Fakten. Wir konntennicht einfach ins Blaue drauflospreschen.

Inoffiziell beauftragte ich Louis Ivon, Martin auszuhorchenund ihn dazu zu bringen, über die Geschehnisse in BanistersBüro zu plaudern. Ivon war ein schlaksiger, lakonischer jun-ger Polizeiermittler, dessen scheinbare Beiläufigkeit seineZielstrebigkeit Lügen strafte. Ich wußte, daß Ivon, der bei wei-tem intelligenteste unter den meiner Behörde zugeteilten Poli-zisten, Martin gut kannte. Wenn die Polizei Martin bei seinenErmittlungen die kalte Schulter gezeigt hatte, hatte Ivon demMann gelegentlich geholfen.

Des weiteren gab ich Ivon den Auftrag, alle denkbaren In-formationen über David Ferrie zusammenzutragen und mitder Polizei und dem Sheriff im benachbarten Jefferson ParishKontakt aufzunehmen, wo Ferrie lange Jahre gewohnt hatte.

Frank Klein hatte ich bereits inoffiziell hinzugezogen. Inden letzten Wochen hatte ich ihm zahlreiche Hintergrund-informationen mitgeteilt, auf die ich gestoßen war. Ich hatteihn sogar bei einer Fahrt durch die Nebenstraßen in der Nähedes Postamts und der Reily Coffee Company mitgenommen.Obwohl ein Großteil des Materials der Warren-Kommissionmehr als nutzlos war, hatte ich ihm die Bände geborgt, damitauch er einen Eindruck von dem Betrug bekam - und nütz-liche Spuren ausgraben konnte.

Ich benötigte von Anfang an jemanden, mit dem ich Ge-danken austauschen konnte, um ein größeres Verständnis fürdie Problematik zu entwickeln. In Klein, der einen erstklassi-gen analytischen Verstand besaß, fand ich den idealen Part-ner.

Daß ich Klein ausfindig gemacht und zum Chief AssistantDistrict Attorney ernannt hatte, war ein großer Schritt in dieRichtung gewesen, die mir für die Bezirksstaatsanwaltschaftvorschwebte. Während meiner Jahre bei der Feldartilleriehatte ich beobachtet, daß die allerbesten Bataillone eines ge-meinsam hatten: Stets delegierte der befehlshabende Offizierdie Einzelheiten der gerade laufenden Operation an seine -wie das Militär sie nennt - »Einsatzleiter«. Damit war es ihmmöglich, die tatsächlichen Vorgänge in seiner Einheit besser

zu beobachten. Gleichzeitig ermöglichte ihm die relative Frei-heit von der täglichen Routine, seine allgemeine Marschrich-tung festzulegen, Verbesserungen durchzuführen und wich-tige Entscheidungen zu treffen.

Klein hatte bei den Marines gedient und war im Korea-krieg ausgezeichnet worden. Er hatte eine fast preußischeAuffassung von Disziplin und Ordnung. Ich hingegen ließ dieZügel lieber etwas schleifen. Wir ergänzten einander perfekt.

Eines Morgens, etwa eine Woche nach meinem ersten Ge-spräch mit Jack Martin, kam ich in mein Büro und fand dortFrank Klein, als er Papiere auf meinen Beistelltisch legte.

»Warum«, fragte ich, »entweihen Sie mein geheiligtesBüro?«

»Jack Martin hat Sie auflaufen lassen, was Guy BanistersBüro betrifft«, sagte er. »Also habe ich mir überlegt, wie wirselbst herausfinden können, was dort passiert ist.«

»Und wie wollen Sie das herausfinden?«»Ich habe einige Zeit in der Stadtbibliothek verbracht«,

sagte er. »Die Stapel hier sind Fotokopien der Titelseiten derTimes-Picayune vom Juni, Juli und August 1963.«

»Und was wollen wir damit anfangen?« fragte ich.»Na ja«, meinte er. »Vielleicht finden wir darin, was Martin

solche Sorgen macht - was Guy Banister in diesem Sommervorhatte.«

»Wenn Banister irgend etwas vorgehabt hat, wird er denDeckel darauf gehalten haben. Es wird wohl kaum auf derTitelseite der Zeitung stehen.«

»Vielleicht«, sagte Klein, »aber ich glaube, ich habe etwasInteressantes gefunden.« Er legte eine Fotokopie der Titelseiteder Times-Picayune vom Donnerstag, dem i. August 1963, aufden Schreibtisch. Die Schlagzeile der Story rechts auf derSeite lautete:

»VERSTECKTES MATERIAL, FÜR BOMBEN ENTDECKT

Ermittlungen im Fall St. Tammany werden fortgesetzt;

Ich las den ersten Abschnitt: »Am Mittwoch entdecktenAgenten des Föderal Bureau of Investigation in einem Ferien-haus in St. Tammany Parish, zwischen Mandeville und La-combe, über eine Tonne Dynamit, zwanzig Bombenhülsenvon einem Meter Länge, Material zur Herstellung von Napalm(Feuerbomben) und weiteres Gerät.«

Der Artikel führte aus, daß, dem Leiter des New Orleans-schen FBI-Büros zufolge, das Dynamit, die Bombenhülsenund das sonstige Material »im Zusammenhang mit einer Er-mittlung entdeckt wurden, die sich gegen den Versuch rich-tete, eine militärische Operation gegen ein Land durchzu-führen, mit dem sich die Vereinigten Staaten im Friedenbefinden. Dies stellt einen Verstoß gegen Abschnitt 18, Para-graph 960 des Strafgesetzbuches dar.«

Angesichts eines solch abenteuerlichen Raubzugs hatte ichden Eindruck, daß der örtliche FBI-Beamte mit diesem Ge-schwafel nur die Katze nicht aus dem Sack lassen wollte. Ernannte weder das betreffende Land, noch gab er bekannt, obes Verhaftungen gegeben hatte. Dennoch entdeckte ich keinenbesonderen Zusammenhang mit dem Fall Banister.

Ich sah zu Klein hoch. »Das ist ja ganz interessant«, sagteich. »Aber was hat das mit unserem Fall zu tun?«

»Augenblick«, sagte Klein. »Sie kennen die ganze Ge-schichte noch nicht.« Er legte eine weitere Kopie auf denSchreibtisch. Bei ihr handelte es sich um die Titelseite vomFreitag, dem 2. August 1963. Links las ich die Schlagzeile:

»FERIENHAUS MIT BOMBEN ANGERADE EINGETROFFENEN FLÜCHTLING VERMIETETFrau des Besitzers behauptet:>Er hat den Kubanern einen Gefallen getan !<«Der Artikel lautete: »Die Frau eines Ferienhausbesitzers

am Nordufer des Lake Pontchartrain, in dem große MengenSprengstoff und Kriegsmaterial sichergestellt wurden, be-hauptete am Donnerstag, das Haus sei vor drei Wochen an ei-nen gerade eingetroffenen kubanischen Flüchtling vermietetworden.

Mrs. William Julius McLaney, wohnhaft in 4313 Encamp-ment, erklärte, weder sie noch ihr Mann, dem ein Mietstall fürRennpferde gehört, hätten gewußt, daß in dem Haus in derNähe von Lacombe Waffen gelagert wurden, bis Agenten desFBI ihren Mann vor der Hausdurchsuchung verhörten.

Sie behauptete, sie hätten das Haus an einen Kubaner ver-mietet, den sie nur als Jose Juarez kannten, da Freunde inKuba sie darum gebeten hätten.

Die McLaneys hatten in Havanna ein Reisebüro besessen,waren jedoch 1960 nach New Orleans gekommen, weil Castroein Leben dort unten unmöglich machte.«

Ich sah Klein an und wartete auf seinen Kommentar.»Erinnern Sie sich daran, als wir vor drei Jahren Dave Fer-

ries Wohnung durchsuchten?« fragte er. »Erinnern Sie sich andie kubanische Landkarte, die an der Wand hing?«

Ich nickte und hörte weiter zu. »Erinnern Sie sich an dieArmy-Ausrüstung und die Gewehre, die dort herumlagen? Erhatte sogar ein Artillerie-Geschoß da. Es war eine i55-Milli-meter-Granate.«

»Und Jack Martin hat Ferrie mit Banisters Büro in Verbin-dung gebracht«, dachte ich laut. »Sie glauben also, daß dieZeitungsmeldung über die Bomben etwas mit Banisters Ope-ration zu tun hat - mit der, über die Martin uns aus Angstnichts sagen wollte?«

Klein hob die Schultern. »Ich ziehe nur eine Arbeitshypo-these in Erwägung«, sagte er. »Martin hat auch erwähnt, inBanisters Büro hätten eine Menge Kubaner herumgehangen.Und sehen Sie sich den Bezug in der zweiten Nachricht aufden Kubaner namens Jose Juarez an.«

»Und?«»Und«, erwiderte Klein, »was hat Lee Oswald verteilt?

Flugblätter, die Gerechtigkeit für Rußland forderten? Pam-phlete, die Gerechtigkeit für Rumänien verlangten? Nein. Eswaren Flugblätter, die Gerechtigkeit für Kuba forderten. Hater vor 1963, als er anfing, die Flugblätter mit Guy BanistersAdresse zu verteilen, je Interesse für Kuba gezeigt?«

»Na schön«, sagte ich. »Ich werde darüber nachdenken.Ich lese mir die Zeitungsberichte noch mal durch.«

Doch ich dachte nicht weiter darüber nach. Na schön, manhatte am Lake Pontchartrain Munition und ein paar Waffengefunden. Der örtliche FBI-Chef hatte nicht angedeutet, daßirgend etwas passiert war. Es waren keine Verhaftungen be-kanntgegeben worden. Ich legte die Zeitungsberichte erst ein-mal zur Seite.

Später wurde mir klar, daß ich beinahe eine wichtige Spuraufgegeben hätte. Die FBI-Erklärung über die »Sicherstellungvon Munition« am See sollte sich als kleiner Meilenstein ent-puppen. Bei ihr handelte es sich gleichzeitig um die letzte Er-klärung der Regierung bezüglich der Geheimdienstaktivitätenoder der Ermordung Präsident Kennedys, die ich nicht vonvornherein anzweifelte und kritisch betrachtete.

Bald stießen wir auf eine neue Spur. Guy Banisters Witwe er-klärte sich unerwartet bereit, mit uns zu sprechen.1 Sie warsehr kooperativ, hatte jedoch nie genau erfahren, was Guy Ba-nister in seinem Büro getrieben hatte. Er hatte kaum jemalsüber seine Arbeit gesprochen. Doch sie erinnerte sich an eineseltsame Begebenheit. Als sie 1964 nach seinem Tod seinepersönlichen Besitztümer aus dem Büro geholt hatte, war sieauf einen Stapel Flugblätter gestoßen, die ihr sehr eigenartigerschienen. Sie verlangten entweder »Hände weg von Kuba!«oder »Gerechtigkeit für Kuba!« - Überbleibsel von Lee Os-walds Tätigkeit als Agent provocateur.

Als ich sie fragte, was mit den Akten aus Banisters Büro ge-schehen sei, fiel ihr ein, daß ein, zwei Stunden nach seinemTod - lange, bevor sie sein Büro betreten hatte - Bundesagen-ten gekommen waren und die verschlossenen Aktenschränkeabtransportiert hatten. Man hatte ihr gesagt, es habe sich ent-weder um FBI- oder Secret-Service-Agenten gehandelt — siekonnte sich nicht mehr genau erinnern. Doch die Staatspo-lizei, so fügte sie hinzu, sei erst nach ihr eingetroffen.

Die Staatspolizei? Vielleicht routinemäßig; vielleicht, weil

ein Bruder Banisters damit zu tun hatte, hatten mehrere Be-amte der Staatspolizei das Büro durchsucht. Sie hatten dieKarteikarten von Banisters Akten mitgenommen, die die Bun-desagenten unverständlicherweise übersehen hatten.

Umgehend schickte ich Lou Ivon nach Baton Rouge, in dieHauptstadt. Am Nachmittag kehrte er mit einer kleinen Hand-voll Karteikarten zurück. Das war alles, was von denen, diedie Staatspolizei in Banisters Büro gefunden hatte, übrigge-blieben war.2

Anscheinend war einer der dortigen Beamten auf die Ideegekommen, man könne die Rückseiten der Karteikarten her-vorragend für interne Büromitteilungen verwenden. Und sowaren sie drei Jahre lang im Präsidium der Staatspolizei vonLouisiana zweckentfremdet worden.

Dennoch sprachen die wenigen erhalten gebliebenen Kar-teikarten Bände.3 Sie bezogen sich in keinerlei Hinsicht auflokale oder private Angelegenheiten. Die aufgeführten Themenwaren von nationaler und sogar internationaler Bandbreite.Aus diesen Karteikarten konnten wir Schlüsse über die allge-meine Natur der Akten Banisters ziehen, die die Regierungbeschlagnahmt hatte:Abbau von Interkontinental-Raketen 15-16Abbau von Raketenbasen, Türkei und Italien 15-16Abbau von Verteidigungsmitteln, USA 15-16Abbau von US-Basen in ItalienAmerikanische Central Intelligence Agency 20-10Antisowjetischer Untergrund 25-1B-yo-Bomber 15-16, Bürgerrechtsprogramm von J. F. K. 8-41Fair Play for Cuba Committee 23-7International Trade Märt 23-14Lateinamerika 23-1Munition und Bewaffnung 32-1Vollversammlung der Vereinten Nationen 15-16So endete der Mythos von Guy Banisters »Privatdetektei«,

Mittlerweile war Jack Martin wieder aufgetaucht. Er hatte dieStadt verlassen, und nach seiner Rückkehr brachte Ivon ihn inmein Büro. Nachdem wir eine Tasse Kaffee getrunken hatten,schob ich ihm die Titelseite der Zeitung vom i. August 1963über den Schreibtisch.

»Jack«, sagte ich, »gehört das zu den Geschäften, auf dieGuy Banister sich eingelassen hatte?«

Er warf einen Blick auf die Story der Times-Picayune undnickte.

»Sie kennen die Antwort darauf schon«, sagte er, »oder Siehätten die Zeitung nicht auf Ihrem Schreibtisch liegen.« Wäh-rend ich mich von meiner angenehmen Überraschung er-holte, las er noch zwei oder drei Absätze.

»Ja. Da hat Banister mitgemischt.« Er sah auf. »Kann ichdie ganze Geschichte lesen?« fragte er.

Ich nickte und gab ihm auch die Fortsetzung.Martin las beide Berichte langsam durch. Schließlich sah

er mich mit einem neugierigen Stirnrunzeln an.»Was ist los?« fragte ich.Er schüttelte den Kopf. »Da steht nichts über die eigent-

liche Razzia. Und kein verdammtes Wort über die Kubaner,die verhaftet wurden.«

Verhaftet? Das FBI hatte nichts von einer Festnahme ver-lauten lassen. Und noch nicht einmal etwas von Kubanern inder Mehrzahl.

»Na schön, Jack«, sagte ich. »Warum klären Sie uns nichtauf? Erzählen Sie mir die gesamte Operation in Guy BanistersBüro. Die ganze Geschichte.«

Und so packte Jack Martin aus. Es war das erste von vielenlangen Gesprächen, die immer wieder von Kaffeepausen un-terbrochen wurden - auf Kaffee schien er zu bestehen.

Die Gespräche fanden über mehrere Wochen hinweg statt.An manchen Tagen befragte ich andere Zeugen, an manchenkonnten wir Martin nicht ausfindig machen, und es gab sogarTage, an denen er einen Klienten aufgetrieben hatte.

Ich mußte ihm versichern, daß ich seinen Namen nie in

einen Zusammenhang mit dem bringen würde, was er mir er-zählte. Da ich wußte, wie wichtig es war, endlich einen Fuß indas sanctum sanctorum zu setzen, das insgeheim Lee HarveyOswald beherbergt hatte, erfüllte ich dieses Versprechen pein-lich genau. Nun, da Martin verstorben ist, fühle ich mich vondiesem Schwur entbunden. Jack legte nichts schriftlich nie-der, er unterschrieb nicht einmal seine Aussagen. Aber er er-zählte mir alles, woran er sich im Zusammenhang mit GuyBanisters Büro erinnerte - wenn auch nur mir. Es muß späterGelegenheiten gegeben haben, bei denen mein Stab mich füreinen Hellseher hielt - als ich immer wieder genau beschrei-ben konnte, was sich in Banisters Büro zugetragen habenmußte.

Wie sich herausstellte, erzählte Martin, der angeblich»blinde« Alkoholiker, die ganze Wahrheit über das Ausbil-dungslager und die Verhaftungen, die das FBI vorgenommenhatte. Das erhabene Federal Bureau of Investigation hattegelogen und dem amerikanischen Volk die vollständige Ge-schichte verheimlicht.

Die tatsächliche FBI-Razzia beschränkte sich nicht auf dasin der Zeitung beschriebene Munitionsdepot, sondern galthauptsächlich dem ganz in der Nähe gelegenen, nie erwähn-ten Ausbildungslager, in dem neun Exilkubaner und zweiAmerikaner trainiert wurden.4 Diese Gruppe, die später vonzwei der besser informierten Journalisten als »die Elf vonPontchartrain« bezeichnet wurde, bereitete sich auf zukünf-tige, von der CIA finanzierte Angriffe auf Kuba vor. Die FBI-Razzia war auf Druck von Präsident Kennedy erfolgt, der vomBureau verlangte, den endlosen Verletzungen des Neutralitäts-beschlusses von Seiten der CIA Einhalt zu gebieten.

Zusätzlich zu dem, was Martin mir erzählte, erfuhren wirdie volle Wahrheit über die Razzia aus einem Nachtragsbe-richt, den das FBI der Zollbehörde geschickt hatte - anschei-nend ein übliches Vorgehen, wenn man Verdächtige wegeneines Verstoßes gegen den Neutralitätsbeschluß verhaftet. EinPrivatdetektiv, dessen Firma bei der Bewachung der Docks

von New Orleans eng mit dem Zoll zusammenarbeitete, er-hielt eine Kopie des Berichts5, in dem alle Verhafteten na-mentlich aufgeführt wurden, und stellte sie meiner Behördezur Verfügung.6 Anscheinend verfolgte das FBI mit den spär-lichen Erklärungen über die Razzia den Zweck, die seltsamenAktivitäten in Banisters Büro zu schützen und zu kaschieren.

Der Banister-Apparat gehörte, wie Martin ihn beschrieb,zu einem Nachschubweg, der von Dallas über New Orleansnach Miami führte. Dieser »Nachschub« bestand aus Waffenund Sprengstoff, die gegen Castros Kuba eingesetzt werdensollten. Die Vorsichtsmaßnahmen waren so streng, daß Muni-tion nur in abgelegenen Gebieten gelagert wurde. Streuunglautete die Devise. Mußte einmal Sprengstoff in New Orleansgelagert werden, gelangten immer nur kleine Mengen in Bani-sters Büro.

Wie wir später von einem Mittäter erfuhren, dem ehema-ligen CIA-Angestellten Gordon Novel7, fuhren David Ferrie, ei-ner der Führer der örtlichen Cuban Revolutionary Front, undeine Handvoll anderer Leute aus Banisters Büro eines Abendszum Luftstützpunkt Houma, einer Stadt tief im Süden Loui-sianas, um Munition zu »beschaffen«. Sie brachen in einenSprengstoffbunker der Firma Schlumberger ein und stahlendort lagernde Landminen sowie Hand- und Gewehrgranaten.

Die Schlumberger Corporation8 war eine große Firma infranzösischem Besitz, die weltweit Ölproduzenten mit Spreng-stoff und geologischen Meßgeräten belieferte. Sie hatte diekonterrevolutionäre französische Geheimarmee OAS unter-stützt, die Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahremehrmals versucht hatte, Präsident Charles de Gaulle wegendes von ihm angeordneten Rückzugs aus Algerien zu ermor-den. Die CIA, die auch französische OAS-Generäle unter-stützte, hatte Schlumberger normale Munition besorgt undholte sich nach dem Ableben der OAS während der Operationin Houma ihre Munition einfach zurück.

Die Expedition, die aus einem Personen- und einem gro-ßen Wäschereiwagen bestand, kehrte mit der explosiven La-

düng nach New Orleans zurück, wo der Sprengstoff dann biszum Weitertransport nach Miami zu gleichen Teilen in FerriesWohnung und Banisters Büro gelagert wurde.

Zu Banisters Aufgaben gehörte es auch, sich um die Män-ner zu kümmern, die den Schlag gegen Castro durchführensollten, und sie durch die Stadt zu schleusen. Einige trugengrüne Kampfanzüge und schwarze Stiefel, andere wiederumZivilkleidung, und sie kamen und gingen in einem ständigenStrom. Doch sie wurden immer nur in kleinen Gruppen in dieStadt und wieder hinaus geschleust, damit sich nie eine ver-dächtig hohe Anzahl im Büro aufhielt.

Viele Exilanten waren Rekruten aus dem Westen, die zurGuerilla-Ausbildung in das Lager nördlich vom Lake Pont-chartrain geschickt wurden. Andere wurden in ähnliche Aus-bildungslager der CIA in Florida gesteckt. Gelegentlich kamenmehrere Absolventen des Ausbildungsprogramms in Floridabei Banister vorbei - sein Büro füngierte nicht nur als Haupt-quartier, sondern auch als Durchgangsstation. Dort wurdendann Vorkehrungen für ihre Unterbringung und Verpflegunggetroffen, bevor sie zu ihren Wohnorten in der Nähe von Dal-las oder weiter westlich zurückfuhren.

Mein inoffizielles Team9 war sich durchaus bewußt, daßBanister seine verborgenen Kriegsspiele direkt gegenüber denauf der anderen Straßenseite gelegenen Büros des ONI unddes Secret Service trieb. Außerdem lag das Hauptquartierder CIA hinter dem Lafayette Park und ein kurzes Stück dieSt. Charles Avenue hinunter.

Wir alle waren der Auffassung, daß diese Geheimdiensteim Spätsommer 1963 die Versammlungen in Guy BanistersBüro wohl kaum hätten übersehen können. Wir versetztenuns in die Lage der Bundesagenten in der Nachbarschaft undstellten uns die Szene vor.

Da war erst einmal David Ferrie, einstmals Novize einesOrdens und ehemaliger Zivilpilot. Ein verkommener Abenteu-rer mit einer primitiven, selbstgemachten roten Perücke undmit Theaterschminke nachgezogenen Augenbrauen, die nie

gleichmäßig hoch saßen. Er litt an Alopezie, einem seltenenLeiden, bei dem den daran Erkrankten sämtliche Haare aus-fallen. Er ging ständig in dem Büro ein und aus - wenn ernicht am Lake Pontchartrain war und die Guerilla-Ausbildungder Exilkubaner überwachte - und trug häufig seine grüneKampfmontur inklusive Stiefel.

Dann Guy Banister selbst. Der enthaltsame ehemalige Chefdes FBI-Büros von Chicago mit seinen einwandfreien Manie-ren wird zweifellos eine beträchtliche Anzahl seiner Vetternaus der Geheimdienstwelt gekannt und gegrüßt, wenn nichtsogar ein Pläuschchen mit ihnen gehalten haben.

Dann war da der unselige Lee Harvey Oswald, ein hagererjunger Mann, der aufgrund seiner Jahre bei den Marines nochimmer strammstand und regelmäßig mit einer Handvoll Flug-blätter aus Banisters Büro marschierte, deren Inhalt so zer-setzend war, daß einem normalen Bundesagenten die Haarezu Berge gestanden hätten.

Des weiteren trampelten regelmäßig Exilkubaner dieTreppe zu Banisters Büro hinauf, viele davon unrasiert und ingrünen Kampfanzügen. Meist unterhielten sie sich auf spa-nisch miteinander. Auf ihrem Weg vom und zum Guerilla-Aus-bildungslager nördlich vom See hatten einige von ihnen zwei-fellos Army-Rucksäcke mit sich geschleppt.

Und als sei das noch nicht genug, mußten die Agenten desSecret Service und des Marinenachrichtendienstes auf deranderen Straßenseite auch beobachtet haben, wie in Bani-sters Büro Kisten mit Waffen und Munition hinein- und her-ausgeschleppt wurden: Gewehre, Handgranaten, Tretminen;alles, was man für den geheimen Krieg gegen Kuba zusam-mentragen konnte. Während des langen, geschäftigen Som-mers von 1963 hätten sich die Agenten des Secret Service unddes ONI nur auf das zu konzentrieren brauchen, was sich vorihrer Nase abspielte - um was es dabei auch gegangen seinmochte.

Mein kleines Team und ich fragten uns laut, wieso Bani-sters Operation - die so offen und systematisch gegen die

Neutralitätsbestimmung verstieß - von den verschiedenenGeheimdiensten gedeckt wurde. Zum Beispiel hatte die höchstunvollständige Presseerklärung des FBI über die Razzia amLake Pontchartrain dazu geführt, daß die wesentlich größereOperation, die Banister im Herzen der Geheimdienstwelt vonNew Orleans durchführte und die einen viel gewichtigerenVerstoß gegen die Neutralitätsbestimmung darstellte, unent-deckt blieb und weitergeführt werden konnte. Ich hatte denEindruck, daß das FBI mit seiner in der Presse breitgetrete-nen Razzia gegen das Waffendepot eines gewissen »Jose Jua-rez«, der nie zum Vorschein kam, lediglich vorgab, PräsidentKennedys Anordnungen auszuführen, während die Geheim-dienste in Wirklichkeit Guy Banisters Operationen deckten,wenn nicht gar unterstützten.

Ich besorgte mir eine Kopie des Secret-Service-Berichts10

über die Ermittlungen im Haus 544 Camp Street - dem Ein-gang zu Banisters Büro - und gab ihn an meinen Stab weiter.Die Zusammenfassung des Berichts vom 9. Dezember 1963führt aus, »gründliche Ermittlungen« hätten ergeben, nie-mand könne sich erinnern, Lee Harvey Oswald jemals in die-sem Gebäude gesehen zu haben. Des weiteren wurde behaup-tet, in diesem Haus sei nichts von Belang gefunden worden.11

Auch ein Laie, neben dessen Haus der Zirkus Barnum &Bailey seine Zelte aufschlägt, muß nicht erst eine Herde Ele-fanten sehen, um zu kapieren, daß er keinen gewöhnlichenNachbarn hat. Mein inoffizielles Team gelangte übereinstim-mend zu der Auffassung, daß der Zirkus im Haus 544 CampStreet nicht so unsichtbar geblieben sein konnte, wie der Be-richt des Secret Service darzustellen sich bemühte.

Wir wußten es noch nicht, doch wir waren auf die erstenSpuren gestoßen, daß es in diesem Land eine Macht gab, diewollte, daß - ganz egal, zu welchen Kosten - der kalte Kriegund der heiße Krieg in Vietnam fortgesetzt wurden.

4. DER GESELLSCHAFTLICHE AUFSTIEG DESLEE HARVEY OSWALD

Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr nagten die im-mensen Widersprüche an mir. Da hatte es einen Lee HarveyOswald gegeben, der, wie wir von offizieller Seite erfuhren,einer der fanatischsten Kommunisten seit Lenin gewesen war.Andererseits hatte der leibhaftige Oswald quasi direkt vor un-serer Haustür das Büro Guy Banisters - vormals Mitarbeiterdes FBI und Marinenachrichtendienstes und in jüngerer Zeitder Anti-Communist League of the Caribbean - als Haupt-quartier für seine Flugblattaktionen benutzt. Zudem hattedieser Oswald mit dem säbelrasselnden Antikommunistenund Glücksritter David Ferrie auf du und du gestanden, mit ei-nem Mann, der für die Invasion in der Schweinebucht im Jahr1961 Exilkubaner zu Piloten und im Jahr 1963 andere Exil-kubaner in einem Guerilla-Camp für wieder andere Aktionengegen die Insel ausgebildet hatte.

Welcher der beiden war nun der wirkliche Lee Harvey Os-wald gewesen? Dies konnten wir am besten herausfinden,wenn wir Oswalds kurze Laufbahn mit allen Höhen und Tie-fen unter die Lupe nahmen. In ihrem Abschlußbericht hattedie Warren-Kommission eindeutig die Auffassung vertreten,Oswald sei ein »engagierter Marxist« gewesen.1 Ich wollteherausfinden, wie weit dieses Engagement reichte.

Ich begann mit der Marinebasis El Toro in Kalifornien, inder Oswald vom November 1958 bis zum September 1959 sta-tioniert war. Ich nahm an, daß sich seine Kameraden, bedingtdurch das enge Zusammenleben während der militärischenAusbildung, ein ganz gutes Bild von Oswald verschafft hatten.

Von allen Marines hatte Nelson Delgado am meisten und

längsten mit Oswald Kontakt gehabt, und so bemühte ichmich vorrangig um seine Aussage.2 Ich fand heraus, daßDelgado sich an keinerlei marxistische Neigungen Oswaldserinnerte. Delgado sagte unter Eid aus, Oswald habe »nieirgendwelche subversiven Sachen gesagt [...] und war auchkein besonders guter Scharfschütze«.

Delgado ging sogar noch weiter. Er fügte ungefragt hinzu,Oswald habe sehr schlecht abgeschnitten, als über große Wei-ten geschossen wurde, und daß er Schwierigkeiten hatte, diegeforderte Punktzahl überhaupt zu erreichen. »Es war einWitz«, sagte Delgado, »er schoß jede Menge Fahrkarten, alsoFehlschüsse, aber es war ihm schnurzegal. Oswald war nichtso enthusiastisch wie wir. Wir anderen... Na ja, wir schössengern auf Reichweite.«

Das folgende Gespräch zwischen Delgado und Wesley J.Liebeier3, dem Anwalt der Warren-Kommission, bestätigt dieTatsache, daß Oswald nicht mit einem Gewehr umgehenkonnte:

»MR. LIEBELER: Sie haben dem FBI gesagt, daß Oswald Ih-res Erachtens kein guter Gewehrschütze war; ist das richtig?

MR. DELGADO: Ja.MR. LIEBELER: Und daß er kein ungewöhnliches Interesse

für sein Gewehr zeigte und sogar weniger Interesse für Waffenals der durchschnittliche Marine?

MR. DELGADO: Ja. Er war im Grunde ein Intellektueller, einBücherwurm. Er hat ziemlich viel gelesen.«

Einmal versuchte der Anwalt, das Thema zu wechseln, alses um Oswalds mangelnde Befähigung als Schütze ging, docher brachte sich dabei nur noch tiefer in die Klemme.

»MR. LIEBELER: Der FBI-Agent behauptet, Sie hätten ihmerzählt, Oswald habe schließlich so fließend Spanisch gespro-chen, daß er sich auf spanisch über seine Vorstellungen vomSozialismus unterhalten wollte.

MR. DELGADO: Oswald sprach über seine Vorstellungen,sagte aber nie etwas gegen unsere Regierung oder über Sozia-lismus.« .

David Powers, der sowohl im Naval Air Technical Center inFlorida mit Oswald als auch in Keesler Field in Mississippi,der Marinebasis El Toro und in Japan gedient hat, wurde ein-gehend über Oswald befragt. Seine Antworten werden im fol-genden Gespräch mit Albert E. Jenner jr.4, dem Rechtsberaterder Warren-Kommission, zusammengefaßt:

»MR. JENNER: Hat er je eine Vorliebe für die Kommuni-stische Partei geäußert?

MR. POWERS: Nicht, daß ich wüßte.MR. JENNER: Für kommunistische Prinzipien?MR. POWERS: Nicht, daß ich wüßte.MR. JENNER: Oder marxistische Doktrinen?MR. POWERS: Nicht, daß ich wüßte. Nein, Sir.«Ich las mir die Aussage John E. Donovans durch, der zur

Zeit, als Oswald in El Toro stationiert war, dort den Rang einesFirst Lieutenant innehatte. Seine Aussage5 über Oswalds linkeNeigungen war eindeutig:

»Ich habe nie gehört, daß er auf irgendeine Weise oder inirgendeiner Form eingestanden hätte, er sei Kommunist,oder daß er je darüber nachgedacht habe, Kommunist zuwerden.« Die Aussagen von Oswalds anderen Kameraden inder Marinebasis waren fast gleichlautend in ihrer Überein-stimmung, er habe nie zum Kommunismus oder auch nurnach links tendiert.6

Nur ein Mann, der mit ihm auf dem Stützpunkt der Mari-nes stationiert war, sagte aus, daß Oswald marxistische Nei-gungen gezeigt hatte. Doch dieser Mann - Kerry Thornley -hatte nicht so lange mit Oswald gedient wie manche anderenund hatte nicht einmal im gleichen Teil der Basis El Torogewohnt. Das kam mir seltsam vor. Darüber hinaus wurdeThornleys Aussage7 direkt von der Warren-Kommission ge-hört und demzufolge von den Medien mit großer Aufmerk-samkeit bedacht. Mir fiel jedoch auf, daß sie in den Bändender Kommission von den anderen eidesstattlichen Aussagengetrennt abgedruckt wurde. Dies führte mich zu der Frage, obdie Mitglieder der Warren-Kommission die Aussagen der an-

deren Marines, die Thornleys Behauptungen zum überwäl-tigenden Teil widersprachen, überhaupt gelesen hatten.

Mir fiel die Russischprüfung ein, die Oswald in El Toro ab-gelegt hatte, und ich überprüfte seine frühere Zeit bei den Ma-rines nach Hinweisen auf eine mögliche geheimdienstlicheTätigkeit. Mittlerweile wußte ich, daß Oswald die Eigenschaf-ten besaß, nach denen das Militär Ausschau hält, wenn es Sol-daten für den Nachrichtendienst rekrutieren will. Er stammteaus einer Soldatenfamilie; einer seiner Brüder war ebenfallsbei den Marines, einer bei der Air Force gewesen. Er war vonNatur aus verschlossen und überdurchschnittlich intelligent.

Oswalds Stationierung auf dem Luftwaffenstützpunkt At-sugi in Japan im Jahre 1957, bevor er nach El Toro kam,sprach für die Möglichkeit, daß er für den militärischen Nach-richtendienst arbeitete. Wie ich herausfand8, war Atsugi dieBasis für die täglichen, höchst geheimen U-2-Aufklärungs-flüge nach China. Oswalds Luftabwehr-Einheit, deren An-gehörige sich einer strengen Sicherheitsüberprüfung unter-ziehen mußten, hatte den Auftrag, einen U-2-Hangar zubewachen, der von einem hohen, schweren Stacheldraht um-geben war. Nicht einmal der Postbote konnte mit seinem Wa-gen hindurchfahren, ohne daß ein Sergeant ihn zu Fuß beglei-tete und am Tor die Tagesparole nannte.

Ich vermutete, daß zwei im Warren-Bericht erwähnte Do-kumente der CIA für Oswalds mögliche Geheimdiensttätigkeitsprachen: CD 931, »Oswalds Zugang zu Informationen überdie U-2«, und CD 692, »Kopie eines offiziellen Dossiers derCIA über Oswald«. Leider wurden diese Dokumente - nebenzahlreichen anderen CIA-Akten - nach der Untersuchung derWarren-Kommission als geheim eingestuft, und ich durfte sienicht einsehen.

Doch nun wollte ich einfach wissen, welche Themen dieRegierung der Öffentlichkeit verheimlichen wollte. Ich ließeinen meiner Assistenten eine Liste der Akten über Oswaldzusammenstellen, die die Regierung als »nicht verfügbar«bezeichnet hatte9:

CD10 321 Chronologie von Oswald in der UdSSR (geheim)CD 347 Aktivitäten Oswalds in Mexiko-Stadt (geheim)CD 384 Aktivitäten Oswalds in Mexiko-StadtCD 528 Betr. Aussage Oswalds gegenüber CIA-Mitarbeitern

in Mexiko-StadtCD 631 Betr. Verbreitung von CIA-Informationen über Os-

waldCD 674 Informationen des Secret Service, die die Warren-

Kommission noch nicht erhalten hat (geheim)CD 692 Kopie des offiziellen CIA-Dossiers über OswaldCD 698 Bericht über Reisen und Aktivitäten von Oswald &

MarinaCD 871 Fotos von Oswald in Rußland (geheim)CD 931 Oswalds Zugang zu Informationen über die U-2

(geheim)CD 1216 Memorandum Helms' mit der Bezeichnung »Lee

Harvey Oswald« (geheim)CD 1222 Aussagen George de Mohrenschildts betr. Attentat

(geheim)CD 1273 Memorandum Helms' betr. scheinbare Wider-

sprüche in den CIA-Informationen (geheim).Diese provozierende Liste machte mir mehr denn je klar,

daß etwas zum Himmel stank.Danach konzentrierte ich meine Nachforschungen auf den

Zeitraum, nachdem Oswald die Marines verlassen hatte. ImSommer 1959 - etwa fünf Monate, nachdem er in El Toro dieRussischprüfung abgelegt hatte - bat Oswald um vorzeitigeEntlassung aus dem Marine Corps.11 Als Begründung gab eran, seine Mutter bedürfe aus gesundheitlichen Gründen sei-ner Anwesenheit und Pflege. Im September 1959 erhielt eraufgrund dieses Antrags vier Wochen vor Ablauf seiner re-gulären Dienstzeit seinen ehrenvollen Abschied. Nachdem erdrei Tage bei seiner Mutter in Fort Worth verbracht hatte, fuhrer nach New Orleans.

Oswalds Reise von New Orleans in die Sowjetunion war et-was verwirrend. Wie ich herausfand, fuhr er mit dem Schiff

nach Europa. Das Ticket für den Dampfer12 hatte er im Reise-büro Lykes im International Trade Märt von New Orleans ge-kauft, das von Clay Shaw geleitet wurde, auf dessen Namenwir später bei der Ermittlung noch oft genug stoßen sollten.Oswald fuhr mit dem Schiff nach England und reiste von dortaus per Flugzeug weiter. Was für einen Flug er nahm, blieb je-doch ein Geheimnis. Der Warren-Kommission zufolge13 flogOswald am 9. Oktober, dem Tag, an dem er in England eintraf,direkt nach Helsinki weiter. Aus seinem Paß geht allerdingshervor, daß er England erst am folgenden Tag verließ, dem10. Oktober.

Es ist bekannt, daß sich Oswald am 10. Oktober in seinemHotel in Helsinki eintrug.14 Doch wenn man sich den Flugplander einzigen zivilen Linienmaschine von London nach Hel-sinki ansieht, wäre das gar nicht möglich gewesen. Unter die-sen Umständen muß man sich fragen, ob er wirklich mit einernormalen Linienmaschine nach Finnland geflogen ist.

Viel später, im Jahre 1978, berichtete James A. Wilcott, einfrüherer Buchhalter der CIA, dem Untersuchungsausschußdes Repräsentantenhauses15, die CIA habe Lee Oswald »mitder ausdrücklichen Absicht« vom Militär abgeworben, um»ihn als Doppelagenten in der UdSSR einzusetzen«16.

1966 wurden so deutliche Aussagen noch unter Verschlußgehalten, doch das Doppelagenten-Szenario war auch mirschon in den Sinn gekommen. Die CIA hatte natürlich vonAnfang an abgestritten, daß Oswald je bei der Agency be-schäftigt gewesen sei.17 Ich wußte jedoch, daß es sich dabeium ein übliches Vorgehen handelte, wenn ein Angehöriger desGeheimdienstes über irgendeine Geheimdienstmission befragtwurde.

Nachdem Oswald am 16. Oktober 1959, von Finnland kom-mend, mit dem Zug in Moskau eingetroffen war, nahm er so-fort Kontakt mit sowjetischen Behörden auf.18 Anfangs beur-teilten die Sowjets den jungen Amerikaner, der nicht nur seinLand verlassen hatte, sondern auch Geschenke versprach -die süßen Geheimnisse der amerikanischen Luftabwehr-Tech-

nologie -, sehr zurückhaltend. Der Neuankömmling wurdeeingehend verhört, wenngleich nie festgestellt werden konnte,wann, wo und unter welchen Umständen.

Nach zwei Wochen hatte Oswald einen dramatischen Auf-tritt in der Amerikanischen Botschaft.19 Er gab großspurigseinen Paß zurück und händigte einen Brief aus, der seine Er-gebenheit für die Union der Sozialistischen Sowjetrepublikenzum Ausdruck brachte. Er erklärte auch20, er habe den so-wjetischen Beamten Informationen über das Marine Corpsund die höchst geheimen Radar-Unternehmen versprochen,an denen er teilgenommen hatte.

Als die Medien weltweit über Oswalds dramatischen Sei-tenwechsel berichteten, erklärte das FBI nach der Untersu-chung von Oswalds Marine-Corps-Akten, es befänden sich »inden Akten des Marine Corps keine nachteiligen Informationenüber Oswald, und das Office of Naval Intelligence habe gera-ten, in dieser Angelegenheit keine Schritte gegen ihn einzulei-ten«21. J. Edgar Hoover sagte später, das FBI habe Oswalds»Übertritt« nicht weiter verfolgt, da die Amerikanische Bot-schaft in Moskau Oswald eine »Unbedenklichkeitsbescheini-gung« ausgestellt habe.22

Anfang Januar 1960 wurde Oswald nach Minsk ge-schickt23, in eine von sechs sowjetischen Städten, in die Über-läufer normalerweise weitergeleitet wurden, und bekam dorteine Anstellung als Metallarbeiter bei der Herstellung vonRadargeräten. Um herauszustreichen, daß das sowjetischeSystem Überläufer bevorzugt behandelt, erhielt er eine ReihePrivilegien, die dem durchschnittlichen russischen Arbeiternicht zustanden, zum Beispiel eine Komfortwohnung und einrelativ hohes Gehalt.

Nach fünfzehn Monaten in der Sowjetunion beantragteOswald im Februar 1961 in der Amerikanischen Botschaft inMoskau, in die Vereinigten Staaten zurückkehren zu dürfen.24

Im folgenden Monat begegnete er Marina Prusakowa25, einerwunderschönen Frau mit kornblumenblauen Augen, diegleichzeitig die Nichte eines Oberstleutnants des russischen

Geheimdienstes war. Im April 1961, keine zwei Monate, nach-dem sie sich kennengelernt hatten, waren sie verheiratet.26

Überraschenderweise erhob keine der beiden RegierungenEinwände dagegen, daß Oswald in die USA zurückkehrte undseine Frau mitnahm.27 Es hatte den Anschein, als sei das end-lose Eis des kalten Krieges plötzlich weggetaut. Vielleichthatte der Frühling Einzug gehalten.

Bemerkenswert ist zum Beispiel, daß das Außenministe-rium Oswalds Rückkehr guthieß, obwohl es den Antrag einesÜberläufers jederzeit hätte zurückweisen können. Der Berichtdes Ministeriums führte aus, Oswald habe nach seinem Ein-treffen in der Sowjetunion im Jahre 1959 »seine Staatsbürger-schaft nicht aufgegeben«28. Des weiteren stand darin zulesen, die FBI-Berichte wiesen nicht darauf hin, Oswald seiKommunist. Das Ministerium bevollmächtigte die Amerika-nische Botschaft in Moskau, Oswald das Geld für seine Rück-kehr zu leihen.

Ein solches Repatriierungsdarlehen kann, so die Vorschrif-ten des Außenministeriums, nur gewährt werden, wenn die»Loyalität« des Empfängers für die Vereinigten Staaten »zwei-felsfrei« feststeht. Wenn man die Tatsache bedenkt, daß Os-wald angeblich militärische Geheimnisse an die Sowjetunionweitergegeben hatte, stand seine Loyalität wohl kaum »zwei-felsfrei« fest. Dennoch wurde das Darlehen von 436 Dollarnach einer Verzögerung von ein paar Monaten gewährt.29

Ebensowenig sah das Paßamt des Außenministeriums ei-nen Grund, Oswalds Paß nicht zu verlängern.30 Im August1961 ermächtigte es die Amerikanische Botschaft dazu.31

Wenn ein amerikanischer Bürger ins Ausland geht und in einanderes Land, besonders in die Sowjetunion, überläuft, stelltdas Paßamt normalerweise einen Sperrvermerk für den Fallaus, daß der Betroffene je versucht, seinen Paß verlängern zulassen. Ein solcher Sperrvermerk wurde für Oswald nie er-teilt. Wie die Amerikanische Botschaft bescheinigte auch dasPaßamt dem Überläufer eine weiße Weste.32

Dieses Verhalten der amerikanischen Regierung, das von

einer fast väterlichen Besorgtheit um Lee Oswalds Wohlerge-hen zeugt, auch als er sich noch in der Sowjetunion aufhielt,blieb meines Erachtens von Anfang an unverändert. Unddiese Vorzugsbehandlung endete auch nicht nach der Ankunftvon Lee, Marina und ihrer kleinen Tochter im Juni 1962 inNew York.

Die Oswalds wurden weder von Agenten des FBI noch ei-ner anderen Behörde am New Yorker Pier erwartet. LediglichSpas T. Raikin war anwesend33, der Generalsekretär der Ame-rikanischen Freunde der Anti-Bolschewistischen Nationen,einer privaten antikommunistischen Organisation mit ausge-zeichneten Verbindungen zum Geheimdienst. Des weiterenwar Raikin bei der Traveler's Aid Society angestellt. Der War-ren-Kommission zufolge war er vom Außenministerium gebe-ten worden, im Namen dieser Organisation die zurückkehren-den Oswalds anzurufen und ihnen jede Hilfe zu gewähren, diesie brauchten.

Die Regierung hat gegen Oswald wegen seines angeblichenÜberlaufens nie Anklage erhoben. Unmittelbar nach seinerRückkehr in die USA zog Oswald mit Marina und ihrer Tochternach Fort Worth in Texas.34 Dort arbeitete er bis zum 7. Okto-ber 1962 bei der Leslie Welding Company35; an diesem Tagkamen George de Mohrenschildt und seine Frau aus Dallas36

und verbrachten den Abend bei Lee und Marina in deren be-scheidener Wohnung.

Jeder, der die Unterschiede der Lebensumstände und desWerdegangs von Lee Oswald von der Leslie Welding Companyund Baron George de Mohrenschildt vom Dallas PetroleumClub kennt, muß diese Szene für einen Mißklang, eine Anoma-lie halten. Zwar kam Oswald intellektuell in fast jeder Gesell-schaft einigermaßen zurecht, es ist jedoch darüber hinausoffensichtlich, daß er und de Mohrenschildt gemeinsameInteressen hatten - wenngleich sie sie offiziell noch nichtenthüllten -, die sie veranlaßten, die Gegenwart des jeweilsanderen zu suchen.

Am folgenden Tag, dem 8. Oktober, packte Lee seine Sa-

chen und zog ins fünfzig Kilometer entfernte Dallas37, wo deMohrenschildt wohnte. Oswald verschwendete keine Zeit undsuchte sich dort über das staatliche Arbeitsamt einen neuenJob.38

Oswalds Visite beim Arbeitsamt könnte eine obligatorischeGeste gemäß der goldenen Regel der Geheimdienstwelt gewe-sen sein, daß eine Person, die verdeckte Tätigkeiten auf-nimmt, dem äußeren Anschein nach die wirtschaftlichen Le-bensbedingungen rigoros aufrechterhält. Wenn zum Beispielein frisch rekrutierter, zuvor mittelloser, verdeckt arbeitenderAgent über Nacht seine vertraute fadenscheinige Garderobewechseln, Maßanzüge tragen und vielleicht sogar eine neueLuxuslimousine fahren würde, wäre er nicht mehr der Bur-sche, den man zuvor keines zweiten Blickes gewürdigt hätte,und daher für verdeckte Operationen nicht mehr brauchbar.

Auf jeden Fall fand Oswald noch im Oktober 1962 einenJob, der für einen ehemaligen Überläufer in die Sowjetunionhöchst unpassend erscheint - bei der Firma Jagger-Stovall-Chiles, die für das Pentagon Landkarten für den militärischenGebrauch herstellte. Der Schriftsteller Henry Hurt hat heraus-gefunden39, daß »ein Teil der Arbeit mit den höchst geheimenU-2-Missionen zu tun hatte, von denen einige über Kuba führ-ten«. Mitarbeiter dieser Firma wurden einer sehr strengen Si-cherheitsüberprüfung unterzogen. Lee Harvey Oswald bekamden Job nicht nur innerhalb einer Woche nach seiner Ankunftin Dallas, sondern durfte auch geheimes Material einsehen.40

Der Oktober 1962 war der Monat, in dem, wie es der Ex-Minister Dean Rusk ausdrückt, »unsere Regierung und dieRussen sich Auge in Auge gegenüberstanden«. Die amerika-nische U-2 flog oft über Kuba hinweg, und eine Maschine derAir Force wurde sogar abgeschossen. Wenn Oswald wirklichkeine Verbindung mit den amerikanischen Geheimdienstenhatte, wenn er wirklich zum Kommunismus neigte, wie dieamerikanische Regierung versichert, dann wäre die Nachläs-sigkeit der Sicherheitsabteilung der Firma Jagger-Stovall-Chi-les (die damals vielleicht die Namen auf die Karten druckte41,

die die U-2-Piloten bei der Suche nach sowjetischen Raketen-basen auf Kuba benutzten) verschenkter Stoff für ein erstklas-siges Schmierentheater.

Trotz seines »Seitenwechsels« und seiner laut und deutlicherklärten Vorliebe für den Kommunismus wurden Oswaldund seine Familie von der weißrussischen Gemeinde in Dallasmit offenen Armen willkommen geheißen.42 Man sollte hierfesthalten, daß die meisten Weißrussen eine politische Auffas-sung vertraten, die noch ein gutes Stück rechts von der desverstorbenen Zaren Nikolaus stand. Einige von ihnen warenAdlige oder Großgrundbesitzer, die von der bolschewistischenRegierung von ihrem über Generationen vererbten Besitz ver-trieben worden waren. Sie lebten für den Tag, an dem man dieKommunisten aus Rußland vertrieb und sie in ihre Heimat zu-rückkehren konnten. Andere wiederum waren einfache Emi-granten, die den Kommunismus jedoch ebenso heftig verab-scheuten.

Seltsamerweise waren das die Leute, die Lee und Marinahalfen, eine Unterkunft zu finden.43 Sie sorgten dafür, daß dasBaby genug Milch bekam und ins Krankenhaus gebrachtwurde, als sein Fieber zu hoch stieg. Von Zeit zu Zeit kauftensie Marina hübsche Kleider und kümmerten sich auch sonstin jeder erdenklichen Hinsicht um sie.

Wie ich herausfand, war der engste Bekannte Oswalds inDallas George de Mohrenschildt.44 Er hielt sich länger als diemeisten Weißrussen in den Vereinigten Staaten auf und warkaum ein normaler Emigrant. Sein Vater, Baron Sergius deMohrenschildt, war unter dem Zar Gouverneur der ProvinzMinsk gewesen. Nach der Oktoberrevolution war die Familievor den Kommunisten geflohen. De Mohrenschildt sprachRussisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und Polnisch. ImZweiten Weltkrieg hatte er für den französischen Geheim-dienst gearbeitet. Dieses illustre Mitglied des internationalenJet-set war Bergassessor und Geologe.

De Mohrenschildt arbeitete als beratender Geologe undwar Mitglied des exklusiven Dallas Petroleum Club, der über-

aus einflußreiche Beziehungen in der Geschäftswelt hatte. Ei-ner seiner interessantesten engen Freunde war Jean de Menü,der Präsident des riesigen internationalen Konzerns Schlum-berger, der eng mit der CIA verbunden war.45

De Mohrenschildt hatte bereits alle möglichen Gegendender Erde gesehen. Er hatte Ghana als Briefmarkensammlerbesucht, obwohl er zu jener Zeit aktiv im Ölgeschäft tätig warund gar keine Briefmarken sammelte. In Jugoslawien hatte erein ganzes Jahr als Repräsentant der International Coopera-tion Administration verbracht, einer CIA-Tarnorganisationmit Sitz in Washington. Er war in Guatemala gewesen, als dieCIA dort zufälligerweise die Exilkubaner ausbildete, die dannbei der Invasion in der Schweinebucht mitwirkten. Und späterzog er nach Haiti, wo er an einem - um den Ausdruck derWarren-Kommission zu übernehmen - »regierungsbezoge-nen« Geschäft beteiligt war.

Dieser Mann, offensichtlich ein sehr stark antikommuni-stisch eingestellter Kapitalist, war in Dallas der engste Freunddes jungen Mannes, dem die Warren-Kommission »Engage-ment für den Marxismus« bescheinigt hatte.

Oswalds Charisma schien ihm auch die unwahrscheinlicheFreundschaft weiterer Mitglieder der weißrussischen Ge-meinde eingetragen zu haben. Unter den ersten Gästen, dievon den Oswalds in Dallas zum Abendessen eingeladen wur-den, befand sich Max Clark, ein Colonel der Air Force im Ru-hestand und - zu dieser Zeit - Anwalt. Colonel Clark hatte alsSicherheitsbeauftragter für General Dynamics gearbeitet, desgrößten Flugzeugherstellers der Welt, der zahlreiche Aufträgedes Verteidigungsministeriums ausführte. Seine Frau Katja46,die bei dem von Marina gegebenen Abendessen ebenfalls da-bei war, gehörte zur königlichen Familie Rußlands und wareine geborene Prinzessin Scherbatow. Für einen Marxistenwie Lee Oswald war dies sicherlich eine gesellschaftliche Er-oberung der höchsten Güteklasse.

Von den zahlreichen antikommunistischen Russen in Dal-las, die die Oswalds willkommen hießen, hegten nur Anna

und Teofil Melier ernsthafte Vorbehalte gegen das Ehepaar.Das lag daran, weil Anna bei einem Besuch bei den OswaldsDas Kapital von Karl Marx auf einem Tisch gesehen hatte.47

Sie scheint nicht gewußt zu haben, daß ihr Mann Teofil späterbeim FBI anrief und den Vorfall meldete. Der Sprecher desBureau bestätigte ihm, Oswald sei »in Ordnung«48.

Die Warren-Kommission ging mit dem üblichen Elan andie Frage heran, ob Oswald möglicherweise unter dem Schutzdes FBI stand. Sie rief Melier einfach nicht als Zeugen auf undließ sich nicht einmal eine eidesstattliche Aussage geben.

Oswalds Behandlung nach seiner Rückkehr, sowohl vonden Geheimdiensten wie auch von ausgesprochen antikom-munistisch eingestellten Einzelpersonen, läßt für mich unaus-weichlich nur eine einzige Schlußfolgerung zu: Oswald hat inder Sowjetunion eine verdeckte Geheimdienstoperation fürdie Vereinigten Staaten durchgeführt.

Und ich wurde mir schnell der Tatsache bewußt, daß in derZeit nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion antikommuni-stische Exilanten und amerikanische Geheimdienste gleicher-maßen Interesse an Lee Oswald hatten, der möglicherweisewertvoll für sie sein konnte. Es war kein Zufall, daß Oswald inDallas mit weißrussischen Emigranten und in New Orleansmit Exilkubanern verkehrte. Ich hatte herausgefunden, daßdie Guerilla-Ausbildung der Exilkubaner ausschließlich vonder CIA betrieben wurde. Das hatte in der Praxis eine weitrei-chende Wirkung. Das FBI, normalerweise die scharfsinnigsteunserer Ermittlungsbehörden, schien zu übersehen, was dieAgency trieb - oder mit wem.

Obwohl weiten Teilen der Regierung bekannt war, daß dieCIA schon seit langem im Inland operierte, wußte ich, daß dieAgency solche Operationen geheimhielt. Die CIA-Agenten zumBeispiel, die die Emigranten manipulierten, trugen keine Uni-form und zeigten ihre CIA-Ausweise nicht vor. In ihrer voll-kommenen Tarnung ließen sie sich kaum von Anwälten, Ge-schäftsleuten, Technikern, Hausfrauen, Privatdetektiven oderanderen unterscheiden. Damals konnte ich nicht mit Sicher-

heit angeben, wer der Führungsoffizier Lee Oswalds und derihn umgebenden Exilanten war, doch in der Rückschauscheint es ziemlich offensichtlich.

Obwohl George de Mohrenschildt wahrscheinlich nichtsvon der Katastrophe ahnte, die am Ende seines Weges auf ihnwartete49, besteht heute kaum ein Zweifel daran, daß er einverdeckt arbeitender CIA-Agent gewesen ist.50 Ähnlich offen-sichtlich ist sein Auftrag: Er sollte Oswald von Fort Worthnach Dallas holen und danach als einer seiner »Babysitter«füngieren.51

Die Schlußfolgerung, daß de Mohrenschildt ein nicht ein-geweihter Babysitter war, ziehe ich nicht nur aus den öffent-lich gemachten Beweisstücken, sondern auch aus meinen Ge-sprächen mit ihm und Mrs. de Mohrenschildt. Nachdem ichmeine Untersuchungen einige Jahre nach dem Attentat längstaufgenommen hatte, gelang es mir, telefonischen Kontakt mitde Mohrenschildt zu bekommen. Um zu verhindern, daß dieGespräche abgehört wurden, kamen wir überein, daß ich ihnim Petroleum Club in Dallas anrief oder er mich im New Or-leans Athletic Club. Sowohl de Mohrenschildt als auch seineFrau waren überzeugt, daß ein Attentat auf den Präsidenten -oder auch nur das Töten eines Kaninchens - ganz einfachnicht Lee Oswalds Format entsprach. Sie beharrten darauf,daß man Oswald zum Sündenbock gemacht habe. Mich beein-druckte besonders, daß sie nicht nur darüber betroffen wa-ren, was man John F. Kennedy, sondern auch, was man LeeOswald angetan hatte.

Der Frühling 1963 kam, und Lee Oswald verließ - wie üblichohne Pauken und Trompeten oder andere Vorankündigun-gen — Dallas Ende April in Richtung New Orleans. Seine Frauund Tochter trafen kurz darauf dort ein. Am 9. Mai bekamOswald einen Job bei der dort ansässigen Reily Coffee Com-pany, direkt neben dem Postamt und gegenüber Guy Bani-sters Büro.' Ich hatte bereits zahlreiche Oswaldsche Aktivitäten in New

Orleans untersucht. Nun wollte ich mir ansehen, wie das mitder Anstellung bei der Reily Coffee Company zugegangen war.Diese Frage war sehr verwirrend, denn unter den Beweismit-teln der Warren-Kommission befanden sich Dutzende Foto-kopien von Bewerbungsschreiben52, die Lee Oswald anschei-nend an eine Firma nach der anderen geschickt hatte, bevorer bei Reily anfing. Oswalds Handschrift, die aussah, als seiein Vogel über das Papier gelaufen, war auf jedem Bewer-bungsschreiben auf den ersten Blick zu erkennen. Diesenzahlreichen Beweismitteln zufolge hatte er sich bei der Hälftealler Firmen in New Orleans beworben.

Doch je länger ich über den Bewerbungsschreiben brütete,desto verwirrter wurde ich. Auf jedem Brief hatte der Stel-lungssuchende seine Größe mit »einem Meter fünfundsieb-zig« angegeben. Das Problem lag darin, daß Lee Oswald einenMeter achtzig groß war. Wieso hatte er seine Größe also wie-derholt mit einem Meter fünfundsiebzig angegeben?53

Ich wollte mich am nächsten Tag mit einem Teil meinesStabs zu einem längst überfälligen Brainstorming zusammen-setzen und fügte meiner Liste diese Frage hinzu. Am folgen-den Morgen war ich kaum im Büro, als Lou Ivon mit einerneuen Spur kam. Einer seiner Polizeiermittler hatte beimKlinkenputzen erfahren, daß Oswald den Ford-Händler Bol-ton auf der North Claiborne Avenue besucht hatte. Da wirauch die magerste Spur verfolgten, gingen wir diesem neuenHinweis nach, und obwohl diese Spur sich als falsch erwies,stießen wir auf eine möglicherweise viel wichtigere.

Wie wir später von den Verkäufern Fred Sewall und OscarDeslatte erfuhren, hatten zwei Männer, die behaupteten, eineOrganisation namens Friends of Democratic Cuba zu vertre-ten, am 20. Januar 1961 die Ford-Vertretung Bolton aufge-sucht. Das war lediglich drei Monate vor der fehlgeschlagenenInvasion Kubas in der Schweinebucht gewesen, dem großenKuckucksei, das die vorherige Regierung Kennedy ins Nestgelegt hatte. Einer der Männer war ein stämmig gebauterSüdamerikaner mit dickem Hals und einer auffälligen Narbe

über der linken Braue.54 Der andere war ein hagerer, jungerWeißer, der offensichtlich das Sagen hatte.

Die beiden Männer deuteten an, sie wollten zehn Ford-Lie-ferwagen kaufen, und feilschten um einen Preisnachlaß. DerSüdamerikaner wies sich als »Joseph Moore« aus, sagte je-doch, das Angebot der Firma müsse auf den Namen »Oswald«ausgestellt werden. Der junge Angelsachse bestätigte dies underklärte, er sei Oswald und derjenige mit dem Geld. Statt dieKunden unterschreiben zu lassen, trug Deslatte den Namen»Oswald« persönlich in Druckbuchstaben auf dem Angebots-formular ein.55 Wie heutzutage natürlich bekannt ist, befandsich der echte Lee Oswald an diesem Tag - und noch für überein Jahr - in der Sowjetunion.

Nach dem Attentat auf Präsident Kennedy erinnerten sichSewall und Deslatte an das Gespräch mit »Oswald« und riefendas FBI an. Als die FBI-Agenten das Angebotsformular mit Os-walds Namen sahen, nahmen sie es, den beiden Verkäufernzufolge, vorsichtig mit Pinzetten an sich.

Nachdem ich von diesem Vorgang erfahren hatte, wollteich mehr über die Friends of Democratic Cuba herausfinden.Ich besorgte mir eine Kopie der Vereinssatzung. Und dortfand ich bei den Gründungsmitgliedern den allgegenwärtigenNamen Guy Banister.

Ich dachte über die Bedeutung dieser verblüffenden Infor-mation nach. In genau dem Monat, in dem John F. Kennedyins Amt eingeführt worden war, benutzte ein von Guy Banistergeführtes Geheimdienstunternehmen den Namen »Oswald«bei einem Gebot für Lieferwagen, die anscheinend bei derSchweinebucht-Invasion eingesetzt werden sollten. Nochwichtiger war, daß der hagere junge Amerikaner, der das An-gebot eingeholt hatte, entweder Lee Oswald oder zumindestdessen Namen kannte. Auf jeden Fall hielt sich Oswald zu die-ser Zeit in der Sowjetunion auf. Aufgrund dieses seltsamenZwischenfalls scheint es sich bei Oswalds tatsächlicher Mit-wirkung an Guy Banisters Unternehmen im Sommer 1963 umalles andere als einen reinen Zufall zu handeln.

Ich ließ Frank Klein zu einem längst überfalligen Brain-storming in mein Büro kommen. Ich faßte den Bolton-Vorfallzusammen, und Klein sagte:

»Sie glauben doch nicht, daß Sewall und Deslatte gelogenhaben, oder?«

»Nein.«»Aber die Geschichte ergibt keinen Sinn«, fuhr er fort. »Os-

wald war im Januar 1961 in Rußland. Er kann unmöglich beider Firma Bolton gewesen sein.«

»Jemand hat sich als Oswald ausgegeben«, sagte ich.»Als Oswald ausgegeben? Aber wieso?«»Das weiß ich noch nicht«, erwiderte ich. »Aber nun wis-

sen wir, daß derjenige, der hinter dem Attentat steckt, jeman-den beauftragte, als Oswald aufzutreten.«

»Sie wollen auf irgend etwas hinaus«, sagte Klein, »aberich weiß noch nicht, auf was.«

Ich schob das dicke Buch mit den Beweisstücken der Kom-mission vor und zeigte ihm die Bewerbungsschreiben. »FälltIhnen daran etwas auf?« fragte ich.

Er blätterte sie eine Weile durch und schaute dann auf.»Die Größe ist falsch angegeben«, sagte er. »Er hat in jedemdieser Bewerbungsschreiben seine Größe falsch angegeben.«

»Genau«, sagte ich. »Wenn 1961 jemand seine Rolle über-nehmen konnte, dann auch 1963.«

»Aber warum sollte jemand all diese Bewerbungsformu-lare ausfüllen und dabei ständig die falsche Größe angeben?«fragte Klein.

»Weil der falsche Oswald nur einsfünfundsiebzig großwar«, sagte ich. »Da er Vorstellungsgespräche führte, mußteer in etwa seine wirkliche Größe angeben. Auch wenn jemandOswalds Handschrift perfekt nachahmen kann, er kann nochlange nicht um fünf Zentimeter wachsen.«

Frank stimmte mir zu, daß sich wahrscheinlich ein fal-scher Oswald um die Jobs bemüht hatte. Das lief natürlichdarauf hinaus, daß Oswald von Anfang an in der Reily CoffeeCompany ganz in der Nähe von Guy Banisters Büro arbeiten

sollte. Die zahlreichen Bewerbungen von jemandem, der auf-trat als Oswald, sollten dies verschleiern.

»Wissen Sie«, sagte Klein, »die wichtigste Schlußfolgerunghaben Sie noch nicht erwähnt.«

»Und welche ist das?«»Der Zeitpunkt, zu dem die beiden Männer die Firma Bol-

ton aufsuchten. Daß sie Lee Oswalds Namen schon im Januar1961 verwendet haben. Das war der Monat, in dem Kennedyins Amt eingeführt wurde.«

Ich zögerte und dachte über die gewaltige Bedeutung vonFranks Worten nach.

»Sie fragen mich, ob ich glaube, jemand habe schon im Ja-nuar 1961 an dem Plan gearbeitet, John F. Kennedy zu elimi-nieren«, sagte ich.

Frank nickte.»Es fällt mir schwer, das zu glauben«, sagte ich. »Ich

würde verneinen.«Viele Jahre nach diesem Gespräch mit Frank stieß ich zu-

fällig auf ein 1977 erschienenes, faszinierendes Buch über dieamerikanischen Geheimdienste mit dem Titel The Armies ofIgnorance.56 Darin stolperte ich über eine verblüffende Tatsa-che: Laut William R. Corson, dem Autor des Buches, beganndie CIA nach Kennedys Wahl im November 1960 in aller Stillemit der Zusammenstellung einer »Dossieranalyse« ein-schließlich eines psychologischen Profils des gewählten Prä-sidenten. Der Zweck bestand unter anderem darin, den ver-mutlichen Standpunkt vorherzusagen, den der Präsidentbeziehen würde, falls besondere Umstände eintreten sollten.Die Existenz dieser Studie wurde nicht publik gemacht.

Heute denke ich oft an Franks Frage über die Bedeutungder Tatsache, daß sich 1961 jemand als Oswald ausgegebenhat. Und dabei frage ich mich, ob ich genauso geantwortethätte, hätte ich damals schon gewußt, wie bemerkenswert frühdie CIA ein psychologisches Profil Kennedys erstellt hatte.

5- DIE PRÄPARIERUNG DES SÜNDENBOCKS

Aufgrund unserer bisherigen Ermittlungen wußte ich, daßOswald Präsident Kennedy nicht allein erschossen habenkonnte, daß Geheimdienstkreise ihn angeleitet und jemandals Oswald agiert hatte. Mit anderen Worten, er war genaudas, was zu sein er bei seiner Verhaftung behauptete - einSündenbock. Nun blieb noch herauszufinden, welche Machtihn gelenkt hatte. Einige Geheimdienste waren darin verwik-kelt, doch ich wußte noch nicht, wie breit die Operationsbasiseventuell war.

Es hatte mich immer verwirrt, warum Oswald Dallas imApril 1963 verlassen hatte, um den Sommer in New Orleanszu verbringen und dann im Oktober nach Dallas zurückzu-kehren. Doch als ich überdachte, was ich erfahren hatte, er-gab es allmählich einen Sinn: Wenn Oswald als kommunisti-scher Sündenbock aufgebaut werden sollte, mußten die engenBeziehungen gekappt werden, die er in Dallas zu den anti-kommunistischen Weißrussen unterhielt. Außerdem wurdedas Bild eines verrückten kommunistischen Attentäters nochdeutlicher hervorgehoben, wenn er einen Sommer lang inNew Orleans völlig unverhohlen Pro-Castro-Flugblätter ver-teilte. Bei den Geheimdiensten gibt es einen Ausdruck fürdiese Art manipulierten Verhaltens, mit dem ein gewünschtesBild erzeugt werden soll: Schäfchen baden. Ich hatte den Ein-druck, daß Oswald in New Orleans gewesen war, um unterGuy Banisters Führung auf eine falsche Spur geleitet zu wer-den, und daß er nach Abschluß der Mission nach Dallas zu-rückgeschickt wurde.

Um festzustellen, ob ich auf der richtigen Spur war, unter-

suchte ich nun Oswalds Rückkehr nach Dallas und die beidenletzten Monate vor dem Attentat.

Am 23. September 1963 verließen die schwangere MarinaOswald und ihre Tochter New Orleans. Wie ich herausfand,wurden sie von Mrs. Ruth Paine nach Dallas gefahren. Manstimmte allgemein überein, daß Lee Oswald etwa einen Tagspäter aufbrach. Es gab Anzeichen, daß er New Orleans mitdem Bus verließ, doch das blieb unbestätigt.

Im Augenblick konzentrierte ich mich - während ich diegroßen blauen Bände der Warren-Kommission durchblät-terte, die mir so vertraut geworden waren - auf die Rolle, dieRuth Paine gespielt hatte, als sie Marina Oswald und ihreTochter nach Dallas fuhr und ihr dort eine Unterkunft be-sorgte.

Lee und Marina Oswald hatten Ruth Paine im Februar1963 auf einer Party in Dallas kennengelernt, zu der Georgede Mohrenschildt und seine Frau sie mitgenommen hatten.Ich fand heraus, daß Ruth Paine die Frau von Michael Painewar, eines technischen Zeichners, der an streng geheimenProjekten der Firma Bell Helicopter arbeitete, die zahlreicheAufträge für das Verteidigungsministerium ausführte.

Ruth Paine war eine schlanke, intelligente Frau mit breit-gefächerten Interessen, darunter auch der russischen Spra-che, die sie recht gut beherrschte. Ihr Vater hatte bei derAgency for International Development gearbeitet, die allge-mein als Deckorganisation der CIA angesehen wird.1 IhrSchwager arbeitete für eine Niederlassung derselben Agencyim Raum Washington.

Auf ihrem Rückweg von einem langen Urlaub, in dem sieihre Schwester und ihren Schwager in Washington besuchthatte, machte sie Zwischenstation in New Orleans, um MarinaOswald und das Baby nach Dallas mitzunehmen. Ich fragtemich, ob Mrs. Paine vielleicht auch nicht wußte, worum esging, und manipuliert worden war.

Nach der Ankunft in Dallas2 nahm Mrs. Paine Marina undihre Tochter in ihrem Haus in Irving auf, einem Vorort von

Dallas. Sie und ihr Mann Michael hatten sich vorübergehendgetrennt, so daß dort genug Platz für Gäste war.

Am 4. Oktober traf Lee in Dallas ein.3 Er behauptete, inHouston Arbeit gesucht zu haben. Zehn Tage später vermit-telte Ruth Paine ihm ein Bewerbungsgespräch, und er bekamden Job4 - im Texas School Book Depository, dem bewußtenSchulbuch-Auslieferungslager.

Aus Gründen, die unklar blieben, mietete Oswald mehrerekleine Zimmer5 in Dallas, während seine Frau und seine Toch-ter im Haus der Paines in Irving blieben. Obwohl Lee eineReihe seiner persönlichen Besitztümer nach Dallas mitnahm,stellte ihm Mrs. Paine ihre Garage in Irving für den Rest seinerSachen zur Verfügung.

Man kann nur Vermutungen darüber anstellen, was LeeOswald mit diesem seltsamen Wohnarrangement bezweckteoder wer es vorschlug. Doch steht zweifelsfrei fest, daß dieseSituation für die Leute, die hinter dem Attentat steckten, vor-teilhaft war. Als der Präsident ermordet wurde, lebte der Sün-denbock von Familie und Freunden getrennt und entsprachviel mehr dem Bild des verrückten Einzeltäters.

Routinemäßig wollte ich die Einkommensteuererklärun-gen von Ruth und Michael Paine überprüfen, mußte jedochfeststellen, daß sie als geheim eingestuft worden waren.6

Zusätzlich zu den Steuererklärungen waren auch die Kom-missionsdokumente 212 - über Ruth Paine - und 218 - überMichael Paine - aus Gründen der nationalen Sicherheitals geheim eingestuft worden. Aus denselben Gründen un-zugänglich waren die Dokumente 258 - über Michael Paine -und 508 - über seine Schwester - sowie die Kommissions-dokumente 600 bis 629, die Verwandte von Michael Painebetrafen.

Was war so Besonderes an dieser Familie, daß die Bundes-regierung sie unter ihren Schutz gestellt hatte? Nicht einmaldie DuPonts und Vanderbilts hätten einen so strikten Schutzbekommen. Ich fragte mich, ob diese väterliche Fürsorg-lichkeit etwas mit der Tatsache zu tun hatte, daß die CIA - aus

offensichtlichen Sicherheitsgründen - ein Familienunterneh-men geworden war.

Während seine Frau und Tochter bei Ruth Paine wohnten,hielt sich Lee Oswald der Regierung zufolge selbst in Mexiko-Stadt auF, wo er angeblich Kontakt mit den Botschaften derSowjetunion und Kubas aufnahm und sich deutlich Gehör ver-schaffte. Doch mir waren an dieser Erklärung bereits Zweifelgekommen. Diese Zweifel wurden später bestätigt, als weitereInformationen über diesen Zwischenfall verfügbar wurden.

Ein CIA-Memorandum8 vom 10. Oktober 1963 führte aus,daß Lee Oswald Ende September und Anfang Oktober wieder-holt bei der Sowjetischen Botschaft in Mexiko-Stadt angerufenhatte und auch persönlich dort erschienen war. Er hatte sicherkundigt, ob es Anrufe für ihn gegeben hatte, und mit einemHandelsattache gesprochen, der angeblich ein Mitglied derKGB-Abteilung für »nasse Angelegenheiten« (Morde) war. Ko-pien des Memorandums wurden ans FBI und ans Außenmini-sterium geschickt. Weitere Geheimdienstberichte brachtenOswald auch mit der Kubanischen Botschaft in Zusammen-hang, wo er angeblich versuchte, ein Visum zu bekommen,um über Kuba in die Sowjetunion einzureisen.

Schon zu Anfang der offiziellen Untersuchung informiertedie CIA die Warren-Kommission über Oswalds angebliche Ak-tivitäten in Mexiko-Stadt vor dem Attentat. Ausnahmsweiseverlangte die Kommission mehr Beweise. Vielleicht hofftendie Kommissionsmitglieder eingedenk der Tatsache, daß dieAgency rund um die Uhr eine Kameraüberwachung der Kuba-nischen und Sowjetischen Botschaften in Mexiko-Stadt vor-nahm, auf eine gute Aufnahme, die ihre nur spärlich doku-mentierte Zusammenfassung von Oswalds Reise nach Mexikountermauern konnte.

Ursprünglich ignorierte die Agency das Ersuchen derKommission. Doch als die Kommission Druck ausübte, über-gab die CIA ihr schließlich den verschwommenen Schnapp-schuß eines gesetzten, ergrauenden Herrn, der beinahe altgenug war, um Oswalds Vater sein zu können.9 Das, so be-

hauptete die Agency, sei Lee Oswald vor der Kubanischen Bot-schaft.

Die Agency legte auch eine Aussage von Silvia Duran vor,einer Mexikanerin, die in der Kubanischen Botschaft arbeiteteund Oswald dort gesehen haben wollte. Doch die Umstände,unter denen diese Aussage zustande gekommen war, waren,um es zurückhaltend auszudrücken, dubios. Am Tag nachdem Attentat befahl die CIA den mexikanischen Behörden, dieDuran festzunehmen und in Einzelhaft zu halten.10 Das Tele-gramm der Agency lautete: »Unter voller Berücksichtigungmexikanischer Interessen ist geboten, daß ihre Verhaftungabsolut geheim bleibt, daß keine Informationen von ihr veröf-fentlicht werden oder durchsickern und daß alle derartigenInformationen uns mitgeteilt werden...« Die Duran wurdeerst freigelassen, nachdem sie Oswald als Besucher der Kuba-nischen Botschaft identifiziert hatte. Nach ihrer Freilassungbefahl die CIA ihre erneute Festnahme. Diese Umstände wa-ren der Kommission nicht bekannt. Überdies berichtete SilviaDuran 1978 dem Autor Anthony Summers11, der Mann, derdie Botschaft besucht habe, sei blond und etwa von ihrerGröße (einen Meter sechzig) gewesen - es konnte sich alsokaum um Oswald handeln.

Die Kommission verzichtete auf eine Befragung des kuba-nischen Konsuls Eusebio Azcue, obwohl er drei hitzige Aus-einandersetzungen mit »Oswald« gehabt hatte. Doch derUntersuchungsausschuß des Repräsentantenhauses befragteihn. Als Azcue Fotos von Lee Oswald gezeigt wurden12, sagteer aus, der junge Mann, der die Botschaft besucht habe, seiblond und nicht der Mann auf den Fotos gewesen. Auch sei es,so Azcue, nicht der Mann gewesen, den Jack Ruby nur zweiMonate nach seinem persönlichen Gespräch mit »Oswald«vor laufenden Kameras erschossen habe.

Auch die Behauptung, Oswald habe in der SowjetischenBotschaft angerufen und sie ebenfalls aufgesucht, hielt nichtstand. Es gab keine Fotos, und als die Kommission Tonband-aufnahmen von Oswalds Anrufen zu hören verlangte, behaup-

tete die CIA13, bei einem Anruf sei die Überwachung geradeunterbrochen gewesen, und bei einem anderen hätten dieAufnahmegeräte versagt. Doch die Tonbänder überlebtenlange genug, daß die FBI-Agenten, die bei dem berüchtigtenZwölf-Stunden-Verhör Oswalds nach dem Attentat dabei wa-ren, sie anhören konnten. Laut eines FBI-Memorandums vom23. November 1963, das aufgrund des Freedom of Infor-mation Act zur Verfügung stand14, waren diese Agenten »derAuffassung, die obengenannte Person (diejenige von denBändern der Sowjetischen Botschaft) sei nicht Lee HarveyOswald«.

Dieser Beweis, der Jahre nach meiner offiziellen Ermitt-lung an den Tag kam, deutet für mich darauf hin, daß LeeHarvey Oswald nicht nach Mexiko-Stadt reiste, wie dieWarren-Kommission annimmt. Statt dessen läßt er die Schluß-folgerung zu, daß jemand in Mexiko-Stadt als Lee Oswald auf-trat, wie auch Edwin Jüan Löpez15 vermutet, der die umfang-reichen Ermittlungen des Untersuchungsausschusses überMexiko-Stadt leitete. Dies befindet sich damit im Einklang,daß auch in New Orleans und Dallas jemand als Oswald auf-getreten ist, um ihn als Sündenbock aufzubauen.

Einige dieser Szenen waren so absurd, daß nur die leicht-gläubigsten Menschen sie schlucken konnten. Einer dieserVorfälle16 ereignete sich im Mexikanischen Konsulat in NewOrleans. Es war am frühen Nachmittag eines Tages Mitte Sep-tember 1963. Ein junger Mann erschien in Begleitung einerFrau mit Kopftuch im Konsulat. Zufällig befand sich auch Mrs.Fenella Farrington dort, um dafür zu sorgen, daß das Autoihrer Familie aus Mexiko zurückgebracht wurde. Es war beieinem kürzlichen Besuch mit ihrem Mann dort zurückge-blieben.

Der junge Mann fragte die Angestellte am Schalter: »Wieist das Wetter in Mexiko-Stadt?«

»Es ist sehr heiß«, erwiderte sie. »Genau wie heute in NewOrleans.«W Nun fragte er sie, auf das düstere Thema zu sprechen kom-

mend, das sich durch all diese Auftritte zog: »Was muß mantun, um ein Gewehr oder eine Pistole nach Mexiko mitnehmenzu können?« Das war eine Frage, die die Aufmerksamkeit fastjedes Menschen erregen würde. Die Dame im Konsulat fragte,warum er eine Pistole mitnehmen wolle, und Fenella Farring-ton, die in der Nähe stand, sagte unaufgefordert, daß mandort ausgezeichnet jagen könne.

Der Mann, den Mrs. Farrington als »groß und sehr dünn«beschrieb, schien sich über ihre Bemerkung zu ärgern undignorierte sie völlig. Mrs. Farrington fiel auch auf, daß er ner-vös und keineswegs so entspannt wie die anderen Touristenwar, die ein Visum beantragten.

Vier Tage nach dem Attentat auf den Präsidenten trieb dasFBI Mrs. Farrington auf, als sie in Washington gerade Ver-wandte besuchte. Der FBI-Agent, der sie vom WashingtonerBüro aus anrief, gab ihr die Nummer der Zweigstelle, damitsie zurückrufen und sich seine Identität bestätigen lassenkonnte. Danach informierte er sie, das FBI wende sich wegender Szene in der Mexikanischen Botschaft in New Orleans ansie. Der Vorfall sei von einer versteckten Kamera aufgenom-men worden. Sie sei eingeschaltet worden, als der junge MannWaffen erwähnte, und da sie dabeigewesen sei, habe das FBIsie anhand der Aufnahmen identifizieren können. Der jungeMann, der ebenfalls aufgenommen wurde, sei Lee HarveyOswald gewesen, wie er hinzufügte.

Der FBI-Agent wollte Mrs. Farrington in den Mund legen,sie habe Lee Oswald noch vor der Szene im Konsulat inMexiko-Stadt gesehen. Sie stritt beharrlich ab, Oswald inMexiko-Stadt begegnet zu sein. Dennoch beharrte der FBI-Agent trotz ihres wiederholten Widerspruchs darauf, sie habeOswald in Mexiko gesehen.

Mrs. Farrington und ihre Cousine, Mrs. Lillian Merilh, diesie ins Mexikanische Konsulat begleitet hatte, wurden spätererneut von demselben und auch von anderen FBI-Agentenvernommen. Diesmal zeigten die Agenten ihnen Fotos vonJack Ruby und behaupteten nun, Ruby sei ebenfalls im Mexi-

kanischen Konsulat in New Orleans gewesen, als Mrs. Far-rington und ihre Cousine dort waren. Sowohl Mrs. Farringtonwie auch Mrs. Merilh erklärten den Agenten, das Foto vonRuby entspräche niemandem, den sie im Konsulat gesehenhätten.

Ich hörte ihre Geschichte von Mort Sahl und Mark Lane,die zu dieser Zeit für uns arbeiteten. Lane nahm auf meineBitte eine Aussage von ihr auf. Er zeigte ihr siebzehn Fotosund fragte sie, ob auf einem davon der junge Mann abgebildetsei, den sie im Konsulat in New Orleans gesehen hätte. Sie er-widerte, zwei Fotos könnten den Mann zeigen. Sie deutete aufein Foto von Lee Oswald - und sie deutete auf eines von KerryThornley, Oswalds Freund aus der Marinezeit in El Toro, derspäter nach New Orleans gezogen war.

Der Farrington-Zwischenfall warf offensichtliche Fragenauf. Warum zum Beispiel versuchte das FBI, eine Zeugin zuder Aussage zu nötigen, sie habe Oswald in Mexiko-Stadt ge-sehen? Und warum gab es kein Bild von Oswald im Konsulat?Die versteckte Kamera hatte anscheinend ein so gutes Fotovon Fenella Farrington gemacht, daß das FBI sie daraufhin in-nerhalb kürzester Zeit identifizieren konnte. Der FBI-Agentsagte, man habe ein Foto des jungen Mannes aufgenommen,der ein Gewehr mit nach Mexiko nehmen wollte, und dieserMann sei Lee Oswald. Doch die Regierung hat dieses Foto nieveröffentlicht. Warum hat sich die Regierung davor gescheut,"falls es wirklich ein Foto von Oswald war?

Doch die Szene im Mexikanischen Konsulat in New Orleanswar nur der erste von mehreren verdächtigen Vorfällen, beidenen ein höchst auffälliger »Lee Oswald« mit einer provo-kanten Tat Aufmerksamkeit erregte.

Ende September 1963 ereignete sich ein weiterer solcherVorfall, diesmal in Dallas. Ein »Leon Oswald« erschien mitzwei Spanisch sprechenden Guerilla-Typen im Haus einer ku-banischen Emigrantin namens Sylvia Odio.17 Einer der beidenrief sie später noch einmal an und sagte, wie verrückt »Leon«sei und daß er den Präsidenten ermorden wolle.

Im folgenden Monat überraschte Mrs. Lovell Penn in Dallasdrei Männer, die auf ihrem Grundstück ostentativ mit einemGewehr schössen, und verjagte sie.18 Später fand sie eine leerePatronenschachtel mit der Aufschrift »Mannlicher-Carcano«-Munition für die uralte und fast unbrauchbare Waffe, mit der,wie die Warren-Kommission später erklären würde, Oswaldseine Fähigkeit als Scharfschütze an der Dealey Plaza unterBeweis gestellt hatte.

Anfang November bewarb sich ein junger Mann, der denNamen »Lee Oswald« benutzte19, um einen Job als Parkwäch-ter des Southland Hotel. Während seines Gesprächs mit demGeschäftsführer fragte er, ob man von dem Gebäude einenguten Blick auf die »Innenstadt von Dallas« habe.

Diese Szenarios waren in etwa so subtil wie Küchenscha-ben, die versuchen, über einen weißen Teppich zu schleichen.Doch der unglaublichste dieser Vorfälle fand an einem Nach-mittag Anfang November 1963 statt.

Ein junger Mann erschien bei der Autohandlung Down-town Lincoln Mercury20 - die zufälligerweise genau gegen-über der Stelle lag, an der bald darauf das Attentat erfolgensollte. Er erklärte seine Absicht, einen Wagen probezufahrenund zu kaufen. Der Verkäufer, Albert Bogard, zeigte ihm einenroten Mercury Comet, und kurz darauf fuhren sie zum Stem-mons Freeway, der Kunde hinter dem Lenkrad. Als sie aufdem Freeway waren, erhöhte er die Geschwindigkeit auf 100bis 120 Stundenkilometer und trat aufs Gas wie Mario An-dretti beim 5oo-Meilen-Rennen in Indianapolis. Auch die eng-sten Kurven nahm er mit hoher Geschwindigkeit. Wie derVerkäufer später seinem Boß erzählte: »Er fuhr wie ein Ver-rückter.«21

Als sie zurückkehrten, schien der Kunde betroffen zu sein,als er hörte, daß er für den nagelneuen Wagen mindestens200 oder 300 Dollar anzahlen müsse. Eugene Wilson, ein an-derer Verkäufer, hörte, wie er sagte: »Vielleicht muß ich nachRußland zurück, um mir einen Wagen kaufen zu können.«22

Dann sagte der Mann zu Bogard, er werde in ein paar Wochen

zurückkommen und den Wagen kaufen, wenn er wieder flüs-sig sei. Er gab »Lee Oswald« als Namen an, und Bogardschrieb ihn auf die Rückseite einer Visitenkarte. Mehrere Wo-chen später hörte Bogard im Radio, Oswald sei verhaftet wor-den. Er zerriß die »Oswald«-Karte und warf sie weg. »Derwird keinen Wagen mehr brauchen«, sagte er.23

Bogard erinnerte sich besser an die Geschwindigkeit derProbefahrt als an das Aussehen des Käufers. Seine Aussagelautete: »Es ist die reine Wahrheit, ich habe schon vergessen,wie er aussah. Ich identifizierte ihn auf Bildern, aber ich erin-nere mich nicht mehr daran, wie er an diesem Tag aussah.«24

Frank Pizzo, der Besitzer der Firma, konnte sich wesent-lich besser erinnern.25 Nachdem Albert Jenner, Rechtsberaterder Warren-Kommission, ihm erfolglos einige Oswald-Fotosmit anderen Männern vorgelegt hatte, zeigte er ihm schließ-lich ein Foto von Oswald, das am 22. November nach seinerVerhaftung aufgenommen worden war.26 Es schloß sich fol-gender Dialog an:

»MR. PIZZO: Er hat [sie] bestimmt nicht die Frisur, die ichbeschrieben habe...

MR. JENNER: Dieses Foto wurde am Nachmittag des 22.November bei der Gegenüberstellung der Dallas City Policeaufgenommen.

[Beratendes Gespräch unter vier Augen][Beratendes Gespräch zwischen Rechtsberater Jenner,

Rechtsberater Davis und dem Zeugen Mr. Pizzo]MR. JENNER: Für die Akten. Sie erinnern sich, daß er so

mehr oder weniger um einen Meter siebzig groß war?MR. PIZZO: Zwischen einssiebzig und einsfünfundsiebzig.

Am besten erinnere ich mich an die runde Stirn und dieseV-Frisur.

MR. JENNER: Ein in der Mitte der Stirn spitz zulaufenderHaaransatz?

MR. PIZZO: Ja, aber sehr schwach.MR. JENNER: Sehr schwach?

; MR. PIZZO: Sehr schwach - nicht die buschige Frisur; die

ich auf dem Foto sehe. Na ja, ich bin mir nicht sicher... Aberwenn ich mich eindeutig äußern muß, würde ich sagen, daßer es nicht ist.«

Das zu der Wahrscheinlichkeit, daß Oswald die wilde Pro-befahrt selbst durchgeführt hat. Oswald war einen Meterachtzig groß.

Eugene Wilson, der bereits erwähnte Verkäufer, stimmtenicht einmal mit Frank Pizzos Erinnerung an die Größe desjungen Mannes überein. Wilson sagte, der junge Rennfahrersei ein ganzes Stück kleiner »als zwischen einssiebzig undeinsfünfundsiebzig« gewesen. Wilson, der etwa einsfünfund-siebzig groß war, sagte aus, der Mann, der sich Oswaldnannte, sei »nur etwa einsfünfundfünfzig groß gewesen«.

Während die Kommission Frank Pizzos genaue Aussageeinfach überging, legte sie Eugene Wilsons Aussage anfangsüberhaupt nicht vor.27 Dementsprechend ist Wilson im Indexder Anhörungen gar nicht aufgeführt. Gerade als der Berichtder Kommission in Druck gehen sollte, wurde Wilson angeb-lich zufällig entdeckt. Das verspätete Gespräch mit Wilson,der mittlerweile für eine andere Mercury-Niederlassung ar-beitete, machte dem gesprächsführenden FBI-Agenten ein-deutig zu schaffen. Es eliminierte nicht nur die Möglichkeit,daß Oswald der junge Kunde war, sondern unterstrich gleich-zeitig die Wahrscheinlichkeit, daß ein anderer Oswalds Namenverwendet hatte. Der FBI-Bericht unterstrich, daß Wilsonein Problem mit den Augen hatte; er litt an grünem Star. Docher verkaufte noch immer Autos, und man kann wohl davonausgehen, daß er abschätzen konnte, ob ein anderer Mannein gutes Stück kleiner war als er.

Die Kommission erklärte leichthin, sie habe den Zwischen-fall bei dem Mercury-Händler in der Innenstadt sorgfältig un-tersucht, »weil er die Möglichkeit andeutet, daß Oswald eingeübter Autofahrer war und im November 1963 vielleicht Gelderwartete, mit dem er einen Wagen kaufen wollte«28. Wesent-lich aufschlußreicher und relevanter wäre gewesen, wenn dieKommission behauptet hätte, sie hätte den Zwischenfall sorg-

faltig untersucht, weil er darauf hindeute, Oswald sei anschei-nend beträchtlich geschrumpft.

All diese auffälligen Auftritte - vom Mexikanischen Konsu-lat in New Orleans bis zur Lincoln-Mercury-Autohandlung inDallas - bestätigten meinen ursprünglichen Verdacht, daß je-mand als Oswald agiert hatte. Und nun war der Grund offen-sichtlich: Vor dem Attentat auf den Präsidenten war sorgfältigeine Spur falscher, belastender Indizien gelegt worden, diezum Sündenbock Oswald führte. Gleichzeitig war der richtigeOswald von seinen Geheimdienst-Babysittern manipuliertworden. De Mohrenschildt hatte ihn überredet, nach Dallas zuziehen, dann war Oswald nach New Orleans und unter dieObhut Guy Banisters gelockt worden. Als Oswald nach Dallaszurückkehrte, stellten andere führende Hände sicher, daß ersich zur richtigen Zeit am richtigen Ort befand. Ruth Painewar diejenige, die ihm den Job beim Schulbuch-Ausliefe-rungslager besorgte, und als man im Haus der Paines anrief,um ihm einen besseren Job auf dem Flughafen anzubieten29,erfuhr Oswald nie davon. Dementsprechend arbeitete er amTag des Attentats noch immer in dem Lager an der Elm Street,jener schicksalhaften Seitenstraße, die die Wagenkolonne desPräsidenten an jenem Morgen entlangfuhr.

Ich wunderte mich immer mehr über die sich häufendenSpuren für die Manipulation Oswalds. Er erinnerte an einenBauern auf dem Schachbrett, der dorthin ging, wo man ihnhaben wollte, und schließlich dort endete, wohin man ihn ge-stellt hatte. Wann hatten die Manipulationen begonnen? Gabes noch frühere Spuren? Ich mußte an die Marinebasis El Toroin Kalifornien denken, an die Zeit vor Oswalds Reise in die So-wjetunion. Ich dachte an Kerry Thornley - an den Marine,dessen Aussage über Oswald sich so sehr von denen der ande-ren unterschied.

Ich las mir Thornleys Aussage30 im elften Band der Anhö-rungen noch einmal durch - sämtliche dreiunddreißig Seiten.Die meisten Aussagen der Marines, die Oswald gekannt hat-ten, waren auf etwa je eine halbe Seite gekürzt worden, doch

Thornley hatte länger als die meisten anderen Zeugen der ge-samten Untersuchung im Zeugenstand gesessen.

Ich ließ meinen Stab Erkundigungen über ihn einziehen31

und erfuhr zu meiner Überraschung, daß Thornley, der 1959mit Oswald bei den Marines gewesen war, schon 1961 nachNew Orleans gegangen war. Bei der üblichen Überprüfung derPolizeiakten32 fanden wir heraus, daß er sich auch 1962 inNew Orleans aufgehalten hatte. Er war im August verhaftetworden, weil er im French Quarter, in der Royal Street, einPlakat an einen Telefonmast geklebt hatte, was einen Verstoßgegen die Stadtverordnung darstellte. Wir trieben die Polizi-sten auf, die die Verhaftung vorgenommen hatten. Als wir siebefragten, konnten sie sich jedoch nicht mehr erinnern, umwas für ein Plakat es sich dabei gehandelt hatte.

Aus seiner eigenen Aussage - und auch aus Zeugenaussa-gen von Barbara Reid und einer Reihe anderer - erfuhren wir,daß Thornley 1963 ebenfalls in New Orleans gewesen war unddie Stadt ein paar Tage nach dem Mord an Kennedy verlassenhatte. Barbara Reid, eine langjährige Bewohnerin des FrenchQuarter, die sowohl Thornley als auch Oswald gekannt hatte,sagte aus, sie mehrmals zusammen gesehen zu haben, unteranderem auch Anfang September 1963 im Bourbon House,einem Restaurant mit Bar im French Quarter. Thornley, dersein Haar normalerweise extrem lang trug, war gerade voneiner Reise zurückgekehrt. Diesmal trug er das Haar unge-wöhnlich kurz und gelockt, was Oswalds Frisur entsprach. DieReid erinnerte sich, zu ihnen gesagt zu haben: »Wen wollt ihrdarstellen, Jungs? Die Gold-Dust-Zwillinge?«

Wir wollten uns unbedingt mit Kerry Thornley unterhal-ten, doch er ließ sich nur schwer ausfindig machen. Wir hat-ten jede Menge Laufereien und brauchten über ein Jahr dazu.Ermittler hörten sich überall im French Quarter um, bis wirherausfanden, wo er sich hauptsächlich aufgehalten hatte -in Ryder's Coffee House. Abgesehen von gelegentlichen Be-suchen des Bourbon House auf der Royal und Bourbon Streetging Thornley nur selten aus.

Ryder's Coffee House war klein, schummrig und alles an-dere als anziehend gewesen. Man fragte sich, wie so ein klei-ner Laden, in dem hauptsächlich Kaffee getrunken wurde,überleben konnte. Doch die Mieten in der Vieux Carre warenniedrig, und offenbar hatte der Umsatz an Bier und Wein dasCafe über Wasser gehalten. Thornley unterhielt sich.gern, undRyder's war ein Ort, wo sich junge Leute trafen, um zu quat-schen. Als Ryder's schloß, wechselten die Stammkunden ein-fach in benachbarte Cafes.

Wir griffen auf unsere umgänglichsten Ermittler zurückund ließen sie sich in ein paar Bars umhören, die in der Nähedes alten Ryder's aufgemacht hatten. Eine Menge Gästekannte Thornley. Wenn unsere Ermittler jemanden fanden,der bereit war, uns zu helfen, brachten sie die Person zu mir,und wir unterhielten uns zwanglos. Es ging alles sehr locker,entspannt - und überaus produktiv zu. Obwohl Thornley an-scheinend keine engeren Beziehungen eingehen wollte, hatteer ein ungewöhnliches Talent dafür, weitläufige Zufallsbe-kanntschaften einzugehen. Überdies war Thornley, der ziem-lich oft umzog, eine Rarität des zwanzigsten Jahrhunderts:ein hingebungsvoller Briefeschreiber. Von seinen Freundenbekamen wir hier einen Brief, dort eine Postkarte - die Ab-senderadressen wechselten ziemlich häufig.

Doch hauptsächlich stammten sie aus drei Städten: At-lanta, Los Angeles und Tampa in Florida. Es war Anfang 1968,und unser Fall lag sehr weit zurück. Ich ließ ihm eine Vorla-dung zustellen, und ein paar Wochen später hatten wir KerryThornley im Criminal District Court Building in New Orleans.

Ich sprach kurz mit ihm. Er war recht freundlich, sogarwortgewandt. Er sagte, er sei im Februar 1961 in New Orleanseingetroffen - dem Monat nach dem Zwischenfall mit demFord-Händler Bolton - und habe dann bis Ende November1963, ein paar Tage nach dem Attentat, in New Orleans ge-wohnt. Er wußte keinen besonderen Grund anzuführen,warum er ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt die Zelte hier ab-gebrochen hatte; er sei der Auffassung gewesen, es sei an der

Zeit. Er gestand zwar überraschend bereitwillig ein, sowohlGuy Banister als auch David Ferrie in New Orleans kennenge-lernt zu haben, bezeichnete ihre Begegnungen aber als kurz.Er stritt ab, Oswald in New Orleans begegnet zu sein.

Ich hatte erfahren, daß praktisch alle jungen Männer, diemit Guy Banisters Operation zu tun hatten - und bei den mei-sten von ihnen schien es sich um Geheimdienstangestellte zuhandeln -, einen Schlüssel für ein Postfach im Postamt am La-fayette Square besessen hatten. Ich habe zwar nie heraus-gefunden, worum es dabei genau ging, doch wahrscheinlichempfingen sie über das Postfach die Anweisungen ihrer Füh-rungsoffiziere oder hatten zumindest eine Erklärung für ihregelegentliche Anwesenheit in dem Gebäude, in dem sich dasOffice of Naval Intelligence befand. Ich fischte im trüben, alsich Thornley fragte, ob er, als er in New Orleans wohnte, einenSchlüssel für ein Schließfach im Postamt Lafayette Square ge-habt habe. Er erwiderte, er hätte einen solchen Schlüssel ge-habt, denn er habe genau gegenüber im Fox Hotel gewohnt,und es sei sehr bequem für ihn gewesen, sich seine Post ansPostamt schicken zu lassen.

Ich runzelte schon überrascht die Stirn, als ich erfuhr, daßThornley nach seiner Ankunft in der Stadt im Februar 1961direkt ins Herz der Geheimdienstwelt gezogen war. Dochmeine Brauen hoben sich noch ein Stück, als ich erfuhr, daßer während der Zeit, in der er in New Orleans gewohnt hatte,einen Roman verfaßt hatte, der von Lee Oswald »inspiriert«worden sei. (Er beendete das Buch im Februar 1963 - genauneun Monate vor dem Attentat.) Nicht viele Menschen wurdenvon Lee Oswald zu Büchern inspiriert - zumindest nicht vordem Mord an Präsident Kennedy.

Ich hatte unter anderem ein Interesse für Thornley entwik-kelt, weil ich vermutete, er könne der Mann gewesen sein, derim Januar 1961 bei der Bolton Ford Company den Namen »Os-wald« verwendet hatte. Er war einer der wenigen BekanntenLee Oswalds, die sich zu dieser Zeit in New Orleans aufhieltenund wußten, daß Oswald in Rußland war. Darüber hinaus wa-

ren sich die beiden verblüffend ähnlich. Sie hatten in etwa diegleiche Größe, die hagere Statur, braunes Haar und ähnlicheGesichtszüge.

Ich erinnerte mich an Thornleys Aussage über ihre jewei-lige Größe. Albert Jenner, Rechtsberater der Warren-Kommis-sion, hatte gefragt, wie groß Lee Oswald war.33 Hier das nach-folgende Gespräch:

»MR. THORNLEY: Ich würde sagen, er war etwa einsfünf-undsechzig. Ich weiß es nicht.

MR. JENNER: Wie groß sind Sie?MR. THORNLEY: Ich bin einsfünfundsiebzig.MR. JENNER: War er kleiner als Sie?MR. THORNLEY: Ja.«Aber Oswald war der größere der beiden gewesen! Warum

hatte Thornley seinen Freund Lee also fünfzehn Zentimeterkleiner gemacht, als er in Wirklichkeit war? Hatte Thornleyvielleicht Angst, jemand könne glauben, er sei der junge Manngewesen, der Anfang der sechziger Jahre in Lee OswaldsRolle geschlüpft war..., bei der Firma Bolton Ford in NewOrleans..., dann in Dallas..., dann in New Orleans..., dann inMexiko..., und dann wieder in Dallas?

