ips-preprints annual 1990 no. 2

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1 Title: Charles Sanders Peirce: Die pragmatische Theorie der Erkenntnis Author: Gerhard Schurz IPS-PREPRINTS Annual 1990 No. 2 Edited by Gerhard Schurz und Alexander Hieke Vorveröffentlichungsreihe am Institut für Philosophie der Universität Salzburg Prepublication Series at the Department of Philosophy, University of Salzburg

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1Title:

Charles Sanders Peirce: Die pragmatische Theorie der Erkenntnis

Author:

Gerhard Schurz

IPS-PREPRINTS

Annual 1990 No. 2

Edited by Gerhard Schurz und Alexander Hieke

Vorveröffentlichungsreihe am Institut für Philosophie der Universität Salzburg

Prepublication Series at the Department of Philosophy, University of Salzburg

2GERHARD SCHURZ

CHARLES SANDERS PEIRCE:DIE PRAGMATISCHE THEORIE DER ERKENNTNIS

INHALT:1. Einleitung und Kurzbiographie2. Das pragmatische Kernsystem: "The Fixation of Belief" und "How to Make Our IdeasClear"2.1 Pragmatisches Erkenntnisziel, Methodenthese und Theorie-Praxis-These2.2 Die pragmatische Maxime2.3 Die pragmatische Definition der Wahrheit und der Realität2.4 Eine erste Übersicht und vier verbleibende Fragen3. Ethische Fundierung: Das Verhältnis von Wissenschaftstheorie und Ethik3.1 Die Rolle der Zwecke in der pragmatischen Maxime: experimentalistische und praktikalistischeVersion3.2 Wissenschaftstheorie und Ethik im Kontext des Peirceschen Gesamtsystems3.3 Wissenschaftstheorie als Methodenwissenschaft: Deduktion, Induktion und Abduktion3.4 Zwei ethische Voraussetzungen der Theorie-Praxis-These3.5 Das 'Geheimnis des Pragmatismus': der ethische Theorie-Praxis-Parallelismus3.6 Die normative Einbettung der Wissenschaftstheorie in die Ethik und die Begründung der Theorie-Praxis-These3.7 Eine zweite Übersicht4. Ontologische und methodologische Fundierung: Realismus und Empirismus4.1 Die Irreduzibilität des kontrafaktischen Konditionals in der pragmatischen Maxime und derModalitätenrealismus4.2 Die Ontologie der Erstheit, Zweitheit und Drittheit4.3 Der Empirismus und der empiristische Realitätsbegriff4.4 Die Synthese des empiristischen und des pragmatischen Realitätsbegriffs: Realität alsDispositionsbegriff4.5 Die Fundierung des Modalitätenrealismus durch den Hyperempirismus4.6 Abschließende Übersicht

1. Einleitung und Kurzbiographie1

"Die Wahrheit unserer Erkenntnis liegt in ihrer praktischen Nützlichkeit" - so

lautet die überwältigend simple These, die man populärphilosophisch mit der

Strömung des "Pragmatismus" verbindet. Im Gegensatz dazu hat ihr Begründer,

Charles Sanders Peirce, wohl eines der schwierigsten philosophischen Systeme

des 19. und 20. Jahrhunderts errichtet. Mit der erwähnten populärphilosophischen

These hat es in etwa so viel zu tun, wie Einsteins allgemeine Relativitätstheorie

mit der Behauptung, alles sei relativ. Dementprechend hat der spätere Peirce sich

von jenen Philosophen, wie William James, Ferdinand C. S. Schiller und John

Dewey, distanziert, die seinen Pragmatismus populär gemacht und ihn zugleich in

die erwähnte Richtung hin simplifiziert hatten2. Um diese Abgrenzung öffentlich zu

1 Anmerkung zu Peirce-Quellenangaben. Beispiel: [1905a] CP 5.414, [A] 432f bedeutet: eshandelt sich um die Schrift '[1905a]' (s. Literatur); Quelle in Band 5 der Collected Papers,Paragraph 414; deutsche Übersetzung in '[A]' (s. Literatur), Seite 432f. Alle Peirce-Zitateerfolgen in deutscher Sprache; falls keine Übersetzung zitiert wird, stammt die Übersetzungvom Autor. Nur wichtige Peirce-Schriften sind in der Bibliographie mit Jahresangabe angeführt;auf andere Peirce-Quellen wird durch direkte CP-Angabe verwiesen.