Während meines kurzen Gesprächs mit Thornley er-wähnte ich seine Aussage nicht, Oswald sei viel kleiner als ergewesen; das wollte ich mir für das Schwurgericht aufsparen.Statt dessen befragte ich Thornley über seine Reisen im Jahr1963. Er sagte, im Spätfrühling, etwa Anfang Mai, sei er mitdem Bus zu seinen Eltern nach Kalifornien gefahren. Ichfragte ihn, ob der Bus in Dallas angehalten habe, und er be-jahte. Er gestand ein, Dallas bei dieser Gelegenheit kurz be-sucht zu haben. Etwa zu dieser Zeit trat das Schwurgerichtzusammen, und so gingen wir hinein, und Thornley sagtemehrere Stunden lang aus.

Im nachhinein kam mir der Zeitpunkt von Thornleys Reisenach Dallas seltsam vor, wenngleich ich während unseres Ge-sprächs nichts dazu sagte. Die Oswalds waren Ende April ge-

rade von ihrer Wohnung in der Neely Street in Dallas nachNew Orleans gezogen34, wobei sie sogar einen Teil der im vor-aus bezahlten Miete verfallen ließen. Dementsprechend hattedie Wohnung der Oswalds ein paar Tage lang leergestanden.Wenn man ihre jeweiligen Fahrpläne betrachtete, mußten Os-wald und Thornley auf der Autobahn aneinander vorbeige-fahren sein, jeder in seinem jeweiligen Bus in die andere Rich-tung.

Ich wußte auch, daß zu irgendeinem unbekannten Zeit-punkt - anscheinend, als Oswald nicht dort gewesen war - einjunger Mann von Oswalds Statur im Hinterhof der Wohnungin der Neely Street mit einer Pistole an der Hüfte für mehrereFotos posiert hatte. Auf einem Bild hielt er ein Gewehr undeine Ausgabe der kommunistischen Zeitung The Daily Workerhoch, auf dem zweiten ein Gewehr und eine Ausgabe von TheMilitant, einer ebenfalls linken Zeitung.

Diese belastenden Fotos, die angeblich Oswald darstellensollten, waren in Ruth Paines Garage in Irving gefunden wor-den, wo sie sie offenbar für ihn aufbewahrt hatte. Als am 21.Februar 1964 eines der Fotos mit explosiver Wirkung aufdem Titelbild der Zeitschrift Life erschien, kamen einigeMenschen zu dem Schluß, der Fall Lee Oswald sei eindeutig.Doch für die meisten Menschen mit gesundem Menschenver-stand, darunter auch für mich, warfen das geschwungeneGewehr und die kommunistische Zeitung mehr Fragen auf,als sie beantworteten.

Auf den ersten Blick schien es sich um Fotos von Lee Os-wald zu handeln. Doch genaue Untersuchungen ergaben, daßOswalds Gesicht auf beiden Fotos nicht genau zu Hals undKörper paßte. Überdies handelte es sich bei beiden Fotos umdas gleiche Gesichtsporträt Oswalds, während Haltung undEntfernung des Körpers zur Kamera unterschiedlich waren.Darüber hinaus war, wenn man die Länge von Oswalds Ge-sicht als Größenmaßstab nahm, einer der Männer auf einemBild eindeutig größer als der andere Mann auf dem zweitenBild.35

Es widersprach natürlich völlig der menschlichen Natur,daß der echte Oswald vor dem Attentat mit einem Gewehr inder Hand posierte. In den Annalen der Attentate ist es sehrselten - wenn nicht sogar noch nie dagewesen -, daß einzukünftiger Attentäter im voraus dermaßen belastendes Be-weismaterial gegen sich selbst ansammelt. Offenbar handeltees sich dabei um einen weiteren Bestandteil des Versuchs,einen Sündenbock zu präparieren.

Thornley hatte mir gesagt, er sei nach dem dort verbrach-ten Sommer über Mexiko-Stadt nach Kalifornien zurückge-kehrt. Er muß sich fast genau zu dem Zeitpunkt dort aufgehal-ten haben, von dem die Warren-Kommission behauptete,Oswald habe sich in Mexiko aufgehalten. Seiner eigenen Aus-sage zufolge wohnte Thornley im November 1963 wieder inNew Orleans, in einer Wohnung, die er von einem gewissenJohn Spencer gemietet hatte.

Wir machten Spencer ausfindig, und er erwies sich alsFreund von Clay Shaw. Wie er es beschrieb36, besuchte Spen-cer gelegentlich Shaw, den Direktor des International TradeMärt, und gelegentlich besuchte Shaw ihn. Spencer sagte je-doch aus, Shaw sei nie vorbeigekommen, als Thornley bei ihmwohnte.

Einige Tage nach dem Attentat, sagte Spencer aus, seiThornley ausgezogen. Spencer habe einen Zettel von Thorn-ley in seinem Briefkasten gefunden: »Ich muß weg. Ich ziehein den Großraum Washington, D.G., wahrscheinlich nachAlexandria, Virginia. Ich schicke Ihnen meine Adresse, damitSie mir die Post nachsenden können.« Spencer sagte, Thorn-ley sei ziemlich überraschend ausgezogen, da er noch fürmindestens eine Woche die Miete bezahlt hatte. Er ging inThornleys Wohnung (Nummer »C«) und stellte dort fest, daßauf dem gesamten Fußboden Papier lag, wie Konfetti in kleineFetzen zerrissen. Bevor das Papier zerrissen wurde, war esjedoch naß geworden, so daß die Schrift verschwommen undunlesbar war.

Spencer sagte, er habe sich gelegentlich mit Thornley über

dessen Roman The Idle Warriors (»Die untätigen Krieger«)unterhalten, und Thornley habe ihn gebeten, eine Kopie desManuskripts zu lesen, das vor dem Attentat mehrere Verlageabgelehnt hatten. Spencer war jedoch nie dazu gekommen.Nach dem Attentat sagte Thornley zu Spencer, er sei ein ge-machter Mann, weil Oswald zufällig das Thema seines Ro-mans gewesen sei.

Später schickte ich Andrew Sciambra nach Washington,wo er Thornleys Spur aufnahm. Thornley war in Arlington ge-landet, einem Washingtoner Vorort, und ins ShirlingtonHouse gezogen, einem erstklassigen Apartmenthaus, in demer als Portier arbeitete. Thornley blieb sechs Monate im Shir-lington House, bis er dann vor der Warren-Kommission aus-sagte. Seltsamerweise war sein Gehalt niedriger als die Mieteseiner Wohnung im Shirlington House.

Als ich Mitte der siebziger Jahre in einer Privatkanzleipraktizierte, schickte mir Thornley eine lange, fast biographi-sche, fünfzig Seiten umfassende Aussage37, in der er unteranderem ausführte, er sei in New Orleans auf Beweise über»Nazi-Aktivitäten« im Zusammenhang mit der ErmordungKennedys gestoßen. Offensichtlich wollte Thornley, obwohlich damals nicht mehr Bezirksstaatsanwalt war, mich dahin-gehend beruhigen, daß er nichts, aber auch gar nichts mitdem Kennedy-Attentat zu tun gehabt hatte.

Obwohl die Aussage, wie ich sie in Erinnerung habe, nichtmit der Wirklichkeit übereinstimmte, hatte sie einen interes-santen Aspekt: Unaufgefordert erwähnte Thornley, daß ernach seiner Aussage vor der Warren-Kommission Washing-ton verließ und schließlich nach Kalifornien zurückkehrte, woer sich mit John Rosselli anfreundete. Die Aussage wurde mirzugeschickt, bevor Rossellis Name 1975 im Zusammenhangmit der Ermittlung des Senats über die Attentatspraktiken derCIA bekannt wurde. Wie sich herausstellte, gehörte Rosselli zuden Kreisen des organisierten Verbrechens, zu denen dieAgency während ihrer Prä-Castro-Aktivitäten in Kuba eineBeziehung hergestellt hatte.38

Nach der kubanischen Revolution erhielt Rosselli von derAgency den Auftrag39, Fidel Castro zu ermorden. Zu diesemZweck stellte die CIA ihm vergiftete Pillen, Sprengstoff, Ge-wehre und Pistolen zur Verfügung. Doch er schien in Kubanicht voranzukommen. Die gemeinsamen Bemühungen Ros-sellis und der CIA endeten Mitte Februar 1963, anscheinend,weil »die Umstände nicht die richtigen« waren. Doch Rosselliwar nicht so verschwiegen über seine Mission, wie es derAgency gefallen hätte: Als er vor einem Untersuchungsaus-schuß des Senats über Attentatsversuche der CIA erschien40,sagte er aus, er habe die ganze Zeit über gewußt, sein Mord-auftrag sei von der Agency finanziert worden.

Kurz darauf wurden Mr. Rossellis Überreste41 - zerhacktund in Stücke geschnitten - in einem Ölfaß gefunden, das ander Küste Floridas in der Dumfounding Bay trieb. Bundes-ermittler konnten die Täter nicht ausfindig machen. Dies hin-derte das Justizministerium allerdings nicht an der Behaup-tung, es handele sich um einen Mord des organisiertenVerbrechens. Die CIA schloß sich dieser Auffassung an. DenBundesbehörden schien nicht in den Sinn zu kommen, daßdas organisierte Verbrechen über Rossellis Eingeständnis, erhabe die Attentatsversuche im Auftrag der CIA unternom-men, gar nicht so unglücklich gewesen wäre.42

Ob der Mord an John Rosselli nun eine altmodische Insze-nierung des organisierten Verbrechens oder ein kluges Bei-spiel dessen war, was die Agency »Schadensbegrenzung«nennt - es ist klar, daß Kerry Thornley, als er Rosselli Mitteder sechziger Jahre kennenlernte, sich kaum mit einem ame-rikanischen Durchschnittsbürger angefreundet hat.

Selbst nach Kerry Thornleys Auftritt vor dem Schwurge-richt blieben die seltsamen Überschneidungen zwischen sei-nem und Lee Oswalds Leben rätselhaft. War Thornley Agenteines Geheimdienstes? Hatte er als Oswald agiert oder anderedazu angestiftet? Wußte er mehr, als er sagte? Ende der sech-ziger Jahre kannte ich die Antworten noch nicht. Und dieganze bizarre Geschichte Thornleys wurde noch rätselhafter,

als wir später auf einen Brief stießen43, den er im Februar1964, ein paar Monate nach seiner Ankunft in Washington,an einen Freund in Omaha, Nebraska, geschrieben hatte.Thornley bezog sich darin kurz auf die Ermordung PräsidentKennedys:

»Die ganze Sache, das Attentat, war eine Weile sehr inter-essant, da - an der Oberfläche - der nichtsahnende SS [SecretService] und das FBI guten Grund zu der Annahme hatten, ichwäre daran beteiligt. Wir unterhielten uns mehrmals höflich,und schließlich erwies sich wohl meine Unschuld. Ich habe inletzter Zeit nichts mehr von ihnen gehört. Ich hoffe jedoch,daß mein Umzug in diese Gegend ihnen Höllenangst gemachthat. Ich weiß noch nicht, ob sie mich bitten werden, meinenSpruch bei der Warren-Anhörung aufzusagen, aber mir ist esauch wurscht. Wenn alles vorbei ist, pisse ich vielleicht dochnoch auf Kennedys Grab, möge er in Frieden ruhen.«

6. PERFEKTE TARNUNG

»He, Mann«, sagte Dean Andrews zu mir. Er war ein pum-meliger Anwalt, der einen »selbstgemachten« Hippie-Slangsprach. »Wir sind Freunde, seit wir zusammen Jura studierthaben. Warum behandelst du mich, als hätte ich Lepra?«

»Weil du mich immer noch anschwindelst, Dean. Du hastder Warren-Kommission gestanden1, du wärst am Tag nachdem Attentat - als du als Patient im Krankenhaus Hotel Dieugelegen hast - ans Telefon gerufen und gebeten worden, LeeOswalds Verteidigung zu übernehmen. Als die Warren-Kom-mission dich nach dem Namen des Anrufers fragte, sagtestdu, er habe >Clay Bertrand< gelautet.«

»Das stimmt«, sagte er.»Und wenn ich dir jetzt sage, daß ich wissen will, wer Clay

Bertrand ist, sagst du mir, er sei ein Klient von dir, aber duwüßtest wirklich nicht, wie er aussieht, weil du ihn nie gese-hen hast.«

»Großes Pfadfinderehrenwort, Mann.«»Das reicht vielleicht der Warren-Kommission, aber mir

reicht es nicht«, erwiderte ich.Das aufgequollene, ovale Gesicht mir gegenüber nahm ei-

nen Ausdruck verletzten Stolzes an. Zumindest der Teil, denman sehen konnte. Ein großer Teil des Gesichts wurde von ei-ner großen Sonnenbrille mit Spiegelglas verborgen. Er trugdie Sonnenbrille ständig, ob nun die Sonne schien oder ob esbewölkt war, drinnen und draußen. Ich glaube, er schlief auchmit ihr.

Nachdem ich mir Andrews' Aussage vor der Warren-Kom-mission2 einige Abende lang durchgelesen hatte, hatte ich ihn

zum Mittagessen in Broussard's Restaurant eingeladen. Eswar Anfang 1967, als ich noch frustriert nach Kerry Thornleysuchte. Aufgrund von Andrews' Aussage vor der Warren-Kom-mission hoffte ich jedoch, daß er uns zu einem noch wichtige-ren Zeugen führen konnte.

Broussard's war eines der älteren Restaurants im FrenchQuarter. Die untere Hälfte der uns umgebenden Wände be-stand aus gemasertem Marmor, die obere aus Spiegelglas. DieWände waren fast ein Jahrhundert alt, und abgesehen vomregelmäßigen Polieren der Spiegel hatte sich hier nie etwasgeändert. Es war eins der ruhigsten Restaurants im FrenchQuarter, der ideale Ort, um sich ungestört mit jemandem zuunterhalten. Es war ein Mittagessen, an das ich mich nochlebhaft erinnere.

Bei meiner Lektüre hatte ich erfahren, daß Andrews beiseinem ersten Verhör durch das FBI kurz nach dem Attentat3

Clay Bertrand - den Anrufer aus New Orleans - als einenetwa einen Meter fünfundachtzig großen Mann beschriebenhatte. Des weiteren hatte er ausgesagt, Bertrand habe ihn vonZeit zu Zeit angerufen und gebeten, jungen Freunden zu helfen,die geringfügig gegen das Gesetz verstoßen hatten. Dann -später noch ausführlicher - erklärte er, im Sommer 1963, alsLee Oswald in New Orleans gewohnt hatte, habe Bertrand ihnangerufen und gebeten, Oswald bei einigen Problemen bezüg-lich der Einbürgerung seiner Frau Marina zu helfen.4 Oswaldhatte sich danach mehrmals mit Andrews in dessen Büro ge-troffen.

Eines hatte ich bereits begriffen: Je bewußter Andrewswurde, daß der Anruf, er möge Lee Oswald verteidigen, einemögliche Gefahr für ihn darstellte, desto nebelhafter wurde inseinem Verstand die Erinnerung an Clay Bertrand. Vom Juli1964 - als Andrews vor der Warren-Kommission erschien -bis heute war Bertrands Größe schon von einem Meter fünf-undachtzig auf einen Meter siebzig geschrumpft.5

Offenbar als Reaktion auf den leichten Druck, den die FBI-Agenten auf ihn ausübten, hatte Andrews gesagt: »Schreibt,

was ihr wollt, meinetwegen auch, daß ich verrückt bin. Es istmir egal.«6 Die Agenten hatten dementsprechend in ihremAbschlußbericht festgehalten, Andrews sei zu dem Schluß ge-kommen, Bertrands Anruf sei ein »Produkt seiner Phantasie«.Das ermöglichte dem FBI nicht nur, die Ermittlungen über An-drews abzuschließen, sondern stimmte auch mit der publi-zierten Schlußfolgerung überein, Lee Oswald habe das Atten-tat auf Kennedy allein und ohne Hilfe durchgeführt.

Ich kannte Andrews gut und schon recht lange. Wir hattenzur gleichen Zeit in Tulane Jura studiert, wenn auch nicht imgleichen Semester. Seine Kanzlei hatte sich auf Amtsgerichts-sachen spezialisiert, und einen Großteil seiner Aufträgeschien er aufgrund regelmäßiger Anwesenheit in den wenigerrespektablen Bars der Stadt zu bekommen.

Nachdem ich seine Erklärungen und die nachfolgendeAussage gelesen hatte, war mir klar, daß Andrews in der Tatvon jemandem in New Orleans einen Anruf erhalten hatte, ersolle nach Dallas fliegen und Oswalds Verteidigung überneh-men. Und dieser Anruf war am Tag nach dem Attentat erfolgt.

Andrews beugte sich plötzlich vor und sah mich durchseine Sonnenbrille an. »Zieh dir mal die Schnalle in Rot rein«,sagte er leise.

»Was?«Ich sah in die Richtung, in die er deutete, und erspähte eine

grazile junge Dame in strahlendem Purpurrot. ZahlreicheKöpfe drehten sich nach ihr um, als sie mit ihrem Begleiterdas Restaurant betrat. »Sie ist hübsch«, sagte ich und wandtemich wieder Andrews zu. Seine gelassene Art, mit der erdurch die Realität zu gleiten schien wie eine Ente durchs Was-ser, regte mich allmählich auf. Ich versuchte nun seit einerhalben Stunde, ihn in die Enge zu treiben. Er hatte seinenzweiten Martini schon fast ausgetrunken, wirkte jedoch nochvöllig nüchtern.

»Könnten wir zur Sache kommen? Wer ist dieser Clay Ber-trand? Wo finde ich ihn? Ich will mit ihm sprechen.«

Andrews breitete mit übertriebener Frustration die Arme

aus. »Großer Gott«, sagte er, »du bist schlimmer als die Fee-bees.7 Wie kann ich dich überzeugen, daß ich den Burschennicht kenne; daß ich weder weiß, wie er aussieht, noch, woer ist? Ich weiß nur, daß er mir manchmal Fälle zuschustert.Eines Tages war Bertrand also am Telefon und sagte mir, ichsolle nach Dallas und Oswald vertreten.« Er legte eine Handauf sein Herz. »Bei meiner Pfadfinderehre, Mann. Mehr weißich nicht über den Burschen.«

Andrews widmete sich wieder mit Appetit seinem Krab-benfleisch ä la Louie. Anscheinend war er der Meinung, erhabe mir die Antwort gegeben, und damit sei die Sache erle-digt.

Zum erstenmal kam mir in den Sinn, daß mir ein Mann ge-genübersaß, der bislang alles im Leben cum grano salis ge-handhabt hatte. Oder vielleicht, dachte ich, zumindest bis zudiesem Augenblick.

Als er eine weitere Gabel voll Louie-Krabbenfleisch zumMund hob, ergriff ich die dicke Hand mitsamt der Gabel. DieSonnenbrille drehte sich in meine Richtung. Das Krabben-fleisch verharrte mitten in der Luft.

»Dean«, sagte ich, »ich glaube, wir reden aneinander vor-bei. Jetzt laß das verdammte Krabbenfleisch einen Augen-blick liegen und hör mir zu.«

Ich konnte nicht durch die Brille sehen, doch ich wußte,daß ich seine Beachtung fand. »Ich bin mir unserer langenFreundschaft bewußt«, sagte ich, »aber ich werde dich vor dieGrand Jury bringen. Wenn du vor den Geschworenen so lügst,wie du mich belogen hast, klage ich dich wegen Meineids an.Kann ich jetzt mit dir reden?«

Andrews legte die Gabel hin. Er schwieg eine geraumeWeile, offenbar traurig darüber, daß sein seltsamer Humorkeine Wirkung gezeigt hatte. Dann sprach er, und zum ersten-mal schien er es ernst zu meinen - zumindest, soweit man dassagen konnte, da ich ja wegen der Sonnenbrille seine Augennicht sehen konnte. »Bleibt das unter uns, Daddyo?« fragte er. Ich nickte. »In

diesem Fall«, fuhr er fort, »will ich es dir mal eben kurz erklä-ren. Es ist ganz einfach. Wenn ich die Frage beantworte, diedu mir immer wieder stellst, wenn ich den Namen nenne, dendu haben willst, dann heißt es für mich: Leben Sie wohl, DeanAndrews. Gute Reise, Deano. Ich meine für immer. Ich meineeine Kugel in meinen Kopf, die es einem beträchtlich er-schwert, als Anwalt zu arbeiten, wenn du verstehst, woraufich hinauswill. Hilft dir das, mein Problem etwas klarer zusehen?«

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie blaue Flammen em-porzüngelten. Ich sah zum Nachbartisch. Dort hatte ein Pär-chen Crepes Suzette bestellt, und der Kellner hatte gerade denCointreau angezündet. Er beugte sich feierlich über den flam-bierten Nachtisch.

Ich beugte mich vor. »Hör genau zu«, sagte ich mit Nach-druck. »Entweder packst du vor den Geschworenen den wirk-lichen Namen des Burschen aus, der dich wegen Lee OswaldsVerteidigung angerufen hat, oder dein dicker Arsch wandertin den Knast. Hast du das kapiert?«

Andrews erstarrte. Ich konnte zwar nicht durch die Bril-lengläser sehen, doch ich spürte, daß er erschüttert war. Dannerhob er sich so schnell, daß ich zusammenfuhr. »Hast dueine Ahnung, in was du mich da reinziehen willst, Mann?«fragte er. »Willst du dich mit der Regierung anlegen? Willst dudas? Na schön. Aber du wirst einen Tritt in den Arsch kriegen,und zwar einen gewaltigen.« Er ließ seine rosa Serviette aufdas Louie-Krabbenfleisch fallen. »Danke für die Einladung«,murmelte er. »Das Essen war ausgezeichnet.«

Er drehte sich um und ging davon. Als er das Restaurantbetreten hatte, war er zur Tür hereingetänzelt und hatte zu ei-ner imaginären Melodie mit den Fingern geschnippt. Als er eswieder verließ und ich hinter ihm herschaute, begriff ich, daßer mich endlich verstanden hatte. Er tänzelte nicht mehr.

Die Suche meiner Behörde nach »Clay Bertrand« begann miteinem Gespräch meiner kleinen Gruppe über die Frage, wie

Andrews — wie aus den Bänden der Warren-Kommission er-sichtlich war - einer klaren Beschreibung des Mannes ausge-wichen war. Wir kamen zur allgemeinen Übereinstimmung,daß die Bars im French Quarter ein fruchtbares Feld für Nach-forschungen sein könnten, da wir von Andrews wußten, daßer sich häufig dort aufhielt. Es war klar, daß Andrews denMann kannte, der ihn angerufen hatte; vielleicht hatten siesich in einer jener Bars kennengelernt, die wir überprüfenwollten.

Mittlerweile gehörte auch Andrew Sciambra unserer klei-nen Sondereinheit an. Sciambra war im Sechsten Bezirk auf-gewachsen und hatte einen Großteil seines Lebens dort ver-bracht. Ein großer Teil des French Quarter, in dem sich auchdie Bars befanden, in denen Andrews Stammgast war, ge-hörte ebenfalls zum Sechsten Bezirk. Im Lauf der Jahre hatteSciambra den einen oder anderen Besitzer oder Kellner die-ser Bars kennengelernt.

Um es unseren Leuten in den Bars einfacher zu machen,da die Hüter des Gesetzes dort nicht immer begeistert will-kommen geheißen wurden, sollte Sciambra - und in einigenFällen Freunde und Bekannte von ihm - zunächst Kontakt mitden Barbesitzern des Viertels aufnehmen. Danach bildetenwir Teams aus je einem Stellvertretenden Staatsanwalt und ei-nem Ermittler (um die große Anzahl der Bars abdecken zukönnen, griffen wir hierbei großzügig auf unseren gesamtenStab an Staatsanwälten und Ermittlern zurück), um die Barsdurchzukämmen und die Besitzer zu fragen, ob sie jemandennamens »Clay Bertrand« kannten.

Am ersten Abend der Jagd begleitete ich eines der Teamsin eine Bar mitten im French Quarter. Diese Kneipe, Lafitte'sBlacksmith Shop, war zu meiner Zeit auf der Tulane LawSchool bei meinen Kommilitonen sehr beliebt gewesen, undich glaubte, mich genau erinnern zu können, Dean Andrewseinst dort gesehen zu haben - wenngleich das schon ein paarJahre her war. Als wir den Blacksmith Shop betraten, sah ich, daß er sich

kaum verändert hatte. Bei dem Haus, in dem sich die Bar be-fand, sollte es sich um das Gebäude handeln, in dem der be-rühmte Pirat Jean Lafitte, dessen Versteck sich unmittelbarvor New Orleans im Bayou Barataria befunden hatte, tatsäch-lich eine Schmiede unterhalten hatte. Das Haus war um einengroßen offenen Kamin mit Schornstein erbaut worden undbestand beinahe vollständig aus uralten Ziegeln.

Wenn man die im Laufe der Jahre vorgenommenen gele-gentlichen Umbauten bedachte, konnte es in der Tat alt genugsein, um schon seit dem Krieg von 1812 dort gestanden zu ha-ben. In dem Lokal herrschte eine faszinierend konspirativeAtmosphäre, hauptsächlich aufgrund der niedrigen Deckeund der unregelmäßigen Balken, die noch mit der Hand ge-schlagen und nicht von Maschinen geschnitten waren. Vonden Gaslampen hinter dem langen Holztresen bis zu den Steh-lampen auf den Tischen war keine einzige elektrische Leuchtezu sehen.

Es war nicht viel Phantasie vonnöten, um sich in diesereinzigartigen Atmosphäre vorzustellen, wie sich der PiratJean Lafitte hier mit den Abgesandten General Andrew Jack-sons getroffen hatte. Jacksons großer Sieg in der Schlacht umNew Orleans war von einigen Historikern diesen Treffen zuge-schrieben worden, bei denen ihm Lafitte die dringend benö-tigten Feuersteine für die Gewehre seiner Männer lieferte.

Zu unserem Leidwesen war der alte Besitzer der Bar, derimmer freundlich zu mir gewesen war, ein oder zwei Jahre zu-vor gestorben. Der neue Besitzer gab sich an der Oberflächezwar ebenfalls freundlich, wirkte aber sehr nervös. Außerdemfiel mir auf, als er uns mit einem breiten Lächeln willkommenhieß, daß er Augen wie ein besorgter Barrakuda hatte undsein Blick eindeutig unfreundlich war. Mir wurde augenblick-lich klar, daß ich von ihm nichts erfahren würde. Er habekeine Ahnung, wer »Clay Bertrand« sei, sagte er und betontenachdrücklich, er habe den Namen noch nie gehört.

Als wir die Bar verließen, kam Lou Ivon zu uns herüber.»He, Boß«, sagte er leise. »Ich weiß, daß ich offen mit Ihnen

sprechen kann. Daß Sie einfach so hier aufkreuzen, ohne jedeVorwarnung, hat dem Burschen beinahe einen Herzinfarktverpaßt. In dieser Gegend freuen sich nicht gerade vieleLeute, wenn der Staatsanwalt plötzlich hereinschneit. Ichglaube, Sie überlassen das Unternehmen lieber uns.«

Das tat ich dann auch. Den Rest der Suche führten die Mit-glieder meines Stabs durch. Den meisten gelang es sowiesobesser als mir, schnelle Zufallsbekanntschaften zu machen.

Es waren lange Abende für jene Mitarbeiter, die an derJagd teilnahmen. Man konnte nicht einfach in eine Bar hin-einplatzen und dann sofort wieder abziehen. Auch mit Sciam-bras Hilfe mußten in jeder Bar vorsichtig Bekanntschaften ge-schlossen werden. Wenn der Besitzer nicht anwesend war,mußten meine Mitarbeiter auf ein paar Bier bleiben und mitdem Barkeeper plaudern. Unsere Ermittler lernten, sich stetsauf den Barhocker neben die Kasse zu setzen, wodurch sichmehr Möglichkeiten ergaben, mit dem Barkeeper ein beiläu-figes Gespräch anzufangen.

Am Ende der ersten Woche waren bei dem Einsatz bis spätin den Abend lediglich ein paar verquollene Augen heraus-gekommen. Einige Barbesitzer und Kellner schienen zwardurchaus zu wissen, wer »Clay Bertrand« war, doch sie hiel-ten es für ihre Pflicht, ihn als Stammgast zu schützen, undwollten uns nicht helfen.

Dennoch machten wir weiter. Irgendwann - etwa in derdritten Woche - erzielten wir den ersten Durchbruch. DerBarkeeper von Cosimo's, einer kleinen, immer gut besuchtenKneipe mitten im Quarter an der Burgundy Street, hatte sichbei unserem ersten Besuch freundlich und aufgeschlossen ge-zeigt, schien sich jedoch nicht entscheiden zu können, ob erwußte, wer Bertrand war. Beim zweiten Besuch erwies er sichals kooperativer. Ein Onkel Sciambras hatte ihn angerufen.

»Klar«, sagte er, »Bertrand kommt oft her. Man könntewohl sagen, daß er regelmäßig hereinschaut.« Wußte er, obBertrand einen anderen Namen benutzte? »Na klar«, sagte er.»Clay Shaw. Ich dachte, die meisten Leute wüßten das.« Er er-

wähnte, daß Shaw oft in den Fernsehnachrichten zu sehensei, meist zusammen mit wichtigen Leuten. Er könne jedochnicht verstehen, was so geheimnisvoll daran sei. Soweit erwisse, kannte jeder im Quarter Bertrand. Auf die Frage, ob ererklären könne, warum Shaw den Namen »Bertrand« be-nutzte, schüttelte der Barkeeper den Kopf. Er wisse nur, daßer es schon lange tue.

Danach zeigten sich kurz nacheinander zwei weitere Bar-keeper - auch aus Kneipen mitten im Quarter - kooperativ.Clay Bertrand? Klar, den kannten sie. Jeder hier kenne ihn.Sein anderer Name? Clay Shaw. Das wisse doch jeder.

Allgemein schien die Auffassung zu herrschen, daß Shawsein Pseudonym als eine Art privates Spiel einsetzte, zu seinerpersönlichen Befriedigung. Niemand in den Bars hatte eineAhnung, warum er sich »Bertrand« nannte, wenn er sie auf-suchte, doch sie störten sich nicht groß daran.

Shaw ging nicht besonders zurückhaltend mit diesemDecknamen um, aber er schien ihn nur in den vulgären Barsmitten im Quarter zu benutzen, in denen seine Anwesenheitseinem öffentlichen Image als prominentes Mitglied der Ge-sellschaft geschadet hätte.

Allmählich bestätigte eine Person nach der anderen imFrench Quarter meinen Männern, es sei allgemein bekannt,daß Clay Shaw unter dem Namen »Clay Bertrand« auftrete.Doch kein Zeuge wollte, daß wir seinen Namen als Quelle an-gaben, und niemand wollte seine Aussage unterschreiben.Niemand wollte in die Sache verwickelt werden. Das warziemlich seltsam, wenn man Shaws Ruf in der ganzen Stadtals Mann von Anstand und Ehre bedachte.

Schließlich trieben wir einen jungen Mann namens Wil-liam Morris auf, der Shaw in der Masquerade Bar an derSt. Louis Street im French Quarter kennengelernt hatte. Ein ge-wisser Gene Davis, der im Court of Two Sisters arbeitete, hatteihm Shaw als »Clay Bertrand« vorgestellt. Morris hatte sichmit Shaw angefreundet und ihn nicht nur zu Hause besucht:Er war ihm auch auf einer Party und gelegentlich wieder in

der Masquerade Bar begegnet. Morris sagte aus, sein großerFreund werde von allen nur »Bertrand« genannt.

Dann erhielten wir einen Hinweis aus einer ganz anderenEcke. Eine Dame rief uns an, die als Hosteß im VIP-Room derEastern Airlines am Internationalen Flughafen von New Or-leans gearbeitet hatte. Einmal, als sie Dienst gehabt hatte,hatte sich ein Mann - der offenbar einen mit dem Flugzeugangereisten Freund abholte - als »Clay Bertrand« ins Gäste-buch eingetragen. Von irgendeinem Bekannten hatte siegehört, daß die Staatsanwaltschaft nach einem Mann diesesNamens suchte. Der Name sei ihr im Gedächtnis haften ge-blieben, sagte sie, weil sich jeder VIP-Room-Besucher ein-und austragen mußte. Doch nur dieser Mann - nicht seinFreund - hatte sich wieder ausgetragen. Sie hatte sich seineUnterschrift angesehen, was sie gelegentlich tat, und war aufden Namen »Clay Bertrand« gestoßen.

Wir sahen uns das Gästebuch der Fluggesellschaft an.Nachdem die Dame sich genauer erinnerte, konnten wir dieSuche im Gästeverzeichnis auf den Zeitraum weniger Monateeinengen. Und dann fanden wir die Unterschrift. Hinter demgedruckten »Gast« stand die auffallende Unterschrift »ClayBertrand«. Die Hosteß beschrieb den Unterzeichnenden alsgroßen, eleganten, weißhaarigen Mann mit würdevollem Ge-habe - offensichtlich Clay Shaw.

Die Dinge nahmen allmählich Gestalt an. Eine Spur führtezur nächsten - oder zu zwei oder drei weiteren. Es dauerteWochen, doch das Team machte ständig Fortschritte. Undlangsam, ganz langsam, erhielten wir hier und dort die eineoder andere unterzeichnete Aussage.

Aufgrund unserer geduldigen, zähen Nachforschungenhatten wir erfahren, daß »Clay Bertrand« in Wirklichkeit ClayShaw war - der ehrbare Direktor des International TradeMärt in New Orleans und ein tonangebendes Mitglied der Ge-sellschaft. Doch damals hatten wir keine Ahnung, daß ClayShaw viel größer und mächtiger war, als es die Rolle vermutenließ, die er in New Orleans spielte. Erst viel später, lange nach

dem Shaw-Prozeß, bei dem wir diese Kenntnisse dringend ge-braucht hätten, erfuhren wir von Shaws wichtiger Rolle alsMitarbeiter der CIA. Shaws zweites Leben als Agent derAgency in Rom, wo er versucht hatte, den Faschismus in Ita-lien wieder aufleben zu lassen, wurde in Artikeln in der italie-nischen Presse8 aufgedeckt, die wir von Ralph Schoenmannbekamen, dem Sekretär des Philosophen Bertrand Russell,einem der ersten Förderer unserer Ermittlungen.

Diesen Artikeln zufolge hatte die CIA - die anscheinendschon seit geraumer Zeit ihre eigene Außenpolitik betrieb -bereits Anfang der sechziger Jahre in Italien ein Projekt auf-gezogen. Die Organisation, die den Namen Centro MondialeCommerciale (Welthandelszentrum) trug, war ursprünglich inMontreal gegründet und dann 1961 nach Rom verlegt worden.Wie wir erfuhren, befand sich unter den Verwaltungsratsmit-gliedern ein gewisser Clay Shaw aus New Orleans.

Die römische Presse beschrieb das neue Hauptquartier desCentro Mondiale Commerciale als sehr elegant. Es betriebeine eindrucksvolle Öffentlichkeitsarbeit, in der es die neue,kreative Rolle propagierte, die es im Welthandel spielenwürde. Das Centro eröffnete eine Zweigstelle in der Schweiz;auch dies ein beeindruckender Schachzug.

Doch 1967 nahm die italienische Presse den Verwaltungs-rat des Centro Mondiale Commerciale genauer unter die Lupeund fand heraus, daß es sich dabei um eine sehr seltsameZusammensetzung handelte. In diesem Gremium saß wenig-stens ein echter Prinz, Gutierrez di Spadaforo, ein Mitglieddes Hauses Savoyen, dem der letzte italienische König Um-berto entstammte. Spadaforo, ein Mann von beträchtlichemWohlstand und mit gewaltigen Anteilen an Firmen der Rü-stungs- und Ölindustrie, war unter Benito Mussolini Land-wirtschaftsminister gewesen. Über seine Schwiegertochterwar Spadaforo mit Hjalmar Schacht verwandt, dem berüch-tigten Nazi-Finanzminister, dem in Nürnberg der Prozeß ge-macht worden war.

Ein weiterer Direktor des Centro war Carlo d'Amelio, der

Anwalt anderer Mitglieder der ehemaligen königlichen Fami-lie Italiens. Ein weiterer war Ferenc Nagy, der im Exil lebendeEx-Premierminister Ungarns und frühere Chef der führendenantikommunistischen Partei. Nagy wurde von der italieni-schen Presse auch als Präsident von Permindex bezeichnet(vorgeblich eine Stiftung für permanente Öffentlichkeitsarbeitund ein Ableger des Centro Mondiale Commerciale). Nagy, sobehaupteten die italienischen Zeitungen, war als engagierterFörderer faschistischer Bewegungen in Europa aufgefallen. Einweiterer Direktor war ein Mann namens Giuseppe Zigiotti,Präsident einer Vereinigung mit dem sympathischen NamenFaschistische Nationalversammlung der Milizionäre.

Einer der Hauptaktionäre des Centro war Major L. M.Bloomfield aus Montreal, der ursprünglich amerikanischerNationalität und ehemaliger Agent beim Office of StrategieServices (OSS) gewesen war, aus dem die Vereinigten Staatendie CIA gebildet hatten.9

Das also war die allgemeine Zusammensetzung des CentroMondiale Commerciale, zu dessen Verwaltungsräten Clay Shawgehörte. Nach der Vergangenheit der Mitglieder und ihren Akti-vitäten zu urteilen, konnte man diese Organisation wohl kaummit den Freimaurern oder der Humanistischen Union verwech-seln. Das Centro wurde 1969 von Paris Flammonde in TheKennedy Conspiracy10 als mutmaßliche Tarnorganisation derparamilitärischen Rechten in Europa bezeichnet, einschließ-lich der italienischen Faschisten, der amerikanischen CIA undähnlicher Interessengruppen. Er beschrieb es als »Schem-firma [...], durch deren Kanäle Gelder hin- und herflossen,wobei niemand die Herkunft oder Bestimmung dieser Bar-mittel kannte«.

Die italienische Regierung hatte keine Schwierigkeiten, dieOrganisation von den Freimaurern oder der HumanistischenUnion zu unterscheiden. Noch vor Ende des Jahres 1962 hattesie das Centro Mondiale Commerciale - und dessen Halb-schwester, die Permindex - wegen subversiver Geheimdienst-tätigkeit aus Italien ausgewiesen.11

Vielleicht, weil es in Montreal gegründet worden war, er-regte das Centro die Aufmerksamkeit der kanadischen Zei-tung Le Devoir. Über Ferenc Nagy schrieb sie Anfang 1967:»Nagy [...] unterhält auch weiterhin enge Kontakte zur CIA,die ihn in Verbindung mit der kubanischen Gemeinde inMiami bringen.«12 Nagy wanderte später in die VereinigtenStaaten aus und ließ sich in Dallas, Texas, nieder.

Über Major Bloomfield wußte Le Devoir zu vermelden, daßer, obwohl nun Kanadier, in früheren Jahren für die Vereinig-ten Staaten »spioniert« hatte. Die Zeitung hob hervor, daßBloomfield nicht nur ein großes Aktienpaket des Centro, son-dern auch ein solches der Tochtergesellschaft Permindexgehörte.

Das Schicksal der beiden zusammenhängenden Unterneh-mungen zusammenfassend, führte Le Devoir aus: »Was im-mer auch vorgefallen sein mag, das Centro Commerciale undPermindex bekamen Schwierigkeiten mit den RegierungenItaliens und der Schweiz. Die beiden Firmen weigerten sich,Auskunft über die Herkunft beträchtlicher Geldmengen zu ge-ben, und scheinen nie wirklich Handel getrieben zu haben.Sie wurden 1962 aus Italien und der Schweiz ausgewiesenund schlugen daraufhin ihr Hauptquartier in Johannesburgauf.«

Und die Paesa Sera äußerte sich über Clay Shaws CentroMondiale Commerciale13: »Die Tatsache, daß dem Verwal-tungsrat Männer angehörten, die in Unternehmungen rechts-extremer Organisationen verstrickt waren, deutet darauf hin,daß das Zentrum möglicherweise [...] eine Schöpfung der CIAwar [...] und als Tarnorganisation für den Transfer von CIA-Geldern [...], mit denen illegale politische Spionagetätigkeitenfinanziert werden sollten, nach Italien diente. Die Rolle derVerwaltungsratsmitglieder Clay Shaw und des [OSS-]Ex-Majors Bloomfield bleibt noch aufzuklären.«

Paesa Sera traf eine weitere Feststellung über das Centro.Es war, so die Zeitung, »der Treffpunkt einer Reihe von Perso-nen, die in mancher Hinsicht gleiche Interessen haben, deren

gemeinsamer Nenner eine so starke antikommunistischeÜberzeugung ist, daß sie gegen jedermann auf der Welt vorge-hen würden, der sich um ordentliche Beziehungen zwischenOst und West bemüht hat, darunter auch Kennedy.« Diese Be-schreibung ließe sich auch anwenden, wollte man mit weni-gen Worten die Mutterorganisation des Centro charakteri-sieren: die CIA.

Was Permindex betraf14, bei der Clay Shaw ebenfalls alsDirektor füngierte, so enthüllte die italienische Presse, daßdiese Organisation insgeheim die Opposition der französi-schen DAS gegen Präsident de Gaulies Unterstützung der alge-rischen Unabhängigkeit finanziert hatte, einschließlich derwiederholten Attentatsversuche auf de Gaulle. Hätten wirdiese Kenntnisse schon 1967 besessen, hätten sie den Kreisgeschlossen und uns zurück zum Ausbildungslager der Exil-kubaner in Houma, Louisiana, geführt, in dem die Munitionaufbewahrt wurde, die die CIA zuvor der OAS für Attentate zurVerfügung gestellt und die David Ferrie und andere Personenaus Guy Banisters Umkreis aus dem Schlumberger-Bunkerzurückgeholt hatten. Es wäre mit Sicherheit unserer Sachegegen Shaw förderlich gewesen, ihn eindeutig mit der CIA inVerbindung zu bringen. Leider war es unserer Ermittlung beiden beschränkten Mitteln, den wenigen uns zur Verfügungstehenden Mitarbeitern und der vielen Spuren, die es zu ver-folgen galt, nicht möglich gewesen, diese wichtigen Hinter-grundinformationen aufzudecken, als wir sie am dringend-sten benötigten.

7. DIE TITELSEITE

Wir hatten den bislang so geheimnisvollen »Clay Bertrand«identifiziert. Nun trat zur Abwechslung eine Ruheperiode ein.In New Orleans wurden Tag und Nacht die üblichen Verbre-chen begangen. Trotz der Auffassung, die sich bei diesem Joballmählich einstellt - je schneller man Einbrecher und Stra-ßenräuber verurteilt, desto schneller nehmen neue ihrenPlatz ein -, durfte die Hauptaufgabe der Bezirksstaatsanwalt-schaft, die Strafverfolgung, nicht vernachlässigt, sondernmußte sogar noch verstärkt werden. Die Mitglieder meinesTeams und meine Wenigkeit widmeten sich folglich wieder füreine Weile ihrer regulären Arbeit. An den Abenden und Wo-chenenden setzte ich jedoch das Studium der mir zur Ver-fügung stehenden Beweismittel fort. Allein im Büro oder zuHause im Familienkreis blieb ich bis in die frühen Morgen-stunden auf, ging wie besessen die Zeugenaussagen durch,suchte nach Zusammenhängen und Widersprüchen unddachte nach.

Die Schüsse, die von vorne gekommen waren, von einerStelle vor der Limousine des Präsidenten, hatten mich über-zeugt, daß Lee Oswald kein Einzeltäter war. Das »Aufnahme-formular« des Parkland Hospital1, das Dr. Robert McClellandunterschrieben hatte, führte als Todesursache »massive Kopf-und Gehirnverletzungen durch eine Schußwunde in der lin-ken Schläfe« auf - womit man normalerweise umschreibt,daß dem Opfer von vorne in den Kopf geschossen wurde. Unddoch stand zweifelsfrei fest, daß sich Oswald in dem Augen-blick, in dem die Schüsse abgegeben wurden, im Schulbuch-lager aufhielt, ein gutes Stück hinter dem Präsidenten.

Ich fragte mich allmählich, ob Oswald überhaupt auf denPräsidenten geschossen hatte. Ich studierte die Aussagen derZeugen, die behaupteten, im Schulbuchlager und anderen Ge-bäuden hinter dem Präsidenten ungewöhnliche Aktivitätenbeobachtet zu haben. Je mehr ich las, desto größer wurdenmeine Zweifel.

Etwa fünfzehn Minuten vor dem Eintreffen der Wagenko-lonne standen der Student Arnold Rowland und seine FrauBarbara auf der Houston Street, gegenüber der Dealey Plaza.2

Arnold sah zum Schulbuchlager hinauf, und am rechten Endedes fünften Stockwerks (dem angeblichen »Versteck desAttentäters«) bemerkte er einen dunkelhäutigen Mann, den erals »älteren Neger« beschrieb. Doch am linken Ende des fünf-ten Stocks (dem entgegengesetzten Ende des Gebäudes) saher ein Stück hinter dem Fenster einen Mann mit einem Ge-wehr in der Hand stehen. Der Mann hielt das Gewehr, denLauf nach oben gerichtet, in einem Winkel von fünfundvierzigGrad, den das Militär als »schräg nach links vor dem Körperhalten« bezeichnet.

Barbara Rowland3 achtete in diesem Augenblick auf einenMann, der direkt gegenüber von ihnen auf der Plaza einenepileptischen Anfall hatte. Als Arnold seine Frau auf denMann mit dem Gewehr aufmerksam machte und sie nachoben schaute, war er vom Fenster zurückgetreten.4 Beide ver-muteten, bei dem Mann mit dem Gewehr handele es sich umeinen Agenten des Secret Service. Arnold sagte aus, man habeihm, als er den FBI-Agenten am nächsten Tag von der Anwe-senheit des zweiten - dunkelhäutigen - Mannes im fünftenStock berichtete, »gesagt, dies sei im Augenblick völlig unbe-deutend. Sie haben mir praktisch gesagt, ich solle die Sachevergessen.«

Carolyn Walther, die im benachbarten Dal-Tex-Gebäude ar-beitete, stand ebenfalls auf der linken Seite der HoustonStreet. Ihrer Aussage vor dem FBI zufolge5 beobachtete sie,daß ein Krankenwagen kam, um den Epileptiker abzuholen.Dabei schaute sie zufällig zum Schulbuchlager hoch, wo sie in

einem der oberen Stockwerke einen Mann mit einem Gewehrsah. Der Mann blickte der sich auf der Houston Street nähern-den Wagenkolonne entgegen und hielt das Gewehr dabei mitdem Lauf nach unten. Mrs. Walther sagte aus, ein solches Ge-wehrmodell mit einem ungewöhnlich kurzen Lauf habe sienoch nie zuvor gesehen. Der Mann, der es in der Hand hielt,trug ein weißes Hemd und war entweder blond oder hatte hel-les Haar. Er stand hinter dem Fenster ganz rechts im Stock-werk und lehnte sich vor. Im selben Fenster, ein Stück linkshinter dem Mann, konnte sie einen zweiten Mann stehensehen. Er schien einen braunen Anzug zu tragen.

Dann näherte sich die Wagenkolonne und beanspruchteihre Aufmerksamkeit. Ihr kam nicht in den Sinn, noch einmalzu dem Fenster hochzusehen, nicht einmal, als der ersteSchuß gefallen war. Sie wurde von der Warren-Kommissionnicht als Zeugin vorgeladen.

Toney Henderson6 aus Dallas wartete auf der linken Seiteder Elm Street, Ecke Houston Street, auf die Wagenkolonne.Nachdem der Krankenwagen mit dem Epileptiker davonge-fahren war, warf sie einen Blick zum Schulbuchlager hinüber.Sie erinnerte sich, daß in verschiedenen Stockwerken zahlrei-che Menschen an den Fenstern standen und hinaussahen.Schließlich bemerkte sie in einem der oberen Stockwerkezwei Männer. Sie standen hinter einem Fenster und blicktenzu der Wagenkolonne hinunter. Einer, ein dunkelhaarigerMann in einem weißen Hemd, war dunkelhäutig und »viel-leicht Mexikaner, könnte aber auch ein Neger gewesen sein«.Den anderen Mann konnte Mrs. Henderson nicht beschrei-ben; sie erinnerte sich nur, daß er der größere der beiden war.Sie wußte nicht mehr genau, in welchem Stockwerk sich diebeiden Männer befunden hatten. Im FBI-Bericht mit ihrerAussage wurden die Fenster, hinter denen sie die beiden Män-ner sah, nicht genannt.

Diese Aussagen von Zeugen, die zwei Männer in einem deroberen Stockwerke des Schulbuchlagers sahen, waren zwarschon irritierend genug, doch als ich eines Abends auf die

Zeugenaussage des sechzehnjährigen Amos Euins7 stieß, warich so verwirrt, daß ich nicht schlafen konnte. Euins sagte vorder Warren-Kommission aus, er habe dem Präsidenten zuge-wunken, als die schwere Limousine nach links abbog und diei2O-Grad-Kurve auf die Elm Street vollzog. Er habe zufällig zudem Schulbuchlager hinaufgeschaut und bemerkt, daß etwas,das er für »ein Rohr« hielt, aus einem Fenster lugte. Als Euinszuvor von Sergeant D. V Harkness der Polizei von Dallas ver-hört worden war8, hatte er das Fenster als ganz rechts »unterdem Vorsprung« liegend beschrieben - also ein Fenster imberühmten fünften Stock des Gebäudes.

Nach dem ersten Schuß konnte Euins den Lauf und denAbzug des Gewehrs erkennen. Ihm fiel ebenfalls auf, daß derMann, der die Schüsse abgab, eine auffällig kahle Stelle amKopf hatte. Euins beschrieb die kahle Stelle als etwa acht Zen-timeter vom Haaransatz entfernt und in der relativen Dunkel-heit der Umgebung weiß hervortretend.9 Unmittelbar nachdem Attentat bezeichnete er den Mann als Schwarzen.10 Beiseiner Aussage vor der Kommission deutete Euins an, er seinicht mehr sicher, ob es sich bei dem Mann um einen Weißenoder einen Neger gehandelt habe.11 Doch in zwei Punktenblieb er fest: einerseits bei seiner Aussage, der Mann habeeindeutig eine »kahle Stelle« auf dem Kopf gehabt12; anderer-seits bei der Zurückweisung der Behauptung, er habe einemDeputy Sheriff erzählt, der Mann, den er im fünften Stock ge-sehen habe, sei weiß gewesen. Er habe gesagt, erklärte er denMitgliedern der Kommission, die kahle Stelle auf dem Kopfdes Mannes habe weiß ausgesehen.13

Wenn man davon ausging, daß Euins etwa gegen 11.30 Uhrsüdlich vom Schulbuchlager stand, muß sich die Sonne fastgenau über ihm befunden haben. Es war durchaus möglich,daß ihm unter diesen Umständen die kahle Stelle auf demKopf des sich aus dem Fenster lehnenden Mannes weiß er-schien. Auf jeden Fall stimmte Euins Schilderung eines mög-licherweise dunkelhäutigen Mannes mit einer kahlen Stelle aufdem Kopf mit Arnold Rowlands Beschreibung eines »älteren

Negers« überein. Bei beiden Zeugen befand sich der Mann,der ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, im äußersten rechtenFenster des Gebäudes - dem »Versteck des Attentäters«, indem sich angeblich Oswald aufgehalten hatte -, als die Wa-genkolonne kam.14 Und beide Aussagen schienen von ToneyHenderson bestätigt zu werden, der Mann, den sie gesehenhabe, sei entweder Mexikaner oder Neger gewesen.

Zwei weitere Männer, beide viel aufmerksamere Beobach-ter, als es normalerweise der Fall ist, trugen das Ihre dazu bei,die allgemeinen Beobachtungen der vorherigen Zeugen zu ei-nem geschlossenen Bild zu runden, wer sich unmittelbar vordem Abfeuern - und während der Schüsse auf den Präsiden-ten - im fünften Stock befunden hatte. Roger Craig, der 1960wegen seiner Verdienste als Deputy Sheriff von Dallas ausge-zeichnet wurde, erinnerte sich, daß er ein paar Minuten nachdem Attentat beobachtete, wie die Polizei von Dallas auf derElm Street einen Latino verhörte. Wie Craig sich weiter erin-nerte15, ließ ihn die Polizei, wütend darüber, daß er ihre Fra-gen nicht beantwortete, da er kein Englisch sprach, wiederlaufen. Einige Minuten danach sah Craig, wie ein Nash-Rambler-Kombi16 vor dem Schulbuchlager hielt, und erkannteden Fahrer als den Latino, den die Polizei gerade hatte gehenlassen. Bevor er etwas unternehmen konnte, kam ein jungerWeißer17 - den Craig später als Lee Oswald identifizierte -aus dem Gebäude gelaufen, sprang hinein, und der Kombifuhr davon.18 Bei dieser Gelegenheit - er sah den Latino nunzum zweitenmal und in einer verfänglicheren Situation -schaute Craig sich ihn näher an. Er beschrieb den Mann nichtnur als dunkelhäutig, sondern als »Neger«19.

Mittlerweile hatte Richard Randolph Carr20 einen Weißenim fünften Stock des Schulbuchlagers erblickt, doch in diesemFall hinter dem Fenster links neben dem »Versteck des Atten-täters«. Carr, ein Bauarbeiter, der sich im oberen Teil desneuen Gerichtshofs aufhielt, der gerade an der Ecke Houstonund Commerce gebaut wurde, bemerkte auch Aktivitäten aufdem Grashügel. Als die Schüsse erschollen, schaute Carr, ein

kampferprobter Veteran, zum Schulbuchlager hinüber. AlsCarr Minuten später wieder festen Boden unter den Füßenhatte und in der Nähe des Schulbuchlagers stand, erkannte erden Mann wieder, den er zuvor in einem oberen Stockwerkdes Schulbuchlagers hinter einem der Fenster beobachtethatte. Carr beschrieb den Mann als untersetzt und schwer ge-baut; er trug eine Hornbrille und eine braune Sportjacke.

Carr folgte dem Mann einen Häuserblock weit. Dann stiegder Mann in einen offenbar auf ihn wartenden Nash-Rambler-Kombi (anscheinend den gleichen Wagen, den Roger Craig be-schrieben hatte), und der Wagen fuhr schnell davon. WieCraig gab auch Carr in mehreren Aussagen zu Protokoll, eshabe sich bei dem Fahrer um einen Mann »mit sehr dunklemTeint« gehandelt, entweder um einen »Latino oder Kubaner«.

Man kann aus all diesen Aussagen den Schluß ziehen, daßsich unmittelbar vor dem Attentat - und als die Schüsse fielen -mindestens drei Männer im fünften Stock des Schulbuch-lagers aufgehalten haben: zwei Weiße, von denen einer offen-barjünger war und entweder dunkelblondes oder hellbraunesHaar hatte, während der andere untersetzt war und eineHornbrille trug, und ein Mann mit sehr dunklem Teint, sehrwahrscheinlich ein Latino. Ob sie ein oder zwei Gewehre hat-ten, bleibt unklar. Der jüngere, hagere Weiße schien eines inder Hand gehalten zu haben, als er hinter dem äußersten lin-ken Fenster (und am entgegengesetzten Ende des »Verstecksdes Attentäters«) stand, während der dunkelhäutige Manngesehen wurde, als er direkt aus dem »Versteck« ganz rechtsschoß.

Nachdem ich die Aussagen dieser Augenzeugen gelesenhatte, wußte ich, daß Lee Oswald den Präsidenten nicht, wiedie Warren-Kommission behauptete, aus dem »Versteck desAttentäters« erschossen haben konnte. Im Gegensatz zu demMann, der beobachtet wurde, wie er Schüsse aus dem Ver-steck abgab, besaß Oswald keine kahle Stelle auf dem Kopf,noch war er »dunkelhäutig« oder »sah aus wie ein Latino«. Indiesem Stadium der Ermittlungen war für mich noch vorstell-

bar, daß Oswald irgendwie in das Attentat verwickelt war,doch nun war mir klar, daß auch andere Personen Schüsse ab-gegeben hatten, und zwar sowohl vom Grashügel vor demPräsidenten als auch aus dem Schulbuchlager hinter ihm.

Mich faszinierten die wiederholten Auftritte von Männern»mit dunklem Teint«, »Latinos« oder »Negern« in den Zeu-genaussagen. Nicht nur der Mann im »Versteck des Attentä-ters« wurde so beschrieben, sondern auch der »Epileptiker«auf der Dealey Plaza21, der darüber hinaus noch eine grüneArmy-Kampfmontur getragen haben soll.22 Die Beschreibungerinnerte mich an die Exilkubaner, die auf ihrem Weg zurGuerilla-Ausbildung am Lake Pontchartrain ständig durchGuy Banisters Büro geschleust wurden. Mir kam in den Sinn,daß es sich bei dem »dunkelhäutigen« Mann, den einige Zeu-gen gesehen hatten, ebenfalls um einen Kubaner gehandelthaben konnte. Überdies schien mir nach allem, was ich überGuy Banisters Guerilla-Ausbildung und Lee Oswalds Nähedazu wußte, die Möglichkeit plausibel, daß im Guerilla-Kampfausgebildete Exilkubaner an einem Attentat auf einen Präsi-denten beteiligt sein könnten, den sie verachteten, weil er sie1961 in der Schweinebucht »verraten« und weil er im Som-mer 1963 angeordnet hatte, ihre Ausbildungslager zu schlie-ßen.

Tatsächlich erschienen mir die Kubaner allmählich ver-dächtiger als Lee Harvey Oswald. Neben den Aussagen derAugenzeugen führten auch andere Hinweise von Oswald weg.Zum Beispiel wurden Oswalds Fingerabdrücke nie auf demMannlicher-Carcano-Gewehr gefunden, das er angeblich be-nutzt hatte.23

Dieses zweitklassige italienische Gewehr stellte ein Rätselfür sich dar, denn es gab stichhaltige Beweise, daß es sich beiihm nicht um die Waffe handelte, die man kurz nach demAttentat im »Versteck des Attentäters« fand. Officer SeymourWeitzman von der Polizei von Dallas, der an der Durchsu-chung des Gebäudes teilnahm, beschrieb später, wie das Ge-wehr am Nachmittag des 22. November gefunden wurde.24 Er

sagte aus, es sei so gut unter Bücherkisten versteckt gewesen,daß die Polizisten mehrmals an ihm vorbeigelaufen seien, be-vor sie es endlich fanden. Officer Weitzman, der Maschinen-schlosser gelernt und ein Sportartikelgeschäft betriebenhatte, galt als Waffenfachmann.25 Dementsprechend bat WillFritz, Chef der Mordkommission von Dallas, ihn um sein Ur-teil über die Waffe. Weitzman identifizierte sie als 7.56erMauser26, ein deutsches Präzisionsgewehr. Deputy SheriffRoger Craig war ebenfalls anwesend27 und erinnerte sich spä-ter, das Wort »Mauser« im Metall der Waffe eingraviert gesehenzu haben. Und Deputy Sheriff Eugene Boone gab eine eides-stattliche Erklärung ab, in der er das Gewehr als Mauser be-zeichnete.28 Noch um Mitternacht des 22. November gab derBezirksstaatsanwalt Henry Wade den Medien bekannt, bei dergefundenen Waffe handele es sich um eine Mauser.29

Es gibt natürlich beträchtliche Unterschiede zwischen ei-ner erstklassigen Mauser und einer billigen Mannlicher-Car-cano, die man über Versandhäuser beziehen kann. Es hättezweifelsfrei feststehen müssen, welche Waffe gefunden wor-den war. Doch um die Sache erst recht kompliziert zu machen,wurden im gleichen Raum wie die Mauser drei leere Patro-nenhülsen einer Mannlicher-Carcano sichergestellt.30 Sielagen in der Nähe des Fensters rechts außen, nahe und fastparallel beieinander. Obwohl man sie auf diese Art leicht ent-decken konnte, widerspricht die Anordnung einer Tatsache,die jeder erfahrene Schütze kennt: Wenn ein Gewehr abgefeu-ert wird, wird die Patronenhülse mit großer Kraft ausgewor-fen. Eine so hübsche Anordnung von Patronenhülsen, wieman sie im fünften Stock des Schulbuchlagers fand, ist prak-tisch unmöglich. Dies deutet darauf hin, daß die Patronen garnicht in dem betreffenden Raum verschossen wurden, son-dern bereits zu einem früheren Zeitpunkt an einem anderenOrt, und daß man die leeren Hülsen dann vor das Fenstergelegt hat, damit etwaige Geschoßfragmente, die man in derLimousine des Präsidenten fand, der Carcano zugeschriebenwerden konnten.

Es gab weitere Probleme mit der Version, die Mannlicher-Carcano sei die Mordwaffe gewesen. Zum Beispiel wurde keinLadestreifen gefunden.31 Der Ladestreifen ist die Vorrichtung,die Patronen in die Gewehrkammer befördert. Ohne einen sol-chen Ladestreifen müßten die Patronen mit der Hand geladenwerden, womit Schüsse in so schneller Folge, wie Oswald sieabgegeben haben soll, unmöglich wären. Die Warren-Kom-mission umging dieses Problem, indem sie sich überhauptnicht damit befaßte.

Noch komplizierter wird die Sache, da bei der Mannlicher-Carcano, die triumphierend als »Waffe des Attentäters« vor-gezeigt wurde, das Visier ungenau montiert war.32 Das Visiersaß so schief zum Lauf, daß die Labortechniker es erst anpas-sen mußten, bevor sie Probeschüsse aus der Waffe abgebenkonnten. Doch selbst mit richtig sitzendem Visier war keinSchußwaffenexperte imstande, die Leistung zu wiederholen,die die Regierung Lee Oswald zuschrieb.

Trotz dieser Probleme lautete, als sich der Nebel gehobenund alle Strafverfolgungsbehörden in Dallas ihre jeweiligeVersion auf die Reihe gebracht hatten, die offizielle Stellung-nahme, bei dem im fünften Stock des Schulbuchlagers gefun-denen Gewehr handele es sich um die Mannlicher-Carcano,die Oswald angeblich unter falschem Namen gekauft hatte,und nicht um die Mauser, die, kurz nachdem sie sich in Cap-tain Fritz' Händen befunden hatte, für immer verschwand.

Doch auch diese Revision der offiziellen Darstellung er-klärt nicht das dritte Gewehr. Ein Film, den die Dallas CinemaAssociates, eine unabhängige Filmgesellschaft, aufgenommenhat33, zeigt das Schulbuchlager kurz nach dem Attentat. Poli-zeibeamte holen mit der gleichen fürsorglichen Vorsicht, wieman ein Neugeborenes behandelt, über die Feuerleiter ein Ge-wehr vom Dach über dem fünften Stock herab. Als die Polizi-sten wieder unten waren, hob ein hochrangiger Beamter dieWaffe kurz triumphierend in die Luft. Die Kamera machteeine Nahaufnahme. Unter dem Bild stand zu lesen: »Das Ge-wehr des Attentäters.« Als ich den Film sah, fiel mir auf, daß

auf dieser Waffe kein Visier montiert war. Damit konnte essich weder um die Carcano noch um die verschwundeneMauser handeln, die beide über Visiere verfügten.

Es überraschte mich nicht, daß das dritte Gewehr ebensoeinfach verschwand wie die Mauser. Doch seine Existenz be-stätigte meine These, daß Lee Oswald den Präsidenten nichterschossen haben konnte, wie man es der amerikanischen Öf-fentlichkeit einreden wollte. Selbst wenn man die beiden an-deren Waffen am Tatort außer acht ließ, stellten die unglaub-lich präzisen Schüsse mit einer unglaublich unpräzisen Waffein einer unmöglichen Zeitspanne erst den Ansatzpunkt derhervorragenden Leistung dar, die Oswald vollbracht habensollte.

Aus den Aussagen seiner Kameraden bei der Marinewußte ich, daß Oswald als schlechter Schütze bekannt war.Doch dieser Job wäre auch für den besten Scharfschützenaller Zeiten unmöglich gewesen. Wenn der Attentäter aus sei-nem Unterschlupf Ziel nahm, um jemanden in einer Autoko-lonne unten auf der Elm Street zu erschießen, sah er zuersteinmal einen riesigen Baum, der im tiefen Süden im Novem-ber noch in voller Blüte stand. Damit hätte er mit dem erstenSchuß wohl kaum mehr als einen Ast oder ein paar Blätter desBaumes getroffen.

Außerdem hatte man Oswald keine zwei Minuten nach denSchüssen in der Kantine im ersten Stock des Schulbuchlagersgesehen.34 Er wirkte nicht nur entspannt und gelassen, son-dern trank auch eine aus dem Getränkeautomaten gezogeneCola. Hätte Oswald seine historischen Schüsse abgegeben (mitdenen er in weniger als sechs Sekunden bei zwei Männerninsgesamt acht Verletzungen hervorrief), dann das Gewehrunter den Kistenstapeln versteckt, wie Officer Weitzman esbeschrieb, wäre dann vier Stockwerke hinuntergelaufen, umsich eine Coke aus dem Automaten zu ziehen - und all das inweniger als zwei Minuten, und ohne aus der Puste zu kom-men -, hätte er sich fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegenmüssen.

Andere Beweise am Tatort wiesen ebenfalls von Oswaldweg: Eine Limonadendose, auf der sich keine FingerabdrückeOswalds befanden35, wurde von Captain Fritz und seinenErmittlern konsequenterweise in die nächste Mülltonne ge-worfen.

Doch der offensichtlichste und stichhaltigste Beweis, derOswald entlastete, war der Nitrattest, dem er sich am Abenddes Attentates unterzog. Einfach ausgedrückt, offenbart dieserTest Nitratreste an der Wange einer Person, die ein Gewehrabgefeuert hat. Das Ergebnis des Nitrattests deutete daraufhin, daß Oswald am 22. November kein Gewehr benutzt hat.36

Doch aus Gründen, die die Regierung und ihre Ermittler wohlam besten kennen, wurde diese Tatsache zehn Monate langgeheimgehalten, bis man sie schließlich im Bericht der War-ren-Kommission veröffentlichte.

Nachdem ich die Beweise der Regierung untersucht hatte,begriff ich, daß meine frühere Schlußfolgerung, Oswald seinicht der einzige Mörder Präsident Kennedys, nicht ganz rich-tig gewesen war. Es waren eindeutig andere Personen in dasAttentat verwickelt, doch die Wahrheit sah so aus, daß Oswaldselbst überhaupt nicht auf John F. Kennedy geschossen hatte.Er hatte nicht einmal versucht, John F. Kennedy zu erschie-ßen.

Als langjähriger Staatsanwalt kam ich unweigerlich zudem Schluß, daß der Mann, den die Welt wegen des Verbre-chens des Jahrhunderts verdammte, unschuldig war. Nur ei-nen wahrhaft Unschuldigen konnte man so gründlich herein-legen, wie man es mit Lee Harvey Oswald getan hat.

Die kurze Ermittlungspause hielt nicht lange vor. Frank Kleinkonnte nicht die Finger davon lassen, und ich auch nicht.Eines Morgens saß ich in meinem Büro und studierte dieZeitung. Ich hörte nicht, daß Frank hereinkam.

»Ich habe Sie noch nie so in eine Zeitung vertieft gesehen«,sagte er.

»Es ist nicht nur irgendeine Zeitung, mein Sohn«, sagte

ich. »Es ist die Titelseite der Dallas Morning News vom 22.November 1963.«

»Und was fasziniert Sie so daran?«Ich deutete auf die große graphische Darstellung auf der

Titelseite, die den Weg der Wagenkolonne des Präsidenten an-gab. »Habe ich Ihnen das schon mal gezeigt?« fragte ich.

Er schüttelte den Kopf.Ich drehte die Zeitung um, damit er die Darstellung des

Weges der Wagenkolonne sehen konnte. Sie bedeckte fast fünfSechstel der Titelseite.

»Frank«, sagte ich, »ich möchte, daß Sie diese Strecke mitmir abfahren. Fangen wir genau hier an, wo sich die Paradeüber die Main Street der Dealey Plaza nähert. Machen Siemit?«

»Ja«, sagte er und folgte mit dem Finger der dicken Linie,die den Weg der Parade andeutete. »Und hier erreicht sie dieDealey Plaza...« Er hielt inne.

»Was ist los?« fragte ich.»Laut dieser Darstellung sollte die Kolonne des Präsiden-

ten weiter über die Main Street fahren, mitten über die DealeyPlaza - ohne je von der Main abzubiegen.« Er starrte das Bildungläubig an.

»Und was stimmt damit nicht?« fragte ich.Sein Finger bewegte sich von der Main fort und ein paar

Zentimeter zur Elm Street, bis er den Streckenabschnitt vordem Schulbuchlager fand, wo der Präsident erschossen wor-den war. »Wenn die Kolonne weiter über die Main Street fah-ren sollte...«

Ich beendete den Satz für ihn. ».. .wie kam sie dann auf dieElm Street?«37

Frank blickte mit einem leichten Stirnrunzeln zu mir hinabund sah dann wieder auf die Straßenkarte. Er bewegte denFinger zurück zur Main Street, wo sie an die Houston stieß.»Die Kolonne bog rechts auf die Houston ab und dann wiederlinks auf die Elm«, sagte er.

»Wo sie diese i2o-Grad-Linkskurve durchlaufen mußte,

bei der der Wagen des Präsidenten auf etwa fünfzehn Stun-denkilometer abbremsen mußte.«

Frank betrachtete erneut die dicke Linie, die den Weg derWagenkolonne über die Main Street mitten über die DealeyPlaza hin zum Stemmons Freeway anzeigte.

»Hier auf der Main Street, mitten durch die offenen Rasen-flächen hindurch«, sagte er, »hätten sie ihn nicht treffen kön-nen. Wollen Sie mir sagen, daß sie im letzten Augenblick denPräsidenten der Vereinigten Staaten einfach vom vorbestimm-ten Weg umleiteten und hier an dem Schulbuchlager vorbei-führten?« Er stand auf. »Verdammt, ich habe nirgendwo auchnur ein Sterbenswörtchen darüber gelesen. Wie kann man soetwas drei Jahre lang geheimhalten?«

Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück. »Verstehen Siejetzt, warum ich Ihr Klopfen nicht hörte, als Sie hereinka-men?«

»Wo, zum Teufel, war die Polizei von Dallas, als man inletzter Minute diese Streckenänderung vornahm?« fragte er.

»Ja, in der Tat. Und der Secret Service. Und das FBI.«»Und die Stadtverwaltung von Dallas«, fügte er hinzu.

»Gibt es in dieser verdammten Stadt keinen Bürgermeister?«»Doch, den gibt es. Als das Attentat stattfand, war Earle

Cabell Bürgermeister.«Ich betätigte die Gegensprechanlage, und Sharon Herkes,

meine Sekretärin, kam herein. Ich bat sie, sich ein Taxi zurStadtbibliothek zu nehmen und unter »Earle Cabell« in derneuesten Ausgabe von Who's Who in the Southwest nachzu-schlagen. »Ich bin sicher, daß Sie ihn darin finden werden.Stellen Sie fest, ob sein Eintrag irgendwelche Verbindungenmit Washington andeutet.«

»Mit Washington?« fragte Frank.»Natürlich«, erwiderte ich. »Sie können mir doch nicht er-

zählen, daß man den Präsidenten - unter den Augen der gan-zen Welt - einfach umleiten kann, ohne daß dieser Änderungirgendeine Absprache zwischen der Stadtverwaltung und derBundesregierung vorausging.«

Frank nahm die Titelseite der Dallas Morning News unddeutete auf die Zeichnung. »Verdammt«, sagte er, »war dieWarren-Kommission blind? Hat sie das nicht gesehen?«

»Ah«, sagte ich. »Möchten Sie die Titelseite sehen, die derWarren-Kommission vorgelegt wurde?«

Ich zog die mittlere Schreibtischschublade auf und holteeine Kopie der Titelseite der Dallas Morning News hervor, diezu den Beweisstücken der Warren-Kommission genommenworden war.38 Ich gab sie Frank und zündete meine Pfeife an.Ich hatte kaum daran gepafft, als er laut aufschrie.

»Diese Arschlöcher! Sie haben einfach die ganze Streckeder Wagenkolonne von der Titelseite entfernt.«

Genau so war es. Auf den fünf Sechsteln der Titelseite derDallas Morning News, auf der die Straße abgebildet war, diedie Kolonne nehmen sollte, war nur eine große, graue Flächezu sehen. »Und das wurde als offizielles Beweisstück der War-ren-Kommission abgedruckt?« fragte er.

Ich nickte.»Und wie, zum Teufel, sollen wir das nennen?« fragte er

und schwenkte die fast leere Seite.Ich saugte an meiner Pfeife. »So etwas«, sagte ich, »nennt

man einen Staatsstreich.«

Etwa eine Stunde später kam Sharon mit einer großen Foto-kopie in der Hand herein. »Im Who's Who stand nichts übereinen Bürgermeister Cabell«, sagte sie. »Aber es stand eineganze Menge über einen General Charles Cabell darin.«

Ich sah mir den Eintrag an. Mir fiel sofort auf, daß dieserCharles Cabell stellvertretender Direktor der Central Intelli-gence Agency gewesen war. Nun betrachtete ich diesen Nach-namen mit echter Faszination. Es bedurfte eines Anrufs beieinem befreundeten Anwalt in Dallas, um herauszufinden,daß General Charles Cabell der Bruder Earle Cabells war, desehemaligen Bürgermeisters von Dallas.

Jetzt kam mir die Änderung der vorgesehenen Parade-strecke um fünf Minuten vor zwölf noch interessanter vor,

und ich begab mich augenblicklich in die Stadtbibliothek. VorSonnenuntergang war ich zum führenden Experten in NewOrleans über General Charles Cabell geworden, der, wie sichherausstellte, von Präsident Kennedy als zweiter Mann derCIA gefeuert worden war. General Cabell hatte die katastro-phale Schweinebucht-Invasion der Agency geleitet.39 Inden letzten Stunden, als Castros kleine Luftwaffe den Lan-dungsversuch vereitelte, war es Cabell gelungen, telefonischzu Präsident Kennedy durchzudringen, und er versuchte noch,die Katastrophe abzuwenden. Direkt hinter dem Horizont hat-ten - und das keineswegs aufgrund eines glücklichen Zufalls -Flugzeugträger Position bezogen, auf deren Decks die Moto-ren der Kampfflugzeuge schon warmliefen. General Cabellinformierte den Präsidenten, die Flugzeuge könnten die Kata-strophe in Minutenschnelle abwenden und den Erfolg derInvasion sicherstellen. Der Präsident brauche nur noch denEinsatzbefehl zu geben.

Am Vortag hatte Kennedy den versammelten Medien ver-sichert, falls jemand eine Invasion Kubas durchführen wolle(und die Luft schwirrte von Invasionsgerüchten), dann ohnedie Hilfe amerikanischer Streitkräfte. Kennedy wies Cabelleinfach ab. Damit war sowohl die Invasion wie auch die Ge-heimdienstkarriere des Generals beendet. Präsident Kennedybat um Cabells Rücktritt40, und am i. Februar 1962 wurde derGeneral als stellvertretender CIA-Direktor abgelöst. Späterwar es in Washington ein offenes Geheimnis, daß der GeneralPräsident Kennedy geradezu haßte.

In den meisten Ländern wäre eine mächtige Person, diesich im offenen Konflikt mit einem führenden Politiker desLandes befand, der später ermordet worden war, bei dernachfolgenden Morduntersuchung wenigstens als Verdächti-ger in Frage gekommen. Eine bedeutende Spionageorganisa-tion, die über die modernsten Mittel verfügte, um einen Morddurchzuführen, hätte wohl noch mehr Aufmerksamkeit aufsich gezogen. Mit Sicherheit hätte eine mächtige Person, dieeinen hohen Posten in einer bedeutenden Spionageorganisa-

tion innegehabt und mit dem Präsidenten auf Kriegsfußgestanden hatte, auf der Liste der Verdächtigen ganz obenrangiert.

General Cabell jedoch, auf den diese Beschreibung genauzutraf, wurde nicht einmal als Zeuge vor die Warren-Kommis-sion geladen. Ein Grund dafür mag gewesen sein, daß AllenDulles41, der Ex-CIA-Direktor (den Präsident Kennedy eben-falls gefeuert hatte), Mitglied der Kommission war und sichmit allen Spuren befaßte, die zur Agency führten. In den neunJahren, die Dulles die CIA geleitet hatte, war General CharlesCabell sein Stellvertreter gewesen.

8. VERDECKTE OPERATIONEN

Im Jahre 1963 war Clinton eine ländliche Kleinstadt im tief-sten Süden Louisianas. Sie war ein Relikt aus jener Zeit, in derdie Baumwolle noch König gewesen war; hier hatten sich dieFarmer getroffen, um die Baumwollerträge auszuwiegen unddie Gebote der Käufer zu hören.

Clinton war ein Ort jener Art, dessen Überleben keinesichtbare Basis hatte. Seine Bedeutung für die Baumwollindu-strie war verblaßt; er existierte nur noch, weil es ihn schonimmer gegeben hatte. Aber im Frühjahr 1967 fanden wir eineSpur, die dieser schläfrigen Stadt große Bedeutung verlieh.

Angeblich war Lee Oswald in Begleitung zweier ältererMänner im Spätsommer oder Frühherbst 1963 in Clinton ge-sehen worden. Die Beschreibung der Männer paßte genau aufClay Shaw, dessen Geburtsort Hammond östlich von Clintonin der Nähe liegt, und auf David Ferrie, der viel Zeit in GuyBanisters Exilkubaner-Lager etwas weiter östlich am LakePontchartrain verbracht hatte.

Es war eine magere Spur, kaum mehr als ein Gerücht, dasdie meisten Polizeibehörden verständnislos beiseite gefegthatten, aber wir waren von Anfang an gezwungen gewesen,mit solch mageren Spuren zu arbeiten.

Clinton lag ein gutes Stück abseits der Hauptverkehrswege,und ich hielt es nicht unbedingt für die richtige Strategie, denAssistant District Attorney Andrew Sciambra, einen echtenStadtmenschen, allein in diese ländliche Gegend zu schicken.Sciambra brauchte jemanden, der sich auf dem Land aus-kannte. Ich rief Gouverneur John McKeithen an, und er befahlLieutenant Francis Fruge, einem Beamten der Staatspolizei,

der - inklusive Akzent - von Cajun-Indianern abstammte,Sciambra sofort in Clinton zu treffen.

Bald hatten wir unerwartetes Glück. Wie sich herausstellte,hatten die beiden älteren Begleiter Lee Oswalds sich einenZeitpunkt ausgesucht, um mit ihm in einer Stadt auf demLande im tiefsten Süden aufzutauchen, der seit Jahrzehntender bemerkenswerteste war. Zum erstenmal in der Geschichtewurde eine umfassende Wählerregistrierung abgehalten, dievon der Bundesregierung unterstützt wurde. Diese Bemü-hung, mehr schwarze Wähler zu erfassen, wurde von denSchwarzen der Stadt kräftig unterstützt und von den Weißenunnachgiebig bekämpft. Von Sonnenaufgang bis Sonnenun-tergang hielt sich fast jeder Erwachsene Clintons in der Nähedes Registraturbüros auf. Die Schwarzen deswegen, um dafürzu sorgen, daß die Weißen die Erfassung der neuen Wählernicht verhinderten, und die Weißen, um sicherzustellen, daßkeine »Fremden« kamen, um die Schwarzen zu ermutigen. Eswar ein zuvor noch nie dagewesenes Ereignis, das sich aufdiese Art wahrscheinlich auch nie wiederholen wird. Tatsäch-lich führten die beiden ersten Zeugen in Clinton, die Sciambraund Fruge aufspürten, ihre Erinnerung an Oswalds Besuch inBegleitung der beiden älteren Männer im September 1963 aufdie gerade stattfindende Wählererfassung zurück.

Das Ereignis war für einige der befragten Bürger Clintonsunvergeßlich, da Oswald längere Zeit der einzige Weiße gewe-sen war, der in einer langen Schlange Schwarzer gestandenhatte. Ebenso unvergeßlich waren die beiden älteren Männer,die Oswald begleitet hatten. Alle Zeugen sagten aus, einer derbeiden habe eine verrückte Perücke getragen und mitSchminke nachgezogene Augenbrauen gehabt. Es gab keinenZweifel - das war David Ferrie gewesen.

Ferrie und der andere Mann, der Fahrer, waren zumeist imAuto geblieben, in einer großen schwarzen Limousine, wiesich jeder erinnerte. Einer nach dem anderen beschrieben dieZeugen den Fahrer als großen, sehr auffälligen Mann. SeineHaarfarbe wurde als grau oder weiß angegeben. Alle erinner-

ten sich außerdem an seine übertriebenen Manieren und er-zählten, er habe jedesmal, wenn jemand an der Limousinevorbeiging, höflich genickt und gegrüßt.

Der Marshai der Stadt hatte den Verdacht, daß die beidenvon der Bundesregierung geschickt worden waren, um denSchwarzen bei der Registrierung zu helfen. Er gab die Num-mernschilder der Limousine an die Staatspolizei durch und ließsie überprüfen. W,ie sich herausstellte, war der Wagen auf denInternational Trade Märt1 zugelassen, der von Clay Shaw -offenbar dem großen, auffälligen Mann - geleitet wurde.

Das Wetter war unerwartet kalt gewesen, vielleicht ein frü-her Bote des Herbstes. Den Einwohnern war jedoch wärmerals gewöhnlich; sie waren durch die emotionsgeladene Situa-tion aufgeheizt. Jeder schien vor Fremden auf der Hut gewe-sen zu sein.

Shaw und Ferrie müssen den Einwohnern, die sie nichtaus den Augen ließen, einen merkwürdigen Anblick gebotenhaben. Ferrie hat wohl mit der Perücke und den nachgezoge-nen Augenbrauen wie ein unglaublich komischer Vogel aus-gesehen.

Shaw, der auf seine herrische Art kettenrauchend nebenihm gesessen hatte, noch liebenswürdiger als sonst, mußte indieser staubigen Kleinstadt noch mehr fehl am Platz gewirkthaben. Interessanterweise war Shaw, dessen Vater Agent desamerikanischen Schatzamtes gewesen war, in Kentwood ge-boren und in Hammond aufgewachsen, rund fünfundvierzigKilometer östlich von Clinton.

Die Einwohner, die die beiden Männer in der Limousinenicht anstarrten, müssen Lee Oswald lange und ausführlichgemustert haben. Als man mehrere Monate später meldete, erhabe den Präsidenten ermordet, konnten sich einige an ihnerinnern. Als Clay Shaw später in New Orleans vor Gerichtstand, schilderte der Friseur der Stadt, Edwin McGehee, imZeugenstand den Augenblick, in dem er Oswald das erste Malerblickt hatte.2 Er hatte gerade die Klimaanlage abgestelltund die Tür seines Friseursalons geöffnet, als ein junger Mann

hereinkam. Nach dem Attentat identifizierte er den jungenMann sofort als Lee Harvey Oswald.

McGehee sagte aus, er habe Oswald die Haare geschnitten,was etwa fünfzehn Minuten dauerte, und Oswald habe einenEntlassungsschein der Marines gezeigt. Oswald erwähntedann, er wolle versuchen, im nahegelegenen Jackson einenJob im Krankenhaus zu ergattern. Als McGehee ihm sagte,das Krankenhaus sei eine Nervenheilanstalt, wirkte Oswaldzwar ehrlich erstaunt, zeigte aber weiterhin Interesse für denJob. McGehee machte den Vorschlag, er solle mit Reeves Mor-gan sprechen, dem Abgeordneten des Bezirks im Repräsen-tantenhaus. Außerdem riet er Oswald, sich als Wähler regi-strieren zu lassen, da er dann eine bessere Chance habe, denJob zu bekommen.

Oswald ging danach zu Morgans Haus. Es war kalt, erin-nerte sich Morgan, und er setzte sich mit Oswald vor das ge-rade angezündete Kaminfeuer.3 Er sagte Oswald ebenfalls,daß er eine bessere Chance habe, wenn er sich als Wähler desBezirks registrieren ließe. Nach dem Attentat identifizierte erOswald anhand der Bilder in den Zeitungen als den jungenMann, der ihn wegen des Jobs aufgesucht hatte.

Als Sciambra und Lieutenant Fruge ihre Arbeit in Clintonbeendeten, hatten sie über dreihundert Einwohner befragt.Nachdem Sciambra nach New Orleans zurückgekehrt war,rief ich Frank Klein, Jim Alcock und Lou Ivon in mein Büro.Ich bat auch D'Alton Williams dazu, die Handvoll Männer zuverstärken, die den Fall Kennedy hin und wieder bearbeite-ten. Im Gegensatz zu den anderen anwesenden Anwälten warD'Alton nicht unbedingt ein Prozeßanwalt. Seine Aufgabe wardie Leitung der Administration. Er war jedoch ausgesprochenintelligent und hatte schon seit langem sein Interesse für dasProjekt zum Ausdruck gebracht, und zu diesem Zeitpunkt wareinfach kein Prozeßanwalt mehr vorhanden, den ich aus denGerichtssälen hätte abziehen können.

Als sie sich um den langen Tisch im Konferenzraum ver-sammelten, kam mir zum erstenmal der Gedanke, daß wir,

seit wir über diese Affäre gestolpert waren, so etwas wie ein»Team« darstellten. Andrew Sciambra berichtete über seineWoche in Clinton, wir hörten zu und stellten Fragen. Alcockwollte wissen, welchen Sinn es gehabt hätte, Lee Oswald ei-nen Job in der Staatlichen Nervenheilanstalt von Jackson zubesorgen - falls dies tatsächlich Shaws und Ferries Absichtgewesen war. Sciambra erwiderte, diese Frage hätte er sichauch schon gestellt. Da er sich an Oswalds Überraschung er-innert hatte, als der Friseur in Clinton ihm sagte, daß es sichhierbei um eine Nervenheilanstalt handelte, war er nachJackson gefahren, um herauszufinden, ob sich Oswald jemalsdort um einen Job beworben hatte.

»Hat er?« fragte ich.Sciambra nickte. »Ja. Ich machte die Dame der Personal-

abteilung ausfindig, die das Bewerbungsgespräch geführthatte. Aber als sie eine Kopie seiner Bewerbung aus den Ak-ten holen wollte - und sie erinnerte sich daran, daß er eineausgefüllt hatte -, war sie verschwunden.«

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns dermaßen an das sy-stematische Verschwinden von Beweismitteln gewöhnt, daßjeder Kommentar überflüssig war. Doch die Tatsache blieb be-stehen, daß Oswald sich um einen Job in der Nervenheilan-stalt beworben hatte, und genau das hatten seine Hintermän-ner gebraucht, um eine weitere falsche Spur zu legen. Einpaar Wochen als Hilfsarbeiter dort hätten ausgereicht, umden Eindruck zu verstärken, daß Oswald glücklos von einemJob zum nächsten gewandert war, wobei der neue jeweilsnoch merkwürdiger war als der vorhergehende. Mit etwasGlück und der richtigen Planung wäre es sogar möglich gewe-sen - ein einfacher Dokumententausch von der Personal- zurPatientenkartei hätte genügt -, den richtigen Psychiater inJackson die Probleme beschreiben zu lassen, die er bei derBehandlung des seltsamen ambulanten Patienten namens LeeOswald gehabt hatte.

Das wahrscheinlich wichtigste Resultat der Nachforschun-gen in Clinton war, daß wir es geschafft hatten, David Ferrie

mit Clay Shaw in Zusammenhang zu bringen. Nachdem wirwußten, daß Shaw und Ferrie befreundet waren und sogarzusammen an einem geheimen Unternehmen gearbeitet hat-ten, kamen wir leichter an Informationen heran. Es wäre sehrschwierig gewesen, allein gegen Shaw zu ermitteln - einenbeherrschten, diskreten Mann mit mächtigen Verbindungen.Doch nun hatten wir den richtigen Ansatzpunkt bei Shaw ge-funden: Sein Name war David Ferrie.

Als ich im Pere Marquette Building erschien, kam Wray Gill insein Wartezimmer hinaus, um mich zu begrüßen. Wray wareiner der besten Prozeßanwälte der Stadt, und er verbeugtesich und hieß mich auf seine übertriebene Art bis in sein Pri-vatbüro willkommen, das im siebzehnten Stockwerk lag undauf den vorbeifließenden Mississippi hinabsah. Ich war hier,weil David Ferrie 1962 und 1963 als Teilzeitermittler für Gillgearbeitet hatte.4

Ich verzichtete in Gills Büro auf belangloses Geplauder.»Wray«, sagte ich, »Sie müssen mir einen Gefallen tun.«

»Kein Problem«, erwiderte er.»Meine Intuition sagt mir, daß David Ferrie ein paar Fern-

gespräche auf Ihre Rechnung geführt hat, als er für Sie arbei-tete.«

Seine weißen Augenbrauen hoben sich. »Ein paar Fern-gespräche? Allmächtiger Gott! Der Mann hat mich beinahein den Ruin getrieben.«

»Können Sie mir Kopien seiner Anrufe überlassen?«Er beauftragte seine Sekretärin damit, die Rechnungen für

1962 und 1963 herauszusuchen.»Die haben wir, Mr. Gill«, sagte sie, als sie zurückkam. »Sie

haben ihn im Januar 1964 gefeuert. Erinnern Sie sich?«»Wie könnte ich das je vergessen?« murmelte er. Er legte

den Finger auf die Rechnung dieses Monats. »Ich sagte DaveAdios, da ich zwar mit seinen Exzentrizitäten leben könnte,aber nicht mit seinen Ferngesprächen.«» Gill bat seine Sekretärin, die Gespräche durchzustreichen,

die die Kanzlei geführt hatte, damit nur Ferries Gesprächeübrigblieben. »Sie sind leicht zu erkennen«, sagte er. »DieStädte da haben nichts mit dieser Kanzlei zu tun. Sie wissenbesser als sonst jemand, daß etwa neunzig Prozent meinerArbeit hier in New Orleans stattfindet.«

Als die Sekretärin die Kanzleigespräche durchstrich, ent-deckte sie, daß die Rechnung für November 1963 — der Monat,in dem Präsident Kennedy ermordet worden war - fehlte. Siewußte zwar nicht, wer sie hätte entfernen können, wies aberdarauf hin, daß Ferrie zu diesem Zeitpunkt noch Zugang zuden Kanzleiakten gehabt hatte.

An diesem Abend ging ich die Rechnung von Ferries Fern-gesprächen für 1962 und 1963 durch. Als erstes fiel mir die er-staunliche Vielfalt auf. Die Anrufe gingen nicht nur in vieleamerikanische Städte, sondern auch an weit entfernte Orte inGuatemala, Mexiko und Kanada. Wen er dort angerufen hatte,hätte eine Bundesbehörde wie das FBI mit ihren Möglichkei-ten und Vollmachten in kürzester Zeit ermitteln können. Aberes war deutlich, daß keine dieser Behörden bereit war, uns zuhelfen.

Wir hatten weder die Verbindungen zur Telefongesell-schaft noch das Ermittlungspersonal, das man benötigt, umvon dem breiten, logischen Ansatz auszugehen, den ich ge-wählt hätte. Statt dessen sammelte und verglich ich gewissen-haft alle Beweisstücke der Warren-Kommission, in denenTelefonate aufgelistet worden waren, die die bei der Unter-suchung befragten Zeugen getätigt, entgegengenommen oderirgendwie erwähnt hatten.

Nachdem ich viele Abende Ferries Ferngespräche mit de-nen der Kommissionsbeweismittel verglichen hatte, stieß ichauf eine Verbindung. Die örtliche Telefonrechnung zeigte, daßFerrie am 24. September 1963 von New Orleans nach Chicagotelefoniert hatte. Nach der späteren Schlußfolgerung der War-ren-Kommission war das der Tag, bevor Lee Oswald New Or-leans verlassen hatte.5 Ferrie hatte die Nummer WH-4-4970in Illinois angerufen.6 Die örtliche Telefonrechnung listete

nicht den Namen des Empfängers auf. Hatte Ferrie vielleichttelefoniert, um irgendeinem Mittelsmann zu melden, alle fal-schen Spuren seien gelegt, oder daß »der Junge New Orleansverläßt«, oder etwas in der Art?

In dem Kommissionsbeweisstück Nr. 2350 (Seite 335 inBand 25) fand ich einen Anruf an die gleiche Nummer: WH-4-4970 in Chicago, Illinois. Unter der Rubrik »Zusätzliche Infor-mationen« stand im Band der Kommission zu lesen: »Persontelefonierte um 9.09 Uhr unter Benutzung einer Kreditkarte.Kansas City, Missouri, an Miß A. Asie, Zimmer 1405.« DiesesBeweisstück identifizierte nicht den Anrufer. Jedoch hatte ichzumindest einen Namen, der im Zusammenhang mit derNummer stand, die Ferrie angerufen hatte.

Ein paar Abende später fand ich Miß Asie - die sich nunAase buchstabierte - im Kommissionsbeweisstück Nr. 2266.Dort identifizierte ein FBI-Bericht sie ausführlicher als »JEANAASE« aus Chicago, Illinois. Der auf den 4. Dezember 1963datierte FBI-Bericht schrieb, daß sie »LAWRENCE V MEYERS«auf einer Geschäftsreise nach Dallas begleitet hatte, wo sie amAbend des 20. November 1963 eintrafen - zwei Tage vor demAttentat auf Präsident Kennedy. Sie stiegen im Ramada Motelab, wo sie die Nacht verbrachten. Am 21. November zogen sieins Cabana Motel.

Wie Jean Aase laut FBI-Bericht weiterhin aussagte, nahmMeyers sie am Abend des 21. November mit in den CarouselClub, wo er sie Jack Ruby vorstellte, und »die drei setzten sichan einen Tisch in Nähe der Tür und unterhielten sich«.

Zog man in Betracht, daß Lee Oswalds Freund Dave Ferrieaus New Orleans ihre Chicagoer Nummer angerufen hatte,fragte ich mich, ob Miß Aase sich später darüber gewunderthatte, daß Jack Ruby, ihr zwangloser Gesprächspartner, dreiTage später Oswald tötete.

Als ich die Bände der Warren-Kommission durchforstete,wuchs meine Verwirrung über Jean Aase. In den Bänden, diedie Aussagen enthielten, fand sich kein Nachweis, ob eineJean Asie oder Jean Aase tatsächlich existierte. Was diese

Bände betraf, fand sich kein Nachweis, daß tatsächlich irgendjemand existierte.

Im FBI-Verhör von Lawrence Meyers7 las ich dann, daß ausihr Jean West geworden war. Ich sah mir an, zu welchemSchluß die Warren-Kommission über Meyers gekommen war.Seinem Verhör nach erschien Meyers als ziemlich typischer,erfolgreicher mittelständischer Geschäftsmann. Seine Tochterarbeitete für das Atomkraftwerk der Regierung in Argonne,Illinois, und sein Sohn war beim Geheimdienst der Army. WasMeyers Freundschaft mit Jack Ruby anbetraf, hatten sie sichein paar Jahre zuvor kennen-, und Meyers hatte den zukünf-tigen Mörder Lee Oswalds schätzengelernt. Die Angehörigender Warren-Kommission waren mit dieser Aussage offenbarzufrieden gewesen. Meyers ist nie gefragt worden, ob er DaveFerrie kannte oder nicht. Er hatte auch nichts über die ge-heimnisvolle Miß Aase hinzuzufügen.

Miß Aase, oder Miß West, oder wie sie auch hieß, erschiennie vor dem Warren-Ausschuß und gab vor den Anwälten desAusschusses auch keine eidesstattliche Erklärung ab. Diesegeheimnisvolle Frau wurde ein drittes Mal vom FBI im glei-chen Band der Kommissionsbeweisstücke erwähnt, diesmalals »JEAN WEST«, aber das hellte die Sache nicht auf. Siewurde weder gefragt, ob sie Dave Ferrie kannte, noch, wiesoer Zugang zur gleichen Telefonnummer hatte, über die Meyerssie später erreichte. Der Bericht enthüllte auch keine Spur vonNeugier über ihre Plauderei mit Jack Ruby vor dem Attentat.

Der Zeitpunkt, zu dem diese Frau (zusammen mit Law-rence Meyers) Ruby getroffen hatte, war an sich schon provo-kant. Die ständige Namensänderung, die jeden verwirrenmußte, der etwas über sie herausfinden wollte, bestärktemich darin, daß etwas an ihr - oder ihrer Telefonnummer -verdächtig war. Als ich mir über dieses verwirrende Problemden Kopf zerbrach, kam mir plötzlich die Idee, daß ich überein »message center« - einen Kommunikationspunkt oderMeldekopf - gestolpert war, einen oft benutzten Trick derGeheimdienste, um potentielle Verfolger einer Telefonnum-

mernliste abzuschütteln. Und in diesem Fall war offenbar einGespräch mit Jack Ruby arrangiert worden.

Der Einsatz von Message-Centern ist für jede große Regie-rungsbürokratie ein Standardverfahren. Beispielsweise ist einMeldekopf für die Army so wichtig, daß jede Einheit - vomHauptquartier der Infanteriedivision bis hinab zur Kompanie -über einen verfügt und ohne ihn nur mit Schwierigkeitenfunktionieren würde.

Bei der Army befindet sich der Meldekopf einer Einheitunweigerlich in der nächstgelegenen Straße und wird fürKuriere durch kleine Zeichen am Straßenrand ausgewiesen.Andererseits betreiben die amerikanischen Inlandsgeheim-dienste keine Werbung. Sie sind tatsächlich so schüchtern, daßsie sogar ihre Existenz verleugnen. Trotzdem müssen ihreAgenten Nachrichten weitergeben können, und oft, besondersunter sehr heiklen Umständen, ziehen sie ein indirektes Vor-gehen vor - wie es bei Jean West der Fall gewesen zu seinscheint, die, von Ferrie benachrichtigt, am Tag vor dem Atten-tat mit Jack Ruby sprechen mußte.

Es war die Zeit gekommen, ein paar Gedanken über diesesgeheime Message-Center auszutauschen. Deshalb bestellteich das Team in mein Büro. Auf einer Tafel malte ich die Ver-bindung auf, die ich aufgedeckt hatte: Ferrie ruft die Nummerder West in Chicago an; die West und Meyers fliegen am20. November nach Dallas; die West und Meyers treffen sicham Tag vor dem Attentat mit Ruby.

D'Alton Williams, unsere jüngste Neuerwerbung, deuteteauf die Darstellung. »Ihre Idee eines Message-Centers scheintmir eine Möglichkeit zu sein«, sagte er. »Aber ich glaube, dasBild könnte noch klarer werden.«

Wir warteten, daß D'Alton fortfuhr.»Ruby kam aus Chicago, richtig?« fragte er.»Natürlich«, erwiderte ich, »ebenso wie Jean West und

Lawrence Meyers. Einige dieser Leute müssen sich gekannthaben. Darum paßt das mit dem Message-Center auch sogut.«

»Aber da gibt es ein Problem«, sagte D'Alton. »Was ist,wenn wir es hier mit einem Message-Center der CIA zu tunhaben? Dave Ferrie war offensichtlich nicht wichtig genug,um entscheiden zu können, welche Nachricht wohin weiterge-leitet werden sollte. Vergessen Sie nicht, daß wir annehmen,daß diese Nachricht direkt an Jack Ruby weiterging.«

»Ruby war nicht so bedeutend«, warf Ivon ein.»Das meint D'Alton nicht«, sagte Klein. »Er sagt, jemand -

zum Beispiel der ursprüngliche Absender der Nachricht - hatgewußt, wie Rubys Zeitplan aussah.«

»Stimmt«, sagte D'Alton. »Warum also fragen wir unsnicht, wer Dave Ferries Boß war?«

Er verstummte und fragte dann unschuldig: »War GuyBanister nicht mal Leiter des Chicagoer FBI-Büros?«

»Ich werd' verrückt«, sagte Ivon. »Chicago, Chicago, undwieder führt der Weg nach Chicago!«

»Bekomme ich den Gold Star für die Idee«, fragte D'Alton,»daß Guy Banister vermutlich Jack Ruby kannte?«

»Nein«, erwiderte ich, »weil Ruby in den späten vierzigerJahren Chicago verließ, um zur Air Force zu gehen, und esgibt keinen Hinweis, daß Banister Ruby schon in jener Zeitkannte. Aber Sie kriegen einen Silver Star.«

Ich ging zur Tafel, strich Ferries Namen aus und ersetzteihn durch Banisters.

»Es besteht die Wahrscheinlichkeit«, fuhr ich fort, »daß siedurch ihre Verbindungen in Chicago einige der Leute dortkannten.«

»Aber wie wollen wir mit Sicherheit wissen«, fragte Alcockund deutete auf die Tafel, »daß unser Message-Center dort tat-sächlich existiert hat?« Das war typisch für Jim Alcock. Erhatte etwas gegen Ungewißheiten.

»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Im Augenblick haben wirnur das Denkmodell eines derartigen Meldekopfes. Damitmüssen wir eben arbeiten.«

Zu dieser Zeit, im Frühjahr 1967, ereignete sich ein unerwar-teter Glücksfall. Dick Billings, Redakteur des Z,j/e-Magazins,tauchte in unserem Büro auf. Er war ein schlanker Mann mitscharfem Verstand und bewundernswerter Schlagfertigkeit.Nachdem er sich längere Zeit mit mir unterhalten hatte, gaber mir die vertrauliche Information, das oberste Managementvon Life sei zu dem Schluß gekommen, das Attentat auf Prä-sident Kennedy sei eine Verschwörung gewesen, und meineUntersuchung bewege sich in die richtige Richtung. Da Lifeeigene Nachforschungen anstellte, schlug Billings eine Zu-sammenarbeit vor. Die Zeitschrift wollte mir technische Un-terstützung zukommen lassen, und wir könnten einen Infor-mationsaustausch vereinbaren.

Das Angebot kam zur rechten Zeit. Ich hatte die Beschat-tung von Dave Ferries Haus verstärken wollen, verfügte abernicht über das erforderliche Personal, insbesondere fehlte unsein guter Fotograf. Es war uns gelungen, eine freundschaft-liche Beziehung zu dem Paar aufzubauen, das Ferrie auf demLouisiana Avenue Parkway direkt gegenüber wohnte. Eswohnte, wie er, in der ersten Etage eines Zweifamilienhausesund hatte, wie er auch, auf der Vorderseite einen Balkon mitMarkise. Ich beschrieb dem Life-Redakteur die Situation, undinnerhalb weniger Tage kam ein erstklassiger Fotograf in dieStadt. Wir ließen ihn sofort auf dem Balkon der ersten Etagedes gegenüberliegenden Hauses Stellung beziehen.

Inzwischen hatte Lou Ivon draußen am Flughafen Lake-front von New Orleans einen von Ferries früheren Flugzeug-mechanikern namens Jimmy Johnson8 aufgespürt und ihnüberredet, wieder für Ferrie zu arbeiten und mit der Staats-anwaltschaft Kontakt zu halten. Die Überwachung von FerriesAktivitäten am Flughafen zeitigte schnell ein Ergebnis. Ferriesagte Johnson, bald werde ein Päckchen für ihn ankommen.Ein weißer Sportwagen mit geschlossenen Fenstern, aber un-verschlossener Tür werde quer vor dem Verwaltungsgebäudedes Flughafens stehen. Ferrie bat Johnson, alle zehn oderfünfzehn Minuten nachzusehen, ob ein derartiger Wagen vor-

gefahren war. War dies der Fall, sollte Johnson unter den Fah-rersitz greifen, wo er ein braunes Päckchen finden würde.Das sollte er dann Ferrie bringen.

Der Wagen kam, und Johnson befolgte die Anweisungen.Als er das Päckchen ins Verwaltungsgebäude gebracht hatte,nahm Ferrie es an sich und ging auf die Toilette, um den In-halt zu untersuchen. Aufgeregt stürzte er dann wieder herausund verkündete, er werde ein neues Auto kaufen.

Das Bargeld, das Ferrie offenbar aus einer mysteriösenQuelle erhielt, machte eine andere Tatsache, die Jim Alcockaufdeckte, noch interessanter. Alcock stellte Ferries Bank ei-nen Bescheid zur Aufhebung des Bankgeheimnisses für des-sen Konto zu und fand heraus, daß Ferrie in den Wochen un-mittelbar vor dem Attentat auf Kennedy über 7000 Dollar inbar auf sein Konto eingezahlt hatte.9

Und noch eine andere Spur erbrachte aufregende Informa-tionen über Ferrie. Eine Privatdetektei hatte über Ferrie, dereinst bei den Eastern Airlines als Pilot beschäftigt gewesenwar, Ermittlungen angestellt. Ich besorgte mir eine Kopie desBerichts.10 Die Detektive hatten in der Nähe seiner Wohnungeinen Stützpunkt eingerichtet und beobachtet, daß Ferrie oftvon einem Mann namens Dante Marachini besucht wordenwar. Dante Marachini wohnte in der 1309 Dauphine Street,wie ein Blick ins Telefonbuch verriet. Das fand ich deswegenaußerordentlich interessant, weil Clay Shaw direkt danebenwohnte. Ich fragte mich, welche Nachbarn Clay Shaw sonstnoch hatte. Ich griff nach dem Adreßbuch (das Personen nachAdressen auflistet) und fand heraus, daß ein Mann namensJames Lewallen ebenfalls im Haus 1309 Dauphine Streetwohnte. Nach unseren früheren Nachforschungen hatte sichJames LewfJlen einst mit Dave Ferrie eine Wohnung in Ken-ner geteilt, einem Vorort von New Orleans.

Jetzt starrte ich auf zwei ausgefallene Namen, Marachiniund Lewallen. Beide hatten früher mit Ferrie zu tun gehabt,und beide wohnten direkt neben Clay Shaw. Darüber mußteman nachdenken.

Einige Zeit später stieß ich wieder auf den Namen DanteMarachini. Ich hatte mich mit Leuten der Reily Coffee Com-pany unterhalten wollen, die mit Oswald zusammen oder di-rekt über ihm gearbeitet hatten. Deshalb schickte ich FrankKlein zu der Firma, um ihre Namen und Positionen in Erfah-rung zu bringen.

Er war ziemlich schnell wieder da. »Sie sind alle weg«,sagte er. »Jeder, der in irgendeiner Verbindung mit Oswaldstand, hat die Reily Company wenige Wochen nach seinemTod verlassen.« Er legte ein Blatt Papier vor mich hin. »Hiersind die Namen und die neuen Jobs.«

Ich sah mir die Liste an.11 Ein Name sprang mich förmlichan: Dante Marachini. Er hatte genau am gleichen Tag wie Os-wald angefangen, für die Reily Company zu arbeiten. EinigeWochen nach Oswalds Kündigung hatte Marachini die ReilyCoffee Company verlassen und ein neues Leben begonnen:bei der Chrysler Aerospace Division der National Aeronauticsand Space Administration (NASA) im Osten von New Orleans.

Dann fiel mir auf, daß Alfred Claude, der Oswald bei Reilyeingestellt hatte, danach ebenfalls zur Chrysler AerospaceDivision gewechselt war.

Etwa zur gleichen Zeit hatte Emmett Barbee, Oswalds un-mittelbarer Vorgesetzter bei Reily, die Firma verlassen undeine neue Karriere bei der NASA gestartet.

Nachdem ich gesehen hatte, was mit all den Männern pas-siert war, die mit Oswald bei der Reily Company zu tun gehabthatten, und nachdem ich Dante Marachinis Namen erneut ge-lesen hatte, wurde meine Neugier über die 1309 DauphineStreet erneut geweckt. Ich rief Lou Ivon herein und bat ihnherauszufinden, ob James Lewallen, David Ferries frühererMitbewohner, der nun in der Dauphine Street wohnte, auchsoviel Glück wie einige von Reilys Angestellten gehabt hatte.Ivon brauchte ein paar Tage dazu, aber er kam mit einer in-zwischen nicht mehr überraschenden Information zurück:Lewallen arbeitete draußen bei der NASA für Boeing. Lou undich spielten etwas mit dieser interessanten Information

herum, dann stellte sich uns beiden die Frage, was aus MelvinCoffee geworden war, der David Ferrie am Vorabend desAttentats nach Texas begleitet hatte.

Ivon kehrte am nächsten Tag zurück. Melvin Coffee warvon der Aerospace Operation in Cape Canaveral eingestelltworden.

Vielleicht war es ein bloßer Zufall, daß alle Männer, die mitDavid Ferrie, Clay Shaw und Lee Oswald näheren Kontakt ge-habt hatten, am Ende bei der NASA gelandet waren, aber ichhatte da meine Zweifel. Soviel wußte ich inzwischen: Wenneine Gruppe von Einzelpersonen ohne ersichtlichen Grundzusammenkommt oder unerklärlicherweise, als würde sievon einem Magnetfeld angezogen, in die gleiche Richtungtreibt, werden oft irgendwo die schattenhaften Umrisse einerverdeckten Geheimdienstoperation sichtbar.

9. FREUNDSCHAFTSBANDE

Unsere Nachforschungen in Clinton hatten eindeutig eine Be-ziehung zwischen Clay Shaw und David Ferrie hergestellt.Aber wir standen einem echten Problem gegenüber, was dieGlaubwürdigkeit betraf. Würde man uns abnehmen, daß einweltgewandter, gebildeter Mann wie Clay Shaw einen sobizarren, schlampigen Burschen wie David Ferrie überhauptkannte und sogar mit ihm befreundet war? Die beiden Män-ner mit so unterschiedlichen Charakteren arbeiteten nicht nurzusammen, sie waren auch die dicksten Freunde. Es gab nureine Möglichkeit, auch dem größten Skeptiker den Beweis zuliefern: Wir mußten mehr Zeugen finden, die dieses seltsamePaar kannten. Dazu benötigten wir einige Monate.

Ein wichtiger Zeuge war Jules Ricco Kimble1, Mitglied vonrechtsaußen angesiedelten Gruppen2 wie den Minutemen unddem Ku-Klux-Klan, dessen Namen später mit der ErmordungMartin Luther Kings3 in Zusammenhang gebracht wurde. Erhatte im Herbst 1960 oder im Frühjahr 1961 - Kimble warnoch ein Teenager - etwas im Golden Lantern getrunken, ei-ner Kneipe mitten im Vieux Carre, als Dave Ferrie ihm ClayShaw vorstellte. Danach traf er Shaw bei mehreren Gelegen-heiten, erinnerte sich Kimble. Eines Tages im Herbst 1960oder im Frühjahr 1961 rief Ferrie ihn an und fragte ihn, ob erLust hätte, einen Nachtflug mitzumachen. Kimble stimmte zu;er traf Ferrie am Flughafen und erfuhr, daß Shaw ebenfallsmit von der Partei sein würde. Sie würden nach Kanada flie-gen, um dort jemanden abzuholen.

Kimble erinnerte sich, daß Shaw während der Reise hintenim Flugzeug saß und entweder schlief oder in einem Buch

blätterte. Seinen Erinnerungen zufolge hatte Shaw auch ei-nen braunen Aktenkoffer dabei.

Ferrie legte Zwischenlandungen zum Auftanken in Nash-ville/Tennessee, Louisville/Kentucky und Toronto/Kanada einund benutzte dazu eine Gulf-Kreditkarte. Das Ziel war Mon-treal. Kimble und Ferrie übernachteten in einem Hotel inDorval, unmittelbar an der Stadtgrenze von Montreal.4 Shawverschwand sofort nach der Landung, und sie sahen ihn erstam nächsten Morgen um 8.00 Uhr wieder, der vereinbartenZeit zum Rückflug nach New Orleans.

Als Shaw beim Flugzeug eintraf, wurde er von einem»Mexikaner oder Kubaner« begleitet. Kimble beschrieb denMann als untersetzt, dunkelhäutig, mit beginnender Glatzeund Anfang oder Mitte Dreißig. Shaw und der Latino saßenzusammen im hinteren Teil des Flugzeugs; letzterer unterhieltsich nur in gebrochenem Englisch mit Shaw. Kimble identifi-zierte das Flugzeug als eine Cessna 172, die, wie er glaubte,einem Freund Ferries gehörte. Nach der Landung auf demFlughafen Lakefront in New Orleans stiegen alle in KimblesWagen, und er brachte sie in die Stadt. Etwa einen Monat spä-ter erhielt er einen erneuten Anruf von Ferrie, der wissenwollte, ob er Lust hätte, ein weiteres Mal nach Kanada zu flie-gen, doch diesmal lehnte er ab.

Bei dieser Geschichte gab es einige interessante Aspekte.Erstens war bekannt, daß Shaw Angst vor dem Fliegen hatte.Doch hier begab er sich in einer kleinen Cessna auf eine langeFlugreise. Das konnte ein Hinweis auf eine Mission sein, diemehr als nur Routine war und für die sich Shaw persönlichverantwortlich fühlte. Zweitens reichte Ferrie nie irgendwel-che Flugpläne ein. Für Shaw war es überaus praktisch, daßes keine Unterlagen über diese und andere Reisen gab, dieer vielleicht mit Ferrie unternommen hatte.

Kimbles Aussage ging noch weiter. Er gab an, Shaw beiverschiedenen Gelegenheiten in Bars und im InternationalTrade Märt gesehen zu haben, den Shaw leitete. Kimble hattegehört, wie andere Leute Clay Shaw als Clay Bertrand vor-

stellten, doch ihm war er nie unter diesem Namen vorgestelltworden.

Während der Zeit, in der er mit Ferrie und Shaw Umgangpflegte, so erzählte Kimble, wurden für ihn Kontakte mit meh-reren CIA-Agenten hergestellt. Seiner Erinnerung nach han-delte es sich um einen gewissen Steinmeyer, der seitdem nachTexas versetzt worden war, wie Kimble meinem Stab gegen-über behauptete; um Natt Brown, der sich zur Zeit von Kim-bles Aussage noch in New Orleans aufhielt, und um einen drit-ten Agenten namens Red, dessen Nachname er nicht kannte.Kimble traf sich gewöhnlich mit ihnen in Motelzimmern, woer ihnen Berichte, Bilder und Tonbandaufnahmen übergabund dafür einen Scheck oder Bargeld bekam. Den Empfangmußte er dann quittieren. Er fügte hinzu, daß die Agentenihm oft Anweisungen an sein Postfach im Hauptpostamt inder Lafayette Street mit der Nummer 701-30252 schickten.

Es gab noch andere Gelegenheiten, bei denen Shaw undFerrie zusammen gesehen wurden. Beispielsweise hatte Fer-rie einen seiner jungen Freunde, David Logan, Shaw beiDixie's, einer Kneipe an der Bourbon Street/Ecke St. Peter, vor-gestellt.5 Davor hatte Ferrie Logan mit in eine Bar namensThe Galley House an der Ecke Toulouse und Chartres Streetmitgenommen, wo sie Shaw ebenfalls trafen. Ein weiteres Malbegegnete Logan in Begleitung von Ferrie Shaw auf einerParty in der Governor Nichols Street. Durch diese Treffenlernte der junge Mann Shaw ganz gut kennen und erhielt eineEinladung zum Essen. Logan erinnerte sich, daß das Essenvon einem livrierten Kellner serviert wurde und sie sich an ei-nem fast drei Meter langen Tisch gegenübersaßen. Offenbarhatte Shaw seine Vorliebe für Pomp nie aufgegeben.

Wegen einer ganz anderen Angelegenheit fuhren NicholasTadin, der Vorsitzende der lokalen Musikergewerkschaft, undseine Frau Mathilda an einem Wochenende nachmittags zumFlughafen New Orleans6; sie wollten mit David Ferrie überFlugstunden für ihren Sohn sprechen. (Ferrie betrieb zu die-ser Zeit eine Flugschule.) Nachdem sie ihren Wagen geparkt

hatten, sahen sie, wie Ferrie zusammen mit Clay Shaw ausdem Hangar kam und sich mit ihm unterhielt. Als sich Shawvon den Tadins abwandte und zu seinem Wagen ging, winkteFerrie ihm hinterher. Mrs. Tadin wollte wissen, wer FerriesBesucher sei, und ihr Mann, der Shaw bei diversen Anlässengesehen hatte, sagte ihr, er sei der Direktor des InternationalTrade Märt.

Wir konnten noch eine andere Person ausfindig machen,die Clay Shaw durch David Ferrie kennengelernt hatte: Ray-mond Broshears, einen alten Freund Ferries, der manchmalaus Long Beach, Kalifornien, in die Stadt kam.7 Wir spürtenBroshears, einen gesprächigen Burschen, einige Zeit nachFerries Tod auf. Es sei 1965 gewesen, erzählte er uns, inDixie's Bar, reichlich abseits von den Touristenpfaden und sotief im Vieux Carre, daß Shaw sich wohlgefühlt hatte, als erihm zum erstenmal begegnet war. Später am Abend, als Shawmit Ferrie, was selten geschah, öffentlich in einem Restaurantspeiste, ging Shaw nach Hause, zog sich um - er schlüpfte ausseiner sportlichen Kleidung in etwas weniger Zwangloses -und traf dann die beiden anderen in dem Restaurant. Bros-hears sagte, er hätte einen »wunderbaren« grauen Anzuggetragen.

Bei einer anderen Gelegenheit saß Broshears zusammenmit Ferrie in einem Straßencafe auf der Bourbon Street, alsShaw in einem großen schwarzen Wagen mit Chauffeur auf-tauchte. Broshears erinnerte sich, daß Ferrie hinübergingund sich kurz mit Shaw unterhielt, bevor dieser weiterfuhr.

Broshears sah Ferrie und Shaw ein weiteres Mal zusam-men an der Ecke Dauphine Street und einer anderen Straßeim French Quarter, an deren Namen er sich nicht mehr erin-nern konnte. Ferrie führte ihn an die Ecke und ließ ihn wis-sen, daß sie auf Shaw warteten. Shaw fuhr wieder in einemimposanten schwarzen Wagen vor und übergab Ferrie einengroßen braunen Umschlag. Dann, mit einem Blick in Bros-hears' Richtung, informierte Shaw ihn darüber, daß Bros-hears vom FBI gesucht werde. Nachdem Shaw weitergefahren

war, öffnete Ferrie den Umschlag, der Bargeld enthielt, undgab Broshears ein paar Scheine.

Laut Broshears hatte Ferrie nie von seiner Verwicklung indas Attentat auf Präsident Kennedy erzählt, außer, er war be-trunken. War er jedoch betrunken genug, hob er sehr bemühthervor, daß er nur am Rande darin verwickelt war. Er fügteunweigerlich hinzu, wenn man nur etwas zur Verfügungstellte, das mit einem Attentat zu tun habe, sei man eigentlichnicht an dem Attentat beteiligt gewesen.

Über mehrere Monate hinweg lernte Ferrie Broshears bes-ser kennen und erzählte ihm mehr. Laut Broshears war Ferrieam Nachmittag des Attentats nach Houston, Texas, gefahren.Er hatte den Auftrag, dort zu warten, bis Mitglieder der Atten-tätergruppe aus Dallas zu ihm stießen. Die beiden Männersollten in einem einmotorigen Flugzeug eintreffen, das voneinem der Attentäter geflogen wurde, einem Mann namensCarlos, den Ferrie gut kannte. Nachdem sie die unmittelbareGegend von Dallas verlassen hatten, hielten sie ein zweimoto-riges Flugzeug für praktischer, und da sollte Ferrie ins Spielgebracht werden. Er hatte den Auftrag erhalten, die beidenGruppenmitglieder aufzusammeln, nachdem die einmotorigeMaschine aus Dallas gelandet war, und sie danach an einenweiter entfernten Ort zu fliegen.

Ferrie erzählte, daß er alle Befehle genau ausgeführt habe,einschließlich des Besuches der Eislaufbahn, in der er aufCarlos warten sollte. Aber Carlos kam nicht. Broshearsglaubte zuerst, Ferrie würde diesen Teil erfinden.

Als Ferrie sich dann betrank und erneut erzählte, daß erauf Carlos in der Eislaufbahn von Houston gewartet hatte, er-kannte Broshears, daß Ferrie sich dies nicht nur ausgedachthatte. Es stellte sich heraus, daß es in letzter Minute eineÄnderung für die Abreise dieser beiden Mitglieder der Atten-tätergruppe gegeben hatte.

Ferrie enthüllte Broshears gegenüber nie, wer ihm die Be-fehle erteilte. Aber er ließ keinen Zweifel daran, daß er Carlosnicht für fähig hielt, ein Flugzeug zu fliegen, das mehr als

einen Motor hatte. Er beschrieb Carlos als Exilkubaner, wieden anderen Mann der Attentätergruppe, der laut Anweisungmit ihm zusammen in Houston ankommen sollte. Ferrie hattebeide in New Orleans kennengelernt. Sie waren davon über-zeugt, Präsident Kennedy habe sie an die Kommunisten ver-kauft.

So lautete zumindest Broshears' Aussage. Ich war von An-fang an gegenüber Details mißtrauisch, die einzelne Personenpreisgaben. Ich war mehr daran interessiert, die Kräfte in denMittelpunkt zu stellen, die daran beteiligt waren. Ich konntejedoch die Einzelheiten über die Kubaner nicht ignorieren,deren Bekanntschaft Ferrie angeblich in New Orleans ge-macht hatte. Ich wußte, daß Ferrie der Guerilla-Ausbilder fürGuy Banister und seine Amerikaner und Kubaner im Ausbil-dungslager nördlich des Lake Pontchartrain gewesen war.Deshalb paßte Broshears' Beitrag in das sich langsam schlie-ßende Puzzle. Ich ließ Broshears dreimal aussagen. Alle dreiAussagen unterschieden sich nur geringfügig voneinander.

Als wir die Aussagen Broshears' und anderer Zeugen sammel-ten, wußten wir nicht, daß Shaw und Ferrie über unsere Un-tersuchung informiert waren und sich weiterhin in der Hoff-nung trafen, einen Plan zu schmieden, sie zu stoppen. Aberim September 1967 fand ein Mann den Weg in mein Büro, denShaw und Ferrie einige Abende lang wegen seiner Diensteumworben hatten. Er machte Jim Alcock8 gegenüber eineausführliche Aussage über die Aktivitäten dieses Paares.

Edward Whalen aus Philadelphia, Pennsylvania, war Be-rufsverbrecher. Er hatte den größten Teil seines Lebens imGefängnis verbracht. Ein Freund, dessen Namen er nicht ent-hüllte, brachte Ferrie im Frühjahr 1967 in Columbus, Ohio, te-lefonisch mit Whalen zusammen, der sich zu dieser Zeit ge-rade »auf freiem Fuß« befand. Ferrie bat Whalen, ihn in NewOrleans zu treffen. Whalen erfuhr, daß ein Überfall auf dasHotel Jung und den kleinen Juwelierladen an der KreuzungBaronne und Gravier Street das große Geld bringen würde.

Whalen, der kurz zuvor in Columbus ein neues Auto ge-stohlen hatte, fuhr nach New Orleans. Er ließ seine jüngsteErrungenschaft in irgendeiner Seitenstraße stehen und trafFerrie im Absinthe House auf der Bourbon Street. Ferrie, derwie gewöhnlich auffallende Kleidung aus zweiter Hand trug,machte auf Whalen einen betrunkenen Eindruck. Whalennahm sich einen Stuhl und setzte sich zu ihm an den Tisch.

Ferrie eröffnete das Treffen, indem er seine fliegerischenFähigkeiten groß herausstellte. Whalen unterbrach ihn je-doch barsch und sagte, er brauche Geld, weil er auf der Fluchtvor der Polizei sei. Ferrie versicherte ihm, er könne eine großeSumme verdienen, und notfalls würde er Whalen selbst außerLandes fliegen. In dieser ersten Besprechung, die etwa einehalbe Stunde dauerte, verriet Ferrie Whalen keine Einzelhei-ten des Plans.

Nach diesem Treffen verbrachte Whalen die Nacht in einerWohnung, die Ferrie ihm zur Verfügung gestellt hatte. Ferrieüberließ Whalen für die Zeit seines Aufenthaltes in der Stadtauch einen schwarzen, etwas heruntergekommenen Ford. Eswurde vereinbart, daß Whalen Ferrie und eine andere Personam nächsten Abend im Absinthe House treffen sollte.

Whalen betrat das Absinthe House als erster. Kurz darauftraf Ferrie mit dem anderen Mann ein, der als Clay Bertrandvorgestellt wurde. Ferrie bestritt den größten Teil des Ge-sprächs, während Whalen, der schwieg, den anderen ab-schätzte. Hin und wieder sprach Ferrie den anderen Mann -laut der Beschreibung war es eindeutig Clay Shaw - mit demNamen Clay Bertrand an. Shaw wurde gereizt, wandte sichaber nicht direkt an Ferrie.

Nachdem die drei das Absinthe House verlassen hatten,fuhren sie in Ferries Wohnung auf dem Louisiana AvenueParkway, die Whalen bis hin zu den schäbigen Möbeln ganzexakt beschrieb.

Dort kam Ferrie dann endlich zur Sache. Er und Shawwollten jemanden ermorden lassen. Shaw wollte Whalen10000 Dollar im voraus als Anzahlung geben. Nach Erledi-

gung des Auftrags sollte Whalen weitere 15000 Dollar erhal-ten. Shaw wollte ihm einen falschen Paß besorgen, und Ferriewürde ihn nach Mexiko fliegen. Shaw sagte, das Opfer wollegegen ihn wegen einer früheren Sache als Zeuge aussagen;könne man diesen Mann nicht aufhalten, müsse er für langeZeit ins Gefängnis. Der Name des Opfers wurde zu diesemZeitpunkt nicht erwähnt. Whalen gefiel der Handel zwarnicht, aber er gab vor, mitzumachen. Bevor er ging, über-reichte Shaw ihm 300 Dollar für seine Ausgaben. Whalen ver-brachte die Nacht in einem Motel auf der Tulane Avenue. Ertrug sich nicht unter seinem richtigen Namen ein, konnte sichaber nicht mehr daran erinnern, welchen Namen er benutzte.

Am nächsten Tag traf Ferrie Whalen in Moran's Restau-rant. Nach dem Frühstück schlug Ferrie vor, daß sie ein Stückfahren sollten. Als sie im Auto saßen, fragte Ferrie, ob er jevon Jim Garrison gehört habe. Whalen verneinte. Ferrie er-zählte ihm, Garrison sei Staatsanwalt - und der Mann, den sieumbringen wollten. Whalen teilte Ferrie nun endgültig mit,daß er mit der Sache nichts zu tun haben wolle. Ferrie wollteihn überreden, aber Whalen lehnte ab. Sie trennten sich mitdem Versprechen, sich am nächsten Abend im AbsintheHouse zu treffen. Whalen verbrachte die Nacht in einem Motelam Airline Highway. Er konnte sich nicht erinnern, wie dasMotel hieß oder unter welchem Namen er sich eintrug.

Whalen und Ferrie sahen sich am nächsten Abend wie ver-abredet im Absinthe House wieder. Von dort gingen sie sofortzu Shaws Wohnung in der Dauphine Street. Whalen erinnertesich, daß sich die Wohnung im ersten Stock befand und aus-gesprochen luxuriös eingerichtet war.

Zuerst waren nur Shaw, Ferrie und Whalen anwesend.Shaw und Ferrie versuchten, Whalen zu überreden, den Planauszuführen. Eine halbe Stunde später kam ein kleiner, dickerMann herein, der eine dunkle Brille trug. Shaw stellte ihn alsDean Andrews vor. Andrews und Shaw berieten sich eine Zeit-lang abseits von Whalen und Ferrie, und kurz darauf verließAndrews die Wohnung.

Shaw wandte sich dann an Whalen und versuchte weiter,ihn zu überreden. Shaw sagte, er habe Whalen überprüfenlassen und wisse, daß seine Tochter an Kinderlähmung leide.Sollte Whalen den Plan ausführen, werde er dafür sorgen, daßseine Tochter die beste medizinische Versorgung erhalte, diefür Geld zu haben sei. Er werde außerdem dafür sorgen, daßsie das College besuchen könne. Doch Whalen blieb stand-haft; er wollte keinen Staatsanwalt umbringen. Also gingen erund Ferrie.

Draußen meinte Ferrie, er mache einen Fehler. Clay Ber-trand könne eine Menge für ihn tun. Auch sprach Ferrie daserste Mal von Lee Oswald. Er sagte, Bertrand habe viel für Os-wald getan, und Oswald sei nur umgebracht worden, weil erMist gebaut habe. Ferrie behauptete, Oswald sei Agent derCentral Intelligence Agency gewesen und habe von ihm undShaw einst Geld bekommen. Ferrie sagte auch, sie hätten »In-sider-Informationen« von Dean Andrews erhalten, laut denenJim Garrison eine Untersuchung über das Attentat auf Prä-sident Kennedy einleiten würde. Ferrie prahlte, er habe dasAttentat auf Kennedy vorbereitet, und erwähnte die Namenanderer wichtiger Leute, die er angeblich kannte. Whalenglaubte diese Behauptungen nicht; er hielt sie für Angebe-reien bei dem Versuch, ihn doch noch zu überreden. Whalenbeharrte, er wolle mit der Sache nichts zu tun haben, und ver-abschiedete sich.

Außer der Neigung, bei Daten und Namen etwas vage zusein, hat Edward Whalen Jim Alcock nach meiner Meinungeine sehr genaue Aussage zu Protokoll gegeben. Besondersüberzeugte mich Whalens Wissen, daß Dean Andrews Shawund Ferrie vor meiner bevorstehenden Ermittlung gewarnthatte. Als Whalen sich mit Shaw und Ferrie traf, hatte es nureine Person außerhalb meines unmittelbaren Stabes gegeben,der ich von der Untersuchung erzählt hatte - und zwar kei-nem anderen als Dean Andrews bei unserem denkwürdigenMittagessen.

Es überraschte mich zu hören, daß ich beseitigt werden

sollte. Aber wenn ich auf unsere Untersuchung zurückblickte,hatten wir hier und dort etwas erreicht, und es fiel mir nichtschwer, mich an Shaws und Ferries Stelle zu versetzen. IhreVerzweiflung, besonders nach meinem Gespräch mit DeanAndrews in Broussard's Restaurant, war auf jede Weise nach-vollziehbar. Doch das ängstigte mich nicht, und es hielt michmit Sicherheit auch nicht auf. Es war mir schon immer we-sensfremd gewesen, einer Auseinandersetzung aus dem Wegzu gehen. Ich sah mein Leben als eine Art Fortführung desZweiten Weltkrieges, nur daß es eine andere Art Kampf war -und ein anderer Feind. Soweit es mich betraf, mußten Shaw,Ferrie und wer sonst noch hinter ihnen stand aufgeben, bevorich es tat.

Shaw hatte vielleicht die richtigen Verbindungen zur CIA,um zu verlangen, daß ich ausgeschaltet wurde. Aber zu die-sem Zeitpunkt hatte ich erkannt, daß die Agency über vielsubtilere und feinere Möglichkeiten verfügte, um mit der Be-drohung fertig zu werden, die ich darstellte. Meiner Einschät-zung nach hatten Ferrie und Shaw, als sie zur Lösung ihrerjuristischen Probleme mit Whalen Kontakt aufnahmen, eineigenes, abtrünniges Unternehmen ins Leben gerufen.

Unsere Untersuchung hatte Monate damit zugebracht,zahlreiche Zeugen ausfindig zu machen, die Shaw eindeutigmit Ferrie in Verbindung brachten. Wir wußten noch immernicht genau, was sie eigentlich getan hatten. Aber wenn sieden Punkt erreicht hatten, einen Killer anzuheuern, mußte esschon etwas Gewaltiges sein. .

10. DIE IDEN DES FEBRUAR

Ich hätte wissen müssen, daß die Dinge für uns zu glatt gelau-fen waren. Seit dem glücklichen Wochenende, an dem ich aufdie Tatsache gestoßen war, daß Oswalds gestempelte Adresse544 Camp Street sich inmitten der örtlichen Geheimdienst-stellen befand, hatten wir entscheidende Indizien und Zeugengefunden, die - absichtlich oder nicht - von der Warren-Kom-mission und den Medien ignoriert worden waren. Da wir voneiner unerwarteten Entdeckung zur nächsten gestolpert wa-ren, kamen wir stetig voran.

Doch nun waren die Iden des Februar angebrochen. Zu-mindest nannten wir diesen Zeitabschnitt so; bis die düsterenTage, die noch kommen sollten, diese für kurze Zeit bedeu-tungsvolle Bezeichnung nichtig erscheinen ließen. Es wareninterne Probleme aufgetaucht, die die Untersuchung allmäh-lich behinderten.

Frank Klein, der erste stellvertretende Staatsanwalt, undPershing Gervais, der Hauptermittler, waren von Anfang andie beiden tatkräftigsten Mitarbeiter meiner Behörde gewe-sen. Klein dachte streng legalistisch, war peinlich genau undpräzise. Er war ein blauäugiger, blonder Mann, der sehr stolzauf seine deutsche Herkunft war und zutiefst an Disziplin undLoyalität glaubte. Die hauptsächlichen Gründe für meine Ent-scheidung, ihn sofort in die zweite Position der Staatsanwalt-schaft zu berufen, waren der Wert, den er dem System, derOrdnung und Verantwortung beimaß, und die Aufmerksam-keit, die er Details schenkte.

Pershing Gervais unterschied sich nicht nur in der äußer-lichen Erscheinung völlig von Klein, sondern auch durch seine

Vergangenheit und Tugenden. Wie Klein war er sehr intel-ligent und hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor, aberdann hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Wo Klein zu Phleg-matismus neigte, war Gervais lebhaft. Gervais war franzö-sischer Abstammung, schwarzhaarig, mit dunklen Augen,ruhelos. Sein Temperament war unbeständig, und manchmalsogar sehr impulsiv.

Der vielleicht größte Unterschied zwischen beiden Män-nern zeigte sich in ihrer Haltung, die sie der Autorität ent-gegenbrachten. Klein neigte dazu, sie gutzuheißen, sie zu un-terstützen, sie als eine Art Mörtel anzusehen, der alleszusammenhielt. Gervais dagegen stand der Autorität äußerstmißtrauisch gegenüber. Er mißtraute ihr so lange, bis er siegetestet hatte. Mehr noch, Auflehnung zog ihn - fast um ihrerselbst willen - auf animalische Weise an, und das war so tiefin ihm verwurzelt, daß ich es erst bemerkte, als es zu spätwar. Ich kannte Gervais seit 1941, als wir als Angehörige derWashingtoner Artillerie-Einheit der Nationalgarde zusammenzur Army gegangen waren. Im Zweiten Weltkrieg hatten wirgemeinsam bei den großen Geschützen (i55-mm-Haubitzen)gedient und waren langsam zum Sergeant aufgestiegen. Alsich unsere Einheit verließ, um die Offiziersschule zu be-suchen, waren wir enge Freunde geworden.

Viele Jahre später, als ich zum Staatsanwalt gewähltwurde, stellte ich diesen alten Freund an die Spitze meinesUntersuchungsstabs^ für Routineuntersuchungen - organi-sierte Gesetzesverletzungen, bei denen Bürger betrogen wur-den.1 Damals wußte ich, daß er Jahre zuvor als Beamter desberüchtigten korrupten New Orleans Police Department in ei-nige fragwürdige Aktivitäten verwickelt gewesen war. AberGervais' Aussage hatte wesentlich dazu beigetragen, die Kor-ruption bei der Polizei in der Stadt zu beenden, und als ich ihneinstellte, arbeitete er für die Metropolitan Crime Commissionals Undercover-Informant. Ich war der Meinung, daß eine völ-lig ehrliche, »anständige« Staatsanwaltschaft wie die unsereeinen Mann wie Gervais, der einmal einen Fehler gemacht

hatte und nun »geläutert« war, brauchen konnte. Wir benötig-ten über die im Verborgenen agierende Unterwelt von NewOrleans Kenntnisse aus erster Hand, und Gervais schien vonder Bourbon Street bis zu den Außenbezirken der Stadt zuwissen, was sich wo abspielte.

Ich wurde 1962 vereidigt, und während der ersten Amts-jahre gab es keinen Grund für die Annahme, daß mein ersterStellvertreter und mein erster Ermittler nicht miteinanderauskamen. Während dieser Zeit war Gervais tatsächlich soetwas wie ein Fremdenführer gewesen, als wir gegen Strip-lokale, Spielhöllen und andere Aktivitäten des organisiertenVerbrechens losschlugen, mit denen New Orleans mittlerweilegleichgesetzt wurde. Wir stürzten uns auf die Kneipen, in de-nen Touristen ausgenommen und Prostituierte in Separeesangeboten wurden. Wir schlössen das letzte Bordell von NewOrleans. Zum erstenmal seit mehr als hundert Jahren konn-ten wir dem Lotteriegeschäft Einhalt gebieten, das den armenLeuten der Stadt das Geld aus der Tasche gezogen hatte. DieKombination aus Kleins Effizienz und Gervais' Kenntnissenwar dabei äußerst hilfreich.

Als mir 1966 die persönlichen Meinungsverschiedenheitenzwischen Klein und Gervais auffielen, hielt ich sie für ein lös-bares Problem. Aber sobald wir die Kennedy-Untersuchung inAngriff nahmen, eskalierte der Streit zwischen den beiden.Aus Gesprächen mit Gervais wußte ich, daß ihn das Attentatnicht interessierte. Zu diesem Zeitpunkt war mir allerdingsnicht bekannt, daß Gervais Klein seit dem Herbst 1966 dazugedrängt hatte, mich zu überreden, die Kennedy-Unter-suchung einzustellen. Klein, der meine Leidenschaft teilte, indieser Sache die Wahrheit herauszufinden, ärgerte sich überGervais' Einmischungen.

Wie tief die Kluft zwischen beiden Männern war, fand ichan einem Wochenendnachmittag Mitte Februar 1967 heraus.Ich kam nach drei Tagen Sonderdienst der Nationalgarde voneiner Übung des Heeresdivisionsstabs müde und schmutzig inmein Büro. Noch in Uniform fand ich zuoberst auf meinem

Schreibtisch eine kurze Mitteilung von Frank Klein. In derHauptsache ging es darum, daß er es nicht länger ertragenkonnte, in demselben Team wie Pershing Gervais zu arbeiten.Er informierte mich widerstrebend darüber, daß er zurück-treten werde, wenn ich Gervais nicht fallenließ. Ich mußtemich entscheiden.

Ich fürchte, ich war durch meine Jahre bei der Army sehrgeprägt worden, und eine Sache, die ein Kommandant auf garkeinen Fall tolerieren kann, ist ein Ultimatum, das ihm voneinem rangniederen Offizier gestellt wird. Ich legte den Briefhin, ging zu meinem Aktenschrank und holte die Bewertun-gen über die Arbeit der diversen stellvertretenden Staatsan-wälte heraus. Einer der Prozeßanwälte, Charles Ward, stachwegen seiner Erfolge vor Gericht besonders hervor. Ich riefihn an und bot ihm Kleins Stellung an. Obwohl er überraschtwar, willigte er ein. Nachdem das erledigt war, nahm ich denRest meiner Post vom Tisch und fuhr nach Hause.

Ich strich die Sache aus meinem Bewußtsein, überzeugt,sie auf die einzig richtige Weise erledigt zu haben, die einerFührungspersönlichkeit offensteht. Erst als ich am nächstenMorgen aufwachte, wurde mir bewußt, was ich wirklich getanhatte. Dann erkannte ich allerdings, daß meine dumme mili-tärische Reaktion dazu geführt hatte, den wichtigsten Mannunserer Ermittlung, unseren fähigsten Kopf, gehen zu lassen.

Innerhalb weniger Tage besiegte der gesunde Menschen-verstand meinen Stolz; ich rief Frank Klein an und lud ihnzum Mittagessen ein. Er war noch immer der gleiche alteFrank; er war zwar etwas von mir enttäuscht, konnte abermein Zögern verstehen, eine Entscheidung zu treffen, die aufCharakterunterschieden basierte. Ich gab zu, einen Fehler ge-macht zu haben, und bat ihn, seinen Posten wieder anzuneh-men. Aber er lehnte ab, solange Gervais da war. Warum ermir nicht von Gervais' Drängen erzählte, die Kennedy-Unter-suchung zu beenden, werde ich nie begreifen. Aber Frank ließkeinen Zweifel an seinem Ermittlungseifer.

Ich deutete an, daß ich einen modus operandi finden

würde, der es ihm erlaube, sich weiterhin an der Kennedy-Untersuchung zu beteiligen. Bevor wir auseinandergingen,verabredeten wir, daß er in der ersten Zeit durch Lou IvonKontakt mit mir oder anderen in der Behörde halten sollte.Nach dem Mittagessen waren Frank Klein und ich seltsamer-weise so enge Freunde wie eh und je.

Was Pershing Gervais anbelangte, so blieb er für die näch-ste Zeit unser erster Ermittler. Da ich ein alter Kumpel aus derMilitärdienstzeit war, der sich durch Sentimentalität blendenließ, hatte ich - bis es zu spät war - keine Vorstellung davon,wozu ihn seine Liebe zum Geld schließlich treiben würde.(Siehe Kapitel 19)

Kurz darauf, am 17. Februar 1967, wurde ich wieder aufge-schreckt. Es war der unvergeßliche Tag, an dem der NewOrleans States-Item seine »große Story« veröffentlichte. JimAlcock war gerade dabei, mir zu erklären, wie wir mit Hilfevon Computern die Übersicht über die laufenden Fälle behal-ten und unsere Kosten senken konnten, als Lou Ivon mit grim-migem Gesicht in mein Büro platzte. Er legte feierlich eineAusgabe der Zeitung vor uns auf den Tisch. »Einen fröhlichenValentinstag!« sagte er.

Obwohl ich wußte, daß ein Artikel geplant war, da ein Re-porter mich angerufen hatte, trafen mich die Überschrift unddie ersten Absätze wie eine kalte Dusche.

»HIESIGER STAATSANWALT UNTERSUCHT MÖGLICHESMORDKOMPLOTT GEGEN JFKGeheimnisvolle Reisen verschlingen große SummenDie Staatsanwaltschaft des Bezirks New Orleans hat eine

umfassende Untersuchung der Umstände eingeleitet, die dieErmordung Präsident John F. Kennedys umgeben.

Der States-Item hat erfahren, daß die Staatsanwaltschaftüberdurchschnittlich hohe Geldbeträge in die Untersuchungeines möglichen Mordkomplotts steckt.

Staatsanwalt Jim Garrison weigert sich, die Existenz einersolchen Untersuchung zu bestätigen, zu verneinen oder Infor-

mationen zu kommentieren, die dem States-Item bekannt-geworden sind...

Prozeßassistenten und Ermittler, die dem Staatsanwalt zu-geteilt sind, haben seit dem 25. November 1966 mehr als8000 Dollar an unbelegten Reise- und >Ermittlungskosten<ausgegeben.«

»Verdammt«, murmelte Jim Alcock. Für Jim, der sich jeg-liche Unmutsbezeigungen für Konfrontationen im Gerichtssaalaufsparte, kam dies einem Seemannsfluch gleich.

»Ich frage mich, ob diese Typen ahnen«, grollte Lou Ivon,»wieviel sie für diese 8000 Dollar bekommen haben.«

Stumm lasen wir weiter. Die Reporterin Rosemary James,die geahnt hatte, daß in unserem Büro etwas vor sich ging,hatte sich die Spesenbelege angesehen, für deren Erstattungwir um gerichtliche Zustimmung baten. So hatten wir unsereUntersuchung finanziert. Wir hatten so unauffällig wie mög-lich gehandelt und angenommen, dies sei der wirksamste undverantwortungsbewußteste Weg, eine so potentiell explosiveSituation zu handhaben. Die Rechnungsbelege waren jedochöffentlich zugänglich, deshalb konnte man sie legal nicht zu-rückhalten.

Als sie zu Ende gelesen hatten, schoben Ivon und Alcockihre Zeitungen beiseite. Sie sahen mich an und warteten aufmeine Reaktion.

Ich blickte sie kurz an und sah die Wut in ihren Augen. Sieerwarteten von mir eine zornige Reaktion.

Ich zuckte die Achseln.»Ist das alles?« explodierte Ivon.»Sie haben die Geschichte aufgedeckt«, sagte ich ruhig.

»Das ist ihr Job. Auf jeden Fall erreichen wir absolut nichts,wenn wir wütend werden.«

Jim Alcock sah uns ungläubig an. »Ich muß rausgehen undmir noch mal die Tür ansehen. Ich glaube, ich bin beim fal-schen Staatsanwalt gelandet.«

Als ich am nächsten Morgen über die Broad Street auf die Tu-lane Avenue zufuhr, konnte ich schon die Reporter sehen, diein einer dichten Schar versuchten, sich durch den schmalenEingang zum zweiten Stock des Criminal District Court Build-ing zu drängeln, in dem unsere Büros lagen. Ich wies meinenFahrer an, das große, festungsähnliche Gebäude zu umrun-den und die andere Einfahrt beim Büro des Gerichtsmedizi-ners zu nehmen. Dies führte uns zu einer ungekennzeichne-ten Tür im Erdgeschoß, hinter der ein kleiner Aufzug direkt indas private Badezimmer meines Büros fuhr. In den zwölf Jah-ren meiner Zeit als Staatsanwalt hat die Presse nie heraus-gefunden, wie ich in mein Büro gelangte, obwohl sie alle Ein-gänge bewachte.

Die Morgenausgabe der Zeitung lag auf dem Tisch, und ichlas sofort den Kommentar mit dem Titel »Garrisons Ver-schwörungsermittlung«. Er erinnerte die Leser daran, daßdie Bundesregierung die Angelegenheit bereits gründlichuntersucht hatte, und etwa in der Mitte las ich die folgendenZeilen:

»Durch Mr. Garrisons Schweigen zu dem Thema stellensich einige interessante Fragen, besonders, da seit dem 25.November mehr als 8000 Dollar für unbelegte Reise- und >Er-mittlungskostem ausgegeben wurden.

Hat der Staatsanwalt wertvolle zusätzliche Beweismittelaufgespürt, oder hält er lediglich einige interessante neue In-formationen zurück, die ihm Schlagzeilen in einer überregio-nalen Illustrierten verschaffen sollen?

Mr. Garrison sollte einige Erklärungen parat haben.«Ich las diese Zeilen mehrere Male und dachte kurz daran,

die Zeitung wegzuwerfen und ohne einen Blick zurück meinAmt sofort niederzulegen. Dann nahm ich einen der langen,goldenen Kugelschreiber von dem Schreibtischset, das manmir zu meiner Wahl geschenkt hatte. Während Ivon und Alcockschweigend bei mir saßen, bog ich den Kugelschreiber sorg-fältig in ein perfektes »U«. Dann warf ich ihn ohne ein Wortin den Papierkorb.

»Bilde ich mir das nur ein«, fragte Ivon, »oder hat uns ge-stern nicht jemand gesagt, daß es nichts bringt, wenn manwütend wird?«

»Das war gestern«, sagte ich.Wut war nicht annähernd das passende Wort für das, was

ich empfand. Bis zu diesem Moment hatte ich trotz der sichständig wiederholenden Anzeichen des Gegenteils gehofft, dieMedien würden meine Motive und Handlungen verstehen.Was noch wichtiger war, ich hatte angenommen, ihnen wäreaufgefallen - und es hätte sie betroffen gemacht -, daß mitden unmöglichen Ergebnissen der Warren-Kommission ir-gend etwas auf furchtbare Weise nicht stimmen konnte. Jetzterkannte ich, wie naiv ich gewesen war.

Die Stimme meiner Sekretärin kam über die Gegensprech-anlage. »Mr. Garrison«, sagte sie. »Ich muß der Presse etwassagen. Der Korridor reicht kaum noch für sie aus. Die Leutesagen, sie brauchen Ihren Kommentar.«

»Sagen Sie ihnen, sie haben ihren Kommentar gestern be-kommen. Er stand auf der Titelseite des States-Item.«

Ich füllte einen Aktenkoffer mit Nachschlagewerken. Dannnahm ich den Badezimmeraufzug und fuhr nach Hause, umeinen Nachmittag lang ungestört arbeiten zu können.

Die Artikel im States-Item sorgten sofort für enorme Publizi-tät. Ich wurde überschwemmt mit Bitten um Interviews. DieLeute auf der Straße hielten mich Tag für Tag an. Aus allerWelt trudelten Briefe im Büro ein, die unsere Sache unter-stützten. Offenbar war die öffentliche Skepsis dem offiziellenBericht der Warren-Kommission gegenüber viel stärker undweiter verbreitet, als ich vermutet hatte. Die bloße Tatsache,daß ich, ein gewählter Beamter, diese Skepsis teilte und bereitwar, daraufhin auch zu handeln, hatte ein öffentliches Echozur Folge, wie ich es noch nie erlebt hatte.

Ein ungewöhnlich positiver Brief kam von John Miller, dersich selbst als Ölmann aus Denver bezeichnete. Er war aufvornehmem, hellblauem Papier geschrieben, mit der kleinen

geprägten Aufschrift »Öl und Benzin« unter dem Namen, unddeutete an, daß Miller dem Büro finanzielle Hilfe anbot, damitwir unsere Untersuchung fortführen konnten.

Bald kam Miller persönlich aus Denver. Als er eintraf,brachte ihn die Empfangsdame in mein Büro, in dem AndrewSciambra und ich ihn erwarteten.

Unser Besucher trug einen gutgeschnittenen Gabardine-anzug, der nicht von der Stange eines Kaufhauses stammte.Er war ein selbstsicherer, beeindruckender Mann, der einpaar Jahre älter war als ich.

Meine Sekretärin Sharon brachte uns Kaffee. Er genoß sei-nen. »Der Kaffee hier unten schmeckt fast so wie türkischer«,sagte er, »aber ich glaube, ich könnte mich schnell darangewöhnen.«

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit mir zu. »WissenSie«, sagte er, »ich bin seit langem ein Bewunderer Ihrer Be-hörde.«

Er schien keine Einwände gegen Sciambras Anwesenheitzu haben - er hatte ihn nicht einmal zur Kenntnis genom-men -, und deshalb bedeutete ich Andrew, er solle bleiben.

Ich hatte ein paar vor kurzem bearbeitete Fotos herausge-sucht, um sie Miller zu zeigen. Sie stellten die ErschießungPräsident Kennedys in allen, zu Herzen gehenden Einzelhei-ten dar. Nachdem wir den Small talk erledigt hatten, nahm icheines heraus und legte es ihm vor.

»Sie sind vergrößert worden«, sagte ich, »aber man hat sieeiner Spezialbehandlung unterzogen, so daß sie viele der ur-sprünglichen Details zeigen.«

»Phantastisch«, sagte er. »Ich würde sie gerne sehen.«Da stand er bereits in der anderen Hälfte des Zimmers und

nahm einige meiner Kriegsfotos aus dem Bücherschrank.»Wo waren Sie?« fragte er. »Europa oder Pazifik?«»Deutschland«, erwiderte ich.»Sie haben Glück gehabt«, sagte er. »Ich habe drei Jahre

im Pazifik verbracht.«»Ich bezweifle, daß Sie die Vergrößerungen je zuvor gese-

hen haben«, sagte ich und griff nach weiteren Bildern, um sieihm ebenfalls zu zeigen. »Wir haben sie erst gestern aus NewYork bekommen.«

Jetzt stand unser Besucher am Fenster. Er bog einige Ja-lousieblätter auseinander, damit er auf die Tulane Avenue hin-unterblicken konnte.

»Ich habe noch nie eine Straße gesehen«, sagte er, »auf derKautionsbüros so im Überfluß vorhanden sind. Wie kommtdas?«

»Ich nehme an, weil das hier das Criminal District CourtBuilding ist«, erwiderte ich und wurde etwas gereizt. Ich hattenoch nie einen Besucher erlebt, der so umherwanderte.

»All die kleinen Büros; dieser Schilderwald. Sie lassen dieganze Avenue wie eine Seitenstraße aussehen.«

Er war wieder in die Nähe meines Schreibtischs gekom-men. Ich hielt das große Foto hoch, das den Augenblick destödlichen Schusses festhielt, beugte mich vor und drückte esihm in die Hand. »Sie sollten sich das hier ansehen«, sagteich. »Auf dieser Vergrößerung sieht die Wunde aus, als wäresie von einer zersplitterten Kugel verursacht worden.«

»Ich habe von diesem Schuß gehört«, sagte er. Er legte dasBild zurück auf meinen Schreibtisch. »Eine fürchterlicheTragödie.« Er lehnte sich über den Tisch, schob sämtliche ver-größerten Fotos zur Seite und stapelte sie fein säuberlich zueinem Haufen auf. Dann setzte er sich und sah mich an. »Siebrauchen mir diese Dinge nicht zu zeigen«, sagte er mit einerHandbewegung. »Es ist mir völlig klar, daß Sie eine äußersteffektive Untersuchung durchgeführt haben, wenn man IhreMöglichkeiten bedenkt.«

Er musterte mich nachdenklich mit aneinandergelegtenFingerspitzen. »Ich habe bemerkt, daß die örtliche Presse Siein den letzten Tagen ganz schön in die Mangel genommen hat.Wird Ihnen das nicht schaden?«

»Ohne Frage«, erwiderte ich.»Was haben Sie auf Lager, um mit der Untersuchung fort-

zufahren?«

»Wenn Sie es schon wissen müssen«, sagte ich etwas un-vorbereitet über sein plötzliches, anmaßendes Vorgehen,»buchstäblich nichts.«

»Wie viele Leute bearbeiten diese Sache mit Ihnen zusam-men?«

»Weniger, als Sie glauben würden«, sagte ich. »Meist sindes zwei stellvertretende Staatsanwälte, manchmal drei. Undeine Handvoll Polizeiermittler.«

»Das ist alles, was Sie die ganze Zeit über hatten?« fragteer ungläubig.

»Ja.«»Wie ist es Ihnen denn dann gelungen, den Weg zu Guy

Banisters Unternehmen zu finden?«Ich zögerte. In dem Artikel im States-Item hatte nichts

über Guy Banister gestanden. Ich hatte Guy Banister auchnicht erwähnt. Der Mann hatte mir gerade viel mehr verraten,als ihm eigentlich hätte bekannt sein dürfen. Ich spürte, wiemich Andrew Sciambra ansah, erwiderte den Blick abernicht. »Die Hacken abgelaufen«, sagte ich so zwanglos wiemöglich. Ich setzte mich zurück und wartete auf Millers näch-sten Zug. Jetzt war ich beunruhigt und plötzlich sehr neugie-rig, warum er wirklich gekommen war.

Er stand wieder auf und wanderte im Zimmer umher, dochdiesmal etwas langsamer. Er ignorierte Sciambra weiterhin,als gehöre er zur Einrichtung. Andrew, der diesen Mann jetztoffen anstarrte, war es nur recht. Schließlich fing Miller anzu reden.

»Ich werde sehr offen zu Ihnen sein. Sie haben sehr guteArbeit geleistet, wenn man bedenkt, über welch einge-schränkte Mittel Sie verfügen. Aber im besten Fall können Sienur hoffen, große Verwirrung anzurichten. Sie werden wederdiesem Land noch sich selbst einen großen Dienst erweisen.«

Er kehrte zu seinem Stuhl zurück, setzte sich und schautemich direkt an.

Ich sagte nichts.»Sie gehören nicht hierher«, fuhr er fort. »Dieser Job ist zu

klein für jemanden wie Sie. Auf dieser Mickymaus-Straße mitder Ansammlung von Kautionsbüros gegenüber.«

»Der Job hält mich ganz schön auf Trab«, sagte ich.»Unsinn. Sie gehören in eine Position, in der Sie Entschei-

dungen treffen können, die etwas bewirken, die die Welt be-einflussen. Hier versuchen Sie, den Mount Everest von dersteilen Seite her zu bezwingen.«

Er lehnte sich vor, sprach mit Betonung und tippte dabeimit seinem manikürten rechten Zeigefinger auf meineSchreibtischplatte, um seine Argumente zu unterstreichen.»Ich schlage vor, daß Sie eine Berufung an den Bundesge-richtshof annehmen und dort einen Job erhalten, der IhrenFähigkeiten entspricht.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurückund musterte mich. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lip-pen. »Können Sie sich denken«, fragte er, »haben Sie über-haupt eine Vorstellung davon, wie leicht so eine Ernennungarrangiert werden kann?«

Ich schwieg und sah ihn an. »Ich sage nicht nur, daß Sieauf der Richterbank des Bundesgerichts sitzen könnten«,sagte er. »Ich garantiere es.«

»Und was müßte ich tun, um dieses Amt zu bekommen?«Mit kühler Selbstsicherheit sagte er einfach: »Stellen Sie

die Ermittlungen ein.«Einen Moment lang sagte niemand etwas. Dann brach Mil-

ler das Schweigen. »Die Untersuchung war großartig. Abersie ist vorbei und beendet. Die Lokalpresse sitzt Ihnen bereitsim Nacken, und das ist nur der Anfang, mein Junge, nur derAnfang.«

»Wie lange würde es Ihrer Meinung nach dauern, bis ichmeine Ernennung hätte?« fragte ich.

»Normalerweise brauchen diese Dinge viel Zeit. Aber inIhrem Fall, mit Ihrer Erfolgsbilanz, könnte man die Sacheleicht beschleunigen. Vertrauen Sie mir.«

Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und legte beideFüße auf die Tischkante. Ich musterte ihn einen langen Au-genblick, bevor ich sprach.

»Mr. Miller«, sagte ich, »Sie und ich haben uns unter einervöllig falschen Voraussetzung getroffen. Ich habe nicht das ge-ringste Interesse, Bundesrichter zu werden. Und nichts wirdmich davon abhalten, die Untersuchung über John F. Kenne-dys Ermordung fortzuführen.«

Ich blieb, wo ich war, damit der Mann keinen Versuch un-ternehmen konnte, mir die Hand zu schütteln, und wandtemich an Sciambra. »Andrew, Mr. Miller und ich haben unserGespräch beendet. Würden Sie ihn bitte zur Tür bringen?«

Miller war durch die plötzliche Wendung des Gesprächsverblüfft. Ich konnte sehen, daß er die Zähne zusammenbiß.

Sciambra führte ihn zur Tür und war eine Minute späterwieder da. »Diese Arschlöcher«, sagte er hämisch grinsend.»Die glauben, sie könnten jeden kaufen. Haben Sie den Anna-polis-Ring dieses Kerls gesehen?« Ich hatte ihn nicht be-merkt. Sciambra schüttelte den Kopf. »Nun, man hat Sie zuködern versucht, und Sie haben abgelehnt.« Er machte einePause, um seiner Bemerkung Gewicht zu verleihen. »Sie wis-sen, was jetzt kommt, oder?«

11. SCHACHMATT

Am 22. Februar 1967 traf sich die Sondereinheit — wie wir unsmittlerweile nannten - in meinem Haus in Lakeview amBayou St. John im Osten von New Orleans. Jim Alcock, An-drew Sciambra, D'Alton Williams, Lou Ivon und ich trankenKaffee an dem runden Tisch in der kombinierten Eßküche.Dann und wann raste der große Boxer der Familie, Touch-down, von meinen Kindern gejagt, vorbei, die wiederum vonden drei Katzen verfolgt wurden. Meine Frau Liz versuchtetapfer, die Tierschau zu unterbinden und nach draußen in denHinterhof zu verlegen.

Obwohl noch keine Woche seit der überraschenden undverfrühten Enthüllung unserer Untersuchung in der Pressevergangen war, lernte ich bereits die erste Lektion: Zeit undNotwendigkeit scheinen mit einer tiefen Mißachtung persön-licher Probleme aus eigenem Entschluß an die Tür zu klopfen.Wegen meiner eigenen Dummheit war Frank Klein, unser fä-higster Kopf, nicht mehr bei uns. Trotzdem mußten wir einenBeschluß fassen. Und zwar ging es um die Entscheidung, obdie Zeit reif war, David Ferrie vor ein Geschworenengericht zuzitieren.

Ein unerwartetes Resultat der Zeitungsartikel war, daß dasvon David Ferrie so lange aufrechterhaltene savoir faireplötzlich schwer gelitten hatte. An dem Tag, an dem dieSchlagzeile die Titelseite des States-Item schmückte, erhieltLou Ivon - den Ferrie, wie fast alle, die ihn kannten, bewun-derte und dem er vertraute - einen merkwürdigen Anruf. DerAnrufer hatte seine Frage fast zur Hälfte gestellt, als Lou dieStimme erkannte. Es war David Ferrie, und er fragte, ob un-

ser Büro die große Lüge in die Welt gesetzt hätte, die am Mor-gen in den Zeitungen gestanden hatte.

»Dave«, sagte Ivon, »glauben Sie, wir hätten den Verstandverloren? Dieses Gebäude wimmelt von Reportern, die einenzu packen versuchen, wenn man durch den Korridor geht.«

Ferrie hatte erwidert, er würde Lou glauben. Da bemerkteIvon, daß sein Anrufer ungewöhnlich erregt war. »Sie wissen,was dieser Artikel für mich bedeutet, oder?« sagte Ferrie.»Ich bin ein toter Mann. Von diesem Moment an bin ich eintoter Mann.«

»Wovon sprechen Sie, Dave? Es gibt keinen Grund für sol-che Vermutungen.«

»Sie werden es bald genug herausfinden«, sagte Ferrie.»Sie werden schon sehen.«

Am nächsten Tag erhielt Ivon wieder einen Anruf von Fer-rie. Diesmal schien Ferrie etwas gefaßter zu sein, aber seineNervosität war noch immer spürbar. Nun fragte er zu IvonsErstaunen direkt nach den Untersuchungsergebnissen. AlsLou eine Antwort murmelte, platzte Ferrie heraus: »GlaubenSie denn, Ihre Untersuchung wäre so geheim gewesen? Siewissen doch, wenn Sie mit Leuten reden, reden die mit ande-ren Leuten.«

»Ja«, erwiderte Lou, »da haben Sie recht.«Dann fragte Ferrie, ob wir noch immer irgendwelche Ku-

baner verhören würden.Ivon folgte seinem Instinkt und war ehrlich zu dem Mann.

»Dave, Sie wissen doch Bescheid. Sie wissen doch, in welcheRichtung das läuft.« Und dann fügte er hinzu: »Ich wünschtenur, Sie wären als Pfadfinder auf unserer Seite. Ich kannIhnen garantieren, daß der Boß seinen rechten Arm dafürgeben würde, wenn er auf Ihre Mitarbeit zählen könnte.«

Ich weiß nicht, ob es die Worte waren, die Ivon benutzte,oder die Art und Weise, wie er sie einsetzte, aber innerhalbvon vierundzwanzig Stunden rief Ferrie wieder an - und batdiesmal um Hilfe. Irgendwie hatten die Medien herausgefun-den, daß er eines der Ziele unserer Ermittlungen war; sie um-

schwärmten seine Wohnung auf dem Louisiana Avenue Park-way wie Bienen den Honig.

Ivon bat ihn, am Telefon zu warten. Innerhalb von zehn Mi-nuten wollte er eine Lösung für Ferries Problem gefunden ha-ben und zurückrufen. Lou rief sofort das Fontainbleau Motelan und reservierte unter falschem Namen eine First-class-Suite. Dann rief er Ferrie wieder an und sagte ihm, er solleins Fontainbleau gehen, wo eine Suite für ihn reserviert sei.Er wehrte Ferries Versuche ab, ihm zu danken. »Machen Siesich deswegen keine Gedanken«, sagte Lou. »Wenn Sie unsbrauchen, können Sie zu jeder Zeit anrufen, und wir helfenIhnen.«

Wie schon einige Abende zuvor hatte Ferrie Ivon kurz vorMitternacht zu Hause angerufen und ihm mitgeteilt, diePresse belagere noch immer seine Wohnung. Ivon hatte ihn ineiner Bar auf der Tulane Avenue aufgelesen, ihn zum Fontain-bleau gefahren und wieder eine Suite für ihn gemietet. Erschlug Ferrie vor, beim Zimmerservice zu bestellen, was erwolle. Dann solle er versuchen, sich zu entspannen.

Man mußte kein Psychiater sein, um zu sehen, daß Ferriesich schnell einem Zusammenbruch näherte. Seine emotio-nelle Stabilität schien so gefährdet zu sein, daß wir die Situa-tion keinen weiteren Tag ignorieren konnten. »Wir müsseneine Entscheidung treffen, und zwar heute morgen«, sagte ichzu den anderen am Tisch. Ich sah Ivon an. »Sie haben FrankKlein getroffen. Was hält er davon, wenn wir Ferrie sofort vorein Geschworenengericht bringen?«

»Er sagt, er würde warten. Sein Instinkt sagt ihm, daß esFerrie noch schlechter gehen wird und daß wir am Ende nocheine Menge mehr aus ihm herausholen können. Seiner Mei-nung nach wird Dave, wenn wir ihn jetzt anklagen, nichtssagen, und dann verpulvern wir die beste Gelegenheit, die wirje haben werden.«

Ich wandte mich zu Alcock. »Jim, was meinen Sie?«Wie erwartet reagierte Alcock konservativ und schüttelte

mit ausdruckslosem Gesicht den Kopf. »Wenn ich es als An-

walt sehe, glaube ich nicht, daß es schon ausreicht, um ihnvor ein Geschworenengericht zu bringen.«

Ich sah Sciambra an. »Andrew?«»Gefühlsmäßig«, sagte er, »bin ich der Meinung, daß man

ihn so bald wie möglich anklagen sollte. Ich habe etwa fünfzigFragen an ihn, und ich kann es kaum erwarten, seine Antwor-ten zu hören. Aber als Anwalt bin ich der Meinung, daß esnoch ein paar Wochen zu früh ist.«

Ich wandte mich D'Alton Williams zu.D'Alton schüttelte den Kopf. »Ich drücke mich zwar ganz

und gar nicht gern, wenn es um eine Entscheidung geht«,sagte er, »aber ich habe noch kein Gefühl dafür entwickelt,was Ferrie antreibt. Deshalb muß ich mich enthalten.«

»Lou?« sagte ich.»Sie wissen, wie ich mich entscheiden werde«, sagte er

und setzte unerwartet ein Grinsen auf. »Dave tut mir leid, undirgendwie mag ich diesen Burschen. Ich habe ihn vor kurzemnachts gesehen, und ich sage euch, irgend jemand oder ir-gend etwas setzt ihn furchtbar unter Druck, und - nun, ichbin kein Anwalt wie ihr. Ich bin der Überzeugung, wenn wirnoch weiter auf dem Hintern sitzen, um die Gesetze auszulo-ten, werden wir erkennen, daß wir zu lange gewartet haben.Ich bin dafür, ihn sofort anzuklagen.«

»Okay, Chef«, sagte Sciambra und sah mich an. »Was er-gibt sich aus der Abstimmung?«

Ich schwieg. Dann sagte ich langsam: »Wir behalten einenkühlen Kopf, halten uns zurück und warten noch eine Weile.«

Das Telefon klingelte, und Liz ging an den Apparat. »Lou«,rief sie, »es ist für Sie.«

Lou sprach leise ins Telefon. Ich sah an seinem gespanntenGesichtsausdruck, daß etwas passiert war. Dann drehte ersich um und sah uns an.

»Dave Ferrie ist tot«, sagte er ruhig. »Der Gerichtsmedizi-ner hat die Leiche bereits aus seiner Wohnung geholt.«

Wir benötigten alle einen Moment, um uns von diesemSchock zu erholen. »Legen Sie nicht auf, Lou«, sagte ich. »Be-

vor Sie auflegen, schicken Sie fünf oder sechs Ihrer besten Po-lizisten zu Ferries Wohnung. Wir fahren sofort hin und neh-men sie völlig auseinander. Und stellen Sie eines klar: DieserFall fällt in unsere Zuständigkeit. Ich will nicht, daß auch nurein Mann von irgendeiner Bundesbehörde in Ferries Woh-nung das Kommando übernimmt. Nicht ohne ausdrücklichenBundesgerichtsbeschluß.«

In weniger als zehn Minuten kamen wir nach unseren eige-nen Ermittlungsbeamten in Ferries Wohnung an. Bundesbe-amte stellten keine Gefahr dar. Unsere Männer hatten alles soabgesperrt, daß sich ein zehn Tonnen schwerer Panzer derWohnung des verstorbenen David Ferrie keine fünfzig Meterweit hätte nähern können.

Als ich durch die Tür trat, traf mich als erstes der Geruch derweißen Mäuse. In der Wohnung hatte es Hunderte von ihnengegeben, die als Teil der Krebsexperimente, die Ferrie zusam-men mit einem niedergelassenen örtlichen Arzt durchgeführthatte, in Drahtkäfigen im Wohn- und Eßzimmer gehaltenworden waren. Den Arzt gab es schon lange nicht mehr, eben-sowenig die weißen Mäuse. Aber die Käfige waren noch da,und der abgestandene, merkwürdig süßliche Geruch hingnoch immer in der Luft.

Die Wohnung war schmutzig. Es hatte den Anschein, alswäre hier seit Jahren nicht mehr geputzt worden. Von denbunt zusammengewürfelten Möbelstücken unterschiedlich-ster Herkunft paßte kein einziges Teil zum anderen. Eineüberwältigende Bibliothek ergoß sich vom Wohnzimmer insEßzimmer und von dort aus in die Küche. Im Badezimmerfanden wir an beiden Seiten des Spiegels Flecken purpurähn-lichen Klebstoffs - Überbleibsel jener Gelegenheiten, bei de-nen Ferrie seine selbstgemachte Perücke aufgesetzt hatte.Und in einer Ecke des Schlafzimmerschranks, der ansonstenmit schäbigen Jacken vollgestopft war, verharrten wir alle voreinem gepflegten, aber ausgeblichenen Priestergewand, dasaus Satin und Spitze gearbeitet war.1

Die Leute der Gerichtsmedizin hatten Ferries Leiche längstweggebracht. Man hatte ihn nackt auf dem Sofa im Wohnzim-mer liegend entdeckt, das er oft als Bett benutzte, und überseinen Kopf war ein Laken gezogen. Man hatte zwei Ab-schiedsbriefe gefunden2, einen auf dem Tisch, neben ihm,und den zweiten oben auf dem alten, hohen Klavier an derWand. Auf dem Tisch neben ihm standen zahlreiche Medi-zinfläschchen, von denen einige keine Verschlüsse mehr hat-ten und völlig leer waren. Ich fragte mich, wie die Leute vonder Gerichtsmedizin mit solcher Geringschätzung potentielleBeweismittel behandeln konnten.

Beide Abschiedsbriefe waren mit der Schreibmaschine ge-tippt worden, und unter keinem stand Ferries Unterschrift.Der erste lautete: »Es ist für mich eine schöne Aussicht, diesesLeben zu verlassen. Ich finde nichts Erstrebenswertes an ihm,andererseits aber alles mögliche Verabscheuungswürdige.«3

An diesem Punkt schweifte der Brief ab und wurde zu einerzusammenhanglosen, bitteren Schmähschrift über die Unge-rechtigkeit des Lebens. Flüchtig wurde ein »messianischerStaatsanwalt« erwähnt. Der zweite Brief, genauso verbittert,war namentlich an einen persönlichen Freund gerichtet. Erbegann mit den Worten: »Wenn du dies liest, werde ich ziem-lich tot sein, und es wird keine Gelegenheit mehr für Antwor-ten geben.«

Kurz nach unserem Eintreffen in Ferries Wohnung warLou Ivon zur Leichenhalle aufgebrochen, um sich den Totenanzusehen. Eine der zahlreichen Legenden über David Ferrieund seine Abenteuer als Söldner und Flieger drehte sich umeinen Start, der ihm in den Escambray-Bergen in Kuba gelun-gen war, nachdem er den dort operierenden, gegen Castrokämpfenden Guerillas Munition gebracht hatte. Der Legendezufolge hatte ihn ein Gegenangriff beinahe am Boden festge-halten, und er war gezwungen, sein Flugzeug zu starten, wäh-rend er mit einer freien Hand gegen einen Castro-Soldatenkämpfte. Laut dieser Geschichte hatte er eine böse Stich-wunde in den Bauch erhalten, bevor er das Flugzeug in die

Luft bringen konnte. Als Lou Ivon von der Leichenhalle zu-rückkam, hielt er ein gerade aufgenommenes Foto in derHand. Der Tote auf der Bahre - sein kahler Schädel und dasaristokratische Profil erinnerten irgendwie an Julius Caesar -trug die Narbe eines Messerstiches, die durch die Mitte seinesLeibes lief.

Der unerwartete Tod David Ferries sorgte in Verbindungmit den beiden Abschiedsbriefen für immenses Medieninter-esse, und das nicht nur national, sondern weltweit. Reporterfielen in New Orleans ein, um das Urteil des Gerichtsmedizi-ners abzuwarten. Tag für Tag nahm die Anzahl der Journa-listen weiter zu. Sie füllten die Korridore draußen vor meinemBüro und kämpften um jede mögliche Information über un-sere Untersuchung.

Ich war über diese Entwicklung erstaunt. Zuvor hatten dieMedien über die Vorstellung gespottet, Präsident Kennedy seieiner Verschwörung zum Opfer gefallen und die Bundesregie-rung habe alles vertuscht. Nun auf einmal hatten die Zei-tungs-, Fernseh- und Rundfunkreporter entschieden, FerriesTod - und die Möglichkeit, es könne Selbstmord oder Mordgewesen sein - bestätige meine Untersuchung.

Am 25. Februar verkündete der Gerichtsmediziner4 - mei-ner Meinung nach ziemlich verspätet -, Ferrie sei unter »na-türlichen Umständen« gestorben. Sofort legte sich die Aufre-gung der versammelten Journalisten, und innerhalb wenigerStunden standen sie in Schlangen am Internationalen Flugha-fen beim Abflugschalter an. Ihre Abreise war für mich so ver-wirrend wie ihre Ankunft. Trotz des Urteils des Gerichtsmedi-ziners hatten wir immer noch zwei Abschiedsbriefe, vondenen jeder ausdrücklich besagte, daß Ferrie dabei war, dasTal der Tränen zu verlassen.

Im Gegensatz zum größten Teil der Medien widmete sichmeine Spezialeinheit unverzüglich der Aufgabe, mehr überFerries Tod in Erfahrung zu bringen. Ich schickte die ganzeGruppe zurück in Ferries Wohnung, um sie erneut zu durch-suchen, diesmal aber mit einem Staubkamm.

In der Zwischenzeit untersuchte ich an meinem Schreib-tisch die Medizinfläschchen, die auf dem Tisch neben FerriesBett gestanden hatten. Ich wollte die Wirkung jedes dieserMedikamente erfahren; darum schlug ich in einem dickenBand über Pharmazie nach.

Ich ergriff die große Flasche Proloid, und sie erinnertemich an etwas. Einige Jahre zuvor hatte ich kurze Zeit untereinem niedrigen Hormonspiegel der Schilddrüse gelitten. Umdie Hormonproduktion anzuregen und den Stoffwechsel zuunterstützen, hatte mir der Arzt Proloid verschrieben. Als ichin dem dicken Buch blätterte, fand ich - wie vermutet - her-aus, daß Proloid nur bei Stoffwechselstörungen verwendetwird.

Aber wie wir aus verschiedenen Quellen erfahren hatten,litt David Ferrie nicht unter derartigen Beschwerden. Im Ge-genteil, er hatte Probleme mit Bluthochdruck gehabt.

Ich schob das dicke Buch beiseite und griff zum Adreß-buch. Ein Dozent für Gerichtsmedizin an der medizinischenFakultät der Louisiana State University hatte mit mir in dergleichen Pension gewohnt, als er Medizin und ich Jura stu-dierte. Im Laufe der Jahre hatten wir uns manchmal getrof-fen. Nach wenigen Minuten hatte ich ihn am Apparat undfaßte das vor mir liegende Problem zusammen.

Was würde passieren, fragte ich, wenn ein Mann, der unterBluthochdruck litt, eine ganze Flasche Proloid einnahm -oder dazu gezwungen wurde? Er antwortete, ohne zu zögern,wer das mache, würde kurze Zeit darauf sterben, entwederan »Herzschlag« oder einem Gehirnaneurisma (dem Platzeneiner Ader im Gehirn). Die Gerichtsmedizin hatte im Prinzipfestgestellt, David Ferrie sei an »natürlichen Ursachen« ge-storben, doch im Autopsiebericht war als eigentliche Todes-ursache eine geplatzte Ader im Gehirn angeführt.

Ich fragte meinen Freund, ob es irgendeine Möglichkeitgab, mit der ein Gerichtsmediziner feststellen konnte, ob Da-vid Ferries Tod auf eine Überdosis Proloid zurückzuführenwar. Er erwiderte, bei einer routinemäßigen Autopsie gäbe es

keine sichtbaren Anzeichen. Er fügte jedoch hinzu, daß manbei einer Untersuchung des Blutes oder der Rückenmarksflüs-sigkeit einen extrem hohen Jodwert feststellen würde, der aufdie Wahrscheinlichkeit einer Überdosis Proloid hinwies. Ichsollte mich mit dem Büro des Gerichtsmediziners in Verbin-dung setzen und herausfinden, ob solche Proben von FerriesAutopsie im Kühlschrank verwahrt worden waren.

Ich rief sofort an, aber man sagte mir, man hätte wederBlutproben noch Rückenmarksflüssigkeit von Ferries Autop-sie verwahrt. Ich saß vor einer leeren Flasche und einer An-zahl unbeantworteter Fragen. Hatte Ferrie eine ÜberdosisProloid geschluckt? Wenn ja, hatte er sie freiwillig genom-men? War es möglich, daß jemand anders die Abschieds-briefe geschrieben und ihm das Proloid verabreicht hatte?Warum sollte sich ein Mann auf eine Weise das Leben neh-men, die keine Spuren hinterließ - und dann zwei Abschieds-briefe schreiben? Oder machte ich mehr aus der Sache, alsdahintersteckte? Vielleicht waren es ja doch, wie der Ge-richtsmedizinier gesagt hatte, »natürliche Umstände« gewe-sen.

Ich legte die leere Proloidflasche in eine Schreibtischschub-lade. Während der gesamten restlichen Untersuchung ver-wahrte ich sie als Beweismittel in der Hoffnung, daß sie sicheines Tages als wertvoller Bestandteil des Puzzles erweisenwürde. Einige Jahre später, als ich an einem Tiefpunkt ange-langt war und glaubte, nie eine Antwort auf meine Fragen zufinden, warf ich sie weg. Ich wollte kein solches Souvenir auf-bewahren.

David Ferries plötzlicher Tod war - den unwillkommenenSchlagzeilen auf den Titelseiten der letzten Woche auf demFuß folgend - unsere zweite große Katastrophe. Ich konnteFerries prophetische Bemerkung an Lou Ivon gleich nach Er-scheinen des Artikels nicht vergessen: »Ich bin ein toterMann.« Ich konnte mich auch nicht von der quälenden Mög-lichkeit freimachen, daß sein Tod ebenso ein Mord wie ein

Selbstmord gewesen sein konnte. In jedem Fall hatten wir un-sere aussichtsreichste Chance verloren, den Fall zu lösen.

Ich wußte, daß wir mit David Ferrie, wenn er uns den Wegzu Clay Shaw und seinen extravaganten Gefährten gewiesenhätte - egal, wie unbewußt -, ein wasserdichtes Verfahren ge-gen Shaw hätten aufbauen können. Nun, da es Ferrie nichtmehr gab, würde das sehr viel schwerer sein.

Außerdem fragte ich mich nun, wie lange Clay Shaw - dermit Sicherheit ebensoviel wußte wie Ferrie, wenn nicht nochmehr - noch greifbar sein würde. Ferrie hatte Anzeichen ei-nes Nervenzusammenbruchs gezeigt, hatte offenbar teilweiseseine Beherrschung verloren und war innerhalb von fünfTagen im Leichenschauhaus gelandet. Würde es Shaw andersergehen? Genau wie bei Ferrie mußten wir annehmen, daß esLeute gab, die ihn viel besser durchschauen konnten als wir.Konnten wir noch weitere Einbrüche abwarten?

Nur Stunden nach dem morgendlichen Treffen in meinemHaus war es erneut an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen.Mein Instinkt sagte mir, daß wir gegen Clay Shaw ein Verfah-ren aufgebaut hatten, das stark genug war, um vor einem Ge-schworenengericht eine Anklage wegen Verschwörung zurErmordung Präsident Kennedys gegen ihn erheben zu kön-nen. Allerdings war die Staatsanwaltschaft meinem Instinktzufolge bis zu einem gewissen Grad unterwandert worden,auch wenn ich nicht wußte, in welchem Ausmaß. Aus diesemGrund teilte ich keinem Mitglied meines Stabs mit, daß nachmeiner Meinung bald die Zeit kommen würde, gegen Shawvorzugehen.

Wir hatten Shaw schon einmal im Büro verhört5; damals,als wir nachgewiesen hatten, daß er der »Clay Bertrand« ge-wesen war, der Dean Andrews wegen der juristischen Vertre-tung Lee Oswalds angerufen hatte. Bei dieser Gelegenheithatte er jede Frage tadellos beantwortet. Nein, er hatte LeeOswald nicht gekannt. Nein, er hatte den jungen Mann nichteinmal zu Gesicht bekommen. War ihm David Ferrie be-kannt? Nein, der Name sagte ihm gar nichts. Nachdem er wie-

der gegangen war, merkten wir, daß er uns absolut nichts ver-raten hatte.

Jetzt entschied ich aus Vorsicht, ihn erneut zu verhören.Auf eine gerichtliche Vorladung kam er in unser Büro, und wirbefragten ihn ausführlich. Diesmal log er, und es war klar zuerkennen; vielleicht aufgrund der Unmenge von Details, diewir zusammengetragen hatten. Ich traf die Entscheidung, ihnin sehr naher Zukunft zu verhaften, sagte aber meinem Stabweiterhin nichts davon.

Am i. März 1967, dem Tag, den ich für seine Verhaftung be-stimmt hatte, befahl ich den Schlüsselpersonen der Spezial-einheit, um 18.30 Uhr in meinem Büro zu erscheinen. Wäh-rend wir daraufwarteten, daß alle anderen Angestellten nachHause fuhren, ging ich das Verfahren, das wir gegen Shawaufgebaut hatten, noch einmal durch.

Als es soweit war, ging ich den Korridor hinunter, an des-sen Ende mich ein Richter erwartete, und besorgte mir dieVollmacht für Shaws Festnahme und die Durchsuchung seinesHauses. Während die anderen in meinem Büro warteten,führte ich Lou Ivon und eine ausgesuchte Handvoll andererTeammitglieder in ein anderes Büro am Ende des Korridors.Ich befahl ihnen, Shaw festzunehmen und seine Wohnungsorgfältig gemäß der Vollmacht zu durchsuchen. Dann kehrteich zum Rest der Gruppe zurück und teilte ihr mit, was ichgetan hatte.

Als Ivon und seine Männer mit Shaw zurückkehrten, ließich ihn ins Büro eines Seniorassistenten bringen. Wir erfuh-ren, daß Salvadore Panzeca sein Anwalt war, riefen ihn anund baten ihn, in unser Büro zu kommen, damit er sich mitseinem Klienten beraten konnte. Dann ließ ich, da ich einse-hen mußte, daß es momentan sinnlos war, Shaw weiter zu be-fragen, ihn von Ivon und einigen seiner Männer in das Crimi-nal Sheriff's Office überstellen.

Während Shaws Einlieferung spielte sich eine interessanteSzene ab. Der Polizist Aloysius Habighorst fragte Shaw beimAusfüllen des Einlieferungsformulars routinemäßig, ob er ein

Pseudonym benutze. Shaw erwiderte mit zwei Worten: »ClayBertrand.« Habighorst notierte es und wandte sich dann an-deren Pflichten zu. Er konnte nicht wissen, daß dadurch fürmich bestätigt wurde, daß es tatsächlich Shaw gewesen war,der Dean Andrews angerufen hatte, damit dieser Lee Oswaldin Dallas vertrat.

Dieser Zwischenfall kam den Polizeiermittlern meiner Be-hörde gerüchtweise erst viel später zu Ohren. Kurz daraufsaßich da, untersuchte zum erstenmal ein Einlieferungsformularder Polizei, bemerkte den Namen Clay Bertrand in der Rubrik»Alias« und befragte den Beamten Habighorst. Habighorst,ein frischer junger Mann mit ausgezeichnetem Gedächtnis,erinnerte sich detailliert, wenn auch etwas gleichmütig anden Vorfall. Später sollten dieser Zwischenfall und seine Erin-nerung daran zu einem denkwürdigen Ergebnis führen (sieheKapitel 18).

Der wahrscheinlich interessanteste Gegenstand, der beiShaws Verhaftung gefunden wurde, war sein Adreßbuch. Esbot Einsicht in seine Vorliebe, flüchtige Freundschaften in denhöheren Ebenen der europäischen Aristokratie zu schließen.Wie viele Amerikaner haben in ihren Adreßbüchern schonsolche faszinierenden Namen und Adressen wie die des Mar-quese Giuseppe Key (Vicenza, Italien), des Baron Rafaelo deBanfield (Villa Tripcovich, Triest, Italien), von Sir StephenRunciman (66 Whitehall Court, London), der Prinzessin Jac-queline Chimay (2 Rue Albert Thomas, Paris), der Lady Mar-garet d'Arcy (109 Earl's Court Road, London), von Sir MichaelDuff (Bangor, Wales) und von Lady Hülse (7 Culross Street,London)?

In Anbetracht der Tatsache, daß der größte Teil der Weltnicht mehr vom Adel beherrscht wird, weist eine solche Auf-listung natürlich auf eine Beschäftigung mit der Vergangen-heit hin. Allerdings stimmt es tatsächlich, daß die CIA aufromantische Weise in dahinschwindende Regierungsformenvernarrt ist, und Clay Shaw mit seinen vollendeten, fürst-lichen Umgangsformen mußte genau das gewesen sein, was

die Agency für Aufträge brauchte, bei denen es um auslän-dische Adlige ging - so wie 1962 in Italien (siehe Kapitel 6).

Unter den Namen aus der internationalen Adelsszene ent-hielt das Adreßbuch den folgenden Eintrag:

»LEE ODOM, Postfach 19 106, Dallas, Texas.«Dieser seltsame Eintrag wurde publik, als Shaws Anwälte

den Versuch unternahmen, das Adreßbuch zurückzubekom-men. Die Staatsanwaltschaft wies den Versuch ab, und in un-serem schriftlichen Einspruch machten wir auf eine interes-sante Tatsache aufmerksam: Das »Postfach 19 106« tauchteebenso in Oswalds wie in Shaws Adreßbuch auf.

Nach mehreren Tagen des Schweigens stellten Shaws An-wälte einen Mann namens Lee Odom vor, der zu dieser Zeitdas Postfach 174 in Irving, einem Vorort von Dallas, gemietethatte. Er sagte aus, er käme aus Dallas, und obwohl das Post-fach 19 106 nie unter seinem Namen gelaufen sei, habe es eineBarbecue-Firma, bei der er einmal Teilhaber gewesen sei,mehrere Monate lang benutzt.

Shaws Anwälte, zu denen mittlerweile neben Panzeca auchEdward Wegmann gehörte, übernahmen an dieser Stelle underklärten, Odom hätte Clay Shaw einst getroffen, um die Mög-lichkeit zu besprechen, in New Orleans einen Stierkampf zuorganisieren.

Die Stierkampf-Erklärung, die in Umlauf gebracht wurde,um das Vorhandensein des »Postfaches 19 106« in ShawsAdreßbuch zu rechtfertigen, warf einige Probleme auf. Zumeinen hätte jeder, der sich ernsthaft mit der Organisation vonStierkämpfen beschäftigte, gewußt, daß New Orleans vomWesen her eine Stadt ist, die von der Aussicht, live einen »Todam Nachmittag« mitzuerleben, kaum gefesselt worden wäre.Zweitens wußten wir durch den von uns erstellten Abriß allerAktivitäten Clay Shaws seit seinem High-School-Abschluß,daß er nie mit dieser Art von Veranstaltungsorganisation zutun gehabt hatte.

Und schließlich erschien die Stierkampf-Erklärungschwach, wenn man sie der Tatsache gegenüberstellte, daß

auf einer Seite von Oswalds Adreßbuch6 der Satz »Postfach19 106« für ewige Zeiten unsterblich verewigt worden war.Dieser Zufall erschien sogar noch verdächtiger, wenn man inBetracht zog, daß Oswald diese Notiz nicht vor 1963 eingetra-gen haben konnte - dem Jahr, in dem er ermordet wurde. Vor1963 hatte Dallas überhaupt noch kein Postfach mit einer sohohen Nummer wie 19 106 eingerichtet.7

Für mich überschritt die Erklärung, Clay Shaw habe »Post-fach 19 106« in sein Adreßbuch geschrieben, da er erwogenhabe, für die Bürger von New Orleans einen Stierkampf zuveranstalten (und daß Lee Oswald Jahre zuvor den gleichenEintrag ohne besonderen Grund vorgenommen hatte), beiweitem die Grenzen des gesunden Menschenverstandes. Wie-der einmal sollten die Menschen dieses Landes dazu über-redet werden, eine Kanonenkugel zu schlucken, egal, wie gutsie eingefettet war.

Unsere Ermittler fanden in Shaws luxuriös ausgestattetemHaus im French Quarter noch ein paar weitere ungewöhn-liche Gegenstände: darunter fünf Peitschen, mehrere Ketten,eine schwarze Kapuze und einen dazu passenden schwarzenUmhang. Die Peitschen waren offenbar mit getrocknetem Blutbefleckt. Im Schlafzimmer waren zwei große Haken im Ab-stand von etwa einem Meter in die Decke geschraubt worden.Diese Ausrüstungsgegenstände klagten an sich niemandenan; schließlich hat jeder sein Hobby. Hätte Shaw in einem frü-heren Zeitalter gelebt, hätte die Liste der Adligen in seinemAdreßbuch vielleicht auch den Marquis de Sade miteinge-schlossen.

Mit einer einzigen Ausnahme enthielt Shaws Adreßbuchnur Adressen und Telefonnummern. Die eine Ausnahme er-schien auf einer ansonsten unbenutzten Seite. Dort waren inShaws Handschrift die Worte »Okt.« und »Nov.« eingetragenworden - was anscheinend Oktober und November bedeutensollte. Dann folgte nach einem unleserlichen Gekritzel nurnoch ein einziges Wort: »Dallas.«

12. KONFRONTATION

Als wir Shaw verhafteten, schreckte die Regierung der Verei-nigten Staaten wie ein gereizter Löwe hoch. Wer in meiner Be-hörde auch immer die Regierung über alles informierte,durch die von uns vorher nicht angekündigte Verhaftung warer völlig überrascht worden. Aus Washington erschollen wü-tende Aufschreie, gefolgt von schrillen Echos in den Medien.

Von Ramsey Clark, dem Justizminister der VereinigtenStaaten, war zu erfahren, die Bundesregierung habe Shawbereits von jeglicher Verwicklung in die Ermordung PräsidentKennedys entlastet. Diese Enthüllung aus höchsten Kreisenund das nachfolgende freundliche Gespräch Clarks mitWashingtoner Journalisten schienen keine Zweifel offenzulas-sen: Das FBI hatte Clay Shaw überprüft und für sauber befun-den. Ein Journalist fragte Clark direkt, ob Shaw »überprüftund für unschuldig befunden« wurde. »So ist es«, erwiderteder Justizminister.1 Da braucht man nicht mehr zu erwähnen,daß diese Darstellung mich nicht unbedingt wie den Staatsan-walt des Jahres aussehen ließ.

Die Behauptung jedoch, Shaw - dessen Name in keinemder sechsundzwanzig Bände der Warren-Kommission auf-taucht - wäre von der Bundesregierung überprüft worden,war faszinierend. Warum war Shaw überprüft worden, wenner nichts mit dem Attentat zu tun hatte? Der tiefere Sinn vonClarks Behauptung schien in Washington anscheinend ähn-liche Fragen aufkommen zu lassen, und Clark vollzog balddarauf einen strategischen Rückzug. »Der Justizminister«,verkündete ein Sprecher seines Ministeriums, »hat sich seit-her dahingehend informiert, daß dies falsch war. Es hat sich

nichts ergeben, weswegen Mr. Shaw hätte überprüft werdenmüssen.«2

Kurz nach Clarks Äußerung jedoch plapperte ein namen-loser Bediensteter des Justizministeriums aus, das Ministe-rium habe sehr wohl gewußt, daß es sich bei Clay Shaw undClay Bertrand um ein und dieselbe Person handelte und ClayBertrand tatsächlich vom FBI überprüft worden sei. Das bestä-tigte die Fakten, die wir ermittelt hatten. Dennoch beherrschteClarks ursprüngliche Äußerung trotz des Rückziehers des Ju-stizministeriums sämtliche Schlagzeilen. Sie hatten der Inte-grität unserer Untersuchung einen schweren Schlag versetzt.

In der Zwischenzeit schritten die Dinge in New Orleansschnell voran. Wichtige Fälle, in denen wir Anklage erhebenwollten, präsentierte gewöhnlich ich dem Geschworenenge-richt. Jedoch lag dieser Fall anders. Von Anfang an hatten dieMedien die Untersuchung personifiziert und mich als skrupel-losen Politiker hingestellt, der, von übersteigertem Ehrgeiz an-getrieben, darauf erpicht war, sich mit diesem Verfahren insAmt des Gouverneurs oder Senators zu hieven. Oder sogarVizepräsident zu werden, wie die New York Times spekulierte.Diese Geschichten ärgerten mich weniger wegen der absur-den Interpretation meiner Absichten, sondern weil sie einernstes, den Gesetzen entsprechendes Verfahren trivialisier-ten, bei dem es um die Ermordung des Präsidenten der Verei-nigten Staaten ging. Die Haltung der Medien veranlaßte michzu einigen Verrenkungen, wodurch ich demonstrieren wollte,daß ich dem Verfahren persönlich unparteiisch gegenüber-stand. Als wir deshalb versuchten, eine Anklage gegen Shawdurchzusetzen, entschied ich mich, den Gerichtssaal nichteinmal zu betreten. Ich überließ dies den stellvertretendenStaatsanwälten der Spezialeinheit. Sie legten die von uns auf-gedeckten Indizien vor, und die Geschworenen erklärten dieAnklage als begründet. Clay Shaw wurde der Teilnahme aneiner Verschwörung zur Ermordung John F. Kennedys ange-klagt.3

;, Als nächstes unternahm ich einen Schritt zugunsten des

Angeklagten. Ich stellte den Antrag für eine Vorverhandlung.Bei wichtigen Fällen ist es gewöhnlich der Anwalt der Vertei-digung, der um eine Vorverhandlung nachsucht. Der Staats-anwalt soll durch diese Maßnahme gezwungen werden, zubelegen, wie gesichert die Grundlage ist, den Angeklagtenvor Gericht zu bringen. Dieses Verfahren wurde initiiert, umStaatsanwälte daran zu hindern, unbegründete Anklagen fürlange Zeit über dem Haupt des Beklagten schweben zu lassen,bevor das Verfahren vor Gericht verhandelt wird.

In diesem Fall stellte ich aufgrund der außergewöhnlichenSchwere der Anklage den Antrag aus Fairneß, gegenüberShaw. In meinem Antrag bat ich darum, einen Ausschuß ausdrei Richtern zu bilden, um ihm die Shaw betreffenden Be-weise vorzutragen. Der Ausschuß sollte dann entscheiden, obdie Anklage abgewiesen oder Shaw vor Gericht gestellt wer-den sollte. Es war das erste Mal in der Geschichte Louisianas,daß ein solcher Antrag vom Vertreter der Anklage zugunstendes Beschuldigten eingebracht wurde.

Shaws viertägige Vorverhandlung begann am Morgen des14. März 1967.4 Der große Gerichtssaal war zum Bersten ge-füllt. Überall drängten sich Reporter und Schaulustige. Ob-wohl ich einige Beweise selbst vorlegen wollte, war ich ent-schlossen, nicht zuzulassen, daß die Medien die Anhörungpersonifizierten. Deshalb hatte ich die ursprüngliche Befra-gung unserer ersten wichtigen Zeugen an zwei meiner Stell-vertreter delegiert - an Charles Ward, den neuen ersten stell-vertretenden Staatsanwalt, und an Alvin Oser. Ich wollte denGerichtssaal nur gelegentlich betreten. Später beabsichtigteich noch, Jim Alcock einzusetzen. Aber ich wollte jedem klar-machen, daß es sich hier um die Anstrengung mehrerer Per-sonen handelte und nicht um eine von mir inszenierte Effekt-hascherei.

Bei einer Vorverhandlung enthüllt der Anklagevertreternur so viele Beweismittel, wie er braucht, um zu beweisen,daß er ein glaubhaftes Verfahren hat. Bei Shaws Vorverhand-lung riefen wir nur zwei Hauptzeugen auf. Der erste war Perry

Russo, ein fünfundzwanzigjähriger Vertreter der Equitable-Versicherung aus Baton Rouge, der lange Zeit mit David Ferriebefreundet gewesen war. Als Russo von unserer Untersuchunghörte, schrieb er uns einen Brief, den wir aber nie erhielten.Später traf er sich mit einem Journalisten der Baton RougeState-Times und erzählte am Freitag, dem 24. Februar, ineinem Interview von einem Treffen in Ferries Wohnung, beidem über das Attentat auf Präsident Kennedy gesprochenwurde. Die Geschichte erschien am gleichen Nachmittag inder State-Times. Am späten Nachmittag war die Zeitung anden Ständen in New Orleans erhältlich, und Andrew Sciambrazeigte sie mir. Obwohl dort stand, Russo wolle nach New Or-leans reisen, wies ich Sciambra an, sofort nach Baton Rougezu fahren.

Sciambra erreichte Russos Haus etwa gegen 20.00 Uhr.Russo war gerade vom Sender WBRZ-TV zurückgekommen,wo man ihn für die Abendnachrichten interviewt hatte (under von den Reportern des örtlichen Konkurrenzsenders fern-gehalten worden war). Sciambra verbrachte einige Stundenmit Russo und zeigte ihm Dutzende von Fotos. Russo erkannteverschiedene Kubaner und rief, als Sciambra ein Foto vonClay Shaw zeigte, aus: »Den kenne ich! Ich habe ihn bei Ferriegetroffen!« Natürlich hatte er ihn nur als Bertrand gekannt,aber die Identifizierung war einwandfrei.

Russo war von Bedeutung, weil er der erste Augenzeugewar, der gehört hatte, daß Shaw und Ferrie eine Diskussionüber die mögliche Ermordung John F. Kennedys geführt hatten.Meinem Urteil nach hatten wir sogar ohne Russo genügendBeweise, um Shaw der Teilnahme an einer Verschwörung zurErmordung des Präsidenten ausreichend abgesichert anzu-klagen. Aber es waren Indizienbeweise. Als erfahrener Prozeß-anwalt wußte ich, daß der Laie für die Aussage eines Augen-zeugen besonders empfänglich ist, und Russo sorgte in vollemMaße dafür. Nachdem ich ferner erfahren hatte, wie aussage-kräftig die Unterhaltung zwischen Shaw und Ferrie war, ent-schied ich mich, als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme die Ge-

nauigkeit von Russos Erinnerungsvermögen bestätigen zulassen. Die Anwälte der Spezialeinheit und ich zogen einen»Lügendetektortest« in Betracht, aber da solche Tests sehrunvollkommen und vor Gericht unzulässig sind, verwarfenwir die Idee. Statt dessen entschieden wir uns für den Einsatzvon Hypnose und Sodium-Pentothal. Russo wurde unter sorg-fältiger ärztlicher Betreuung beiden Behandlungen unter-zogen. Und beide zeigten, daß Russo tatsächlich die Wahrheitsagte.

Deshalb waren wir zuversichtlich, als wir Russo bei ShawsVorverhandlung in den Zeugenstand riefen. Nach den üb-lichen einleitenden Fragen, in denen seine Lebensumständegeklärt wurden, und die ihm außerdem helfen sollten, sich imGerichtssaal zu entspannen, befragten die stellvertretendenStaatsanwälte Ward und Oser Russo über die Versammlung inDavid Ferries Wohnung.

Russo erwiderte5, die zwanglose Zusammenkunft - er be-schrieb sie als »eine Art Party« - sei, als er »irgendwann MitteSeptember 1963« bei Ferrie hereingeschaut habe, gerade zuEnde gegangen. Es hätten sich einige junge Männer getroffen,mit denen Ferrie sich gewöhnlich umgab, aber sie hätten sichbald verabschiedet. Eine frühere Freundin Russos, SandraMoffett, war ebenfalls kurz anwesend. Nachdem sie gegangenwar, blieben laut Russo ein paar Exilkubaner übrig - eineGruppe, die Ferrie gelegentlich besuchte. Einige von ihnenhielten noch etwas länger aus.

Ein großer, eindrucksvoller Mann, der laut Russos Be-schreibung »weißes Haar« hatte, war auch unter den Gästen.Als er dies sagte, blickte er unwillkürlich zu Shaw hinüber, dergelassen die getäfelte Wand des Gerichtssaals vor sich be-trachtete. Ferrie stellte Russo den Mann als »dem Bertrand«vor.

Russo erinnerte sich daran, den großen, weißhaarigenMann schon einmal zuvor gesehen zu haben, und zwar, alsPräsident Kennedy New Orleans zur Einweihung des Nash-ville Street Wharf besucht hatte. Der Mann fiel Russo auf, weil

er als einziger nicht auf Kennedy blickte. Der Mann hatteständig die Menge beobachtet, und Russo war zu dem Schlußgelangt, daß es sich um einen Agenten des Secret Service han-deln mußte.

Russo erinnerte sich, daß Ferrie ihm bei der Zusammen-kunft in der Wohnung einen jungen Mann vorgestellt hatte,der »Leon Oswald« genannt wurde. Aber Russo konnte ihnnicht eindeutig als den Mann identifizieren, den er später alsVerdächtigen des Attentats im Fernsehen sah - als Lee HarveyOswald.

Nachdem die anderen die Party verlassen hatten, bliebennur »Oswald«, Bertrand, Ferrie, Russo und einige Kubanerzurück. Das Gespräch wandte sich der Frage zu, wie man Fi-del Castro ermorden könne. Diese Unterhaltung war spekula-tiv und ausgesprochen gegen Kennedy eingestellt. Keiner derAnwesenden, Perry Russo eingeschlossen, hatte etwas für Ca-stro oder Präsident Kennedy übrig. Außerdem verlief die Dis-kussion äußerst hitzig, weil die Kennedy-Regierung ein Em-bargo verhängt hatte, um die ständigen Waffenlieferungennach Südafrika zu stoppen. Einige der Anwesenden warender Meinung, es werde bald eine vergleichbare Einschrän-kung der Waffenlieferungen an Länder oder sogar Guerilla-verbände geben, die Fidel Castro bekämpften.

Trotz der Begeisterung, mit der sich Ferrie, Russo und dieKubaner für die Entfernung Castros einsetzten, äußerte derMann namens Bertrand, der sich im Grundsatz auch für dieIdee aussprach, vorsichtig ein paar Bedenken. »Es wäre sehrschwierig«, sagte er, »ihn tatsächlich zu erwischen.«

Ferrie holte sofort eine Karte von Kuba und breitete sie aufdem Tisch aus. Er zeigte eine potentielle Landungsmöglich-keit am Strand nach der anderen und dozierte sachkundigüber Zugänglichkeit, Strömungen, Flugpläne und über Stra-ßen nach Havanna.

Bei diesem Gespräch war Russo im gleichen Maß Teilneh-mer wie Zuhörer. Er war ein junger Mann mit schneidigenIdeen, in hohem Maße interessiert und keiner von Ferries üb-

lichen Spielgefährten. Ferrie, der vom größten Teil der Er-wachsenenwelt gemieden wurde, hatte in Russo einen intel-lektuellen Gefährten gefunden, der ihn anregte, und sie wur-den enge Freunde. Russo schätzte, daß Ferrie mindestens eindutzendmal bei ihm zu Hause war, und er hatte die Wohnungdes Piloten dreißig- oder vierzigmal besucht. Das schien derGrund zu sein, warum der Mann, der Russo später als ClemBertrand vorgestellt wurde, nichts gegen seine Anwesenheiteinzuwenden hatte, als sich dann das Gespräch der Beseiti-gung John F. Kennedys zuwandte.