2 [1902a], CP 5.3, [A] 316; [1903a] CP 5.17, [A] 338f; [1905a] CP 5.414, [A] 432f; CP 8.239, [A]570f.

3dokumentieren, gab er seinem Pragmatismus sogar den neuen Namen

"Pragmatizismus" ([1905a] CP 5.414, [A] 432f). Der Vermeidung von

Häßlichkeiten halber sei aber im folgenden weiterhin vom 'Peirceschen

Pragmatismus' gesprochen.

Peirce vertrat alle 'guten alten' Ideen, die die Substanz des abendländischen

Geistes auf der Stufe seiner Zeit ausmachten. Als theoretischer Logiker und

praktizierender Experimentalwissenschaftler in einem, vertrat er mit Emphase den

Fortschritt in der Vernunft, den die exakten logischen und experimentellen

Methoden der Wissenschaften ermöglichten. Als Bewunderer von Duns Scotus,

des 'doctor subtilis' der Scholastik, hielt er unbeirrt fest an einem objektiven

Begriff von Wahrheit und Realität, gipfelnd in seinem Universalienrealismus. In

seinem Herzen schließlich ein Aufklärungsphilosoph Kantischer Prägung, baute er

seine philosophische Ethik auf den höchsten Wert einer sich zur Vernünftigkeit hin

entwickelten Menschheit auf. Alles dies klingt völlig 'unpragmatisch', gemessen

am 'Populärpragmatismus'. Was Peirce originell macht, sind weniger seine Thesen

als die Begründungen seiner Thesen. Sein tiefstes Anliegen - und hierin sieht er

das "Geheimnis des Pragmatismus" ([1903a], CP 5.130, [W] 169) - war es, die

Ideen von objektiver Vernunft und Wissenschaft in eine Einheit zu bringen mit der

menschlichen Handlungs- und Lebenspraxis. Sein philosophisches System will

einen umfassenden Sinnzusammenhang liefern, der weit genug ist, um das ganze

Lebensspektrum zu erfassen, aber streng und tief genug, um wissenschaftliche

Vernunft als seine Krone zu tragen.

Für unsere heutige Zeit des Auseinanderfallens von Wissenschaft und

Lenenspraxis ist dieser Syntheseversuch von Peirce, und die Frage seines

Gelingens, zweifellos höchst aktuell. Peirce wollte die theoretisch-methodischen

Konzepte wissenschaftlichen Denkens nicht, wie in so vielen philosophischen

Systemen, auf gewisse abstrakte und nicht weiter hinterfragte Postulate, wie die

der objektiven Realität und der Wahrheit, zurückführen, sondern sie in ihrer

Bedeutung für die menschliche Praxis erklären. Jede abstrakte These, soll sie

überhaupt sinnvoll sein, muß letztendlich in irgendeiner aufweisbaren Beziehung

zum menschlichen Leben stehen. Das heißt keinesfalls, daß das Wahre immer das

Nützliche sein muß. Im Gegenteil betont Peirce, wie im übrigen jeder 'orthodoxe'

Wissenschaftler, daß sich Wissenschaft primär mit unnützen Dingen beschäftigt

([1896], CP 1.75; [1898], CP 619). Um zur objektiven Wahrheit zu gelangen, muß

Wissenschaft von allen subjektiven Interessen abstrahieren. Doch die gesell-

schaftliche Entfaltung dieses objektivierenden Denkens ist unter allem, was die

Menschheit überhaupt zustande gebracht hat, das Nützlichste, und letztendlich

auch das ethisch und ästhetisch Bewundernswerteste. Das war Peirce'

Überzeugung, und sein ganzes Werk zielt schlußendlich darauf ab.

Charles Sanders Peirce, geboren 1839 in Cambridge (Massachusetts) geboren,

4entwickelte sehr früh eine vielseitige geistige Begabung.3 Mit 8 Jahren erwachte

Peirce' Interesse an Chemie, jenes Fach, in dem er 1862 den Master of Arts

absolvierte. Sein Vater, ein angeseheher Mathematikprofessor, machte ihn ab

dem 16. Lebensalter mit den Klassikern der Philosophie vertraut. Zugleich ent-

wickelte der junge Peirce sein ausgeprägtes Talent für Logik, mit deren Fragen er

sich Zeit seines Lebens beschäftigte. Kant's Kritik der reinen Vernunft nennt

Peirce die 'Muttermilch seiner Philosophie', deren Einfluß jedoch, wie er schreibt,

im Lauf der Jahre auf 'kleine Dimensionen' zusammenschmelzen sollte ([1909],

[A] 143).