Russo sagte weiter aus, er sei, nachdem die Kubaner ge-gangen waren, in der Hoffnung geblieben, Ferrie würde ihnnach Hause fahren. Jetzt waren sie nur noch zu viert: Ferrie,Russo, der Mann namens Bertrand und »Leon Oswald«.

Selbst wenn es unmöglich sei, an Castro heranzukommen,sagte Ferrie laut zu Russo, bedeute dies nicht, daß sie nicht zuKennedy durchdringen würden. Dieser plötzliche Thema-wechsel war nun, da die Gruppe kleiner geworden war, unver-meidlich gewesen, sagte Russo aus. In den letzten Monatenwar Ferrie vom Thema Kennedy besessen. Er hatte damit an-gefangen, Zeitungsausschnitte mit sich herumzutragen; Arti-kel über Aktionen der Regierung Kennedy, wie den Sturm desFBI auf die Schlumberger-Waffenbunker bei Houma und dasAugust-Embargo gegen Waffenlieferungen für Südafrika. Beider geringsten Provokation holte er die Ausschnitte aus derTasche und brandmarkte bitter dieses Vorgehen.

Ferrie wanderte laut Russo hin und her und behauptete, erkönne Kennedy loswerden und Castro dafür verantwortlichmachen. Das könne dann als Grund für eine Invasion aufKuba herhalten. Ferrie trank, während er redete, aus seinerimmer präsenten Kaffeetasse. Sie müßten nur eines schaffen,fügte er hinzu, sie müßten Kennedy ins Freie locken.

Ferrie war jetzt sehr erregt. Da er an einer Überfunktionder Schilddrüse litt, regte er sich schnell auf, und wenn er auf-geregt war, wurde er redselig. Und wenn er redselig wurde,verfügte er über eine magische Anziehungskraft. Alle Augen

waren auf ihn gerichtet, als er weiter beschrieb, wie einfachdie Sache doch zu erledigen sei.

Ferrie betonte, daß »ein trianguliertes Kreuzfeuer« derrichtige Weg sei. Würde man von drei Seiten auf Kennedyschießen, müßte einer der Schüsse ihn treffen.6 Russo erin-nerte sich an den Wert, den Ferrie auf dieses Detail legte.

Russo beschrieb Ferries auffallende Anspannung, wenn erüber das Attentat auf Kennedy sprach, und den Gegensatz,den Bertrand bot, der entspannt zurückgelehnt dasaß undZigaretten rauchte. Trotz Ferries Aufregung und seiner Rede-gewandtheit blieb Bertrand der beherrschende Mittelpunktder Gruppe. Jetzt sprach Bertrand.

Er sagte, es sei für jeden von ihnen wichtig, sich währenddes Geschehens in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Ferrieerwiderte, er habe sich bereits entschieden, zu diesem Zeit-punkt der Universität von Hammond, der Southeastern Loui-siana University, einen Besuch abzustatten. Bertrand meinte,er würde wahrscheinlich auf Reisen sein, auf dem Weg zurWestküste.7

Russo fuhr mit seiner Aussage fort. Zu diesem Zeitpunktsei ihm zum erstenmal bewußt geworden, daß die Männerdarüber gesprochen hatten, wo sie sich aufhalten würden,während das Attentat auf Präsident Kennedy stattfand. Hierging es nicht mehr nur um mögliche Pläne wie bei dem Ge-spräch über die eventuelle Ermordung Castros.

Dann sei Ferrie erneut auf das Thema Triangulation(Kreuzfeuer) gekommen - sobald er sich einmal in ein Themaverbissen hatte, ließ er es nicht so schnell ruhen -, aber zudiesem Zeitpunkt war Russo müde geworden, und er konntesich nur verschwommen an weitere Details erinnern. Erwußte lediglich noch, daß Ferrie ihn nach Hause gefahrenhatte.

Einige Monate später, sagte Russo weiter aus, etwa imMärz 1964, fuhr er zufällig bei David Ferries neuer Tankstellevor. Als er anhielt, sah er, wie Ferrie sich mit einer ihmbekannt erscheinenden Person unterhielt. Es handelte sich

um den großen, weißhaarigen Mann, der sich in FerriesWohnung aufgehalten hatte, der Mann, der ihm als Bertrandvorgestellt worden war. Zum Abschluß seiner Aussage wurdeRusso gebeten, den Mann zu identifizieren. Ohne zu zögern,zeigte er auf den Angeklagten, auf Clay Shaw.

Beim Kreuzverhör verbrachten Shaws Anwälte Stundendamit, Russo und seine Aussage zu diskreditieren. Sie kon-zentrierten sich insbesondere auf die Behandlungen mit Hyp-nose und Sodium-Pentothal. Sie deuteten an, wir hätten Russoirgendwie unter Drogen gesetzt und ihn einer Gehirnwäscheunterzogen, damit er diese verrückte Geschichte erzählte.Allerdings scheiterten ihre Bemühungen. Wir riefen Dr.Esmond Fatter, einen angesehenen Arzt und Hypnotiseur, undDr. Nicholas Chetta, den Gerichtsmediziner der Stadt New Or-leans, in den Zeugenstand, damit sie die Behandlung erläu-tern konnten, die sie bei Russo angewandt hatten. Beide wur-den vom dreiköpfigen Richterausschuß als qualifizierteExperten bei der Wahrheitsfindung unter Sodium-Pentothalund Hypnose beurteilt. Und beide sagten klar und eindeutigunter Eid aus8, daß Perry Russo die Wahrheit sprach, wenn ersich daran erinnerte, daß Clay Shaw und David Ferrie überdie Einzelheiten eines Mordes an Präsident Kennedy geredethatten.

Über zwei Jahrzehnte später macht Russos Offenheit9 überseine eigene Aussage betroffen. »Einige Leute wollen sich beimir dafür bedanken«, sagte er, »daß ich Kennedy geholfenhabe, indem ich über das Attentat ausgesagt habe. Ich habees nicht getan, um dem Mann zu helfen. Die Wahrheit ist, ichhabe ihn dafür gehaßt, was er den Kubanern angetan hat, dieCastro bekämpfen wollten.«

»Warum ich für die Staatsanwaltschaft gegen Clay Shawausgesagt habe?« fragte er 1988. »Das ist leicht zu sagen. Siehaben erfahren, daß ich bei dem Treffen mit David Ferrie undihm dabei war, und als sie mich befragten, wollte ich einfachnicht lügen.«

Der andere Schlüsselzeuge, den wir bei der Vorverhandlungaufriefen, war Vernon Bundy, ein schwarzer Häftling aus demBezirksgefängnis von New Orleans. Bundy, ein Endzwanziger,der gegen das Drogengesetz verstoßen hatte, saß wegen Ver-letzung seiner Bewährungsauflagen in Haft. Er hatte einemGefängniswärter erzählt, er besitze Informationen über LeeOswald. Gefängnisbeamte, zu denen wir ein gutes Verhältnishatten, gaben es an uns weiter, und wir befragten Bundy ein-gehend, bis wir davon überzeugt waren, daß er die Wahrheitsagte. Wie sich während der Vernehmungen herausgestellthatte, kam Bundy gut mit mir zurecht. Darum beschloß ich,ihn vor Gericht selbst zu befragen.

Aufgrund der großen Publizität herrschte vor dem Ge-bäude eine Atmosphäre wie im Zirkus. Ein Mann mit buntenLuftballons in Hasenform verdiente sich eine goldene Nase.An der Tür zum Gerichtssaal stürzte sich ein Haufen Journa-listen auf mich, aber ich ging ohne Kommentar an ihnenvorbei.

Ich verstand mich gut mit den Richtern, aber um meineUnparteilichkeit bei diesem Fall zu unterstreichen, beteiligteich mich nicht an der üblichen Plauderei, die vor der Anhö-rung mit ihnen und den Anwälten der Gegenseite in ihrenRäumen stattfand.

Als ich mich umsah, nahmen die drei Richter auf der Rich-terbank Platz. Die Richter Bernard Bagert, Matthew Braniffund Malcolm O'Hara gehörten zu den kompetentesten des Ge-richts. Shaw saß zusammen mit seinen Anwälten Irvin Dy-mond, Edward Wegmann und William Wegmann auf der An-klagebank. Auf der Richterbank gab es kurz einige Bewegung.Richter Braniff, der über ein Temperament wie der Vesuvbeim Ausbruch verfügte, hatte unter den Zuschauern eineFrau mit drei Kindern ausgemacht, die Hasenluftballons tru-gen. Richter Bagert konnte seinen Ärger gerade noch zurück-halten und signalisierte dem Gerichtsdiener, die Dame undihren »Anhang« aus dem Gerichtssaal zu geleiten.

Als sich alles beruhigt hatte, rief ich Vernon Bundy in den

Zeugenstand und ging mit ihm die Eingangsfragen durch. DieBesorgnis der Verteidiger wurde offensichtlich, als sie er-kannten, daß er Shaw bei einem Treffen mit Lee Oswald fürmich identifizieren würde. Und sie wurden richtig wütend, alsBundy einräumte, heroinabhängig zu sein und zur Kaimaueram Lake Pontchartrain gegangen zu sein, »um zu fixen«. Siewaren aufgesprungen und brüllten ihren Einspruch. Einervon ihnen behauptete aus Gründen, die ich bis heute nochnicht verstehe, der Prozeß werde fehlerhaft geführt.

Ich bemerkte, daß Bundy dadurch nervös wurde, und sahihm in die Augen. Ich grinste ihn an, und er setzte sich zurückund entspannte sich. Alle Einsprüche der Verteidigung wur-den abgewiesen, und endlich konnte ich Bundy freie Bahn las-sen, damit er auf die ihm eigene Weise aussagen konnte.

Er saß 1963 an einem Julimorgen auf der Kaimauer desLake Pontchartrain und traf Vorbereitungen für eine Heroin-injektion. Er war fast außer Sicht, da er ein paar Stufen tieferbeinahe auf der Höhe des Wasserspiegels saß.

»Ich sah mich um, weil ich mißtrauisch bin«, sagte Bundyaus.10 In diesem Augenblick fuhr eine viertürige schwarzeLimousine heran und parkte.

»Ein Typ steigt dann aus dem Auto und kommt auf michzu. Ich bin mißtrauisch. Ich weiß nicht, ob er ein Polizist istoder nicht.

Der Typ geht hinter mir vorbei ... und sagt, daß heute einheißer Tag wäre.«

Bundy berichtete weiter, der Mann, den er als groß undweißhaarig beschrieb, sei etwa fünf Meter weitergegangen,und »nach fünf oder sieben Minuten stieß ein junger Mann zuihm«. Die beiden unterhielten sich etwa fünfzehn Minutenlang. »Der ältere Typ gab dem jüngeren Typ etwas; ich weiß esnicht genau, aber es sah aus wie eine Rolle Geldscheine. Derjunge Typ steckte sie in die hintere Hosentasche.«

Auf Fotos identifizierte er den jungen Mann als Lee Os-wald, und den Mann, der aus dem Wagen gestiegen war, alsClay Shaw. Die beiden Identifizierungen - er war gezwungen,

ihre Fotos aus anderen herauszusuchen - hatte er beim er-stenmal, als wir ihn befragten, ohne Zögern vorgenommen.Jetzt suchte er wieder ohne zu zögern die Bilder Lee Oswaldsund Clay Shaws heraus und identifizierte sie für die Richterals die beiden Männer, die er bei ihrem Treffen an der Kai-mauer beobachtet hatte.

Nachdem er ihrer Unterhaltung zugehört hatte und sie ver-schwunden waren, ging er an die Stelle, an der sie gestandenhatten, und hob mehrere gelbe Flugblätter auf. (Wie der Lesersich erinnern wird, hat Oswald von der Adresse 544 CampStreet aus gelbe Pro-Castro-Broschüren verteilt.) Bundy ver-wendete eines der gelben Blätter, um sein Besteck einzupak-ken, nachdem er »sich den Schuß gesetzt« hatte.

Als ich Bundy bat, den Mann zu zeigen, der sich mit Os-wald getroffen hatte, wies er unverzüglich mit dem Fingerdirekt auf den Angeklagten. Während dieses langen Augen-blicks war der Gerichtssaal, der vor Beginn der Anhörungeinem lauten Zirkus geglichen hatte, so still wie ein verlasse-ner Friedhof um Mitternacht. Die Anwälte der Verteidigungbemühten sich, demonstrativ zu zeigen, daß diese Vorgänge,mit denen nur Zeit verschwendet werde, sie unbeschreiblichlangweilten - ein sicheres Zeichen, daß sie mit dieser Aussagewenig zufrieden waren. Was die drei Richter und die Zu-schauer anging, so hingen sie an jedem Wort des jungenBundy.

Als ich mir sicher war, mein Ziel erreicht zu haben, bat ichBundy, sich aus dem Zeugenstand zu erheben und seine Handüber den Mann zu halten, den er am Seeufer dabei beobachtethatte, wie er sich mit Lee Harvey Oswald traf. Bundy standauf, ging durch den stillen Gerichtssaal und hielt seine Handüber das grauweiße Haar Clay Shaws.

In diesem Augenblick schien jeder im Gerichtssaal vorSchreck erstarrt zu sein. Dann verkündete der Gerichtsschrei-ber, offenbar auf ein Nicken Richter Bagerts hin: »Das Gerichtmacht eine Pause.« Erst als die Richter von ihren Sitzen hinterder Richterbank heruntertraten, brach die Menge in ge-

dämpften Lärm aus. Ich blickte zur Angeklagtenbank hinüberund sah bei den Anwälten der Verteidigung zum erstenmalleichte Anzeichen eines Stirnrunzeins. Andererseits schnup-perte Shaw, den das alles dem Anschein nach überhaupt nichtberührte - er machte auf alle Welt den Eindruck eines elegan-ten Gulliver, den Liliputaner überwältigt und auf einen Stuhlgefesselt hatten -, weiter an seiner Zigarette, und seineBlickte schwebten über der Menge, als er sich im Gerichtssaalumschaute.

Beim Kreuzverhör stürzten sich die Verteidiger natürlichwie tollwütige Hunde auf Bundy. Zuerst aus der Fassung ge-bracht, schien er sich dann zu entspannen und wiederholtebald geduldig und ohne zu stocken seine Geschichte. Ichkannte die Fragen, die sie stellen würden, in- und auswendig.Es war eine alte Gewohnheit von mir, bei Gerichtsverfahrennur selten Einspruch zu erheben, wenn der Zeuge sich gegendie Anwälte der Gegenseite behaupten konnte. Ich mußtelange Zeit warten, bis Shaws Anwälte nichts mehr gegenBundy vorbringen konnten, aber schließlich war es soweit.

Beim Abschluß der Vorverhandlung am 17. März verkün-deten die drei Richter, die Anklagevertretung habe ausrei-chende Beweise vorgelegt, und ordneten das Erscheinen ClayShaws vor einem Geschworenengericht an.

13- DER GEGENSCHLAG

Am 4. September 1967 verkündete der oberste BundesrichterEarl Warren in Tokyo, Japan1, ich hätte »absolut nichts« öf-fentlich vorgebracht, das den Resultaten des Berichts derWarren-Kommission über das Attentat auf Präsident Kennedywiderspräche. Warren, der vor dem Verein der Auslandskor-respondenten eine Rede hielt, sagte, er habe »nicht eine ein-zige Tatsache« gehört, die das Ergebnis der Kommission wi-derlege, daß Lee Oswald der alleinige Täter sei.

Das war ein merkwürdiges Verhalten für den Vorsitzendendes Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten. Der Pro-zeß gegen Clay Shaw hatte noch nicht begonnen. Noch warkein Geschworener benannt worden. Aber der oberste Richterunseres Landes sagte schon als erster Zeuge in diesem Ver-fahren aus. Er legte seine Aussage nicht unter Eid ab, wo-durch er auch mit den Meineidgesetzen nicht zu belangenwar. Die ihm nachfolgenden Zeugen hatten diese Möglichkeitnicht. Und er beeinflußte die Würfel offensichtlich zu ShawsVorteil. Kein Zeuge würde vor aller Welt den Vorsitzenden desObersten Gerichtshofs gern wie einen Lügner aussehen las-sen. Oder ihm einen Irrtum nachweisen wollen.

Aber Warrens unpassende Erklärung war harmlos im Ver-gleich zu den Angriffen der Medien auf unser Verfahren gegenClay Shaw und auf mich persönlich. Seit Shaws Verhaftunghatten die Medien pausenlos bösartig zugeschlagen.

Während dieser Periode erfuhren einige meiner langge-hegten Illusionen über die großartige freie Presse unseresLandes eine schmerzhafte Neubewertung. Man hätte von derPresse vielleicht Zurückhaltung oder Respekt vor der Gerech-

tigkeit erwartet. Nicht nur, damit dem Angeklagten ein fairesVerfahren garantiert war, sondern auch dem Staat. Aber da-von war nichts zu bemerken. Das galt auch für die Meinungs-vielfalt, die ich stets für einen Grundsatz der amerikanischenPresse gehalten hatte. Soweit ich feststellen kann, waren dieBerichte und Kommentare in Newsweek, Time, der New YorkTimes, der New York Post, der Saturday Evening Post und soweiter nicht voneinander zu unterscheiden. Sie alle vertratengrundsätzlich die Meinung, ich sei ein verantwortungsloser,machtbesessener Selbstdarsteller, der eine schmierige Vor-stellung mit dem Ziel gab, ohne Rücksicht auf die Konsequen-zen in ein höheres Amt gewählt zu werden.

Ich will ein paar repräsentative Beispiele aufführen, diezeigen, wie die amerikanische Presse unser Verfahren gegenClay Shaw behandelte.

In der Ausgabe von Newsweek vom 15. Mai 1967 schriebHugh Aynesworth unter dem Titel »Die JFK-Verschwörung«:

»Jim Garrison hat recht. Es hat in New Orleans eine Ver-schwörung gegeben - aber es ist eine Verschwörung, die Gar-rison selbst angezettelt hat. Es ist das Komplott, eine phanta-stische >Lösung< für den Tod John F. Kennedys zu erfindenund sie jemandem anzuhängen; in diesem Fall waren derStaatsanwalt und sein Stab indirekt am Tod eines Mannesbeteiligt und haben mehrere andere beleidigt, belästigt undfinanziell ruiniert.

Garrisons Taktiken waren sogar noch zweifelhafter alssein Verfahren. Mir liegen Beweise vor, daß einer der stram-men Ermittler des Staatsanwalts einem unwilligen >Zeugen<3000 Dollar und einen Job bei einer Fluggesellschaft angebo-ten hat, damit er über das angebliche Treffen, bei dem der Toddes Präsidenten geplant wurde, >Tatsachen beibringt<. Wiemir ebenfalls bekannt ist, statteten zwei von Garrisons Män-nern dem >Zeugen< einen weiteren Besuch ab und bedrohtenihn, wie er sagte, körperlich, als das Büro des Staatsanwaltserfuhr, daß der ganze Bestechungsversuch auf Tonband auf-genommen worden war.« ,

Aynesworth, der den Eindruck eines fairen und ehrenhaf-ten Mannes gemacht hatte, als er mich mehrere Stunden inmeinem Haus interviewte, rückte nie damit heraus, wessenLeben unser Büro verkürzt hatte. Was die Bestechung in Höhevon 3000 Dollar anging: Als ich auf Aynesworths Enthüllungstieß, hatte der Zeuge Alvin Babceuf, dem unsere Behörde an-geblich dieses Angebot unterbreitet hatte, uns gegenüber zu-gegeben, daß so etwas nie stattgefunden hatte.2 Natürlich hatAynesworth nie erklärt, was mit den »Beweisen« weitergeschah, die sich angeblich in seinem Besitz befanden. Unddas sogenannte Bestechungstonband hat in Wahrheit nieexistiert.

Wenn dieser Artikel ein typisches Aynesworth-Produktwar, konnte man sich nur darüber wundern, wie ein Journa-list mit solch blühender Phantasie weiterhin Abnehmer fürseine Arbeiten finden konnte. Doch um Aynesworth gegen-über fair zu sein, muß ich sagen, daß sein »Artikel« nur zu ty-pisch war für das, was mein Stab in Zeitungen und Zeitschrif-ten lesen konnte. Die Verfasser waren Leute aus fernenStädten, die nicht die geringste Vorstellung davon hatten, wasmeine Behörde eigentlich erreichen wollte.

James Phelan, der über den Erfolg meines Büros bei derVerbrechensbekämpfung in New Orleans einen sehr lobendenLeitartikel mit dem Titel »Der Verbrechensbekämpfer ist da«für die Saturday Evening Post geschrieben hatte3, verfaßte ei-nen Bericht über die JFK-Untersuchung. In einem Beitrag mitdem Titel »Vorschnelle Urteile in New Orleans«4 behauptetePhelan, Perry Russo habe dem stellvertretenden StaatsanwaltAndrew Sciambra erst dann von einer Verschwörung erzählt,nachdem er »unter Drogen gesetzt« worden war. Die still-schweigende Folgerung war, daß die StaatsanwaltschaftRusso unter Drogen gesetzt und dann die Verschwörungsge-schichte in sein Gehirn implantiert hatte, während er sich ineinem äußerst beeinflußbaren Zustand befand. Die Wahrheitsah natürlich ganz anders aus. Tatsächlich wußte Phelan, wasRusso uns über die Verschwörung erzählt hatte, bevor ich auf

die Idee gekommen war, daß wir Russos Aussage vielleichtmit medizinisch kontrollierter Hypnose und Sodium-Pento-thal absichern konnten. Ich weiß es, weil ich der erste war,der Phelan von Russos Geschichte erzählte. Phelans farbigeStory fiel später bei Clay Shaws Verhandlung in sich zusam-men, als klar wurde, daß Russo lange vor irgendwelchen me-dizinischen Behandlungen Sciambra gegenüber einen voll-ständigen Bericht über alle wichtigen Geschehnisse abgelegthatte (siehe Kapitel 18). Außerdem wußten die Journalisten inBaton Rouge (siehe Kapitel 12) von den Interviews, die Russoder Presse gegeben hatte und in denen er von einer Verschwö-rung sprach - auch wenn er zu diesem Zeitpunkt keine Ah-nung hatte, daß Shaw und Bertrand ein und derselbe waren -,bevor er sich überhaupt mit Sciambra getroffen hatte.

Es ist eine Binsenweisheit, daß die Bürger den Inhabernöffentlicher Ämter, die sie gewählt haben, nach kurzer Zeit aufdie Finger sehen. Ich habe nie von einem Staatsanwalt gehört,der eine Karriere hätte aufbauen können, indem er Zeugenmit Drogen dazu bringt, die Aussage zu machen, die er hörenwill. Wäre ein Vertreter der Anklage so verrückt, mit solchenMaßnahmen zu arbeiten, würde es sich schnell herumspre-chen, und er wäre nicht mehr lange Anklagevertreter. Eben-so könnte er versuchen, seine Karriere mit Hilfe von Folter-instrumenten voranzutreiben.

Man kann mit aller Fairneß sagen, daß die Menschen vonNew Orleans die weithin publizierte Anschuldigung, ihrStaatsanwalt habe mit Absicht einen Zeugen unter Drogen ge-setzt, um seine Aussage zu beeinflussen, genau verfolgten. Siehörten der Expertenaussage der Ärzte Esmond Fatter undNicholas Chetta zu. Sie verstanden, daß unter kontrolliertermedizinischer Überwachung der Versuch unternommen wor-den war, eine Erinnerung aufzufrischen, falls so etwas mög-lich ist. Und in der folgenden Wahl von 1969 wurde ich wiederins Amt gewählt, diesmal im ersten Wahlgang. Kein Staatsan-walt ist zuvor in New Orleans jemals wiedergewählt worden.

Die Angriffe hörten mit dem von Phelan nicht auf. Ohne Vor-warnung reiste Dick Billings, der zuvorkommende Journalistdes Lz/e-Magazins, aus New York an. Er war durchaus freund-lich, schien aber stark abgenommen zu haben und hattedunkle Ringe unter den Augen. Seine Ivy-League-Kleider um-schlotterten lose seine dünne Gestalt. Er informierte michdarüber, daß Life nicht mehr in der Lage sei, mich zu unter-stützen und bei der Untersuchung mitzuarbeiten. Die Zeit-schrift war seiner Aussage nach zu dem Schluß gekommen,ich sei nicht der energische Gegner des organisierten Verbre-chens, wie sie zuerst angenommen hatte.

»Worüber, in aller Welt, reden Sie?« fragte ich. Er nanntedann einen Namen und fragte mich, ob ich von diesem Manngehört hätte.

Ich schüttelte den Kopf und verneinte. Der Redakteur brei-tete die Hände aus. »Sehen Sie«, sagte er, »mittlerweile müß-ten Sie ein Dossier über ihn angelegt haben.«

Ich nahm das Telefonbuch und fand den Namen in derKleinstadt Covington; der Eintrag wies darauf hin, daß er di-rekt nördlich vom See wohnte. »Meinen Sie den?« fragte ich.

»Das ist der Mann«, sagte er. »Er ist eine der führendenGestalten des organisierten Verbrechens hier unten.«

»Und Sie sind der Kaiser von China«, erwiderte ich. Wennsich dieser Bursche in der Gegend um New Orleans und in derStadt selbst in größerem Umfang kriminell betätigt hätte,wäre mir der Name vertraut gewesen. Wie sich herausstellte,hatte niemand aus meiner Behörde je von ihm gehört. Er kamauch nie wieder zur Sprache.

Ich sah mir meinen Besucher genau an. Es war nicht zuübersehen: Hier stand ein Mann, der sich nicht wohl in seinerHaut fühlte und die unangenehme Aufgabe erfüllen mußte,die man ihm aufgetragen hatte. Ich war wütend, aber nichtauf ihn. Er war bedeutend sensibler und intelligenter als diemeisten Medienvertreter, die ich kennengelernt hatte. Baldsollte er Berichte über die Geburt von Vierlingen in Bangor,Maine, schreiben oder über wissenschaftliche Durchbrüche

bei der Steigerung der Fruchtbarkeit von Karnickeln berich-ten.

Offenbar war dieses Spielchen der Zeitschrift Life schonseit einiger Zeit, wenn nicht sogar von Anfang an geplant ge-wesen. Innerhalb weniger Wochen erschien mein Name imzweiten von zwei Äi/e-Artikeln über das organisierte Verbre-chen.5 Er widmete mir besondere Aufmerksamkeit als gele-gentlichem, freigebigem Besucher der Casinos von Las Vegas.Der Verfasser des Artikels hatte einige Schwierigkeiten, michin das Szenario einzubringen, da ich zufällig überhaupt nichtspiele. Es ist nicht so, daß ich zu tugendhaft bin. Mir ist ein-fach bereits vor langer Zeit aufgefallen, daß immer das Hausgewinnt. Diese Kleinigkeit hielt die Redakteure von Life jedochnicht zurück. Ich wurde als jemand dargestellt, der gute Be-ziehungen zum »Unterführer« eines »New-Orleans-Mobsters«hatte.6 Angeblich gewährte man mir »einen Kredit von 5000Dollar beim Kassierer«. Damit wurde angedeutet, ich hättediesen Kredit dazu benutzt, während meines angeblichenRaubzugs an den Spieltischen Getränke- und Essensrechnun-gen abzuzeichnen.

Es entsprach der Wahrheit, daß ich einmal einen Antragausfüllte, als ich einen Scheck im Sands Hotel einlöste. Dabeihatte man mir anscheinend einen derartig hohen Kredit ein-geräumt, wenn er denn tatsächlich so hoch war. Ich reisteauch zweimal jährlich nach Las Vegas, aber nur, um das trok-kene Klima des Westens zu genießen, das ich zufälligerweiseliebe, und um etwas Sonne einzufangen. Mehr war nicht nö-tig, um zur Life-Version des Mannes-der-die-Bank-in-Monte-Carlo-sprengte zu werden.

Als der Life-Artik.e\ über meinen fiktiven Hang zum Glücks-spiel in Las Vegas veröffentlicht wurde, brachte die ZeitschriftTime - eine Schwesterpublikation von Life und ebenfalls Teildes Luce-Presse-Imperiums - eine Artikelserie über unsereUntersuchung.7 Sie wurde als unentschuldbarer Schwindelund ich als geistig minderbemittelter Schwachkopf darge-stellt, der auf Schlagzeilen aus war.

Keine der Publikationen, die ich las, schien die Möglichkeitin Betracht zu ziehen, daß unsere Ermittlungen vielleicht einelegitime, auf Beweismaterial aufgebaute Basis hatten, unddaß John F. Kennedy vielleicht wirklich das Opfer einer Ver-schwörung gewesen sein könnte. Einmal - und dann nur sehrkurz - erwog das New York Times Magazine die Möglichkeiteiner Verschwörung. Der Artikel erschien unter dem anzie-henden Titel »Keine Verschwörung - aber vielleicht zwei At-tentäter?«8 Der Verfasser, ein Engländer namens Henry Fair-lie, stellte die Behauptung auf - was an sich schon kaum zuglauben war -, weder in Europa noch in Amerika großes öf-fentliches Interesse für die Möglichkeit entdeckt zu haben, dieWarren-Kommission sei zu den falschen Ergebnissen gelangt.Er räumte jedoch das »Aufkommen von Zweifeln« ein undbrachte seine Besorgnis zum Ausdruck, solche Zweifel »könn-ten zumindest irgendwo zur Besessenheit werden - vielleichtsogar schließlich im Bewußtsein des Volkes, das ihnen bisherwiderstanden hat«.

Die These des Artikels wurde dann in den folgenden Sät-zen deutlich: »Die Tatsache, daß mehr als eine Person in einUnternehmen verstrickt ist, macht dieses noch nicht unbe-dingt zu einer Verschwörung. Das ist der Gedankensprung,der mich alarmiert, und es ist ein Gedankensprung (ichmöchte dabei kein bewußtes Motiv unterstellen), den ehrgei-zige Leute vielleicht für zu verlockend halten.«

Wenn ich es richtig verstand, lautete die Argumentationdieser angesehenen Zeitung: Nur weil vielleicht mehr als einePerson zur gleichen Zeit auf Präsident Kennedy geschossenhatte, ließe dies nicht automatisch auf eine Verschwörungschließen.

Nach dem frühen Störfeuer, das wir von der Presse erhaltenhatten, kamen nun die großen Kanonen des Fernsehens. ImFrühjahr 1967 alarmierten uns örtliche Quellen über das Ein-treffen der ersten Reporter eines Sonderteams der NBC inNew Orleans. Der angebliche Leiter war ein Mann namens

Walter Sheridan. Er war im Royal Orleans abgestiegen, und eswurde bald klar, daß er für einige Zeit in New Orleans zu blei-ben gedachte.

Sheridan war ein selbstsicherer Mann, der Persönlichkeitausstrahlte. Ich begegnete ihm einige Male in der Hotel-Lobby, wobei jeder dem anderen zwanglos zunickte. Nach ei-ner Weile kam mir der Gedanke, daß er nicht ganz dem Bildeines Mannes entsprach, der einfach im Nachrichtengewerbeauf dem Weg nach oben war. Mit der Zeit sollte ich erfahren,daß unser Besucher ungewöhnlich weitreichende Verbindun-gen besaß, nicht nur in New York, sondern auch in Washing-ton. Er erwähnte oft seinen Dienst im Büro des Marinenach-richtendienstes, Guy Banisters Alma mater.

Die NBC schien kein Interesse zu haben, irgendeinen Mit-arbeiter der Behörde zu interviewen, was wir begrüßten. Wirwaren naiv genug zu glauben, man untersuche die Ermor-dung des Präsidenten. Der anhaltende Mangel an ernsthafterNeugier seitens des NBC-Teams auf die Fakten von KennedysErmordung verriet uns einfach, daß ein weiterer erfundenerund voreingenommener Beitrag von der Sorte »einsamer Kil-ler« erstellt werden sollte.

Allerdings fragten wir uns allmählich, warum Sheridanund die diversen Leute, die an seinem Projekt arbeiteten, solange in der Stadt blieben. Wir sahen weiterhin stundenlangdie blauweißen Wagen von WDSU - des lokalen NBC-Fernseh-ablegers - in der Nähe des Gerichtsgebäudes parken, in demsich unsere Büros befanden.

Nach einiger Zeit erfuhren wir, daß die NBC-Reporter denWeg ins Staatsgefängnis von Angola gefunden hatten, wo sieMiguel Torres, einen Berufseinbrecher, und andere Gefangeneinterviewten.

Etwa zu diesem Zeitpunkt erkannten wir plötzlich, daß dieNBC das Attentat überhaupt nicht untersuchte. Sie klopftenuns ab - mich, meine Behörde, meinen Stab und unsere Er-mittlungen. Eine Quelle, die uns über die NBC-Pläne unter-richtete, war Marlene Mancuso, die früher mit Gordon Novel

Ganz oben: Jim Garrison,Bezirksstaatsanwalt von NewOrleans, im Jahre 1967.(AP/Wide World Photos)

Unten: Clay Shaw, Direktordes New Orleans InternationalTrade Märt, im Jahre 1967.(AP/Wide World Photos)

Links: Blick auf die Elm Street in Dallas,Texas. Links das Texas School BookDepository; das Fenster, von dem aus LeeHarvey Oswald angeblich schoß, befin-det sich im fünften Stock auf der rechtenSeite des Gebäudes. Der »Grashügel«ist links unten zu sehen. (UPI/BettmannNewsphotos)

Oben: Die Mitglieder der Warren-Kom-mission in ihrem Washingtoner Sit-zungsraum im September 1964. V.l.n.r.:Gerald R. Ford (republikanischer Ab-geordneter/Michigan); Haie Boggs(demokratischer Abgeordneter/Loui-siana); Senator Richard Russell (Demo-krat/Georgia); Earl Warren, Präsidentdes Obersten Bundesgerichts und Vorsit-zender der Kommission; Senator JohnS. Cooper (Republikaner/Kentucky);John J. McCloy; Allen W. Dulles; J. LeeRankin, Oberster Rechtsberater derWarren-Kommission. (UPI/BettmannNewsphotos)

Rechts: Polizeifotos von.David W. Ferrie anläß-lich seiner Verhaftungim Jahre 1961. (AP/Wide World Photos)

Rechts:: Guy F. Banisterjr.ehemaliger FBI-Agent in Chicago undPrivatdetektiv inNew Orleans. (Office.of the Orleans ParishDistrict Attorney)

Unten: Dean Andrews, Anwaltin New Orleans, beim Shaw-Pro-zeß im Februar 1969. (UPI/Bett-mann Newsphotos)

Oben: Clay ShawMitte) und sein Vertei-diger F. Irvin Dymond(links) bei der Ankunftvor dem CriminalCourt anläßlich derVorverhandlung am14 März 1967. (UPI/Bettmann Newsphotos)

Rechts: Bezirksstaats-anwalt Jim Garrisongibt auf einer Presse-konferenz im Dezem-ber 1968 den Sitzungs-termin bekannt für dieVerhandlung gegenClay Shaw. Im Hinter-grund Garrisons Mit-arbeiter Andrew »MooMoo« Sciambra (links)und James Alcock. (AP/Wide World Photos)

Unten: Scharfschützen der Polizei von Dallas feu-ern im August 1978 Gewehrschüsse vom »Gras-hügel« ab. Diese werden auf Band aufgenommenund von Akustikspezialisten mit den Bändern vom22. November 1963 verglichen. Mit Hilfe dieser

Beweise gelangte das llouse Select Committee onAssassmations zu dem Schluß, daß bei demAttentat auf Präsident John F. Kennedy mehr alsnur ein Gewehr verwendet wurde (AP/WideWorld Photos)

Oben: »Polizisten« führen die verhafteten«Landstreicher« am 22. November 1963 in Dallasdu. Man beachte, wie sie ihre Gewehre halten(National Archives)

Oben: Deputy SheriffRoger Craig (Pfeil) imBüro von Captain WillFritz am Abend des22. November 1963.Fritz leugnete zunächst,daß Craig an jenemAbend in seinem Bürogewesen sei, bis erJahre später durch die-ses Foto widerlegtwurde. (AssassinationArchives and ResearchCenter)

Links: Jim Garrisonheute, Richter amAppellationsgerichtvon Louisiana für denVierten Bezirk, NewOrleans. Erst kürzlichwurde Garrison für•eine zweite Amtszeitvon zehn Jahren wie-dergewählt.(Peggy Stewart)

verheiratet gewesen war.9 Sie schrieb in einem Memo an uns,ein Reporter der NBC habe mit ihr Verbindung aufgenom-men10:

»Richard Townley sagte mir, er versuche schon seit einpaar Wochen, mich zu erreichen. Er gab an, für die NBC zu ar-beiten, und seine Intuition sage ihm, ich würde wahrschein-lich in die Sache hineingezogen...

Er sagte, Mr. Garrison sehe einer Gefängnisstrafe entge-gen. Er hielt mich für Mr. Garrisons Starzeugin, die er dazubenutzen werde, Gordon zu diskreditieren und ihn wie einenzweiten Oswald aussehen zu lassen. Er kam immer wiederdarauf zurück, mit mir ein Interview aufzuzeichnen, das michin einem guten Licht zeigt. Sonst würde ich wahrscheinlicheine Vorladung bekommen, zum Mittelpunkt vieler Reporterund eines großen Wirbels werden und sehr schlecht daste-hen. ..

Townley wies immer wieder darauf hin, es sei wesentlichklüger, hübsch präsentiert zu werden, als in schlechtem Lichtzu stehen, wenn ich aus dem Gerichtssaal käme ... Er be-hauptete, man werde Mr. Garrison als Schwindler entlarven,und er werde für die NBC daran arbeiten, von der WDSUaus...«

Noch unverschämter war die Art, wie sich die NBC anPerry Russo heranmachte. Russo erzählte Andrew Sciambra,man hätte sich vor der Sendung mehrmals mit ihm in Verbin-dung gesetzt. Dabei hätte man versucht, ihn zu überreden,seine Erinnerungen an das Gespräch zwischen Clay Shawund David Ferrie, bei dem sich die beiden über das Attentatauf Präsident Kennedy unterhalten hatten, doch noch einmalkritisch zu überdenken.

Solange die Fakten noch frisch in seinem Gedächtnis hafte-ten, hielt Sciambra in einem Memorandum fest, was Russoihm erzählt hatte." Hier ein paar repräsentative Absätze, diezusammenfassen, worauf die NBC-Leute Russo zufolge hin-auswollten:

»In den letzten paar Wochen war ich mit Russo in ständi-

gern Kontakt, um mit ihm über die NBC-Leute und Agenten zusprechen, die in sein Haus kamen, um mit ihm über die Gar-rison-Untersuchung im allgemeinen und den >Weißbuch<-Bericht der NBC über diese Untersuchung im besonderen zureden. In dieser Hinsicht hat mich Russo informiert, RichardTownley von WDSU-TV habe sein Haus in den letzten Wochenzweimal besucht, und James Phelan von der Saturday Even-ing Post viermal. Einige Höhepunkte dieser Unterhaltung lau-teten wie folgt...

Townley erzählte Russo unter anderem, er werde sich inein paar Tagen mit ihm in Verbindung setzen, um ihn wissenzu lassen, was Clay Shaws Anwalt unternehmen wolle, da siezusammenzuarbeiten beabsichtigten. Russo sagte auch, Town-ley hätte ihm erzählt, die NBC und er hätten Kontakt zu allenZeugen aufgenommen, die ihnen bekannt seien, und sie wür-den herauszufinden versuchen, was die Staatsanwaltschaftnoch in der Hand habe. Es werde aber schwieriger, an Infor-mationen der Staatsanwaltschaft heranzukommen, weil sieversuche, alle Lecks zu stopfen...

Russo sagte, Walter Sheridan von den NBC-Nachrichtenhabe ihm erzählt, der NBC-Präsident habe sich mit Mr. Gher-lock in Verbindung gesetzt, dem Direktor des Equitable-Haupt-sitzes in New York. Gherlock habe dem NBC-Präsidenten ver-sichert, falls Russo mit der NBC bei dem Versuch kooperierensollte, den Ermittlungen Garrisons ein Ende zu setzen, würdedie örtliche Equitable-Filiale - Russos Arbeitgeber - auf An-ordnung des Hauptsitzes nichts gegen ihn unternehmen.

Russo sagte, er habe Sheridan mitgeteilt, er brauche etwasRuhe, da die Journalisten ihn Tag und Nacht belästigten, under würde nach dem Ende der Baseball-Saison sieben oderzehn Tage lang Urlaub in Kalifornien machen. Sheridan fragteihn daraufhin, ob er gern in Kalifornien leben würde. Ermachte ihn darauf aufmerksam, daß er, sollte er sich auf dieSeite der NBC und der Verteidigung schlagen und die Garri-son-Untersuchung platzen lassen, vor Garrison fliehen undLouisiana verlassen müsse. Sheridan behauptete, man könne

ihm in Kalifornien eine neue Existenz verschaffen, einen Jobund einen Rechtsanwalt besorgen, und er könne dafür garan-tieren, daß es Garrison niemals gelänge, ihn nach Louisianavorladen zu lassen [Hervorhebung vom Verfasser].

Sheridan erzählte ihm dann, NBC würde Novel nachMcLean, Virginia, fliegen lassen und einem Lügendetektortestunterziehen, und Garrison würde es nie schaffen, Novel nachLouisiana zurückzuholen. Russo zufolge hat Sheridan gesagt,er wolle, daß dieser in einer nationalen NBC-Sendung auftreteund sage: >Es tut mir leid, was ich gesagt habe, weil ich ge-logen habe. Einiges von dem, was ich gesagt habe, entsprichtder Wahrheit, aber der Stab des Staatsanwalts hat mit miretwas Medizinisches angestellt, damit ich so aussage.. .<

Perry sagte, James Phelan von der Saturday Evening Posthabe ihm erzählt, er arbeite Hand in Hand mit Townley undSheridan, sie hielten ständig Kontakt und würden Garrisonund die Untersuchung zu Grabe tragen...«

Mittlerweile machte ich mir Sorgen wegen der Intensitätdes NBC-Angriffs auf das von uns aufgebaute Verfahren, ganzzu schweigen von den gemeinschaftlichen Bemühungen,meine Behörde zu verleumden. Wir waren bereits das Zielzahlloser Verzerrungen, Übertreibungen und sogar Erfindun-gen der Medien gewesen. Aber diese »Berichterstatter« über-trafen alles. Sie unternahmen den organisierten Versuch, dieoffizielle Ermittlung einer großstädtischen Staatsanwalt-schaft entgleisen zu lassen. Sie drängten Zeugen, ihre Aussagezu ändern, und versuchten sogar, einen Hauptzeugen für im-mer in einen anderen Bundesstaat zu schicken.

Als das »Weißbuch« unter dem Titel »Der Fall Jim Garri-son« am 19. Juni 1967 für ein Millionenpublikum im ganzenLand ausgestrahlt wurde, konnte man bereits nach wenigenMinuten feststellen, daß die NBC diesen Fall als kriminell ein-gestuft und sich zum Anklagevertreter erhoben hatte.

Die drei Hauptzeugen waren John Cancler, ein verurteilterEinbrecher und Zuhälter, der den örtlichen Behörden besserals »John the Baptist« (Johannes der Täufer) bekannt war;

Miguel Torres, ein rechtskräftig verurteilter Einbrecher, derim Staatsgefängnis von Angola seine Strafe absaß; und einMann namens Fred Leemans, von dem ich noch nie gehörthatte und der sich als Besitzer eines »Türkischen Bades« inder Innenstadt von New Orleans herausstellte.

»John the Baptist« verkündete in der Sendung, er sei Zel-lengenosse von Vernon Bundy gewesen. Bundy, teilte er ver-traulich mit, habe ihm erzählt, seine Geschichte über ClayShaw und Lee Oswald sei falsch. Das war natürlich eine glatteLüge, aber es war nur die erste von vielen. Cancler erzählteauch von dem wenig feinfühligen Versuch der Staatsanwalt-schaft, ihn dazu zu bringen, falsche Beweise in Clay ShawsHeim zu schmuggeln. Cancler hatte solch fragwürdige Prak-tiken natürlich sofort entrüstet abgelehnt.

Torres behauptete in seinem Interview, die Staatsanwalt-schaft habe versucht, ihn zu der Falschaussage zu zwingen,Clay Shaw habe sich ihm unsittlich genähert. Was nochschlimmer war, er behauptete, die Staatsanwaltschaft habeihn zu der Behauptung drängen wollen, er wisse, daß Shaw»Clay Bertrand« sei. Um ihn zu diesen Lügen zu verführen,so offenbarte er, hätten ihm die Männer der Staatsanwalt-schaft eine größere Menge Heroin und einen dreimonatigenUrlaub in Florida angeboten. Dem Rest der Geschichte zu-folge hatte Torres es vorgezogen, lieber Zuckerrohr imStaatsgefängnis von Louisiana zu schneiden, als einen sol-chen Urlaub zu genießen.

Dann erschien Leemans, der den Reporter darüber auf-klärte, die Staatsanwaltschaft habe ihm 2500 Dollar für dieAussage geboten, daß Clay Shaw zusammen mit Lee Oswaldsein Dampfbad besucht habe. Zuerst, gestand er, sei er auf dasAngebot eingegangen. Nachdem er allerdings darüber nach-gedacht hatte, war ihm die Vorstellung, sich an einer so un-moralischen Tat zu beteiligen, zuwider gewesen, und er habeabgelehnt.

Dann füllte das runde Gesicht von Dean Andrews den Bild-schirm. Er verkündete feierlich, Clay Shaw habe ihn nicht am

Tag nach dem Attentat angerufen und darum gebeten, Lee Os-wald zu verteidigen. Er würde Clay Shaw nicht einmal erken-nen, wenn er auf dem Bürgersteig über seine Leiche stolperte.

Nach der Sendung wollte das Geschworenengericht desBezirks Orleans John Cancler unter Eid befragen, da er sei-nem Auftritt zufolge nur zu gerne bereit war, über VernonBundys Wahrheitsliebe auszusagen. Das Geschworenenge-richt bat ihn, zu wiederholen, was er gegenüber der NBC überBundys falsche Aussage in bezug auf Oswald und Shaw be-hauptet hatte. Das Geschworenengericht wollte ebenfalls hö-ren, wie er die NBC-Beschuldigungen über Unregelmäßigkei-ten der Staatsanwaltschaft unter Eid bestätigte.

Cancler, der nun das »Fifth Amendment« für sich in An-spruch nahm, weigerte sich, seine Anschuldigungen zu wie-derholen, da ein solches Handeln dazu führen könne, daß ersich selbst belastete. Nach einer Anordnung des Geschwore-nengerichts wurde er einem Richter des Strafgerichts vor-geführt, der ihn erneut aufforderte, die Anschuldigungen zuwiederholen, die er öffentlich vor dem ganzen Land gemachthatte. Wieder berief er sich auf den fünften Verfassungszusatzund weigerte sich. Der Richter befand ihn der Mißachtung desGerichts für schuldig und verurteilte ihn zu sechs MonatenGefängnis, die zu der Strafe kamen, die ihn wegen eines Ein-bruchs erwartete.

Miguel Torres wurde ebenfalls auf Anordnung des Ge-schworenengerichts aus dem Staatsgefängnis von Angola ge-holt. Auch Torres wurde gebeten, die Anschuldigungen, die erin der Sendung der NBC vor der ganzen Nation gemacht hatte,unter Eid zu wiederholen. Wie Cancler verweigerte er dieAussage unter Eid mit der Begründung, sich möglicherweiseselbst zu belasten. Vor Gericht berief auch er sich auf denfünften Verfassungszusatz und erhielt wegen Mißachtungeine zusätzliche Gefängnisstrafe.

Die Geschworenen schenkten Fred Leemans ausgefallenerDampfbadgeschichte so wenig Glauben, daß sie sich nicht ein-mal die Mühe machten, ihn vorzuladen. Was Dean Andrews

betraf, so wurde er kurz nach der NBC-Sendung vom Ge-schworenengericht des Bezirks Orleans wegen Meineids an-geklagt, als er aussagte, Clay Shaw sei nicht mit »Clay Ber-trand« identisch, der ihn mit der Verteidigung Lee Oswaldsbeauftragt habe (siehe Kapitel 18). Später, im August 1967,wurde Andrews von Geschworenen, die sich aus Bürgern derStadt New Orleans zusammensetzten, des Meineids für schul-dig befunden.

Wenige Tage, nachdem die NBC die Sendung ausgestrahlthatte, schickte ich einen wütenden Beschwerdebrief an dieFederal Communications Commission, den Bundesausschußfür Presse und Fernsehen. Ich verlangte die gleiche Sendezeit,um den unverschämten Angriff des Senders auf die Staats-anwaltschaft persönlich zu beantworten.

Die FCC zwang die NBC, mir eine halbe Stunde zur Verfü-gung zu stellen, um auf das stundenlange »Weißbuch« zu ant-worten. Es war zwar nicht der gleiche Zeitraum, aber mehrbenötigte ich auch nicht. Ich gab meine Stellungnahme live imörtlichen Studio des Senders, dem WDSU-TV, ab, und siewurde im ganzen Land ausgestrahlt.12

Danach hatte ich zwar das Gefühl, meine Botschaft vermit-telt zu haben, aber ich war nicht ganz zufrieden. Ich fragtemich noch immer, warum die NBC so lange und so schwerdaran gearbeitet hatte, unsere Arbeit zunichte zu machen.Man wollte meine Behörde tatsächlich zur Strecke bringen.

Ich wußte, ohne dieser Tatsache je besondere Beachtunggeschenkt zu haben, schon seit Jahren, daß die NBC eineTochtergesellschaft der Radio Corporation of America war.Jetzt wollte ich wissen, was genau die Radio Corporation ofAmerica war.

In der Öffentlichen Bibliothek erfuhr ich, daß die RCA imZweiten Weltkrieg wegen der Entwicklung und Verbreitungdes Funks bei den Streitkräften ein wesentlicher Bestandteilder amerikanischen Verteidigungsstruktur geworden war.13

Diese Partnerschaft war sogar noch enger geworden, nach-dem die RCA einen neuen, besonders effektiven Höhenmesser

für Bombenabwürfe aus großen Höhen entwickelt hatte. Vonda an war die Firma in die Weiterentwicklung-des Radars undanderer hochentwickelter Technologien für die Streitkräfteeingestiegen. Wie das amerikanische Militär hatte sich dieRCA von einem relativ überschaubaren Servicebetrieb zu ei-nem mächtigen Koloß entwickelt. Ihre wichtigsten Verträgemit dem Militär waren in den Jahren von 1960 bis 1967 aufüber eine Milliarde Dollar angewachsen. Die RCA war keine»Radiofirma« mehr. Sie war nun ein Teil der Rüstungsindu-strie. Und ihr Präsident, General a. D. David Sarnoff, war be-kannt für seine angriffslustigen öffentlichen Reden und Akti-vitäten zugunsten des kalten Krieges.

Vor diesem Hintergrund ergab es für mich mehr Sinn,warum die RCA und ihre Tochterfirma NBC einen lokalenStaatsanwalt in Mißkredit bringen wollten, der nicht aufhörte,die unerfreuliche Möglichkeit zu propagieren, der Präsidentsei von organisierten kalten Kriegern der Geheimdienste derVereinigten Staaten ermordet worden.

Verglichen mit der Brutalität, mit der die NBC die Tatsachenbehandelt hatte, war die Dokumentation der CBS zivilisiert -auch wenn vieles daran nicht stimmte. Sie wurde in vier Tei-len vom 25. bis 28. Juni 1967 gesendet und konzentrierte sichim Gegensatz zum »Weißbuch« der NBC auf das Attentat, undnicht auf mich und meine Behörde.

Die CBS hatte mich eingeladen, an ihrer episch-breitenPräsentation mitzuarbeiten. Ich zögerte, weil ich wußte, daßich auf die eine oder andere Art wieder von den Medien her-eingelegt werden würde. Sie hatten jedoch, wie mir bekanntwar, niemand anderen eingeladen, der das Einzeltäter-Szena-rio widerlegen sollte, und darum ging ich hin.

Zu meiner Überraschung interviewte mich der Sender aus-führlich - beinahe eine halbe Stunde lang-, in der ich er-klärte, wie Präsident Kennedy als Resultat einer Verschwö-rung beseitigt worden war, und die möglichen Gründe dafürerläuterte. . .

Nachdem die CBS-Sendung bundesweit ausgestrahlt wor-den war, wurde meine halbe Stunde auf höchstens dreißigSekunden gekürzt. Das gab mir gerade genug Zeit, in die mas-sive, vierstündige Huldigung des Senders an die Warren-Kom-mission einen kleinen Mißton zu bringen.

14- DIE FIRMA

Von Anfang an hatte ich mir Sorgen wegen der unzuläng-lichen Größe sowohl meines Stabs als auch meines Budgetsgemacht, um das Attentat auf Kennedy zu untersuchen. Ineiner frühen Phase wäre es vielleicht möglich gewesen, eineSonderzuwendung für unser Budget zu erhalten, aber daswar durch den Kommentar in der Lokalpresse und den darauffolgenden landesweiten Angriff unmöglich geworden.

Das Dilemma wurde auf unerwartete Weise gelöst. Bei-nahe aus dem Nichts erschienen Freiwillige, die von der Un-tersuchung gehört hatten, um uns zu helfen. Einige kamenpersönlich vorbei, andere schrieben, wieder andere riefen an.Im Frühjahr 1967 hatten wir aus den Freiwilligen eine »Helfer-einheit« gebildet. Es stellte sich heraus, daß diese zusätzlicheHilfe die Moral der Sondereinheit verbesserte.

Einer der von uns ausgewählten Freiwilligen war ein jun-ger Engländer, der für das Nationalarchiv in Washington gear-beitet hatte. Er schickte uns Kopien seiner ausgezeichnetenArbeit als Rechercheur, und da wir in Washington niemandenfür Archivrecherchen hatten, insbesondere, um uns Kopienvon Ausschußdokumenten zu besorgen, nahmen wir ihn inden Stab auf. Später holten wir ihn nach New Orleans, damiter unsere wachsenden Ermittlungsakten betreuen konnte, diewir »das Archiv« nannten.

Als nächster stieß ein äußerst beeindruckender Freiwilli-ger mit breiten Schultern und mächtigem Kinn zu uns. Es warein ehemaliger Agent der Central Intelligence Agency namensWilliam Wood. Das war, wie wir sofort erkannten, eine selteneGelegenheit, die Methoden und die Mentalität der Agency ken-

nenzulernen, und darum wollten wir ihn unbedingt dabei-haben. Allerdings wollten wir vorher sichergehen, daß er tat-sächlich bei der CIA gewesen war.

Er erzählte, sieben Jahre für die Agency gearbeitet zu ha-ben, dann hatte man ihn fallengelassen, als er zum Alkoho-liker wurde. Obwohl er der Firma1 nichts nachtrug, fand er essehr gut, was wir mit unserer Kennedy-Untersuchung errei-chen wollten, und wünschte, seinen Teil beizutragen. Er warReporter aus Austin, Texas, und hatte Empfehlungsschreiben,die seine beträchtlichen Erfahrungen als Zeitungsmann undRechercheur bewiesen.

Wood bemerkte, daß wir von seiner ehemaligen Verbin-dung zur Agency nicht so ganz überzeugt waren, und machteuns deshalb einen Vorschlag. Ein alter Freund aus seinenTagen bei der Agency war immer noch Leiter der Agency-Am-bulanz in Langley, Virginia. Wood zeigte auf Ivon, der bei un-serem langen Einstellungsgespräch anwesend gewesen war.Warum rief Ivon nicht bei der CIA an, schlug er vor, ließ sichmit dem Arzt verbinden und hörte dann bei der Unterhaltungzwischen Wood und dem Arzt zu?

Als der Arzt am Telefon war und Wood sich meldete, wurdeklar, daß die beiden sich gut kannten. Wood erzählte demArzt, daß er zu trinken aufgehört hatte, und obwohl er dieAgency vermißte, hatte er im Zeitungsgeschäft Erfolg gehabt.Der Arzt wünschte ihm viel Glück. Wir waren zufrieden, daßWood tatsächlich für die Agency gearbeitet hatte, und hießenihn im Team willkommen.

Da die Medien unsere Aktivitäten neugierig verfolgten,hielten wir es für besser, über die Anwesenheit eines früherenAngestellten der Agency in unserem Team zu schweigen. Des-halb benutzten wir von diesem Moment an den Namen »Box-ley« anstelle von Wood. Bill Boxley wurde innerhalb undaußerhalb unserer Behörde ein vertrautes Gesicht. Er trugimmer eine geladene 45er Automatik in einem Halfter unterdem Arm. Wahrscheinlich hatte er ursprünglich für denNachrichtendienst der Army gearbeitet, da alle anderen ame-

rikanischen Nachrichtendienste einen Revolver vom Kaliber.38 verwendeten. Er trug auch stets einen großen, rechtecki-gen, schwarzen Aktenkoffer bei sich. Er war ein rastloserArbeiter, und es war offensichtlich, wie sehr er unseren Be-mühungen ergeben war.

Zusätzliche Freiwillige halfen bei der Bearbeitung der ein-laufenden Spuren. Einer war ein weltgewandter junger Mann,der in Lateinamerika aufgewachsen war und Spanisch wie einEinheimischer sprach; er half bei den Befragungen der Exil-kubaner. Jim Rose, ebenfalls Ex-Angestellter der CIA, wurdenach einer eindringlichen Empfehlung Boxleys, der ihn ausseinen Tagen bei der Agency kannte, akzeptiert. Rose besaßeinige Fotos, die ihn bei der Ausbildung von Exilkubaner-Gue-rillas im Trainingslager auf der No-Name-Insel in Florida inden frühen Sechzigern zeigte. Ein weiterer Freiwilliger warein Privatdetektiv, der uns im wesentlichen Zugang zu dertechnischen Ausrüstung verschaffte, die wir benötigten. Einanderer Freiwilliger von der Westküste besaß ererbtes Geld,das ihn mit viel freier Zeit und einer nützlichen Reisekapazitätversorgte.

Die Aussicht, unsere Produktivität durch den Enthusias-mus und die schöpferische Intelligenz der Freiwilligen stei-gern zu können, erschien vielversprechend. Wie wir spätererfahren sollten, hatten wir nur das Problem, daß viele Frei-willige auf Befehl der CIA bei uns waren. Tatsächlich warenzu einer gewissen Zeit ebenso viele Männer der Sonderein-heit für die Bundesregierung wie für die Staatsanwaltschaftvon New Orleans tätig. Im Laufe der Zeit machte einer nachdem anderen jedoch einen Fehler, und ich verabschiedeteihn.

Zu Anfang der Untersuchung ahnte ich nur, daß die Geheim-dienste irgendwie in das Attentat verstrickt gewesen waren,aber ich wußte nicht, welcher Dienst oder welche Dienste. Alsdie Zeit verging und sich mehr Spuren auftaten, wiesen dieBeweise jedoch immer stärker in Richtung CIA.

Zum Beispiel unterhielt einer der Hauptakteure, Guy Bani-ster, von früher her Verbindungen zum ONI und zum FBI,doch seine Beschäftigung mit den kubanischen Guerillas inNew Orleans mußte auf Veranlassung der CIA erfolgt sein.David Ferrie hatte natürlich im Auftrag der CIA Guerillas fürdie Invasion in der Schweinebucht ausgebildet. Und JulesRicco Kimble, der sich zusammen mit Ferrie und Shaw auf diegeheimnisvolle Mission nach Montreal begeben hatte, hatteeingeräumt, Aufträge von CIA-Agenten erhalten zu haben(siehe Kapitel 9).

Daß sich jemand im Januar 1961 bei Bolton Ford als Os-wald ausgegeben hatte, wo die Lastwagen für die Schweine-bucht-Invasion gekauft wurden, roch nach CIA, wie auch dieVerbindung George de Mohrenschildts mit Lee Oswald. Derin letzter Sekunde geänderte Kurs der Wagenkolonne in Dal-las war ausgesprochen verdächtig und warf ernste Fragenüber Earle Cabell, den Bürgermeister von Dallas, und seinenBruder Charles Cabell auf, den früheren stellvertretendenCIA-Direktor, der wegen des Fiaskos in der Schweinebucht ge-feuert worden war. Die Warren-Kommission mit ihrem Sach-verständigen für Geheimdienstfragen, dem Ex-CIA-DirektorAllen Dulles, hatte die Änderung der Paraderoute vertuscht,wie auch andere Spuren, die auf die CIA hinwiesen. Allesführte zurück nach Kuba, zur Schweinebucht und zur CIA.

Aber warum nur, fragte ich mich immer wieder, sollte dieCIA, die mit dem Schutz der nationalen Sicherheit beauftragtist, den eigenen Präsidenten umbringen wollen? Alle Beweisedeuteten in diese Richtung, aber es ergab einfach keinen Sinn.Um irgendeinen Ansatzpunkt zu finden, fing ich an, alles zulesen, was ich über den kalten Krieg, Kennedys Präsident-schaft und die Geheimdienste in die Finger bekommenkonnte. Oft vertiefte ich mich bis in die frühen Morgenstundenin die Bücher. Ich hoffte, irgendwo auf einen Hinweis zu sto-ßen, was die CIA - oder Teile von ihr - motiviert habenkönnte, Kennedy loswerden zu wollen. Während ich mir übereine Zeitspanne von einigen Monaten mehr Wissen aneignete,

kristallisierte sich allmählich ein möglicher Grund für dasAttentat heraus.

Mit seiner Weigerung im April 1961, zur Rettung der miß-lungenen CIA-Invasion Kubas in der Schweinebucht Luftun-terstützung zur Verfügung zu stellen, hatte Präsident Kennedyden kalten Kriegern der CIA gegenüber eine äußerst mißtrau-ische Haltung eingenommen.2 Was noch wichtiger war, Ken-nedy hatte bedeutende Schritte zu einer Detente mit derSowjetunion unternommen. Trotz des anfänglichen Protestesder vereinigten Stabschefs hatte er 1963 den StaatssekretärDean Rusk autorisiert, mit der Sowjetunion ein Abkommenüber das Verbot von Atomtests zu schließen. Während derkubanischen Raketenkrise hatte er die Empfehlungen seinerBerater verworfen, Castros Kuba zu bombardieren und zu be-setzen. Statt dessen hatte er mit Hilfe einer Seeblockade einpersönliches Übereinkommen mit Nikita Chruschtschow er-zielt, das Kennedys Verpflichtung einschloß, daß die Vereinig-ten Staaten jegliche Pläne zur Besetzung Kubas aufgaben. Mitder Stürmung und Schließung des CIA-Guerilla-Trainings-lagers nördlich des Lake Pontchartrain im Sommer 1963durch das FBI wurde ein Teil dieser Übereinkunft erfüllt.

All dies wandte sich gegen die seit zehn Jahren praktizierteAußenpolitik des kalten Krieges, die hauptsächlich von JohnFester Dulles, dem Außenminister von Präsident Eisenhower,und seinem Bruder Allen Dulles, dem CIA-Direktor, in Ganggesetzt worden war. Im Juni 1963 hatte sich Präsident Ken-nedy in einer historischen Rede vor der American Universityin Washington eindeutig und überzeugend vom kalten Krieglosgesagt und dabei unterstrichen, die Vereinigten Staatenund die Sowjetunion müßten friedlich auf dem einen kleinenPlaneten zusammenleben.

Aber keine dieser politischen Richtungsänderungen war -im Rückblick - so bedeutend wie Kennedys Absicht, das ame-rikanische Militär komplett aus Vietnam zurückzuziehen.3

Warum diese Entscheidung das außenpolitische Establish-ment dermaßen entsetzte, ist nur verständlich, wenn man

sich den Anfang der Verwicklung der Vereinigten Staaten inden Vietnamkrieg ansieht.

Die kalten Krieger Amerikas waren seit dem Ende desZweiten Weltkrieges der Ansicht, die Vereinigten Staatendürften unter keinen Umständen die Kontrolle über Vietnamund seine kostbaren Ressourcen verlieren. Bereits 1952 be-hauptete ein geheimes Memorandum des Nationalen Sicher-heitsrates schlicht4: »Die kommunistische Kontrolle ganzSüdostasiens würde die Stellung der Vereinigten Staaten aufder pazifischen Inselkette im Ozean gefährden und funda-mentale Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten im Fer-nen Osten ernsthaft aufs Spiel setzen.«

Nachdem sich die französischen Truppen 1954 Ho ChiMinhs Streitkräften bei Dien Bien Phu ergeben hatten, unter-zeichneten alle relevanten Mächte mit Ausnahme der Verei-nigten Staaten das Genfer Abkommen, demgemäß das Landzeitweise am 17. Breitengrad geteilt werden sollte, bis Wahlenzur Vereinigung abgehalten werden konnten. Um die ameri-kanischen Investitionen zu retten, entwarfen AußenministerDulles, General Nathan Twining und Admiral Arthur Radfordeinen Plan für den amerikanischen Einmarsch in Vietnam,den Präsident Eisenhower blockierte. Statt dessen ließ Eisen-hower im Endeffekt die permanente Teilung des Landes zu,indem er die geplanten Wahlen strich und in Südvietnam eineeigenständige Regierung installierte. Unter Kontrolle der CIAwurde mit Hilfe von Militärberatern eine Marionettendiktaturgegen Ho Chi Minhs Streitkräfte aus dem Norden und denVietcong im Süden eingesetzt, die beide das Land vereinenwollten.

So standen die Dinge, als John F. Kennedy sein neues Amtantrat. Zuerst beugte er sich dem Druck der CIA und bewil-ligte eine Erhöhung der Zahl der amerikanischen Militärbera-ter. Er weigerte sich jedoch, Streitkräfte zu entsenden. ZurZeit seines Todes, so sein Berater Kenneth O'Donnell5, war erentschlossen, die amerikanische Hilfe in Vietnam auf Tech-niker, Helikopterpiloten und Berater der Green Berets zu be-

schränken, und sagte: »Ich werde nie Wehrpflichtige dorthinschicken, um zu kämpfen.«

Im Oktober 1963 erkannte Kennedy, daß die VereinigtenStaaten Gefangene einer Situation waren, aus der sie nicht alsGewinner hervorgehen konnten. Er wies Verteidigungsmi-nister Robert McNamara an6, unverzüglich tausend amerika-nische Militärberater aus Vietnam abzuziehen - »ein Befehl,der nach seinem Tod leise wieder rückgängig gemacht wur-de« -, und plante, bis zum Ende des Jahres 1965 alle ame-rikanischen Einheiten zurückzuholen.

Diese Entscheidung - in Verbindung mit der neuen Kuba-Politik und der Unterzeichnung des Abkommens zur Einstel-lung der Atomtests - bedeutete nichts anderes als einen fun-damentalen Bruch mit der Außenpolitik des kalten Krieges,aus der die CIA im Grunde ihre Existenzberechtigung herlei-tete. Meiner Einschätzung nach lag hier ein plausibles Motivfür das Attentat. Obwohl ich an diesem Punkt noch nicht allesdurchdacht hatte, konnte ich doch erkennen, daß die CIA ander Fortführung des kalten Krieges unbedingt interessiertsein mußte, was auch ihrer ideologischen Ausrichtung ent-sprach. John F. Kennedy hatte nicht nur gedroht, dem einEnde zu setzen, er hatte auch, wie Senator George Smatherssich erinnerte, gedroht, der CIA ihre »exorbitante Macht« zunehmen.7 Er hatte sich im Laufe der Zeit unversöhnlicheFeinde gemacht - von den kalten Kriegern der CIA auf höch-ster Ebene, wie Allen Dulles, General Charles Cabell undRichard Helms, dem damaligen stellvertretenden Direktor fürverdeckte Operationen, bis hinab zu den Exilkubanern, dieglaubten, in der Schweinebucht verraten worden zu sein.

Obwohl es mir schwerfiel zu akzeptieren, daß ein sogroßer Geheimdienst wie die CIA einem Plan zur Ermordungdes Präsidenten zustimmen und ihn ausführen würde, er-schien es mir durchaus vorstellbar, daß abtrünnige Elementeinnerhalb des Dienstes oder Agenten, die für sie an anderenProjekten arbeiteten, dazu fähig waren. Das schloß eineMenge Leute ein, unter ihnen Clay Shaw, Guy Banister, David

Ferrie und zahlreiche kubanische Guerillas, die nördlich desLake Pontchartrain ausgebildet worden waren.

Obwohl keiner der von uns gesammelten Beweise die CIA de-finitiv belastete, sah ich ein, daß ein erfahrener Geheimdienstnur selten rauchende Waffen zurückließ. Dennoch erhieltenwir erstaunlicherweise weitere Hinweise, die in RichtungAgency deuteten. Das muß irgend jemanden in Langley beun-ruhigt haben, da mein Stab infiltriert wurde und ich im Laufeder Zeit allmählich herausfand, daß die Agency tatsächlichversuchte, unsere Untersuchung zu stoppen. Dies verstärktenur meinen Verdacht, wonach die CIA - oder ein Teil von ihr -tief in das Attentat verstrickt war.

Der Versuch der Agency, unsere Ermittlungen zu verhin-dern, wurde zunehmend bemerkbar, als wir einen Antrag aufAuslieferung Gordon Novels aus Ohio stellten. Dieses recht-mäßige Vorgehen erschien uns aufgrund des unangemeldetenBesuchs notwendig, den einige von Guy Banisters Genossendem Sprengstoffbunker in Houma, Louisiana, abstatteten(siehe Kapitel 3). Sie hatten mitten in der Nacht Munition ausdem Schlumberger-Bunker entwendet und nach New Orleansgebracht.

Einige Zeit, nachdem wir von dieser Spritztour erfahrenhatten, teilte uns ein Informant mit, daß Novel den Lastwa-gen, der zum Transport der Munition benutzt worden war,fotografiert hatte. Später hatte Novel das Foto an WalterSheridan von der NBC verkauft. Ich besprach diesen un-gewöhnlichen Fall mit dem Staatsanwalt von Houma, und erbeharrte darauf, daß, soweit es seinen Amtsbereich betraf,die Entfernung der Munition aus dem Schlumberger-Bunkerein Einbruch gewesen sei. Meinem Urteil nach stellte derTransport gestohlener Waren nach New Orleans ein Kapitalver-brechen dar, und die Beseitigung von Beweismitteln, die inZusammenhang mit dem Vergehen standen (Verkauf des Fotosan die NBC), war ebenfalls ein in New Orleans begangenesVerbrechen.

Bevor ich Novel jedoch über sein letztes Abenteuer mit GuyBanister und dessen Privatkrieg gegen Kuba befragen konnte,erfuhr er, daß ich nach ihm suchte (vermutlich von einem dersechs CIA-Männer, die ich naiverweise als Hilfskräfte willkom-men geheißen hatte), und verschwand.

Wir fanden Novel im April 1967 in Ohio und beantragtenseine Auslieferung. Wir wollten wissen, warum die Munitionaus dem Schlumberger-Bunker geholt worden, nach NewOrleans gebracht, und warum das Foto des Lastwagens anWalter Sheridan verkauft worden war.

In den folgenden Wochen klärte Gordon Novel durch Inter-views und Pressekonferenzen in Ohio8 die Öffentlichkeit all-mählich über mehr Aktivitäten der CIA auf, als uns in dengesamten letzten Monaten aufzudecken gelungen war. Unteranderem enthüllte er, daß die Sache mit dem Schlumberger-Bunker von Anfang an eine CIA-Operation gewesen war.9

Sogar der New Orleans States-Item10, der für unsere Un-tersuchung kein großes Interesse gezeigt hatte, veröffentlichteeinen Artikel unter der Überschrift »Beweise bringen CIA mitUntersuchung der Staatsanwaltschaft in Verbindung«. Der Ar-tikel stellte fest, daß »von der CIA enge Verbindungen zu Novelführen«. Novel hatte dem Artikel zufolge einigen Bekanntenerzählt, er sei CIA-Agent gewesen und benutze diese Tatsache,um sich von der Beschuldigung reinzuwaschen, er habe beidem Einbruch in den Schlumberger-Bunker mitgemacht."

»Novel erzählte Lügendetektortechnikern, Freunden undBekannten«, berichtete die Zeitung, »daß die Entwendung derMunition überhaupt kein Einbruch war, sondern ein Transportvon Kriegsmaterial aufgrund von Anweisungen seines CIA-Kontaktes.« Novels Andeutungen zufolge war der Schlumber-ger-Bunker in Wirklichkeit »ein Zwischenlager der CIA fürMunition, die für den abgebrochenen Angriff auf Castros Kubain der Schweinebucht bestimmt gewesen war«.

Novel identifizierte die anderen, an der Aktion beteiligtenMänner sämtlich als CIA-Mitarbeiter, unter ihnen David Fer-rie, Sergio Arcacha Smith (den ehemaligen Anführer der

Cuban Revolutionary Front - der Kubanischen Revolutions-front in New Orleans, der nach diesem Zwischenfall nach Dal-las, Texas, zog) und eine Anzahl Exilkubaner, die er nichtkannte.

Etwa einen Monat später wiesen neue Beweise noch ein-deutiger auf Novels Verbindung zur Central IntelligenceAgency hin. Ein paar Wochen, nachdem Novel aus New Or-leans verschwunden war, zogen zwei junge Damen in seineWohnung im French Quarter ein. Als sie die Wohnung säuber-ten, fanden sie den handschriftlichen Entwurf eines Briefes,der neben der Spüle unter ein Stück Plastik gezwängt war.12

Diese Notiz gelangte in die Hände von Hoke May, einem Re-porter des States-Item, und May zeigte sie mir später. Als ermich um Erlaubnis bat, sie zu veröffentlichen, gab ich sie ihm.

Die Authentizität des Briefes wurde von Novels AnwaltSteven Plotkin bestätigt, der erklärte: »Alles in dem Brief, so-weit es Novel betrifft, entspricht tatsächlich der Wahrheit.«Gilbert Fortier, ein führender Handschriftenexperte aus NewOrleans, kam, nachdem er den Brief mit anderen Proben vonNovels Handschrift verglichen hatte, zu dem Schluß, daß ertatsächlich von Novel geschrieben worden war.

Der Brief war an Novels mutmaßlichen CIA-Kontaktmannadressiert, der nur als »Mr. Weiss« identifiziert wurde. Essollte hinzugefügt werden, daß dieser Brief im Januar 1967geschrieben wurde, bevor unsere Untersuchung bekanntge-worden war. In diesem Brief behauptete Novel:

»Ich nahm mir die Freiheit, Ihnen direkt zu schreiben, umSie von der derzeitigen Lage in Kenntnis zu setzen, in der Er-wartung, daß Sie dies durch die geeigneten Kanäle weiterlei-ten. Unsere Verbindungen und Aktivitäten in dieser Zeitschließen Personen mit ein, die derzeitig in Garrisons Unter-suchung als Verschwörer beschuldigt werden. [...] Garrisonhat mich und einen Bekannten vorgeladen, damit wir vor sei-nen Geschworenen über Dinge aussagen sollen, die man alsSTRENG GEHEIM einstufen könnte...«,, Novel fuhr mit dem Vorschlag fort, die Agency solle »eine

angemessene Gegenmaßnahme bezüglich der uns betreffen-den Nachforschungen Garrisons« in die Wege leiten. Ermeinte, dies könne am besten »durch militärische Kanäle viaDIA (Defense Intelligence Agency - die Abwehr) erreicht wer-den. Garrison ist zur Zeit Colonel bei der Nationalgarde vonLouisiana und hat den Status der Bereitschafts-Reserve«.

Hier haben wir Gordon Novel, wie er der CIA vorschlägt,sie möge mich ihm vom Hals halten, indem sie mich durch dasMilitär wieder in den aktiven Dienst zurückholt. Ich wurdezwar nicht wieder aktiviert, doch uns gelang es trotzdemnicht, Novel aus Ohio ausliefern zu lassen. Sogar ein persön-licher Anruf von John McKeithen, dem Gouverneur von Loui-siana, bei dem Gouverneur von Ohio, James Rhodes, in demer um die Auslieferung Novels bat, bewirkte lediglich, daß No-vel weiterhin als Flüchtling betrachtet und geschützt wurde.Ohio schickte uns die Auslieferungsanträge zurück und be-hauptete, sie beinhalteten »technische Einzelheiten, die nichtmit dem Gesetz in Einklang stehen«.

Das war das erste Mal, daß unsere Behörde bei einem Aus-lieferungsfall Schiffbruch erlitt, aber leider sollte es nicht dasletzte Mal sein, solange wir mit der Untersuchung des Ken-nedy-Attentates beschäftigt waren. Die meisten Ausliefe-rungsanträge, die ich in diesem Fall einreichte, wurden blok-kiert, als hätte sich ein riesiger Fuß vor meine Behördegestellt. Das schloß den Versuch ein, Perry Russos Ex-Freun-din Sandra Moffett, die die Party bei David Ferrie besuchthatte, über die Russo ausgesagt hatte, aus Nebraska vorladenzu lassen.

Von der Bundesregierung erhielten wir noch weniger Un-terstützung als von den Bundesstaaten. Beispielsweise ver-suchten wir, den FBI-Agenten Warren DeBrueys vorladen zulassen, der unserer Einschätzung nach einige Punkte hätte er-hellen können. Ein Informant hatte uns erzählt, daß DeBrueysso mit Guy Banister, David Ferrie und den Exilkubanern be-schäftigt war, daß er, statt im örtlichen FBI-Hauptquartier zuarbeiten, ein zusätzliches Büro im Haus der Zollbehörde in

der Canal Street hatte, nahe dem Ort der Anti-Castro-Aktivitä-ten. DeBrueys wurde vom Geschworenengericht des Bezirksvorgeladen, berief sich aber auf Anweisung der Justizbehördeauf sein verfassungsmäßiges Recht, die Aussage zu verwei-gern.13

Später war es meiner Meinung nach an der Zeit für das Ge-schworenengericht, sich Allen Dulles anzuhören. Ich wolltevieles von ihm wissen, insbesondere, ob Clay Shaw, Lee Os-wald, David Ferrie, Gordon Novel und Guy Banister Verbin-dungen zur CIA gehabt hatten oder nicht, und warum seinfrüherer Stellvertreter, General Cabell, nicht von der Warren-Kommission befragt worden war.

Ich schickte eine Vorladung in die Hauptstadt unseres Lan-des. Kurz darauf kam ein knapper Brief vom Justizministerder Vereinigten Staaten in Washington, der mich darüberinformierte, daß er es »ablehne«, Mr. Dulles die Vorladungzuzustellen.

In der Zwischenzeit hatten sich Verwandte von Richard CaseNageil, einem Geheimagenten, mit mir in Verbindung gesetzt.Sie erzählten, er sei Mitte 1963 auf eine Operation zur Ermor-dung Kennedys gestoßen. Sein Versuch, die Regierung davorzu warnen, habe ihm drei Jahre in einem Bundesgefängniseingebracht. Er stand kurz vor der Entlassung und wolltemich in einer anderen Stadt treffen. Wenn ich ihn nicht be-suchen könnte, werde die Familie mich aufsuchen.

Ich stimmte zu, und zwei seiner Angehörigen kamen vonNew York nach New Orleans, um das Treffen zu arrangieren.Die Bestätigung ihrer Geschichte, auch wenn die Hinter-gründe fehlten, die nur er erzählen konnte, war überzeugend.Nageil weigerte sich jedoch, New York City zu verlassen, wo ernach seiner Entlassung aus dem Bundesgefängnis vor kurzemeingetroffen war. Ich verabredete mit seinen Angehörigen, dieSache am nächsten Tag weiter zu besprechen.

An diesem Abend sah ich zu Hause das Material der War-ren-Kommission durch. Im Index der Anhörungen tauchte der

Name Nageil nicht auf. Er schien auch nicht unter den Beweis-stücken der Kommission zu sein. Trotzdem war ich auf seineungewöhnliche Geschichte neugierig und entschlossen, so vielwie möglich über Nagell herauszufinden. Wenn er nahe genugdran gewesen war, um im voraus von den Attentatsplänen zuwissen, hätte die Bürokratie einen Bericht über Nagell zusam-mengestellt. Selbst wenn man ihn manipuliert hatte, damit eretwaige Nachforschungen in die Irre leitete, irgendwo mußtees einen Bericht geben.

Ich stolperte schließlich in den Kommissions-Dokumentenüber ihn.14 Im FBI-Bericht stand ausführlich:

»Für den Bericht gibt er an, daß seine Bekanntschaft mitOswald [damit ist Lee Harvey Oswald gemeint] rein persön-licher Natur war und er ihm in Mexiko-Stadt und in Texasbegegnet ist.«

Nagell hatte sich tatsächlich im Dunstkreis der Ereignisseaufgehalten, sonst wäre er nicht in dem FBI-Bericht erwähntworden. Der war jedoch offensichtlich stark gesäubert wor-den. Es war einer der kürzesten Berichte der gesamten FBI-Untersuchung: Es gab keinen Hinweis auf Nagells Beruf undkeinen Hinweis darauf, warum das FBI ihn befragt hatte.Auch die bundesstaatliche Anklage wurde nicht erwähnt, ob-wohl man sie zum Zeitpunkt des Berichts erhoben habenmußte. Und doch war die Anklage stichhaltig genug gewesen,daß er erst jetzt - drei Jahre später - aus dem Gefängnis ent-lassen wurde.

Am nächsten Morgen traf ich mich wieder mit Nagells An-gehörigen in meinem Büro, und ein paar Minuten später tele-fonierte ich mit ihm persönlich. Seine Bedingungen für einTreffen waren klar umrissen. Es mußte in New York stattfin-den. Ich mußte derjenige sein, der dorthin reiste; er wollte mitniemandem sprechen, der mich vertrat. Das Treffen mußteunter freiem Himmel stattfinden, nicht im Hotel und auchnicht in einem anderen Gebäude.

Ein sehr verkrampfter Bursche, dachte ich, aber er würdeschon seine Gründe haben. Ich beschrieb einen Punkt im süd-

liehen Teil des Central Parks, direkt gegenüber der sgth Streetbeim Plaza Hotel, neben dem großen Teich. Es war ein Gebietmit wenigen Bäumen und vereinzelt stehenden Büschen undSitzbänken. Er stimmte zu, mich dort zu treffen.

Also flog ich nach New York.15 Ein paar Minuten vor derverabredeten Zeit verließ ich das Plaza Hotel und ging überdie belebten Straßen in den Park. Der Platz war bis auf einengroßen, schlanken Mann, der mit den Händen in den Hosen-taschen dort herumstand, verlassen. Sein helles Haar lichtetesich bereits. Er musterte mich, als ich näher kam.

Wir schüttelten uns die Hand und setzten uns zusammenauf eine Parkbank. Die Vorstellung, mich im Herzen NewYorks zu befinden, fiel mir schwer. Es hielt sich niemand inder Nähe auf. Es war ein sonniger Tag; eine leichte Brisestrich durch die Bäume. Dann folgte meiner Erinnerung nacheines der anregendsten und zugleich frustrierendsten Gesprä-che, das ich je geführt habe. Ich muß allerdings sagen, daßNagell mich gleich zu Beginn warnte.

»Ich werde die Organisation, für die ich 1963 tätig war,nicht beim Namen nennen«, sagte er. »Sie müssen einfachIhre eigenen Schlüsse aus allem ziehen. Ich werde auch nichtgenau beschreiben, woran ich arbeitete. Ich bin da an einigeVorschriften gebunden, und ich hatte schon genug Problememit der Regierung, da brauche ich keine neuen mehr.«

Trotzdem konnte ich es nicht lassen, ihn zu fragen: »WarenSie für die Firma tätig?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich kann diese Frage nicht beant-worten.«

»Was für Informationen können Sie mir geben?« fragteich. Ich war nicht den ganzen Weg nach New York gereist, umihm zuzuhören, wie er die allgemein übliche Geheimhaltungs-vereinbarung zitierte, die alle Agenten unterschreiben müs-sen.

»Es wurde bereits schriftlich festgehalten, daß ich von demgeplanten Attentat erfahren und mich bemüht habe, das FBIzu verständigen, um es zu warnen. Soweit es mich betrifft,

habe ich das Recht, darüber zu sprechen, weil ich es schonfrüher getan habe. Ich dachte, Sie sollten vorher erfahren,was ich zu sagen habe. Ist das für Sie von Interesse?«

Ich nickte.Nagells Geschichte fing damit an, daß er Mitte 1963 für die

Regierung der Vereinigten Staaten arbeitete, für einen Dienst,den er nicht enthüllen wollte. Die Leute, für die er tätig war -von dieser Verschwommenheit sollte er sich nie trennen -,wollten Genaueres über ein Projekt wissen, das mit einemBurschen namens Lee Oswald und einigen anderen Männernzu tun hatte. Folgerichtig erhielt Nageil den Auftrag, einigeZeit damit zu verbringen, die nötigen Beziehungen herzustel-len und dann zu beobachten. Im späten August oder frühenSeptember 1963 - aus Gründen, über die er nicht reden wollte -wurde deutlich, daß eine äußerst große - er betonte das Wort»große« - Operation begonnen hatte, die auf die ErmordungPräsident Kennedys hinauslief. Gerade, nachdem er das ent-deckt hatte, wurde die Person, die ihn beauftragt hatte, ausGründen, die er nicht erklären wollte, in einen anderen Teildes Landes versetzt, und Nageil stand plötzlich ohne direkteKontaktperson da.

Es war eine merkwürdige Geschichte. Nageil - draußen»in der Kälte« im Stich gelassen von dem Regierungsgeheim-dienst, der ihn mit der Unterwanderung der im Gange befind-lichen Aktivitäten beauftragt hatte. Er machte auf mich denEindruck, es mit seiner Geschichte absolut ehrlich zu meinen.

Nagell wußte zwar, was passieren würde, aber er hattekeine Möglichkeit herauszufinden, wann es passieren würde.Also hielt er es für die beste Lösung, J. Edgar Hoover, denDirektor des FBI, zu unterrichten. Er schrieb Hoover einenBrief, in dem er alles niederlegte, was er über das geplanteAttentat in Erfahrung gebracht hatte. Er schickte den Briefals Einschreiben mit Rückschein. Als dann Tage und Wochenohne Antwort des FBI-Direktors vergingen, kam er zu demSchluß, sein Versuch, vor dem Kommenden zu warnen, seierfolglos gewesen. Schlimmer noch, das Schweigen, mit dem

sein Brief aufgenommen worden war, ließ in ihm den Ein-druck entstehen, daß die sehr reale Gefahr bestand, daß er ineine Falle gelockt werden sollte. Schließlich hatte er den größ-ten Teil des Sommers 1963 in der Gesellschaft Oswalds undanderer Personen aus dessen Umfeld verbracht.

Schließlich entschied er in einem Akt der Verzweiflung,wie er eingestand, daß es für ihn nur einen sicheren Weg gab:den Tag des Attentats in einem Bundesgefängnis zu verbrin-gen. Er wollte lieber des groben Unfugs angeklagt werden, alsin die riesige Falle hineingezogen zu werden, die die Ermor-dung eines Präsidenten darstellte. Er betrat eine Bundesbankin El Paso, feuerte mehrere Schüsse in die Decke ab und war-tete dann draußen auf dem Bordstein sitzend, bis der Wach-mann angerannt kam. Er mußte den Wachmann zurückrufen,da er in der Eile an ihm vorbeigelaufen war.

Aber Nageil wurde nicht wegen groben Unfugs angeklagt,sondern die Regierung klagte ihn des bewaffneten Raubüber-falls an. Überdies wurde er bei seiner Verhandlung für schul-dig befunden, und der Richter verurteilte ihn zu zehn JahrenGefängnis.16

Nagell beantwortete ein paar Fragen. Hatte er sich tatsäch-lich in Oswalds Nähe aufgehalten? Direkt in seiner Gesell-schaft? Ja, erwiderte er. Und mit anderen Männern, die mitOswald zu tun hatten? Die Antwort war ja. Wo fand dies statt?In New Orleans und in Texas.

Ich fragte ihn, ob diese anderen Männer und Oswald ge-meinsam an dem Projekt gearbeitet oder ob die anderenOswald manipuliert hätten. Nagell dachte einige Zeit überdiese Frage nach. Dann antwortete er, er wolle nicht vorge-ben, Oswald gut genug gekannt zu haben, um davon über-zeugt zu sein, aber seinem Gefühl nach hätten die anderenOswald von Anfang an manipuliert.

Ich fragte ihn nach den Namen der anderen Männer. Er zö-gerte, aber als er antwortete, nannte er definitiv die NamenGuy Banister, Clay Shaw und David Ferrie.

Mit welcher Organisation standen diese Männer in Verbin-

düng? Er sah mich jetzt mit einem leichten Lächeln an undschüttelte langsam den Kopf. Ich ließ nicht locker. Standen siemit der CIA in Verbindung? »Ich kann weder eine Regierungs-organisation beim Namen nennen noch über sie sprechen«,erwiderte er. Trotz allem, was er durchgemacht hatte, würdeer kein Wort über die Geheimdienste verlieren. Er machte nurdie einzige Ausnahme: daß das FBI seine schriftliche War-nung vor dem Attentat auf Präsident Kennedy ignoriert hatte.Und das war das Fazit von Nagells Geschichte. Er wollte nichteinen Zentimeter über die Rahmenbedingungen hinausge-hen, die er vorher festgesetzt hatte.

Die meiste Zeit meines Rückflugs dachte ich lange und in-tensiv über meine Begegnung mit Richard Gase Nageil imCentral Park nach. Ich hatte ihn während der drei Stunden,die wir etwa zusammen verbracht hatten, genau beobachtet,und ich war der Überzeugung, daß es nicht in der Natur die-ses Mannes lag, Seemannsgarn zu spinnen. Andererseits kamman nicht um die Tatsache herum, daß seine Geschichte nichtleicht zu verdauen war. Ich gelangte zu dem Schluß, daß ichdas Erlebnis im Central Park möglicherweise unter der Ru-brik »Erfahrungen« ablegen mußte.

Viele Jahre später las ich einen Bericht über Nagells Ver-haftung durch die Ost-Berliner Polizei, als er versuchte, nachWestdeutschland zu gelangen.17 Richard Gase Nageil war defi-nitiv kein gewöhnlicher Versicherungsvertreter.

Ob Nageil aus eigenem Antrieb zu mir gekommen war odervon irgendeinem Geheimdienstapparat geschickt worden war,um mich hereinzulegen, habe ich nie erfahren. Aber ein ande-rer Zwischenfall, der sich bald darauf ereignete, ließ mich er-kennen, daß ich jederzeit in eine Falle laufen und diskreditiertwerden konnte.

Ich hatte in der Hoffnung, durch Gespräche mit Studentenim ganzen Land dem hysterischen Angriff der offensichtlichvereinigten Massenmedien entgegenzuwirken, verstärkt da-mit begonnen, an verschiedenen Universitäten Vorträge zu

halten. Außerdem - was ebensowichtig war - gingen meineErsparnisse von der Nationalgarde rasch zur Neige, und dieVortragshonorare halfen dabei, unsere Untersuchung weiter-zufinanzieren.

Und so sollte es wieder einmal losgehen. Diesmal sollte icheine Rede an der University of New Mexico halten, und aufdieser Reise unternahmen unsere Inlandsgeheimdienste ei-nen ersten Versuch, mich in eine Falle zu locken. Ich traf amNachmittag an der Universität in Albuquerque ein und spracham Abend mehrere Stunden vor den Studenten. Ich stieß aufein herzerwärmendes und ermutigendes Echo, wie es mir anUniversitäten zumeist zuteil wird.

Unmittelbar nach der Veranstaltung erschien Bill Boxley,der frühere CIA-Agent, der einer meiner freiwilligen Ermittlergeworden war, in der Lobby meines Motels. Ich war über-rascht, ihn zu sehen, da ich glaubte, er wäre in New Orleans.

Er nahm mich beiseite und erzählte mir mit großer Be-sorgnis, daß Gerüchte im Umlauf seien, daß der Versuch un-ternommen werden sollte, mich zu töten. Er habe keine Alter-native gesehen, als nach New Mexico zu fliegen, um als meinLeibwächter zu füngieren. Er war sehr erleichtert, es recht-zeitig geschafft zu haben.

Ich hatte Boxleys Intelligenz und Fähigkeiten immer sehrgeschätzt. Dieses Mal war ich jedoch außer mir. Ich fand einenleeren Tisch und führte ihn dorthin. »Ich sehe«, sagte ich,»daß Sie stets eine Fünfundvierziger bei sich tragen.« Ernickte und klopfte auf sein Schulterhalfter. »Bei welchem Teilder Army haben Sie gedient, bevor Sie zur CIA gingen?«fragte ich.

Er zögerte, unsicher darüber, was ich mit dieser Fragebezweckte. »Bei der Infanterie. Ich war jahrelang Landser.Danach war ich bei der Spionageabwehr der Army. Woraufwollen Sie hinaus?«

»Als Sie bei der Army waren«, fragte ich ihn, »hatten Sieda die Möglichkeit herauszufinden, was ein Befehl ist?« Ernickte. »Können Sie sich vielleicht daran erinnern, daß ich

jedem in meinem Stab befohlen habe, es zu unterlassen, dieseGruselgeschichten zu verbreiten, diese endlosen Gerüchtedarüber, daß jemand umgebracht werden soll?«

»Ja, aber...«, fing er an.»Da gibt es kein Aber«, sagte ich. »Es gefällt mir nicht, daß

Sie diesen paranoiden Müll auf mich abladen. Und es gefälltmir auch nicht, daß Sie nicht in der Lage sind, einem ein-fachen Befehl zu folgen. Besonders«, fügte ich hinzu, »wenndas zur Folge hat, daß ich am Ende Ihren Hin- und Rückflugaus eigener Tasche bezahlen muß.« Die letzten Worte fauchteich ihm fast entgegen, da Boxley ständig pleite war und ichihm andauernd Schecks ausstellen mußte.

Trotz meiner wütenden Einwände behauptete Boxley be-harrlich, ich brauchte Schutz, und verbrachte die Nacht in derSuite meines Motels. Er schlief auf dem Sofa, nachdem er diegroße -45er Automatik neben sich auf den Tisch gelegt hatte.Am nächsten Morgen fuhr er mit mir zum Flughafen und war-tete, bis ich nach Los Angeles abgeflogen war, wo ich mich imZuge unserer Untersuchung mit ein paar Leuten treffenwollte.

Nach meiner Landung in Los Angeles ging ich direkt zumZeitschriftenstand, um etwas zum Lesen zu kaufen. In der Ge-päckausgabe des Flughafens gab es keine Sitzgelegenheiten,und ich war schon immer allergisch dagegen, herumzustehenund Zeit zu verschwenden. Aus diesem Grund hatte ich Box-ley einen Monat zuvor, als der Flug nach Los Angeles zurSprache gekommen war, erzählt, ich würde auf dem Flugha-fen von Los Angeles immer auf die Herrentoilette gehen, michdort in einer Kabine auf die Toilette setzen und etwa zehnMinuten lang in einer Illustrierten lesen, bis das Gepäck kam.Nachdem ich es in Empfang genommen hätte, würde ich mirein Taxi rufen und mich auf den Weg machen.

Diesmal geschah etwas Ungewöhnliches. Nachdem ich mireine Ausgabe von Life gekauft hatte, ging ich auf die Herren-toilette, um in der Zeitschrift zu lesen. Ich schlug einen Artikelvon General James Gavin auf, der vorschlug, in Vietnam neue

Verteidigungstechniken einzuführen. In genau diesem Mo-ment hörte ich, wie sich die Tür der direkt neben mir befind-lichen Kabine öffnete und schloß. Ich hatte die erste einer lan-gen Reihe leerer Kabinen genommen. Als jemand beinaheunmittelbar nach mir die nächste Kabine betrat, wußte ich,daß etwas nicht stimmte. Ich klappte die Illustrierte auf mei-nem Schoß zu und lauschte.

Dann hörte ich flüsternde Stimmen an der Tür. Ich wartetekeine Sekunde länger. Da ich ja nur lesen wollte, war ich vollbekleidet und konnte die Kabinentür schnell aufstoßen. Zweidicke Flughafenpolizisten waren einen Augenblick lang in derAusgangstür der Herrentoilette eingeklemmt, als sie versuch-ten, sich gleichzeitig durchzudrängen. Anscheinend waren sievon meinem unerwarteten Erscheinen überrascht worden.Wir drei gingen zusammen hinaus.

Dann sah ich einen Ring von mindestens einem halbenDutzend uniformierten Flughafenpolizisten, die sich vor demEingang zur Herrentoilette versammelt hatten. Als mir lang-sam klar wurde, daß man mir eine Falle gestellt hatte, riefmich der befehlshabende Sergeant scharf an. »He, Mister!«sagte er in anklagendem Tonfall. »Wie lange haben Sie sichauf der Herrentoilette aufgehalten?« Die Antwort lautete na-türlich, höchstens zwei oder drei Minuten. Jedoch war diesunter diesen Umständen kaum der springende Punkt.

Gerade als er mich ansprach, bemerkte ich, daß zweiFrauen, die hinter der Theke eines Mietwagenverleihs arbei-teten, mich anstarrten und erkannten. Im Zuge des intensivenMedienangriffs wurde fast ständig im Fernsehen über michberichtet. Das war eine der Gelegenheiten, bei der das malvon Nutzen war.»Das geht Sie überhaupt nichts an!« schrie ich ihn an. Ich

drehte mich um, und als ich an den anderen Polizisten vorbeizum Gepäckband ging, sah ich, wie der befehlshabende Ser-geant den Kopf schüttelte. Die anderen Polizisten, die meinenWeg blockierten, wichen zur Seite und ließen mich durch., Als ich ins Taxi stieg, wußte ich, daß ich Glück gehabt

hatte, dort wegzukommen. Nachdem sich die erste Aufregunggelegt hatte, begriff ich, daß hinter der Falle mehr steckte, alsman auf den ersten Blick wahrnehmen konnte. Mir fiel einseltsamer Telefonanruf ein, den ich etwa drei Wochen zuvoraus Los Angeles erhalten hatte. Der Anruf erreichte mich inmeinem Haus in New Orleans, für das ich eine Geheimnum-mer hatte. Der Anrufer war ein Mann, den ich viele Jahrenicht gesehen hatte. Ich hatte ihn einmal kurz bei einem Fallvertreten, bei dem es um eine Verletzung von Bundesgesetzengegangen war. In meiner Erinnerung war er ein schmutziger,hinterhältiger und ungepflegter Homosexueller, der seinenLebensunterhalt mit dem Verkauf pornographischer Fotos be-stritt. Einen solchen Klienten hätte ich mir kaum selbst ausge-sucht, aber zu dieser Zeit vertrat ich sowohl Zivil- als auchKriminalfälle, und deshalb hatte ich den Fall angenommen.Doch der Mann versäumte es, mich zu bezahlen, und so hatteich das Gericht benachrichtigt, daß ich ihn nicht mehr vertrat.

Jahre später, nur drei Wochen vor dem bizarren Zwischen-fall am Flughafen, rief mich dieser Mensch aus heiterem Him-mel an. Nachdem er sich vorgestellt hatte, fragte ich, wie eran meine Geheimnummer gekommen sei. Er erwiderte vage,Beziehungen zu haben. Dann fragte ich ihn, warum er michanrufe, und er fing an, eine abenteuerliche Erklärung vonsich zu geben. Er spiele mit der Idee, beim nächsten MardiGras nach New Orleans zu kommen, und habe daran gedacht,sich mit mir zu verabreden. Ich sagte, ich hätte nicht die Ab-sicht, ihn irgendwann oder irgendwo zu treffen, und knallteden Hörer auf die Gabel.

Jetzt wußte ich plötzlich, wer kurz vor meiner geplantenVerhaftung auf dem Flughafen von Los Angeles die Kabine ne-ben mir betreten hatte. Als erfahrener Staatsanwalt fiel es mirnicht schwer, mir vorzustellen, was passiert wäre, wenn ichdie Herrentoilette weniger schnell in Begleitung zweier Polizi-sten verlassen hätte. Irgendwie wäre es meinem schmierigenEx-Klienten gelungen, in dem Moment aus seiner Kabine zutreten, in dem ich die meine verließ. Auf diese Weise hätte

man alle möglichen strafbaren Handlungen vortäuschen kön-nen. Die Flughafenpolizei hätte eingegriffen, und bei dem fol-genden Verfahren wegen irgendeiner Erregung öffentlichenÄrgernisses hätte ich mich als Angeklagter im Kreuzverhörwiedergefunden. Bei passender Gelegenheit hätte mich dieAnklage gefragt, ob ich irgendwie mit meinem Ex-Klienten inVerbindung stünde. Der hätte gerade seine Aussage für dieAnklage beendet. Ich hätte erwidert, daß das natürlich nichtder Fall sei. Daraufhin hätte die Anklage die Telefonrechnungdes Mannes aus Los Angeles vorgelegt, auf der ein Fernge-spräch mit meiner Geheimnummer in New Orleans verzeich-net war. Damit wäre das Spiel beendet gewesen.

Meine Verurteilung wegen eines sexuellen Vergehens hätteim ganzen Land Schlagzeilen gemacht. Die Behörden Louisia-nas hätten gar keine andere Wahl gehabt, als mich aus mei-nem Amt zu entfernen, und die CIA hätte erfolgreich einenweiteren schmutzigen Trick im Namen der nationalen Sicher-heit ausgeführt.

Während meines Besuchs in Los Angeles und auf demRückflug analysierte ich mehrmals die ganze Affäre. Aber ichkonnte mir nicht erklären, woher die Flughafenpolizei von LosAngeles so genau wußte, mit welchem Flug ich eintreffenwürde.

Die Antwort erhielt ich viel später, als Vincent Salandria,ein hervorragender Anwalt aus Philadelphia und gleichzeitigder prominenteste Kritiker der Erklärung der Warren-Kom-mission über Präsident Kennedys Schußwunden, uns be-suchte, um unser Ermittlungsteam in Aktion zu erleben. Andem Tag, als Salandria eintraf, zeigte Bill Boxley der Spezial-einheit gerade irgendwelche Beweise, die er kürzlich auf einerReise nach Dallas aufgespürt hatte.

Nachdem die Konferenz beendet war, fragte mich Salan-dria, ob er sich anderes Material - Memoranden, Notizen -Boxleys ansehen dürfe. Ich stimmte zu und holte ein paar Bei-spiele aus den Akten; Salandria verbrachte den Rest des Tagesdamit, sie durchzusehen. Als wir bei mir zu Hause eintrafen,

schlug er vor, ins Wohnzimmer zu gehen, um zu reden. »Siehaben einmal Ihre Besorgnis erwähnt, Ihre Behörde könnteunterwandert sein«, sagte er beinahe lässig, als er die Papiereauf seinem Schoß umdrehte. Salandria hatte eine ungewöhn-lich sanfte, glatte Stimme, die an übereinandergleitende Seideerinnerte.

»Stimmt«, sagte ich. »Vielleicht wird man bei so einer Sa-che einfach paranoid. Es war nur ein Gefühl, das ich hatte.«

»Jim«, sagte er leise, »ich fürchte, Ihr Freund Bill Boxleyarbeitet für die Regierung.«

Ich bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut.Und dann zeigte mir Salandria, warum dies der Fall sein

mußte. Boxleys Memoranden und Zusammenfassungen, soeindrucksvoll sie im einzelnen auch waren, ergaben kein Gan-zes, wenn man sie kritisch beurteilte. Es war nur zu deutlich,daß Boxleys Material so entworfen worden war, daß es michzwar beeindruckte, aber nirgendwo hinführte.

Salandria griff zum Telefon und rief Boxley an. »Bill«, sagteer, »Jim und ich haben uns gerade unterhalten. Wir sind beiihm zu Hause und haben uns gefragt, ob Sie nicht herüber-kommen könnten.«

Zwei Stunden später schaute ich auf die Uhr. »Er kommtnicht«, sagte ich.

»Ich glaube, Sie werden herausfinden, daß Mr. Boxley ver-schwunden ist«, erwiderte er.

Ich rief Lou Ivon an und bat ihn vorbeizukommen. Dannfuhren wir zu Boxleys gemietetem Zimmer am Canal Boule-vard. Ich war nie dort gewesen. Die Besitzerin ließ uns ein.»Nein«, sagte sie, »ich habe diesen Mann nicht mehr gesehen,seit er das Zimmer vor einiger Zeit gemietet hat. Er schicktmir jeden Monat nur einen Scheck.«

Sie zeigte mir Boxleys Zimmer. Ein zusammengefaltetesHemd aus der Reinigung war aufs Bett geworfen worden.»Das Hemd hat er vor sechs Monaten dahin gelegt«, sagte sie.Ich zeigte ihr Boxleys Telefonnummer in meinem Adreßbuch.»Hier gibt es keinen Anschluß unter dieser Nummer.«

»Irgendwo hier in der Nähe«, schnurrte Salandria, »mußdie Regierung ein sehr komfortables, sicheres Haus haben.Aber ich bezweifle, ob wir es jemals zu Gesicht bekommenwerden.«

Ich erwiderte nichts, sondern dachte an den Zwischenfallauf dem Flughafen von Los Angeles. Endlich verstand ich: Eswar Boxley gewesen, der die Flughafenpolizei über den Fluginformiert hatte, mit dem ich ankommen würde. Er hatte sievon New Mexico aus angerufen, nachdem er mich zum Flug-zeug gebracht hatte. Die Geschichte von dem Anschlag aufmich war erfunden. Seine eigentliche Mission war es gewe-sen, mir eine Falle zu stellen - und nicht, mich zu beschützen.

Mich ekelte es vor mir selbst. Wie blind war ich gewesen!Vincent Salandria hingegen hatte sich einen einzigen Tag vonseiner Anwaltskanzlei in Philadelphia freigemacht, war her-geflogen und hatte Boxley im Grunde mit einem einzigenscharfen Blick entlarvt.

Am nächsten Tag erfuhren wir, daß Boxley nach SalandriasAnruf nach Beaumont, Texas, gereist war. Von dort aus hatteer unter dem Namen Wood den Redakteuren der Times-Picayune und allen lokalen Fernsehsendern ein Telegrammgeschickt, in dem er behauptete, er habe als Ermittler derBehörde gekündigt, nachdem er von meiner Drogenabhän-gigkeit erfahren hätte.

Ein Reporter eines Fernsehsenders überließ Lou Ivon eineKopie des Telegramms und fragte ihn neugierig, wer dieserWood eigentlich sei; aber das war auch schon alles, was sichdaraus ergab. Boxleys letzter Gegenschlag ging unter wie einStein, den man in die Mitte des Lake Pontchartrain geworfenhatte, ohne eine einzige Welle zu verursachen.

Aber der Mann hatte monatelang an Konferenzen im eng-sten Kreis teilgenommen. Mit seinem Aktenkoffer war er hun-dertemal in unserem Aktenzimmer gewesen. Ich mußte zuge-ben, daß ich mich ziemlich hatte reinlegen lassen. Was nochschlimmer war, man mußte davon ausgehen, daß die Regie-rung nun von jeder unserer Akten eine Kopie besaß.

15. TRICKSEREIEN

Zwischen Clay Shaws Verhaftung am i. März 1967 und demBeginn seiner Verhandlung lagen fast zwei Jahre. Unsere Be-hörde hatte einen großen Teil dieser Zeit damit verbracht, ört-liche Verbrechen zu verfolgen, juristische Manöver von ShawsAnwälten abzuwehren und unser Verfahren gegen Shaw vor-zubereiten. Die Spuren, denen wir nachgingen, führten uns inviele Richtungen, und einige hatten nur wenig mit Shaw zutun. Im späteren Teil der Untersuchung faszinierten mich ammeisten die Nachforschungen, die sich damit beschäftigten,wie Beamte der Strafverfolgungsbehörden und die Medien dieWahrheit über das Attentat »vertuschten«.

Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür ist, wie die Warren-Kommission und die Mordkommission von Dallas bei der Un-tersuchung des Mordes an J. D. Tippit1 Beweismittel manipu-lierten. Tippit war der Polizist aus Dallas, der etwa eine halbeStunde nach dem Attentat erschossen wurde. Der Mord ereig-nete sich in Oak Park, einem Vorort von Dallas auf der ande-ren Seite des trockenen Trinity River, nicht weit von der Stelleentfernt, an der Lee Oswald damals wohnte. Obwohl in die-sem Fall nie Anklage erhoben wurde, kamen sowohl die War-ren-Kommission als auch die Mordkommission von Dallasübereinstimmend zu dem Schluß, daß Lee Oswald der Mörderwar, der mit eiskalter Gleichgültigkeit den Ort des Verbre-chens verließ und dabei leere Patronenhülsen seiner Waffefortschnippte.

Das war eine hilfreiche Lösung. Unter anderem vermitteltesie der Regierung ein Motiv für das Attentat: Lee Oswald warein gestörter, leicht erregbarer junger Mann und so gewalttä-

tig, daß er dazu fähig war, ohne Provokation kaltblütig einenPolizisten zu erschießen. Ein dermaßen aggressiver Verrück-ter war auch dazu fähig, grundlos den Präsidenten zu ermor-den. Oder wie ein Angehöriger des juristischen Stabs derWarren-Kommission rhetorisch fragte und gleichzeitig dieAntwort gab2: »Warum wir wissen, daß Lee Oswald PräsidentKennedy ermordet hat? Weil er Officer Tippit ermordet hat.«Bequemerweise funktionierte auch der Umkehrschluß: Nurein Mann, der gerade den Präsidenten ermordet hatte undwußte, daß er gejagt wurde, hätte einen Grund, am hellichtenTag in einem ruhigen Vorort einen Polizisten zu erschießen.

Dieses Szenario barg nur ein Problem: Wie schon so oft,wenn ich die Beweise untersuchte, hielten die verurteilendenFolgerungen über Oswald nicht stand.

Zunächst einmal war es durch unsere Erkenntnisse überOswalds Bewegungen im höchsten Maße unwahrscheinlich,daß er zur Zeit von Officer Tippits Ermordung dort anwesendgewesen sein konnte. Laut verschiedener Augenzeugen wurdeOfficer Tippit irgendwann zwischen 13.06 Uhr und 13.10 Uhrerschossen.3 Deputy Sheriff Roger Craig, der sich zu dieserZeit im Schulbuchlager aufhielt, bestätigte dies. Als er überFunk die Mitteilung von Tippits Tod erhielt, schaute er auf dieUhr. Es war 13.06 Uhr. Und doch war Oswald, wie allgemeineingeräumt wurde, gegen 13.00 Uhr in seine Pension zurück-gekehrt.4 Er verließ sie schnell wieder, und Earline Roberts,die Besitzerin, beobachtete, daß er um 13.04 Uhr an derHaltestelle Beckley Avenue stand, an der die in nördlicherRichtung fahrenden Busse hielten. Tippit wurde in einerGegend getötet, die genau entgegengesetzt lag - eineinhalbKilometer weiter südlich. Selbst wenn man die zur Verfügungstehende Zeitspanne auf großzügigste Weise interpretiert -und selbst wenn Oswald seine Absicht, mit dem Bus zu fah-ren, geändert hatte und nach Süden gerannt war -, war esihm unmöglich, vor der Erschießung des Polizisten an derStelle anzukommen.5

, Die Warren-Kommission ignorierte dies einfach und rief

verschiedene Augenzeugen auf, deren Aussagen schnell insich zusammenfielen. Domingo Benavides, der von allen Zeu-gen der Schießerei am nächsten war - nur ein paar Meter ent-fernt -, wollte Oswald nicht als dort anwesend identifizieren.6

Warren Reynolds, der, einen Block von der Schießerei ent-fernt, auf der Jefferson Street einen Schützen hatte laufen se-hen, sagte aus, Oswald sei der Mann gewesen, den er gesehenhabe.7 Aber die Umstände seiner Aussage waren höchst ver-dächtig. Reynolds hatte dem FBI ursprünglich erzählt, erwürde »zögern«, Oswald als den rennenden Mann zu identi-fizieren. Kurz darauf wurde Reynolds in der Dunkelheit einerTiefgarage in den Kopf geschossen.8 Nach einer wunder-samen Genesung im Krankenhaus überlegte Reynolds es sichanders und entschied, daß der rennende Mann tatsächlichOswald gewesen war.

Nach den bedeutungslosen Aussagen dieser und andererZeugen konnte nur noch Heien Markham als Hauptzeugin derRegierung gegen Oswald füngieren. Als ich die Aussage9 vonHeien Markham las, dachte ich unwillkürlich, daß nur wenigeAnklagevertreter je mit einem Zeugen zu tun gehabt hatten,der so bestrebt war, ihrem Fall zu dienen und ihn gleichzeitigso zunichte zu machen.

Im Gegensatz zu den anderen Augenzeugen, die einmütigaussagten, Tippit sei sofort gestorben, erinnerte sich HeienMarkham deutlich daran, zwanzig Minuten lang versucht zuhaben, mit ihm zu sprechen, bevor der Krankenwagen ein-traf.10 Trotz zahlreicher Versuche der Anwälte der Warren-Kommission, sie zur Identifizierung Oswalds hinzuleiten (einziemlich großer und hagerer junger Mann mit dünnem, hell-braunem Haar), behauptete sie gegenüber Mark Lane", ei-nem bekannten Kritiker der Regierungsuntersuchung, TippitsMörder sei untersetzt gewesen und hätte »buschiges« Haargehabt. Danach leugnete sie unter Eid12, eine Falschaussagegemacht zu haben, und gab diese erst zu, nachdem sie eineTonbandaufnahme des Gesprächs gehört hatte. Dann be-schrieb Heien Markham den Mörder, den sie gesehen hatte,

als »schwarzhaarig«13 und machte die Sache für die Regie-rung damit noch verwirrender.

Bevor ihre Aussage abgeschlossen war, hatte Markham beieinigen Beobachtern Zweifel geweckt, ob sie am Ort von Tip-pits Ermordung gewesen war. Mindestens zwei Zeugen erin-nerten sich nicht daran, sie dort gesehen zu haben.

Doch trotz alldem war Heien Markham die beste Zeuginder Regierung, die einzige, die Lee Oswald als den Mörder vonOfficer Tippit identifizierte. Und so spielte sich die Identifizie-rung vor der Warren-Kommission ab14:

»MR. BALL: Haben Sie sich, nachdem Sie den Raum betre-ten haben, diese Leute, diese vier Männer, angesehen?

MRS. MARKHAM: Ja, Sir.MR. BALL: Erkannten Sie jemanden in der Reihe?MRS. MARKHAM: Nein, Sir.MR. BALL: Nein? Sahen Sie jemanden - ich habe Ihnen

diese Frage schon einmal gestellt -, haben Sie irgend jeman-den am Gesicht erkannt?

MRS. MARKHAM: Am Gesicht? Nein.MR. BALL: Haben Sie irgendeinen dieser vier Leute iden-

tifiziert?MRS. MARKHAM: Ich kannte keinen von ihnen.MR. BALL: Ich weiß, daß Sie keinen kannten, aber sah ir-

gend jemand aus der Reihe wie jemand aus, den Sie zuvorschon einmal gesehen haben?

MRS. MARKHAM: Nein. Ich habe keinen von ihnen je ge-sehen.

MR. BALL: Keinen der vier?MRS. MARKHAM: Keinen von ihnen. :MR. BALL: Keinen der vier?MRS. MARKHAM: Nein, Sir.«Schließlich mußte der Anwalt des Ausschusses aus Ver-

zweiflung Zuflucht darin suchen, seiner eigenen Zeugin eineSuggestivfrage zu stellen - was vor einem ordentlichen Ge-richt absolut unzulässig ist -, um ihr anzudeuten, was erhören wollte.

»MR. BALL: Sie erkannten ihn an seiner Erscheinung?MRS. MARKHAM: Ich fragte ... Ich sah ihn an. Als ich die-

sen Mann sah, war ich mir nicht sicher, aber mich überliefeine Gänsehaut.«

Dieser kurze Wortwechsel steht für alle Zeugenaussagen,mit denen Lee Oswald als Tippits Mörder identifiziert wurde.

Natürlich gab es noch andere wichtige Zeugen. Unter ih-nen waren der Krankenwagenfahrer und sein Gehilfe15, dieAufschluß darüber hätten geben können, wann Tippit genaugestorben war und welche Zeugen sich am Tatort aufgehaltenhatten; Mr. und Mrs. Donald Higgins16, die dem Tatort direktgegenüber wohnten und einen Teil der Geschehnisse beob-achtet hatten; und T F. Bowley17, der über das Funkgerät imWagen des toten Polizisten die Funkzentrale der Polizei infor-mierte, daß Tippit gerade umgebracht worden war. Aber kei-ner von ihnen wurde je vor die Warren-Kommission geladen.

Es gab auch drei wichtige Augenzeugen des Mordes, dieden ganzen Fall in einem anderen Licht erscheinen ließen. Ichentdeckte sie in der rapide wachsenden Sammlung von Er-kenntnissen, die die Kritiker der Kommission zusammentru-gen. Mark Lane, einer dieser Kritiker, der später nach New Or-leans zog, um an unserer Untersuchung mitzuarbeiten, hatteso eine Zeugin aufgestöbert und mit ihr gesprochen - AcquillaClemons.18 Sie sah, bevor der erste Schuß fiel, daß zwei Män-ner an Officer Tippits Wagen standen, daß der Mann mit derPistole den anderen fortscheuchte und dann zur JeffersonStreet am anderen Ende des Blocks lief.

Der weglaufende Mann, der ihrer Beobachtung nach denPolizisten erschossen hatte, war ihren Worten zufolge »ir-gendwie klein, irgendwie untersetzt«. Den zweiten Mann be-schrieb sie als groß und dünn, mit einem weißen Hemd undkhakifarbenen Hosen bekleidet - einer Kleidung, wie Oswaldsie nach keiner Zeugenaussage an diesem Tag getragen hatte.Mrs. Clemons sagte weiter aus, Polizisten aus Dallas hättenihr gesagt, sie dürfe niemandem erzählen, was sie beobachtethätte, wenn sie nicht umgebracht werden wolle. Ein vertrau-

lieber Rat, den die Polizei von Dallas an diesem Tag öfter er-teilte.

Durch Mark Lane19 erfuhr ich auch von Frank Wrights20

Existenz. Wright verfolgte den letzten Teil der Szene, die Mrs.Clemons beschrieben hatte. Es war Wrights Frau gewesen,die den Krankenwagen gerufen hatte, der Tippits Leiche dannabtransportierte.

Mr. Wright, der sich im Haus aufgehalten hatte, kam recht-zeitig nach draußen, um zu sehen, wie sich Officer Tippit aufdem Boden herumdrehte, wahrscheinlich die letzte Bewegungseines Lebens. Wright beobachtete einen anderen Mann, derauf den zu Boden gestürzten Polizisten herabsah. Dann gingder Mann um den Streifenwagen herum, stieg in einen alten,grauen Wagen, der auf der anderen Seite stand, und fuhrschnell weg.

Ich hielt es für ziemlich wahrscheinlich, daß dies derzweite Mann gewesen war, von dem Mrs. Clemons gesprochenhatte, derjenige, der von dem kleinen, untersetzten Mannweggescheucht worden war. Es dämmerte mir: Diese beidenZeugen sagten etwas, was sonst niemand erzählt hatte. Offi-cer Tippit war von zwei Männern getötet worden, von denenkeiner Lee Oswald war. Ich erkannte, wie erschütternd dieFolgen waren: Wenn Oswald an Tippits Ermordung unschul-dig war, fiel die Grundlage des Regierungsverfahrens in sichzusammen.

FBI-Direktor J. Edgar Hoover mußte drei Jahre zuvor zumselben Schluß gekommen sein wie ich, da er dem leitendenSpecial Agent des Büros in Dallas ausdrücklich befahl, seinenAgenten nicht zu gestatten, Acquilla Clemons oder Mr. undMrs. Wright zu verhören. Ich erfuhr erst davon, als viele Jahrespäter in einem Buch von Michael L. Kurtz21 Hoovers FBI-Me-morandum an Gordon Shanklin enthüllt wurde. Allerdingswußte ich zu dieser Zeit, daß ich im Material der Warren-Kommission nicht ein Fitzelchen der Clemons- oder derWright-Aussage finden würde.

Als ich meine Recherchen fortführte, entdeckte ich, daß es ne-ben den Augenzeugen noch einige Beweismittel gab, die dieMordkommission von Dallas gesammelt und manipulierthatte und die zeigten, wie Oswald der Tippit-Mord angehängtworden war. Zum Beispiel las ich Abschriften der Meldungen,die kurz nach dem Mord über den Polizeifunk von Dallas ge-sendet worden waren.22 Diese wurden automatisch mitge-schnitten. Nur Minuten, nachdem ein Bürger den Mord überTippits Funkgerät gemeldet hatte, berichtete der Polizist H. W.Summers aus der Einheit 221 (die Kennzeichnung des Strei-fenwagens), daß man eine »Augenzeugenbeschreibung desflüchtigen Täters« erhalten habe. Der Verdächtige wurde wiefolgt beschrieben: schwarzes, welliges Haar, bekleidet mit ei-ner hellen Eisenhower-Jacke, dunklen Hosen und einem wei-ßen Hemd. Er war »wahrscheinlich mit einer schwarzen, au-tomatischen Pistole vom Kaliber .32« bewaffnet, die er in derrechten Hand trug. Augenblicke später berichtete Sergeant G.Hill: ».. .die am Tatort gefundenen Patronenhülsen lassen dar-auf schließen, daß der Verdächtige vermutlich mit einer .s8erAutomatik bewaffnet ist, nicht mit einer Pistole.«

Daraus ergab sich für mich, daß die Handfeuerwaffe, mitder Tippit erschossen worden war, eine Automatik gewesensein mußte. Aber die Waffe, die Lee Oswald später angeblichabgenommen wurde, als er im Texas Theatre von der Polizeiverhaftet wurde, war ein Revolver.23 Wenn Oswald nicht un-terwegs angehalten und die Waffen gewechselt hatte, was niejemand behauptet hat, hat allein diese Tatsache das Verfahrender Regierung stark angeschlagen.

Die Kugeln, die in Officer Tippits Körper gefunden wurden,und die am Tatort sichergestellten Patronenhülsen waren einweiterer Beweis für das Komplott. Die Gerichtsmedizin vonDallas hatte an Tippits Leiche eine Autopsie vorgenommenund vier Kugeln aus ihr entfernt.24 Drei von ihnen besaßeneinen Kupfermantel und waren von der Firma WinchesterWestern hergestellt worden. Die vierte jedoch war eine Blei-kugel, die von der Firma Remington-Peters stammte.

Das war meiner Meinung nach sehr merkwürdig, da Patro-nen nie in einer gemischten Auswahl verkauft werden. Waffen-besitzer kaufen entweder eine komplette Schachtel Winches-ter oder eine komplette Schachtel Remington, aber nicht einpaar von jeder Sorte. Die Entdeckung zweier Kugelsorten inTippits Leiche war für mich - und die meisten erfahrenen Po-lizisten - ein Hinweis, daß zwei Schützen geschossen hatten.Das stimmte mit Acquilla Clemons' und Mr. und Mrs. WrightsAussagen überein.25

Geschieht ein Mord, ist es bei der Mordkommission einStandardverfahren, Kugeln und Patronenhülsen zur Unter-suchung und möglichen Identifizierung der Waffe ans FBI-La-bor in Washington, D.C., zu senden. In diesem Fall schicktedie Mordkommission von Dallas, die die Entdeckung des Ge-richtsmediziners verständlicherweise nicht verbreiten wollte,nur eine Kugel an das FBI-Labor und teilte dem FBI mit, daßes sich hier um die einzige Kugel handele, die in TippitsLeiche gefunden worden war.

Zu jedermanns Überraschung fand das Labor heraus, daßdie Kugel nicht zu Oswalds Revolver paßte. Daraufhin kam dieWarren-Kommission auf die Idee, nach anderen Kugeln zusuchen, die vielleicht besser paßten. Obwohl die Kommissionnie eine Kopie von Tippits Autopsiebericht erhielt, fand sieirgendwie heraus, daß in Tippits Leiche vier Kugeln gefundenworden waren - statt nur einer. Die sonst so gleichgültigeKommission bat das FBI, nach den drei fehlenden Kugelnzu suchen. Man fand sie nach vier Monaten, als sie in den Ak-ten der Mordkommission von Dallas bereits Staub angesetzthatten.

Die Kugeln wurden ins FBI-Labor geschickt. Aber SpecialAgent Courtlandt Cunningham, der Ballistikexperte des Labors,sagte vor der Kommission aus, das Labor sei zu der Erkennt-nis gelangt, keine der vier in Tippits Leiche gefundenen Ku-geln sei aus dem Revolver abgefeuert worden, den man LeeOswald abgenommen hatte.26

Die am Tatort sichergestellten Patronenhülsen erwiesen

sich als noch problematischer. Während sich die Kugeln vonAnfang an in der Obhut des Gerichtsmediziners befanden, dersie aus Tippits Leiche geholt hatte, war die Mordkommissionvom ersten Moment an für die Patronenhülsen - die Metall-hülsen, in die das Pulver zum Antrieb der Kugeln gefüllt wird -verantwortlich.

Noch am Tag von Officer Tippits Ermordung hatte dieMordkommission eine Auflistung aller Beweismittel erstellt,die sie in dem Fall hatte - ein äußerst wichtiges Standardver-fahren der Polizei. Obwohl eine Reihe von Zeugen aussagte,sie hätten nach der Schießerei Patronenhülsen herumliegensehen, und die frühen mitgeschnittenen Funksprüche dieMordwaffe aufgrund der Auswerfmarkierungen auf den amTatort gefundenen Patronenhülsen als Automatik beschrie-ben, schloß die Liste keinerlei Patronenhülsen ein.

Erst sechs Tage, nachdem die Mordkommission von Dallasdie eine Kugel an das FBI-Labor in Washington geschickthatte, fügte sie endlich die vier Patronenhülsen, die man an-geblich am Tatort gefunden hatte, der Beweismittelliste imFall Tippit hinzu.27 Die Patronenhülsen wurden dann nachWashington geschickt, und das Labor sandte sofort einenBericht zurück, dem zufolge sie tatsächlich aus dem Revolverabgefeuert worden waren, den Oswald angeblich unter demNamen A. Hidell28 bei einem Postversand bestellt hatte.

Die Polizei von Dallas mag dieses Ergebnis zwar mit Er-leichterung aufgenommen haben, aber für mich stellte dasspäte Auftauchen der Patronenhülsen die Beweismittelmani-pulationen der Mordkommission von Dallas einmal mehr un-ter Beweis. Wenn die Patronenhülsen tatsächlich von Oswaldvor seiner Verhaftung abgefeuert worden waren, hätte mansie routinemäßig in die Liste der Beweismittel aufgenommenund am Mordabend ins FBI-Labor gesandt. Doch die Patro-nenhülsen waren erst abgeschickt worden, nachdem dasMorddezernat erfahren hatte, daß das Labor keine überein-stimmenden Markierungen an Oswalds Revolver und der ein-zelnen Kugel nachweisen konnte. (Diese Erkenntnis hätte das

FBI-Büro Dallas normalerweise innerhalb von vierundzwan-zig Stunden per Telex aus Washington erreicht.)

Mir war klar, was sich abgespielt hatte. Nachdem mankeine positive Übereinstimmung zwischen der Kugel und Os-walds Revolver entdeckt hatte, dachte die Mordkommissionnicht daran, Patronenhülsen mit den Auswerfmarkierungeneiner automatischen Pistole wegzuschicken, selbst wenn essich um die am Tatort gefundenen Patronenhülsen handelte.Statt dessen hatte ein Angehöriger der Mordkommission oderein Helfer den konfiszierten Revolver nach Oswalds Verhaf-tung abgefeuert und so die benötigten Patronenhülsen erhal-ten, die Oswalds Abdrücke trugen. Dann wurden diese Patro-nenhülsen nach Washington weitergeleitet.

Kompetenz gehörte nicht zu den starken Seiten der Mord-kommission von Dallas, nicht einmal bei der Erstellung fal-scher Beweise. Das FBI-Labor fand heraus, daß zwei der Pa-tronenhülsen von Western hergestellt worden waren und zweivon Remington.29 Da das Labor bereits zu dem Schluß gekom-men war, daß drei der in Tippits Leiche gefundenen KugelnKupfermantelgeschosse von Western waren und eine ein Blei-geschoß von Remington, ging die Rechnung einfach nicht auf.

Noch schlimmer, bei den Anhörungen vor der Warren-Kommission erwies sich eindeutig30, daß die Patronenhülsen,die die Mordkommission dem FBI-Labor eingereicht hatte,nicht die Patronenhülsen waren, die man tatsächlich am Ortvon Tippits Ermordung sichergestellt hatte. Ein Zeuge, Do-mingo Benavides, fand zwei abgeschossene Patronenhülsennicht weit vom Ort der Schießerei entfernt und übergab sieOfficer J. M. Poe. Sergeant Gerald Hill befahl Poe, sie zu kenn-zeichnen, das heißt, seine Initialen in sie zu ritzen, um für denFortbestand der Beweiskette zu sorgen. Das ist ein für alleBeamten einer Mordkommission übliches Verfahren.

Poe sagte vor der Warren-Kommission aus, er glaube zwar,sie gekennzeichnet zu haben, könne es aber nicht beschwö-ren.31 Bei der Anhörung vor der Kommission untersuchte Poevier Patronenhülsen, die ihm gezeigt wurden, war aber nicht

in der Lage, seine Kennzeichen auf ihnen zu identifizieren.Sergeant W. E. Barnes berichtete der Kommission, er habe imPolizeipräsidium von Officer Poe zwei Patronenhülsen bekom-men und seine eigenen Initialen hinzugefügt. Er war jedochgleichfalls nicht in der Lage, die beiden Patronenhülsen posi-tiv zu identifizieren.32

Nachdem ich all diese Beweise durchgesehen hatte, wußteich, daß ich angestrengt nachdenken mußte. Meinen Recher-chen zufolge hatten zwei Männer Officer J. D. Tippit getötet.Das überraschte mich nicht. Die Planer des Präsidentenatten-tats hätten einen bösen Fehler gemacht, wenn sie einen Ama-teur mit einer Handfeuerwaffe vom Kaliber .38 losgeschickthätten, um einen ausgebildeten Polizisten zu erschießen. Einerfahrener Polizist, der ein- oder gar zweimal von einer Kugelvom Kaliber .38 getroffen wird - dem schwersten Kaliber, dasbeim Tippit-Mord benutzt wurde -, konnte immer noch mitetwas Glück seinen Angreifer zum Schluß in den Kopf schie-ßen. Wenn die Ermordung Tippits also für das Komplott wich-tig war - vielleicht um Oswald schuldig erscheinen zu lassenund zu zeigen, daß er tatsächlich auf brutale Weise gewalt-tätig war -, brauchte man mindestens zwei Mann, um denJob richtig auszuführen.

Die überwältigenden Beweise, daß Oswald den Mord anTippit nicht begangen hatte, bestätigten all meine früherenRecherchen, denen zufolge Oswald eine ausgeglichene Personund zu solcher Gewalt nicht fähig war. Was den anstehendenProzeß gegen Shaw betraf, wußte ich: Wenn ich die Geschwo-renen davon überzeugen konnte, daß Oswald nicht in derLage gewesen war, John F. Kennedy oder J. D. Tippit zu er-morden, würde dies unsere Chancen einer Verurteilung au-ßerordentlich erhöhen. Das würde die Geschworenen zwin-gen, eine mögliche Verschwörung als realistische Alternativezum Szenario der Warren-Kommission anzusehen.

Aber der Tippit-Fall war für mich auch deshalb bedeut-sam, weil er das Ausmaß der Vertuschung enthüllte, die die

Polizei von Dallas verübt hatte - beziehungsweise die Mord-kommission. Ich durfte nicht vergessen, wie klein die Mord-kommission einer so großen Stadt wie Dallas war. Sie bestandaus höchstens sechs bis neun Polizisten. Jede Person mit Er-fahrung in solchen Dingen, die ein Attentat plante, hätte vor-hersagen können, wer nach dem Verbrechen ermittelte, undkonnte durchaus die Schlüsselpositionen kontrollieren. Abernur, weil diese Abteilung, die seit über drei Jahrzehnten unterdem strengen Kommando von Captain Will Fritz stand, Be-weismittel manipuliert und unterschlagen hatte, gab es nochkeinen Grund, die ganze Dienststelle zu verurteilen.

Ich rief mir ins Gedächtnis, was ich über das Verhalten desMorddezernats im Fall Kennedy wußte. Die Beamten hatteneine mögliche Mordwaffe im »Versteck« im fünften Stockwerkdes Texas-Schulbuchlagerhauses entdeckt, ein Mauser-Ge-wehr vom Kaliber 7.65, und sie sofort verloren (siehe Kapitel7). Sie hatten Oswald zwölf Stunden lang verhört und nichtdaran gedacht, ein Wort des Verhörs mitzuschreiben (sieheKapitel 2). Sie hatten zugelassen, daß verschiedene Verdäch-tige, die in der Nähe der Dealey Plaza verhaftet worden wa-ren, freigelassen wurden, ohne daß man ihre Namen notiertoder sie erkennungsdienstlich behandelt hätte (siehe Kapitel2 und 16). Sie hatten versäumt, den Nash-Rambler-Kombi zuüberprüfen, den Deputy Sheriff Roger Craig dabei beobachtethatte, wie er Oswald vom Schulbuchlager wegbrachte. Wasdiesen Zwischenfall betrifft, hatten sie tatsächlich gelogenund bestritten, daß Craig sich jemals im Polizeipräsidium auf-gehalten hatte (siehe Kapitel 7). Und das Schlimmste war: Siehatten zugelassen, daß Oswald im Erdgeschoß ihres eigenenPräsidiums ermordet wurde, als er von Dutzenden von Polizi-sten umgeben war. Danach hatten sie den Fall sofort abge-schlossen und ihn als aufgeklärt angesehen.

Zu dieser erschreckenden »Erfolgsbilanz« gesellte sichjetzt noch die himmelschreiende Manipulation der Beweismit-tel im Fall Tippit - die drei Kugeln, die unterschlagen wurden;die am Tatort gefundenen Patronenhülsen aus einer Automa-

tik, die man verschwinden ließ; die Revolverpatronenhülsen,die man später »entdeckt« hatte; die Spuren der beiden Män-ner, die von Augenzeugen gesehen worden waren, die zu ver-folgen man aber versäumt hatte.

Zunächst schien es so, als wolle die Mordkommission vonDallas einen Fall gegen Oswald aufziehen, gegen den Mann,der ihrer schnellen Entscheidung nach der Attentäter gewe-sen war. Egal, was man dazu auch brauchte, man wollteOswald den Mord an Tippit anhängen, um so die Behauptungzu nähren, er sei tatsächlich dazu fähig, ohne ersichtlichenGrund den Präsidenten zu töten.

Als ich mir aber diese »Erfolgsbilanz« betrachtete, kammir ein zweiter, noch viel schrecklicherer Gedanke: Vielleichthatte die Mordkommission von Dallas die Beweise nicht nurdeshalb systematisch verändert, um Oswald mit einem Aus-bruch von fehlgeleitetem Patriotismus festzunageln. Vielleichthatte sie bewußt so gehandelt, um die tatsächlichen Mördervon John F. Kennedy und J. D. Tippit zu schützen. Wenn dasstimmte, hatten wir es mit einer Sache zu tun, die weit überjede Inkompetenz und sogar über jeden Vertuschungsversuchhinausging. Im schlimmsten Fall bedeutete dies, daß dieMordkommission von Dallas - oder einige ihrer Schlüsselper-sonen - in das Attentat verwickelt gewesen war. Im bestenFall hatte sie es anschließend tatkräftig gutgeheißen.

6. DIE FLUCHT DER ATTENTÄTER

Wer tatsächlich auf den Abzug drückte, hat mich nie so starkinteressiert wie die Frage, wer das Attentat auf John F. Ken-nedy organisiert, finanziert und Vorteile daraus gezogen hat.Noch mehr interessierte mich die Tatsache, warum die Behör-den von Dallas so vielen Verdächtigen, die sich am 22. Novem-ber 1963 an der Dealey Plaza und in ihrer Nähe aufhielten, er-laubt hatten, ungeschoren von dannen zu ziehen. Ich war derfesten Überzeugung, wenn die Behörden diese Verdächtigenergriffen und verhört hätten, wie es sich gehörte, wären sievielleicht zu den Urhebern des Attentats vorgedrungen.

Von Deputy Sheriff Roger Craig und anderen Zeugen hatteich bereits von der Flucht dreier Verdächtiger erfahren, diedas Schulbuchlager kurz nach den tödlichen Schüssen verlas-sen hatten (siehe Kapitel 7). Bei dem Fahrzeug, mit dem sieweggefahren waren, handelte es sich um einen hellen Nash-Rambler-Kombi mit Dachgepäckträger. Als die Schüsse fielen,stand er auf der Houston Street, gegenüber dem Hinterein-gang des Lagers und mit der Schnauze in umgekehrter Fahrt-richtung. Solange der Wagen dort stand, hatte niemand einenFahrer in ihm beobachtet.

Nach den Schüssen kamen die drei Männer aus dem Hin-tereingang des Lagers gestürmt und sprangen in den Kombi.Er fuhr so schnell die Houston Street in nördliche Richtungdavon, daß eine Tür noch offenstand. Von Craig wußte ich,daß der Wagen gedreht und direkt vor dem Schulbuchlagerangehalten hatte, um einen weiteren jungen Mann aufzuneh-men. Dieser junge Mann sprang in den Kombi, der dannschnell davonbrauste.

Erstaunlich an dieser kurzen Fahrt war nicht einmal,daß die Behörden nicht dagegen einschritten, sondern, daßder Fahrer des Kombis so dreist vorging. Das deutet daraufhin, daß er keine Störung zu erwarten hatte. In der Tat war esfür den amerikanischen Durchschnittsautofahrer schwieriger,an einem ganz normalen Nachmittag in die Innenstadt zu ge-langen, als für diesen Fahrer, am Tatort der Ermordung desPräsidenten der Vereinigten Staaten mit überhöhter Geschwin-digkeit entgegengesetzt zur Fahrtrichtung durch eine Einbahn-straße zu brausen. Wie wir uns erinnern, hatte Roger Craigdiesen Zwischenfall zwar Will Fritz, dem Chef der Mordkom-mission von Dallas, gemeldet, doch dieser war der Spur nichtnachgegangen. Niemand machte sich die Mühe herauszufin-den, wem der Kombi gehörte.

Zeugen, die dem Autokorso des Präsidenten folgten, hör-ten nicht nur Schüsse aus dem Schulbuchlager, sondern auchaus dem nahen Dal-Tex-Gebäude an der Ecke Houston undElm Street. Mindestens ein Mann, der unmittelbar nach denSchüssen aus dem Dal-Tex-Gebäude gestürmt kam, war ver-haftet worden, da er keine Erklärung für seine Anwesenheitdort hatte. Die örtlichen Behörden kamen nur wegen des Auf-ruhrs, den die Zuschauer verursachten, nicht um diese Ver-haftung herum. Der Mann wurde ins Sheriff s Office gebrachtund verhört. Der Sheriff nahm das Verhör des Verdächtigenjedoch nicht auf, falls überhaupt eines stattfand; auch derName des Mannes ist in keiner Akte zu finden. Später beglei-teten ihn zwei uniformierte Polizisten unter dem Gejohle derwartenden Menge hinaus. Sie steckten ihn in einen Polizei-wagen und fuhren davon. Anscheinend war dies der Abschieddes Mannes aus Dallas, denn er verschwand einfach fürimmer.

Noch ein zweiter Mann wurde beim Dal-Tex-Gebäude ver-haftet.1 Den Behörden von Dallas zufolge gab er seinen Na-men mit Jim Braden an; nach einer Überprüfung wurde erfreigelassen.2 Erstaunlicherweise bot die Bundesregierung indiesem Fall zahlreiche Informationen über den Verdächtigen

an. Sein wirklicher Name, so hieß es, laute Eugene Haie Bra-ding, und er sei ein Ex-Sträfling mit einem langen Vorstrafen-register. In den Monaten vor dem Attentat hatte er immerhäufiger den Namen Jim Braden benutzt, unter dem auchseine Ölfirma in Los Angeles eingetragen war. Er erklärte denBehörden, er halte sich mit Billigung seines Bewährungshel-fers geschäftlich in Dallas auf. Erst ein paar Tage zuvor hatteer einen Geschäftstermin mit einem Sohn des ÖlmilliardärsH. L. Hunt gehabt. Braden behauptete, zur Zeit des Attentatsim Dal-Tex-Gebäude gewesen zu sein, weil er telefonierenmußte. Als er feststellte, daß die Telefonzelle im Gebäudeaußer Betrieb war, sei er wieder hinausgegangen und sofortverhaftet worden.

Diese Geschichte enthielt mehrere Spuren, die, wie ichmittlerweile weiß, zu den »angeblichen Hintermännern«3 desAttentats führen sollten. Nicht nur die Erklärung des Mannesfür seinen Aufenthalt im Dal-Tex-Gebäude blieb verschwom-men, sondern er hatte auch ein langes Vorstrafenregister mitangeblich intensiven Kontakten zum »organisierten Verbre-chen«, einer Gruppe angeblicher Hintermänner, auf die sichdie Medien immer wieder bezogen; und seine Spur führte zuH. L. Hunt, einem Repräsentanten der »Ölmagnaten des Süd-westens«, der zweiten Gruppe der vorgeblichen Drahtzieher,die immer wieder genannt wurde. Nach genauer Analysewurde jedoch klar, daß Braden mit dem Attentat absolutnichts zu tun hatte. Dies war, so schloß ich, wahrscheinlichauch der Grund, weshalb sein Name - und von allen Verdäch-tigen nur seiner - der Öffentlichkeit bekanntgegeben wurde.

Ich wußte, daß die örtlichen Behörden auch Verdächtigeauf dem Grashügel vor dem Autokorso des Präsidenten igno-riert hatten. Schon lange zuvor hatte ich erfahren, daß JuliaAnn Mercer eine Stunde vor dem Attentat gesehen hatte, daßein Mann mit einem Gewehrkoffer den Grashügel hinauf-gegangen war. Polizeibeamte, die auf der Eisenbahnunter-führung ganz in der Nähe standen, beobachteten zwar dasGeschehen, griffen jedoch nicht ein.

Erst viel später erfuhr ich von einem weiteren Verdäch-tigen, der sich unmittelbar nach den Schüssen entfernte undden Grashügel hauptsächlich auf dem Hosenboden zu seinemWagen hinunter rutschte. Tom Tilson4, ein Polizist, der zu die-sem Zeitpunkt dienstfrei und im Autoradio von den Schüssengehört hatte, sah, daß der Wagen des Präsidenten mit großerGeschwindigkeit davonraste. Als er durch die Unterführunghindurchfuhr, beobachtete er, wie ein Mann rechts von derUnterführung den Hang »hinabrutschte und -glitt« - also aufder entgegengesetzten Seite des Schulbuchlagers. Dies warder einzige Mann, den Officer Tilson vom Tatort weglaufensah, und deshalb behielt er ihn im Auge. Der Mann prallte ge-gen die Seite eines am Fuß des Hügels abgestellten Wagens,warf etwas auf den Rücksitz, setzte sich dann schnell hinterdas Lenkrad und raste davon.

Tilson folgte dem Wagen in einer wilden Jagd. Als er nahegenug herangekommen war, rief er seiner Tochter, die eben-falls im Wagen saß, die Zulassungsnummer, das Baujahr undModell des Wagens zu. Sie schrieb die Informationen auf, undnachdem der Wagen Tilson entwischt war, gab er sie tele-fonisch an die Mordkommission von Dallas weiter. Doch dieMordkommission unternahm nichts. Officer Tilson hörte niewieder etwas von dem Verdächtigen, den er verfolgt hatte.

Als ich mich mit den entkommenen Verdächtigen befaßte,nahm ein Computerfachmann aus New York namens RichardE. Sprague Kontakt mit mir auf. Sprague hatte viele der rundfünfhundert Fotos und Filme, die am Tag des Attentats auf derDealey Plaza aufgenommen worden waren, gesammelt undgenau untersucht. Er wies mich insbesondere auf mehrereZeitungsfotos hin, auf denen drei Männer zu sehen waren', dieauf dem Güterbahnhof hinter dem Grashügel verhaftet undvon mit Gewehren bewaffneten Polizisten abgeführt wurden.Nachdem Sprague zahlreiche Fotos miteinander vergli-chen hatte, die vom Grashügel rechts vom Präsidenten aufge-nommen worden waren, konnte er die Flucht dieser Männer

vom Grashügel zu dem geschlossenen Güterwaggon auf demRangierbahnhof dokumentieren, wo sie dann festgenommenwurden. Aufgrund der Aussage von Sergeant Harkness vorder Warren-Kommission erinnerte ich mich an diese Männer(siehe Kapitel 2). Die »Tramps und Hobos«, wie Harkness siebeschrieb, waren aus einem geschlossenen Güterwaggongeholt worden, als der Güterzug - aus reinem Zufall oder auf-grund genauer Planung? - gerade den Rangierbahnhof ver-lassen wollte. Der anfahrende Zug war von RangiermeisterLee Bowers von einem viereinhalb Meter hohen Turm aus an-gehalten worden. Dadurch konnten die verfolgenden Polizi-sten auf den Waggon klettern. Laut Harkness wurden die dreiVerdächtigen »auf die Wache gebracht und verhört«. Doch esgibt keine Unterlagen über diese Verdächtigen - keineNamen, keine Fotos für die Verbrecherkartei, keine Fingerab-drücke, keine Nitrattests. Irgendwann wurden auch sie vonden Behörden von Dallas freigelassen.

Die Fotos der »Tramps« waren von William Allen vom Dal-las Times Herold und Joe Smith vom Fort Worth Star gemachtworden, als die Verdächtigen, angeblich auf dem Weg zumVerhör, am Schulbuchlager vorbeigeführt wurden.5 Spraguenahm an, diese Fotos, die erstaunlicherweise nie publiziertworden waren, könnten dazu beitragen, einige Geheimnisseum das Attentat aufzuklären. Konnte man die »Tramps« oderdie sie begleitenden Polizisten identifizieren, standen damitneue Wege für Ermittlungen offen.

Ich bat Sprague, mir umgehend Kopien der Fotos zu schik-ken. Zufällig wollte ich gerade nach New York fliegen, um inder Johnny-Carson-Show aufzutreten. Dieser Auftritt stellteeine seltene Gelegenheit für mich dar, der amerikanischen Öf-fentlichkeit unsere Ermittlungen selbst zu erläutern, und ichwollte die Fotos als Dokumente mitnehmen. Also sorgte Spra-gue dafür, daß ich sie am Flughafen von New Orleans in Emp-fang nehmen konnte.

Den Auftritt in der Carson-Show hatte mir Mort Sahl ver-schafft. Dieser wortgewandte Satiriker, der einen längeren

Zeitraum in New Orleans verbrachte und die Behörde auf un-terschiedlichste Art und Weise unterstützte, war sich meinerKommunikationsprobleme mit der Öffentlichkeit via Medienbewußt. Selbst bei einer einfachen Pressekonferenz schieneine Art »Übersetzung« zu erfolgen, so daß in den Medien niegenau das stand, was ich gesagt hatte. Sahl, der im Show-geschäft arbeitete, verfügte über Verbindungen, die ich nichthatte, zum Beispiel zur Johnny-Carson-Show. Als er einesAbends in der Sendung auftrat, wandte sich das Gesprächdem Attentat und meinen Ermittlungen zu. Plötzlich drehtesich Sahl zum Publikum um und fragte, ob sie nicht der An-sicht wären, man solle mich in die Show einladen, damit ichmeine Sicht des Falles erläutern könne. Die Reaktion war soeindeutig zustimmend, daß Carson und dem Sender keineWahl blieb. Ein paar Tage später erhielt ich ein Telegramm miteiner Einladung, die ich sofort akzeptierte.

Im Flugzeug nach New York öffnete ich das Päckchen mitFotos, das Sprague mir geschickt hatte. Es handelte sich etwaum ein Dutzend. Ich betrachtete die Menschen auf den Fotosgenau. Einer der drei Verhafteten war mittelgroß, breitschult-rig, mit zerzaustem, hellem Haar und einem schwachen Lä-cheln auf dem Gesicht. Die beiden anderen waren kleiner;ihre Gesichter zeigten keine ernsthafte Besorgnis. Einer derbeiden kleineren Männer trug einen zerknitterten Filzhut,hatte ihn jedoch ziemlich weit zurückgeschoben, so daß anden Schläfen kurzgeschnittenes Haar zu sehen war.

Dieses Detail warf sofort einige Fragen auf. Soweit ichwußte, tragen die Hobos und Tramps, die schwarz mit der Ei-senbahn fahren, infolge des Lebens auf der Straße ihr Haarlang und zottig. Doch all diese Männer hatten sich erst vorkurzem das Haar auffällig kurz schneiden lassen. Und die Ver-größerungen im Format zwanzig mal fünfundzwanzig Zen-timeter ließen keinen Zweifel daran, daß sie zudem alle glatt-rasiert waren.Die drei Männer trugen grobe, zerlumpte Kleidung, abersie schien ziemlich sauber zu sein. Und während die Schuh-

sohlen echter Hobos ihren wirtschaftlichen Umständen ent-sprechend dünn und abgetragen sind, waren die Sohlen die-ser Männer völlig in Ordnung.

Mehrere Einzelheiten warfen auch Fragen zu den Polizi-sten auf. Zunächst einmal trugen die Verhafteten keine Hand-schellen. Das war seltsam. Selbst bei geringeren Vergehen alseinem Präsidentenmord legen amerikanische Polizisten ihrenGefangenen routinemäßig Handschellen an. Wenn die Män-ner so gefährlich waren, daß sie von bewaffneten Beamtenabgeführt werden mußten, waren sie auch so gefährlich, daßman ihnen Handschellen anlegte. Und doch wurden den Ver-dächtigen auf den Fotos die Unannehmlichkeiten erspart, diesich normalerweise ergeben, wenn man auf der Flucht vomTatort eines Mordes geschnappt wird.

Des weiteren war bemerkenswert, daß keiner der Beamtenauf den Fotos - wie üblich - das Gewehr schußbereit hoch-hielt, sondern jeder hielt seine Waffe anders, fast beiläufig, alswolle er auf Vogeljagd gehen.

Und dann war da noch die seltsame Tatsache, daß einemPolizisten die Uniformhose nicht zu sitzen schien. Die Polizeivon Dallas hatte bestimmte Bekleidungsvorschriften, dochdas äußere Erscheinungsbild dieses Beamten ging mit ihrenRichtlinien auf keinen Fall konform.

Schließlich fiel mir noch etwas an dem Polizeibeamten auf,der vorneweg marschierte; anscheinend war er der rang-höchste der Gruppe. Dieser große, schlanke Mann trug einenOhrstöpsel, einen Miniaturempfänger aus Plastik von kaum1,2 mal 0,6 Zentimetern Größe.6 Ich wußte zwar, daß 1963 diemeisten Geheimdienste solche Geräte besaßen, doch bei ört-lichen Polizeibehörden war mir dies unbekannt.

All diese Einzelheiten zusammen ließen in mir nicht nurdie Frage entstehen, ob die schäbig gekleideten Verdächtigenwirklich Tramps waren, sondern auch, ob es sich bei den Uni-formierten mit den Gewehren tatsächlich um Beamte der Poli-zei von Dallas handelte.7 Daß man die Verdächtigen freigelas-sen hatte, ohne daß es irgendwelche Unterlagen über ihre

Verhaftung gab, trug natürlich nicht dazu bei, mich in dieserHinsicht zu beruhigen.

Ich war mir nicht sicher, ob die Polizei von Dallas infiltriertworden war, ob sich diese Männer nur als Polizisten aus-gaben, oder beides. Doch ich wußte, daß eine bemerkenswerteAnzahl von Verdächtigen auf geheimnisvolle Art und Weiseverschwunden war, ohne eine Spur zu hinterlassen, und daßdie Fotos, die Sprague geschickt hatte, mir helfen konnten,dies dem amerikanischen Volk auch zu beweisen. Als ich dieFotos von der Verhaftung auf dem Rangierbahnhof wieder inmeinen Aktenkoffer legte, beschloß ich, daß jeder Amerika-ner, der am folgenden Abend die Johnny-Carson-Show ver-folgte, sie zu sehen bekommen würde.

Am nächsten Tag begab ich mich wie vereinbart am frühenNachmittag in Carsons Büro bei der NBC. Die Sendung sollteam gleichen Abend ausgestrahlt werden. Jemand erklärtemir, daß man bei besonderen Gesprächspartnern schon vordem Live-Auftritt mit dem Gast sprach, damit Carson wußte,worum sich das Gespräch drehen würde. Bereitwillig stimmteich zu. Daraufhin betraten drei oder vier gut gekleideteMänner, offensichtlich ausnahmslos Anwälte, den Raum. Siebefragten mich mehrere Stunden lang darüber, wie meineAntworten ausfallen würden, wenn man mir Fragen zu be-stimmten Themen stellte. Ich ging auf die Fragen ein, undmeine Antworten wurden aufgezeichnet.

Carson selbst kam kurz vor der Show zur obligatorischenBegrüßung des Gastes herein. Er wirkte verkrampft und un-behaglich. Um etwas Small talk zu treiben, erwähnte ich, ichsei im Westen von lowa geboren, nur ein paar Kilometer vonseinem Geburtsort in Nebraska entfernt. Zur Erwiderungschaute er auf die Uhr und war wieder verschwunden. Esüberraschte mich, daß jemand, der vor der Kamera so jovialund freundlich ist, hinter der Bühne ein so kalter Typ seinkonnte.

An diesem Abend traf ich frühzeitig im Sender ein. Man

hatte Carson für das Gespräch mit mir eine Stunde zur Verfü-gung gestellt. Nach kurzer Wartezeit in einer kleinen grünenKammer führte mich jemand hinaus und zog einen sehr gro-ßen Vorhang beiseite. Dann stand ich im Licht zahlreicherScheinwerfer auf der Fernsehbühne. Das Publikum applau-dierte so freundlich, daß ich mich augenblicklich wohl fühlte,und ich lächelte breit und winkte den Leuten zu.

Als ich Carson gegenüber Platz nahm, bemerkte ich, daßsein Pult mit maschinengeschriebenen Fragen und Antwortenbedeckt war. Es bedurfte nur eines Blickes, um zu erkennen,daß es sich um die Fragen handelte, die man mir am Nachmit-tag gestellt hatte - gefolgt von den Antworten, die ich den An-wälten gegeben hatte. Hinter den Antworten standen jeweilsVorschläge, was Carson auf sie erwidern sollte.

Carson begann, indem er mir eine lange, abschweifendeFrage stellte etwa der Art: »Wann haben Sie aufgehört, IhreFrau zu verprügeln?« Es war ein Mischmasch aus verrückten,widersinnigen Spekulationen über das Attentat, von denenkeine auch nur irgendeiner Aussage nahekam, die ich jegemacht hatte.

Nach ein paar Minuten bemerkte ich, daß Carson fertigwar und auf meine Antwort wartete. Seine kleinen, humor-losen Augen, die mich an zwei winzige, dunkle Murmeln erin-nerten, waren auf mich gerichtet. Anscheinend glaubte erwirklich, ich sei der Urheber eines solchen Blödsinns. Plötz-lich konnte ich mir ein Lachen kaum noch verkneifen undspürte, daß man es mir ansah.

»Johnny«, sagte ich, »wieviel Zeit habe ich, um das zu be-antworten?«

Als er merkte, daß ich seine Frage völlig beiseite gewischthatte, schaute er nach unten und las die nächste vor. Nun warmir klar, daß er wie ein Papagei jede Frage nachplappern,meine bereits bekannte Antwort abwarten und dann miteinem neuen Gehirnverdreher brillieren würde, den die An-wälte ihm vorgegeben hatten. Darauf konnte ich mich einstel-len. Als Anwalt war ich daran gewöhnt, mich gegen Menschen

durchzusetzen, die mir feindlich gesinnt waren. Von Carsonhingegen wußte ich, daß er auf Gäste eingestellt war, dielächelnd allem beipflichteten, was er sagte.

Ich hatte mich wirklich auf einen offenen Gedankenaus-tausch mit Carson gefreut. Doch ich hatte nicht vor, mich aufSpielchen einzulassen, bei denen ich der Ball sein sollte. Alsoänderte ich prompt meine gesamte Vorgehensweise. So bei-läufig, wie man in einem Gerichtssaal von einem Thema aufein verwandtes kommen kann, wandelte ich nun die Antwor-ten ab, die ich den Anwälten nachmittags gegeben hatte.

Natürlich änderte ich nicht den Inhalt, sondern nur dieForm oder, in einigen Fällen, die Betonung. Wenn die Antwortzum Beispiel in zwei Teilen erfolgen sollte, kam ich nun aufden zweiten Teil zuerst zu sprechen - im Gegensatz zu mei-nem Vorgehen am Nachmittag. Nach einigen in dieser Weisebeantworteten Fragen erkannte ich, daß Carson den Fadenverloren hatte, da er seinen Zeigefinger hinauf- und hinab-wandern ließ. Er fand ihn auch nicht wieder.

Ich unternahm keinen Versuch, nett zu sein. Auch ließ ichmich nicht darauf ein, meine Schlagfertigkeit mit der einesgroßen Komikers wie Carson zu messen. Als Anwalt tat icheinfach, was ich am besten konnte. Ich verlagerte ganz all-mählich die Richtung unseres Gesprächs, bis schließlich ichdie Fragen stellte. Natürlich hatte Carson sich auf ein sokompliziertes Thema nicht vorbereiten können. Als er michfrustriert fragte, warum die Regierung noch immer Beweisezurückhalte, wie ich behauptet hatte, wußte ich, daß derAugenblick gekommen war, die Fotos zu zeigen.

»Fragen Sie nicht mich, John«, sagte ich und öffnete mei-nen Aktenkoffer. »Fragen Sie Lyndon B. Johnson. Sie wissen,daß er die Antworten kennen muß.«

Er sah mich verständnislos an und antwortete nicht.»Vielleicht zeige ich Ihnen lieber ein paar Fotos«, sagte ich

und griff in den Aktenkoffer.Bevor mich jemand daran hindern konnte, hielt ich eines

der großen Fotos mit den drei Männern, die von den Polizisten

mit den Gewehren abgeführt wurden, vor die Kamera. Carsonbrauchte einen Augenblick, um zu erkennen, um welcheSzene es sich handelte, doch dann schnappte er wie eine Ko-bra nach meinem Arm und zog ihn so heftig nach unten, daßdie Bilder nicht mehr von der Kamera erfaßt wurden.

»Solche Fotos kann man im Fernsehen nicht erkennen«,sagte er scharf.

Ich hielt das Foto wieder vor die Kamera. »Aber sicherdoch«, erwiderte ich. »Die Kamera kann näher heranfahren.«

Diesmal zerrte er meinen Arm noch heftiger hinab. »Nein,das kann sie nicht«, schnappte er.

Trotzdem hielt ich das Foto zum drittenmal hoch. Diesmaljedoch sah ich, daß das rote Lämpchen nicht mehr leuchtete,und begriff, daß der Regisseur auf eine andere Kamera umge-schaltet hatte. Nun wurde wahrscheinlich die genehmere Ein-stellung auf das Publikum in die amerikanischen Haushalteausgestrahlt.

»Die Festgenommenen«, sagte ich dann laut, bevor jemanddas Thema wechseln konnte, »wurden nie wieder gesehen.Sie sind alle verschwunden.«

Auf dem Rückflug nach New Orleans dachte ich über die vor-gefaßte Meinung Carsons und der Anwälte der NBC nach, diedas Vorgespräch mit mir geführt hatten. Ich verstand, daßmein Standpunkt sie nicht deswegen nervös machte, weil ersich von dem ihren unterschied, sondern weil ich mit Nach-druck behauptete, es habe eine Verschwörung zur ErmordungPräsident Kennedys gegeben. Ich erinnerte mich an die kaumverhohlene Verachtung, die die Anwälte jedesmal gezeigt hat-ten, wenn ich die Verschwörung angesprochen hatte. Ich kammir vor wie ein Deutscher, der Mitte der dreißiger Jahre in al-ler Öffentlichkeit Adolf Hitlers Geisteszustand in Frage stellteund routinemäßig verhört wurde, bevor man ihn ins nächsteIrrenhaus steckte. Mir fiel ein, daß auch Carson in der Hitzedes Gesprächs fast aus dem Leim gegangen war, als ich dasGespräch auf eine Verschwörung gebracht hatte.

Warum, so fragte ich mich, reagierten diese Menschen mit-ten im Zentrum der New Yorker Medienbranche so allergischauf die Vorstellung einer Verschwörung? Warum war eineVerschwörung so unvorstellbar, so völlig undenkbar für sie?

Dann wurde mir, möglicherweise zum erstenmal, klar,wieso die Leute so versteinert waren und was ihre Gehirne zuBeton erstarren ließ. Hätten sie eingestanden, daß eine orga-nisierte Verschwörung existierte, hätten sie auch eingestehenmüssen, daß die Verschwörung ein bestimmtes Ziel verfolgthatte - nämlich das, die Regierungspolitik zu ändern. Nach-dem die Medien der Welt uns so viele Jahre weisgemacht hat-ten, wie gut es uns im großartigsten Land der Erde ging, woll-ten sie nicht zugeben, daß der Präsident unserer Nationbrutal beseitigt worden war, um eine Änderung der Regie-rungspolitik durchzusetzen. Das hätte die amerikanischeDemokratie Lügen gestraft, und so etwas durfte einfach nichtgeschehen. Daher mußte das Attentat in ihrer Vorstellungein willkürliches Ereignis sein, das Werk eines geistig gestör-ten Einzeltäters.

Ich sah mir die Fotos der Verhafteten erneut an. Die Foto-grafen hatten mit Sicherheit keinen Versuch unternommen,etwas zu verbergen. Sie waren eindeutig so schnell wie mög-lich zum Ort des Geschehens geeilt und hatten so viele Fotoswie möglich geschossen.

Und jedes dieser Fotos war ein möglicher Pulitzer-Preisträ-ger. Allesamt zählten sie zu den wichtigsten Fotos, die je ge-macht worden waren. Warum also hatten die Redakteure undVerleger der Zeitung nicht die Gelegenheit beim Schöpf ergrif-fen, als erste diese wichtigen Fotos zu veröffentlichen?

Ich hielt die Vorstellung einer gigantischen, hundertpro-zentig durchorganisierten Medienverschwörung für unvor-stellbar. So etwas wäre einfach nicht zu realisieren gewesen.Und doch hatten die Fotos aus irgendeinem Grund nie dasLicht des Tages gesehen.

In New York City war auch mit mir selbst etwas passiert.Warum ein Vorgespräch, damit Carson sofort auf meine mög-

liehen Antworten eingehen konnte? Warum hatte Carson mei-nen Arm weggezogen, so daß die Kamera die Fotos nicht insBild bringen konnte? Und warum hatte der Studioregisseurdie Kamera ausgeschaltet, damit die Fotos nicht einem Millio-nenpublikum gezeigt wurden?

Die einzige vernünftige Erklärung, schloß ich, ließ sich miteinem Wort umschreiben: Kontrolle. Nicht jene Art Kontrolle,bei der ein kleiner Kreis in Washington oder New York alle Re-daktionen anrief und ihnen vorschrieb, was sie drucken oderausstrahlen durften. Es war eine viel lockerere Kontrolle: hierein Anruf von einem hochrangigen Geheimdienstbeamten,der einem Zeitungsverleger die Folgen für die nationale Si-cherheit verdeutlichte, die sich aus der nicht wiedergutzuma-chenden Veröffentlichung von Fotos ergaben, bevor die Regie-rung sie gesehen hatte; dort ein Anruf von einem texanischenPolitiker, einem Jugendfreund Lyndon B. Johnsons, der demDirektor eines großen Fernsehsenders erklärte, welch großerSchaden der Republik zugefügt würde, bekäme die Öffentlich-keit solche Fotos zu Gesicht.

Es fiel mir nicht leicht, dies zu akzeptieren, denn wäre ichVerleger gewesen und hätte einen solchen Anruf erhalten, ichhätte nicht nur dafür gesorgt, daß das Foto auf der Titelseiteerschien, sondern auch, daß es so groß wie möglich gedrucktwurde, damit niemand es übersehen konnte. Doch ich mußeingestehen, daß ich nicht wie die meisten Verleger dachte,und die meisten Verleger schienen nicht wie ich zu denken.

Es war tragisch, doch ich mußte letztendlich einsehen, daßman die Medien irgendwie davon überzeugt hatte, die offi-zielle Lesart zu vertreten. Ob aus Unvermögen oder aus Ab-sicht - sie haben das Attentat, ebenso wie die Behörden vonDallas, die so viele Verdächtige entkommen ließen, ebenfallsgutgeheißen.

17. DIE ZURÜCKHALTENDEN ERMITTLER

Einige der Attentatszeugen fanden den Weg zu uns, nachdemersichtlich wurde, daß sich die Bundesagenten und die Polizeivon Dallas tatsächlich nicht für das interessierten, was sie ge-sehen hatten. Julia Ann Mercer war eine solche Zeugin. In derTat erhellte kein anderer Zeuge das Ausmaß der Vertuschungmehr als sie.

Mrs. Mercer hatte nur ein paar Meter entfernt gestanden,als einer der Männer mit den Gewehren kurz vor Ankunft derWagenkolonne des Präsidenten vor dem Grashügel abgeladenwurde. Sie war also nicht nur Zeugin, als der Mord an Präsi-dent Kennedy vorbereitet wurde, sondern hatte auch die Ver-schwörung beobachtet.

Sie sagte vor dem FBI und dem Sheriff von Dallas aus,kehrte dann zum FBI zurück und ergänzte ihre Aussage, dochsie wurde nie vor die Warren-Kommission geladen - nichteinmal, um eine eidesstattliche Erklärung abzugeben.

Vor geraumer Zeit hatte ich Julia Ann Mercers Aussagen1

in den Beweismitteln der Warren-Kommission gelesen, dochhatte ich nie Gelegenheit gehabt, mit ihr persönlich zu spre-chen. Eines Tages, Anfang 1968, rief mich dann ihr Ehemannim Büro an. Er sagte, er und seine Frau seien geschäftlichin New Orleans und hätten mir einiges zu sagen. Ich stimmtezu, sie im Fairmont Hotel zu treffen, in dem sie abgestiegenwaren. Als ich ihre Suite betrat, fand ich ein äußerst beein-druckendes Ehepaar vor. Mr. Mercer, offensichtlich ein vermö-gender Mann mittleren Alters, war republikanisches Mitglieddes Repräsentantenhauses von Illinois gewesen. Mrs. Mercerwar ebenso beeindruckend - intelligent und schick gekleidet,

jene Art von Zeugin, von der sich jeder Anwalt wünscht, daßsie vor einem Geschworenengericht zu seinen Gunsten aus-sagt. Nachdem Mr. Mercer aufgebrochen war, um sich umseine Geschäfte zu kümmern, gab ich seiner Frau Kopienihrer Aussagen, die von der Warren-Kommission als Beweis-mittel veröffentlicht worden waren. Sie las sie genau durchund schüttelte dann den Kopf.

»Sie sind alle verändert worden«, sagte Mrs. Mercer. »Ichsage hier genau das Gegenteil von dem aus, was ich in Wirk-lichkeit erzählt habe.«

Etwa eine Stunde vor dem Attentat war sie in westlicherRichtung über die Elm Street gefahren und direkt hinter demGrashügel in einem Verkehrsstau steckengeblieben. Zu ihrerÜberraschung (da sie wußte, daß die Wagenkolonne des Prä-sidenten bald kommen würde) sah sie, daß rechts neben ihrein junger Mann aus einem Lieferwagen stieg, mit einem Ge-wehr in der Hand, das irgendeine Umhüllung notdürftig ver-barg. Dann beobachtete sie, daß er den »Grashügel, der einenTeil der Eisenbahnunterführung bildete«, hinaufging. Sie mu-sterte den Fahrer des Wagen mehrmals, konnte sein rundesGesicht und seine braunen Augen genau sehen, und er er-widerte den Blick geradeheraus.

Mrs. Mercer beobachtete auch, daß drei Polizisten nebeneinem Motorrad über ihr auf der Unterführung standen. Sieerinnerte sich, daß die Polizisten nicht die geringste Neugierdafür zeigten, daß ein junger Mann mit einem Gewehr denGrashügel hinaufstieg.

Als Mrs. Mercer diese Informationen nach dem Attentatden örtlichen Behörden zukommen lassen wollte, reagiertendiese beinahe außer sich vor Wut. Im FBI-Büro, das sie einenTag nach dem Attentat aufsuchte, zeigte man ihr eine Reihevon Verbrecherfotos. Unter mehreren Fotos, die sie heraus-legte, da die auf ihnen abgebildeten Männer eine Ähnlichkeitmit dem Fahrer des Lieferwagens aufwiesen, befand sichauch eines von Jack Ruby. Als sie am Sonntag im Fernsehensah, wie Ruby Oswald tötete, erkannte sie ihn eindeutig als

Fahrer des Kleinlastwagens und benachrichtigte umgehenddas örtliche FBI-Büro. Dennoch veränderte das FBI ihre Aus-sage dahingehend, daß die eindeutige Identifizierung ver-schwiegen wurde.

Sie lachte, als sie es mir erklärte. »Sehen Sie«, sagte Mrs.Mercer, »das FBI hat meine Aussage genau ins Gegenteil ver-kehrt.« Dann fügte sie hinzu: »Er war nur ein, zwei Meter vonmir entfernt. Wie hätte ich Jack Ruby da nicht erkennen kön-nen, als ich im Fernsehen sah, wie er Oswald erschoß?«

Das Sheriff s Office von Dallas vollzog denselben ausgeklü-gelten Schwindel, fügte jedoch noch eine phantasievolle Ab-wandlung hinzu. Obwohl Mrs. Mercer nie vor einem Notar er-schienen war, legte das Sheriff's Office eine eidesstattlicheErklärung zu den Akten, in der zu lesen war, sie habe denFahrer nicht identifiziert, wenngleich sie »ihn vielleicht wie-dererkennen würde«. Darüber hinaus waren noch anderewichtige Details abgeändert worden.

»Sehen Sie die vom Notar beglaubigte Unterschrift?« sagtesie. »Das ist nicht meine Unterschrift. Ich unterschreibe nichtmit einem so großen A.« Sie nahm einen Kugelschreiber undschrieb ihren Namen nieder. Es war auf den ersten Blick deut-lich, daß die Unterschrift auf der abgeänderten Aussage desSheriff's Office nicht einmal entfernte Ähnlichkeit mit derihren besaß.

Julia Ann Mercer schrieb dann auf meine Kopien der Be-richte des FBI und des Sheriff's Office die Beobachtungen nie-der, die sie tatsächlich gemacht hatte. Diese Version war inDallas zwar nicht akzeptabel gewesen, doch mir war sie mehrals willkommen. Eingedenk der plötzlichen Todesfälle einigerZeugen, die mehr gesehen hatten, als gut für sie gewesen war,schlug ich vor, sie solle die berichtigte Aussage mit ihremMädchennamen unterzeichnen, wie sie es auch unmittelbarnach dem Attentat in Dallas getan hatte. Sie folgte meinemVorschlag.

Als ich wieder in meinem Büro war, dachte ich über JuliaAnn Mercer nach. Sie hatte sich nur ein paar Meter entfernt

von einem der wichtigsten Vorfälle im Verlauf des Attentatsbefunden und sich vergeblich bemüht, den Bundesbehördenund den Behörden von Dallas die schlichte Wahrheit zu sagen.Ihre Erfahrungen waren von grundlegender Bedeutung. Zu-nächst einmal bildeten die Beobachtungen von Mrs. Mercerein neues Glied in der Beweiskette, daß auf dem Grashügelvor dem Präsidenten ein weiterer Schütze postiert war.

Für mich waren die Reaktionen, die ihre Aussagen hervor-gerufen hatten, geradezu unheimlich. Sie bewiesen, daß dieBehörden früh erkannt hatten, daß es eine Verschwörung zurErmordung des Präsidenten gab. Sowohl die örtlichen alsauch die Bundesbehörden hatten die Aussagen von Mrs. Mer-cer manipuliert, um eben diese Tatsache zu verschleiern.

Ich war bereits zu dem Schluß gekommen, daß Teile derBehörden von Dallas wahrscheinlich in das Attentat oder des-sen Vertuschung eingeweiht waren. Doch nun erkannte ich,daß auch das hochgeschätzte FBI darin verwickelt war.Schließlich mußte das FBI schon am Samstag, dem 23. No-vember, als man Mrs. Mercer das Foto von Jack Ruby zeigte,gewußt haben, daß Ruby in eine Verschwörung verwickeltsein könnte.2 Das war am Tag, bevor Ruby Oswald erschoß.

Die Unfähigkeit des FBI, Ruby augenblicklich zur Befra-gung ausfindig zu machen, und die Manipulation der Mercer-Aussage3 jagten mir einen kalten Schauer über den Rücken.Wie weit, fragte ich mich, war mein Ex-Arbeitgeber in diesesAttentat verwickelt?

Die Antwort auf meine Frage erhielt ich ziemlich schnell.Mark Lane hatte in New Orleans an seinem Buch A Citizen'sDissent gearbeitet und mich bei den Ermittlungen unterstützt.Eines Abends hielt er an der Tulane University einen Vortragüber das Attentat. Danach begegnete er zufällig einem ehe-maligen FBI-Agenten namens William S. Walter. Im Laufe desGesprächs erwähnte Walter, er habe am 17. November 1963 -fünf Tage vor dem Attentat - Nachtdienst im FBI-Büro vonNew Orleans gehabt, als über Fernschreiber eine Warnung

vor einem möglichen Attentat auf den Präsidenten einging.Walter benachrichtigte augenblicklich die fünf Agenten, de-nen die betreffenden örtlichen Ermittlungseinheiten unter-standen, und hielt seine Pflicht damit für erfüllt. Als Lane dieshörte, zog er Walter augenblicklich beiseite, sprach mit ihmund legte eine schriftliche Aussage über den Inhalt diesesGesprächs nieder.4 Später machte ich Walter ausfindig undunterhielt mich mehrmals ausführlich mit ihm.5

1976 stellte Walter dem Geheimdienstausschuß des Senatsunter Vorsitz von Senator Richard Schweiker aus Pennsylva-nia eine Kopie des FBI-Telex zur Verfügung. Nachdem derFreedom of Information Act in Kraft getreten war, besorgteLane sich ebenfalls eine Kopie der per Telex übermitteltenWarnung und händigte sie mir aus. Das Fernschreiben lau-tete:

»DRINGEND: 1:45 UHR OESTLICHE AMERIKANISCHE ZEIT17.11.63, 'A SEITEAN: ALLE BEFEHLSHABENDEN SA [Special Agents]VON: DEM DIREKTORMORDDROHUNG GEGEN PRAESIDENT KENNEDY IN DALLASTEXAS 22 STRICH DREIUNDZWANZIGSTER NOVEMBERNEUNZEHNHUNDERTDREIUNDSECHZ1G. INFORMATIONENVERSCHIEDENER BUREAS [sie] LIEGEN VOR. BUREAU KAMZUM SCHLUSS, DASS MILITANTE REVOLUTIONAERE GRUPPEVERSUCHEN KOENNTE, PRAESIDENT KENNEDY BEI GEPLAN-TER REISE NACH DALLAS, TEXAS, AM ZWEIUNDZWANZIG-STEN STRICH DREIUNDZWANZIGSTEN NOVEMBER NEUN-ZEHNHUNDERTDREIUNDSECHZIG ZU ERMORDEN. ALLEEMPFAENGER SOLLEN AUGENBLICKLICH KONTAKT MITALLEN SPITZELN UND INFORMANTEN IN DEN EINSCHLAEGI-GEN GRUPPEN AUFNEHMEN UND FESTSTELLEN, OB GRUND-LAGE FUER DROHUNG BESTEHT. BUREAU SOLL PER FERN-SCHREIBER UEBER ALLE ENTWICKLUNGEN AUF DEMLAUFENDEN GEHALTEN WERDEN. ANDERE NIEDERLASSUN-GEN WURDEN BENACHRICHTIGT. ENDE UND BESTAETI-GUNG.«

Wir erfuhren von Walter, daß er zum Zeitpunkt des Atten-tats gerade zu Mittag aß, aber augenblicklich in das FBI-Bürovon New Orleans zurücklief. In den Akten fand er das Telexmit der Warnung sowie ein Duplikat, das etwas später einge-troffen war. Er schrieb den Text mit der Warnung wortwört-lich ab und steckte den Zettel ein. Kurz darauf überprüfte erdie Akte noch einmal, um zu sehen, ob das Telex mit der War-nung noch vorhanden war. Es war aus der Akte entfernt wor-den. Auch in den anderen Akten ließ sich kein Hinweis darauffinden.

Das Telex war eindeutig gewesen und hatte sowohl Ort alsauch Zeit des geplanten Attentats auf den Präsidenten ge-nannt. Es war an alle befehlshabenden Special Agents adres-siert, und damit war jeder einzelne im Land gemeint, auch diein Dallas. Und doch hatte das FBI nichts unternommen. Esgibt keine Unterlagen darüber, daß es irgend jemanden infor-mierte - nicht einmal den Secret Service, der als die Orga-nisation, die für den Schutz des Präsidenten verantwortlichist, umgehend hätte informiert werden müssen.

Wäre die Warnung vom 17. November, so überlegte ich, andie relevanten Geheimdienste weitergegeben worden, hätteman die Änderung der Fahrtroute in letzter Minute vielleichtgenauer untersucht, als Falle entlarvt und die Fahrt durch dieStadt abgesagt. Und wenn die Fahrt doch stattgefunden hätte,hätte man vielleicht die Plexiglaskuppel der Präsidenten-Limousine, die Kennedy eventuell geschützt hätte, nicht ab-genommen.

Und der Secret Service hätte vielleicht strenger auf die Be-folgung der eisernen Regel geachtet, daß sämtliche Fensterder Häuser entlang der Fahrtroute geschlossen und sämtlicheDächer leer sein mußten. Doch als sich die Wagenkolonne aufder neuen Paradestrecke dem Dal-Tex-Gebäude und demSchulbuchlager näherte, ließen die zahlreichen geöffnetenFenster und die offene Limousine keinen Zweifel aufkommen,daß die Sicherheitsvorkehrungen für den Präsidenten sträf-lich vernachlässigt worden waren.6

Als ich über William Walter von dem Telex mit der War-nung erfuhr, waren fast fünf Jahre seit dem Attentat vergan-gen. Doch in dieser Zeit hatte keiner der fünf Agenten, dieWalter am Morgen des 17. November angerufen hatte, derÖffentlichkeit oder der Warren-Kommission gegenüber ange-deutet, daß das FBI fünf Tage vor dem Attentat eine eindeutigeWarnung erhalten hatte. Noch war dies einem der anderenleitenden Special Agents in den Sinn gekommen, an die dieWarnung adressiert gewesen war. Noch hatte das FBI odersein Direktor J. Edgar Hoover, unter dessen Namen die War-nung herausgegangen war, etwas darüber verlauten lassen.Wenn ein solch verdächtiges Schweigen nicht nach Vertu-schung roch, wußte ich nicht mehr, was Vertuschung war.

Das Telex mit der Warnung gewann bald zusätzlich an Be-deutung, als ich verspätet von einer bemerkenswerten Infor-mation erfuhr, mit der sich Jahre zuvor C. A. Hamblen7, derSpätschicht-Leiter der Niederlassung der Western Union inDallas, an die Öffentlichkeit gewandt hatte. Ich fand heraus,daß Hamblen etwa eine Woche nach dem Attentat einigenPersonen gegenüber behauptet hatte, Lee Oswald sei etwazehn Tage vor dem Attentat in der Geschäftsstelle der WesternUnion gewesen und habe ein Telegramm nach Washingtonaufgegeben. Er habe den Eindruck gehabt, Oswalds Tele-gramm sei an das Marineministerium gerichtet gewesen. Ichwußte bereits, daß Oswald zwar ein relativ ruhiger Mensch,aber auch selbstbewußt genug gewesen war, um Beschwerdenan das Marineministerium zu richten - eine Tatsache, von derHamblen eigentlich nichts geahnt haben konnte.8

Hamblen erinnerte sich auch, daß Oswald mehrmals dieNiederlassung der Western Union aufgesucht hatte, um Post-anweisungen über bescheidene Beträge einzulösen. Hamblenzufolge wies sich Oswald mit einem Bibliotheks- und einemMarine-Ausweis aus. Dabei handelte es sich genau um das,womit Oswald sich regelmäßig auswies: um einen Biblio-theks- und einen Marine-Ausweis.

Aufgrund von Hamblens Informationen ergab sich eine

faszinierende Situation. Etwa zehn Tage vor dem Attentathatte Lee Oswald ein Telegramm ans Marineministeriumgeschickt. Dann, fünf Tage vor dem Attentat, hatte das FBI-Hauptquartier per Fernschreiber eine detaillierte Warnungüber den bevorstehenden Versuch, den Präsidenten zu ermor-den, an alle Büros versandt. Ich fragte mich, ob zwischen denbeiden Nachrichten irgendein Zusammenhang bestand.

Meine früheren Nachforschungen über Oswalds Beziehun-gen zum FBI schienen mir bei dieser Frage weiterhelfen zukönnen. Ich wußte seit langem, daß sich in Oswalds Adreß-buch der Name des FBI-Agenten James Hosty aus der Dallas-Niederlassung befand.9 Direkt hinter Hostys Namen hatte Os-wald eine Telefonnummer eingetragen. Ich besorgte mir eineAusgabe des Telefonbuchs von Dallas aus dem Jahre 1963 undstellte fest, daß es sich dabei nicht um die Nummer des ört-lichen FBI-Büros handelte. Doch wie ich herausfand, warHostys Privatnummer nicht im Telefonbuch verzeichnet. An-scheinend hatte Oswald also Hostys Geheimnummer oder dieeines Message-Centers notiert. Ich vermutete, daß Hosty dieNummer Oswald persönlich gegeben hatte.

Fest stand auch, daß bei der Auflistung des Inhalts von Os-walds Adreßbuch, die das FBI der Warren-Kommission zurVerfügung gestellt hatte, der von Oswald eingetragene Nameund die geheime Telefonnummer von Special Agent Hostyfehlten.10 Selbst die Warren-Kommission zeigte sich überdiese Unterlassung ungehalten. Das FBI erklärte, es sei zu derAuslassung gekommen, da die Person, die das Adreßbuch ab-schrieb, nur an »Schlüsselinformationen« interessiert gewe-sen sei."

Dann erschien Jahre nach der Untersuchung der Warren-Kommission ein Artikel in der Presse12, der einen BesuchOswalds im FBI-Büro von Dallas kurz vor dem Attentat be-schrieb. Der Zeitungsbericht führte aus, Oswald habe eineNachricht für Agent Hosty abgegeben. Die Frau in der Nieder-lassung, die die Nachricht entgegennahm, sagte aus, sie habeOswalds Drohung enthalten, das FBI-Büro in die Luft zu ja-

gen. Hosty hingegen erklärte, es habe sich lediglich um eineWarnung gehandelt, Oswalds Frau nicht mehr in ihrer Woh-nung zu verhören, wenn Oswald nicht anwesend war. Falls essich um die Drohung handelte, das FBI-Büro in die Luft zu ja-gen, hätte Oswald sofort in die Liste der »gefährlichen Perso-nen« aufgenommen werden müssen, die man vor der Ankunftdes Präsidenten in Dallas zusammengestellt hatte. Auch wenndie Nachricht eine viel mildere Drohung enthalten hätte, hätteman Oswald normalerweise sofort zum Verhör aufgreifen,wenn nicht sogar während des Präsidentenbesuchs in derStadt unter Hausarrest stellen müssen. Doch in diesem Fallhat das FBI von Dallas gar nichts unternommen.

Es wird nie bekanntwerden, welchen Inhalt die Nachrichttatsächlich hatte. Hosty behauptet, der leitende Special AgentGordon Shanklin habe ihm befohlen, sie zu vernichten13, waser auch umgehend getan haben will. Interessanterweise er-klärte Hosty, er habe vor der Warren-Kommission die Nach-richt nie erwähnt, da »er vom FBI angewiesen worden war,keine freiwilligen Informationen herauszugeben«.

Das entsprach ganz dem früheren Zwischenfall in New Or-leans, als FBI-Agent John Quigley die Aufzeichnung seines Ge-sprächs mit Oswald in der Wache des Ersten Bezirks vernich-tete, nachdem Oswald wegen seiner Reibereien mit denExilkubanern auf der Canal Street verhaftet worden war(siehe Kapitel 2). Was, so fragte ich mich, veranlaßte das FBI,das normalerweise geradezu versessen darauf ist, Notizenund Aufzeichnungen zu archivieren, alles zu vernichten, wasBegegnungen zwischen dem anscheinend harmlosen LeeHarvey Oswald und jedwedem Agenten dieser Behörde be-traf?Die Vorstellung, daß Oswald im FBI-Büro eine Nachrichtfür Hosty hinterließ, ist einleuchtend. Ich weiß noch ausmeiner kurzen Zeit beim FBI in Seattle und Tacoma, wie in-offizielle Informanten mit ihren Kontaktagenten kommuni-zierten: Die meisten Informanten hinterlegten Nachrichtenoder Informationen in einem verschlossenen, an ihren Kontakt-

agenten adressierten Umschlag am Empfangsschalter. DieInformanten wurden zwar nicht üppig, aber regelmäßig fürdie geheimen Informationen bezahlt, die sie über die ver-schiedensten Projekte weitergaben. Und ihre Identität wurdesorgfältig geschützt. Selbst in den FBI-Akten wurden Namenvon Informanten immer nur verschlüsselt angegeben.

Auf jeden Fall fragte ich mich, ob Lee Oswald in den Wo-chen vor dem Attentat als verdeckter FBI-Informant gearbei-tet und Special Agent James Hosty Bericht erstattet hatte.

Diese Möglichkeit hatte Anfang des Jahres 1964 WaggonerCarr aufgeworfen, damals Justizminister des BundesstaatesTexas. Als Mann von hoher Integrität und gutem Ruf hatteCarr der Warren-Kommission in einer geheimen Sitzung am22. Januar 1964 mitgeteilt, er habe von Allan Sweatt, demChef der Criminal Division des Sheriffs Office in Dallas,Beweise erhalten, laut denen Lee Oswald Undercover-Agentgewesen sei. Genauer gesagt, Oswald sei als »ConfidentialAgent« Nr. 179 vom FBI für zweihundert Dollar monatlich be-schäftigt worden, und zwar über ein Jahr lang, bis zur Ermor-dung Präsident Kennedys.

Diese schockierende Nachricht sickerte natürlich an dieMedien durch. Artikel von Joe Houlden im PhiladelphiaInquirer vom 8. Dezember 1963, von Lonnie Hudkins in derHouston Post vom i. Januar 1964 und von Harold Feldman inThe Nation vom 27. Januar 1964 berichteten darüber. Nacheiner langen Debatte gelangte die Warren-Kommission über-einstimmend zu dem Schluß, gründliche Anhörungen zu die-sem Thema abzuhalten. Leider fanden solche Anhörungennie statt. Von den drei obengenannten Journalisten wurdekeiner von der Kommission als Zeuge vorgeladen. Ebenso-wenig wurde die ursprüngliche Quelle, der Chef der CriminalDivision, je vorgeladen.

Im Verlauf der Jahre waren Waggoner Carrs Anschuldi-gungen in der Flut der Informationen, Theorien und Spekula-tionen über das Attentat untergegangen. Doch nun machtedie Vorstellung, Oswald sei ein vertraulicher Informant des

FBI gewesen, die ich zuerst als zu weit hergeholt abgetanhatte, plötzlich Sinn. Dadurch wurden Hostys Name und seinenicht eingetragene Telefonnummer in Oswalds Adreßbuch er-klärt sowie Oswalds Besuch im FBI-Büro von Dallas und seinDrohbrief an Hosty.

Die Möglichkeit, daß er ein vertraulicher Informant gewe-sen war, warf ein sehr interessantes Licht auf eine andere selt-same Tatsache: Das FBI erwähnte Lee Oswald als Tatverdäch-tigen erst zweieinhalb Stunden, nachdem die Schüsse gefallenwaren - kurz nachdem die Air Force One mit dem neuen Prä-sidenten Lyndon B. Johnson und John F. Kennedys Leichnaman Bord nach Washington abgeflogen war. Der Aussage vonPolice Lieutenant Jack Revill zufolge14 war ein FBI-Agent um14.50 Uhr zu ihm ins Polizeipräsidium von Dallas gekommenund hatte ihm mitgeteilt, das FBI habe »Informationen, derVerdächtige sei imstande gewesen, das Attentat zu begehen«.Der Agent, der diese willkommene Nachricht brachte und alserster den Namen Lee Harvey Oswald erwähnte, war keinanderer als James Hosty.

War Hosty nur ein unschuldiger Bote, oder waren er undmöglicherweise andere im FBI-Büro an einer Verschwörungbeteiligt gewesen, um Oswald als Sündenbock zu präsentie-ren? Wenn Angestellte des FBI an der Verschwörung teilge-nommen hatten, erklärte dies, weshalb das FBI seltsamerweisenichts unternommen hatte, als es fünf Tage zuvor die Warnungüber Fernschreiber erhalten hatte, und warum niemand aufden warnenden Brief reagiert hatte, den Richard Gase Nageilangeblich an J. Edgar Hoover geschickt hatte (siehe Kapitel14). Es würde auch erklären, warum Oswald, der offenbar mitHosty nicht zurechtkam und vielleicht gespürt hatte, daß erhereingelegt werden sollte, zehn Tage vor dem Attentat einTelegramm an das Marineministerium geschickt hatte.

Ich arbeitete ein mögliches Szenario aus. Schon lange zu-vor hatten die Urheber des Attentats den idealistischen undleichtgläubigen Oswald als Sündenbock ausgewählt. Seine ge-heimgehaltene Geheimdienst-Vergangenheit trug nicht nur

dazu bei, den Erfolg des Unternehmens zu sichern, sondernauch, sich der nachfolgenden Unterstützung der Regierung zuvergewissern, die nicht eingestehen wollte, daß die Hinter-männer des Attentats in ihren eigenen Geheimdiensten zusuchen waren.

Falls Oswald als vertraulicher Informant in Dallas und NewOrleans auf der Gehaltsliste der Regierung gestanden hatte,hätte er vielleicht angenommen, sein Job bestünde darin, sub-versive Organisationen zu unterwandern, darunter auch dasFair Play for Cuba Committee und vielleicht Guy Banisters Or-ganisation, um dem FBI darüber Bericht zu erstatten. Dabeigestattete man ihm einen marginalen Einblick in das Atten-tatsvorhaben, abermals unter der Vorgabe, er solle für die Be-hörden Informationen darüber sammeln. Vielleicht berichteteer seinem Kontaktagenten James Hosty sogar über die Ver-schwörung zur Ermordung des Präsidenten. Als Oswaldspürte, daß Hosty kein ehrliches Spiel trieb, hat er ihn viel-leicht übergangen und eine Warnung an das Marinemini-sterium telegrafiert, das daraufhin das FBI-Hauptquartier inWashington benachrichtigte, das das Telex mit der Warnunghinausschickte.

Doch es war genausogut möglich, daß Oswald auch für ei-nen anderen Geheimdienst als Informant gearbeitet hatte,zum Beispiel für das ONI oder die CIA, repräsentiert durchGuy Banister, und daß er vor Hosty und dem FBI wichtigeInformationen über die Verschwörung zurückhielt. Als Hostydann ahnungslos begann, Oswald und seine Frau um mehrInformationen zu bedrängen, reagierte Oswald mit demDrohbrief und dem Telegramm an das Marineministerium.

Man konnte unmöglich wissen, was in Lee Harvey OswaldsKopf vorging. Doch was er auch zu tun glaubte, er wußte ein-deutig mehr, als die Urheber des Attentats dulden konnten.Deshalb mußte er so plötzlich in Dallas sterben, nicht einmalzweiundsiebzig Stunden nach John F. Kennedy.

Ich wußte, daß ich mit diesem Material nie vor Gericht ge-hen konnte. Es bestand keine echte Verbindung zu Clay Shaw,

und es handelte sich hauptsächlich um Schlußfolgerungen.Doch ich hatte den Eindruck, daß es keine bessere Möglich-keit gab, Oswald in die Sache zu verwickeln und zum Sünden-bock zu machen, als ihn davon zu überzeugen, er sei einembedeutenden Attentat auf der Spur und könne die maßgeb-lichen Behörden fünf Minuten vor zwölf warnen.

Nur eine Frage störte mich und hatte vielleicht auch Os-wald gestört: Wenn die Polizei und das Sheriff's Office vonDallas, der Secret Service, das FBI und die CIA möglicher-weise alle an der Verschwörung beteiligt waren - welche Be-hörden waren dann zuständig?

18. DAS VERFAHREN GEGEN CLAY SHAW

Sie erinnern sich vielleicht an Ernest Hemingways Roman Deralte Mann und das Meer. In diesem Roman gelingt es dem al-ten Santiago, einen riesigen Fisch zu fangen, der so groß ist,daß er ihn an seinem Boot vertäuen und an Land ziehen muß.Als Santiago das Ufer erreicht, ist der Fisch längst von denHaien gefressen worden. Nur das Skelett ist übrig.

Wenn ich heute zurückblicke, denke ich mir, daß es unsrecht ähnlich ergangen ist, als wir Clay Shaw vor dem Crimi-nal District Court (Strafkammer) endlich den Prozeß machten.Es war ein langer, mühsamer und frustrierender Kampf gewe-sen, überhaupt so weit zu kommen. Unsere Behörde war vonder Bundesregierung unterwandert worden, und Bill Boxleyhatte uns zahlreiche Akten gestohlen. Aber damit noch nichtgenug, hatte Lou Ivon ein, zwei Wochen vor Prozeßbeginn her-ausgefunden, daß der junge Engländer aus Oxford, der unserArchiv leitete, der Verteidigung Kopien zahlreicher Unterla-gen zur Verfügung gestellt hatte. Fast ebensowichtig war, daßeinige unserer Schlüsselzeugen - zum Beispiel David Ferrie,Gordon Novel, Sandra Moffett - gestorben oder aus Angstoder anderen Gründen aus New Orleans weggezogen warenund ich keine Möglichkeit hatte, ihre Vorführung zu erwirken.

Vor dem Prozeß hatten wir uns entscheiden müssen, wel-che Zeugen wir nicht vorladen wollten. Ein Ankläger kannnicht einfach Zeugen aufrufen, weil sie zufällig zur Verfügungstehen und ihre Aussage unter direkter Prüfung der Staatsan-waltschaft nutzt. Der Staatsanwalt muß vorher überlegen, obeiner dieser guten Zeugen den Fall beim Kreuzverhör platzenlassen könnte.

Nehmen wir zum Beispiel Richard Gase Nagell. Er traf kurzvor Prozeßbeginn ein und war bereit, gegen Shaw auszusa-gen. Ich verabredete mich mit ihm im New Orleans AthleticClub und führte ein langes Gespräch mit ihm. Er war so ko-operativ wie damals, als ich zum letztenmal mit ihm gespro-chen hatte, und erinnerte sich ebenso genau an die Einzelhei-ten. Nagell war sich sicherer als je zuvor, daß J. Edgar Hoovernach seinem frühen Brief mit der Warnung vor dem Unter-nehmen zur Ermordung Präsident Kennedys nichts von sichhatte hören lassen.

Doch er war auch so unbeugsam wie eh und je, was die Be-nennung des Geheimdienstes betraf, mit dem er verbundengewesen und vielleicht noch verbunden war. Ich verstandseine Besorgnis über die Vereinbarung, die er offenbarschriftlich mit seinem Arbeitgeber getroffen hatte und die ihmverbot, diesen Arbeitgeber zu nennen. Doch ebenso genauwußte ich, daß sich die Verteidigung ins Fäustchen lachenwürde, wenn sie beim Kreuzverhör herausfand, daß er denGeheimdienst, dem er angehörte, namentlich nicht zu nennenbereit war. Man würde so über ihn herfallen, wie die Haieüber Santiagos Fisch, und wenn sie mit Nagell fertig waren,mußten die Geschworenen den Eindruck haben, sie hätten esmit einem Spinner zu tun. Ein einziger solcher Zwischenfall,eine einzige derartige Diskreditierung, und der gesamte Fallkonnte platzen. Ich kam zu dem Schluß, daß wir bei Nagelldieses Risiko nicht eingehen konnten.

Dann war da Julia Ann Mercer, wahrscheinlich die wichtig-ste Zeugin überhaupt, die wir während unserer Ermittlungenausfindig gemacht hatten. Sie hatte gesehen, daß Jack Rubyeine Stunde vor dem Attentat einen der Schützen am Gras-hügel an der Stelle aussteigen ließ, an der Kennedy später er-schossen wurde. Was Mrs. Mercer gesehen hatte, lief allemAnschein nach auf eine Verschwörung hinaus. Doch ihre Aus-sage würde bei unserem Fall gegen Clay Shaw, der nur einenkleinen Teil der allgemeinen Verschwörung darstellte, ledig-lich am Rande eine Rolle spielen können. Da eine Reihe von

Zeugen ermordet worden oder sonstwie bei »Unfällen« umge-kommen war, entschied ich, daß wir ihr Leben nicht unnötigin Gefahr bringen durften. Aus demselben Grund hatte ichihren neuen Familiennamen und ihren Wohnort weder derPresse noch den Bundesbehörden mitgeteilt.

Was die Zeugen betraf, die wir aufrufen wollten, so hattenJim Alcock, den ich zum Chefankläger ernannt hatte, und dieanderen Angehörigen der Sonderkommission die Reihenfolgeihres Auftretens bestimmt. Sie wußten auch, wie sie mit ihnenumzugehen hatten. Ein Zeuge aus New York, ein Buchhalternamens Charles Spiesei, meldete sich in einer späten Phaseder Ermittlungen bei uns und brachte uns in eine Zwick-mühle. Er behauptete, Ferrie und Shaw während einer Reisenach New Orleans begegnet zu sein und gehört zu haben, daßsie über ein mögliches Attentat auf den Präsidenten sprachen.Alcock zeigte mir Spiesels Aussage und fragte, was ich davonhielte, ihn als Zeugen aufzurufen. Mittlerweile war ich auf-grund der zahlreichen Fallen, die man uns gestellt hatte, sehrmißtrauisch geworden. Da mir an der Aussage auf den erstenBlick nichts auffiel, meinte ich zu Alcock, sie käme mir eineSpur zu passend vor. Doch Alcock entschloß sich, Spiesei auf-zurufen, und da ich keine Zeit hatte, selbst mit dem Zeugen zusprechen, stimmte ich zu. Wir sollten diese Entscheidung baldbereuen.

Am 29. Januar 1969 kam der Fall des Staates Louisianagegen Clay Shaw endlich zur Verhandlung. Als wir an diesemMorgen den majestätischen Gerichtssaal betraten, legte ichdie Hand auf eine der massiven weißen Eichenbänke. Ich ver-spürte eine gewaltige Nostalgie. Das war der Saal, in dem ichvor etwa fünfzehn Jahren meinen ersten Fall als stellvertre-tender Ankläger vertreten hatte.

Wie bei der Voruntersuchung kam mir der Gerichtssaalauch dieses Mal wie ein Zirkus und, falls es überhaupt mög-lich war, noch überfüllter vor. Nachdem wir uns am Eingangdurch die Journalistenhorde gekämpft hatten, mußten wiruns durch eine noch dichtere Menschenmenge zum Tisch der

Anklage drängen. Die Zuschauer waren bis an die Grenze un-gebührlichen Verhaltens laut. Plötzlich verstummten sie undreckten die Hälse, als Clay Shaw und seine Anwälte denGerichtssaal betraten. Der große, makellos gekleidete Shawerregte natürlich ihre Aufmerksamkeit. Er war ein Mann mitdunklem Teint. Er überragte seine Verteidiger, und seinehohen Wangenknochen waren auffallender denn je.

Shaws Gruppe hatte kaum am anderen Ende des SaalsPlatz genommen, als der Hammer ertönte. Die Menge wurdestill: Richter Edward Aloysius Haggerty betrat in seinerschwarzen Robe den Gerichtssaal und nahm Platz. Haggerty,ein stämmiger, rotgesichtiger Mann mit wachsamen Augenunter buschigen Brauen, war im Herzen des Irish Channelvon New Orleans geboren und aufgewachsen und wohntenoch immer dort. Ich kannte ihn gut aus meiner Zeit in die-sem ehrwürdigen Gebäude.

Der Richter leitete die Verhandlung mit einem Thema ein,das die einheimischen Zuschauer sehr interessierte. Im Ge-gensatz zu allen Gepflogenheiten war der Prozeß auf einenZeitpunkt gelegt worden, an dem der Mardi Gras, der Kar-neval von New Orleans, seinem Höhepunkt entgegenstrebte.Haggerty war anscheinend sehr daran gelegen, daß die Ge-schworenen nicht auf den Spaß verzichten mußten, beson-ders nicht auf die Straßenumzüge. Der Rex-Umzug, der denKönig des Mardi Gras präsentierte, war der wichtigste undmeist auch der schönste. Als Rex trat stets ein prominenterBürger von New Orleans auf, dessen Name erst am Morgendes Umzugs bekanntgegeben wurde, wenn sein Foto und dasder Königin auf der Titelseite der Times-Picayune erschienen.Der »Lastwagenumzug« der Elks Crew, der traditionell demdes Königs folgte, war wahrscheinlich der ausgelassenste. Erbestand aus hundert oder mehr Lastwagen, und auf jedemfand den ganzen Tag über eine Mardi-Gras-Party statt. Er botjedesmal einen überschwenglichen, phantasievollen Anblick,und man wußte nie im voraus, was einen im jeweiligen Jahrerwartete. .

Richter Haggerty erklärte stolz, er habe Vorkehrungen ge-troffen, daß die Geschworenen nicht nur den Rex-Umzug, son-dern auch den »Lastwagenumzug« der Elks Crew vom Balkoneines Hauses an der St. Charles Avenue aus beobachten konn-ten. Nachdem diese wichtige örtliche Angelegenheit geklärtwar, konnte der Prozeß beginnen.

Ich überließ die Auswahl der Geschworenen Jim Alcockund dem stellvertretenden Staatsanwalt Alvin Oser, fuhr zu-rück ins Büro und konzentrierte mich darauf, zögernde Zeu-gen zu überreden, aus Dallas und noch weiter entferntenStädten zum Prozeß anzureisen.

Bis die Geschworenen ausgewählt waren, war es bereitsFebruar geworden, und ich gesellte mich wieder zu Alcockund Oser in den Gerichtssaal. Dann und wann zogen Zecherauf der Tulane Avenue vorbei, und man hörte die Geräuschedes Mardi Gras bis zu uns hinauf dringen.

Nachdem sich Richter Haggerty vergewissert hatte, daßbeide Parteien bereit waren, nickte er mir zu und deutetedamit an, das Einleitungsplädoyer der Anklage zu halten. Ichging zu den Geschworenen hinüber, schritt langsam vor ihnenauf und ab und erklärte, worum es bei diesem Fall ging. Ichführte aus, was das Gesetz über Verschwörungen besagt undwelche Beweise wir vorlegen würden, um zu zeigen, daß ClayShaw gegen das Gesetz verstoßen hatte. Da dramatische Auf-tritte im Gerichtssaal noch nie mein Fall waren, sprach ichleise und verzichtete auf Effekthaschereien.