Seiner Vielseitigkeit entsprechend betägtigte sich Peirce bis etwa 1890

zugleich als Naturwissenschaftler, Logiker und Philosoph. So war er von 1861 bis

1891 Angestellter des Küsten- und Landvermessungsamtes, ohne diesen Beruf

allerdings ständig auszuüben. An der Harvard Universität hielt er zwischen 1864

und 1870 Vorlesungen über Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie;

vorübergehend nahm er auch eine Assistentenstelle für Astronomie ein. Peirce

philosophische Frühschriften, insbesondere [1867], [1868 a,b,c] und [1871], fallen

in diesen Zeitraum. Sie enthalten bereits wesentliche Grundelemente seines

Pragmatismus. Die eigentliche Geburtsstunde des Peirceschen Pragmatismus

aber ist die Zeit von 1872-73, als Peirce zusammen mit anderen Wissenschaftlern

in Cambridge regelmäßig einen philosophischen Diskussionszirkel abhielt - den

'Metaphysical Club'. 1873 trug dort Peirce seine Ideen zusammenfassend und

unter der von ihm eingeführten Bezeichnung "Pragmatismus" vor. Der Inhalt

dieses Vortrags, am getreuesten in dem Manuskript [1873] enthalten, wurde von

Peirce dann weiterentwickelt zu seinen zwei populärsten - und bedauerlicherweise

auch am meisten mißverständlichen - Pragmatismusdarstellungen [1877] und

[1878a] (im Rahmen der Artikelserie [1877], ]1878 a-d]).

1879 gelang es Peirce, eine Stelle an der philosophischen Abteilung der John

Hopkins Universität einzunehmen. Sein logisch-philosophischen Genius war

damals bereits über die Grenzen der Universität hinaus bekannt war. Dennoch

wurde aus Gründen, die in sein Privatleben hineinspielten und bis heute

undurchsichtig sind, seine Anstellung 1883 gekündigt, was seinem Leben eine

tragische Wendung gab. 1991 zog er mit seiner zweiten Frau nach Milford

(Pennsylvania), wo seine finanzielle Situation wurde zunehemd schlechter wurde.

1903 verschuf ihm William James - sein lebenslanger Freund und philosophischer

Kontrahent - die Möglichkeit zu Vorlesungen am Lowell Institut in Boston und an

der Harvard Universität. Peirce starb 1914 an Krebs; er arbeitete bis zuletzt.

Seine gereiften philosophisches Arbeiten entstammen aus der Zeit nach 1900;

etwa die Pragmatismus-Vorlesungen [1903a] und weitere Arbeiten zum

Pragmatismus ([1905a,b], [1905c,d], [1907], u.a.). Peirce verfaßt in dieser Zeit

3 Ausführliche Peirce-Biographien finden sich in Murphey (1961) und Walther (1989).

5Schriften zu allen Themen der Philosophie; was ihm vorschwebte, war ein

zusammenhängendes philosophisches System. Doch aufgrund seines Naturells

und der Umstände schrieb Peirce seine Ideen sehr unsystematisch nieder,

weshalb der Großteil des Peirceschen Systems nur in Fragmenten vorliegt, was

die Interpretation beträchtlich erschwert.

Charles Sanders Peirce hat die Blüte seines philosophischen Werkes nicht

mehr erlebt. Erst 1931-35 erschien die von Hartshorne und Weiss herausgege-

bene sechsbändige Peirce-Ausgabe, die Collected Papers, welche 1958 durch zwei

weitere von Burks herausgebenene Bände ergänzt wurde. Diese Ausgabe

präsentiert Peirce' wichtigste philosophische Schriften in systematischer, nicht

chronologischer Ordnung. Seit 1966 gibt es an der Harvard Universität, welche

auch Peirce' Originalmanuskripte besitzt, eine unter der Leitung von Fisch

erstellte Mikrofilm-Edition der Peirceschen Manuskripte. An einer 20-bändigen

chronologisch-kritische Peirce-Gesamtausgabe wird erst seit einigen Jahren gear-

beitet. Die philosophische Auseinandersetzung mit Peirce erfaßte im anglosächsi-

schen Raum seit Beginn der 40er Jahre breitere Kreise (s. Literaturanhang). Bis

zur Mitte der 60er Jahre hatte Peirce allmählich den Rang eines der berühmtesten

amerikanischen Philosophen eingenommen, was sich 1965 in der Gründung einer

eigenen Peirce-Zeitschrift, Transactions of the Charles S. Peirce Society, nieder-