Als ich fertig war, hielt F. Irvin Dymond, einer der bestenProzeßanwälte in New Orleans, das Eröffnungsplädoyer derVerteidigung. Schon oft war ich vor Gericht gegen ihn angetre-ten. Er beugte sich stets vor, wenn er zu den Geschworenensprach, hielt die Beine leicht gespreizt, die Schultern leichteingefallen und untermalte seine Worte stets mit Handbe-wegungen. Er wich selten von diesem Habitus ab. Dymondpflegte diesen Stil zwar unbewußt, doch er war überaus wirk-sam und überzeugte die Geschworenen von seiner großenErnsthaftigkeit und Betroffenheit.

Nach den Einleitungsplädoyers riefen wir als erste Zeugendie Bewohner der Kleinstadt Clinton, Louisiana, auf, die LeeOswald zwei Monate vor dem Attentat dort in Begleitung vonClay Shaw und David Ferrie gesehen hatten (siehe Kapitel 8).Da Andrew Sciambra die Zeugen aus Clinton für uns ausfindiggemacht hatte und diesen Aspekt des Falles besser kannte alsjeder andere, ließ ich ihn die Befragung durchführen. Erkonnte seinen kräftigen Körper, das Ergebnis jahrelangenBoxens an der Louisiana State University, kaum in einen An-zug zwängen. Doch bei der Befragung ging er sehr behutsamvor. Außerdem hatte er ein ausgezeichnetes Einvernehmenmit den Zeugen von Clinton erlangt - sowohl mit den konser-vativen Weißen wie auch mit den liberalen Schwarzen.

Reeves Morgan, ehemals Angehöriger der staatlichen Le-gislative, sagte aus, er habe das FBI nach dem Attentat überOswalds Anwesenheit in Clinton informiert. Morgan fuhr fort,der Special Agent habe ihm zwar gedankt, aber auch gesagt,das FBI wisse schon von Oswalds Besuch im Raum Clinton.Danach habe er nichts mehr vom FBI gehört.1

John Manchester, der Town Marshai von Clinton, berich-tete, er habe bei der Wählererfassung alle fremden Wagen inClinton »überprüft«, darunter auch die große, schwarzeLimousine, die am Eingang des Wahlregistraturbüros stand.2

»Ich ging hinüber und sprach mit dem Mann am Steuer«,sagte Manchester. »Es war ein großer Mann mit grauem Haarund einem rötlichen Gesicht. Er unterhielt sich freundlich mitmir und sagte, er sei Repräsentant des International TradeMärt in New Orleans.«

Manchester identifizierte Clay Shaw als den Mann, mitdem er geredet hatte. Shaw erwiderte seinen Blick unbeein-druckt. Wie Sciambra in Clinton erfahren hatte, hatte Man-chester bei der Staatspolizei nachgefragt und die Bestätigungerhalten, die Limousine sei auf den International Trade Märtin New Orleans zugelassen.

Auf Sciambras Fragen hin identifizierten die Zeugen ausClinton nicht nur Shaw als den Mann hinter dem Steuer der

schwarzen Limousine, sondern sie identifizierten auch DavidFerrie anhand von Fotos als den Mann, der neben ihm geses-sen hatte. Alle erinnerten sich an die auffällige Szene, als LeeOswald, der mit ihnen nach Clinton gekommen war, in einerlangen Schlange von Schwarzen gestanden hatte, die sich insWählerverzeichnis eintragen lassen wollten. Als einziger Wei-ßer in der Schlange - und darüber hinaus noch als Ortsfrem-der - hatten sie ihn nicht vergessen.

Während der Aussagen sah ich zu dem Beklagten und sei-nem Anwaltsstab hinüber. Shaw war so unnahbar wie zuvorund hielt seine Zigarette, wie immer, schräg nach oben; ihrRauch kräuselte sich zur Decke. Seine vornehmen Manieren -er war bis zu den Haarspitzen ein Gentleman - brachten michauf den Gedanken, daß Ludwig XVI. seinen Prozeß ähnlich ge-lassen hingenommen haben mußte. Er wirkte losgelöst, fastgelangweilt vom weltlichen Geschehen, das ihn umgab.

Neben ihm saß Irvin Dymond, sein erster Rechtsberater.Wie Shaw war auch er Kettenraucher, und er kniff jedesmal,wenn er einen Zug nahm, die Augen zusammen. Ebenfalls amTisch der Verteidigung anwesend waren Edward Wegmannund sein Bruder William, der sich um die rechtliche Seite vonShaws Geschäften kümmerte. Edward, der ältere der beidenWegmann-Brüder, lächelte nur selten, machte sich aber pau-senlos Notizen. William, der lebhaftere der beiden, beriet sichhäufig mit Dymond.

Ein Anwalt namens Richard Matthews schien ein weiteresMitglied von Shaws Verteidigertruppe zu sein. Er war nichtvor Gericht zugelassen und saß auch nicht am Tisch der Ver-teidigung. Doch Tag für Tag nahm er direkt hinter Shaw in derersten Zuschauerreihe Platz, und gelegentlich sprach er denBeklagten an. Matthews kauerte sich neben Shaws Stuhl nie-der, und sie flüsterten lange miteinander. Dieses Phänomen,das ich noch in keinem Gerichtssaal beobachtet hatte, setztesich über die Dauer des gesamten Prozesses fort.

Ich kannte Matthews aus vergangenen Zeiten, bevor ernach Japan gegangen war. Damals, als er gerade im Begriff

war, seine Kanzlei aufzulösen, hatte ich ihn gefragt, wie erdenn in Japan als Anwalt praktizieren wolle. Seine Antwortwar mir sehr ausweichend erschienen, und ich hatte mich ge-fragt, was er wirklich im Fernen Osten wollte. Nun sah ich ihnplötzlich zum erstenmal seit seiner Abreise wieder. Mir kames seltsam vor, daß er einfach bei diesem Prozeß auftauchteund, offiziell oder inoffiziell, als einer von Shaws wichtigstenBeratern füngierte.

Das Wiedersehen mit Matthews in diesem Zusammenhangwarf ein neues Licht auf seinen geheimnisvollen Umzug nachJapan. Ich hatte keine Beweise, doch mein Instinkt sagte mir,daß dieser Mann für die Central Intelligence Agency gearbei-tet hatte. Sein merkwürdiges Auftreten bei diesem Prozeßführte mich zu der Schlußfolgerung, daß er noch immer fürsie arbeitete. Irgend jemand auf Shaws Seite mußte die Inter-essen der Geheimdienste vertreten.

Obwohl Matthews unmittelbar nach dem Prozeß wiederverschwand und ich ihn nie direkt mit der Agency in Verbin-dung bringen konnte, bestätigte sich Jahre später meine An-nahme, die CIA habe Shaws Verteidigung unterstützt. Als ichin New Orleans die Ermittlungen zum Attentat auf PräsidentKennedy leitete, war Victor Marchetti ein hochrangiges Stabs-mitglied im CIA-Hauptquartier gewesen. In einem Artikel, denMarchetti 1975 im Magazin True3 veröffentlichte, bezog ersich auf die Besorgnis der Agency während des Verfahrensgegen Shaw:

»Ich nahm unter anderem an den morgendlichen Lagebe-sprechungen des Direktors teil, den allmorgendlichen Stabs-konferenzen. Der damalige Direktor war Richard Helms, derjeden Morgen um 9.00 Uhr ein Treffen abhielt, an dem zwölfoder vierzehn seiner führenden Stellvertreter und drei odervier Stabsangehörige teilnahmen - die Stellvertreter der dreiwichtigsten Männer in der Agency sowie der Leiter der Abtei-lung Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Ich machte mir bei die-sen Versammlungen oft Notizen [...], was eigentlich ein reinerWitz ist, da ständig Dinge ausgelassen oder so verschwom-

men formuliert wurden, daß sie völlig bedeutungslos waren.Doch ich erinnere mich, daß der Direktor während des Pro-zesses gegen Clay Shaw mehrmals Fragen stellte wie - Siewissen schon: >Bekommen sie alle erdenkliche Hilfe von uns?<Ich wußte nicht, wer sie waren. Ich wußte aber, daß sie Garri-son nicht mochten, denn sie ließen eine Menge abfälliger Be-merkungen über ihn fallen. Sie sprachen stets in Halbsätzenwie >Da unten läuft alles glatt..., ja ..., aber sprechen Sie nachder Konferenz mit mir darüber...<, oder >Wir diskutieren dasspäter in meinem Büro<. Nach mehreren derartigen Gesprä-chen im Verlauf von ein, zwei Wochen fragte ich mich also,was da los war, warum sie sich solche Sorgen machten. Ichstellte ein paar Fragen [...] und sagte zu einem der damaligenKonferenzteilnehmer: >Weshalb zerbrecht ihr euch den Kopfüber den Prozeß und Shaw?<

Dann erfuhr ich: >Na ja, Shaw [...] war mal vor langer ZeitKontaktmann der Agency. [...] Er war in der Export-Import-Branche [...] und kannte Leute, die in gewissen Gegenden einund aus gingen - der Domestic Contact Service -, er hat sichmit ihnen abgegeben [...], aber dieser Dienst wurde schon vorlanger Zeit eingestellt.. .< Und dann erfuhr ich: >Natürlich willdie Agency nicht, daß das jetzt herauskommt, weil Garrison esverzerrt darstellen und die Öffentlichkeit es mißverstehenwürde.<«4

Selbstverständlich konnten wir damals nicht beweisen,daß Shaw Kontakt mit der Agency hatte, und wir wußten auchnicht, in welchem Ausmaß die Agency ihm »half«. Wir betrie-ben den Prozeß, als hätten wir eine faire Chance, eine Ver-urteilung zu erzielen.

Um die Beziehung zwischen Shaw und Oswald aufzuzei-gen, riefen wir Vernon Bundy in den Zeugenstand.5 Bundyhatte bei der Voruntersuchung ausgesagt, beobachtet zu ha-ben, Lee Oswald und Clay Shaw hätten sich auf dem Kai desLake Pontchartrain getroffen (siehe Kapitel 12). Der rund-gesichtige, ruhige, etwa fünfundzwanzig Jahre alte Schwarzehatte einen Teilzeitjob als Bügler bei der Firma Avondale

Cleaners. Ausgeglichen und beherrscht wiederholte er in allenEinzelheiten die Geschichte, die er schon bei der Anhörungzu Protokoll gegeben hatte: Wie er sich einen Heroinschußsetzte, als er Oswald und Shaw zusammen sah und ihr Ge-spräch mithörte; wie Shaw Oswald Geld gab; wie Oswald eseinsteckte und dabei eines der gelben Flugblätter zu Bodenfiel, in denen er zu Castros Unterstützung aufrief; wie Bundydieses Flugblatt benutzt hatte, um sein Heroinbesteck einzu-wickeln.

Diesmal fügte Bundy jedoch einen unerwartet drama-tischen Auftritt hinzu. Ohne Vorwarnung bat er den Richter,ihm zu gestatten, vorzuführen, wieso er genau wisse, daß erClay Shaw am Seeufer gesehen habe.

»Würden Sie den Herrn dort bitten, ans andere Ende desGerichtssaals zu gehen?« fragte er.

Nach einem Augenblick der Überraschung und des Zö-gerns nickte der Richter zustimmend. Shaw gehorchte undwurde von zwei Gerichtsdienern begleitet.

Bundy verließ den Zeugenstuhl, drehte Shaws Stuhl um,nahm seitlich darauf Platz und schaute zur Tür des Gerichts-saals, an der Shaw stand. »Würde der Herr zu mir kommen?«bat Bundy. Shaw und die Gerichtsdiener gingen los.

»Hier sitze ich mit meinem Löffel auf dem Kai«, sagteBundy. Shaw, der aufgebracht und verwirrt wirkte, schrittdurch den Mittelgang des Gerichtssaals.

Er hatte beobachtet, daß Shaws Fuß beim Gehen zuckte.»So habe ich den Mann identifiziert, als ich ihn beim näch-stenmal sah«, sagte er. *

Alle Anwesenden im Gerichtssaal konnten feststellen, daßder Beklagte leicht humpelte - die Folge, wie er später er-klärte, einer Rückenverletzung, die er sich zugezogen hatte,als er bei der Army eine Lazarettpritsche hochhob.

Richter und Geschworene waren gleichermaßen von Ver-non Bundys Aussage beeindruckt. Ich hatte mit Sicherheitzum erstenmal erlebt, daß ein Zeuge bei einem Prozeß denGerichtssaal übernahm. Ich sollte hinzufügen, daß ich bis zu

dem Augenblick, in dem Bundy mir erzählte, was er gesehenhatte, als Shaw und Lee Oswald sich am Seeufer trafen, keineAhnung gehabt hatte, daß Shaw fast unmerklich hinkte.

Mittlerweile hatten wir die Beziehung zwischen Shaw, Os-wald und Ferrie nachgewiesen, wir hatten nachgewiesen, daßOswald von Shaw heimlich Geld bekommen hatte. Uns hätteauffallen müssen, daß die Dinge einfach zu glatt liefen.

Die Bombe, die unseren Fall in Stücke riß, explodierte kurzdarauf. Und sie trug einen Namen: Charles Spiesei. Der Buch-halter aus New York, den wir verspätet in unsere Zeugenlisteaufgenommen hatten, sagte als nächster aus. Er erklärte, erhabe David Ferrie auf einer Reise nach New Orleans in Laf-fite's Blacksmith Shop im French Quarter kennengelernt. Spä-ter trafen sie Clay Shaw in einem Gebäude in der Nähe der»Dauphine and Esplanade«, wie sich Spiesei erinnerte, wasungefähr Shaws Wohnsitz beschreibt. Nachdem alle in ausge-lassener Stimmung ein paar Gläser getrunken hatten, spra-chen - so Spiesei - Ferrie und Shaw über die Möglichkeit ei-nes Attentats auf John F. Kennedy. Obwohl Spiesei überraschtwar, als das Thema zur Sprache kam, hatten alle so viel ge-trunken, daß ihm ihre Unbedachtsamkeit, ein solches Ge-spräch zu führen, durchaus einsichtig war. Er erinnerte sichan zahlreiche Einzelheiten des Gesprächs zwischen Shaw undFerrie, das sich darum drehte, weshalb Kennedy ermordetwerden sollte und wie man den Mord durchführen könnte.

Beim Kreuzverhör schien der Anwalt der Verteidigungein geradezu unheimliches Gespür dafür zu entwickeln, wel-che Fragen er Spiesei stellen mußte.6 Zuerst erkundigte sichDymond, ob Spiesei sich je öffentlich darüber beklagt habe,man hätte ihn »Hypnose und psychologischer Kriegführung«ausgesetzt. Spiesei erwiderte, er sei in den Jahren zwischen1948 und 1954 in New York, New Jersey und auch währendmehrerer Besuche in New Orleans tatsächlich hypnotisiertworden.

Auf die Frage, wer ihn hypnotisiert habe, sagte Spiesei, daswisse er nicht in jedem Fall. Er fuhr fort, ob Hypnose im Spiel

sei, könne man daran erkennen, »wenn jemand versucht, IhreAufmerksamkeit zu erregen, wenn er Ihnen in die Augensieht. Das ist ein erster Hinweis.«

Daraufhin fragte Dymond, was unter Hypnose geschehe.Spiesei erwiderte: »Man bekommt gewisse Gedanken in denKopf gepflanzt und hat die Illusion, daß diese Gedanken wahrsind.« Er fügte hinzu, er sei »ein ziemlicher Experte« gewor-den und würde sofort bemerken, wenn jemand ihn zu hypno-tisieren versuche.

Im Verlauf des Kreuzverhörs brachte Dymond Spiesels fe-ste Überzeugung an den Tag, die Polizei von New York Cityhabe ihn hypnotisiert, geistig gefoltert und gezwungen, seineLaufbahn als Buchhalter aufzugeben.

»Hatten Sie in letzter Zeit Schwierigkeiten mit einer kom-munistischen Verschwörung?« fragte Dymond. »Werden Sieverfolgt, wird Ihr Telefon abgehört?«

»Na ja«, erwiderte Spiesei zögernd, »in letzter Zeit nichtmehr.«

Dann holte Dymond zum Todesstoß aus. Ob es zutreffe,fragte er, daß Spiesei seiner Tochter die Fingerabdrücke ab-genommen habe, als sie New York verlassen hatte, um an derLouisiana State University zu studieren. Spiesei bestätigtedies.

Daraufhin fragte Dymond, ob es nicht auch zutreffe, daßer seiner Tochter regelmäßig die Fingerabdrücke abnehme,wenn sie in den Semesterferien nach New York zurückkäme.7

Der Zeuge bejahte auch diese Frage.Daraufhin fragte Dymond, warum er ihr die Fingerab-

drücke abnehme. Spiesei erklärte, er wolle sich auf dieseWeise vergewissern, ob die Tochter, die aus Louisiana zurück-kehre, auch die gleiche sei, die er dorthin geschickt habe.

Ich bin mir zwar sicher, daß mein Gesicht keine Besorgniszeigte, doch einen Augenblick lang erfaßte mich Übelkeit. Ichbegriff, daß die verdeckte Operation der Gegenseite so zy-nisch, so ausgeklügelt und gleichzeitig so subtil war, daß siebei ihrem Versuch, einen altmodischen Gerichtsprozeß un-

möglich zu machen, buchstäblich mit Kanonen auf Spatzenschoß.

Unsere einzige Hoffnung war nun, daß unsere nachfolgen-den Zeugen die Erinnerung an Spiesei verdrängen konnten.So riefen wir als nächsten Perry Russo auf8, unseren vielleichtwichtigsten Zeugen. Russo bestätigte im wesentlichen dieAussage, die er bei der Voruntersuchung gemacht hatte (sieheKapitel 12). Doch während des Prozesses war er viel länger imZeugenstand - zwei Tage, und davon die meiste Zeit im Kreuz-verhör. Am Ende blieb Russo jedoch unerschütterlich bei sei-ner Aussage, er habe gesehen, daß sich Clay Shaw und DavidFerrie mit einem jungen Mann namens »Leon Oswald« trafen,um mit ihm in allen Einzelheiten die Ermordung des Prä-sidenten zu besprechen.

Im Verlauf von Dymonds Kreuzverhör kamen Themen zurSprache, die der Journalist James Phelan aufgeworfen hatte(siehe Kapitel 13). Phelan hatte geschrieben - und sagte diesauch später für die Verteidigung aus -, daß es zwischen denbeiden Memoranden, die Andrew Sciambra über seine Ge-spräche mit Russo verfaßt hatte, und Russos Aussage bei derAnhörung, Unterschiede gebe. Russo erwiderte, keines derMemoranden enthielte alle Einzelheiten, die er hätte beisteu-ern können. Doch er habe die Berichte nicht verfaßt, und essei nicht seine Pflicht, sie zu korrigieren. Er setzte hinzu, erhalte das für wichtig, was er gerade unter Eid vor den Ge-schworenen ausgesagt habe. Dann sah er Clay Shaw gerade-wegs an und sagte: »Ich bin absolut sicher, daß sich der Ange-klagte dort befunden hat«, womit er sich auf die Besprechungdes Attentats in Ferries Wohnung bezog.

Phelan hatte mit seiner Behauptung, Russo habe ClayShaw fälschlicherweise identifiziert, einen kleinen Karriere-sprung getan. Mit seiner offensichtlich ehrlichen und nach-drücklichen Aussage hatte der junge Zeuge nun Phelans Be-mühungen völlig zunichte gemacht. Phelan war so unwichtiggeworden, daß wir später, als die Verteidigung ihn als Zeugenaufrief, Andrew Sciambra nicht einmal in den Gerichtssaal

schickten, um ihn ins Kreuzverhör zu nehmen, obwohl Sciam-bra natürlich gerade darauf brannte.

Um den Beweis zu führen, daß der Präsident von mehr alseinem Schützen getroffen worden war und es daher eine Ver-schwörung gegeben haben mußte, riefen wir eine Reihe vonZeugen aus Dallas auf, die gesehen und gehört hatten, daßvon einer Stelle vor der Wagenkolonne des Präsidenten ausSchüsse gefallen waren. William E. Newman, ein junger tech-nischer Zeichner aus Dallas, sagte, er habe nur drei bis fünfMeter von der Limousine entfernt gestanden, als er sah, wieder erste Schuß den Präsidenten von vorne in die Stirn traf.9

Kennedy wurde heftig zurückgeworfen. Die Schüsse, so erin-nerte sich Newman, waren von dem Grashügel direkt hinterseinem Standort gekommen. Seine Aussage wurde von seinerFrau Frances Newman und von James Simmons bestätigt, ei-nem Angestellten der Union Terminal Railway. Außerdem vonMrs. Mary Moorman und von Mrs. Philip Willis.

Richard Randolph Carr, der wegen eines Unfalls im Roll-stuhl saß, reiste trotzdem aus Dallas an und sagte aus, er habeSchüsse vom Grashügel gehört und dann eine Furche gese-hen, die eine Kugel, die die Limousine des Präsidenten ver-fehlt hatte, östlich durch das Gras der Dealey Plaza gezogenhatte.10 Carr war dann zur Feuertreppe des Gebäudes gelau-fen, auf dem er arbeitete, und hatte zufällig beobachtet, wievier Männer aus dem Schulbuchlager liefen. Einer entferntesich zu Fuß, doch die anderen bestiegen einen auf der Hous-ton Street stehenden Nash-Rambler-Kombiwagen und fuhrenin entgegengesetzter Fahrtrichtung davon. Als er diese Ge-schichte dem FBI erzählte, so Carr, hätten die Agenten ihmmitgeteilt, er solle die Klappe halten.

Deputy Sheriff Roger Craig bestätigte einen Teil von CarrsAussage11 und wiederholte unter Eid, er habe gesehen, daßein von einem Latino gelenkter Nash Rambler vor dem Schul-buchlager an der Elm Street anhielt und, bevor er schnell wei-terfuhr (siehe Kapitel 7), einen jungen Mann einsteigen ließ,den er später als Lee Oswald identifizierte.

Danach riefen wir einen Sachverständigen auf, um die offi-zielle Erklärung der Warren-Kommission über die Schuß-verletzungen des Präsidenten zu entmystifizieren. Dr. JohnNichols, außerordentlicher Professor für Pathologie an derUniversity of Kansas, hatte Zapruders Film studiert und Diasvon einzelnen Filmbildern und von Fotos des Attentats herge-stellt. Das Gericht bescheinigte Dr. Nichols, Experte auf demGebiet der Pathologie und forensischen Pathologie zu sein.

Um den Geschworenen zu helfen, Dr. Nichols' Aussage zuverstehen, hatten wir per Gerichtsbeschluß erwirkt, daß unsZapruders Film und einundzwanzig Farbfotos der ZeitschriftLife im Format zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter zurVerfügung gestellt werden mußten.12 Bei dieser Gelegenheitwurde Zapruders Film zum erstenmal, nachdem er vor fünfJahren gedreht worden war, öffentlich vorgeführt. Zwar hattedas FBI der Warren-Kommission eine Kopie des Films über-lassen, doch zwei entscheidende Einzelbilder waren auf ge-heimnisvolle Weise vertauscht worden, um den falschen Ein-druck zu erwecken, der Schuß, der Kennedys Kopf getroffenhatte, sei von hinten abgefeuert worden.13 Die National Ar-chives verfügten ebenfalls über eine Kopie, stellten sie jedochnicht über Fernleihe zur Verfügung, sondern zeigten sie nur inWashington. Es hatte also bis dahin keine echte öffentlicheVorführung von Zapruders Film gegeben. All die Jahre hatteer in einem Tresor des Time-Life-Gebäudes an der Avenue ofthe Americas in New York City gelegen.

Nun bat AI Oser, der die Befragung von Dr. Nichols vor-nahm, das Gericht um Erlaubnis, Zapruders Film vorzufüh-ren. Als die stellvertretenden Staatsanwälte den Projektor unddie Leinwand aufbauten, drängten sich die Zuschauer inScharen von einer Seite des Gerichtssaals zur anderen, um dieerste »öffentliche Vorführung« der bewegten Bilder vom Toddes Präsidenten zu sehen. Der Film, der in schrecklichen Ein-zelheiten eindeutig zeigt, wie Präsident Kennedy von dem töd-lichen Schuß getroffen wird, wurde immer wieder gezeigt, bisjeder Geschworene verstanden hatte, was geschehen war. Da-

nach bat Oser Dr. Nichols um seine sachverständige Aussage,aus welcher Richtung der Schuß gekommen sei.

»Nachdem ich mir die Dias, Fotos und Zapruders Film an-gesehen habe«, sagte Dr. Nichols, »bin ich zu dem Schluß ge-langt, daß sie einen von vorne kommenden Schuß zeigen.«

Dr. Nichols sagte weiter aus, der Präsident sei nicht nurvon vorne, sondern auch von hinten getroffen worden. Mit fürLaien verständlichen Worten beschrieb Dr. Nichols genau,daß die von hinten kommenden Kugeln aus verschiedenenRichtungen in Kennedys Körper eingedrungen waren, was be-deutete, daß Schützen von zwei unterschiedlichen Standortenaus auf ihn geschossen haben mußten.

Wir hofften, Dr. Nichols' Aussage würde den Geschwore-nen ein für allemal begreiflich machen, daß die offizielle Ge-schichte der Warren-Kommission, derzufolge die sieben Ein-und Austrittsverletzungen bei Präsident Kennedy und JohnConnally, dem Gouverneur von Texas, von einer einzigen Ku-gel stammten, überhaupt nicht den Tatsachen entsprach. DieRegierung hatte sich der offiziellen Darstellung angeschlos-sen, die als »Zauberkugel-Theorie« bekannt werden sollte,nachdem man aufgrund von Zapruders Film einen maxima-len Zeitraum von 5,6 Sekunden für die Schüsse bestimmenkonnte.14 Da die Regierung bereits eingestanden hatte, daßeine Kugel ihr Ziel verfehlt hatte15 - einer ihrer Splitter trafden Zuschauer James Tague in die Wange - und eine zweiteKugel den Präsidenten in den Kopf getroffen und seinen Schä-del zerschmettert hatte, mußte die dritte, die »Zauberkugel«,das Kommissions-Beweisstück Nummer 399, als Erklärungfür die restlichen sieben Verletzungen bei Kennedy und Con-nally herhalten.

Der Regierungsschilderung zufolge erklären sich die sie-ben Verletzungen wie folgt16:

Die Kugel drang in einem Winkel von etwa siebzehn Gradnach unten in den Hals oder Nacken des Präsidenten ein(Verletzung i). Dann bewegte sie sich nach oben und verließKennedys Körper durch seine Kehle (Verletzung 2). Sie drang

hinten in Connallys rechte Achsel ein (Verletzung 3). Da derGouverneur Connally direkt vor Präsident Kennedy saß, mußman davon ausgehen, daß die Kugel irgendwie weit genugnach rechts geriet, um dann in Connally einzuschlagen. Nunwurde die Kugel in einem Winkel von siebenundzwanzig Gradabgelenkt, zertrümmerte Connallys fünfte Rippe und trat ausseiner rechten Brustseite aus (Verletzung 4). Die Kugel senktesich weiter, schlug in Connallys rechtes Handgelenk ein (Ver-letzung 5) und zerschmetterte den Speichenknochen. Nach-dem sie aus der anderen Seite des rechten Handgelenks desGouverneurs ausgetreten war (Verletzung 6), drang sie inseinen linken Oberschenkel ein (Verletzung 7), aus dem siespäter herausfiel.

Der offiziellen Darstellung nach wurde diese Kugel späterin fast einwandfreiem Zustand auf einem Gang des ParklandHospital gefunden17, nachdem sie offenbar von einer Pritschegefallen war.18 Die Kugel war fast makellos und nur am unter-sten Teil leicht verformt. Seltsamerweise wurden mehr Split-ter in Gouverneur Connallys Handgelenk gefunden, als an derKugel, Beweisstück Nummer 399, fehlten/9

Wir baten Dr. Nichols nicht, die Theorie von der Zauber-kugel mit einem Haufen Fachjargon abzutun. Er sollte die Ge-schworenen lediglich darauf hinweisen, daß diese Erklärung,die für das Einzeltäter-Szenario der Regierung von wesent-licher Bedeutung war, sowohl gegen die Gesetze der Physik alsauch gegen die des gesunden Menschenverstandes verstieß.Unsere Strategie war einfach: Sobald die Geschworenen ak-zeptiert hatten, daß die Zauberkugel auf keinen Fall alle sie-ben Verletzungen bei Präsident Kennedy und GouverneurConnally verursacht haben konnte, mußten sie daraus schlie-ßen, daß es einen zweiten Schützen - und damit eine Ver-schwörung gegeben hatte.

Die Reaktion der Geschworenen zeigte mir, daß unserePräsentation der Beweise für eine Verschwörung in Dallaseinen tiefen Eindruck hinterlassen hatte. Ich wußte nicht, obwir uns je ganz von dem Spiesel-Kreuzverhör erholen konn-

ten, doch nun mußten wir uns daranmachen, Shaw mit derVerschwörung von Dallas in Zusammenhang zu bringen.

Ob uns dies gelang, hing größtenteils davon ab, ob derdicke Hippie-Anwalt Dean Andrews eingestanden hatte, einenAnruf »Clay Bertrands« mit der Aufforderung entgegenge-nommen zu haben, Lee Oswald in Dallas zu vertreten. Wirhofften, daß sich die Stücke des Puzzles in der Vorstellung derGeschworenen zusammenfügen würden, wenn wir überzeu-gende Beweise vorlegen konnten, daß »Clay Bertrand« inWirklichkeit Clay Shaw war. Und so riefen wir als nächsteZeugin Mrs. Jesse Parker20 auf, die Hosteß aus dem VIP-Raumdes New Orleans International Airport. Sie sagte aus, imDezember 1966 gesehen zu haben, daß Clay Shaw sich imGästebuch als »Clay Bertrand« eintrug. Nachdem Mrs. Parkerden Vorfall beschrieben hatte, suchte sie die Unterschrift imGästebuch heraus und deutete dann auf Shaw als den Mann,der sie dort geleistet hatte.

Dann riefen wir Mrs. Elizabeth McCarthy21 auf, eine Hand-schriftenexpertin aus Boston, die »Clay Bertrands« Unter-schrift im Gästebuch des VIP-Raumes analysiert hatte. Ichfragte sie, ob sie in bezug auf diese Unterschrift zu einerSchlußfolgerung gekommen sei. »Meines Erachtens«, erwi-derte sie, »ist es sehr wahrscheinlich, daß diese Unterschriftvon Clay Shaw stammt.«

Um uns ein dramatisches Finale zu verschaffen, hatten wirals letzten Zeugen den Police Officer Aloysius Habighorst ausNew Orleans vorgesehen. Er war der Beamte, der Clay Shawins Gefängnis eingewiesen hatte, nachdem wir ihn verhaftethatten (siehe Kapitel u). Habighorst hatte Shaw routinemä-ßig gefragt, ob er ein Pseudonym benutze, und Shaw hatte,von der Verhaftung anscheinend sehr mitgenommen, »ClayBertrand« geantwortet. Das war natürlich eines der wichtig-sten Beweisstücke unseres Falles, da es von Shaw selbst kamund ihn in eine direkte Verbindung zu dem Anruf bei DeanAndrews und der Bitte brachte, Oswald in Dallas zu vertreten.

Wir wiesen den Gerichtsdiener an, Officer Habighorst auf-

zurufen. Doch bevor Habighorst in den Zeugenstand tretenkonnte, befahl Richter Haggerty plötzlich den Geschworenen,den Saal zu verlassen. Dann informierte er Jim Alcock, derden Zeugen befragen sollte, daß er die von Shaw unterschrie-bene Karte mit den Fingerabdrücken, auf der in dem für»Decknamen« vorgesehenen Feld maschinenschriftlich derName »Clay Bertrand« eingetragen war, als Beweismittelnicht zulassen würde.22 Außerdem, fuhr Haggerty fort,glaube er Officer Habighorst sowieso nicht, was immer erauch aussage.

Alcock lief knallrot an, sprang auf und protestierte gegendie richterliche Entscheidung und den unglaublichen Kom-mentar über Habighorst. Haggerty erwiderte, Shaw sei einesverfassungsmäßigen Rechts beraubt worden, als er - ohnedaß ein Anwalt anwesend war - im Polizeigefängnis gefragtworden war, ob er einen Decknamen führe.

Seit urdenklichen Zeiten gehört diese Frage zur Einwei-sungsroutine. Die Verfassung verlangt nicht, daß bei der Ein-lieferung ins Polizeigefängnis bei einer routinemäßigen Befra-gung ein Anwalt anwesend sein muß. Das war damals nichtgesetzlich vorgeschrieben, und ist es auch heute nicht. DochRichter Haggerty beugte das Gesetz vor unseren Augen.

Alcock erklärte daraufhin, er werde beim Obersten Ge-richtshof von Louisiana eine Verfügung beantragen23, dochich wußte, daß dies eine vergebliche Geste war. Zu jener Zeiterließen in Louisiana die Berufungsgerichte bei laufendenProzessen nie solche Verfügungen.

Damit war die Beweisführung des Staates im Verfahren ge-gen Clay Shaw praktisch beendet. Der Richter kündigte einePause an, nach der die Verteidigung ihre Sicht präsentierenwürde. Als wir den Gerichtssaal verließen, warf ich einenBlick durch die riesigen Fenster, die zur Abwechslung geöffnetwaren. Ein Gefühl von Trauer überkam mich. Ich malte mir aus,wie unser Fall wie ein riesiger Vogel mit träge schlagendenSchwingen durch die geöffneten Fenster ins Blaue hinausflog.

Steht ein Geschäftsmann vor Gericht, fahren die Anwälte derVerteidigung als erstes fast immer Zeugen auf, die den hervor-ragenden Ruf ihres Klienten in seiner Heimatstadt belegensollen. Damit wollen sie in den Köpfen der Geschworenen denEindruck erwecken, daß die Anklagevertretung - ob aus Bos-heit oder aus Versehen - einen schrecklichen Fehler began-gen und den Falschen angeklagt hat.

So überraschte es nicht, daß Shaws Anwälte mit einerReihe von Zeugen begannen, die seine Reputation bestätigten.Danach folgten weitere Zeugen, die verschiedene Punkte wi-derlegen sollten, die die Anklage aufgeführt hatte, darunterauch Dean Andrews, der aussagte, Shaw sei nicht der »ClayBertrand«, der ihn angerufen und gebeten habe, Lee Oswaldin Dallas zu verteidigen.24

Ich verzichte hier darauf, die ganze Litanei wiederzuge-ben, und konzentriere mich statt dessen auf die Aussage derbeiden wichtigsten Zeugen der Verteidigung. Der erste warLieutenant Colonel Pierre Finck, einer der drei Pathologen,die an der vom Militär durchgeführten Autopsie PräsidentKennedys im Marinekrankenhaus Bethesda in Maryland teil-genommen hatten.

Die Autopsie war in mehrfacher Hinsicht so schlechtdurchgeführt worden, daß wir uns vor dem Prozeß gefragthatten, ob die Verteidigung einen der Pathologen dem Risikoeines Kreuzverhörs im Gerichtssaal aussetzen würde. Zu-nächst hätte die Leiche nach texanischem Recht gar nicht ausder Stadt gebracht werden dürfen, bevor nicht ein Pathologeeine Autopsie in der Leichenhalle von Dallas durchgeführthatte.25 Beamte des Staates Texas hatten den Secret Servicedavon in Kenntnis gesetzt, als die Leiche in einen Kranken-wagen gelegt wurde. Doch statt zur Leichenhalle zu fahren,hatte der Secret Service den Toten zum Flughafen gebracht,wo er in die Air Force One verladen und zum Marinekranken-haus Bethesda geflogen wurde.

Zweitens hatten schon die zivilen Ärzte im Parkland Hospi-tal die Wunde in Kennedys Kehle als Eintrittsverletzung einer

Kugel diagnostiziert, doch die drei Militärpathologen unter-suchten sie nicht, wie es üblich gewesen wäre, um die Kugelzu finden oder den Weg nachzuvollziehen, den sie genommenhatte.26

Drittens waren während der Autopsie fünfzehn bis zwan-zig Fotos und Röntgenbilder von Präsident Kennedys Leichegemacht und Agent Roy H. Kellerman vom Secret Serviceübergeben worden; trotzdem hatte die Warren-Kommissionkeine einzige dieser Aufnahmen je untersucht.27 Statt dessenließ der Chefpathologe, Commander James Humes, für dieKommission Bilder der verschiedenen Autopsieteile vonZeichnern anfertigen. Nicht einmal die Zeichner durften dieFotos und Röntgenbilder sehen. Sie zeichneten ihre Bildernach den mündlichen Angaben der Pathologen.28 Undschließlich hatte Commander Humes nach eigenem Einge-ständnis29 am Sonntag, dem 24. November 1963, seine ge-samten Autopsienotizen verbrannt.30

Wir wußten natürlich, daß die Verteidigung CommanderHumes nach dem, was er sich geleistet hatte, kaum als Zeu-gen aufrufen konnte. Damit blieben Dr. J. Thornton Boswellund Lieutenant Colonel Finck übrig. Die Verteidigung ent-schied sich für Finck, der seltsamerweise auch an der Autop-sie von Präsident Kennedys jüngerem Bruder Robert nachdessen Ermordung am 6. Juni 1968 teilgenommen hatte.31

Bei der Prozeßvorbereitung hatten wir alle zur Verfügungstehenden Informationen über die Verletzungen des Prä-sidenten gründlich geprüft. Wir waren darauf vorbereitet,Dr. Finck ins Kreuzverhör zu nehmen, doch wußten wir imvoraus nicht genau, welche Position er vertreten würde.

Wegen sich widersprechender Beweise gab es zwei ver-schiedene offizielle Erklärungen, wo Kennedy von hinten ge-troffen worden war.32 Die eine, die auf der Aussage von Se-cret-Service-Agenten basierte, die sich während des Attentatsin unmittelbarer Nähe des Präsidenten befunden hatten, aberauch von FBI-Agenten, die der Autopsie beiwohnten, plaziertedie hinteren Verletzungen etwa zehn Zentimeter unterhalb

der Kragenlinie und etwa fünf Zentimeter rechts des Rück-grats. Für diese Erklärung sprachen auch eindeutig KennedysHemd und Jacke, die beide etwa zehn Zentimeter unter derKragenlinie Einschußlöcher aufwiesen.

Die andere offizielle Erklärung, die von der Regierung mitähnlicher Ernsthaftigkeit vertreten wurde, besagte, PräsidentKennedy sei von der von hinten kommenden Kugel in denHals getroffen worden. Diese Hypothese plazierte die Verlet-zungen nicht nur fast fünfzehn Zentimeter über den Ein-schußlöchern in Hemd und Jacke des Präsidenten, die, wiebehauptet wurde, an seinem Rücken hochgerutscht sein muß-ten, sondern stand auch in direktem Gegensatz zur vorheri-gen Erklärung. Die zweite Position stimmte aber eher mit derangeblichen Schußverletzung vorne im Hals überein, da siezumindest nicht verlangte, daß diese Kugel nach oben gewan-dert sein mußte, nachdem sie in einem Winkel von siebzehnGrad heruntergekommen war. Doch sie warf andere Problemeauf: Es war nie ein Foto veröffentlicht worden, das eine Ein-schußwunde hinten im Hals zeigte. Überdies entsprach, wiedie Löcher in den Kleidungsstücken ergaben, die Größe der»Eintrittswunde« praktisch genau der der »Austrittswunde«unterhalb des Adamsapfels. Da Austrittswunden unweiger-lich größer sind als Eintrittswunden, ergab dies keinen Sinn.

Wir lauschten aufmerksam Dr. Fincks Erwiderung33 aufdie Fragen Irvin Dymonds, um festzustellen, welche Theorieer vertrat. Dr. Finck saß kerzengerade da und sprach mitgroßer Exaktheit. Ich konnte mir vorstellen, daß sein Schreib-tisch wahrscheinlich perfekt aufgeräumt war; keine unerle-digte Korrespondenz, kein überflüssiger Kram verdeckte dieglänzende Nußbaumplatte. Er war offenbar überaus penibel,was sich auch in seiner Angewohnheit verriet, medizinischeFachbegriffe zu buchstabieren, nachdem er sie ausgespro-chen hatte - anscheinend ein Relikt seiner Lehrpraxis.

Wie sich herausstellte, war Dr. Finck als Vertreter des»Hinten-im-Hals«-Eintritts aus Washington angereist. ImPrinzip sagte er aus, die Autopsie unterstütze stark die Wahr-

scheinlichkeit, daß der Präsident von einem Einzeltäter getö-tet worden sei, der von hinten auf ihn geschossen habe. Dererste Schuß habe Kennedy in den Hals getroffen, der zweite,der ihn getötet habe, in den Hinterkopf. Im Verlauf der Aus-sage wurde deutlich, daß er den Begriff »Hinterkopf« im wei-testmöglichen Sinne des Wortes benutzte und damit auch je-nen Teil des Rückens meinte, der von der Schulter in den Halsübergeht.

Ich warf einen Blick auf Oser, um mich davon zu überzeu-gen, daß er bereit war. Er nickte grimmig. Oser war eingroßer, schlanker junger Mann mit blauen Augen und blon-dem Haar. Sein Vater war seit Jahren Richter an diesem Be-zirksgericht, und vom ersten Tag seines Jurastudiums an wares Osers Ziel gewesen, als Anwalt vor Gericht zu gehen. Zuseinen zahlreichen guten Eigenschaften als Prozeßanwalt ge-hörte auch, wie Dr. Finck noch herausfinden sollte, die Fähig-keit, beim Kreuzverhör wie eine Schnappschildkröte zuzubei-ßen.Als Oser zum Zeugenstand schritt, begrüßte er Dr. Finck

mit einem freundlichen Lächeln, doch schon ein paar Minuten später hatte er den Autopsie-Pathologen in die Enge getrie- ben. Da Dr. Finck die Theorie vertrat, die Eintrittswunde be- fände sich hinten im Hals, kam Oser schnell auf die Frage zu sprechen, ob die Halsverletzung bei der Autopsie untersucht worden sei. Als Dr. Finck verneinte, setzte Oser den Bohrer an: »DR. FINCK: Darf ich Sie daran erinnern, daß ich dieseAutopsie nicht geleitet habe? Ich wurde lediglich hinzuge-zogen. ..

MR. OSER: Sie waren aber Mitverfasser des [Autopsie-]Be-richts, nicht wahr, Herr Doktor?

DR. FINCK: Moment mal! Ich wurde als Berater hinzugezo-gen, um mir die Verletzungen anzusehen; das bedeutet nicht,daß ich die Untersuchung geleitet habe.

MR. OSER: Hat Dr. Humes die Untersuchung geleitet?DR. FINCK: Nun, ich hörte, daß Dr. Humes sagte, daß... Er

sagte >Wer hat die Leitung?<, und ich hörte, daß ein Army-

general, ich erinnere mich nicht mehr an seinen Namen, sagte:>Ich.< Sie müssen verstehen, daß es sich dabei um Offizieredes Militärs handelte, um Militärpersonal mit unterschied-lichem Rang, und man mußte die Operation den Anweisungenentsprechend koordinieren.

MR. OSER: Aber Sie waren einer der drei ausgebildetenPathologen, die am Autopsietisch standen, nicht wahr, HerrDoktor?

DR. FINCK: Ja.MR. OSER: War dieser Armygeneral ein ausgebildeter Pa-

thologe?DR. FINCK: Nein.MR. OSER: War er Arzt?DR. FINCK: Nein, meines Wissens nicht.MR. OSER: Können Sie mir seinen Namen nennen, Colo-

nel?DR. FINCK: Nein, kann ich nicht. Ich erinnere mich nicht.MR. OSER: Haben Sie zufällig die Fotos und Röntgenauf-

nahmen bei sich, die bei der Autopsie und kurz darauf vonPräsident Kennedys Leiche gemacht wurden? Haben Sie sie?

DR. FINCK: Ich habe keine Röntgenaufnahmen oder Fotosvon Präsident Kennedys Leiche bei mir.«

Natürlich hatte er keine Röntgenaufnahmen oder Fotosvon Präsident Kennedy dabei. Unser Pathologie-Sachverstän-diger, Dr. Nichols, hatte die Regierung gebeten, Einsicht in dieRöntgenaufnahmen und Fotos von Präsident Kennedys Aut-opsie nehmen zu dürfen, doch seine Gesuche waren ab-gelehnt worden.34 Dr. Nichols hatte auch ausgesagt, er habegebeten, die Limousine sehen zu dürfen, in der PräsidentKennedy gesessen hatte, und die Regierung habe auch diesesGesuch zurückgewiesen.35

Oser kam nun darauf zu sprechen, wer die Autopsie gelei-tet hatte, eine Frage, die mich schon seit langem interessierte.

»MR. OSER: Welches Militärpersonal war sonst noch imAutopsieraum anwesend?

DR. FINCK: Der Autopsieraum war ziemlich voll. Es ist ein

kleiner Autopsieraum, und wenn man unter solchen Umstän-den hinzugezogen wird und sich die Verletzungen des Präsi-denten der Vereinigten Staaten ansehen soll, der ermordetwurde, dann schaut man sich nicht um und fragt die Leutenach ihrem Namen oder schreibt sich auf, wer und wie vielees waren. Ich habe es jedenfalls nicht getan. Der Raum warvoller Militär, Zivilpersonal und Bundesagenten, Agenten desSecret Service und des FBI, die die Autopsie teilweise beob-achtet haben, aber ich kann ihnen keine genaue Schätzungder Zahl der Anwesenden in diesem Autopsieraum im Mari-nekrankenhaus Bethesda geben.

MR. OSER: Colonel, hatten Sie das Gefühl, daß Sie Befehledes Armygenerals entgegennehmen mußten, der die Autopsieleitete?

DR. FINCK: Nein, denn es waren auch andere da; es warenAdmirale da.

MR. OSER: Es waren Admirale da?DR. FINCK: Oh, ja, es waren Admirale da, und wenn man

Lieutenant Colonel in der Army ist, befolgt man nur Befehle.Am Ende der Autopsie wurde uns ausdrücklich gesagt — icherinnere mich, daß Admiral Kinney, der Marinechirurg, aus-drücklich gesagt hat, diese Autopsie unterliege der Geheim-haltung -, wir dürften nicht über diesen Fall sprechen.

MR. OSER: Hatten Sie Gelegenheit, den Weg der Kugel imKörper des Opfers zu verfolgen, als der Leichnam auf demAutopsietisch lag?

DR. FINCK: Ich habe die Verletzung im Hals nicht unter-sucht.

MR. OSER: Warum nicht?DR. FINCK: Das führt zur Enthüllung medizinischer Unter-

lagen.MR. OSER: Euer Ehren, ich hätte gern eine Antwort des

Zeugen und bitte das Gericht, ihn anzuweisen, sie mir zu ge-ben.

DAS GERICHT: Das ist richtig. Sie müssen antworten, HerrDoktor ,

DR. FINCK: Wir haben die Organe des Halses nicht ent-fernt.

MR. OSER: Warum nicht?DR. FINCK: Da man uns gesagt hat, wir sollten die Kopfver-

letzungen untersuchen und...MR. OSER: Soll das heißen, jemand hat Ihnen gesagt, Sie

sollen den Hals nicht untersuchen?DAS GERICHT: Lassen Sie ihn seine Antwort beenden.DR. FINCK: Wie ich mich erinnere, hat man mir gesagt, die

Familie wolle eine Untersuchung des Kopfes, ja richtig, desKopfes und der Brust. Doch wenn ich mich recht erinnere, ha-ben die Prosektoren36 bei dieser Autopsie die Organe des Hal-ses nicht entfernt.

MR. OSER: Sie haben gesagt, Sie hätten sie nicht entfernt.Ich möchte wissen, warum Sie als Pathologe bei einer Autop-sie nicht versucht haben, den Weg einer Kugel durch eineLeiche, die vor Ihnen auf dem Autopsietisch lag, festzustellen,um die Todesursache oder die Todesursachen zu bestimmen.Warum nicht?

DR. FINCK: Die Todesursache war mir bekannt.MR. OSER: Warum haben Sie nicht untersucht, welchen

Weg die Kugel durch den Körper genommen hat?DR. FINCK: Wie ich mich erinnere, habe ich die Organe

nicht aus dem Hals entfernt.MR. OSER: Ich habe Sie nicht verstanden.DR. FINCK: Ich habe die Verletzung untersucht, aber die

Organe nicht aus dem Hals entfernt.MR. OSER: Sie sagen, Sie haben die Organe nicht entfernt?

Ich frage Sie, warum Sie als Pathologe das nicht getan haben?DR. FINCK: Wie ich mich erinnere, habe ich mir die Luft-

röhre angesehen, und die Luftröhre war verletzt, aber ichhabe diese Organe nicht anatomisch zerlegt oder entfernt.

MR. OSER: Euer Ehren, ich möchte Sie bitten, den Zeugenanzuweisen, meine Frage zu beantworten. Ich werde Ihnendie Frage noch einmal stellen: Warum haben Sie nicht denWeg der Kugel untersucht, die die Schußverletzung verur-

sachte, die Sie hier und heute beschrieben haben und die Siezur Zeit der Autopsie sahen, als Sie die Leiche untersuchten?Warum nicht? Ich bitte Sie, die Frage zu beantworten.

DR. FINCK: Wie ich mich erinnere, hat man mir gesagt, ichsolle diese Verletzung nicht untersuchen, aber ich kann michnicht daran erinnern, wer dies gesagt hat.«37

Es überraschte uns nicht, daß die routinemäßige Unter-suchung des Halses nicht durchgeführt worden war. Doch esüberraschte uns, daß offenbar ein General der Army diesenBefehl gegeben hatte, der kein Arzt war, und daß ein Admiralden Ärzten befohlen hatte, nicht über die Autopsie zu reden.

Noch schockierender war für mich der nächste wichtigeZeuge der Verteidigung. Ich saß neben Jim Alcock am Tischder Anklage und zündete gerade meine Pfeife an, als ichhörte, daß Irvin Dymond sagte: »Clay Shaw.« Die Pfeife fielmir fast aus dem Mund. Ich war im Leben nie erstaunter ge-wesen. Shaw brauchte nicht auszusagen, denn niemand kanngezwungen werden, gegen sich selbst auszusagen. Und dochmußte ihm mittlerweile klar sein, daß wir einen Zeugen nachdem anderen aufgetrieben hatten, der Auskunft über seineBeziehung zu David Ferrie und Lee Oswald geben konnte, unddaß wir ihn, sobald er den Zeugenstand erst einmal betretenhatte, ausführlich ins Kreuzverhör nehmen würden.38

Vielleicht waren Shaws Anwälte zu zuversichtlich, nach-dem Spiesei ausgesagt hatte, er nähme seiner Tochter die Fin-gerabdrücke ab, und nachdem der Richter die von Shaw un-terschriebene Karte mit dem Decknamen »Clay Bertrand« alsBeweismittel nicht zugelassen hatte. Vielleicht beharrte aberauch Shaw darauf, um sein ohnehin schon strahlendes Imagein der Öffentlichkeit noch ein wenig mehr aufzupolieren. Aufjeden Fall betrat er den Zeugenstand und sagte - unter Eid -aus, er habe Oswald nie gekannt, nie den Decknamen ClayBertrand benutzt und nie Dean Andrews angerufen. Am er-staunlichsten war, daß er auch behauptete, David Ferrie nie-mals getroffen zu haben.

Normalerweise hätte Shaw sich uns mit diesem Fehler als

Geschenkverpackung mit Schleifchen für die nächste Strafver-folgung wegen Meineids ausgeliefert. Und er hätte im aktuel-len Fall seiner Glaubwürdigkeit beträchtlichen Schaden zuge-fügt, denn zahlreiche Zeugen hatten bestätigt, ihn zusammenmit Ferrie gesehen zu haben. Doch es handelte sich nicht umeinen normalen Fall, und mittlerweile war klar, daß kein Ge-schworenengericht ein äußerst angesehenes, prominentesund führendes Gemeindemitglied einer Mordverschwörungfür schuldig befinden würde, besonders dann nicht, nachdemsich ein Zeuge der Anklage auf unvergeßliche Weise als echterVerrückter erwiesen hatte.

Am frühen Samstagmorgen, dem i. März 1969, kurz nachMitternacht, betraten die Geschworenen den Gerichtssaalund erklärten, sie hätten Clay Shaw für nicht schuldig befun-den. Ich war auf dieses unausweichliche Urteil vorbereitetund reagierte gefühlsmäßig kaum darauf. Ich war noch im-mer der festen Überzeugung, daß Shaw an der Verschwörungzur Ermordung des Präsidenten teilgenommen und in ersterLinie die Aufgabe erfüllt hatte, Lee Oswald als Sündenbockaufzubauen. Aber ich empfand Shaw gegenüber keine Rache-gelüste. Ich verabscheute ihn nicht einmal. Er hatte seine Auf-gabe als Mitglied der Geheimdienstwelt so ausgeführt, wie ichdie meine als gewählter Repräsentant der Bürger von NewOrleans.

Nach dem Urteilsspruch befragte Mark Lane die Geschwo-renen39, ein Vorgehen, das in Louisiana erlaubt ist. Ihre Ant-worten wiesen darauf hin, daß sie bei Shaw kein Motiv er-kannt hätten, sich an einer Verschwörung zur ErmordungKennedys zu beteiligen, zumal er seine Bewunderung für denPräsidenten öffentlich immer eingestanden hatte. Das über-raschte mich nicht. Ich hatte von Anfang an gewußt, daß esuns nicht gelingen würde, Shaws Motive offenzulegen, undwar davon überzeugt, daß diese Motive auf seiner Vergangen-heit als CIA-Mitarbeiter und dem Verlangen beruhten - dasder harte Kern der kalten Krieger in Geheimdienstkreisen

übrigens mit ihm teilte -, Kennedys Versuch zu stoppen, dieamerikanische Außenpolitik zu ändern. Doch zur Zeit desProzesses gab die CIA nicht zu, daß Shaw etwas mit ihr zu tunhatte, und ich hatte auch keine unabhängigen Beweise dafür,so daß ich nicht einmal seine möglichen Motive andeutenkonnte. Erst sehr viel später entdeckte ich in der italienischenund kanadischen Presse Artikel über Shaws Rolle beim CentroMondiale Commerciale und der Permindex (siehe Kapitel 6).Und erst 1975 sprach Victor Marchetti über die Besorgnis, diedie Agency um Shaw an den Tag legte, und erst 1979 gestandRichard Helms, 1963 stellvertretender CIA-Planungsdirektor(für verdeckte Operationen), unter Eid, daß es Verbindungenzwischen Shaw und der Agency gegeben hatte.

Bei einem Prozeß im Jahre 1979 wurde Helms gefragt, ober Clay Shaw kenne. Er antwortete unter Eid40:

»Ich erinnere mich, was Clay Shaw und die Agency betrifft,nur, daß er wohl früher als Geschäftsmann ein Teilzeitkontaktder Domestic Contact Division war, einer jener Leute, die mitGeschäftsleuten, Professoren und so weiter reden und im gan-zen Land hin- und herreisen.«

In einem späteren Prozeß41 im Jahre 1984 wurde dieseAntwort Helms vorgelesen, und er wurde gefragt: »ErinnernSie sich, diese Aussage am 17. Mai 1979 unter Eid gemacht zuhaben?« Er erwiderte: »Wenn dort steht, daß ich sie unter Eidgeleistet habe, wird es wohl stimmen.« Helms gestand auchein, daß er in seiner Amtszeit als Direktor der Agency dieseTatsache öffentlich geleugnet hatte.

Hätten die Geschworenen von Shaws Verbindungen zurAgency gewußt, wäre das Urteil vielleicht anders ausgefallen.Doch auch so räumte jeder von Lane befragte Geschworeneein, die Anklage habe bewiesen, Präsident Kennedy sei auf-grund einer Verschwörung ermordet worden. Die Geschwore-nen hatten Shaw als Person freigesprochen, jedoch die Lügeder Bundesregierung über das Attentat nicht akzeptiert.

Die überregionale Presse bezeichnete das Urteil trotzdemals vollständige Ehrenrettung der Warren-Kommission. Na-

türlich hatten die Geschworenen in New Orleans nur Beweiseüber einen kleinen Eckpfeiler eines zwangsläufig viel größe-ren Gebildes zu hören bekommen. Überdies war lediglich einePerson unter Anklage gestellt worden, deren Mitwirkung mar-ginal gewesen war. Doch das spielte keine Rolle. In diesem Au-genblick war der Mythos vom Einzeltäter wieder auferstan-den. Er saß, mit dem Rouge des Bestattungsunternehmers aufden Wangen, neben dem Fenster und schaukelte sanft vorsich hin.

In New Orleans konnte man die Reaktion der Times-Pi-cayune und des States-Item am ehesten mit zurückhaltenderFreude umschreiben. Im Gegensatz zu ihrer überregionalenKonkurrenz hatten die örtlichen Medien die ganze Zeit übergewußt, daß wir eine erstklassige Staatsanwaltschaft waren,so daß sie sich von den Beschuldigungen, wir hätten Zeugen»brutal« behandelt, gar nicht erst blenden ließen.

Trotzdem forderte die örtliche Presse meinen Rücktritt. Ineinem Leitartikel des Chefredakteurs auf der Titelseite desStates-Item vom i. März 1969 hieß es:

»Bezirksstaatsanwalt Jim Garrison sollte zurücktreten. Erhat sich als unfähig erwiesen, das Amt des Bezirksstaats-anwalts oder irgendein anderes Amt zu führen.

Mr. Garrison hat die gewaltigen Machtbefugnisse seinesAmtes mißbraucht und nicht das Gesetz gehütet, sondern per-vertiert. Sein Verfahren gegen Clay L. Shaw war eine Verdre-hung des Rechtswesens, wie wir sie noch nicht sehr oft erlebthaben. [...]

Clay L. Shaw wurde freigesprochen, doch der Schaden,den Mr. Garrisons Hexenjagd seinem Ruf zugefügt hat, läßtsich vielleicht nie wieder reparieren. Es ist eine Schande.Diese Travestie von Gerechtigkeit stößt alle anständigen Men-schen ab und darf nicht unbeantwortet bleiben. Mr. Garrisonsollte persönlich auf die Anklagebank gebracht werden undsich dort für sein Verhalten verantworten.«

Am nächsten Tag besagte der etwas milder gehaltene Leit-artikel der Times-Picayune mehr oder weniger dasselbe. Wie

sich zeigte, handelte es sich hierbei lediglich um die erstenvon zahlreichen Rücktrittsforderungen seitens der Lokal-presse. Aber ich wollte nicht zurücktreten, nur weil ich meinePflicht getan hatte.

Für mich war der nächste Schritt klar. Obwohl Clay Shaweinen Fall gewonnen hatte, hatte er damit nur die Vorausset-zungen für einen besseren geschaffen. Am Montagmorgen,dem 3. März, erhob ich gegen Shaw Anklage wegen Meineids.Ich beschuldigte ihn insbesondere, unter Eid ausgesagt zu ha-ben, David Ferrie nie begegnet zu sein. In Wirklichkeit hatteShaw Ferrie nicht nur gekannt, sondern war häufig in seinerGesellschaft beobachtet worden. Wir verfügten über mehrZeugen, um diesen eindeutigen Meineidfall beweisen zu kön-nen, als ich als Bezirksstaatsanwalt bei jedem anderen Fallgehabt hatte.

Wäre es nach mir gegangen, hätte ich die Sache ein für al-lemal auf sich beruhen lassen. Am Morgen des vergangenenSamstag hatten die Geschworenen mir eine große Last vonden Schultern genommen. Und um die Wahrheit zu sagen, ichwar es leid, mit der Regierung einen Tanz aufzuführen, mit ih-rer geistlosen Geheimdienst-Maschinerie und den unzähligenJournalisten-Bataillonen, die mithalfen, die Täuschung deramerikanischen Öffentlichkeit über den Kennedy-Mord auf-rechtzuerhalten .

Doch ich hatte keine Wahl. Die Entscheidung wurde miraus der Hand genommen, nachdem Shaw in den Zeugenstandgetreten war und - im Gegensatz zu den zahlreichen Aus-sagen in unseren Akten - auf seine elegante, höfliche Art dasGesetz verhöhnt hatte, indem er unter Eid die Unwahrheitsprach. Bei meiner Entscheidung, diese Anklage einzurei-chen, waren nicht mehr Gefühle im Spiel als bei der einesFlugzeugpiloten, wenn er über schlechtes Wetter an seinemZielort informiert wird und deshalb mit seiner Maschine ei-nen anderen Flughafen ansteuert. Verständlicherweise suchteShaw in dieser Geschichte sofort Zuflucht bei der Bundesre-gierung. Seine Anwälte beantragten beim Bundesgerichtshof,

mir eine Anklage gegen ihren Mandanten wegen Meineids zuuntersagen. Doch die Gesetzbücher enthalten ausdrücklich ei-nen Paragraphen, der es einem Bundesgericht fast unmöglichmacht, sich auf Staatsebene in die Prozeßführung einzumi-schen.

Zu Shaws Glück verschloß das Bundesgerichtssystem dieAugen vor diesem Gesetz eines Bundesstaates. Der UnitedStates District Court untersagte mir tatsächlich, Shaw wegenMeineids anzuklagen, und die Berufungsinstanzen schlössensich diesem Beschluß bis ganz oben hin an. Wenn der Mordan einem Präsidenten von der amtierenden Bundesregierunggutgeheißen wird, werden kleine Einzelheiten wie das Gesetzschnell unwichtig.

Auf jeden Fall bekamen die Leitartikel in den örtlichen Zei-tungen, in denen mein Rücktritt verlangt worden war, von denBürgern New Orleans' die Antwort, die sie verdienten: Bei derspäter in diesem Jahr stattfindenden Wahl zum Bezirksstaats-anwalt erhielt ich 81 ooo Stimmen, der zweitplazierte Kandi-dat 61 ooo und der drittplazierte 7000.

19. DIE ERHABENHEIT DES GESETZES

Meine Verhaftung durch Bundesagenten erfolgte ohne jedeVorwarnung.

Es war früh am Morgen des 30. Juni 1971, ich hatte geradegefrühstückt und las die Times-Picayune. Ich trug nochSchlafanzug und Bademantel und stand im Begriff, nach obenzu gehen und mich anzuziehen, als es klingelte.

Ich öffnete die Tür, und die Männer der Bundesregierungdrängten herein. Der Einsatzleiter zeigte eine Dienstmarkeder Steuerfahndung und hielt mir ein Formular hin. Währenddie anderen Agenten im Haus ausschwärmten, informierte ermich, ich sei verhaftet, und fragte mich, ob ich bewaffnet sei.

»Wie kann ich bewaffnet sein, wenn ich gerade nach obengehen und mich anziehen wollte?« fragte ich.

»Nun, wir gehen mit Ihnen hinauf, weil wir Sie in die In-nenstadt und aufs Revier bringen müssen.«

Nachdem ich mich angezogen hatte, wobei mich mehrereAgenten genau beobachteten, ging ich wieder hinunter. MeineFrau und meine Kinder waren sehr aufgeregt. Ich sagte ihnen,sie brauchten sich keine Sorgen zu machen.

Als ich, von Bundesagenten flankiert, das Haus verließ,war ich entsetzt darüber, daß die Bürgersteige und Auffahrtenin der Nähe meines Hauses von einer großen Zahl neu hinzu-gekommener Funkwagen besetzt waren. Überall schienensich Männer mit Walkie-talkies aufzuhalten. Ich bemerkte,daß einige Nachbarn aus den Fenstern spähten, aber daskonnte ich ihnen schlecht vorwerfen. Plötzlich war mir dieganze Sache ungeheuer peinlich.

Ich wurde in einem Wagen voller Agenten zum Bundes-

gerichtshof in der Innenstadt gebracht. Dort wurde ich foto-grafiert; man nahm mir die Fingerabdrücke ab und stecktemich in eine grün gestrichene Wartezelle. Kurz darauf führtemich ein Wärter in einen Gerichtsraum, in dem mir ein Poli-zeirichter die formelle Anklage vorlas. Danach wurde ich be-schuldigt, an einem organisierten Verbrechen teilgenommenzu haben, genauer gesagt, Schmiergelder von einer Spielhalleangenommen zu haben.

Es ist kaum verwunderlich, daß jemand, der von der Re-gierung angeklagt wird, von sich sagt, unschuldig zu sein.Doch eine solche Behauptung, ich sei unschuldig, wäre beimir eine Untertreibung von gigantischem Ausmaß gewesen.

Ganz davon abgesehen, daß ich als Staatsanwalt nie einenillegalen Dollar angenommen hatte und dies auch nicht mei-nem Wesen entsprach, war nicht zu bestreiten, wie die Mit-glieder meines Stabs und die Staatsanwälte benachbarterBezirke gemerkt hatten, daß gerade ich gegen Spielhallenbe-sitzer, die Schmiergelder zahlten, entschiedener vorgegangenwar als jeder Bezirksstaatsanwalt vor mir. Dies hatte ich nichtaufgrund eines überwältigenden Gefühls der Tugendhaftig-keit oder eines besonderen Hasses auf die Spielhallen getan,sondern weil ich in meinem Amt gegen jede Verfehlung ein-schritt, ob es sich nun um eine Straftat handelte oder - wiebei Schmiergeldzahlungen - um eine Übertretung, ein min-deres Vergehen.

Die Bundesregierung hatte dies anscheinend nicht begrif-fen und nahm an, daß ich, wie viele Bezirksstaatsanwälte inLouisiana, ein Auge zudrückte, wenn es um solche Schmier-geldzahlungen ging. Ich fand schnell heraus, daß sie sich fürdiese Anklage entschieden hatte, da Spielhallen unter dasBundesrecht fallen - und damit in ihre Zuständigkeit. Die Be-gründung dafür war recht dünn - die Bundesregierung kannnur tätig werden, wenn das Verbrechen nicht auf einen Staatbeschränkt ist - und beruhte einzig und allein auf der Tat-sache, daß die Spielautomaten des betreffenden Casinos inIllinois hergestellt worden waren. Doch ohne eine so weit

hergeholte Begründung konnte die Bundesregierung michnicht verhaften lassen, es sei denn, sie rückte mit der wirk-lichen Begründung heraus, und die bestand meiner Ansichtnach darin, daß ich bei meinen Ermittlungen bezüglich desAttentats auf John F. Kennedy beträchtlichen Ärger verur-sacht hatte.

Nachdem ich selbst die Kaution gestellt hatte und freigelas-sen worden war, holte Frank Klein mich ab und fuhr mich insBüro. Sobald sich die erste Aufregung gelegt hatte, war es einnormaler Arbeitstag - abgesehen davon, daß ich mit F. LeeBailey in Boston sprach, einem angesehenen, mir befreunde-ten Prozeßanwalt. Lee sagte, er wäre zwar erfreut und geehrt,mich vertreten zu dürfen, doch hätte die Sache einen Haken.

»Welchen?« fragte ich.»Ich nehme kein Honorar«, erwiderte er.Die sechsundzwanzig Monate zwischen Verhaftung und

Prozeß waren wie üblich damit ausgefüllt, mit einer unterbe-setzten und unterbezahlten Behörde einer endlosen Arbeits-überlastung Herr zu werden. Von Zeit zu Zeit mußte ich alsBeklagter im örtlichen United States District Court erschei-nen, um den Anhörungen zu meinem eigenen Verfahrenbeizuwohnen. Baileys Kanzlei verfügte über ausgezeichneteAnwälte, und ihre Vorbereitungen und Auftritte vor Gerichtwaren, um es zurückhaltend auszudrücken, hervorragendund ermöglichten mir, mich auf meine Arbeit als Staatsanwaltzu konzentrieren. Im Laufe der Zeit wurde uns allen jedochklar, daß die Regierung es nicht besonders eilig hatte, meinenFall vor Gericht zu bringen.

Das gab uns um so mehr Zeit, das Material zu studieren,das wir von der Regierung erhalten hatten. Wie vom OberstenGerichtshof beim Musterprozeß Brady gegen Maryland ent-schieden, ist die Bundesregierung verpflichtet, einem Ange-klagten bei einem Strafprozeß Kopien des gesamten, seinenFall betreffenden Materials zur Verfügung zu stellen. In mei-nem Fall handelte es sich um eine unglaubliche Menge vonMaterial, das enthüllte, daß die Ermittlung gegen mich - an

der über vierzig Steuerfahnder aus fünf Staaten des Südensder USA mitgewirkt hatten - schon mindestens einige Jahrelief. Dabei hatten die Steuerfahnder in erster Linie das Pro-blem lösen müssen, wie sie den Anschein erwecken konnten,ich hätte gegen irgendein Gesetz verstoßen. Dies war auf dieübliche Art und Weise nicht möglich - indem sie Aussagenvon Personen sammelten, die im Spielhallengewerbe tätigwaren -, da mich in diesem Gewerbe überhaupt niemandkannte.

Dementsprechend schienen die Bundesagenten, die mei-nen Fall bearbeiteten, zu dem Schluß gekommen zu sein, ihreeinzige Alternative bestünde darin, einen »Indizienfall« gegenmich zu konstruieren. Wie die meisten Menschen, die sich mitverdeckten Operationen beschäftigt haben, zugeben werden,sind sich die Geheimdienste nicht zu fein, solche Dinge umein Opfer zu stricken, wenn die Umstände es erfordern.

Als Kern der Regierungsanklage erwies sich mein alterKriegskamerad Pershing Gervais. Sie erinnern sich, daß Ger-vais einst mein Chefermittler gewesen war und über die Ken-nedy-Ermittlung mit Frank Klein aneinandergeraten war(siehe Kapitel 10). Ich hatte Gervais aus meinem Stab entfernt,nachdem mich ein Anwalt informiert hatte, Gervais habe ihmangeboten, für siebenhundertfünfzig Dollar in bar ein Verfah-ren einstellen zu lassen.

Obwohl Gervais die Beschuldigung energisch bestritt, ver-trat ich die Auffassung, daß meine Behörde sauberer da-stehen mußte als Frau Saubermann. Es reichte nicht, daß dieStaatsanwaltschaft unbescholten war, ihre Unbescholtenheitdurfte auch nicht in Frage gestellt werden. Da ich zögerte,meinen alten Freund einer Lüge zu bezichtigen, und ihn auchnicht feuern wollte, gab ich ihm zu verstehen, ich hätte schonseit einiger Zeit den Eindruck, er sei nicht der richtige Mannfür den Posten eines Chefermittlers. Nach einem langen Ge-spräch erklärte er sich bereit, seinen Rücktritt einzureichen.

Gleichzeitig erzählte mir Gervais von seinen finanziellenProblemen. Ich stand gerade zur Wiederwahl an und hatte,

zumindest kurzfristig, mehr Geld in der Wahlkampfkasse, alsich im Augenblick benötigte - obwohl ich schon absehenkonnte, daß ich in der Endphase des Wahlkampfs wesentlichmehr Geld brauchen würde.

In den nächsten Tagen zweigte ich fünftausend Dollar vondem Geld ab, das ich auf das Wahlkampfkonto einzahlenwollte. Ich gab sie Gervais, betonte aber, es handele sich umeinen Kredit und er müsse das Geld zurückzahlen. Er akzep-tierte bereitwillig und dankte mir.

Als die Bundesagenten Anfang 1970 bereits ihren Fall ge-gen mich zu konstruieren begannen, wurde ich neugierig,was Gervais getrieben hatte, nachdem er unsere Behörde ver-lassen hatte. Ich wußte, daß sein Markenzeichen, ein großerCadillac, oft vor dem Fontainbleau Motel an der Kreuzung Tu-lane und South Carrollton Avenue stand. Er schien viel Zeit zuhaben und sich außerdem einen Luxusschlitten sowie eineteure Unterkunft leisten zu können. Ich bat Lou Ivon, sich mitder Sache zu befassen. Er hörte sich bei seinen Kontaktleutenbei der Polizei um, die Gervais kannten, und nach ein paarWochen sah es so aus, als hätte er die Antwort herausgefun-den. Augenscheinlich war Gervais in einer recht ungewöhn-lichen Branche tätig geworden. Sein Büro war die Lobby oderder Speisesaal eines Motels, in dem er sich den ganzen Tagaufhielt. Die einfallsreiche Grundlage seines Unternehmensschien die Tatsache zu sein, daß er früher mein Chefermittlergewesen war und die halbe Polizeitruppe kannte.

Pershing Gervais war anscheinend Meister in einem Spielgeworden, das man »Vortäuschung falscher Tatsachen« nen-nen könnte. Er suchte sich ein Verfahren aus, von dem er überFreunde bei der Polizei oder Gerichtsbedienstete wußte, daßes auf tönernen Füßen stand und daß die Staatsanwaltschaftwahrscheinlich nicht gewinnen würde. Dann nahm er mit derFamilie des Beklagten Kontakt auf und informierte sie überseine besonderen Beziehungen zum Bezirksstaatsanwalt.

Nachdem er das Vertrauen der Familie gewonnen hatte,ließ Gervais durchblicken, er könne trotz der ernsten Beschul-

digungen gegen den Sohnemann vielleicht dafür sorgen, daßdie Staatsanwaltschaft den Fall verlöre. Gehen wir einmaldavon aus, daß die Staatsanwaltschaft vor dem Geschwore-nengericht zwei von fünf solcher Fälle verlor. Anschließendschaute Gervais bei den Familien vorbei, deren Angehörigerfreigesprochen worden war, und erklärte, der Sohnemann seinur dank seiner Beteiligung mit heiler Haut davongekommen.Dann kassierte er fünftausend Dollar, oder was auch immerals Honorar vereinbart worden war. Ein Teil davon, so deuteteGervais an, ginge als Schmiergeld an den Staatsanwalt.

Schließlich kam die Steuerfahndung hinter seine Machen-schaften und baute einen Fall gegen ihn auf. Wie sich heraus-stellte, war die »Vortäuschung falscher Tatsachen« nur dieSpitze des Eisbergs von Gervais' verdächtigen Aktivitäten. Erhatte auch beträchtliche Geldsummen kassiert, indem er ver-schiedene Personen »bevollmächtigte«, alle möglichen Be-triebe zu eröffnen, und zwar vom Bordell über einen Massa-gesalon bis hin zum hochkarätigen Spielklub. Nachdem dieBundesagenten die Ermittlung gegen Gervais abgeschlossenhatten, schien er gewaltig in der Klemme zu stecken. Und dadie meisten seiner Aktivitäten auf seinen angeblich guten Be-ziehungen zu mir beruhten, erkannten sie, daß Gervais eineMöglichkeit darstellte, an mich heranzukommen.

Wie wir anhand der Papiere erfuhren, die man uns auf-grund der ßrady-Entscheidung zur Verfügung stellen mußte,sagte Gervais zunächst vor den Steuerfahndern aus, er könneihnen nichts über mich sagen, da ich kein Geld nähme und ermich nicht dazu bringen könne, etwas Illegales zu tun. Als siedie Schlinge jedoch enger zogen, erfuhren sie von dem Geld,das ich Gervais geliehen hatte. Das war es, wonach die Bun-desagenten gesucht hatten. Mehr brauchten sie nicht alsGrundlage für ihr Luftschloß der »Bestechlichkeit«.

Irgendwann Anfang 1971 kam Gervais vorbei und erzähltemir, er habe es in letzter Zeit gut getroffen. Freunde in derSpielhallenbranche hätten ihm geholfen, ein Unternehmenaufzubauen, über dessen Einzelheiten er sich nicht ausließ.

Doch er sei endlich imstande, mir einen Teil des Geldes zu-rückzuzahlen, das ich ihm geliehen hatte. Er werde zwarnicht alles auf einmal beschaffen können, doch von Zeit zuZeit könne er mir tausend Dollar geben. Ich war damit einver-standen und dachte nicht weiter darüber nach.

Danach kam Gervais gelegentlich zu mir nach Hause. Dochnun war er immer »verwanzt«: Er trug einen Sender unterdem Hemd, und der Empfänger befand sich irgendwo drau-ßen, zum Beispiel im Wagen eines vor dem Haus parkendenBundesagenten.

Da ich mich gerade einer schmerzhaften Rückenoperationunterzogen hatte, lag ich während seiner Besuche normaler-weise im Bett. Er fragte mich, wie es mir ginge, und wir unter-hielten uns über alles mögliche. Dann sagte er so etwas wie:»Ich habe übrigens wieder tausend für Sie. Was soll ich damitmachen?« Woraufhin ich normalerweise etwas wie »LegenSie es einfach auf den Kamin!« erwiderte.

Diese Gespräche - an drei oder vier erinnere ich mich -waren für die Bundesagenten ein Problem. Es fehlte jedesmalder Aufhänger, mit dem sie Gervais' Tausend-Dollar-Zahlungeine ominöse Bedeutung verleihen konnten. Wir sprachen niedarüber, ob ich etwaige Gesetzesverstöße der Spielhallen-besitzer decken würde, da er vielleicht besser als jeder anderewußte, daß ich dabei nie mitmachen würde.

Doch als wir uns die Kopien der Tonbänder anhörten, diewir aufgrund des Bradt/-Urteils ebenfalls erhalten hatten,stellten wir fest, daß auf jedem Band genau an der richtigenStelle ein oder zwei interessante Sätze eingefügt worden wa-ren, so daß der Rest des Gesprächs eine ominöse Bedeutungerhielt. Ich erinnere mich ganz deutlich an eine der letztenUnterhaltungen, die Gervais aufgenommen hatte. Sie waretwa folgendermaßen verlaufen:

»GERVAIS: Wissen Sie, die kommende Legislaturperiode inBaton Rouge könnte ziemlich hart werden. Einige meinerFreunde in der Spielhallenbranche könnten wirklich etwasHilfe brauchen.

GARRISON: Warum erzählen Sie mir das? Wieso sollte ichihnen helfen?«

Ich erinnere mich an das Gespräch, weil ich seit langemimmer wieder deutlich gemacht hatte, mich nicht in die Ge-setzgebung einmischen zu wollen - abgesehen von ein paarseltenen Gelegenheiten, bei denen ich zum Beispiel nach Ba-ton Rouge fuhr, um bei der Durchsetzung eines Gesetzes zuhelfen, das Ex-Häftlingen verbot, geladene Revolver bei sichzu tragen. Dementsprechend war ich völlig verblüfft, als ichmir die Regierungsaufzeichnung dieses Gesprächs anhörte.Was ich in Anwesenheit von Anwälten aus Lee Baileys Kanzleiund Mitarbeitern meiner Staatsanwaltschaft hörte, war nichtdas, was ich in Wirklichkeit gesagt hatte, sondern klang so:

»GERVAIS: Wissen Sie, die kommende Legislaturperiode inBaton Rouge könnte ziemlich hart werden. Einige meinerFreunde in der Spielhallenbranche könnten wirklich etwasHilfe brauchen.

GARRISON: Da sehe ich kein Problem. Vergessen Sie es.«Ich konnte mich zwar nicht entsinnen, von welchem ande-

ren Tonband man die neue Antwort übernommen hatte, dochmir fiel sofort auf, daß meine angebliche Antwort eingefügtworden war. Wir waren zwar betroffen darüber, daß die Re-gierung so weit ging, doch ich freute mich auch über die offen-sichtliche Verzweiflung ihrer Agenten. Wenn sie sich so sehrbemühten, wenn sie solche Schwierigkeiten bei ihrem Ver-such gehabt hatten, Beweise gegen mich zu konstruieren,dann war ihr Verfahren gegen mich wirklich nicht wasser-dicht.

Mein Prozeß war ein ausgeklügeltes Regierungsschauspiel inder Tradition eines Franz Kafka. Das große Thema, über dasein Urteil zu fällen war, lautete, ob ich ein korrupter Bezirks-staatsanwalt war oder nicht.

Das Justizministerium legte schließlich den 20. August1973 als Prozeßbeginn fest, und das Verfahren sollte etwa vierbis sechs Wochen dauern. Die Wahl, bei der ich für eine vierte

Amtsperiode kandidierte, sollte am 10. November stattfinden.Damit konnte ich mich glücklich schätzen, nach dem Prozeßnoch fünf oder sechs Wochen für den Wahlkampf zu haben,obwohl man in New Orleans normalerweise wenigstens fünfoder sechs Monate benötigt.

Noch vor Prozeßbeginn trat mein großer Widersacher -ein ehemaliger stellvertretender Staatsanwalt der VereinigtenStaaten - in Fernsehspots auf. Seine Aussagen boten der Öf-fentlichkeit einen farbigen Kontrast. Morgen für Morgen standich als Angeklagter in einem unsauberen Bestechungsprozeßder Bundesregierung auf der Titelseite der Times-Picayune,und jeden Abend verlangten die Herren Plisch und Plum imFernsehen, in die Bezirksstaatsanwaltschaft müsse endlichwieder Anstand einkehren.

Das war die Grundlage für den Fall Vereinigte Staatengegen Jim Garrison et. al.1 Das »et. al.« war die juristischeBezeichnung für meine Mitangeklagten, von denen ich diemeisten vor dem Prozeß nie gesehen hatte.2

Gerald Gallinghouse, der Generalstaatsanwalt der Verei-nigten Staaten, erklärte, er werde die Anklagevertretung per-sönlich übernehmen. Das bedeutete, daß sein Gerichtsbezirkmöglicherweise sechs Wochen ohne die Führung eines Gene-ralstaatsanwalts auskommen mußte. Doch er hatte offenbarerkannt, von welch überragender Bedeutung der Spielhallen-Prozeß für das Justizministerium war, und so war er schonwährend der Vorverhandlung ständig präsent - immer einenkleinen Formularstapel in der Hand, immer eine kleine ame-rikanische Flagge am Ärmelaufschlag.

Der Richter war Herbert Christenberry, seinerzeit ObersterRichter der Vereinigten Staaten im Bezirk Ost-Louisiana. Esstanden zwar weit kompliziertere und bedeutendere Fälle an,doch er hatte sie beiseite gelegt, um sich in den folgendensechs Wochen um die Spielhallen kümmern zu können.

Richter Christenberry war ein ernster Mann mit starremGesicht, dessen gefrorener Ausdruck ein hitziges Tempera-ment verbarg. Vor Jahren, als ich privat praktiziert hatte,

hatte ich einmal in seinem Büro nur einen Meter von ihm ent-fernt gestanden, als er ein großes Gesetzbuch nach einemmeiner Mitarbeiter warf, der gegen eine Anweisung Christen-berrys protestiert hatte. Bestimmt hätte er auch mich miteinem Buch beworfen, doch es lag keines mehr auf seinemSchreibtisch.

Christenberry war zufällig auch der Richter gewesen, derdie Anweisung unterschrieben hatte, ich dürfe Clay Shawnicht wegen Meineids belangen, obwohl sie gegen das gültigeBundesgesetz verstieß, das der Bundesbehörde die Einmi-schung in einen Prozeß des Staates verbot.

Über zwei Jahre nach meiner Verhaftung war der ersteProzeßtag endlich angebrochen. Als ich an diesem Morgendas Haus verlassen wollte, kamen meine Frau und meine Kin-der an die Tür. Meine Kinder waren damals noch sehr jung -Jim junior war vierzehn, Virginia zwölf, Lyon zehneinhalb,Elizabeth neun und Darrow sieben. Die Kinder spürten zwar,daß etwas nicht stimmte, wußten aber nicht genau, was. Siesollten es später an diesem Tag erfahren, als meine Frau sieins Gericht mitnahm. Ich küßte sie alle. »Macht euch keineSorgen«, sagte ich, »es ist ein ganz normaler Tag für denStaatsanwalt.«

Als vor Gericht die üblichen Dinge abgehandelt wurden,die den Beginn eines Prozesses kennzeichnen, informierte ichRichter Christenberry, ich würde mich in diesem Prozeß selbstvertreten. Der Richter wies augenblicklich alle Anwälte an, zuihm ins Büro zu kommen. In dem kleinen Raum, der sich di-rekt neben dem Gerichtssaal befand, setzte ich mich mit mei-nen Anwälten Louis Merhige und Fred Barnett an die eineTischseite; die Anklagevertreter nahmen auf der anderenSeite Platz, während wir auf den Richter warteten. Sie sahenmich völlig ungläubig an, denn sie kannten mich nur alsStaatsanwalt, der seine Fälle an Prozeßanwälte weitergab. Siehatten nie von meinen ersten Jahren gehört, in denen ichmein Brot damit verdient hatte, täglich Prozesse vor dem Ge-schworenengericht zu führen.

Ich hatte die Entscheidung, mich selbst zu vertreten, ge-troffen, nachdem ich mich mit Lee Baileys Anwälten durchden Materialberg hindurchgearbeitet hatte, auf dem die An-klage der Regierung gegen mich aufbaute. Es war zunehmenddeutlich geworden, daß die ganze Angelegenheit ein aus zweiverschiedenen Teilen bestehendes Hirngespinst war. Der ersteTeil, eine Art finanzielle Übereinkunft, die zweifellos zwischeneiner Reihe von Spielhallenbesitzern und mindestens einemMitglied der Polizeitruppe getroffen worden war, war der grö-ßere. Die Spielhallenvereinbarung war laut Bundesgesetz eineVerschwörung, und damit war sie für die Bundesregierungwertvoll, falls es ihr gelang, mich irgendwie mit hineinzu-ziehen.

An dieser Stelle kamen die von Pershing Gervais und vonder Regierung gefälschten Tonbänder - der zweite Teil desFalls - ins Spiel. Das war der kleine Fall, den sie mit dem grö-ßeren, schon vorher existierenden, verbunden hatten, damitsie vor Gericht die große Bombe platzen lassen konnten.

Mir war klar, daß es sich bei dem Regierungsschwindel,mich mit dem schon vorher bestehenden Spielhallenfall in Zu-sammenhang zu bringen, um eine kriminelle Aktivität han-delte. Doch ich erkannte auch, daß man von den Geschwore-nen, die unter einer Regierung aufgewachsen waren, die siesehr schätzten, beinahe zu viel verlangte, dies zu glauben. EinAnwalt aus einer anderen Stadt - selbst ein so fähiger wieF. Lee Bailey - war vielleicht nicht fähig, die im Prinzip un-glaubliche Tatsache zu verdeutlichen, daß die korrupte Regie-rung mich hereingelegt hatte.

So war ich zu dem Schluß gekommen, daß ich es selbst tunmußte. Da die meisten Bürger von New Orleans von meinemlangen Kampf gegen die Bundesregierung wußten, war ich si-cher, daß viele von ihnen spürten, daß meine Motive ehrlichwaren. Dementsprechend entschied ich, daß meine Verteidi-gung nicht weniger als eine Fortsetzung des Kampfes gegenWashington sein durfte - und ich den Kampf selbst führenmußte.

Nun kam Richter Christenberry ins Büro und nahm amKopf des Tisches Platz. Er war zwar nicht begeistert von derEntwicklung, doch er konnte mich nicht davon abhalten,meine Verteidigung selbst zu übernehmen. Ich erklärte ihm,meine Prozeßbevollmächtigten hätten zwar ausgezeichneteArbeit geleistet, doch wären wir uneins, wie der Prozeßgehandhabt werden sollte.

Merhige und Barnett bestätigten das.Richter Christenberry wandte sich an mich und erklärte,

er sei einverstanden, daß ich mich selbst verteidige, solangeein weiterer Anwalt am Tisch der Verteidigung säße. Er be-tonte, aus den Unterlagen dürfe nicht hervorgehen, daß ichmich dem Prozeß ohne Rechtsbeistand gestellt hätte.

Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Als der Prozeßfortgesetzt wurde, saß mein langjähriger Freund Lou Merhigeneben mir am Tisch der Verteidigung. Der erste Zeuge derRegierung war ein Spielhallenbesitzer. Ich hatte weder diesenMann noch einen der bei ihm Beschäftigten je zuvor gesehen,und auch er kannte mich nicht.

Staatsanwalt Gallinghouse, ein großer, imposanter Mannin blauem Anzug, begann vorsichtig die Befragung. Ja, sagteder Spielhallenbesitzer, er habe Geld in einen Fonds einge-zahlt, der die Einmischung der Behörden in die Spielhallenge-schäfte der Stadt so gering wie möglich halten sollte. An wendieses Geld gegangen sei? An Sergeant Fred Soule vom NewOrleans Police Department, erwiderte der Spielhallenbetrei-ber.

Dann war es an der Zeit für das Kreuzverhör. An wen hatteSergeant Soule das Geld weitergeleitet? Er hatte keine Ah-nung. Hatte er mir je Geld gegeben? Nein, hatte er nicht. Hatteer einem Angehörigen meiner Behörde je Geld gegeben?Nein. Hatte irgendein Angehöriger meiner Behörde ihm jeirgendeinen Gefallen bezüglich seines Spielhallenunterneh-mens erwiesen? Nein, niemand. Es gab keine weiteren Fra-gen. Ein Spielhallenbesitzer nach dem anderen sagte nachdem immer gleichen Muster aus.

Am nächsten Morgen nahm ich ein Buch mit in den Ge-richtssaal. Lou Merhige ergriff es. »Was ist das?« fragte er.»Etwas Lektüre für mich«, sagte ich. »Wenn der Ankläger derVereinigten Staaten seinen Spielhallenfall fortsetzt. GlaubenSie wirklich, ich würde die ganze Zeit so tun, als hätten dieAussagen irgendeine Bedeutung?«

»Das können Sie bei Christenberry nicht machen«, sagteer. »Er wird es Ihnen verbieten.«

»Nein, wird er nicht«, erwiderte ich. Und er tat es auchnicht. Ich spürte, daß der Richter zuerst aufgebracht war, daßich las, während die Spielhallenbesitzer ausführlich aussag-ten, doch anscheinend gewöhnte er sich daran. Während sichdie nicht enden wollenden Aussagen aneinanderreihten,schaute ich gelegentlich zu den Geschworenen hinüber undsah, daß mehrere von ihnen gähnten.

Wenn jeder der Spielhallenbesitzer seine langatmige Aus-sage beendet hatte, legte ich mein Buch beiseite und befragteihn kurz. Ich stellte klar, daß wir uns nicht kannten, daß we-der ich noch meine Behörde je etwas für ihn im Zusammen-hang mit seinem Spielhallenunternehmen getan hatten unddaß er weder mir noch jemandem, der für mich arbeitete, jeGeld gegeben hatte. Nachdem ich anschließend zum Aus-druck gebracht hatte, daß der Zeuge für meinen Fall völligirrelevant war, entließ ich ihn, griff wieder nach meinem Buchund las weiter.

Schließlich war die Regierung mit dem Aufmarsch derSpielhallenbesitzer durch. Gallinghouse ließ Sergeant Fred-erick Soule aufrufen.

Soule war ein ordentlich gekleideter, kleiner Mann mitSchnurrbart. Er trug eine Fliege. Er hockte sich vorsichtig aufdie Kante des Zeugenstuhls, so daß er mich an einen Sittich ineinem Vogelkäfig erinnerte. Seine Aussage für die Anklage liefdarauf hinaus, daß er bestätigte, von den Spielhallenbesitzern»Schutzgelder« erhalten zu haben. Seine Aussage mündete indas Eingeständnis, daß er seinen Anteil gespart und in einemgroßen Kanister in seinem Garten vergraben hatte. Nach sei-

ner Verhaftung hatte er ihn wieder ausgegraben und den Be-hörden übergeben.

Seine Aussage bestätigte zwar, daß die SpielhallenbesitzerSchutzgelder in einen Fonds eingezahlt hatten, Soule führtejedoch nicht aus, wer das Geld von ihm bekommen hatte undwelche Leistung die Empfänger erbracht hatten. Kurz gesagt,sie schloß das andere Ende der Bestechungstransaktion nichtein.

Aus der Zeugenliste wußte ich, daß die Anklage keinenweiteren Polizeibeamten aufrufen wollte. Daher hatte ich an-genommen, Soule würde die Hintermänner in den Behördennennen. Er tat es jedoch nicht.

Daher erwies sich Sergeant Soules Kreuzverhör als uner-wartet kurz. Der Ex-Commander des Sittendezernats be-zeugte, daß ich ihn nie gebeten hatte, etwas Unrechtes zu tun.Er bestätigte ferner, daß meine Behörde keinerlei Kenntnissevon Razzien in Spielhallen hatte und wir bei Verfahren gegenSpielhallenbesitzer einen hohen Prozentsatz an Verurteilun-gen vorweisen konnten.

Nun war die Zeit für den Starzeugen der Anklage gekom-men.

»Ich rufe Pershing Gervais auf«, verkündete Gallinghousemit überlauter Stimme.

Nach einigem Geraune an der Tür des Gerichtssaals er-schien Gervais. Sein Haar war jetzt grau, und er war hagererals damals, als wir gemeinsam in Camp Shelby bei der Armygedient hatten. Er trug einen ordentlichen beigen Anzug, eindazu passendes Hemd und eine dunkelbraune Krawatte. Alser gemächlich den Gang entlangschritt, wirkte er so lässig, alsgehöre er zu den Vertretern der Anklage. Gervais machte essich im Zeugenstuhl bequem und nickte den Geschworenenmit einem breiten Grinsen zu.

Ich hörte seiner langen Aussage aufmerksam zu. Galling-house, der sehr wohl wußte, daß mein Name in den letztenProzeßtagen kein einziges Mal gefallen war, machte Gervais'Aussage zum Kronjuwel seines Falls. Gervais beschrieb aus-

führlich, wie man das verborgene Aufnahmegerät und denSender an seinem Körper befestigt hatte. Dann wurden dieTonbandaufnahmen als Beweismittel den Geschworenen vor-gespielt. Jeder Geschworene, der Richter, die Ankläger undich trugen Ohrstöpsel, und wir mußten uns anhören, wie derVertreter der Anklage bei Nacht und Nebel ein Vergehen derSpielhallenbesitzer und eines Polizisten namens Soule zu ei-ner großen Bestechungsverschwörung zusammengestrickthatte, in die ein Bezirksstaatsanwalt verwickelt war. Und mitden Zaubermitteln der Elektronik machte er eindeutige Fort-schritte in diese Richtung.

Mein Magen drehte sich jedesmal um, wenn ich auf denTonbändern nach Gervais' versteckten Andeutungen meineStimme mit Bemerkungen wie »Klar!« und »Klingt doch ganzin Ordnung!« hörte. Ich wußte natürlich, daß jeder Satz voneinem anderen Band stammte und hier, völlig aus dem Zu-sammenhang gerissen, eingespielt worden war. Doch die Ge-schworenen wußten es nicht. Die Geheimdienstagenten, diemit dem Projekt betraut worden waren, hatten gute Arbeitgeleistet. Sie hatten mich nicht nur in den Sack gesteckt, son-dern den Sack auch noch zugebunden.

Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß die Geschwore-nen mich, hätten sie in diesem Augenblick abstimmen müs-sen, einstimmig für schuldig befunden hätten. Und mir warauch klar, daß mich der Mann in der schwarzen Robe und mitdem steinernen Gesicht nach ihrem Schuldspruch nicht in ei-nen »Country Club« mit minimalen Sicherheitsvorkehrungeneingewiesen hätte, in denen manche Prominente nach derVerurteilung ihre Strafen absitzen. Nein, für mich wäre nureine Bundesstrafanstalt in Frage gekommen. Selbst Lou Mer-hige, der immer locker und ermutigend gewesen war, wirktein diesem Augenblick deutlich geknickt.

Gervais' Aussage enthielt nur sehr wenig, worauf ich nichtvorbereitet gewesen war. Doch ich war maßlos erstaunt, alsGervais im Zeugenstand ganz ruhig sagte, ich hätte von denSpielhallenbesitzern hundertfünfzigtausend Dollar erhalten.

Ich wußte, daß er sich auf die drei oder vier Zahlungen vonjeweils tausend Dollar berufen würde, die er mir gegebenhatte, als unsere Gespräche aufgezeichnet worden waren.Doch ich hatte nicht die geringste Ahnung, wieso er die un-glaubliche Summe von hundertfünfzigtausend Dollar nannte.

Je länger ich allerdings darüber nachdachte, desto klarerwurde mir, daß diese Riesensumme sich als nützlich für micherweisen konnte. Die Spielhallenbesitzer hätten - wie natür-lich auch jeder andere - für eine solche Summe ungeheureDienste erwartet. Ich schrieb auf den vor mir liegenden Notiz-block »Dienste?« - und hatte den Arbeitstitel für die Präsen-tation meines Falls.

Ich begann das Kreuzverhör mit Pershing Gervais äußerstzurückhaltend, damit er spürte, daß seine Aussage mich nichtaufgebracht hatte. Wahrscheinlich hatte ihm die Steuerfahn-dung aufgrund seiner höchst zweifelhaften Vermittlerdiensteim Fontainbleau Motel die Daumenschrauben angelegt. Wei-ter nahm ich an, daß er keine andere Wahl gehabt hatte, alsdie Fragen des Generalstaatsanwalts, wodurch dann die Ton-bänder in den Prozeß einbezogen wurden, ausführlich zubeantworten.

Er sollte wissen, daß mich all dies nicht verändert hatte.Ich war noch immer der Bursche, der mit ihm zusammen inder Army gewesen war.

»Wissen Sie noch«, fragte ich, »wo wir uns kennengelernthaben?«

»In der Jackson Kaserne«, sagte er.»Wissen Sie noch, wann das war?«»Es muß vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein.«»Erinnern Sie sich, wohin man uns von der Jackson Ka-

serne versetzte?«»Ich erinnere mich, daß wir nach Camp Shelby in Missis-

sippi kamen.«»In welcher Einheit waren wir?« fuhr ich fort.»In der Washington-Artillerie der Nationalgarde von Loui-

siana.«

Am Tonfall seiner Stimme erkannte ich, daß er nicht mitmir auf einer Wellenlänge lag. Er wollte mich unterschwelligwarnen, daß die Beziehung, von der ich hoffte, sie existierenoch, nicht mehr bestand. Ich wischte den Gedanken beiseiteund machte weiter. Dieser Mann war früher in der Army meinbester Freund gewesen.

»Welche Beziehung hatten wir damals?« fragte ich.»Wie meinen Sie das?« fragte Gervais. .»Sie haben neulich ausgesagt, wir wären Bekannte«, sagte

ich. »Würden Sie sagen, daß wir damals in der Army guteFreunde waren?«

»Mein guter Freund war Charlie Weiss«, gab Gervais zu-rück. »Sie waren ein Freund. Wir haben nichts gemeinsamunternommen.«

Diese Antwort bedeutete das Ende meines zurückhalten-den Vorgehens. Ich wußte nicht, wo der Mann geblieben war,den ich in der Army gekannt hatte, doch der Mensch vor mirwar es nicht. Der, so begriff ich, war ebenso kalt wie dieMetallfassung seiner Brillengläser.

Ich ließ die Vergangenheit dahinfahren und kam auf dasanstehende Thema zu sprechen, indem ich seine Aufmerk-samkeit auf den Zeitpunkt lenkte, an dem er noch nicht für dieBundesregierung gearbeitet hatte. Ich fragte ihn, ob esstimme, daß er den Steuerfahndern erzählt habe, ich hättenichts mit dem Geld zu tun. Das bestätigte er. Ich fragte ihn,ob er den Steuerfahndern nicht auch gesagt habe, falls ich ei-nen Fehler bei meiner Steuererklärung gemacht hätte, han-dele es sich höchstens um eine Unaufmerksamkeit, und esentspräche ebenso meinem Charakter, eher zu viel statt zuwenig Steuern zu zahlen. Gervais bestätigte, dies gesagt zuhaben. Sei es nicht auch eine Tatsache, fragte ich, daß er ge-äußert habe, er könne mich nicht dazu bringen, überhauptetwas für ihn zu tun? Er bestätigte das ebenfalls.

Nun holte ich eine Handvoll Material vom Tisch und gingwieder zu ihm zurück. Ich fragte ihn, ob die Bundesregierungihm nicht einen Job bei General Motors in Kanada besorgt

hätte? Und obwohl er dort jede Woche nur ein paarmal er-schienen sei, habe er ein Jahresgehalt von zweiundzwanzig-tausend Dollar bezogen? Er bejahte beide Fragen.

Ich fragte ihn, welchen Posten er dort bekleide. Er sei Di-rektor des Divisionstabs und habe den höchsten Posten imWerk inne. Dann befragte ich ihn nach seiner Qualifikation fürdiesen Job. Als er erwiderte, er habe keine, kehrte ich an mei-nen Tisch zurück.

Ausführlich suchte ich nach einigen Beweismitteln. Ob-wohl ich genau wußte, wo sie lagen, wollte ich, daß sich dieTatsache, daß Gervais ein Jahresgehalt von zweiundzwanzig-tausend Dollar bezog und er sich dafür nur ein paarmal in derWoche an seiner Arbeitsstelle sehen lassen mußte, in denKöpfen der Geschworenen festsetzte.

Ich holte Kopien von zwei Geburtsurkunden hervor undging zum Zeugenstand zurück. Die Urkunden hielt ich so, daßGervais sie sehen konnte.

Nun fragte ich ihn, ob die Regierung von ihm verlangthabe, seinen Namen zu ändern, als er ins Zeugenumsied-lungsprogramm eingetreten sei.

Ja, erwiderte er, er habe seinen Namen in Mason geändert,und das Justizministerium habe ihm neue Geburtsurkundenfür seine Kinder ausgehändigt, auf denen dieser Nachnameeingetragen sei.

Dann fragte ich ihn, ob die Geburtsurkunden den Geburts-ort seiner Kinder korrekt angaben, und er erwiderte, das seinicht der Fall.

Daraufhin fragte ich ihn, ob das nicht bedeute, daß die bei-den Geburtsurkunden, die das Justizministerium ihm gege-ben hatte, Fälschungen seien. Gervais betrachtete die beidenUrkunden in meinen Händen und stimmte mir zu. Woraufhinich die beiden gefälschten Urkunden den Geschworenen gab,damit sie begutachten konnten, wie professionelle Fälschun-gen aussehen. Ich blieb stumm, solange sie die Kunstwerkedes Justizministeriums betrachteten. Als die Geschworenendamit fertig waren, bat ich um eine Pause. Ich wollte, daß die

Geschworenen genug Zeit hatten, sich zu fragen, warum dasJustizministerium der Vereinigten Staaten so sehr daran in-teressiert war, jemanden zu verurteilen, daß es sogar Ge-burtsurkunden fälschte, um eine Verurteilung zu gewährlei-sten. Ich wollte, daß sie über die Erhabenheit des Gesetzesnachdachten.

Als Gervais wieder in den Zeugenstand trat, fragte ich ihn,ob er sich an Einzelheiten der Vereinbarung erinnere, die ermit dem Justizministerium getroffen hatte. Er bejahte dieFrage.

Dann zeigte ich ihm einen Brief, den John Wall3 an ihn ge-schrieben hatte, der Leiter der Abteilung des Ministeriumszur Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Ge-schäftemacherei durch verbrecherische Methoden. Gervaiserinnerte sich, den Brief erhalten zu haben.

Das bedeutete, ich konnte ihn zu den Beweismitteln neh-men und den Geschworenen vorlesen, was ich dann auch tat.Der letzte Absatz enthielt die Bedingungen dafür, daß Gervaisseinen Posten mit zweiundzwanzigtausend Dollar Jahresge-halt (hier als »Unterhalt« bezeichnet) bei General Motors ofCanada behalten konnte. Dieser Absatz besagte:

»Des weiteren wurde am 8. September 1971 beschlossen,daß der Unterhalt unter der Bedingung gewährt wird, daß Sienicht ohne vorherige Zustimmung der Kriminalpolizei in dieUSA einreisen, daß alle zukünftigen Zahlungen eingestelltwerden und das Justizministerium von jeder Verantwortungfreigestellt wird, falls Sie gegen diese Einreisebestimmungverstoßen.« (Hervorhebung durch den Verfasser)

Das Zeugenumsiedlungsprogramm war eine Maßnahme,die die Bundesregierung hauptsächlich im Kampf gegen dasorganisierte Verbrechen einsetzte. Die Namensänderung ei-nes Zeugen sollte diesen zum Beispiel davor schützen, vomMob ermordet, belästigt oder anderweitig bedroht zu werden.Der Rückgriff auf ein solch rigoroses Mittel, wenn es sich beidem Beklagten um einen Staatsanwalt handelte, kam mir ab-surd vor. Ich ging davon aus, daß die Regierung Gervais nur

in das Programm aufgenommen hatte, damit ich ihn nicht zueinem Gespräch oder Verhör vorladen konnte. Obwohl ein Be-klagter (oder sein Anwalt) das Recht hat, vor seinem Prozeßmit allen Zeugen zu sprechen, die möglicherweise gegen ihnaussagen werden, war es auf diese Weise nicht möglich gewe-sen, diesen Mann ausfindig zu machen, der seinen Namengeändert hatte und sogar in ein anderes Land geschickt wor-den war.

Am Ende seines kanadischen Exils lehnte Pershing Gervaissich gegen die Beschränkungen durch das Justizministeriumauf und gab im Mai 1972 einer Reporterin namens RosemaryJames in Kanada ein Interview für den Fernsehsender WWL-TV in New Orleans. Ich hatte mir eine Kopie der Niederschriftbesorgt und befragte Gervais nun dazu.

Ich zeigte ihm die Niederschrift, las sie dann laut vor undfragte ihn, ob er bestätigen könne, die folgenden Aussagengemacht zu haben:

»ROSEMARY JAMES: Sie wurden gezwungen, für die Regie-rung zu arbeiten?

GERVAIS: Mehr als das, ich wurde gezwungen, für sie zulügen, das ist eine bessere Beschreibung.

ROSEMARY JAMES: Wozu wurden Sie gezwungen?GERVAIS: Na ja, am Anfang wurde klar, es war rätselhaft,

ist es seither immer geblieben, Sie wissen, was wir wollen, Siewissen, was wir getan haben, verstehen Sie?... Na ja, am An-fang wurde ich belästigt, bis dann die Zeit kam, wo ich, wennman es so ausdrücken will, vom Justizministerium verführtwurde, verstehen Sie? Falls ich verführt werden konnte, als obes da eine Frage gab ... Na ja, es wurde klar, daß sie sich inWirklichkeit nur für einen ganz bestimmten Mann interessier-ten, Jim Garrison, und in ihrer Vorstellung wußten sie, daßich der Mann war, mit dessen Hilfe sie ihn packen konnten.

ROSEMARY JAMES: Und Sie sagen, Sie hätten ihn zu pak-ken gekriegt?

GERVAIS: 0 ja, da besteht gar kein Zweifel.« Gervais erinnerte sich an das Gespräch und bestätigte,

dies gesagt zu haben. Ich las ihm einen weiteren Abschnitt vorund forderte ihn auf, ihn zu bestätigen:

»ROSEMARY JAMES: Sie weichen mir ständig aus, wasdiese Leute betrifft. Wollte man gegen Leute in der Spielhal-lenbranche und gegen Jim Garrison ermitteln?

GERVAIS: Man wollte Jim Garrison.ROSEMARY JAMES: Was meinen Sie damit, wenn Sie sa-

gen, man wollte Jim Garrison?GERVAIS: Sie wollten Jim Garrison zum Schweigen brin-

gen. Das war ihr oberstes Ziel; wenn es nicht stimmte, wäreich noch in New Orleans.

ROSEMARY JAMES: Behaupten Sie damit, Sie hätten daranmitgewirkt, ihm absichtlich etwas in die Schuhe zu schieben?

GERVAIS: Ganz genau. Sie wollten ihn hereinlegen, nur auspolitischen Gründen.«

Er erklärte zwar, dies seien seine Antworten, fügte jedochhinzu, es sei »unverantwortlich« gewesen, ein solches Inter-view überhaupt zu geben. Ich bat ihn um Bestätigung, ob erdie folgenden Sätze ebenfalls zu der Reporterin gesagt hatte:

»ROSEMARY JAMES: Sie behaupten also ausdrücklich, dergesamte Fall der Regierung gegen Jim Garrison ist einSchwindel?

GERVAIS: Das steht außer Frage. Alles, was rein auf politi-schen Gründen basiert, kann nur Schwindel sein.

ROSEMARY JAMES: Es ist ein einziger Betrug?GERVAIS: Die ganze Sache.« .Er gestand ein, im Laufe des Interviews diese Aussagen ge-

macht zu haben. An dieser Stelle entglitt das Verfahren derRegierung gegen mich völlig ihrer Kontrolle und landete dort,wohin es schon von Anfang an gehört hatte: auf dem Müll.

Aber ich war noch nicht fertig. Ein für allemal wollte ichklären, daß die gefälschten und manipulierten Tonbänder derRegierung völlig wertlos waren. Mit Lou Merhiges Hilfe hatteich einen Experten ausfindig gemacht, Dr. Louis Gerstman, ei-nen Professor für Sprach- und Hörkunde an der City Univer-sity von New York.

Als ich Dr. Gerstman in den Zeugenstand rief, protestierteder Bundesstaatsanwalt heftig. Doch der Richter erkannteDr. Gerstman als Gutachter an.

Dr. Gerstman sagte aus, die wichtigsten Regierungsbe-weise bestünden aus verschiedenen Tonbandaufnahmen, dieman neu zusammengesetzt habe. Als Beispiel führte er an,daß meine Stimme mitten im Gespräch etwas sagte, das völligaus dem Zusammenhang gerissen sei, und daß »technischeUnvereinbarkeiten« zwischen meiner und Gervais' Stimmeund dem ihnen unterliegenden Geräuschpegel bestünden.Zusammenfassend sagte Dr. Gerstman aus, die Tonbänderder Regierung seien manipuliert worden.

Dann rief ich Leon Hubert als Zeugen auf, einen Jurapro-fessor und Ex-Bezirksstaatsanwalt aus Tulane, der aussagte,meine Behörde habe im Rahmen der Gesetze des StaatesLouisiana alles erdenklich Mögliche getan, um gegen Spielhal-lenbesitzer vorzugehen. Um die unterschiedlichen Auffassun-gen anderer Bezirksstaatsanwälte aufzuzeigen, rief ich denPräsidenten der Vereinigung der Bezirksstaatsanwälte desStaates Louisiana auf. Er sagte aus, seine Politik sei es gewe-sen, nicht gegen die Besitzer von Spielhallen einzuschreiten.Ich rief den Staatsanwalt des Bezirks Jefferson auf, der denanderen Teil des Großraums New Orleans bildet, und er er-klärte, seine Behörde habe nie Spielhallenprozesse ange-strebt, da es zu viele andere Verbrechen gebe, die höherePriorität hätten.

Mein Abschlußplädoyer dauerte drei Stunden. Meine bei-den Mitangeklagten und ich wurden für nicht schuldig befun-den.4 Leider blieb mir nicht mehr genug Zeit, um einen an-ständigen Wahlkampf zu führen, und mein Herausforderergewann mit einem Vorsprung von zweitausend Stimmen.

Mein letzter Tag im Amt, in dem ich zwölf Jahre lang alsBezirksstaatsanwalt gearbeitet hatte, war ein Samstag. DieBehörde war nahezu menschenleer. Überall auf dem Bodenlagen zusammengeknüllte Zettel, und die Papierkörbe quollen

von den Hinterlassenschaften einer Gruppe von Leuten über,die hier jahrelang zusammengearbeitet hatten.

Als ich meinen Schreibtisch ausräumte, merkte ich plötz-lich, daß Andrew Sciambra vor mir stand. Er hatte Tränen inden Augen.

»Jim«, sagte er. »Ich muß Ihnen eine Frage stellen, bevorSie gehen. Ich wollte es schon seit Jahren tun.«

Ich sah ihn an. »Nur zu«, sagte ich.»Während all der Jahre, die wir am Kennedy-Fall gearbei-

tet haben...«»Ja?«»Haben Sie da wirklich geglaubt, wir könnten die Bundes-

regierung schlagen?«Ich legte die Hand auf seine Schulter. »Andrew«, sagte ich,

»ich habe keinen Augenblick daran gezweifelt.«

20. DIE HEIMLICHEN DRAHTZIEHER

»Wenn man das Unmögliche ausgeschieden hat, muß das,was übrigbleibt, wie unwahrscheinlich es auch erscheint, dieWahrheit sein.«

Das Zeichen der VierSir Arthur Conan Doyle

Seit dem Verfahren gegen Clay Shaw und meinem Prozeß istviel geschehen. Führende Persönlichkeiten wie Lyndon B.Johnson, Earl Warren, Allen Dulles, Charles und Earle Cabellsind gestorben. Und wichtige Beteiligte an meinen Ermittlun-gen in New Orleans - wie der gehässige Antikommunist GuyBanister und der von ihm beschäftigte Privatdetektiv JackMartin - sind tot, ohne daß die Öffentlichkeit Notiz davongenommen hat.

Andere sind zweifellos unter mysteriösen Umständen ge-storben.1 George de Mohrenschildt, Lee Oswalds Freund undBabysitter in Dallas, wurde, ein paar Stunden nachdem ereinem Gespräch mit einem Ermittler des Untersuchungsaus-schusses des Repräsentantenhauses über Attentate zuge-stimmt hatte, erschossen aufgefunden - mit einem Gewehrneben sich. Der Gerichtsmediziner, der die Obduktion vor-nahm, entschied auf Selbstmord.2

David Ferrie wurde, wie in Kapitel n beschrieben, tot inseiner Wohnung in New Orleans aufgefunden, mit zwei nichtunterschriebenen Abschiedsbriefen neben sich. Der Gerichts-mediziner gelangte zu dem Ergebnis, daß Tod durch natür-liche Ursachen vorlag.

Deputy Sheriff Roger Craig verließ nach einem Anschlag

auf sein Leben Dallas und zog nach New Orleans. Er bekamjedoch Heimweh und kehrte nach Dallas zurück. Sein Wagenwurde in die Luft gesprengt, als er darin saß, doch er über-lebte. Dann wurde er zu Hause erschossen aufgefunden. DasUrteil des Gerichtsmediziners lautete auf Selbstmord.3

Nachdem Jack Ruby im Sheriff's Office wegen einer Erkäl-tung behandelt worden war, ging es ihm immer schlechter,und er wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Kurz darauf hießes, er habe Krebs, und nicht lange danach wurde erklärt, ersei an Krebs gestorben.

Lee Harvey Oswald wurde vor einem Fernsehpublikum vonMillionen Zuschauern erschossen, als ihn eine lebendigeMauer aus Polizisten beschützen sollte. Obwohl die genaueTodesursache zweifelsfrei feststeht, bleibt das von Ruby ge-nannte Motiv für den Mord an Oswald - er wolle Mrs. Ken-nedy die Belastung ersparen, am Prozeß gegen Oswald teilzu-nehmen - so fraglich wie eh und je, besonders hinsichtlichRubys Beziehungen zum organisierten Verbrechen einerseitsund zu FBI und CIA andererseits.

Clay Shaw starb am 14. August 1974, ebenfalls unter ge-heimnisvollen Umständen. Eines Tages sah ein NachbarShaws, daß ein paar Männer eine Leiche auf einer Bahre zumVorderausgang von Shaws mondänem Haus hinaustrugen.Die Leiche war, einschließlich des Kopfes, mit einem Tuch be-deckt. Der Nachbar, dem dies ungewöhnlich erschien, infor-mierte die Gerichtsmedizin, die augenblicklich Ermittler zuShaws Haus schickte. Als sie dort eintrafen, war der Wohnsitzverlassen. Nach eintägiger Ermittlung erfuhr der Gerichtsme-diziner des Bezirks New Orleans, Shaw sei gerade in Kent-wood, Bezirk Tangipahoa, wo er auch geboren worden war,begraben worden.

Laut des von einem Dr. Hugh Betson ausgestellten Toten-scheins war Shaw an Lungenkrebs gestorben.4 Den Gerichts-mediziner von New Orleans, Dr. Frank Minyard, beschäftigtendie Umstände und das Tempo der Beerdigung, und er be-absichtigte, einen Gerichtsbeschluß zur Exhumierung von

Shaws Leiche in Kentwood zu erwirken, um sich zu vergewis-sern, daß bei Shaws Tod tatsächlich alles mit rechten Dingenzugegangen war. Doch bevor er sich den Beschluß besorgenkonnte, bekamen die Medien Wind von seiner Absicht. Au-genblicklich veröffentlichten die Zeitungen wütende Leitarti-kel, in denen sie gegen die Entweihung von Shaws sterblichenÜberresten protestierten, auf sein Recht hinwiesen, in Frie-den zu ruhen, und andeuteten, dabei handele es sich um denVersuch, meine Beschuldigung, Shaw sei am Attentat auf Prä-sident Kennedy beteiligt gewesen, wieder aufleben zu lassen.Der Gerichtsmediziner gab nach5, und die Exhumierung fandnicht statt.

Ich weiß nicht, was aus anderen wichtigen Beteiligten derGeschichte geworden ist: aus Kerry Thornley, Oswalds Dop-pelgänger und Bekannten aus Marinetagen; aus dem ehema-ligen FBI-Agenten James Hosty; aus Oswalds Freundin RuthPaine und unserem Zeugen Vernon Bundy.

Einigen ist es gut ergangen. Richard McGarrah Helms6,zum Zeitpunkt des Attentats stellvertretender Planungsdirek-tor (für verdeckte Operationen) bei der CIA, wurde 1966 zumDirektor der Agency befördert. 1973 trat er zurück, um Bot-schafter im Iran zu werden. Er hatte diesen Posten bis 1977inne und übernahm dann Beratertätigkeiten in der Privat-wirtschaft. Johnny Carson ist zu einer Ikone des Abendpro-gramms im Fernsehen geworden. NBC, CBS, Newsweek,Time, Life und die New York Times haben so weitergemacht,als sei nichts geschehen.

Dies trifft auch auf einige wichtige Zeugen zu. Perry Russozum Beispiel betreibt einen Requisitenverleih in New Orleansund fährt nebenher Taxi. Julia Ann Mercer ist mit einem er-folgreichen Geschäftsmann verheiratet und lebt als Hausfrauim Mittelwesten. Und Pershing Gervais leitet ein Kautionsbüroin Baton Rouge.

Mit einer Ausnahme haben die Mitglieder der Sonderein-heit, die in der Staatsanwaltschaft von New Orleans die Er-mittlungen im Fall John F. Kennedy führten, noch in der einen

oder anderen Weise mit dem Gesetz zu tun. Andrew Sciambraist nun Polizeirichter in New Orleans. Lou Ivon gehört der ge-setzgebenden Körperschaft des Staates an. AI Oser arbeitetebis zur Pensionierung als Polizeirichter und ist nun Senior-partner einer Kanzlei in New Orleans. Jim Alcock wurdeebenfalls Polizeirichter in New Orleans und praktiziert heuteals Anwalt in Houma, Louisiana. Charles Ward ist Richter amBerufungsgericht des vierten Bezirks von Louisiana. D'AltonWilliams hat sich als Anwalt für Grundbesitzfragen in New Or-leans niedergelassen. Numa Bertel ist Leiter des Anwaltsdien-stes für Mittellose am Polizeigericht. Frank Klein kehrte zuunserer Behörde zurück und wurde später stellvertretenderStaatsanwalt im Bezirk Placquemine südlich von New Or-leans, ist aber leider 1986 an Krebs gestorben.

Was mich betrifft, praktizierte ich nach der Niederlage imWahlkampf und meinem Freispruch in dem getürkten Prozeßder Regierung wegen Steuerhinterziehung vier Jahre lang alsAnwalt, schrieb einen Roman7 und wurde dann in mein der-zeitiges Amt als Richter am Berufungsgericht des viertenBezirks des Staates Louisiana gewählt.

Doch mein Interesse an der Ermordung Präsident Kenne-dys und den sich daraus ergebenden Folgen erlahmte nie. DieJournalisten haben neue Informationen über das Attentatausgegraben, die die Regierung der Vereinigten Staaten wei-terhin nicht zur Kenntnis nimmt. Für mich zählt zu den be-deutsamsten Enthüllungen die verspätete Entdeckung, daßbei der Autopsie eine weitere Kugel in Präsident KennedysLeichnam gefunden wurde, das Verschwinden von PräsidentKennedys Gehirn und natürlich die Bestätigungen von VictorMarchetti und Richard Helms, daß Clay Shaw Agent der CIAwar (siehe Kapitel 18).

1978 und 1979 führte der Untersuchungsausschuß des Re-präsentantenhauses über Attentate Anhörungen durch, undobwohl er allem Anschein nach dem im Sterben liegendenBericht der Warren-Kommission neues Leben einhauchenwollte, stolperte er widerstrebend der Schlußfolgerung ent-

gegen, Kennedy sei »wahrscheinlich infolge einer Verschwö-rung ermordet« worden.8 Bevor der Ausschuß sich auflöste,forderte er das Justizministerium auf, die Ermittlungen neuaufzunehmen9, und erstellte einen Geheimbericht über dieSpuren, die er aufgedeckt hatte. Als Antwort auf diese Auffor-derung folgte fast ein Jahrzehnt des Schweigens.10

Mehr als alles andere hat sich in den Jahren seit dem At-tentat auf Präsident Kennedy das nationale Bewußtsein derUSA geändert. Amerika hat sehr viel durchgemacht. Es gabzum Beispiel die geglückten Attentate auf Martin Luther Kingjr, Robert Kennedy, Medgar Evers und Malcolm X. Es gabdie Attentatsversuche auf den PräsidentschaftskandidatenGeorge Wallace und die Präsidenten Gerald Ford und RonaldReagan. Wir haben neun schreckliche Jahre des Vietnamkrie-ges durchlebt, das Watergate-Trauma, die Enthüllungen dersiebziger Jahre über die CIA und in jüngster Vergangenheitdie Iran/Contra-Affäre. Durch diese außerordentliche Abfolgevon Ereignissen haben wir unsere Unschuld verloren.

Wenn wir heute aufgrund neuer Informationen und neuenVerständnisses zurückschauen, ist es möglich, eine begrün-dete historische Spekulation darüber anzustellen, was mitPräsident Kennedy passierte und warum es passierte. Ichglaube, am 22. November 1963 fand an der Dealey Plaza inDallas ein Staatsstreich statt. Ich glaube, er wurde schonlange zuvor von fanatischen Antikommunisten in den Ge-heimdiensten der USA geplant und vorbereitet. Ausgeführtwurde er, höchstwahrscheinlich ohne offizielle Billigung, vonEinzelpersonen aus dem Apparat für verdeckte Operationender CIA und anderen, außerhalb der Regierung stehendenKollaborateuren. Vertuscht wurde er von Einzelpersonenähnlicher Gesinnung in FBI, Secret Service, der Polizei vonDallas und dem Militär. Sein Zweck war, Kennedy davon Ab-zuhalten, Entspannung mit der Sowjetunion und Kuba Susuchen und den kalten Krieg zu beenden.

Ein Staatsstreich wird definiert als »plötzliche Handluftg,mit der eine Einzelperson oder eine Gruppe normalerweise

unter Einsatz beschränkter Gewalt eine Regierungspositionübernimmt, ohne sich den formellen Erfordernissen einesAmtswechsels zu unterwerfen, wie sie das Gesetz oder dieVerfassung vorschreiben«11. Ein erfolgreicher Staatsstreicherfordert eine Reihe von Elementen: intensive Planung undVorbereitung durch Drahtzieher (jene, die für den Staats-streich verantwortlich sind); die Mithilfe der Prätorianergar-de12 (das sind Beamte, deren Aufgabe es ist, die Regierungeinschließlich des Präsidenten zu schützen); ablenkende Ver-tuschungsmaßnahmen nach dem Anschlag; die Billigung desAttentats durch die neue Regierung und die Verbreitung ge-zielter Falschinformationen durch bedeutende Nachrichten-medien. Wenn Ihnen diese Abfolge der Ereignisse bekanntvorkommt, dann deswegen, weil genau das geschah, als JohnF. Kennedy ermordet wurde.

Ich weiß nicht genau, wann die Planung und Vorbereitungdes Staatsstreiches begann. In gewisser Hinsicht vielleichtschon Ende 1960, als die CIA ein Dossier über die möglicheWiederwahl des Präsidenten erarbeitete. Ein solches psycho-logisches Profil wird bestimmt nicht zum Attentat auf denPräsidenten aufgefordert haben, doch sein Zweck war es, dieCIA - oder gewisse Kreise der CIA - dem Ziel näherzubringen,die Außenpolitik zu manipulieren. Wahrscheinlich zogen be-stimmte kalte Krieger in hohen CIA-Positionen ein Attentaterst später in Betracht, nachdem sich Kennedy für die Ent-spannung ausgesprochen hatte und konventionelle Methodenzur Manipulation der Politik versagt hatten.

Wer genau für die Planung zuständig war, ist ebenfallsnicht klar. Doch mit Sicherheit war Guy Banister schon sehrfrüh in zweifelhafte, auf ein Attentat abzielende Aktionen ver-wickelt. Mitarbeiter seiner Organisation, der Friends ofDemocratic Cuba - der Freunde des demokratischen Kuba -,waren die ersten, die sich als Lee Oswald ausgaben, als sie imJanuar 1961 versuchten, beim Ford-Händler Bolton in NewOrleans zehn Lieferwagen für die Invasion in der Schweine-bucht zu kaufen (siehe Kapitel 4). Im Sommer 1963 war Bani-

ster tief in Anti-Castco-Aktivitäten verstrickt, angefangen vonGuerilla-Ausbildungslagern nördlich von Lake Pontchartrainbis hin zum Waffenschmuggel für Überfälle auf Kuba. DaßBanister zu dieser Zeit mit der CIA zusammenarbeitete,kann nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt werden.

Neben anderen gehörte es im Sommer 1963 zu BanistersAufgaben, Lee Oswald zu präparieren und ihn als überzeug-ten Kommunisten darzustellen. Obwohl es nie gelungen ist, inNew Orleans eine Zweigstelle des Fair Play for Cuba Commit-tee ausfindig zu machen, ließ Banister Oswald in dessenNamen auf der Straße Flugblätter verteilen. Er stellte Oswaldeinen Raum im zweiten Stock des Newman Building zur Ver-fügung und traf sich von Zeit zu Zeit mit ihm in seinem eige-nen Büro. Diese Präparierung glückte dank Banister wie ge-plant. Nach dem Attentat wurde Oswald sofort als Kommunistgebrandmarkt, und als wichtigster Beweis dafür wurdenseine Flugblattaktionen in New Orleans angeführt.

Die Drahtzieher des Attentats arrangierten auch zahlrei-che Auftritte, bei denen sich andere Personen als Oswald aus-gaben, um ihm so eine lange Spur belastender Beweise anzu-hängen (siehe Kapitel 5). Das bedeutendste dieser Ereignissetrug sich im Oktober 1963 in Mexiko-Stadt zu, als Oswald vor-geblich wiederholt mit der Sowjetischen Botschaft und demKubanischen Konsulat Verbindung aufnahm, um eine Reise indie Sowjetunion zu arrangieren. Seine besondere Bedeutunggewinnt dieser Zwischenfall dadurch, daß alle »Dokumente«,die ihn beweisen sollten, von der CIA vorgelegt wurden. DieseBeweise - darunter interne CIA-Hausmitteilungen, Fotos ei-nes Mannes, bei dem es sich eindeutig nicht um Oswald han-delt, sowie Tonbänder von aufgezeichneten Telefongesprä-chen mit der Sowjetischen Botschaft, auf denen OswaldsStimme nicht zu hören war - waren geradezu peinlich dünn.Für mich bedeutet dies alles, daß zwar einige Leute der CIAan den Verkleidungsscharaden teilnahmen, bei denen anderePersonen sich als Oswald ausgaben, um damit einen Sünden-bock für das Attentat zu präparieren, daß jedoch andere Per-

sonen innerhalb der Agency nichts von der Verschwörungwußten, da sie sonst tatsächlich versucht hätten, die Wahrheitherauszufinden.

Oswald scheint über einen langen Zeitraum hinweg vordem Attentat geschickt von der CIA manipuliert worden zusein und hat vielleicht tatsächlich geglaubt, für die Regierungzu arbeiten. Oswald war auch ein verdeckter FBI-Informant,ein Job, der es seinen Auftraggebern ermöglichte, ihn zusätz-lich unter Kontrolle zu halten, und der ihm vielleicht Grund zuder Annahme gab, wirklich einer Verschwörung zur Ermor-dung des Präsidenten auf der Spur zu sein. Seine Verbindungzum FBI wirft eine Frage auf: In welchem Ausmaß waren dasFBI und der Secret Service an den Vorbereitungen des Atten-tats beteiligt? Ich habe den Eindruck, daß keiner dieser Dien-ste vor dem Attentat eine eindeutig positive Haltung ein-genommen hat - wenngleich sie allerdings ausgesprochenePassivität an den Tag legten, als aktives Handeln gefragt war.

Das bringt uns zu dem zweiten - unerläßlichen - Element füreinen erfolgreichen Staatsstreich: die Kooperation der Präto-rianergarde. Ein Staatsstreich bedarf weder der Unterstüt-zung durch eine große Anzahl von Regierungsbeamten nochder durch eine breite Bevölkerungsschicht. Die Urheber desStaatsstreichs können durchaus nur die Ansichten einer Be-völkerungsminderheit repräsentieren, denn wenn sie Schlüs-selfiguren der Prätorianergarde auf ihrer Seite haben, wirddie Mehrheit irrelevant.

In den USA stellt die Geheimpolizei der Nachrichtendienstedas moderne Gegenstück zur Prätorianergarde dar, angefan-gen beim kleinen, allgegenwärtigen Secret Service über dasFBI bis hin zu den Geheimdienstabteilungen der verschiede-nen Bundesbehörden, der Defense Intelligence Agency undder Central Intelligence Agency. Ohne Schlüsselfiguren diesermodernen Prätorianergarde wäre in den Vereinigten Staatenein Staatsstreich unmöglich. Mit ihnen kann er jedoch unauf-haltbar sein.

Die Prätorianergarde ist für einen erfolgreichen Staats-streich von entscheidender Bedeutung, da sie die Möglichkeithat, im kritischen Augenblick den Schutz des Staatsführersaufzuheben. Die sekundenschnelle Eliminierung von KaiserCaligula, nach der der stotternde Claudius als einziger Kan-didat für den Kaiserthron zur Verfügung stand, erfolgte gera-dezu beiläufig, nachdem die Garde sich leise zurückgezogenhatte.

Und fast ebenso beiläufig wurde Präsident Kennedy besei-tigt, in nicht einmal sechs Sekunden, nach denen Lyndon B.Johnson als neuer Präsident feststand.

Anscheinend war ein Telex mit der Warnung vor einemAttentatsversuch auf den Präsidenten am 22. oder 23. Novem-ber in Dallas zwar an jeden leitenden Special Agent des FBI imganzen Land geschickt, aber einfach ignoriert worden (sieheKapitel 17). Der Secret Service hatte auf die Schutzkuppel derPräsidentenlimousine verzichtet. Die Fenster und Dächer derGebäude entlang der Fahrtroute waren nicht gesichert (sieheKapitel 2). Und die Fahrtroute selbst war in letzter Minute ge-ändert worden, damit die Wagenkolonne scharf abbiegen undihre Geschwindigkeit dabei auf knapp fünfzehn Stundenkilo-meter verringern mußte (siehe Kapitel 7). All das bedeutet imPrinzip, daß dem Präsidenten der Schutz durch die modernePrätorianergarde entzogen und er dadurch dem Gewehrfeuerausgesetzt wurde, das von dem Grashügel vor ihm und vonmindestens zwei Gebäuden hinter ihm kam.

Die Frage, wie viele Schüsse genau von welchen Stand-orten aus und von wem abgegeben wurden, bleibt unbeant-wortet.

Doch ich bin mir ziemlich sicher, daß Lee Harvey Oswaldam 22. November 1963 keinen einzigen Schuß abgefeuert hat.Der negativ ausgefallene Nitrattest, seine schlechten Leistun-gen als Schütze bei der Marine, sein wenig aggressiver Cha-rakter und die armselige Qualität des Mannlicher-Carcano-Gewehrs, das er angeblich bei einem Versandhandel gekauftund bei dem Attentat benutzt haben soll, sowie das Fehlen

jeglicher Beweise für seine Verwicklung in den Mord an demPolizisten Tippit bestätigen, daß er niemanden getötet hat,sondern lediglich, wie er behauptete, »hereingelegt worden«war.

Der Leichnam des Präsidenten war noch nicht erkaltet, alsman bereits mit der gut organisierten Verschleierung begann.Durch die Entführung seiner Leiche in einem Krankenwagenzur Air Force One - trotz der heftigen Einwände von Beamtendes Staates Texas im Parkland Hospital - konnte man den To-ten schnell verschwinden lassen, bevor die erforderliche Aut-opsie vor Ort enthüllte, daß Kennedy sowohl von vorne alsauch von hinten getroffen worden war. Lyndon B. Johnsonwurde sofort als neuer Präsident der Vereinigten Staaten ver-eidigt, um die beunruhigende Möglichkeit eines nationalen Si-cherheitsnotstands auszuschließen. Dann hob die Maschinevom Flughafen in Dallas ab und nahm Kurs auf das Marine-krankenhaus in Bethesda, Maryland. Dort wurden der hippo-kratische Eid und jede ernsthafte Suche nach der Wahrheitplötzlich vom obersten Gesetz der Militärs hinweggewischt:Befehlen zu gehorchen, ohne Fragen zu stellen (siehe Kapitel18).

Nachdem die Air Force One gestartet war und sich Kenne-dys Leiche in der Luft befand, konnte offiziell erklärt werden,der Präsident sei von hinten erschossen worden. Man konntebekanntgeben, daß es sich um das Werk eines Einzeltätershandelte, eines jungen, aus der Bahn geworfenen Marxistenohne Motiv und ohne Helfer, und daß die Polizei von Dallas ihnschon verhaftet hatte und er sich im Büro von Captain WillFritz befand, dem Chef der Mordkommission. Der befürchteteNotstand war beendet, noch ehe er richtig begonnen hatte.Die Regierung der Vereinigten Staaten lag in guten Händen.

Der Staatsstreich hatte sein Ziel mit der Präzision einesUhrwerks erreicht. Man hatte das höchste Regierungsmit-glied der Vereinigten Staaten getötet, und bedeutende Verän-derungen in der amerikanischen Außenpolitik würden nicht

erst nach Monaten oder Wochen, sondern binnen wenigerTage eintreten.

Mittlerweile war man eifrig mit der Vertuschung beschäf-tigt. Der Secret Service schickte Gouverneur John ConnallysKleidung mit allen Beweisen, die sie vielleicht enthalten hatte,in die Wäscherei und säuberte dann die Präsidentenlimou-sine, wobei er wiederum alle wichtigen Blut-, Kugel- und Kno-chenspuren beseitigte (siehe Kapitel 17). Später »untersuch-ten« seine Agenten Lee Oswalds Büro in Guy BanistersOperationsbasis und fanden dabei keinerlei verdächtige Spu-ren (siehe Kapitel 3).

Das FBI vertuschte die Tatsache, daß es fünf Tage vor demAttentat vor einer Verschwörung zur Ermordung des Präsi-denten gewarnt worden war, bedrängte Zeugen wie FenellaFarrington (siehe Kapitel 5) und versuchte andere, wie Ri-chard Randolph Carr (siehe Kapitel 18), zum Schweigen zubringen. Das FBI ging sogar so weit, die Aussagen der ZeuginJulia Ann Mercer zu verändern, die Jack Ruby als den Mannidentifiziert hatte, der den Lieferwagen fuhr, aus dem eineStunde vor dem Attentat ein Mann mit einem Gewehr amGrashügel ausgestiegen war.

Der Polizei von Dallas gelang es, zwei Gewehre zu »verlie-ren«, die sie im Schulbuchlager sichergestellt hatte, daruntereine hochwertige Präzisionswaffe, eine 7.6ser Mauser. Siemachte sich auch nie die Mühe, der Meldung von DeputySheriff Roger Craig nachzugehen, der gesehen hatte, daß einNash-Rambler-Kombi mit vier Personen - eine davon Os-wald - vor dem Schulbuchlager gestanden hatte und dannlosgefahren war; sie stritt sogar ab, je davon gehört zu haben(siehe Kapitel 16). Sie verschwieg zehn Monate lang, daß Os-walds Nitrattest negativ ausgefallen war (siehe Kapitel 7); sieunterschlug und manipulierte wichtige ballistische Beweisebeim Mord an Tippit (siehe Kapitel 15). Und sie ließ zu, daßJack Ruby Oswald im Keller des Polizeipräsidiums tötenkonnte, obwohl dieser von Dutzenden Beamten umringt war.Ruby hatte zumindest geholfen, das Attentat vorzubereiten,

und wurde vielleicht von den Urhebern des Attentats deshalbin eine Lage manövriert, in der ihm keine Alternative mehrblieb, als Oswald zu eliminieren. Rubys Gewalttat, mit der erden einzigen Menschen zum Schweigen brachte, der dieDrahtzieher des Attentats vielleicht hätte identifizieren kön-nen, bildete die Krönung der Vertuschung. Auf diese Weisewurden die Vertuschungsmanöver selbst perfekt kaschiert.

Nachdem die Verschleierung mit derart durchschlagendemErfolg abgeschlossen war, konnte das Attentat nun bedenken-los »gebilligt« werden. Die überlebenden Angehörigen derneuen Regierung - von Lyndon B. Johnson über J. EdgarHoover und Earl Warren abwärts - erkannten schnell die Vor-teile, die ihnen eine Unterstützung des Szenarios bot, es habegar keinen Staatsstreich gegeben, die amerikanische Demo-kratie sei ungefährdet und intakt wie eh und je, und ein ver-rückter Einzeltäter habe den Präsidenten in einem sinnlosen,willkürlichen Gewaltakt umgebracht. Und sie begriffenschnell die Botschaft der Drahtzieher hinter dem Attentat;man war sich darin einig, den kalten Krieg so intensiv fortzu-setzen wie vor Kennedys Zeiten. Es gibt keine Beweise, daßJohnson, Hoover, Warren oder Allen Dulles von dem Attentatwußten oder darin verstrickt waren, doch ich würde nichtzögern, sie als Mitschuldige zu bezeichnen, nachdem sievor vollendete Tatsachen gestellt worden waren.

Als die Mitglieder jener Geheimdienste, die an der Ver-schwörung nicht teilgenommen hatten, erkannten, daß einStaatsstreich stattgefunden hatte, unterstützten sie schnelldie offiziell verbreitete Version des Tathergangs und des Tä-ters. In einigen Fällen waren sie vom Selbsterhaltungstriebmotiviert, in anderen von der Annahme, Kennedy habe dasAttentat selbst heraufbeschworen, da er zu oft Kompromissemit den Sowjets eingegangen war.

Die verbliebenen Mitarbeiter der Kennedy-Administra-tion - von hohen gewählten Beamten bis hin zu Ministern undGeheimdienstleitern - reihten sich in die Schlange und

stimmten in den immer lauter werdenden Chor ein, der diegroße Lüge unters Volk brachte.

So verlaufen alle erfolgreichen Staatsstreiche. Im frühen17. Jahrhundert schrieb der englische Dichter Sir John Har-ington13:

»Verrat gedeihet nie. Aus welchem Grund?Wenn er gedeiht, wagt keiner, ihn Verrat zu nennen.«Die offizielle Billigung nahm ihren Anfang, als der Kongreß

Präsident Johnson, dem Erben der Macht, erlaubte, die War-ren-Kommission zur Aufklärung des Mordes einzusetzen, derunter anderem der ehemalige CIA-Direktor Dulles angehörte.Der Bericht der Kommission, der vom Prestige und der Glaub-würdigkeit seines angesehenen Vorsitzenden lebte, drücktedem Märchen vom Einzeltäter den offiziellen Beglaubigungs-stempel der Regierung auf. Der Regierung, die sich nicht mitden früheren Attentatsversuchen der CIA und der Mitwirkunganderer Geheimdienste bei deren Vertuschung befassenwollte, muß eine solche Billigung als der einfachste Auswegerschienen sein. Noch viele Jahre später gaben Bundes-beamte ihr Bestes, den in sich zusammenfallenden Bericht zustützen, während die Kritiker ihn Stück für Stück zerrissen,bis schließlich kaum noch jemand an das Szenario vom Ein-zeltäter glaubte.

Obwohl der Mord nicht eindeutig aufgeklärt wurde, unter-nahmen die nachfolgenden Präsidenten und Staatsanwälte,denen ausnahmslos das FBI und die gesamten Mittel der Bun-desregierung zur Verfügung standen, keinen Versuch, dieWahrheit herauszufinden.

Im Gegenteil, als ich eine vorbehaltlose Untersuchung desAttentats durchführen wollte, versuchten Bundesbeamte, dieWahrheit zu unterdrücken. Ich erhielt keine Unterstützung,als ich versuchte, Schlüsselzeugen wie Allen Dulles vorzula-den. Ich mußte feststellen, daß wichtige Unterlagen der Bun-desregierung vernichtet, verändert, als geheim eingestuftworden waren oder für fünfundsiebzig Jahre unter Verschlußgehalten werden sollen. Ich sah mich vom Präsidenten, vom

Generalstaatsanwalt und vom Justizminister denunziert.Meine Ermittlungen wurden von Bundesagenten torpediertund unterwandert. Und schließlich fand ich mich als Opfer ineinem an den Haaren herbeigezogenen Prozeß der Bundes-regierung wieder. So ergeht es demjenigen, der sich der Billi-gung des Staatsstreichs durch die neue Regierung nicht an-schließt.

Die Vertuschung und Billigung des Attentats durch die Regie-rung wurde durch eine Flut von Falschinformationen gestützt,die in den Medien erschienen. Das Ausstreuen von Desinfor-mationen ist das letzte Element eines erfolgreichen Staats-streichs und zufälligerweise auch eine der Spezialitäten derCIA.14 Viele Jahre lang standen insgeheim Journalisten aufder Gehaltsliste der Firma, die angeblich für die Medien ar-beiteten, in Wirklichkeit jedoch das amerikanische Volk ma-nipulierten. Die CIA hat auch die Veröffentlichung von übertausend Büchern unterstützt.15 Wie Richard Barnet es aus-drückte16, der Co-Direktor des Institute for Policy Studies:

»Bei den Produkten im Gewerbe der Geheimdienst-Unter-welt handelt es sich um Täuschungsmanöver. Sie sollen erfun-dene Wirklichkeiten schaffen und mittels Manipulation undSubversion die Dinge anders erscheinen lassen, als sie tat-sächlich sind. Über zweihundert Agenten [...] geben sich alsreisende Geschäftsleute aus. Die CIA hat eingestanden, daßseit dem Zweiten Weltkrieg mehr als dreißig Journalisten aufihrer Gehaltsliste standen. >Inhabergesellschaften< wie die AirAmerica und sonstige Tarnfirmen der Agency, >Scheinstiftun-gen<, Studentenorganisationen, Kirchenorganisationen undso weiter gehörten zu dieser doppelbödigen Welt, die letztend-lich nicht nur das amerikanische Volk, sondern auch Regie-rungen anderer Länder in die Irre geführt und getäuscht hat.«

Fünfundzwanzig Jahre lang hat man das amerikanischeVolk mit einer Propaganda bombardiert, die beharrlich aufeine Vielzahl irrelevanter, vorgeblicher »Hintermänner« als,vermeintliche Drahtzieher des Kennedy-Attentats hinwies.

Den Amerikanern wurden mit solchen Falschinformationen,für die sie auch noch mit ihren Steuergeldern bezahlten, der-maßen die Gehirne gewaschen, daß viele heutzutage nur nochtraurig aufstöhnen können, daß sie »die Wahrheit wahr-scheinlich nie erfahren« werden.

Inzwischen verstärkten ein endloser Strom an Erklärun-gen seitens der Nachrichtendienste, Zeitungsartikel, Fernseh-»Dokumentationen«, Illustriertenbeiträge und Bücher dieseVerwirrung und lenkten die Aufmerksamkeit der Öffentlich-keit weiterhin in die falsche Richtung. Die unglaublich zahl-reichen vorgeblichen Hintermänner, die dem amerikanischenVolk zugemutet wurden, schlössen Lee Harvey Oswald ein,den KGB, Howard Hughes, Ölbarone aus Texas, das organi-sierte Verbrechen und Fidel Castro.

Der erste angebliche Drahtzieher war der Sündenbockselbst: Lee Harvey Oswald. Er, der von den Geheimdienstenfür diese Rolle vorgesehen war, wurde von der Warren-Kom-mission und anderen höchsten Stellen der Regierung der Ver-einigten Staaten offiziell für schuldig befunden. Doch mit derZeit wurde zunehmend deutlich, daß das Märchen vom Ein-zeltäter auseinandergefallen war, und die meisten seiner An-hänger verstummten.

Dementsprechend überrascht war ich, als die ZeitschriftTime, die immer vehement die Einzeltäter-Version vertrat,den ursprünglichen Sündenbock auch weiterhin als Täter dar-stellte. Man muß der Zeitschrift erstaunliche Konsequenz inder unbegrenzten Stützung dieser Theorie bescheinigen, abernatürlich auch absoluten Mangel an eigenständigem Denken.In der Ausgabe vom i. August 1988 wurde der Roman Libravon Don DeLillo rezensiert, bei dem es sich um eine zwar fik-tive, aber interessante und provokante Darstellung des Ken-nedys-Mordes und seines vermeintlichen Mörders handelt.Time bemängelte die Feststellung des Romans, daß »die Ver-schwörung zur Ermordung des Präsidenten noch breiter unddüsterer [war] als bislang angenommen«. Es gebe eine ein-fachere Möglichkeit, belehrt die Zeitschrift besserwisserisch:

»Ein frustrierter, wütender Mann schaute aus einem Fenster,sah den Präsidenten vorbeifahren und erschoß ihn.«

Als ich diese kurze Abhandlung über eines der komplizier-testen und bedeutendsten Ereignisse unserer Geschichte las,wurde mir klar, daß nicht mehr viel über eine Zeitschrift zusagen bleibt, die bereits alle Antworten kennt.

Einer der interessantesten angeblichen Drahtzieher ist Fi-del Castro. Im Laufe der Jahre bin ich - besonders an Univer-sitäten - häufig Menschen begegnet, die mir nachdrücklichbeipflichteten, es sei unmöglich gewesen, daß Oswald Ken-nedy ohne Hilfe ermordet habe. Doch dann fügten sie hinzu,sie nähmen an, Fidel Castro habe das Attentat in Auftraggegeben. Ich entgegnete stets darauf, daß ich die Logik dieserMutmaßung in Zweifel ziehen würde.

Zuerst wies ich daraufhin, daß in einem kritischen Augen-blick der von der CIA gesteuerten Invasion Kubas im Jahre196117 der diensthabende Leiter der Agency18 den Präsiden-ten bekniet hatte, Kampfflugzeuge der Navy einzusetzen.Kennedy hatte sich geweigert, und die Invasion endete mit ei-nem katastrophalen Fehlschlag. Danach erklärte ich, daß sichKennedy während der Kuba-Krise im Jahre 196219 geweigerthatte, Kuba bombardieren zu lassen oder eine Invasion zu be-fehlen, wie es ihm einige seiner Militär- und Geheimdienstbe-rater nahelegten. Schließlich erinnerte ich die Zuhörer daran,daß einer der wichtigsten Faktoren, die zur Beendigung derKuba-Krise führten, Kennedys persönliche Zusage an die So-wjetunion war, die USA würden keine weiteren Invasionsver-suche unternehmen - eine Entscheidung, die die führendenLeute in der CIA tief traf, da sie genau zu diesem Zweck Exil-kubaner in Guerilla-Lagern in Florida und Louisiana ausbil-den ließen. An diesem Punkt reichte es dann normalerweise,wenn ich die Frage stellte: »Glauben Sie wirklich, daß FidelCastro Kennedy beseitigen lassen wollte und lieber Lyndon B.Johnson an der Macht gesehen hätte?«

Man könnte den Vertretern der Auffassung, Castro steckeals Drahtzieher hinter dem Kennedy-Attentat, noch viele sol-

eher Fragen stellen. Hätten kubanische Kommunisten wirk-lich die notwendige Operationsbasis bereitstellen und Schlüs-selpositionen der Polizei von Dallas - einer der konservativ-sten Städte der USA - unterwandern können? Hätten dieseKommunisten auf eine weitgehende Zusammenarbeit der Be-hörden von Dallas, des FBI und der CIA zählen können, auf diedie tatsächlichen Täter offenbar bauen konnten? Und sollenwir wirklich glauben, daß Fidel Castro Oswald die aufrühre-rischen Flugblätter in New Orleans verteilen ließ und demgleichen Burschen später befahl, nach Dallas zu fahren undPräsident Kennedy zu ermorden? Und sollen wir glauben, daßCastros Mordkommando nur aus einem Mann bestand? ZumGlück kommt Castro als Drahtzieher nicht mehr in Betracht,vielleicht gerade wegen der Absurdität einer solchen An-nahme.

Ich habe natürlich erfahren, daß kurzzeitig die »Ölmilliar-däre des Südwestens« als Hintermänner sehr im Gesprächwaren. Doch für mich kamen sie nie in Frage, nicht einmalkurz, denn sie paßten einfach nicht zu meiner ursprüng-lichen - und noch immer gültigen - Annahme, daß das Atten-tat ohne Mitwirkung der Geheimdienste nicht möglich gewe-sen wäre. Sicher, George de Mohrenschildt war im Ölgeschäfttätig und Mitglied des Petroleum Club von Dallas. Doch meineGespräche mit ihm zeigten, daß er nur benutzt worden war -allerdings nicht von den Ölmilliardären des Südwestens, son-dern von den Geheimdiensten. Seine Pflichten beschränktensich darauf, Oswald zu beaufsichtigen. Als dann die letztenVorkehrungen getroffen wurden, um Oswald als Sündenbockdes Attentats erscheinen zu lassen, wurde er nach Haitigeschickt, wo er ein »regierungsorientiertes« Unternehmenbetrieb (siehe Kapitel 4).

Der Besuch von »Jim Braden«20 (Eugene Haie Brading) inden Geschäftsräumen der Familie Hunt wenige Tage vor demAttentat scheint ein einmaliger und kurzfristiger Täuschungs-versuch gewesen zu sein (siehe Kapitel 16). Auch Jack Rubystattete den Büros der Hunts einen Besuch ab - ebenfalls kurz

vor dem Attentat -, und Ruby war ebensowenig im Ölgeschäfttätig wie Braden. Diese Lockvögel wurden eingesetzt, um denSpekulationen Nahrung zu geben, die texanische Ölbranchekönne das Attentat finanziert haben.

Natürlich war der erste angebliche Drahtzieher, auf denman beharrlich deutete, das organisierte Verbrechen - dieMafia, der Mob. Viele Bücher, die vorgeblich die offizielle Er-klärung der Regierung zum Attentat kritisieren, scheinen nurzu dem Zweck geschrieben worden zu sein, den Leser davonzu überzeugen, das organisierte Verbrechen habe John F.Kennedy ermordet. Wie bei jedem langlebigen Mythos stek-ken auch in diesem ein paar Bröckchen Wahrheit. Die CIA hatjahrelang mit der Mafia zusammengearbeitet, und es gibtBeweise dafür, daß viele Mob-Führer Präsident Kennedy undseinen Bruder, den Justizminister Robert Kennedy, gehaßt ha-ben. Und einzelne Personen, die Verbindung zum Mob haben,passen tatsächlich in das Szenario.

Denn Teilen des organisierten Verbrechens bot das Kubavor Castro mit seinen Spielkasinos für amerikanische Tou-risten reiche Weidegründe. Bei ihrem Privatkrieg gegen Ca-stro traf die CIA später Vereinbarungen mit einigen dieserMobster - hauptsächlich mit Santos Trafficante und John Ros-selli -, die Fidel Castro im Auftrag der Agency ermorden soll-ten.21 Andere mit dem Mob verbundene Einzelpersonen wieJack Ruby wurden eingesetzt, um Waffen und Munitionfür Anti-Castro-Abenteuer aufzutreiben.22 Da überrascht eskaum, daß die Agency nach Präsident Kennedys Ermordungweiterhin ihren hilfreichen neuen Freund, den Mob, benutzte,da allein schon sein Name ihn zu einem potentiellen Drahtzie-her machte. Die unbestreitbare Kriminalität der verschieden-sten Unternehmungen des organisierten Verbrechens trugeinen Großteil zu der anhaltenden Verwirrung bei, die dieDesinformations-Maschinerie der Agency erzeugte, und ver-anlaßte viele, sich von der »Firma« als möglichem Drahtzie-her abzuwenden. Für die Mobster wiederum war die Agencyzu einem neuen und großzügigen Paten geworden.

Die Agency setzte ihre neuen Freunde nicht nur bei Mor-den und Waffenschmuggel ein, sondern auch für andereZwecke. Stellen Sie sich zum Beispiel meine Überraschungvor, als ich einen Band des Untersuchungsausschusses desRepräsentantenhauses über Attentate durchblätterte und da-bei einen vom CIA zur Verfügung gestellten Bericht entdeck-te.23 Darin hieß es, daß sich »Jim Garrison, als er noch Be-zirksstaatsanwalt von New Orleans war, insgeheim in einemHotel in Las Vegas mit John Rosselli getroffen« habe. Das warnatürlich absolut falsch, doch ich erachtete es als nicht ge-ringe Ehre, daß mich die Desinformations-Maschinerie deswichtigsten Geheimdienstes der Regierung mit dem Mob inVerbindung brachte.

Weit größere Bedeutung als dieser kleine Schlenker hat derErfolg der Agency, viele ansonsten kritisch denkende Ameri-kaner davon überzeugt zu haben, dem organisierten Verbre-chen sei es irgendwie gelungen, die ausgeklügelte Logistik zubewältigen, die letztendlich zur Ermordung Präsident Kenne-dys führte. Ich schlage vor, daß wir diese Ansicht einmal mitanscheinend aus der Mode gekommener Vernunft betrachten.

Man erinnere sich, daß die ursprüngliche Route der Wa-genkolonne nicht direkt am Schulbuchlager vorbeiführte, indem Oswald seit Oktober, nachdem Ruth Paine ihm dort einenJob besorgt hatte (siehe Kapitel 5), arbeitete. In der Tat führtenoch am Morgen des Attentats das Schaubild der Fahrtrouteauf der Titelseite der Dallas Morning News geradeaus überdie Dealey Plaza und die Main Street weiter (siehe Kapitel 7).Kann man wirklich davon ausgehen, daß der Mob die Fahrt-route am Attentatsmorgen ändern konnte?

Glauben Sie nicht den zahlreichen Büchern, die »enthül-len«, das organisierte Verbrechen sei der Drahtzieher des At-tentats auf Kennedy gewesen (siehe Nachwort). Wenn man er-klären könnte, wie der Mob imstande gewesen sein soll, amMorgen des Attentats die Fahrtroute zu ändern - nur dieseneinzigen, einfachen Beweis -, könnte ich zumindest die Mög-lichkeit akzeptieren, der Mob habe Präsident Kennedy ermor-

det. Ohne diese Erklärung reagiere ich auf Menschen, die derMafia das Attentat in die Schuhe schieben wollen, argwöh-nisch.

Ich habe den Eindruck, daß jemand mit erheblicher Machtund beträchtlichem Einfluß Lee Oswald in der Nähe der Wa-genkolonne haben wollte. Wer immer es war, er hat letztend-lich entschieden: »Wenn wir Oswald nicht an die Fahrtroutebringen können, bringen wir die Fahrtroute eben zu Oswald.«Wer könnte diese Streckenänderung wohl eher durchsetzen -die Unterbosse, die für Anthony (Fat Tony) Salerno arbeiteten,oder jene Personen in den Geheimdiensten, die verdeckteOperationen ausführen? Angestellte von Tony (Big Tuna) Ac-cardo oder Mitglieder der Prätorianergarde, die - da es ihnenoblag, den Präsidenten zu schützen - auch die Macht hatten,zu entscheiden, wo, wann und aufweiche Weise er fährt?

Es wäre nur für denjenigen von Wert gewesen, Lee Oswaldin die Nähe der Fahrtroute zu plazieren, der ihn als Sünden-bock präpariert und als Kommunisten und Anhänger FidelCastros hingestellt hat. Hat ihn das organisierte Verbrechenpräpariert oder Guy Banister, der Ex-Mitarbeiter des ONI, desFBI und der CIA? War Oswalds Operationsbasis ein Mafia-Re-staurant oder Guy Banisters Büro, in dem auch David Ferrie,eine kleine Guerilla-Armee aus Exilkubanern und eine Reihevon Geheimdienstagenten verkehrten?

Konnte das organisierte Verbrechen dafür sorgen, daß dieTitelseite der Dallas Morning News, die der Warren-Kommis-sion als Beweismittel vorgelegt wurde, nicht mehr den vorge-sehenen Weg zeigte (siehe Kapitel 7)? Konnte der Mob nachdem Eintreffen der Präsidentenlimousine im Parkland Hospi-tal Gouverneur Connallys Kleidung beiseite schaffen und siein die Reinigung bringen, um so alle Einschußspuren zu be-seitigen? Konnte die Mafia Kennedys Leichnam an den Behör-den von Texas vorbeischleusen, die, wie es das Gesetz diesesBundesstaates verlangt, eine Autopsie durchführen wollten,und an Bord der Air Force One bringen? Konnte die Mafia ei-nen Armygeneral, der kein Arzt war, zum Leiter der Autopsie

des Präsidenten einsetzen? Konnte die Mafia im Verlauf derAutopsie die Pathologen anweisen, die Halsverletzung nichtzu untersuchen, weil man sonst vielleicht eine Kugel, die vonvorne eingeschlagen war, in den Nackenwirbeln gefundenhätte? Konnte die Mafia danach dem Chefpathologen, Com-mander Humes, befehlen, seine Autopsie-Aufzeichnungen zuverbrennen? Konnte die Mafia dafür sorgen, daß das Gehirndes Präsidenten aus den National Archives verschwand?

Bei genauer Untersuchung brechen alle vermeintlichen Draht-zieher unter ihrem eigenen Gewicht zusammen. Als ein-zig wahrscheinlicher Drahtzieher, der sowohl ein Motiv alsauch die Möglichkeit besaß, den Präsidenten zu ermorden,bleiben Elemente in der Central Intelligence Agency übrig,die mit der Durchführung verdeckter Operationen vertrautwaren.

Der CIA-Apparat für verdeckte Aktionen ist ebenso un-sichtbar wie gefährlich. Er wurde mittlerweile zur weitausmächtigsten Abteilung der Geheimdienstwelt, steht den höch-sten Regierungsebenen am nächsten und hat, zumindest seitden fünfziger Jahren, eine ständig wachsende Rolle bei derFestlegung der Außenpolitik eingenommen.

Bei verdeckten Operationen geht es nicht darum, Informa-tionen zu sammeln. Sie schließen die Entwicklung und Ver-breitung von Propaganda ein (der Euphemismus umschreibtFalschinformationen), das Ausheben geheimer Armeen, dasInszenieren von Staatsstreichen und sogar Morde - überallauf der Welt, international und im eigenen Land, aber immerim verborgenen. Solche verdeckten Operationen machenmehr als zwei Drittel der gesamten CIA-Aktivitäten aus, undinfolgedessen hat sich die Abteilung für verdeckte Operatio-nen, wie es der ehemalige CIA-Beamte Philip Agee einst aus-drückte, »als geheime politische Polizei« etabliert, als »dieGestapo und SS unserer Zeit«24.

Es ist unwahrscheinlich, daß ein ausgeklügelter Plan zurErmordung des Präsidenten offiziell von John McCone, dem

damaligen CIA-Direktor, oder von Richard Helms, dem stell-vertretenden Planungsdirektor (für verdeckte Operationen),gebilligt wurde. Aber er kann durchaus in den unteren Etagender Agency geplant und in Zusammenarbeit mit nicht direktbei der Regierung angestellten Einzelpersonen oder Organisa-tionen ausgeführt worden sein, vielleicht auch, um keine Spurzu den höchstrangigen CIA-Beamten zurückzulassen, die viel-leicht bequemerweise einfach in die andere Richtung schau-ten. Wir sind erst vor kurzem wieder auf ein solches Quasi-Re-gierungsgebilde gestoßen, das sich aus Regierungsbeamtenund normalen Bürgern zusammensetzte, und zwar bei derIran/Contra-Affäre, über die der Kongreß 1987 ermittelt hat.Diese spezielle Verquickung von staatlicher Macht und zivilerUnterstützung, die auch bei der Watergate-Affäre zutage trat,wurde von einem hochrangigen, in die Sache verwickelten Be-amten als »Unternehmen« bezeichnet.

Ich bin der Ansicht, das Iran/Contra-Unternehmen istdurchaus der Nachkomme eines viel mächtigeren Unterneh-mens, dem Präsident Kennedy zum Opfer fiel. Beide Opera-tionen waren die geistigen Kinder der CIA-Abteilung für ver-deckte Operationen; beide bestanden aus einer Mischung ausAgency-Veteranen und geheimnisvollen Zivilisten, um diesefinsteren illegalen Operationen durchzuführen; beide tratenfür eine weit rechts stehende Ideologie ein; und beide warennicht dingfest zu machen. Die hier vorliegende Kontinuität istwirklich erschreckend. Für mich erweckt dies den Anschein,daß der Traum des verstorbenen CIA-Direktors William Caseyvon einer durchgehend geheimen Operation, die als nicht zu-rückzuverfolgendes Instrument der Agency äußerst heikle,verdeckte Aktionen steuert, schon seit einem Vierteljahrhun-dert Wirklichkeit ist und wenigstens bis zur Ermordung Prä-sident Kennedys zurückreicht.

Im Gegensatz zu den vermeintlichen Drahtziehern besaßdie CIA eindeutig die Mittel, das Attentat durchzuführen.

1975 fand ein Senatsausschuß unter Vorsitz von FrankChurch heraus, daß die Agency eine Reihe von Attentaten ge-

plant hatte, bei denen sie alles mögliche, von Gift über Ma-schinengewehre bis hin zu Profi-Killern der Mafia, einsetzenwollte.25

Der Ausschuß hatte zwar keine Befugnis, über Attentateim eigenen Land zu ermitteln, stellte aber fest, daß die Agencywiederholt Komplotte geschmiedet hatte, um ausländischeStaatsführer zu eliminieren, mit deren Politik sie nicht einver-standen war.

1953 führte die CIA einen gutorganisierten, von Allen Dul-les von Genf aus über Funk geleiteten Coup gegen die Regie-rung des Iran aus.26 Premierminister Mohammed Mossadeghwurde gestürzt, und auf den erneut installierten Pfauenthronwurde der Schah gesetzt.

1954 betrieb Jacobo Arbenz in Guatemala eine entschie-den liberale, obgleich nicht-kommunistische Politik. Als sicheinige führende Militärs gegen den demokratisch gewähltenFührer verschworen, griff die Agency ein und unterstützte siemit bewaffneten Kampfflugzeugen. Arbenz mußte aus demLand fliehen.27

1960 wurde Patrice Lumumba, ein starker nationaler Füh-rer und der erste Ministerpräsident des Kongo (des heutigenZaire), zum Ziel der Agency.28 Wie Mossadegh im Iran undArbenz in Guatemala war Lumumba kein Kommunist. Trotz-dem genehmigte CIA-Direktor Dulles die Ausgabe von hun-derttausend Dollar, um Lumumba zu »beseitigen«. Kurz dar-auf forderte Richard Bissell, der damalige stellvertretendePlanungsdirektor, den CIA-Wissenschaftler Joseph Scheiderauf, Vorbereitungen zu treffen, einen nicht genannten »afrika-nischen Politiker« zu ermorden. Scheider stellte eine Liste vongiftigen biologischen Stoffen zusammen, die bei eingeborenenAfrikanern tödliche Krankheiten auslösen sollten. In seinerAussage vor dem Church-Komitee gestand Scheider ein, demAbteilungsleiter der Agency im Kongo einen tödlichen Blu-menstrauß zugestellt und ihn angewiesen zu haben, Lu-mumba zu ermorden.

Doch das Gift mußte nicht eingesetzt werden. Im Januar

1961 wurde Lumumba - mittlerweile politischer Gefangenerund nicht mehr im Amt - in ein Flugzeug gesetzt, das angeb-lich nach Bakwanga in der Provinz Katanga fliegen sollte. Aufhalber Strecke wurde es nach Elisabethville in derselben Pro-vinz umgeleitet, in eine Gegend, von der man wußte, daß ihreBewohner Lumumba nicht wohlgesinnt waren. Einige Wo-chen später wurde gemeldet, Lumumba sei entkommen unddanach von feindseligen Dorfbewohnern umgebracht wor-den. Es wurde nicht geklärt, ob die CIA direkt in die Ermor-dung Lumumbas verwickelt war, doch 1978 behauptete JohnStockwell, der ehemalige Afrika-Spezialist der CIA, ein hoherBeamter der Agency habe ihm erzählt, wie er mit LumumbasLeiche in seinem Wagen herumgefahren sei und »überlegte,was ich mit ihr machen sollte«29.

Das Church-Komitee fand heraus, daß die CIA nicht nurdie Ermordung Patrice Lumumbas, sondern auch mehrfachdie Eliminierung Fidel Castros geplant hatte, bei der sie soneuartige Entwicklungen wie vergiftete Tauchanzüge und Zi-garren einsetzen wollte.30 Überdies stellte das Komitee fest,daß die Agency aktiv zur Ermordung anderer ausländischerStaatsführer ermutigt hatte, darunter 1961 in der Dominika-nischen Republik Rafael Trujillo Molina, 1963 in SüdvietnämPräsident Ngo Dinh-Diem und 1970 in Chile General ReneSchneider. Die ernüchternde Schlußfolgerung des Komiteesbesagte, die CIA habe wiederholt geplant, eine Reihe auslän-discher Staatsführer zu ermorden, oder an der Ermordungmitgewirkt.31

Dies wurde von anderen Ex-Agenten der Agency bestätigt.Einem dieser Männer - William Harvey32 - zufolge schloß dasProgramm der CIA zur Beseitigung ausländischer Staatsfüh-rer die »Fähigkeit [ein], Attentate durchzuführen«.

Richard Bisseil, ehemaliger stellvertretender Planungs-direktor, gestand ebenfalls33, Attentate seien im »breiten Spek-trum der zur Verfügung stehenden Maßnahmen« enthalten,um Staatschefs zu beseitigen, die ein Problem darstellten. Da-her kann man davon ausgehen, daß die CIA aufgrund ihrer

langen Erfahrung durchaus die Möglichkeiten besaß, Präsi-dent Kennedy zu ermorden.

Genauso wichtig ist, daß sie auch ein Motiv hatte. Im Ge-gensatz zur Ansicht der meisten Amerikaner wurde die CIAnicht nur deswegen geschaffen, um Informationen zu sam-meln.34 Seit ihrer Gründung im Jahre 1947 dient sie, wie diedominierende Rolle ihrer Operationsdirektoren nahelegt, inerster Linie dem Zweck, zum Untergang dessen beizutragen,was sie für kommunistisch hält.

Die kompromißlose Kalte-Kriegs-Besessenheit der CIA zuZeiten der Regierungen Truman und Eisenhower, die davonausging, die Sowjetunion habe sich dem Ziel verschworen, dieVereinigten Staaten zu vernichten und die gesamte Welt zu er-obern, wurde von ihrer Schwesterbehörde, dem FBI, unterJ. Edgar Hoover und vielen anderen Geheimdiensten der Re-gierung geteilt.

Präsident Kennedy hatte seinen Wahlkampf mit Äußerun-gen geführt und gewonnen, die darauf schließen ließen, seineRegierung werde die kompromißlose Politik gegenüber denSowjets fortsetzen. Doch allmählich wurde klar, daß er nichtdie seit langem durchgesetzte harte Linie verfolgte.

Mit seiner Weigerung, General Cabell die angefordertenKampfflugzeuge für die zum Scheitern verurteilte CIA-Inva-sion in der Schweinebucht zur Verfügung zu stellen, seine Ab-lehnung des Vorschlags, Kuba während der Raketenkrise zubombardieren und zu besetzen, seinem Beharren gegen denanfänglichen Widerstand seiner Militärberater, den Atomtest-stoppvertrag von Moskau zu unterzeichnen, und den Be-schlüssen von 1963, sich aus Vietnam zurückzuziehen und diediplomatischen Beziehungen zu Kuba wiederaufzunehmen,setzte Kennedy andere politische Akzente.

Für die Hardliner, die kriegsorientierten Elemente in deramerikanischen Machthierarchie, für die die Abteilungen fürverdeckte CIA-Operationen geschaffen worden waren und fürdie sie arbeiteten, war dies nichts anderes als ein »Ausverkaufan die Kommunisten«.

In der Rückschau bleibt der Grund für das Attentat kaumrätselhaft. Aus dem Kurs, den die amerikanische Außenpoli-tik unmittelbar nach dem 22. November 1963 einschlug, wirdersichtlich, warum die verdeckt arbeitenden CIA-ElementeJohn F. Kennedy aus dem Oval Office entfernen und LyndonB. Johnson hineinhieven wollten.

Der neue Präsident, der die Gewalt über die amerikanischeAußenpolitik aufgrund von Gewehrschüssen erhielt, gehörtezu den enthusiastischsten kalten Kriegern des Landes, wennauch, bedingt durch sein Vizepräsidentenamt, ein kalter Krie-ger auf der Bank der Ersatzspieler. Lyndon B. Johnson wurdevon dem Schriftsteller Fred Cook, einem hochangesehenenBeobachter der Washingtoner Szene, als »Mann mit begrenz-ten außenpolitischen Kenntnissen« beschrieben, der »auf-grund seiner Erfahrung und seines Naturells daran gewöhntwar, in militärischen Begriffen zu denken«35.

Johnson war ursprünglich auf dem Wellenkamm des anti-kommunistischen Kreuzzugs an die Macht gelangt, der dieamerikanische Politik nach dem Zweiten Weltkrieg kenn-zeichnete. Kurz nach dem Ende dieses Krieges erklärte er,daß »wir die Atomkraft einsetzen müssen, entweder um dieWelt zu bekehren, oder um sie zu pulverisieren« 36 - ein wahr-haft christlicher Wunsch, falls es je einen gegeben hat. Dervon Johnson an den Tag gelegte Enthusiasmus für amerikani-sche Militärinterventionen in anderen Ländern, der ihm denBeinamen »der Senator aus dem Pentagon« einbrachte, standin starkem Gegensatz zu Präsident Kennedys Absicht, sichganz aus Vietnam zurückzuziehen.

Dementsprechend ist es keine Überraschung, daß nachJohn F. Kennedys Tod und Lyndon B. Johnsons Vereidigung alsPräsident einige dramatische Veränderungen in der amerika-nischen Außen- und Militärpolitik stattfanden. Kennedys An-ordnung, bis zum Dezember die ersten tausend Amerikaneraus Vietnam zurückzuholen, wurde prompt aufgehoben.

Von noch größerer Bedeutung war ein Gespräch, das John-son am Sonntagnachmittag nach dem Attentat, unmittelbar

nach seinem Auftritt bei der Kennedy-Trauerfeier im Rund-bau des Kapitols, mit Henry Cabot Lodge, dem amerikani-schen Botschafter in Südvietnam, im Executive Office Buildingführte.37 Er informierte Lodge, daß er Vietnam nicht verlierenwolle und deshalb nicht zulassen werde, daß Südostasien anChina falle; daß »Saigon auf uns zählen« könne.

Im August 1964 ereignete sich der Zwischenfall im Golf vonTongking - oder zumindest machte man dies der amerikani-schen Öffentlichkeit weis. Die gesamte Affäre roch eindeutignach Beteiligung der Geheimdienste. »Während sich der ame-rikanische Zerstörer Maddox auf einer Routinepatrouille ininternationalen Gewässern befand«, erklärte Washington,»sah er sich einem nicht provozierten Angriff ausgesetzt.«Dem Anschein nach hatte ein unsichtbares feindliches Schiffeinen unsichtbaren Torpedo - der das Schiff allerdings ver-fehlte - auf die vor der Küste Nordvietnams kreuzende Mad-dox abgefeuert. Kurz darauf fand ein ähnlicher Zwischenfallstatt, in den ein anderes Schiff der amerikanischen Marineverwickelt wurde. Erneut ließ der Feind, so trügerisch wie ehund je, keine Spuren zurück.38

Johnson brandmarkte diese »offene Aggression«39 laut-stark. Er wandte sich im Fernsehen an die Nation, um die Be-völkerung der USA zu informieren, daß »wiederholte feind-liche Aktionen gegen Schiffe der Vereinigten Staaten auf hoherSee im Golf von Tongking mich heute gezwungen haben, diemilitärischen Streitkräfte der Vereinigten Staaten anzuwei-sen, mit geeigneten Mitteln zurückzuschlagen«. Die Kongreß-führer beider Parteien, so fuhr er fort, hätten ihm zugesichert,eine Resolution zu erlassen, die eindeutig klarstellt, »daß un-sere Regierung in ihrer Entschlossenheit vereint ist, alle not-wendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Freiheit in Süd-ostasien zu unterstützen und den Frieden zu verteidigen«.

Die Resolution über den Golf von Tongking, die am 7. Au-gust 1964 bei nur zwei Gegenstimmen verabschiedet wurde,gab Johnson die Befugnis, in Südostasien alle militärischenSchritte zu ergreifen, die er für notwendig hielt. Diese - wenn

auch inoffizielle - Kriegserklärung an Nordvietnam war nurzustande gekommen, gut ein Jahr nachdem John F. Kennedyin einer Rede an der American University beredt seine Hoff-nung auf Frieden ausgedrückt hatte.

Unmittelbar im Anschluß an die Kongreßresolution40 be-gannen amerikanische Flugzeuge mit dem ersten Bombarde-ment Nordvietnams. Die amerikanischen Pazifiktruppen wur-den in Kampfbereitschaft versetzt. 1965 wurden mehr alszweihunderttausend amerikanische Soldaten nach Südviet-nam geschickt. 1966 und 1967 folgten bis zu dreihunderttau-send weitere. Als die USA im Januar 1973 das Pariser Abkom-men unterzeichneten, waren über fünfundfünfzigtausendAmerikaner und Millionen von Vietnamesen infolge des Krie-ges ums Leben gekommen.41

So konnte man Präsident Kennedys Außenpolitik zurück-nehmen, »ohne sich den offiziellen Erfordernissen einesAmtswechsels zu unterwerfen, wie sie das Gesetz oder dieVerfassung vorschreiben«. Genau das ist die Definition einesStaatsstreichs. Es war die wichtigste Konsequenz des Atten-tats auf John F. Kennedy, und der wahre Grund dafür.

Ist all dies plausibel? Vor achtundzwanzig Jahren hatte es viel-leicht noch nicht den Anschein. Doch nachdem wir heute ei-nen Teil der wahren Geschichte der CIA und ihrer verdecktenOperationen kennen, ist die Antwort ein entschiedenes Ja. DieAgency versteht sich bestens auf Attentate und hat sie überallauf der Welt durchgeführt, um politische Ziele durchzusetzen.Im Laufe der Zeit haben wir begriffen, welche anhaltendenFolgen das Attentat auf Präsident Kennedy gehabt hat. DieNation versucht sich noch immer von ihrem tragischen neun-jährigen Abenteuer in Vietnam zu erholen. Die CIA lenkt wei-terhin ohne wirksame Kontrolle durch den Kongreß oder denPräsidenten unsere Außenpolitik; doch hält sich die Agencyweit hinten im Schatten, scheint sich von den laufenden Un-ternehmen zu distanzieren und setzt dafür ganz normale Bür-ger und Vermittler ein, damit sie mit diesen Aktionen nicht in

Verbindung gebracht werden kann. Das Justizministeriumweigert sich in Kenntnis alles dessen, was wir jetzt wissen,immer noch, eine gründliche Ermittlung des wichtigsten poli-tischen Attentats unserer Zeit durchzuführen. Achtundzwan-zig Jahre nach der Ermordung Präsident Kennedys ist es viel-leicht auch schon zu spät dafür.

Doch es ist noch nicht zu spät für uns, aus den Lektionender Geschichte zu lernen, zu begreifen, wo wir heute stehenund wer dieses Land regiert. Wenn mein Buch dazu beiträgt,dies einer jüngeren Generation zu verdeutlichen, die John F.Kennedy nie kannte, hat es seinen Zweck erfüllt.

IST DIE MAFIA-THEORIE EINE VERTRETBAREALTERNATIVE?

Nachwort von Carl Oglesby1

Seit fast zwei Jahrzehnten ist die Mehrheit der amerikani-schen Bürger im Gegensatz zur Warren-Kommission der Über-zeugung, daß Präsident Kennedy durch eine Verschwörungums Leben kam. Weite Teile der Öffentlichkeit stehen der Ein-zeltäter-Theorie zwar ablehnend gegenüber, doch gibt es un-ter ihnen große Meinungsunterschiede darüber, wie die Ver-schwörung eventuell ausgesehen hat.

In seinem Buch Wer erschoß John F. Kennedy? hat JimGarrison die Theorie vorgestellt, die meiner Meinung nachvon den meisten ernsthaften Erforschern dieses Themas alsumfassendste, naheliegendste und ehrlichste Version aner-kannt und akzeptiert wird, wie man die derzeitig vorliegen-den Beweise in ihrer Gesamtheit interpretieren muß. Als Au-tor, der sich seit vielen Jahren mit dem Fall Kennedy befaßt,stieß ich auf aktenkundige Belege, die Garrisons wegweisendeIdeen zwingend stützen. Seine Vorstellungen interpretiere ichfolgendermaßen:

1. Fanatisch antikommunistische Elemente in den Opera-tionsabteilungen der CIA, die sich oft auf Nebenkanälen derRegierung bewegen, waren tief in die oberste Ebene der At-tentatsplanung und -Vorbereitung verstrickt und scheinen denBeschluß gefaßt zu haben, den Präsidenten zu töten.

2. Die Verschwörung war politisch motiviert. Ihr Ziel wares, John F. Kennedys Annäherung an eine Beendigung deskalten Krieges zu verhindern, und dieses Ziel wurde auch er-reicht. Deshalb muß sie als Staatsstreich angesehen werden.

3. Oswald war unschuldig. Man hat ihn gekonnt in eine Po-sition gebracht, in der er als schuldig erschien. So wie er esausdrückte: »Ich bin hereingelegt worden.«

Garrisons Theorie über das Verbrechen ist trotz ihrer logi-schen Struktur und des vernehmbaren Nachhalls, den sie ingegenwärtigen amerikanischen Erfahrungen findet, vielleichtzu herausfordernd, zu beängstigend und steht zu sehr imWiderspruch zu dem fundamentalen amerikanischen Mythos(wir sind eine gesetzestreue Republik), als daß sie eine Chancehätte, sich offiziell durchzusetzen oder etwa von den Intellek-tuellen und den Medien in zivilisierter Form in Betracht ge-zogen zu werden.

Garrisons Argumentationskette stellt grundsätzliche Fra-gen zur Legitimität des amerikanischen Staates. Man solltesich nicht daran stören, daß Garrison als überzeugter Patriottief mit dem Land verwurzelt ist und eine lange, glücklicheKarriere in der US-Army und in J. Edgar Hoovers FBI absol-vierte, bevor er bei der Staatsanwaltschaft von New Orleanszu arbeiten anfing. Seine Vorstellung vom Ablauf dieses Ver-brechens ist meiner Meinung nach trotzdem die radikalsteund überzeugendste Darstellung, die es zur mißlichen Lagedes amerikanischen Konstitutionalismus gibt. Man kann Gar-risons Argumentation nicht mit heiterer Gelassenheit folgen.Obwohl er nicht das geringste mit einem Marxisten gemeinhat, kann sich kein Amerikaner mit seiner Analyse auseinan-dersetzen, ohne Gefahr zu laufen, das Vertrauen in die Politikzu verlieren.

Er droht alle, die ihm zuhören, in Hamlets zu verwan-deln - Kinder einer ermordeten Vaterfigur, deren Mörder,soweit wir wissen, den Thron insgeheim noch immer besetzthalten. Er konfrontiert uns mit dem verborgenen Geheimnisim Kern des zeitgenössischen amerikanischen Dilemmas.Seine erschreckende Geschichte zwingt uns unangenehmeFragen auf. Hat unsere Verfassung Substanz? Was sind un-sere vielgerühmten Bürgerrechte wert? Welche Zukunft hatdie Demokratie eines Landes, dessen Präsident ermordet wer-

den kann und dessen Maschinerie der staatlichen Gewalt dar-über kaum ins Beben gerät?

Das ist ein scheußliches Nebenprodukt. Garrisons Rekon-struktion des Präsidentenmordes verrät uns wortgewaltig,daß das, was wir Verfassung nennen, für manche von unsschändlicherweise und insgeheim zu einer lächerlichen Sachegeworden ist. Eine geheime Macht, die wir nur schwach er-kennen können und der wir kaum Widerstand zu leisten wis-sen, scheint Schlüsselpositionen der Regierung, die für das in-tegre Verhalten der Nachrichtendienste entscheidend sind, inBesitz genommen und manipuliert zu haben.

Vielleicht wird sich Garrisons politischer und historischerRealismus als zu provozierend erweisen, um von der Allge-meinheit akzeptiert werden zu können. Wir Amerikaner se-hen uns in politischen Dingen gern als Pragmatiker, aber da-durch neigen wir anscheinend dazu, das zu glauben, was unsglücklich macht, und abzulehnen, was uns traurig stimmt undverwirrt.

Garrisons Analyse der Ermordung John F. Kennedys drängtuns unbehagliche Empfindungen gegenüber unserem poli-tischen Umfeld und eine Perspektive auf, die uns ohne Um-schweife veranlassen könnte, gegen dieses Umfeld zu oppo-nieren. Auf diese Weise gewinnt man keine Popularität.

Aus diesem Grund ist Garrisons Theorie nicht die offizielleTheorie, obwohl sie die logischste, realistischste und in derGesamtheit der Beweise am sichersten verankerte Theorie ist.Die offizielle Theorie entsprach der Vorstellung der Warren-Kommission. Danach erschien Oswald wie ein Herzanfall: Erkam aus heiterem Himmel und besaß keine über sich selbsthinausweisende Bedeutung. Aber die Theorie der Warren-Kommission wurde Stück für Stück durch die Grabungsarbei-ten geduldiger, freiwilliger Forscher abgetragen, und 1976entschied sich das Repräsentantenhaus nach einer Abstim-mung zur Bildung eines Untersuchungsausschusses - demSelect Committee on Assassinations -, um den Fall neu auf-

zurollen. Diese Abstimmung war im Grunde ein Mißtrauens-votum gegen die Warren-Kommission.

Dieser Untersuchungsausschuß benötigte über drei Millio-nen Dollar und über ein Jahr, um den Fall John F. Kennedy einweiteres Mal zu durchleuchten und die offizielle Theorie neuzu formulieren.

Die neue offizielle Theorie - vielleicht sollte man sie halb-offizielle Theorie nennen, da das FBI immer noch nichts vonihr wissen will - wurde 1979 vom Untersuchungsausschuß inseinem Abschlußbericht2 vorgestellt und angenommen. 1981wurde sie dann vom Ausschußvorsitzenden G. Robert Blakeyund dem leitenden Schriftführer Richard Billings (der selbsteine wichtige Nebenperson in Garrisons Schilderung dar-stellt; siehe Kapitel 8 und 13) in dem Buch The Plot to Kill thePresident ausgeschmückt und erweitert.

Für einen Vergleich mit Garrisons Theorie lassen sich dieHauptgedanken Blakeys wie folgt zusammenfassen:

1. Oswald schoß als einziger auf John F. Kennedy und töteteihn; ganz wie die Warren-Kommission es ermittelt hat.

2. Allerdings schoß ein unbekannter Vertrauter Oswaldsebenfalls auf den Präsidenten, und zwar von dem berühmten»Grashügel« aus. Dieser Schuß ging fehl.

3. Die Frage nach der Zahl der Attentäter einmal außeracht gelassen, handelte Oswald als Werkzeug einer wesentlichgrößeren Verschwörung.

4. Die Verschwörung, die hinter Oswald stand, hatte ihreWurzeln im organisierten Verbrechen und war besondersdurch Kennedys Programm zur Verbrechensbekämpfung pro-voziert worden. Allein oder in irgendeiner Kombination gibtes folgende Hauptverdächtige: Carlos Marcello und SantosTrafficante, die Paten der Mafiafamilien von New Orleans undTampas, sowie James Hoffa, der kriminelle Vorsitzende derTransportarbeitergewerkschaft Teamsters. Jeder von ihnenhatte ein Motiv, die Mittel und die Möglichkeit, John F. Ken-nedy zu ermorden.

Blakey ist ein gebildeter Akademiker und Anwalt aus

Washington, der über beträchtliche Erfahrung und Verbin-dungen verfügt. Er steht den Kennedys sehr nahe und warMitglied von Robert Kennedys Einsatzgruppe gegen das orga-nisierte Verbrechen. Blakey entwarf das RICO-Gesetz, dem-zufolge der Bürger das organisierte Verbrechen wegen Ver-schwörung anzeigen kann. Vor seiner Tätigkeit im Ausschußlehrte Blakey an der Cornell Law School; heute arbeitet er ander Notre Dame Law School. Er ist zwar kein von Haus aus ar-roganter Mensch, doch stellt er sich gerne als Verkörperunggelehrter Werte dar und neigt dazu, herablassend über jenezu urteilen, die seine Ansichten nicht teilen.

Blakey kann Garrison in seinem Buch nicht ohne weiteresignorieren, da Garrisons Untersuchung Schlüsselpersonenaufgespürt hat (Ferrie und Banister), die für Blakeys eigeneTheorie von entscheidender Bedeutung sind. Statt dessengreift Blakey den Ex-Staatsanwalt von New Orleans bösartigan. Garrison war auf »landesweite Schlagzeilen aus, als ereinwilligte, Vertreter von Life und CBS zu informieren«, be-schreibt Blakey dessen Motivation.3 Doch Blakey weiß, daß»landesweite Schlagzeilen« in der Natur der Sache lagen, daßman die starke Anteilnahme der Medien und der Öffentlich-keit brauchte, um den Stein der bundesstaatlichen Vertu-schung ins Rollen zu bringen, und daß Life und alle anderenzuerst zu Garrison kamen, und nicht umgekehrt. Blakeys Mit-verfasser Billings war jener Z.i/i?-Redakteur, der 1967 vom lei-tenden Management losgeschickt wurde, um Garrisons Be-reitschaft, gegen die Verschwörung vorzugehen, auf den Zahnzu fühlen.

Aber Blakey kann es nicht ertragen, Garrisons Arbeit an-zuerkennen, selbst wenn er zugeben muß, wie wichtig sie fürdie seine war. Garrison »ist durch sein Verhalten [...] ge-brandmarkt«, schreibt Blakey; es mache keinen Unterschied,welche »redlichen Beweise« in der Kette seiner Anklage-punkte existieren. Und er fährt fort:

»Erst die überraschende Enthüllung der Erkenntnisseeines Senatsausschusses, der die Geheimdienste 1976 unter-

suchte, sollte verhindern, daß Garrisons Ermittlungen jeg-liche Hoffnung zunichte machten, die Bundesregierung werdesich die Ergebnisse der Warren-Kommission noch einmal an-sehen. Kurz gesagt, Garrisons Fall war ein Schwindel.«4

Von allen Leuten ausgerechnet Garrison dafür verantwort-lich zu machen, daß die Bundesregierung sich weigerte, die-sen Fall richtig anzupacken, ist absurd. Blakey versucht vor-zutäuschen, durch Garrisons »Verhalten« wurden irgendwiedie »Beweise gebrandmarkt«. Es hat jedoch nichts mit Garri-sons »Verhalten« als Staatsanwalt zu tun, wenn sich Bundes-beamte in Washington, D.C., weigern, seine Vorladungen zu-zustellen. Der Gouverneur von Ohio hat sich nicht geweigert,einen außerordentlich wichtigen Zeugen (Gordon Novel) nachLouisiana auszuliefern, weil Garrisons Vorwürfe unbegründetwaren: Dies alles geschah, weil die Bundesregierung nichtwollte, daß das Volk die Wahrheit über das Attentat auf JohnF. Kennedy erfährt. Außerdem waren es nicht das Church-Komitee oder irgendwelche seiner »überraschenden Enthül-lungen«, die das Repräsentantenhaus dazu bewegten, denFall John F. Kennedy wiederaufzunehmen; es waren vielmehrdie zunehmende Beharrlichkeit des öffentlichen Interessesund die Ermordung von John Rosselli und Sam Giancana imAnschluß an die Watergate-Affäre. Beide standen als verei-digte Zeugen unter dem Schutz der Regierung.

Im Grunde beschuldigt Blakey Garrison - beziehungsweisespielt er darauf an, da er zu sehr Anwalt ist, Garrison offen zuverleumden -, den Fall Kennedy als Handlanger Carlos Mar-cellos angegangen zu haben. Wie Blakey und Billings in ihremBuch schreiben:

»Was den Aspekt von Oswalds Verbindungen zum orga-nisierten Verbrechen in New Orleans angeht: Wo ihn das FBIund die Warren-Kommission übersehen haben, wurde er vomStaatsanwalt geflissentlich aus Gründen gemieden, die un-serer Meinung nach offensichtlich geworden sind.«5

Was waren das für Gründe, die laut Blakeys Meinung »of-fensichtlich« geworden sind? Ohne es je offen auszusprechen,

vermittelt Blakey den Eindruck, daß Garrison heimlich vonMarcello beherrscht wurde. Blakey gräbt sogar Anklagen aus,von denen Garrison vor langer Zeit freigesprochen wurde,und tut so, als seien sie bestätigt worden:

»Garrison wurde 1971 unter Bundesanklage gestellt, Be-stechungsgelder von Spielhallenbesitzern der Unterwelt an-genommen zu haben. Er wurde freigesprochen, obwohl esBeweise gab, die belastende Tonbandaufnahmen und in sei-nem Haus sichergestellte tausend Dollar in gekennzeichnetenScheinen einschlössen.«6

Blakey hält es für richtig, auf die Erklärungen zu verzich-ten, warum die »belastenden Tonbandaufnahmen« und das»markierte Geld« die Geschworenen nicht von GarrisonsSchuld überzeugten. Blakey verschweigt seinen Lesern, daßPershing Gervais, der Hauptbelastungszeuge gegen Garrisonim Spielhallenprozeß, öffentlich zugab, unter Druck gesetztworden zu sein, und daß man ihn dafür bezahlt hatte, einenMeineid gegen Garrison zu schwören. Warum geht Blakeyschweigend über die reichlich vorhandenen Hinweise hinweg,denen zufolge Feinde auf Bundesebene, die Garrison aus derStaatsanwaltschaft entfernt sehen wollten, ihm den Spielhal-lenfall anzuhängen versuchten?

Doch wie steht es mit Blakeys Theorie, daß Oswald derAgent und John F. Kennedy das Opfer Marcellos waren?

Auf den ersten Blick spricht vieles dafür. Die Einstellunggewisser Mobster zur einzigen Administration in der ameri-kanischen Geschichte, die den Versuch unternahm, das orga-nisierte Verbrechen auszurotten, ist ein faszinierender undvielleicht alles entscheidender Aspekt dieses Falles (und Bla-key war kaum der erste, der ihn bemerkt hat). Aber Blakeyweiß nur zu gut, daß seine Mafia-Hypothese nie ernsthaft un-tersucht oder angezweifelt wurde.7

Die Mafia ist in John F. Kennedys Tausend-Tage-Dramadeutlich nachzuweisen. Sie taucht in Kennedys Leben vor sei-ner Zeit als Präsident auf, sie war in seine Administration ver-strickt und überlebte den Versuch, sie niederzuwerfen. Die

heutzutage bekannten Beispiele ihrer Präsenz sind in derHauptsache die folgenden:

1. Die Mafia besorgte 1960 die Stimmen aus Illinois fürKennedys Wahlliste und sorgte so für seinen Einzug ins WeißeHaus.

2. Die Mafia versorgte Kennedy mit Geliebten, wie JudithCampbell-Exner, im ersten Jahr seiner Amtszeit im WeißenHaus.

3. Attentäter der Mafia folgten dem Ruf der CIA, als diese1961 und 1962 versuchte, Castro zu ermorden. Sie wurdenoffizielle Agenten der US-Regierung.

Aber paradoxerweise lieferte sich die gleiche Mafia in Ken-nedys Amtszeit eine noch nie dagewesene Schlacht mit demJustizministerium, das ihr Fortbestehen in der Tat für einigeZeit bedrohte.

Des weiteren war Jack Ruby mit Sicherheit ein Laufbur-sche der Mafia. Er führte vielleicht einen Mafia-Auftrag aus,als er Oswald erschoß. Wenn es tatsächlich die Mafia war, dieOswald umgebracht hat, dann deshalb, weil sie diesen Fallnicht vor Gericht sehen wollte. Welchen Grund könnte es fürdieses Interesse geben? Wieso sollte Oswald für die Mafia sogefährlich gewesen sein, daß sie ihn liquidieren ließ? Warumsollte die Mafia sich überhaupt für Oswald interessieren,wenn sie nichts mit der Ermordung Kennedys zu tun gehabthatte? Die Annahme, die Mafia hatte etwas zu verbergen, istnur zu natürlich; man kann schnell zu dem Schluß gelangen,daß sie der Hauptschuldige sein muß.

Die langfristige historische Perspektive verdeutlicht jedochebenso, daß aus der Verwicklung der Mafia in gesetzes-widrige Staatsaffären nicht unbedingt auch hervorgeht, daßsie alleine, ohne jede Unterstützung gehandelt hat. Neben derbereits erwähnten Patenschaft für Mafia-Killer seitens der CIAim Fall Castro sind die am eindeutigsten erwiesenen histo-rischen Beispiele für eine positive Zusammenarbeit zwischenMafia und Teilen der amerikanischen Regierung diejenigen,bei denen die Mafia als Juniorpartner füngierte:

1. Die Navy-Operation Unterwelt in den Jahren des ZweitenWeltkrieges, bei der die Regierung der Vereinigten Staatensich den Schutz der Mafia gegen Nazi-Sabotage auf den Docksder Ostküste erkaufte, indem sie zu Zugeständnissen im FallLucky Luciano bereit war.

2. Das Bündnis der Army mit der Mafia während GeneralGeorge Pattons Sizilien-Feldzug im Zweiten Weltkrieg.

3. Der Einsatz von Mafia-Schlägern durch die CIA, um inder Anfangszeit des kalten Krieges von Kommunisten domi-nierte Gewerkschaften in Marseiile zu zerschlagen.

In keinem dieser Fälle war die Mafia der Regierung gegen-über tonangebend, in keinem stellte sie den Grund der Bezie-hung dar oder leitete die Aktion. Zum Beispiel nahm die Mafianicht von sich aus am Geheimkrieg der CIA gegen die kubani-sche Revolution teil. Vielmehr wurde die Mafia von RichardBissell und Colonel Sheffield Edwards - beides hochrangigeCIA-Außendienstagenten - für diesen Feldzug rekrutiert.Wenn die Mafia gleichermaßen am Attentat an der DealeyPlaza beteiligt war, muß sich erst noch zeigen, ob als Haupt-verantwortlicher oder als Agent; ob sie die treibende Kraftwar oder zweitrangige technische Hilfe leistete und einer grö-ßeren Vereinigung verantwortlich war, die unzufriedene An-gehörige der nationalen Geheimdienste insgeheim ins Lebengerufen hatten.

Die Mafia-Theorie über das Attentat auf Kennedy ist sehrhilfreich und interessant, wenn man sie als einen Schritt inder Entwicklung der offiziellen Sicht des Falles betrachtet. Sieist zwar ein Fortschritt gegenüber der Einzeltäter-Theorie,aber ihr faktisches Fundament wirkt immer noch sehr dürf-tig.

Falls Marcello Oswald überhaupt kannte - er hätte ihn zu-dem so gut kennen müssen, um zu wissen, welche Figur er alsAttentäter abgab - und er oder seine Unterführer deshalbnach Oswald griffen, um ihn entweder direkt zu rekrutierenoder indirekt zu kontrollieren (was Blakey alles andeutet undwas für seine Theorie notwendig ist), muß es irgendeine Art

Verbindung zwischen Marcello und Oswald gegeben haben.Wie hat Marcello von Oswald erfahren oder etwas über ihn ge-hört?

Der Untersuchungsausschuß des Repräsentantenhausesmachte insgesamt vier Personen ausfindig, die sowohl Oswaldals auch Personen der mittleren und unteren Ebenen der Mar-cello-Organisation kannten. Die erste war Oswalds MutterMarguerite, die einst mit Männern ausgegangen war, die manmit Marcellos Organisation in Zusammenhang brachte. Diezweite war Oswalds Onkel und Ersatzvater Charles Murret,der angeblich Buchmacher im Glücksspielzweig von Marcel-los Organisation gewesen war. Die dritte kannte Oswald nichteinmal. Es war ein Mann namens Emile Bruneau, der für denabwesenden Murret einsprang und Oswald 1963 nach demZwischenfall mit der Flugblattaktion half, aus dem Gefängniszu kommen (siehe Kapitel 2).

Das einzige Verbindungsglied zwischen Marcello und Os-wald, das wenigstens etwas Substanz hatte, stellte die viertePerson dar: David Ferrie. Der ist allerdings außerordentlichinteressant. Ferrie soll Marcello aus Guatemala ausgeflogenhaben, nachdem ihn Justizminister Robert F. Kennedy dort-hin deportiert hatte. Er war gelegentlich als Ermittler für denAnwalt G. Wray Gill tätig, der Marcello hin und wieder vertrat.

Aber die Untersuchung ergab auch, daß Ferrie (zur Zeitder Schweinebucht-Invasion auf Vertragsbasis) ebenfalls fürdie CIA geflogen war und faszinierenden Personen nahestand,die keine Mafiosi waren und sich nicht durch irgendwelcheVerbindungen zu Marcello auszeichneten. Darunter befandsich ein Führer des Kubanischen Revolutionsrates gegenCastro (Cuban Revolutionary Council - CRC), Sergio ArcachaSmith. Ein anderer war W. Guy Banister, Ex-FBI-Agent undBerufsantikommunist, der mit der Ausbildung und Ausrü-stung von Kommandotrupps für paramilitärische Unterneh-men auf Kuba beschäftigt war. Oswald kannte Banister per-sönlich und traf sich mit CRC-Exilanten.

So eignet sich die einzige Person, die Oswald möglicher-

weise mit Marcello in Verbindung bringen konnte, nämlichDavid Ferrie, eher dazu, über Arcacha Smith und Banister Os-walds Kontakte zur CIA hergestellt zu haben. Sowohl Banisterals auch Arcacha Smith hatten Verbindungen zur CIA.

Außerdem erklärt die Mafia-Theorie nicht die offen-sichtliche Komplizenschaft der Bundesregierung bei derVertuschung. Einer der wichtigsten Aspekte des Falls ist dieTatsache, daß Angehörige der nationalen Geheimdienstwelt -CIA, FBI, womöglich auch der Marinenachrichtendienst -ständig bemüht waren, Informationen zu unterdrücken, diefür die Kernfragen von Bedeutung waren: etwa weitere Atten-tatsprojekte der CIA, Oswalds Vergangenheit bei der militä-rischen Gegenspionage und Rubys Verbindungen zum Mob.Wenn es nur einige Mafia-Bosse und ihre Handlanger waren,die den Präsidenten zum Tode verurteilt hatten, wieso rea-gierte dann der gesamte Untersuchungsapparat der Bundes-regierung wie gelähmt?

Blakeys zweifelhaftester Schritt beim Entwurf seiner Mafia-Theorie war jedoch, einen zweihundertfünfundachtzig Seitenstarken Bericht als geheim einstufen zu lassen (oder schwei-gend zuzulassen, daß er für geheim erklärt wurde). Dieser Be-richt wurde von seinem eigenen Hauptermittler, einem jungenAnwalt namens Edwin Jüan Löpez, für den Untersuchungs-ausschuß erstellt. Darin wurde Oswalds angebliche Reise imSpätseptember oder frühen Oktober 1963 nach Mexiko-Stadtuntersucht.

Diese Reise ist wichtig für Blakeys Fall gegen Oswald, dadieser zu jener Zeit in Mexiko-Stadt angeblich mit der Sowje-tischen Botschaft und dem Kubanischen Konsulat telefoniertund beide aufgesucht haben soll. Dabei soll er laut seinen Na-men und - einem umstrittenen Bericht zufolge - seine Mei-nung verkündet haben, man solle John F. Kennedy umbrin-gen. Einige Leute sind tatsächlich der Ansicht, Oswald seiwährend seines Aufenthalts in Mexiko-Stadt definitiv mit demMeisterkiller des sowjetischen KGB zusammengetroffen.

Die Ermittlungen des Untersuchungsausschusses erbrach-ten jedoch, daß der Oswald, den man in Mexiko-Stadt gesehenhatte, eine völlig andere Person war als der Oswald, den allekannten, i. Eine CIA-Fotografie, auf der Oswald angeblich dieSowjetbotschaft verläßt, entspricht nicht Oswalds Erschei-nung. 2. Eine Tonbandaufnahme, auf der Oswald mit einemSowjetdiplomaten spricht, läßt eine andere Stimme als die Os-walds laut werden. 3. Ein kubanischer Diplomat, der dreimalmit Oswald aneinandergeriet, sagte wiederholt und detailliertaus, daß der Oswald in Mexiko-Stadt nicht der Oswald ausDallas war. 4. Der einzige Augenzeuge, der behauptete, Os-wald im Kubanischen Konsulat gesehen zu haben, konnte ihn,Oswald, Beamten des Untersuchungsausschusses nicht rich-tig beschreiben.

All das endete damit, daß Löpez, der Verfasser des unter-drückten Berichts, riskierte, seine Geheimhaltungspflicht zuverletzen, um öffentlich und unter Eid auszusagen, Oswaldsei seiner Meinung nach in Mexiko-Stadt von Leuten verkör-pert worden, die versuchten, ihm etwas anzuhängen.8 Wennjemand in Oswalds Rolle schlüpfte, damit dieser als gefähr-liche Person im Gedächtnis haftenblieb, mußte allein dieseTatsache - von den vielen anderen Beweisen zu Oswalds Ent-lastung einmal abgesehen - seinem Protest, man habe ihnhereingelegt, große Glaubwürdigkeit verleihen.

Wären das keine neuen, wichtigen Erkenntnisse? Daß eineEinzelperson oder eine Gruppe Oswald die Schuld für das At-tentat in die Schuhe geschoben hat? Würde uns dies nicht ver-pflichten, die öffentliche Verurteilung Oswalds erneut anzu-zweifeln? Säße er jetzt im Gefängnis, und man würde dieseFakten finden, hätte er nicht eine neue Anhörung verdient?Müßte man dann nicht wieder von seiner Unschuld ausgehen,bis das Gegenteil erwiesen wäre? Blakey zufolge nicht.

Blakey gibt vor, unparteiisch, objektiv und nur an derWahrheit interessiert gewesen zu sein, als er 1977 Mitglieddes Untersuchungsausschusses wurde. Er begann seineAmtszeit mit dem Versprechen, »Licht auf alles zu werfen«,

was er herausfand. Trotzdem unterdrückte Blakey den Löpez-Bericht. Er widmete den Zweifeln, die dieser aufwarf, keineAufmerksamkeit und verzichtete sogar darauf, ihn in denmehr als vierhundert Seiten seines Buches zu erwähnen. Erstürzte sich direkt auf den übernommenen Mythos, Oswaldsei nicht nur so verrückt gewesen, den Präsidenten zu ermor-den, sondern auch so verrückt, seine Absichten zuvor offenund ausführlich vor den Augen der amerikanischen Geheim-dienste zu verbreiten.

Als zweiter Direktor des Assassination Information Bureau(Büro zur Materialsammlung über Attentate) in Washington,das in den siebziger Jahren gegründet wurde, um eine neueUntersuchung des Falles Kennedy in Gang zu setzen, beob-achtete ich Blakey eineinhalb Jahre lang aus nächster Nähe,wie er seine Attentatstheorie vorbereitete und dann vor demUntersuchungsausschuß darstellte, damit dieser sie prüfenund billigen konnte.