schlug. Zur gleichen Zeit begann auch im deutschsprachigen Raum eine lebhafte

und bis heute anhaltende Auseinandersetzung mit Peirce (s. Literaturanhang).

Dennoch liegt bis heute nur ein geringer Teil der Peirceschen Schriften in deu-

tscher Übersetzung vor (s. Literaturanhang).

Peirce Werk enthält eine imponierende Fülle zukunftsweisender Einzelideen.

Im folgenden geht es uns jedoch um eine Rekonstruktion des Peirceschen

Gesamtsystems. Weil Peirce' Philosophie ein gewaltiger Syntheseversuch war,

ist es nicht verwunderlich, wenn heute verschiedenste philosophische Richtungen

Peirce als einen der ihren auszuweisen suchen. Die Versuche, den Peirceschen

Pragmatismus als Spielart anderer philosophischer Strömungen auszuweisen,

reichen von der Buchlerschen Deutung als Empirismus bis hin zur Apelschen

Interpretation als Abkömmling Kantischer Transzendentalphilosophie. Wir

glauben dagegen, daß der Peircesche Pragmatismus als eigenständiges philoso-

phisches System aufzufassen ist, welches jedoch nicht in einer simplen Formel

besteht, sondern aus mehren untereinander vernetzten Teilen, die wir im

folgenden herauszuarbeiten versuchen. Im Kern dieses Systems steht der

Pragmatismus, den Peirce als die bedeutendste Frucht seiner Arbeiten ansah

([1907], CP 5.469, [A] 507). Wir beginnen mit einer systematischen Darstellung

des pragmatischen Kernsystems, so wie es in den beiden populären Aufsätze

[1877, 1878 a] und in anderen signifikanten Schriften dieser Periode enthalten ist.

62. Das pragmatische Kernsystem: "The Fixation of Belief" und "How to

Make Our Ideas Clear"

2.1 Pragmatisches Erkenntnisziel, Methodenthese, und Theorie-Praxis-These

Die Überlegungen der Arbeit [1877] kreisen um eine zentrale Ausgangsfrage,

die erst im Abschnitt IV deutlich wird: was ist das Ziel der Erkenntnissuche?

(bzw. des "Forschens", wie Peirce sagt; CP 5.374f, [A] 157). Die Vorgabe einer

solchen obersten Erkenntnisnorm, der Erkenntnis zu dienen hat, ist letztlich

natürlich bestimmend für alles, was man zur Richtigkeit oder Unrichtigkeit von

Erkenntnismethoden sagen kann. In der traditionellen Philosophie wird diese

Frage zumeist als von vornherein beantwortet angenommen durch die

selbstverständliche Ausgangsprämisse, das Ziel der Erkenntnissuche sei Wahr-

heit. Doch was ist Wahrheit? Gerade die Undurchsichtigkeit und Praxisferne der

traditionellen Wahrheitsdefinitionen ist ja, wie wir noch sehen werden, ein

Hauptkritikpunkt des Pragmatismus. So stellt sich Peirce diese fundamentale

Frage von neuem, und versucht, in ihrer Beantwortung von vornherein jene

Mängel traditioneller Philosophien zu vermeiden.

Die Antwort, die Peirce gibt, ist zunächst schockierend: Ziel der Erkenntnis-

suche ist nichts anderes als unsere Meinung festzulegen, was soviel heißt wie zu

einer festen Überzeugung zu gelangen. Man wird einwenden: das kann doch

unmöglich alles sein; die Meinung festlegen kann man auch, indem man sich etwas

hartnäckig genug einredet; was bloße Meinung von Erkennntis unterscheidet ist

doch gerade, daß letztere nicht bloß geglaubt wird, sondern auch wahr ist. Doch

halt! - schon haben wir wieder den verfänglichen Begriff der Wahrheit

eingeschmuggelt. Sehen wir zunächst zu, was Peirce mit 'Festlegung unserer

Überzeugung' eigentlich meint.