Zuerst unterstützte ich seine Mafia-Theorie aus grundsätz-lichen, strategischen Gründen.9 Es handelte sich dabei wenig-stens um eine Verschwörungstheorie, die sich nicht auf dieRechtsradikalen konzentrierte; sie konnte sich der offiziellenZustimmung sicher sein und erschien deshalb stark genug,das Justizministerium zu zwingen, den Fall aufrichtige Weiseerneut aufzurollen. Blakey glaubte, die damals frischen Spu-ren des Untersuchungsausschusses wiesen in Richtung Mafia.Viele von uns Beobachtern glaubten, daß er sich irrte und daßdie Spuren den Deckmantel der Mafia durchstießen und di-rekt zu einigen Abteilungen der offiziellen amerikanischenNachrichtendienste führten. Dem lag von unserer Seite dieMeinung zugrunde: Soll die Bundesregierung doch an derMafia-Strippe ziehen, dann werden wir sehen, was sonstnoch daran hängt.

Dann brach die Reagan-Ära an, und alle Sympathie seitensder Bundesregierung für jedes wie auch immer geartete Pro-jekt, das an die Kennedys erinnerte, fror ein. Blakey wehrte

sich nicht, als das FBI die Tür zum Justizministerium vor sei-ner Nase zuschlug und ihm und dem Untersuchungsausschußdamit im Prinzip mitteilte: »Wir wollen das Zeug nicht haben;da habt ihr halt Pech gehabt.«

Warum kämpfte Blakey nicht härter und in aller Öffentlich-keit dagegen an? Warum schien er sich aus dem Kampf zu-rückzuziehen? Und andererseits: Warum versuchte er, Gar-rison zur Schnecke zu machen? Warum konnte er nichtden Beitrag anerkennen, den Garrison zur Aufhellung diesesFalles beigesteuert hatte, obwohl ihm nur ein Bruchteil vonBlakeys Möglichkeiten zur Verfügung stand, und dies unterdem immensen Druck einer aktiven, geheimdienstlichen Op-position?

Warum ignorierte Blakey die Beweise, die seine eigenenErmittler beigebracht hatten: daß die Gemeinde der Exilku-baner über die gleiche Möglichkeit wie die Mafia verfügte, denPräsidenten zu ermorden? Warum ignorierte er die Fakten,daß der Kreis der Exilkubaner eine Schöpfung der Operations-abteilung der CIA war?

Vielleicht gibt es doch eine einfache Erklärung für diesemerkwürdigen Fehler. Am Ende des Buches von Blakey undBillings, zwischen den Quellennachweis und die Bibliographiegequetscht, steht folgender Absatz:

»Gemäß der Vereinbarung mit dem Untersuchungsaus-schuß des Repräsentantenhauses überprüften die Central In-telligence Agency und das Federal Bureau of Investigation dasManuskript dieses Buches, damit nicht die als geheim ein-gestuften Informationen, die es enthält, zur Veröffentlichunggelangen und kein Informant identifiziert werden kann. DieFakten werden weder von der CIA noch vom FBI bestätigt; diehier dargestellten Ansichten entsprechen auch nicht ihrerMeinung.«10

Das ist vielleicht einer der wichtigsten Absätze des Buches.Man hätte ihn vorne abdrucken sollen, nicht am Schluß, da-mit jeder ihn liest und im Gedächtnis behält, wenn er BlakeysArgumentation folgt.

Auf jeden Fall ist Jim Garrisons Bericht nicht mit einemderartigen Zusatz versehen. Der Leser kann sicher sein, daßWer erschoß John F. Kennedy? Auf der Spur der Mörder vonDallas nicht von der CIA und dem FBI überprüft, zensiert undanschließend zur Veröffentlichung freigegeben worden ist. Tat-sächlich hören wir hier Garrisons Stimme als eine der wenigengroßen, unzensierten Stimmen unserer Zeit.

ANMERKUNGEN

Ich habe versucht, im Anmerkungsteil Quellen für alle Zitate im Text anzugeben,dabei jedoch gleichzeitig bewußt vermieden, den Erzählfluß durch allzu viele Zi-tate zu stören. Ein Großteil der Anmerkungen bezieht sich auf den vollständigenBericht der Warren-Kommission aus dem Jahr 1964 oder den Bericht des Unter-suchungsausschusses des Repräsentantenhauses über Attentate des Jahres 1979.Im Zusammenhang mit diesen beiden Ausschüssen habe ich Abkürzungen ver-wendet:CD: Commission Documents =

Dokumente der Warren-Kommission in den NationalArchives in Washington,D.C.

CE: Commission Exhibits =Beweismittel der Warren-Kommission

HSCHi, 2 House Select Committeeusw.: Hearings = die 14 Bände

mit den Zeugenaussagenund Beweismitteln diesesAusschusses

HSCR: House Select CommitteeReport = Bericht des Unter-suchungsausschusses desRepräsentantenhauses,Washington 1979

Warren Commission Hear-ing = 26 Bände der Anhö-rungen und Beweismittelder Warren-Kommission;die der Abkürzung jeweilsvorangestellte Zahl be-zeichnet die BandnummerWarren CommissionReport: Report of thePresident's Commission onthe Assassination ofPresident John F. Kennedy,Washington 1964

Allerdings muß ich auch auf einige Lücken in der Dokumentierung hinweisen.Viele Gespräche, die ich mit Kollegen, potentiellen Zeugen und anderen Informan-ten führte, wurden weder auf Band aufgenommen noch schriftlich festgehalten.Andere Gespräche oder Verhöre wurden in der einen oder anderen Form nieder-geschrieben, doch die Aufzeichnungen gingen verloren oder wurden gestohlen.Zum größten Teil handelte es sich bei diesem Material um Karteikarten oder Zettel,auf die ich mir Notizen gemacht hatte. Obwohl mir meine persönlichen Aufzeich-nungen noch zur Verfügung stehen, bin ich nicht mehr im Besitz zahlreicher Origi-naldokumente, aus denen ich abschnittweise zitiert habe.

Name Ex.: Niederschriften einereidesstattlichen Aussage

WCH:

WCR:

Um den Erzählfluß trotzdem nicht zu behindern und den Lesern einen Ein-druck davon zu vermitteln, wie sich die Ereignisse allmählich entwickelten, habeich gelegentlich Gespräche aus dem Gedächtnis rekonstruiert oder, wenn das Ori-ginal nicht mehr verfügbar war, aus meinen Aufzeichnungen zitiert. Wo noch Quel-len dieser Gespräche zur Einsichtnahme vorlagen, werden sie in den Anmerkun-gen aufgeführt; wenn ein Gespräch aus der Erinnerung wiedergegeben wurde,nicht. Auch alle noch existierenden Dokumente werden angegeben; wenn etwasaus den später gestohlenen Aufzeichnungen stammt, wird diese Tatsache ver-merkt.

Vier Bücher, aus denen häufig zitiert wird, werden nur mit den Nachnamender Autoren angeführt. Dabei handelt es sich um: Warren Hinckle und William Tur-ner, The Fish 1s Red, The Story ofthe Secret WarAgainst Castro (New York 1981);Henry Hurt, Reasonable Doubt (New York 1985); Mark Lane, Rush to Judgement(New York 1966) und Anthony Summers, Conspiracy (New York 1981). Mein BuchA Heritage ofStone (New York 1970) wird als Heritage angegeben. Einige Aspektewerden in allen Büchern über die Ermordung des Präsidenten abgehandelt; in die-sen Fällen habe ich ein paar repräsentative Zitate aufgeführt.

EINFÜHRUNG

Siehe Hurt, 8.432-434; Lane,S. 229; New York Herold Tribünevom 18. Dezember 1964. Hurtschrieb 1985, daß »von den 375Kubikfuß an versiegelten Beweisenlediglich zwölf Fuß für die Öffent-lichkeit freigegeben wurden«(S. 434).Eine Umfrage von Harris ergab,daß 66 Prozent aller Amerikanerglauben, das Attentat sei die Folgeeiner Verschwörung; New YorkTimes, 30. Mai 1967. 1981 ergabeine weitere Umfrage von Harris,daß 80 Prozent aller Amerikanerdieser Auffassung waren; Hurt,S-34-HSCR, Findings and Recommen-dations, S. i.Rede an der American Universityam 10. Juni 1963, Public Papers ofthe President ofthe United States,John F. Kennedy, 1963 (Washing-ton 1964, 8.462); New York Times,ii. Juni 1963, S. 16.

I. IN DER HEITEREN GELASSEN-HEIT DER UNWISSENHEIT

Das vom 22. November 1963 stam-mende Protokoll über die Körper-verletzung befindet sich unter derNummer 1^-12634-63 bei denAkten des Polizeipräsidiums NewOrleans.Meine Aufzeichnungen der aus-führlichen Verhöre Ferries und sei-ner Aktivitäten am Tag des Atten-tats befinden sich unter dengestohlenen Akten.Als der Ausschuß des Repräsen-tantenhauses 1979 das Ergebnisseiner Untersuchungen bekannt-gab, führte er aus, Präsident Ken-nedy sei wahrscheinlich »einerVerschwörung« zum Opfer gefal-len. Er räumte ein, Lee Oswaldsanscheinende Bekanntschaft mitDavid Ferrie in New Orleans seiein möglicher Hinweis auf eineVerschwörung.

2. DAS ERWACHEN

1 Siehe weiter unten in diesemKapitel.

2 WCR, 8.43. Die Warren-Kommis-sion fand heraus, daß das Kuppel-dach nicht kugelsicher war undder Himmel sich aufgeklart hatte.

3 Die Warren-Kommission wurdeam 29. November 1963 eingesetzt.Ihren letzten Bericht gab sie am24. September 1964 heraus.WCR, S. VIII.

4 Der Kommission gehörten weiter-hin an: der Oberste BundesrichterEarl Warren, der Kongreßabge-ordnete Haie Boggs aus Louisianaund Senator John Sherman Coo-per aus Kentucky.

5 Sylvia Meagher und Gary Owens,Master Index to the J.F.K. Assas-sination Investigations, Metuchen,N.J., 1980.

6 Siehe die Karte auf Vor- und Nach-satz.

7 igWCH, Decker Ex. 5323, 8.483^8 Hurt, S. H4ff.9 6WCH, S. 286f.

10 24WCH, CE2003, S.222; igWCH,Decker Ex. 5323, 8.492.

11 7WCH, 8.353.12 6WCH, S.243f.13 3WCH, 8.274.14 22WCH, CEi38i, 8.638.15 7WCH, 8.557.16 6WCH, 8.338.17 7WCH, 8.572.18 Ebd., 5.345.19 24WCH, CE2OO3, S. 219.20 igWCH, Decker Ex. 5323, 8.516.21 Ebd., 5.500.22 6WCH, S.2II.

23 Ebd., 8.288.24 Ebd., 8.312.25 7WCH,S.535.

• 26 Ebd.

27 WCR, 8.52, 8.446. - - ; ,.

28 6WCH, 8.312.29 Hurt, S. 119.30 WCR, S. 18031 Chief Curry »erkannte«, daß »wir

gegen jedes Prinzip einer gutenBefragung verstießen«, WCR,S.200;4WCH, S. 152.

32 8WCH, 8.307; igWCH, Folsom Ex.,8.622.

33 23WCH, CEI4I4, 8.3.34 Meine Aufzeichnungen sind nicht

mehr vorhanden. Auch die War-ren-Kommission hat Steele be-fragt; siehe toWCH, S. 62 u. 64.

35 4WCH, S.432f.36 Es sollte erwähnt werden, daß

Quigley vor der Warren-Kommis-sion aussagte, es sei »die üblichePraxis«, Notizen nach Abschlußeines Berichts zu vernichten.Ebd., 8.433.

37 Nachdem Oswald nach Dallas zu-rückgekehrt war, versetzte das FBIzeitweilig auch Special Agent Quig-ley nach Dallas. 4WCH, S. 440.

38 WCR, S. 408; Summers, S. 307^39 WCR, 8.403.40 Summers, S. 313.41 Später sagte Alba über mehr als

nur Oswalds Besuche in dem Park-haus aus. 1978 sagte er vor demUntersuchungsausschuß des Re-präsentantenhauses, er habe »Os-wald oft in Mancuso's Restaurantim ersten Stock des Gebäudes 544Camp Street« gesehen. Der Aus-schuß räumte ein, daß auch DavidFerrie und Guy Banister Stamm-gäste von Mancuso's waren. HSCR,Findings and Recommendations,S. 146.

42 IOWCH, S.220.

43 Anfang der sechziger Jahre lo-gierte das FBI ebenfalls im Frei-maurer-Tempel.

3- KRIEGSSPIELE

1 Die Aufzeichnungen über diesesGespräch wurden gestohlen.

2 Die Staatspolizei gab Ivon auch einBuch, das sie in Banisters Bürogefunden hatte, eine nostalgischeErinnerung an seine Zeit beimONI. Es stammte von Admiral EllisZacharias, einem berühmtenNachrichtendienstexperten desZweiten Weltkrieges, und trug denTitel Naval Intelligence. Auf demVorsatz fand sich die Widmung:»Für Guy Banister, mit besten Grü-ßen - Ellis Zacharias.«

3 Diese Aufzeichnungen wurdenebenfalls gestohlen, aber erst nachder Veröffentlichung von Heritage;s. dort S. 113.

4 Einer der Amerikaner war RiehLauchli, ein Abenteurer und Mit-begründer der rechtsextremenVereinigung Minutemen. Der an-dere war Sam Benton, offenbarebenfalls ein Abenteurer, der frü-her in den Spielkasinos Havannasarbeitete. Die neun Kubaner sindalle im Exil ausgebildet worden.Die wahren Umstände der Verhaf-tung beschreiben Hinckle undTurner, S. 198-203.

5 Diese Abschrift befand sich beiden Akten, die gestohlen wurden.

6 Dabei handelte es sich gewisser-maßen um eine Umkehrung desüblichen Vorgehens. Normaler-weise belauschen Bundesnach-richtendienste staatliche und städ-tische Beamte.

7 Siehe Kapitel 14: Die Firma.8 Laut New Orleans States-Item vom

25. April 1967 wurden »50 bis 100Kisten mit der Aufschrift Schlum-berger« mit Munition, Gewehren,Granaten, Tretminen und derglei-

chen in Guy Banisters Lagerraumgefunden. Siehe Paris Flammonde,The Kennedy Conspiracy. NewYork 1969, S. 119.

9 Dieses Team bestand mittlerweileaus Frank Klein, Lou Ivon unddem jungen Assistant DistrictAttorney James Alcock.

10 23WCH, €£1414, 8.828.11 Die Zusammenfassung des Secret

Service führte aus: »Bei den bis-lang durchgeführten gründlichenErmittlungen ließ sich nicht fest-stellen, ob das FAIR PLAY FORCUBA COMMITTEE Büroräume imHaus 544 Camp Street in New Or-leans gemietet hatte. Es war eben-falls unmöglich, jemanden zu fin-den, der sich erinnert, Lee HarveyOswald je in diesem Gebäude ge-sehen zu haben.«Die Tür der Secret-Service-Bürosbefand sich etwa 15 Meter vomHaus 544 Camp Street entfernt.Wenn zwei Secret-Service-Agentendiese 15 Meter zurückgelegt hättenund dann die Treppe hinaufgegan-gen wären, hätten sie sich auf demGang vor Guy Banisters Bürotürwiedergefunden. Falls sie daszuvor nicht gewußt hatten, standBanisters Name groß an der Tür.Hätten sie Delphine Roberts ver-hört, Banisters Sekretärin, hättesie ihnen vielleicht erzählt, was siespäter anderen erzählte (Sum-mers, 8.324^): daß Banister sichhinter verschlossenen Türen mitLee Oswald getroffen und ihm einZimmer im zweiten Stock besorgthatte.Doch die Ermittler des SecretService unternahmen derartigeSchritte nicht. Statt dessen triebensie, wie ihr siebenseitiger Berichtenthüllt, ein paar Leute auf, deren

oberflächliche Verbindung mitdem Haus 544 Camp Street schon1961 oder 1962 ein Ende gefundenhatte. Die Agenten befragten diesePersonen beiläufig über Dinge, diein keinem ersichtlichen Zusam-menhang mit dem Attentat aufPräsident Kennedy standen. Daswar die Summe und Substanz der»gründlichen Ermittlungen« desSecret Service.

4. DER GESELLSCHAFTLICHEAUFSTIEG DES LEE HARVEYOSWALD

1 WCR, S. 23, 390, 423.2 8WCH, S. 133.3 Ebd., S. 237, 8.246.4 Ebd., S.28sf.5 Ebd., 8.293.6 Ebd., Donald Peter Camarata,

S.3i6f.; Peter Francis Connor,5. 317; Allen D. Graf, S. 317 ;̂ JohnRene Heindel, 8.318; Mack Os-borne, S. 322; Richard Dennis Call,S-323-

7 iiWCH, 8.82-115.8 Siehe Michael R. Beschloss,

Mayday. New York 1986, S. 46.9 Siehe Heritage, S. 37.

10 CD steht für Commission Docu-ment - Dokument der Kommis-sion.

11 WCR, S. 688f.12 2ÖWCH, €£2665, S.2I; CE2&73,

8.29; WCR, 8.690.13 WCR, 8.690; iSWCH, CE94&,

8.162.14 26WCH, CE2Ö76, 8.32.15 New York Times, 27. März 1978,

S.Ai4; HSCR, S. igSf; Hurt, 8.203;Summers, S. isgf.

16 Wilcott sagte unter Eid aus, erhabe die Bereitstellung der Fi-

nanzmittel für das Projekt über-nommen, mit dem Oswald beauf-tragt wurde. Wie zu erwarten war,bestritten zahlreiche andere Zeu-gen der Agency, deren Namen Wil-cott erwähnt hatte, jegliche Kennt-nis eines solchen Projekts. DerAusschuß verfolgte die Spur nicht.

17 WCR, 8.327.18 WCR, 8.691; Hurt, 8.214.19 WCR, S. 747; iSWCH, CEgoS,

S.97f.20 WCR, 8.748.21 Ebd.; 26WCH, CE27I8, 8.92.22 WCR, 8.748.23 I6WCH, CE24, S.gSf.24 iSWCH, CE93I, S. I33f., S. 102.25 I6WCH, CE24, S. 102.26 22WCH, CEiin, S.72f.27 WCR, 8.709.28 Ebd., 8.752-760.29 Ebd., S. 709-712, 770-773.30 Ebd., S. 757; iSWCH, CE979,

8.382.31 Als Oswald im Juni 1963 erneut sei-

nen Paß beantragte - WCR,S. 773f. -, erhielt er ihn innerhalbvon 24 Stunden. Eine so schnellePaßausgabe ist schon im Normal-fall ungewöhnlich, wäre abervöllig unmöglich, wäre Oswaldtatsächlich »übergelaufen«.

32 WCR, 8.751.33 Summers, 8.217; 26WCH, CE2655,

S. 2-10, WCR, 8.713.34 WCR, 8.713.35 Ebd.,S.7i5f.36 Hurt, S. 220.37 WCR, 8.718.38 Ebd.; igWCH, Cunningham Ex.,

s. 397-405-39 Hurt, 8.219.40 Ebd.41 Ebd., S. 220.42 WCR, S.7igff.43 Ebd.

44 WCR, S. 282; wegen der Amtsent-hebung von de Mohrenschildtsiehe gVVCH, S. 166-284.

45 Die CIA und Schlumberger hattenein gemeinsames Interesse an derOAS, einer von französischen Ex-Generälen geführten Organisation,die 1961, als Algerien vor der Un-abhängigkeit stand, gegen Präsi-dent Charles de Gaulle revoltierte.Die Agency unterstützte diefranzösische Bewegung gegende Gaulle tatkräftig, wenn auchnicht offen.

46 gWCH, 8.219.47 8WCH, 8.382.48 Meiler informierte die Polizei von

Dallas allerdings erst nach demAttentat, das FBI habe ihm mitge-teilt, Oswald sei »in Ordnung«.Diese Tatsache enthüllte HaroldWeisberg, einer der unbeugsam-sten Kritiker des Warren-Berichts,in seinem Buch Whitewash II. NewYork 1966. 8.45-50.

49 George de Mohrenschildt begingim März 1977 Selbstmord, einpaar Stunden nachdem er zuge-stimmt hatte, mit einem Ermittlerdes Untersuchungsausschussesdes Repräsentantenhauses überAttentate zu sprechen (siehe Sum-mers, S. 499). Es ist theoretischmöglich, daß de Mohrenschildt füreinen anderen Teil der Geheim-dienstwelt gearbeitet hat. Doch dieTatsache, daß er so gut getarntwar und später von einigen Mit-gliedern der Warren-Kommissionund den Bundesermittlern ge-schützt wurde, deutet daraufhin,daß er bei der Agency war. Die War-ren-Kommission rief diesen Welt-bürger nie als Zeugen auf. Stattdessen wurde seine Aussage denMitgliedern der Kommission

schriftlich vorgelegt: gWCH, S. 166bis 284.

50 Summers, S.499f.; HSCHI2, S.6i.51 »Babysitter« ist ein Begriff der

amerikanischen Geheimdienste füreinen Agenten, der eine bestimmtePerson beschützen oder allgemeinfür ihr Wohlergehen sorgen soll.Diese Person ist normalerweise fürden Abschluß eines Auftrags uner-läßlich. Von der Natur des jeweili-gen Unternehmens hängt ab, obder Babysitter ein »eingeweihter«Teilnehmer ist (also weiß, wie seinSchützling eingesetzt werden soll)oder ein »uneingeweihter« (alsokeine Vorkenntnisse darüber hat,was das »Baby« in seiner Obhuterwartet).

52 2IWCH, Radial Ex., 5.282;22WCH, CEisgS, 5.736; 23WCH,CEi943, 5.741; 23WCH, CEI945,5.745; 23WCH, CEI949, S. 747;23WCH, CEI950, 5.752; 23WCH,CEi95i, 5.753.

53 Es besteht beträchtliche Verwir-rung über Oswalds Größe. Auf-grund von Dokumenten, die bei sei-ner Verhaftung in seinerBrieftasche gefunden wurden,gehe ich davon aus, daß er einenMeter und achtzig Zentimeter großwar. Mit einer Ausnahme stam-men alle Papiere, die seine Größemit einem Meter achtzig angeben,aus der Zeit, da John F. KennedyPräsident war, was mit der Theo-rie übereinstimmt, daß währenddieser Zeit jemand seine Rollegespielt hat.Bei der Ausnahme handelt es sichum Oswalds Musterungskarte desMarine Corps vom 24. Oktober1956, die seine Größe mit einemMeter fünfundsiebzig angibt. DieKarte wurde nur ein paar Tage

nach seinem siebzehnten Geburts-tag ausgestellt, und es ist durchauswahrscheinlich, daß er im Verlaufder nächsten drei Jahre um fünfZentimeter gewachsen ist.

54 Nachdem Lee Harvey Oswald nachNew Orleans zurückgekehrt warund anfing, Pro-Castro-Flugblätterzu verteilen, war der Mann mitder Narbe am Rand der Mengestets präsent. Es entspricht demüblichen Vorgehen, daß sich in derNähe eines Geheimdienstagenten,der provokative Tätigkeiten aus-übt, immer ein Leibwächter befin-det, der ihn vor einer gewalttäti-gen Reaktion der Mengebeschützen soll. Da der Mann mitder Narbe regelmäßig anwesendwar und immer eine Sonnenbrilletrug - die Zeugenaussagen, diedies bestätigen, wurden ebenfallsgestohlen -, handelt es sich beiihm wahrscheinlich um OswaldsLeibwächter. Wir erfuhren von sei-ner ständigen Anwesenheit, indemwir Zeugen befragten, die beimVerteilen der Flugblätter anwesendwaren; viele von ihnen konntenwir anhand der Zeitungsfotosidentifizieren.

55 Man kann davon ausgehen, daßdie Lieferwagen für die unmittel-bar bevorstehende Invasion in derSchweinebucht vorgesehen warenund indirekt erworben wurden,um eine Beteiligung der CIA beider Planung und Durchführungder Organisation zu verschleiern.

56 William R. Corson, The Armies ofIgnorance. New York 1977, S.sof.

5. DIE PRÄPARIERUNG DESSÜNDENBOCKS

1 »Zu einer bestimmten Zeit warenviele AID-Außenbüros von obenbis unten von CIA-Leuten unter-wandert.« John Gilligan, Direktorder AID unter der Regierung Car-ter, zitiert nach George Götter,»Spies, Strings and Missionaries«.In: The Christian Century (Chica-go), 25. März 1981.

2 WCR, S. 72gf.3 Ebd., 8.736.4 Ebd., 5.739.5 Ebd., S.737f.6 Eine außergewöhnliche Anzahl

von Dokumenten, die die Painesbetreffen, wurde als geheim einge-stuft. Siehe Heritage, S. i34f.

7 Siehe WCR, S. 730-736.8 Hurt, 8.231-235; HSCH4, 8.219.9 Hurt, gegenüber von S. 263.

10 HSCH3, S. 82, S. 157, S.232f.;HSCHn,S.203f.

n Summers, 5.377.12 Ebd., 5.374.13 Hurt, S.233f.14 Summers, S. 386.15 »On Trial: Lee Harvey Oswald«,

LWT Productions, London 1986. Inden Vereinigten Staaten im No-vember 1986 und Januar 1987 aufdem Kabelsender Showtime aus-gestrahlt. Lopez' Bericht mit 285Seiten wurde nicht freigegeben.

16 Aus meinen Notizen der Ermitt-lung im Fall Farrington, in mei-nem Besitz.

17 Michael L. Kurtz, Crime ofthe Cen-tury. Knoxville, Tenn., 1982, 8.219.

18 Ebd., 5.220.19 Ebd.20 loWCH, 8.353.21 26WCH.CE3078, 8.685.22 Ebd.

23 IOWCH, S. 353f.24 Ebd.25 Ebd., S. 349.26 Die Feststellung ist interessant,

daß das FBI, das unmittelbar nachdem Attentat über »Lee Oswalds«Besuch bei der Downtown LincolnMercury informiert wurde, nachOswalds Verhaftung keinen derZeugen von der Autohandlung zurGegenüberstellung mit Oswald lud.

27 26WCH, CEsojS, 8.685.28 WCR, 8.320.29 iiWCH, 5.481.30 Ebd., 5.82-115.31 Meine ursprünglichen Notizen

über diesen Aspekt der Ermittlungsind nicht mehr erhalten.

32 Desgleichen.33 nWCH, 5.89.34 Am 24. April half Oswald seiner

Frau, zu Mrs. Paine umzuziehen;dann nahm er den Bus nach NewOrleans. Marina stieß dort amii. Mai zu ihm. WCR, S. 726-730.

35 Die Warren-Kommission und derUntersuchungsausschuß des Re-präsentantenhauses über Atten-tate kamen jeweils zur Schluß-folgerung, daß es sich um echteFotos von Oswald handelte, die vordem Attentat aufgenommen wur-den (siehe WCR, S. 127; HSCR,Findings and Recommendations,5.55). Doch Robert Groden, derFoto-Sachverständige des Untersu-chungsausschusses, schrieb einGegengutachten, das im Anhangder Anhörungsbände abgedrucktist (siehe HSCR, S. 295).

36 Die Spencer-Notizen befanden sichunter den gestohlenen Akten.

37 Dieses Dokument befand sich un-ter den gestohlenen Akten.

38 Angehörige des organisierten Ver-brechens wie Rosselli erwiesen

sich nach Kennedys Eliminierungals wertvoll und nutzbringend fürdie CIA. Ihre Namen lenkten dieAufmerksamkeit der Öffentlichkeitauf den Mob als möglichen Draht-zieher. Weitere Informationen zurBenutzung vorgeblicher Hinter-männer nach dem Attentat in Ka-pitel 20.

39 Summers, S. 263.40 Ebd., 5.503.41 Ebd., S. 5O2f.42 Eine zweite Figur des organisier-

ten Verbrechens, Sam Giancana(siehe ebd., S. 502), der in bezugauf Kuba auch einige Geschäftemit der CIA getätigt hatte, solltevor dem gleichen Ausschuß er-scheinen, wurde aber kurz vordem vereinbarten Termin umge-bracht. Er wurde ziemlich brutalin seinem Haus getötet, was eben-falls auf theatralische Art undWeise eine traditionelle Hinrich-tung durch das organisierte Ver-brechen andeuten sollte.

43 Dieser Brief gehört zu den fehlen-den Thornley-Akten.

6. PERFEKTE TARNUNG

1 nWCH, S. 331 ff.2 Ebd., 5.325-339.3 Ebd., 5.335.4 26WCH, CE3094, S.704f.5 iiWCH, S. 334.6 Ebd.7 »Feebees« bedeutete in Andrews'

ureigener Sprache »FBI«.8 Paesa Sera (Rom), 4., n., 12., 14.,

16. und 18. März 1967; siehe Ro-berto Faenza und Edward Becker,IlMalafare Dali America di Ken-nedy all'ltalia, a Cuba, al Viet-nam. Mailand 1978 (in der Folge

zitiert als Faenza und Becker),S. 128, S. 326, S. 330, S. 389; Ro-berto Faenza und Marco Fini, GliAmericani in Italia. Mailand 1976;Robert D. Morrow, Betrayal. AReconstruction ofCertain Clande-stine Eventsfrom the Bay ofPigsto the Assassination ofJohn F. Ken-nedy. Chicago 1976, 8.92.9 Dies war nicht nur wegen seinerSpionagevergangenheit von Be-deutung, sondern auch wegen ei-nes seltsamerweise nicht verzeich-neten Fluges, den Clay Shaw undDavid Ferrie Anfang 1961 oder1962 zu Bloomfields HeimatstadtMontreal unternahmen,i o Paris Flammonde, The KennedyConspiracy. New York 1969, 8.214bis 224.11 Le Devoir, Montreal, 16. März

1967; Faenza und Becker, S. 320.12 Le Devoir, 16. März 1967.13 4. März 1967.14 Ebd.; Faenza und Becker, S. 321.

7. DIE TITELSEITE

1 I7WCH, CE392, S. nf.2 2WCH, S. 165-190.3 6WCH, S. 177-191.4 In einer eidesstattlichen Aussage

für die Kommission erinnerte sichMrs. Rowland (24WCH, S. 181), ihrGatte habe ihr von dem Mann mitdem Gewehr im fünften Stock desSchulbuchlagers erzählt. Sie erin-nerte sich ferner, ihr Mann habeauf das Fenster (von der DealeyPlaza aus gesehen) links außen ge-zeigt. Sie sah weder zu den Fen-stern hoch, noch erinnerte siesich, einen zweiten Mann gesehenzu haben.

5 24WCH, CE2086, 8.522.

6 Ebd., CE2089, 8.524.7 2WCH, S. 201-210.8 6WCH, 8.313.9 2WCH, 5.207.

10 Lane, 5.281.11 2WCH, 5.207.12 Ebd.13 Ebd., 5.208.14 Den bei weitem besten Blick auf

den fünften Stock des Schulbuch-lagers hatte man vom Bezirksge-fängnis an der Houston Street. DieInsassen drängten sich an den Fen-stern, um die Wagenkolonne desPräsidenten zu sehen. Der AnwaltStanley Kaufman sagte vor derWarren-Kommission aus (I5WCH,S. 526), einer seiner Klienten, Wil-lie Mitchell, habe niemanden ge-sehen, als er »zu diesem Fenster«hinübersah. Doch Kaufman fuhrfort, es habe »Gefängnisinsassengegeben, die den Mord gesehenhatten«.

Die Gefängnisinsassen wurden we-der von der Warren-Kommissionvorgeladen noch vom FBI odervom Secret Service verhört. Dochdie Aussage eines der Insassen,John Powell, wurde später bekannt(Summers, S.74f.). Powell, der we-gen kleinerer Vergehen nur einigeTage im Gefängnis war, meldetesich nicht freiwillig zur Aussage;statt dessen erzählte er Bekann-ten, was er im fünften Stock desSchulbuchlagers gesehen hatte.Schließlich informierte einer vonihnen die Medien.Powell und seine Mithäftlinge be-fanden sich im fünften Stock des• Gefängnisses, so daß sie genau inden fünften Stock des einige hun-dert Meter entfernten Schulbuch-lagers sehen konnten. Ein paarMinuten vor dem Attentat sahen

• Powell und die anderen Häftlingevon ihrem Fenster in das genaugegenüberliegende Fenster undbeobachteten dort zwei Männermit einem Gewehr. Zuerst hieltensie die beiden für Angehörige desSicherheitsdienstes - bis dieSchüsse fielen. Powell erinnertesich, daß einer der beiden Männereinen dunklen Teint hatte.

15 6WCH, S. 260-273; und in zahlrei-chen Gesprächen mit mir.

16 Ebd., 8.267.17 Ebd., 8.270.18 Ein paar Monate, nachdem ich

seine Aussage gelesen hatte,suchte Craig mich in New Orleansauf. Ich führte zahlreiche Gesprä-che mit ihm, die allesamt seineAussage vor der Warren-Kommis-sion bestätigten bzw. vertieften.Der wachsame und idealistischejunge Mann, der eher wie einCheerleader denn wie ein Hilfs-sheriff wirkte, war von den Behör-den aus Dallas vertrieben worden.Nach seiner ehrlichen Aussagewar es mit seiner Karriere bei derPolizei vorbei, und er hatte sichentschlossen, Dallas zu verlassen,nachdem jemand auf ihn geschos-sen hatte; die Kugel hatte seinenKopf gestreift. Ich besorgte ihmeinen Job bei der Firma WillardRobertson Volkswagen, und Craigtraf sich häufig mit mir und be-richtete mir in allen Einzelheiten,was er an der Dealey Plaza undnach dem Attentat im Polizeipräsi-dium von Dallas gesehen hatte.Nachdem er erfahren hatte, daßein Verdächtiger verhaftet wordenwar, begab er sich sofort zum Poli-zeipräsidium von Dallas, um derMordkommission seine Hilfe beider Identifizierung anzubieten. Er

berichtete Captain Will Fritz(6WCH, S. 270) von dem Zwischen-fall mit dem Nash Rambler, den ergesehen hatte. Die beiden gingenin Fritz' Büro, in dem Oswald saß.Fritz deutete auf Craig und sagtezu Oswald: »Dieser Mann hat ge-sehen, daß Sie abgehauen sind.«Oswald erwiderte: »Das habe icheuch doch gesagt.« Fritz sagte zuOswald, er wolle nur herausfin-den, was passiert sei, und fuhrfort: »Was ist mit dem Wagen?« Os-wald erwiderte: »Der Kombi ge-hört Mrs. Paine. Versuchen Sienicht, sie in diese Sache hineinzu-ziehen.«Später fuhr Deputy Sheriff BuddyWalthers (6WCH, S. 271) zum Hausder Paines im Vorort Irving undstellte fest, daß Mrs. Ruth Painetatsächlich ein Nash-Rambler-Kombi mit einem Dachgepäckträ-ger gehörte, wie Craig ihn gesehenhatte. Es gibt keine Unterlagen dar-über, ob Captain Fritz oder einanderer Beamter der Mordkom-mission von Dallas dieser Spur jenachgegangen ist. Fritz stritt spä-ter sogar ab (Hurt, S. 125), daßCraig im Polizeipräsidium waroder ihm von dem Nash Ramblererzählt hatte. Doch auf einemPressefoto, das sechs Jahre nachdem Attentat in der Autobiogra-phie Jesse Currys, des Polizeichefsvon Dallas, erschien (Hurt, neunteFotoseite nach S. 138), ist Craigeindeutig im Polizeipräsidiumzu sehen, was seine Geschichtebestätigt.

19 6WCH, 8.267.20 Hurt, S. 119. Carr sagte auch beim

Prozeß gegen Shaw aus; sieheKapitel 18: Das Verfahren gegenClay Shaw.

21 In Briefen von Zeugen aus Dallasan meine Behörde.

22 Der Zwischenfall mit dem »Epilep-tiker« erregt in mehrfacher Hin-sicht Argwohn. Erstens stand nachdiesem Zwischenfall nicht mehrder Krankenwagen zur Verfügung,der für den Fall bereitgestellt war,daß der Präsident verletzt wurde;er brachte den Epileptiker ins Park-land Hospital. Zweitens sorgte derZwischenfall für Ablenkung undveranlaßte den Polizisten JoeSmith, seinen Posten an der Eckedes Schulbuchlagers zu verlassen,wodurch es möglich wurde, daß je-mand auf dem Grashügel Positionbezog, als die Wagenkolonne vonder Main Street auf die HoustonStreet bog. Drittens hielt es eineReihe von Zeugen, die unserer Be-hörde schrieben, für seltsam, daßdie Frau, die augenblicklich auf-tauchte, sich als Krankenschwe-ster bezeichnete und den Epilepti-ker bis zum Eintreffen desKrankenwagens behandelte - erhatte sich bei dem Sturz leicht denKopf aufgeschlagen -, ihr Taschen-tuch im Goldfischteich befeuch-tete, bevor sie seinen Kopf damitabwischte. Einige dieser Zeugenbeschrieben den Epileptiker alsSüdamerikaner in Armeemontur.Viertens stellte unsere Behörde beiNachforschungen im ParklandHospital fest, daß der angeblicheEpileptiker nach Eintreffen desKrankenwagens einfach davongingund sich weigerte, sich behandelnzu lassen oder auszuweisen.

93 Um Mitternacht des 22. Novemberbrachte das FBI die Mannlicher-Carcano, die angeblich Oswald ge-hörte, ins FBI-Labor von Washing-ton. Die Labortechniker fanden

keine Fingerabdrücke, nicht ein-mal partielle, die als die Oswaldszu identifizieren waren (4\VCH,S. 23). Am folgenden Tag gab dasFBI das Gewehr an die Polizei vonDallas zurück. Später erklärte diePolizei von Dallas aufgeregt, manhabe »Oswalds Handflächenab-druck« auf dem Gewehr gefunden(WCR, S. 566). Die wissenschaft-liche Genauigkeit dieser verspäte-ten Entdeckung der Polizei vonDallas wurde in einem FBI-Memo-randum (Hurt, S. 198; vgl. HSCR,S. 53) vom 28. August 1964 (dasallerdings erst 1968 veröffentlichtwurde) bezweifelt, in dem die Aus-sage J. Lee Rankins, des OberstenRechtsberaters der Warren-Kom-mission, zitiert wurde: »Wegen dermittlerweile eingetretenen Um-stände bestehen nach Ansicht derKommission ernsthafte Zweifel, obder Handflächenabdruck, den diePolizei von Dallas vorgelegt hat,wirklich vom Gewehrlauf odervon einem anderen Gegenstandabgenommen wurde. Aus diesemGrund muß dieser Punkt noch ge-klärt werden.« Doch die Warren-Kommission unternahm keine An-strengungen, diesen Punkt zu klä-ren. Sie stellte den »Handflächen-abdruck« in ihrem Bericht alsbedeutende Entwicklung im Fallgegen Oswald dar.1984 wurde Agent Vincent Drain,der das Gewehr für das FBI entge-gennahm, von Henry Hurt überden vorgeblichen Handflächenab-druck befragt (Hurt, S. 109). Drainsagte, er glaube nicht, daß es solcheinen Abdruck je gegeben habe:»Ich kann mir nur erklären, daßes sich dabei [bei Oswalds Ab-druck] um eine Art Beschwichti-

gung handelte, denn man bekamam Sonntagabend eine MengeDruck. Man hätte den Abdruckvon Oswalds Karteikarte nehmenund auf das Gewehr drücken kön-nen. So ungefähr wird es gewesensein.«

24 7WCH, S. 105-109; 24WCH,CE2003, S. 228.

25 Hurt, S. 102.26 yWCH, S. 108.27 Hurt, S. 102; und zahlreiche Ge-

spräche mit mir.28 igWCH, Decker Ex. 5323, S. 507.29 24WCH, CE2i69, 8.831.30 WCR, 8.79.31 Hurt, S. iO3f.32 26WCH, CE2724, S. 104.33 Dieser Film wurde mir von Ri-

chard E. Sprague gezeigt. Er be-findet sich nun zusammen mit denzahlreichen fotografischen Bewei-sen, die Sprague zusammengetra-gen hat, im Archiv des WesternNew England College, Springfield,Massachusetts.

34 WCR, S. I5if.35 4WCH, S. 266.36 WCR, S. söof. Die Kommission

stellte fest, daß »Oswalds Händepositiv auf den Test [reagierten].Der Test auf der rechten Wange er-gab keine Reaktion.« WCR, S. 560.Auf die Komplikationen, die dasletztere Ergebnis mit sich brachte,reagierte die Kommission, indemsie einfach ausführte: »Der Testist völlig unzuverlässig...« WCR,8.561.

37 Sowohl die Angaben darüber, wes-halb, als auch, wann die Route ge-ändert wurde, widersprechen sich.Die Warren-Kommission erfuhr,daß die Änderung nötig gewesensei, um einer engen Kurve hinterder Eisenbahnunterführung aus-

zuweichen, um über den Stem-mons Freeway zum Trade Märt zuv kommen. 4WCH, S. i68ff.; 7WCH,S-336ff.; 24WCH, CE2ii6, 8.546.Doch dieses Argument ist nichteinsichtig. Wäre die Wagenkolonneauf der Main Street geblieben,hätte sie hinter der Unterführungauf völlig freier Strecke eine Kurvevon hundert Grad durchfahrenmüssen; der Verkehr war umgelei-tet worden, und dort drängte sichauch keine Menschenmenge zu-sammen. Statt dessen entschiedman sich auf einem äußerst leichtzugänglichen Streckenteil, auf demsich die Menschen drängten, füreine Kurve von hundertzwanzigGrad. Einige Personen haben aus-gesagt, eine Karte der berichtigtenStrecke sei vor dem 22. Novemberveröffentlicht worden, dochbislang ist ein solches Dokumentnoch nicht aufgetaucht.

38 22WCH, CEI365, 8.617.39 Hinckle, 8.82-95.40 Ebd., S. 112.41 Ebd.

8. VERDECKTE OPERATIONEN

1 Siehe Kapitel 18: Das Verfahrengegen Clay Shaw.

2 New Orleans Times-Picayune,7. Februar 1969, S. 15.

3 Ebd., siehe außerdem NewOrleans Times-Picayune, i. März1969, S. 20.

4 Summers, S. 337f.5 WCR, 8.726-730.6 Rechnung der Bell Telephone Com-

pany in New Orleans: »Chicago,111 - WH-4-4970 - Betrag 3.85 $ -Ihre Nummer - 524-0147«.

7 25WCH, CE2267, S. igif.; 25WCH,

CE2266; siehe auch HSCHg,8.805-941.

8 Diese Notizen, die Teil unsererausführlichen Ermittlungen zuDavid Ferrie waren, wurden allegestohlen. Ivon und Alcock habenmir den Inhalt dieser Passagenbestätigt.

9 Ebd.10 Ebd.11 Ebd.

9. FREUNDSCHAFTSBANDE

1 Von Kimble am 10. Oktober 1967unterschriebene Erklärung.

2 HSCR, 8.392.3 Kimble soll angeblich in Kanada

die Bekanntschaft James Earl Raysgemacht haben, aber dies wurdenie bewiesen; siehe HSCR, 8.392.

4 Man darf daran erinnern, daß Ma-jor L.M. Bloomfield aus Montrealstammte und wie Shaw Mitgliedder internationalen Geheimdienst-zwillinge Centro Mondiale Com-merciale (Welthandelszentrum)und Permindex war. Siehe Kapitel6: Perfekte Tarnung.

5 Diese Notizen wurden ebenfallsgestohlen.

6 Wie oben.7 Wie oben.8 Memorandum vom 18. September

1967 von James L. Alcock an JimGarrison.

10. DIE IDEN DES FEBRUAR

Zu keiner Zeit hatte Gervais etwasmit den Ermittlungen zur Ermor-dung Präsident Kennedys zu tun.Er war nicht einmal Mitglied derSondereinheit.

II. SCHACHMATT

1 Ferrie war »Bischof« einer obsku-ren Sekte mit dem Namen Ortho-doxe Altkatholische Kirche Nord-amerikas. Hurt, S. 263^

2 Nur ein Abschiedsbrief wurde inder Presse zitiert. Siehe NewOrleans States-ltem, 23. Februar1967, und die New Orleans Times-Picayune, 23. Februar 1967.

3 Ebd.4 New Orleans States-ltem, 24. Fe-

bruar 1967.5 Alle Notizen über Shaws Verhöre

befanden sich unter den gestohle-nen Akten.

6 I6WCH, CE58, 8.58.7 Das teilte uns das Hauptpostamt

von Dallas im Jahre 1966 mit.

12. KONFRONTATION

1 New York Times, 3. März 1967.2 Undatierte Erklärung, die ein Spre-

cher des Justizministeriums inErwiderung einer Forderung nacheiner öffentlichen Erklärung vor-bereitete, die von Shaws AnwaltEdward F. Wegmann eingereichtwurde.

3 In juristischen Begriffen lautetedie Anklage - siehe New OrleansTimes-Picayune, 23. März 1967 -,daß er »sich wissentlich und unge-setzmäßig zusammen mit DavidFerrie, hier benannt, aber nichtangeklagt, und Lee Harvey Os-wald, hier benannt, aber nicht an-geklagt, und anderen, hier nichtbenannt, verschworen hat, John F.Kennedy zu ermorden.«

4 New Orleans States-ltem, 14. März1967, S. i.

5 Bezüglich Russos kompletter

Aussage siehe New Orleans Sta-tes-Item, 14. März 1967, S. i, S. 14,;und 15. März 1967, S. i, 8.4, S. 6.

6 Anscheinend wurde Präsident Ken-nedy ermordet, indem man sichder Technik des Triangulations-schießens bediente: Mindestensein Schuß kam von dem Hügel vorihm, und mindestens zwei von denGebäuden hinter ihm. Aber dasbedeutet nicht unbedingt, daß Fer-rie bereits im voraus über dieseEinzelheiten Bescheid wußte. DieEliminierung einer wichtigen Per-son durch die verdeckte Operationeines Regierungsgeheimdienstesspielt sich auf der Basis der »un-bedingt erforderlichen Kennt-nisse« ab. Es ist zu bezweifeln, obFerrie tatsächlich wußte, daß manTriangulationsschüsse gegen Ken-nedy einsetzen würde. Siehe Kapi-tel 2: Das Erwachen, und 7: DieTitelseite.

7 Wie sich herausstellte, fuhr Ferriezur Universität von Hammond, woer im Studentenwohnheim über-nachtete. Das war allerdings nachseiner seltsamen Texas-Reise, undzu diesem Zeitpunkt war das At-tentat längst geschehen. Anderer-seits war Clay Shaw tatsächlich andie Westküste gereist, als dasAttentat stattfand. Er sollte in SanFrancisco eine Rede halten, dieMario Bermudez, der Leiter derAbteilung für Internationale Bezie-hungen der Stadt New Orleansund ein enger Freund Shaws, fürihn arrangiert hatte.

S New Orleans States-Item, 15. März1967, S. i, 8.4, S. 6; 17. März 1967,S. 12.

9 Eines der diversen Gespräche, dieich mit Russo im Sommer 1988führte.

10 New Orleans States-Item, 18. März1967, S. 12.

13. DER GEGENSCHLAG

1 United Press International, Depe-sche vom 4. September 1967 ausTokyo.

2 Babceuf rief Lynn Loisel an, denMitarbeiter unserer Dienststelle,der ihn angeblich bedroht hatte,und sagte, er habe die Nase voll da-von, unter Druck gesetzt zu wer-den, schlecht über mich zu spre-chen. Dann kam er mit seinemAnwalt Hugh Exnicios in meinBüro. Ich schickte sie zu Lou Ivonund Charles Ward. Sie erhieltenschließlich von Babceuf eine beei-dete Aussage, in der er angab, nievon der Staatsanwaltschaft be-droht worden zu sein; derartigeBehauptungen seien unwahr.

3 Saturday Evening Post, 8. Juni1963,8.67-71.

4 Ebd., 6. Mai 1967, 8.21-25.5 Life, i. September 1967, S. 15;

8. September 1967, S. 91.6 Life, 8. September 1967, S.g4f.7 3. März 1967; 10. März 1967;

30. Juni 1967 in der Sendung derNBC.

8 n. September 1966, S. 52, S. 154.9 Siehe Kapitel 14: Die Firma.

10 Nachdem ich diese Zusammenfas-sung aus dem Memorandum ko-piert hatte, wurde das Original zuden Akten gelegt, die dann gestoh-len wurden.

11 Ebd.12 NBC, 15. Juli 1967.13 Siehe Kenneth Bilby, The General.

David Sarnoffand the Rise oftheCommunications Industry. NewYork 1986, S. 156, S. 167.

14- DIE FIRMA

1 Im allgemeinen wird die CIA inGeheimdienstkreisen als »Firma«bezeichnet.

2 Siehe dazu grundsätzlich Hinckle,8.96-102.

3 Kenneth O'Donnell und David F.Powers, Johnny, We Hardly KnewYe. Boston 1970, 8.382.

4 Howard Zinn, A People's Historyofthe United States. New York1980, 8.462.

5 0' Donnell und Powers ,5.383.6 Ebd.7 Nach dem Desaster in der Schwei-

nebucht sagte Präsident Kennedy,er wolle »die CIA in tausendStücke zerschlagen und in alleWinde zerstreuen«. New YorkTimes, 25. April 1966.

% Die New Orleans States-Item vom25. April 1977 bezeichnete Novelals »einen der geschwätzigstenFlüchtige der Geschichte«.

9 Ebd.10 Ebd.11 Die Idee, in einem Strafprozeß

eine Verteidigung aus der Tatsacheabzuleiten, die CIA habe über dieAktivitäten des Angeklagten Be-scheid gewußt, ist gar nicht soweit hergeholt. 1982 wurden fünfamerikanische Iren von einemBundesgeschworenengericht inBrooklyn von der Anklage desWaffenschmuggels freigesprochen,weil sie darlegen konnten, daß dieCIA seit Jahren davon gewußt undes toleriert hatte. Siehe ShanaAlexander: »The Patriot Garne«.In: New York Magazine, 22. No-vember 1982, S. 58.

12 Siehe Michael Canfield und Alan J.Weberman, Coup d'ßtat in Ame-rica. New York 1975, S.37f.; siehe

auch bei E. Howard Hunt, Give UsThisDay. New Rochelle, N.Y.,1973, 5.46; siehe Rosemary Jamesund Jack Wardlaw, Plot or Politics.New Orleans 1967, S. u.

13 HSCR, S. ig2f.14 CD 197. Für die Darstellung von

Nagells Geschichte siehe Hinckle,S. 226-229. Meine eigenen Notizenüber das Treffen mit Nageil existie-ren nicht mehr. Hinckle und Tur-ner hatten Zugang zu einigen sei-ner schriftlichen Aussagen, als siean ihrem Buch arbeiteten.

15 Das Flugticket mußte ich von nunan ebenso wie das Hotel selbstbezahlen, da die Zeitungen unsereKautions- und Spesenkonten imAuge behielten.

16 Er hatte drei Jahre abgesessen.Zwei Jahre später wurde seineVerurteilung rückgängig gemacht,weil es keinen Beweis für die Ab-; sieht eines Raubes gegeben hatte.Siehe Hinckle, 8.228.

17 Dieser Ausschnitt befand sich un-ter den gestohlenen Akten.

15. TRICKSEREIEN

1 WCR, S. 156-176.2 Hurt, S. 139.3 6WCH, 5.448; 24WCH, CE2003,

5.202, 5.215; Lane, S. 188.4 WCR, S. i63f.5 WCR, S. 165, räumt ein, daß man

mindestens fünfzehn Minuten ZUFuß braucht.

6 6WCH, 5.452.7 nWCH, S.435f.8 Ebd., 5.437.9 3WCH, 5.304-321, S.34off.; 7WCH.

5.488-506.10 20WCH, Markham Ex, Nr. i,

S.583-S.590.

11 Lane, S. 180. ;12 yWCH, S. 503f.13 WCR, 8.167.14 3\VCH, 8.310.15 Lane, S. 194.16 Ebd.17 24WCH, CE2003, 8.254.18 Lane, S. i93f.; Lane interviewte,

filmte und nahm die Aussage vonMrs. Clemons auf Band auf, undzwar im März 1968 in Dallas.

19 Das Auffinden und die Befragungder Schlüsselzeugen der Ermor-dung von Officer Tippit durchMark Lane war die früheste undbemerkenswerteste Arbeit, die vonden Kritikern der offiziellen Er-gebnisse über das Attentat durch-geführt wurde. Siehe Lane, S. 171bis 208.

20 Lane, S. 194; New York Times,12. Oktober 1964; New Leader,12. Oktober 1964.

21 Michael L. Kurtz, Crime ofthe Cen-tury. Knoxville, Tenn., 1982, S. 138.

22 25WCH, CE1974, 5.832-940;Heritage, S. 71 f.

23 3WCH, S. 301; 7\VCH, S. 54.24 3WCH, S. 473, S.475-25 Lane, S. 195-200.26 3WCH, 8.475.27 Ebd., S.474ff.28 Ebd., 5.511.29 WCR, S. 172.30 6WCH, S.45of.; 7\VCH, 8.47.31 7WCH, S.68f.32 Ebd., S.275f.

16. DIE FLUCHT DER ATTENTÄTER

1 Siehe Hurt, S. 122-124.2 Siehe 24\VCH, CE2OO3, S. 202.3 Angebliche Hintermänner sind frei

erfundene Verdächtige, die dieDesinformationsmaschinerie der

Geheimdienste nach einer ver-deckten Operation routinemäßig indie Welt setzt, um den Unbedach-ten von den Geheimdiensten fortauf eine falsche Spur zu führen.Siehe Kapitel 20: Die heimlichenDrahtzieher.

4 »On Trial: Lee Harvey Oswald«,LWT Productions, London 1986.

5 Auch Jack Bears von der DallasMorning News machte Fotos vondieser Szene. Später kaufteSprague Bears die Fotos ab. AlleFotos befinden sich nun im Archivdes Western New England College,Springfield, Massachusetts. Einerepräsentative Auswahl erscheintim Schwarzweiß-Tafelteil diesesBuches.

6 Eine Reihe weiterer Fotos, die JimMurray vom Blackstar Photo Ser-vice und William Allen vom DallasTimes Herold kurz nach dem At-tentat auf der Dealey Plaza mach-ten, zeigt eine weitere Person, dieexakt die gleiche Art von Funk-empfänger in einem nur halbsichtbaren Ohrstöpsel trägt. In die-ser Fotoserie sieht man DeputySheriff Buddy Walthers, der zu ei-ner Kugel hinabschaut, als einadrett gekleideter blonder Mannsich bückt, um sie aufzuheben. AmOhrläppchen des nicht identifizier-ten blonden Mannes ist ein Emp-fänger aus Plastik befestigt. DieKugel wurde nie wieder gesehen.Die Warren-Kommission fragteWalthers nicht nach der Kugel oderdem blonden Mann mit dem Ohr-stöpsel, und von sich aus machteer keine Aussagen darüber.Walthers wurde später ermordet.

7 Die Warren-Kommission befaßtesich nie mit dieser Frage. Sie er-wähnte die »Tramps« nicht ein-

mal. Dies tat jedoch der Unter-suchungsausschuß über Attentate(siehe HSCH4, 8.367-386). Mankönnte sich fragen, wie er die Ver-dächtigen identifizieren wollte.Vereinbarte sein Stab vielleicht mitden Behörden von Dallas, mit denuniformierten Beamten auf denFotos sprechen zu dürfen? Die Be-wacher der Gefangenen hättenvielleicht einige Hinweise überderen Identität geben können.Schließlich fragen Polizeibeamtezunächst einmal, auch wennes sich nur um einen Taschendieb-stahl handelt, nach dem Namendes vermeintlichen Täters. Zudemhätten die Beamten, die die dreiMänner gestellt hatten, vielleichterklären können, wieso ihre Ge-fangenen sorgloser herumspazie-ren konnten als jeder Ladendieb.Leider existieren keine Unterlagendarüber, ob der Ausschuß irgend-einen Versuch unternommen hat,die Uniformierten zu identifizie-ren. Auch wurden keine Angehöri-gen der Kommandoebene der Poli-zei vorgeladen, die die Bewacherder verschwundenen Gefangenenauf einen Blick hätten identifizie-ren können.Statt dessen faßte der Untersu-chungsausschuß die Sache so an,als mache er dies zum erstenmal.Man bildete ein Team aus bekann-ten Anthropologen, denen mandas Foto der Verhafteten zur Ver-fügung stellte. Die Anthropologenvermaßen sorgfältig Nase, Stirnund andere Gesichtsmerkmale derVerhafteten. Diese Ergebnisse ver-glichen sie mit den Daten ver-schiedener Personen, von denenman annahm, sie hätten etwas ge-gen John F. Kennedy gehabt. Nach-

dem der Vergleich negativ ausge-fallen war, sagte der Leiter desAnthropologenteams bei der An-hörung aus, die Verdächtigen hät-ten sich nicht unter den Verhaf-teten befunden.In einem Land mit über zweihun-dert Millionen Einwohnern kannein solches Verfahren sehr langedauern. Der Untersuchungsaus-schuß über Attentate - oder zu-mindest sein Ermittlerstab - hatteeine wissenschaftliche Methodeausgeheckt, um sicherzustellen,daß die Männer, die nach demAttentat verhaftet worden waren,nie identifiziert wurden.

17. DIE ZURÜCKHALTENDENERMITTLER

, Decker Ex. 5323, S.483ff.2 Jack Ruby hatte eine besondere

Beziehung zum FBI-Büro in Dallas(siehe Hurt, S. 177; Summers,8.456-465; HSCR, S.369f.). 1959traf Ruby sich zumindest neunmalmit einem Agenten des Büros.Einmal erwarb er sogar einemit einem Mikrophon verseheneArmbanduhr, eine verwanzteKrawattennadel, eine Telefon-wanze und einen verwanzten Ak-tenkoffer. Diese Tatsachen deutendarauf hin, daß Ruby wahrschein-lich Informant des örtlichenFBI-Büros war.Doch Ruby hat möglicherweiseauch für die CIA gearbeitet. Perso-nen, die auf der Gehaltsliste einesGeheimdienstes stehen, werden

"•>" manchmal als Vertragsangestelltevon anderen Nachrichtendienstenangeheuert. 1959, im gleichenJahr, in dem Ruby sich mit dem

FBI-Agenten traf, flog er zweimalnach Kuba, einmal für acht Tageund einmal für eine Nacht. Anfangder fünfziger Jahre hatte er miteinem Waffenhändler Gesprächeüber den Erwerb von hundertJeeps geführt, einen der wertvoll-sten Ausrüstungsgegenstände fürRebellen in Kuba, die die CIA da-mals unterstützte. Bei einer späte-ren Gelegenheit hatte er mit einemvon der CIA unterstützten Waffen-schmuggel für die kubanischenRebellen zu tun.

3 Es gab ein Nachspiel zu Julia ArmMercers Geschichte. Als ich Endeder siebziger Jahre als Anwaltpraktizierte, nahm der Untersu-chungsausschuß über Attentateseine Arbeit auf und bat um Mit-hilfe. Da ich beobachtet hatte, daßviel kritisches Material unter denHänden der Bundesermittler ver-schwunden war, war ich nicht ge-rade Feuer und Flamme, dem Aus-schuß etwas zu schicken.Doch die Beobachtungen von Mrs.Mercer - und die Änderungen, diedie Regierung an ihnen vorgenom-men hatte - waren von großer Be-deutung. Es gab keine schlüssige-ren Beweise dafür, daß Kennedyvon vorne erschossen worden warund eine Verschwörung stattge-funden hatte, die man vertuschte.Dementsprechend schickte ichdem Ausschuß Kopien von JuliaAnn Mercers Aussage beim FBIund dem Sheriff s Office, die derWarren-Kommission als Beweis-mittel vorgelegen hatten (izHSCH,S. :6f.), sowie ihres Kommentarszu den Änderungen, die beide Be-

.'.': norden vorgenommen hatten.Wegen der außergewöhnlich ho-hen Sterblichkeitsrate unter den

wichtigsten Attentatszeugen er-,, wähnte ich sie nur unter ihremMädchennamen, mit dem sie auchihre Aussagen unterschriebenhatte. In einem Begleitbrief er-klärte ich dem Ausschuß denGrund dafür und fuhr fort, fallsder Ausschuß sie als Zeugin aufru-fen wolle und mir versichere, ihrausreichenden Schutz zu gewäh-ren, würde ich gerne ihren jetzi-gen Namen und ihre Adressebekanntgeben.Darauf erhielt ich nie eine Ant-wort. Als ich einige Jahre späterdie veröffentlichten Anhörungs-protokolle des Ausschusses durch-blätterte, stieß ich auf einen inter-essanten Absatz. Dort hieß es, ichhätte dem Ausschuß die angeb-liche Aussage einer Julia Ann Mer-cer geschickt. Die Ermittler des, Ausschusses, so fuhr der Berichtfort, »waren jedoch nicht in derLage, sie ausfindig zu machen«.4 Meine Kopie dieser Aussage be-

fand sich unter den gestohlenenPapieren.

5 Als Walter mich später besserkannte, erzählte er mir, das FBIhabe während unserer Ermittlun-gen über das Attentat sämtlicheTelefongespräche abgehört, die ichzu Hause geführt hatte. Normaler-weise hört das FBI Telefongesprä-che amerikanischer Bürger ohne ,weitere Umstände ab. Doch ichwar öffentlich gewählter Beamter;deswegen arbeitete das FBI zurVorsicht über eine Privatdetekteiin einer Stadt im Norden von Loui-siana.Nachdem der Freedom of Informa-tion Act in Kraft getreten war, ver-langte Lane Kopien des gesamtenMaterials, das das FBI über mich

gesammelt hatte. Als es eintraf,war ein Großteil geschwärzt. Esfand sich kein Hinweis auf dieTelefonüberwachung darunter, dadas ausgeklügelte Telefonüber-wachungssystem des FBI und dasebenso ausgeklügelte Informan-tensystem aufgrund einer Verwal-tungsentscheidung des FBI vomFreedom of Information Act ausge-schlossen wurden. Doch wir fan-den ausreichende Beweise dafür,daß mich das FBI auf jeder Reise,die ich während der Kennedy-Er-mittlungen unternahm, beschattethatte.

6 Das Verhalten des Secret Servicewar auch in anderer Hinsicht allesandere als beispielhaft (siehe Hurt,8.84; WCR, 8.58; 5WCH, S.64f.).Obwohl der Secret Service im Park-land Hospital von Beamten desStaates Texas darüber informiertworden war, daß in Texas Autop-sien gesetzlich vorgeschriebensind, entführte der Secret ServicePräsident Kennedys Leichnam undschaffte ihn an Bord der Air ForceOne, um im MilitärkrankenhausBethesda in Maryland eine Autop-sie durchführen zu lassen. Nocham gleichen Tag säuberte der Se-cret Service die Limousine desPräsidenten und entfernte sämt-liche Kugelfragmente. GouverneurJohn Connallys Kleidung wurde(mitsamt Einschußlöchern, Ein-schußspuren etc.) von einer Reini-gung gewaschen und gebügelt. DerSecret Service schien keinen Wertauf den Erhalt wichtiger Beweis-stücke zu legen.

7 WCR, S. 332f.; Hurt, 8.402.8 Bei diesen früheren Gelegenheiten

hatte Oswald an das Marinesekre-tariat geschrieben (siehe igWCH,

Folsom Ex., S. 713, 8.695) und ge-gen die »unehrenhafte Entlas-sung« protestiert, die an die Stelleseiner »ehrenhaften Entlassung«getreten war, nachdem er in dieSowjetunion übergelaufen war. Alsehemaliger Marine fiel Oswald un-ter die Rechtsprechung des Mari-neministeriums .

9 i6WCH, CEi8, 8.64.10 Der Hosty-Eintrag fehlte im Kom-

missionsdokument CD2O5, das an-geblich eine Abschrift von OswaldsAdreßbuch ist. Später wurde€0385 der Warren-Kommissionmit dem Eintrag übergeben; sieheDiskussion in HSCHn, 8.424^

11 Ebd., S. 424. Der Untersuchungs-ausschuß über Attentate hieltdiesen Zwischenfall für »trivial«.HSCR, S. 190.

12 Washington Post, 22. Oktober1975; siehe Hurt, S. 252ff.

13 HSCR, S. 195; HSCHn, S.424f.14 igWCH, CE83I, 8.780-784. ;

18. DAS VERFAHREN GEGENCLAY SHAW

1 New Orleans Times-Picayune,i. März 1969.

2 Ebd., 7. Februar 1969.3 Zeitschrift True, April 1975. Mar-

chetti deutete anscheinend zumerstenmal in einem Gespräch mitdem Zodiac News Service am21. Dezember 1973 ein Interesseder Agency am Verfahren gegen

» Clay Shaw an; doch wurde davonkaum Notiz genommen. Nach demArtikel in True befragte Mark LanesCitizens Committee of Inquiry Mar-chetti und gab am 22. April 1975eine Pressemitteilung heraus. Sieheauch Hinckle, S. 269.

4 Bei dem Gespräch fügte Marchettihinzu: »Zu dieser Zeit oder kurzdanach kam dieser Ferrie [...] undgab eine ähnliche Erklärung ab.Er habe mit der Schweinebucht zutun und sei Vertragsagent oderKontaktagent oder so. Ich nahmdiese Erklärungen für bare Münzeund dachte nie darüber nach, bisich mit dem Ausschuß über Atten-tate zu tun bekam. Ein Grund, wes-halb ich die Erklärungen für bareMünze nahm, liegt darin, daß manimmer zu hören bekam: >He, dasist eine kitzlige Sache; du brauchstes nicht zu wissen!<, wenn sie ei-nem nichts sagen wollten. Wennes manchmal wirklich kitzlig war,gaben sie einem eine lächerlicheEntschuldigung. Er könnte umfas-send beteiligt gewesen sein undumfassende Kontakte gehabt ha-ben, aber man wollte mir einfachnichts sagen.«

5 New Orleans Times-Picayune, ;,,•8. Februar 1969.

6 Ebd.7 Hurt, S.274f.8 New Orleans Times-Picayune,

i. März 1969, S. 2, 8.24.9 Ebd., S. 20.

10 New Orleans Times-Picayune,20. Februar 1969, S. 24.

11 New York Times, 15. Februar 1969,S. 13-

12 New Orleans Times-Picayune,28. Februar 1969, S. i, S.6f.

13 Einzelbild 313 zeigt den Augen-blick, in dem der Schuß KennedysKopf traf. Die von Zapruder aufge-nommenen Einzelbilder 314 und315 zeigen, daß sein Kopf nach hin-ten fiel, und deuten damit an, derSchuß kam von vorne.Nach einer Routineüberprüfungder Reihenfolge der Einzelbilder

mußte sogar die Warren-Kommis-sion anerkennen, daß die Einzel-bilder vertauscht worden waren,* und bat das FBI um eine Erklä-rung. J. Edgar Hoover meinte, eshandele sich um einen »unabsicht-lichen« Fehler bei der Kopie(HSCHi.S. 100).

14 WCR, S. 115.15 Ebd., S. 117.16 Ebd., S. 86-96; Lane, S. 74, S. 76.17 WCR, S.95; 6WCH, S. 128-134;

I7WCH, CE399, 8.49.18 Es interessiert vielleicht, daß Ruby

kurz vor dem Auffinden der Zau-berkugel in der Halle des ParklandHospital gesehen wurde (vgl. Lane,S. 73). Einige Journalisten vermu-ten, Ruby könne sie ins Kranken-haus gebracht haben.

19 Lane, S.76f.20 New Orleans Times-Picayune,

20. Februar 1969, 8.28.21 Ebd., i. März 1969, 8.24.22 Ebd., 20. Februar 1969, S. i;

Shaws Anwälte behaupteten, ihrKlient habe eine Karte mit einemleeren Feld für Angaben von Pseud-onymen unterschrieben, undirgend jemand, wahrscheinlichHabighorst, habe später »ClayBertrand« eingetragen. Der Rich-ter erlaubte den Geschworenennicht, die Entscheidung selbst zufällen, wem sie Glauben schenkenwollten.

23 New Orleans Times-Picayune,20. Februar 1969, S. i.

24 Andrews war zuvor, als er unterEid eine ähnliche Aussage leistete,für schuldig befunden, vor demGeschworenengericht einen Mein-eid geleistet zu haben, und zu fünfMonaten Gefängnis verurteilt wor-den. Doch während des Verfah-rens gegen Shaw stand seine Ver-

urteilung am Obersten Gerichtshofvon Louisiana zur Berufung anund durfte nicht erwähnt werden.Nachdem Andrews den Berufungs-prozeß später verloren hatte,wandten sich seine Anwälte anmich und äußerten ihre Besorgnisdarüber, daß er mit seiner ernstenHerzkrankheit eine sechsmonatigeHaftstrafe nie überleben werde.Ich riet ihnen, einen Antrag auf ei-nen neuen Prozeß zu stellen undbei der Eingabe zu erwähnen, derStaatsanwalt heiße den Antraggut. Damit sei er so gut wie akzep-tiert, wie es dann auch geschah.Als der Fall an meine Behörde ge-schickt wurde, wies ich die An-klage ab.Andrews hat nie eine Haftstrafeverbüßt, erlag aber später seinemHerzleiden.

25 WCR, 8.58.26 i6WCH, CEsSy, 8.981; Lane, 8.46.27 I6WCH, €£387, S.g82f.28 2WCH, 8.349.29 I7WCH, 8.48; I2WCH, 8.373;

HSCHi, 8.330; HSCH7, 8.257.Siehe allgemein Hurt, Kapitel 3:»Die Autopsie des Jahrhunderts«.

30 Jahre später wurden zwei weiterewichtige Entdeckungen in bezugauf die Autopsie gemacht: Die er-ste bestand darin, daß Comman-der Humes bei der Autopsie offen-bar eine weitere Kugel fand, die erin seinem Bericht nicht erwähnte.Im Gegenteil, er sagte vor derKommission aus, er habe keine Ku-geln entdeckt (2WCH, S. 364). DieKugel wird in einem Bericht er-wähnt, den die FBI-Agenten, dieihn erhielten, dem befehlshaben-den Offizier des Marine-HospitalsBethesda gaben. Die aufgrund desFreedom of Information Act an

Mark Lane ausgehändigte Emp-fangsquittung lautet (siehe L.A.Free Press, »Special Report Num-ber One«, 1978, S. 17):»22. November 1963Von: Francis X. O'Neill jr, Agentdes FBIJames W. Sibert, Agent des FBIAn: Captain J.H. Stover jr., Befehls-habender Offizier, U.S. Naval Me-dical School, National Naval Medi-cal Center, Bethesda, Marylandi. Wir bestätigen hiermit den Emp-fang eines Geschoßes [sie], das un-ter heutigem Datum von Comman-der James J. Humes, MC, USN,entfernt wurde,(gezeichnet)Francis X. O'Neill jr.(gezeichnet)James W. Sibert«.Daß bei der Autopsie eine vierteKugel entdeckt wurde, bedeutetzwangsläufig, daß mehr als einSchütze den Präsidenten getroffenhaben muß.Die zweite Entdeckung erfolgte imAugust 1972, als Dr. Cyril Wecht,ein bekannter Pathologe und Ge-richtsmediziner aus Pittsburgh,Pennsylvania, einen Gerichtsbe-schluß erwirkte, mit dem er Prä-sident Kennedys Gehirn in denNational Archives untersuchenkonnte. Eine Untersuchung des Ge-hirns, das in Formalin eingelegtworden war, hätte ergeben kön-nen, aus welcher Richtung, wie oftund an welcher Stelle Kugeln denKopf des Präsidenten getroffen hat-ten. Leider konnte Dr. Wecht dieseUntersuchung nicht durchführen.Man teilte ihm mit, das Gehirn desPräsidenten sei verschwunden.Siehe auch HSCHi, 8.332-373;I7WCH, €£394,5.26.

31 Thomas T. Noguchi, Coroner. NewYork 1983, S.95.

32 WCR, 8.88-92; Lane, 8.65;zyWCH, CE394, 8.26.

33 Nach dem Prozeß ließ ich eineAbschrift von Dr. Fincks Aussageerstellen.

34 New Orleans Times-Picayune,i. März 1969, S. 24.

35 Ebd.36 Prosektor ist der Fachausdruck für

eine Person, die eine Sezierungvornimmt. Dr. Finck hat das Wortmehrmals verwendet.

37 Dr. Finck sagte aus, man habe»ihm gesagt, die Familie wollekeine Untersuchung des Halses«.New York Times, 25. Februar1969, S. 18.

38 Ebd., 28. Februar 1969, S. 19.39 Lane informierte mich unmittelbar

danach über seine Gespräche.40 Hunt gegen Weberman, S.D.

Fla. 1979.41 Hunt gegen Liberty Lobby, S.D.

Fla., Nr. 8o-ii2i-Civ.-JWK, eidlicheAussage von Richard McGarrahHelms, i. Juni 1984, S. 37.

Nims hatte ich nie getroffen, undseither habe ich beide auch niewieder gesehen.

3 Nachdem der Brief als Beweis-stück eingeführt worden war,wurde er vorgelesen und zu denBeweisstücken genommen. Ich

, habe ihn in meinem Schlußplä-doyer noch einmal vorgelesen. DieAbschrift befindet sich in meinemBesitz.

4 Es war nicht das letztemal, daßdie Bundesregierung mich herein-zulegen versuchte. Man beschul-digte mich, die Einkommensteuerjener Summen nicht gezahlt zuhaben, die ich von den Spiel-hallenbesitzern nie erhalten hatte.Der zweite Prozeß fand Anfang1974 statt, als meine Amtszeit alsBezirksstaatsanwalt beendet war.Ich verteidigte mich erneut selbstund wurde abermals für unschul-dig befunden. Diesmal brach dasVerfahren, das die Regierung ge-gen mich angestrengt hatte, nochschmählicher zusammen als beimersten Mal.

19. DIE ERHABENHEIT DESGESETZES

20. DIE HEIMLICHEN DRAHT-ZIEHER

1 S.D.La., Nr. 71-542-0.2 Alle Beklagten außer mir und zwei

anderen, Aruns Callery und Ro-bert Nims, waren wirklich Besitzerund/oder Geschäftsführer vonSpielhallen. Als der Fall vorGericht kam, hatten sich alle dereinen oder anderen Anklage fürschuldig erklärt.Callery war ein prominenter lei-tender Angestellter der SugarBowl, dem ich vielleicht ein-, zwei-mal in der Stadt begegnet war.

1 Sylvia Meagher führt fünfund-zwanzig »geheimnisvolle Todes-fälle« von Schlüsselzeugen auf:Master Index, 8.323.

2 Summers, 5.499.3 Dallas Morning News, 16. Mai

1975, S. 50. Craigs Vater fand ihnneben einem Gewehr. Ein in derNähe liegender Abschiedsbrief be-sagte, Craig könne die Schmerzennicht mehr ertragen. Die Schmer-

: zen, erklärte sein Vater, stammtenvon einem zwei Jahre zurücklie-

genden Autounfall und einer sechsMonate zurückliegenden Schuß-wunde. Beide Zwischenfälle schie-nen recht ungewöhnlich.

4 Karte in den Akten des Gerichts-mediziners von New Orleans.

5 In einem kürzlich erfolgtenGespräch mit dem Verfasser vonDr. Minyard bestätigt.

6 John Patrick Quirk (Hrsg.), TheCentral Intelligence Agency. Guil-ford, Ct., 1986,8.233.

7 The Star-Spangled Contract, NewYork 1976.

8 HSCA, Bericht, S. i. Dem Ausschußdes Repräsentantenhauses bliebkeine andere Wahl, nachdem seineAkustik-Gutachter herausgefundenhatten, daß zusätzlich zu denSchüssen, die von hinten auf Prä-sident Kennedy abgegeben wur-den, auf dem Grashügel vor ihmein Gewehr abgefeuert wordenwar. Trotzdem kam der Ausschußzu dem Schluß, der Schuß vonvorne sei fehlgegangen (HSCR,S. 43), so daß Lee Oswald weiter-hin als Mörder von Präsident Ken-nedy bezeichnet werden konnte.Dies war eine weitschweifige Um-schreibung dafür, die Warren-Kommission habe, abgesehen vondem einzelnen Schützen vor Präsi-dent Kennedys Limousine, wirk-lich recht gehabt. Der Ausschußfügte hinzu, es sei theoretisch mög-lich (HSCR, S. 97), daß der Schützeauf dem Grashügel und Lee Os-wald unabhängig voneinander ge-handelt hätten, in welchem Falles vielleicht doch keine Verschwö-rung gegeben hätte.

9 HSCR, 8.481.10 Das Schweigen wurde, fast mit

einer Antiklimax, im September1988 von der Nachricht unterbro-

chen, daß das Justizministeriumein halbes Jahr zuvor dem Vorsit-zenden des House Judiciary Com-mittee mitgeteilt habe, es habe»keine überzeugenden Beweise«einer Verschwörung entdeckt(siehe New Orleans Times-Picayune, 4. September 1988;Meldung der Associated Pressvom 3. September 1988).i r Encyclopaedia Britannica.12 Zur Zeit des Römischen Reiches bil-

dete die Prätorianergarde die kai-serliche Leibwache. Die sorgfältigausgewählten Soldaten, die vonhochrangigen Offizieren des Rei-ches geführt wurden, bildeten dieeinzige Truppe in Rom. Einige vonihnen befanden sich stets beim Kai-ser, ganz gleich, wo er sich auf-hielt. Dementsprechend konntensie bei einer Krise einen Kaiserschützen oder stürzen.

13 Sir John Harington, Epigrams,Bd. IV, Nr. 5, »Of Reason« (1613).Im Original:»Treson doth never prosper:What's the reason?For if it prosper, none dare call ittreason.«

14 Siehe Congressional QuarterlyAlmanac, 1967, S. 36of.; New YorkTimes, 26. Februar 1967, 20. Fe-bruar 1976, 25.-27. Dezember1977; Washington Post, 18. Fe-bruar 1967; Los Angeles Times,26. Februar 1967; Carl Bernstein,»The C.I.A. and the Media«. In:Rolling Stone, 20. Oktober 1977.

lg Bericht des Untersuchungsaus-schusses des Senats über Regie-rungsoperationen hinsichtlich derGeheimdienstaktivitäten (Church-Komitee), Band L, S. i92f.

16 Richard J. Barnet, »The >DirtyTricks< Gap«. In: Robert L. Boro-

sage und John Marks (Hrsg.), TheC.I.A. File. New York 1976, S. 225.

17 Siehe Hinckle und Turner, S. 82 bis95-

18 General Cabell leitete die CIA; Di-rektor Dulles hielt Reden in PuertoRico, »damit nicht der Verdachtentstand, eine große Sache stündebevor«. Ebd., 8.87.

19 Ich beziehe mich im folgenden aufHinckle, S. issff., 141, i55f.

20 Hurt, S. i23f.21 Eine genaue Schilderung der wie-

derholten Versuche der CIA, FidelCastro zu ermorden, sieheHinckle. Siehe auch das Church-Komitee, Abschlußbericht, BandIV, Angebliche Attentatspläne aufausländische Staatsführer, Senats-bericht Nr. 94-465, 20. November1975; auch erschienen bei W.W.Norton, New York 1976.

22 Lane, S. 294-297; Summers,S. 464f.

23 HSCH4, S. 146.24 Philip Agee, »Introduction: Where

Myths Lead to Murder«. In: PhilipAgee und Louis Wolf (Hrsg.), DirtyWork. The C.I.A. in Western Eu-rope. Secausus, N.J., 1978, S. 18,23. Siehe auch Ralph McGehee,Deadly Deceits. My 25 Years inthe C.I.A. New York 1983, S. XI.

25 Church-Komitee, AngeblicheAttentatspläne auf ausländischeStaatsführer. Siehe auch JohnRanelagh, The Agency. The Riseand Decline ofthe C.I.A. New York1986,8.336-345.

26 William Blum, The C.I.A. A Forgot-ten History. London 1986, 8.67-76.Viele Quellen für diesen und dienachfolgenden Zwischenfälle fin-den sich in Blums Buch. Sieheauch Darrell Garwood, UnderCover. Thirty-Five Years of C.I.A.

Deception, New York 1985, das imAnhang eine Chronologie von TomGervasi enthält, in der über acht-zig bedeutende verdeckte Opera-tionen der CIA aus den Jahren1946 bis 1983 aufgeführt werden.

27 Blum, 8.77-89.28 Ebd., S. i74ff.29 John Stockwell, In Search of

Enemies. New York 1978, S. 105.30 Church-Komitee, Angebliche

Attentatspläne auf ausländischeStaatsführer, sowie Hinckle.

31 Dies schloß nicht die systemati-sche Ermordung von Zehntausen-den von Dorfältesten und mut-maßlichen Vietcong ein, die inVietnam bei der Operation Phönixder CIA begangen wurde. Siehedazu Ernest Volkman, Warriors ofthe Night. New York 1985, S. 255^;Zinn, 8.468; Victor Marchetti undJohn Marks, The C.I.A. and theCult of Intelligence. New York1974, S. 245f.

32 Church-Komitee, Zwischenbericht,Instituting Assassinations: The»Executive Action« Capability,Aussage vom 25. Juni 1975,S-34-

33 Ebd., Aussage vom 22. Juli 1975,S.3off.

34 Nicht einmal primär, will man sol-chen Kritikern der Agency wiePhilip Agee, Ralph McGehee, JohnStockwell und anderen glauben.Siehe dazu Philip Agee, Inside theCompany. New York 1975; JohnStockwell, In Search of Enemies.New York 1978; Ralph McGehee,Deadly Deceits. My 25 Years inthe C.I.A. New York 1983.

35 Fred Cook, What So Proudly WeHau. Englewood Cliffs, N.J., 1968,S-73-

36 Ronnie Dugger, The Politician. The

Life and Times ofLyndon Johnson.New York 1982, 8.392.

37 Tom Wicker, L.B.J. and J.F.K. NewYork 1968, 8.205.

38 Siehe Zinn, S. 467.39 Ebd., Zinn beschreibt den Tong-

king-Zwischenfall als »Fälschung«und behauptet, »kein Torpedowurde je auf die Maddox abge-schossen«.

40 Siehe im allgemeinen Joseph C.Goulden, Truth is the FirstCasualty. The Gulf of TonkinAffair - Illusion and Reality. NewYork 1969. Zudem siehe Zinn, wieoben; und Carl Oglesby, »Presiden-tial Assassinations and the Closingof the Frontier«. In: Sid Blumen-thal und Harvey Yazijian (Hrsg.),Government by Gunplay. New York1976, S. aoof.

41 Zinn, 8.436.

IST DIE MAFIA-THEORIE EINEVERTRETBARE ALTERNATIVE?Nachwort von Carl Oglesby

i Carl Oglesby ist der Begründerund Direktor des Assassination In-formation Bureau (Büro zur Mate-rialsammlung über Attentate),dem weithin das Verdienst zu-kommt, in den siebziger Jahrendas öffentliche Interesse für eineerneute Untersuchung der Ermor-dung John F. Kennedys durch denKongreß geweckt zu haben. Er ist

Verfasser mehrerer Bücher, darun-ter auch The Yankee and CowboyWar (1976), in dem der Versuchunternommen wird, den unter-schwelligen politischen Kontextzwischen der Kennedy-Verschwö-rung und dem zehn Jahre spätererfolgten Sturz Nixons nach Water-gate zu erklären.

2 Report of the Select Committee onAssassination, U.S. House of Re-presentatives, Ninety-Fifth Con-gress, second Session, March 29,1979. Siehe vor allem Findingsand Recommendations.

3 G. Robert Blakey, The Plot to Killthe President. New York 1981,8.47.

4 Ebd.,S.45f.5 Ebd., S. 178.6 Ebd., 8.50.7 Das Buch von David E. Scheim,

Contract on America, New York1988, wiederholt im wesentlichenBlakeys Theorie, ohne neue Be-weise einzubringen.

8 »On Trail: Lee Harvey Oswald«.London 1986, LWT Productions.Die Sendung wurde im November1986 und Januar 1987 vom ameri-kanischen Kabelsender ShowtimeGable TV in den Vereinigten Staa-ten ausgestrahlt.

<) Carl Oglesby und Jeff Goldberg,»Did the Mob Kill Kennedy«. In:Washington Post, 25. Februar

, *979-10 Blakey, 8.401.

PERSONENREGISTER

Aase, Jean (siehe: West, Jean)Accardo, Tony (Big Tuna) 366Agee, Philip 367, 416Alba, Adrian 45, 395Alcock, James L. 6, 136?., 143, 145,

154, 157, i63ff., 173, 175, 189,292, 295, 309, 317, 350, 396, 405

Alexander, Shana 407Allen, William 267, 408Amelio, Carlo d' 113Andretti, Mario 89Andrews, Dean 103-108, is6ff., 182,

184, 22of., 308, 310, 317, 400,4I2f.

Arbenz, Jacobo 369Arcacha Smith, Sergio 233!, 386!".Arcy, Lady Margaret d' 184Asie, A. (siehe: West, Jean)Aynesworth, Hugh 2O2f.Azcue, Eusebio 85

Babceuf, Alvin 203, 406 'Bagert, Bernard 196,198 ,Bailey, F. Lee 325,330,332Ball, Joseph A. 34!"., 252f.Banfield, Baron Rafaelo de 184Banister, Guy i6f., 19, 41-45, 47-63,

76, 78f., 81, 92, 95, 116, 123, 133,143, 154, 169, 208, 228, 23iff.,235f., 240, 288, 347, 352f., 357,366, 381, 386f., 395f.

Barbee, Emmett 146Barnes, W.E. 259Barnet, Richard J. 360, 415Barnett, Fred 332,334Bears, Jack 408

Becker, Edward 4Oof.Belin, David 35f.Benavides, Domingo 251,258Benton, Sam 396Bermudez, Mario 406Bernstein, Carl 415Bertel, Numa 6,350Bertrand, Clay oder Clem (siehes Shaw,

Clay L.) v,Beschloss, Michael R. 397Betson, Hugh 348Bilby, Kenneth 406Billings, Richard 144, 205, 38off., 390Bissell, Richard sögf., 385Blakey, G. Robert 380-383, 385, 387

bis 390, 417Bloomfield, L. M. ii4f., 401, 405Blum, William 416Blumenthal, Sid 417Bogard, Albert 89,Boggs, Haie 395Boone, Eugene 124Borosage, Robert L. 415^Boswell, J. Thornton 311Bowers, Lee 31, 34f., 267Bowley, T. F. 253Boxley, Bill (siehe: Wood, William)Braden, Jim (siehe: Brading, Eugene

Haie)Brading, Eugene Haie 264^, 363!".Braniff, Matthew 196Broshears, Raymond i52ff.Brown, Natt 151Bruneau, Emile 386Bundy, Vernon 196-199, 22of.,

349

Cabell, Charles (General) isoff., 228,231, 236, 347, 371, 416

Cabell, Earle (Bürgermeister) 12 gf.,228, 347

Caesar, Julius 179Call, Richard Dennis 397Callery, Aruns 414Camarata, Donald Peter 397Campbell, 0. V. 32Campbell-Exner, Judith 384Cancler, John (»John the Baptist«)

2 igff.Canfield, Michael 407Carr, Richard Randolph 121 f., 304,

357- 402Carr, Waggoner 286Carson, Johnny 267^, 270-275, 349Carter, James Earl 399Casey, William 368Castro, Fidel 19, 4if., 45!"., 54, 59!".,

81, ggf., 131, 178, 192-195, 198,229, 233, 236, 300, 353, 361 bis364, 366, 370, 384, 386, 399, 416

Chetta, Nicholas 195, 204Chimay, Prinzessin Jacqueline 184Christenberry, Herbert 331 f., 334f.Chruschtschow, Nikita Sergeje-

witsch 229Church, Frank 368ff., 382, 415^Clark, Katja 74Clark, Max 74 - \Clark, Ramsey i87f.Claude, Alfred 146Clemons, Acquilla 253f., 256, 408Coffee, Melvin 147Conan Doyle, Sir Arthur 347Connally, John 3o6f., 357, 366, 411Connor, Peter Francis 397Cook, Fred 372, 416Cooper, John Sherman 395Corson, William R. 80, 399Götter, George 399Craig, Roger i2if., 124, 250, 260,

263f., 304, 347, 357, 402, 414Cunningham, Courtlandt 256, 397 *:

Curry, Jesse 395, 402

Darrow, Clarence 21 f. :Davis (Rechtsberater) 90Davis, Gene inDeBrueys, Warren 235f.Debs, Eugene 21Delgado, Nelson 63$.DeLillo, Don 361Deslatte, Oscar 77ff.Donovan, John E. 65Dowling, Richard 24Drain, Vincent 403Duff, Sir Michael 184Dugger, Ronnie 416Dulles, Allen W. 29, 132, 228f., 231,

236, 347. 358f-, 369. 4i6Dulles, John Foster 22gf.Duran, Silvia 85Dymond, F. Irvin 196, 295, 297, 302,

312,317

Edwards, Sheffield 385Eisenhower, Dwight D. 22gf., 255,

37lEuins, Amos 36, 120Evers, Medgar 351Exner, Judith 384Exnicios, Hugh 406 ;

Faenza, Roberto 4Oof.Fairlie, Henry 207Farrington, Fenella 86ff., 357, 399Fatter, Esmond 195,204Feldman, Harold 286Ferrie, David W. 17-21, 23, 25, 30,

49ff., 54, 59f., 63, 95, 116, i33ff.,137-145. H7. H9-I58, 173-182,190-195, 217, 228, 23iff, 235^,240, 291, 293, 2g6f., 301, 303,3i7f., 321, 347, 366, 381, 386f.,394f., 401, 405^, 412

Finck, Pierre 310-317, 414Fini, Marco 401Flammonde, Paris 114,396,401Folsom, Allison G., jr. 39f-, 395

'Ford, Gerald R. 29, 351Fortier, Gilbert 234

Fritz, Will 39, i24f., 127, 260, 264,356, 402

Fruge, Francis 133^,136

Gallinghouse, Gerald 331, 334ff.Garrison, Darrow 22, 332Garrison, Elizabeth 173, 176Garrison, Elizabeth (Tochter) 332Garrison, Jim i56f., 163, 165!"., 202,

2iyff., 234^, 299, 320, 33of.,342f., 365, 377-383. 39°f-. 405

Garrison, Jim, jr. 332Garrison, Lyon 332Garrison, Thomas Jefferson 21Garrison, Virginia 332Garwood, Darreil 416Gatlin, Maurice 42Gaulle, Charles de 59, 116, 398Gavin, James 243Gerstman, Louis 343!".Gervais, Pershing 159-163, 326-330,

333. 336-344. 349. 383- 405Gervasi, Tom 416Gherlock (Direktor der Equitable-Ver-

sicherung) 218Giancana, Sam 382, 400Gill, G. Wray 138,386Gilligan, John 399Goldberg, Jeff 417Goodell, Charles 29Goulden, Joseph C. 417;

Graf, Allen D. 397Groden, Robert 400

Habighorst, Aloysius i83f., 3o8f., 412Haggerty, Edward Aloysius 294^,309Hamblen, C.A. 283Harington, Sir John 359, 415Harkness, D. V. 35!"., 38, 120, 267Harvey, William 370

•Heindel, John Rene 397Helms, Richard McGarrah 67, 231,

298, 319. 349f- 368, 414Hemingway, Ernest 291

VHenderson, Toney 119, 121Herkes, Sharon i29f., 167 "

Hidell, A. 257Higgins, Donald 253Hill, Gerald 255, 258Hill, Jean 34, 38Hinckle, Warren 394, 396, 404, 407,

411, 416Hitler, Adolf 273Ho Chi Minh 230Hoffa, James 380Holland, S. M. 32Hoover, J. Edgar 42, 69, 239, 254,

283, 287, 292, 358, 371, 378, 412Hosty, James 284-288, 349, 411Houlden, Joe 286Hubert, Leon 344Hudkins, Lonnie 286Hughes, Howard 361Hülse, Lady 184Humes, James J. 311, 313, 367, 413Hunt, E. Howard 407Hunt, H. L. 265, 363Hurt, Henry 394f., 397, 399, 402 bis ,

405, 4O7ff., 4iiff., 416

Ivon, Louis 6, 51, 56f., 77, 109, 136,i43f., i46f., 163-166, 173-176,I78f., 181, 183, 226, 247f., 291, -327. 350, 396, 405f- '

Jackson, Andrew 109James, Rosemary 164, 342f., 407Jenner, Albert E., jr. 65, 90, 96Johnson, Jimmy i44f.Johnson, Lyndon B. 8,29,272,275,

287, 347, 355f., 358f., 362, 372!,417

Juarez, Jose 54

Kafka, Franz 330Kaufman, Stanley 401Kellerman, Roy H. 311Kennedy, Robert F. 311, 351, 364, 381,

386Kimble, Jules Ricco i4gff., 228, 405King, Martin Luther 149, 351Kinney (Admiral) 315

Klein, Frank 6, i5f., 20, 51-54, 79f.,127-130, 136, 143, 146, 159-163,173. 175. 325f- 350, 396

Kohlman, Herman 19, 47Kurtz, Michael L. 254, 399, 408

Lafitte, Jean 109Lane, Mark 88, 251, 253^, 28of., 318,

394, 401, 407^, 410-414, 416Lauchli, Rieh 396Leemans, Fred 220Lenin (d.i. Wladimir Iljitsch Ulja-

now) 63Lewallen, James i45f.Liebeier, Wesley J. 37,64Lodge, Henry Cabot 373Logan, David 151Loisel, Lynn 406Long, Russell 28f.Lopez, Edwin Jüan 86, 387!!, 399Lovelady, Billy 33Luciano, Lucky 385Ludwig XVI. (König) 297Lumumba, Patrice

McCarthy, Elizabeth 308 , , ;McClelland, Robert 117 ,McCloy, John J. 29McCone, John 367McGehee, Edwin rjsf.McGehee, Ralph 416McKeithen, John 133, 235McLaney, William Julius 54McNamara, Robert 231 s;Manchester, John 296Mancuso, Marlene 208Marachini, Dante i45f.Marcello, Carlos 380, 382f., 38sff.Marchetti, Victor 298, 319, 350, 4iif.,

416Markham, Heien 25iff., 407Marks, John 415!".Martin, Jack 17-20, 47-54, 57ff-, 347Marx, Karl 75Mason (siehe: Gervais, Pershing)Matthews, Richard 297^

May, Hoke 234 >Meagher, Sylvia 30,395,414Meiler, Anna 74f.Meiler, Teofil 75, 398Menil, Jean de 74Mercer, Julia Ann 10, 31, 265, 277 bis

280, 292, 349, 357, 410Merhige, Louis 332, 334f., 337, 343Merilh, Lillian 87f.Meyers, Lawrence V. i4off.Miller, John i66f., lögff.Minyard, Frank 348, 415Mitchell, Willie 401Moffett, Sandra 191, 235, 291Mohrenschildt, George de 67, 71-74,

76, 82, 92, 228, 347, 363, 398Mohrenschildt, Sergius de 73Moorman, Mary 304Morgan, Reeves 136, 296Morris, William inf.Morrow, Robert D. 401Mossadegh, Mohammed 369Murray, Jim 408Murret, Charles 386Mussolini, Benito 113

Nagell, Richard Gase 236-241,887,292,407

Nagy, Ferenc ii4f. .Newman, Frances 304Newman, William E. 33,304Ngo Dinh-Diem 370Nichols, John 3O5ff., 314Nims, Robert 414Nixon, Richard Milhous 417Noguchi, Thomas T. 414Novel, Gordon 59, 208, 217, 219, 232

bis 236, 291, 382, 407

Odio, Sylvia 88Odom, Lee 185O'Donnell, Kenneth 230,407Oglesby, Carl 5, 377, 417O'Hara, Malcolm 196O'Neill, FrancisX., jr. 413 ,Osborne, Mack 397

Oser, Alvin 6, 189, 191, 295, 305!".,313-316, 350

Oswald, Lee Harvey 5, 7-10, 16, 20^3of., 38-46, 50, 54f., 58, 61-93,95-100, IO3-IO7, 117f., 121 ff.,

i25ff., 133-137. r39, i4of-, i46f-,157, 159, 182, i84ff., 192, igöff.,201, 22off., 228, 236f., 239f., 249bis 253, 255-261, 278ff., 283-288,297, 299ff., 304, 308, 310, 3i7f.,347ff., 352-355, 35?f- 36i, 363,36sf., 378ff., 382-389, 394 bis400, 402-405, 408, 411, 415, 417

Oswald, Marguerite 386Oswald, Marina 67, 6gff., 75f., 82, 97,

104, 400Owens, Gary 395

Paine, Michael 82f., 399, 402Paine, Ruth 82ff., 92, 97, 349, 365,

399f., 402Panzeca, Salvadore 183, 185Parker, Jesse 308Patton, George Smith 385Penn, Lovell 89Phelan, James 2O3ff., 2i8f., 303Pizzo, Frank gof.Plotkin, Steven 234Poe, J.M. 258f.Powell, John 401 f.Powers, David F. 65,407Price, J. C. 32..Prusakowa, Marina (siehe: Oswald,

Marina)

Quigley, John 43, 285, 395Quirk, John Patrick 415

Radford, Arthur 230Raikin, SpasT. 71Ranelagh, John 416Rankin, J. Lee 403Ray, James Earl 405Reagan, Ronald 351, 389Reid, Barbara 93Reily, William 45

Rey, Marquese Giuseppe 184Reynolds, Warren 251Rhodes, James 235Roberts, Delphine 396Roberts, Earline 250Robinson, William Oliver 22Rose, Jim 227Rosselli, John ggf., 364^, 382, 400Rowland, Arnold 118, 120, 401Rowland, Barbara 118, 401Ruby, Jack 8, 10, 21, 85, 87f., 140 bis

143, 278ff., 2g2, 348, 357f., 363.^384, 387, 409, 412

Runciman, Sir Stephen 184Rusk, Dean 229Russell, Bertrand 113Russell, Richard 29Russo, Perry 189-195, 2O3f., 2r?tt.,

235, 303, 349, 405

Sade, Donatien Alphonse FranQOts,Marquis de 186

Sahl, Mort 88, 267^Salandria, Vincent 246ff.Salerno, Anthony (Fat Tony) 366Sarnoff, David 223,406Sawyer (Inspector) 35Schacht, Hjalmar 113Scheider, Joseph 369Scheim, David E. 417Schlumberger (Firma) 59, 74, 116,

193, 232f., 396,398

Schneider, Rene 370Schoenmann, Ralph 113Schweiker, Richard 281Sciambra, Andrew »Moo Moo« 6, 9g

108, 110, i33f, I36f., 167, i6g, j173, 176, igo, 203f., 217, 2g6, 3O3

345- 350Sewall, Fred 77ff.Shanklin, Gordon 254, 285Shaw, Clay L. (alias Clay oder Clem £jer

trand) 5, 7, 12, 68, 98, 103-117,133- 135, i37f-, 145, 147, 149-152,154-158, 182-199, 2Olf., 204,

2I7f., 220ff., 228, 231, 236, 24Q

249. 259. 277f-> 288, 291-301,303, 3o8ff., 317-322, 332, 347 bis350, 40if., 404ff., 4iif.

Sheridan, Walter 208, 2i8f., 232f.Sibert, James W. 413Simmons, James 304Smathers, George 231Smith, Joe 267,403Smith, Joe M. 37f.Smith, Joseph 32Smith, L. C. 34Sorrells, Forrest 33Soule, Frederick 334-337Spadaforo, Gutierrez di 113Spencer, John gSf., 400Spiesei, Charles 293, 301 f., 307, 317Sprague, Richard E. 266ff., 270, 404,

408Steele, Charles 42Steele, Charles, jr. 42, 395Steinmeyer 151Stockwell, John 370, 416Stover, J. H., jr. 413Summers, Anthony 85, 394-401, 404,

409, 414, 416Summers, H. W. 255Summers, Malcolm 34Sweatt, Allan 286

Tadin, Mathilda 151 f.Tadin, Nicholas isif.Taft, William Howard 22Tague, James 33, 306Thornley, Kerry 6sf., 88, 92-96, g8ff.,

349-400Tilson, Tom 266Tippit, J.D. 249-261,355,357,408Torres, Miguel 208, 22of.Townley, Richard 2i7ff.Trafficante, Santos 364, 380Trujillo Molina, Rafael 370Truman, Harry S. 371Turner, William 394, 396, 407, 416Twining, Nathan 230

Volkman, Ernest 416

Wade, Henry 124Wall, John 341Wallace, George 351Walter, William S. 280-283, 4«>Walther, Carolyn n8f.Walthers, Buddy 402, 408Ward, Charles 162, 189, 191, 350, 406Wardlaw, Jack 407Warren, Earl (Warren-Kommission)

8ff., 28-32, 34f., 37-41, 43, 45f.,51, 63-68, 71, 74f., 77, 82, 84, 86,8gf., 96, gSf., 101, io3f., 108, ngf.,122, 130, 132, rjgf., 159, 166, 187,201, 207, 224, 228, 236, 246,249-254, 256, 258f., 267, 283f.,286, 305f., 311, 319, 347, 350,358f, 361, 366, 377, 379!!, 382,393- 395. 398, 400-404, 408,4ioff., 415

Weberman, Alan J. 407Wecht, Cyril 413Wegmann, Edward F. 185, 196, 297,

405Wegmann, William 196, 297Weisberg, Harold 398Weiss, Charlie 339Weitzman, Seymour i23f., 126West, Jean i4off.Whalen, Edward 154-158Wicker, Tom 417Wilcott, James A. 68, 397Williams, D'Alton 6, 136, i42f., 173,

176, 350Wilson, Eugene 89, 91Wolf, Louis 416Wood, William 225ff., 242f, 246ff.,

291Wright, Frank 254, 256

Yazijian, Harvey 417

Zacharias, Ellis 396Zapruder, Abraham 10,33,30^,

412

Zigiotti, Giuseppe 114Zinn, Howard 407, 4i6f.