Eine Überzeugung, sagt er, ist weit mehr als eine bloß akademische These, die

man, nach Laune, einmal vertritt, das andere mal nicht. Sie ist etwas, wonach man

zu handeln bereit ist. Dabei muß uns eine Überzeugung keinesfalls sofort zu einer

Handlung veranlassen; sie bezieht sich auch nicht nur auf eine bestimmte,

singuläre Handlungssituation. Eine Überzeugung äußert sich in einer allgemeinen

Handlungsdisposition, einerVerhaltensgewohnheit bzw. Verhaltensregelmäßigkeit,

derzufolge wir unter all jenen Umständen und Zielsetzungen, wofür die

Überzeugung von Relevanz ist, gemäß der ihr folgenden Handlungsmaxime zu

handeln bereit sind.4 Sind wir beispielsweise davon überzeugt, daß Lob

lernförderlicher ist als Tadel, so müßten wir in allen Situationen, wo wir eine

Lehrerrolle einnehmen und die Ziele des Lehrers verfolgen, den Schüler durch Lob

statt durch Tadel zu verstärken versuchen. Andernfalls handelt es sich um keine

4 Vgl. [1877] CP 5.370-73, [A] 156f; ebenso [1878a] CP 5.394-398, [A] 187-192.

7echte Überzeugung.

An die bisherige Peircesche Charakterisierung einer 'Überzeugung' könnten wir

zwei kritische Fragen anschließen: Erstens, wenn jede Überzeugung in einer

Handlungsdisposition besteht, wie steht es dann um Überzeugungen, die keine

Handlungsrelevanz besitzen? Richtig geschlossen - hier liegt die Pointe des

Pragmatismus: eine Überzeugung, die überhaupt keine Handlungsrelevanz besitzt,

unter keinen zumindest möglichen Umständen, ist ohne Bedeutung. Zweitens,

unsere Überzeugungen können unser Handeln nur anleiten, wenn wir überlegt und

willentlich, im Sinne rationaler Wesen, handeln, und nicht von Instinkten und

Leidenschaften gegen unsere Vernunft getrieben werden. So kann ich als Lehrer

durchaus 'echt' davon überzeugt sein, daß Lob lernförderlicher ist als Tadel, und

dennoch in einem Anflug von Zorn dazu getrieben werden, meine Schüler zu

tadeln. Wieder richtig geschlossen: wie sich der spätere Peirce klarmachen wird,

ist praktische Rationalität ein tragender Wert seines Systems, sodaß seine

Definition von 'Überzeugung' nicht als psychologische Beschreibung des Durch-

schnittsmenschen, sondern als normative Charakterisierung rationaler Menschen

aufzufassen ist.5

Wir wissen nun, was eine Überzeugung ist; wann aber ist eine Überzeugung

fest ? Was Peirce hierzu in [1877, CP 5.375, [A] 157) sagt, klingt viel zu beiläufig,

um in seiner Tragweite gleich erkannt zu werden: wir würden nämlich nur dann

eine Überzeugung als fest annehmen, wenn wir zugleich davon überzeugt sind,

daß die in ihr enthaltenen Handlungsanweisungen tatsächlich zur Befriedigung

unserer Wünsche führen werden. Sobald wir erfahren, daß eine unserer

Überzeugungen nicht zum erwarteten Handlungserfolg führt, wird diese

Überzeugung vom entgegengesetzten Zustand, dem Zweifel, abgelöst, und unsere

Suche nach einer neuen, besseren Überzeugung muß aufs Neue beginnen. Eine

Überzeugung ist also nur dann fest, wenn sie unser Handeln so anleitet, daß es

seine Ziele tatsächlich erreicht. Das Peircesche Erkenntnisziel ist also alles

andere als 'gering', wie wir eingangs entrüstet glaubten - ist es eigentlich nicht das

Maximale, wonach wir trachten können? Doch noch immer sträubt sich in uns

etwas: es kann doch sein, daß ein Mensch sein Leben lang felsenfest von einer

Meinung überzeugt ist - z.B. daß es in seinem Land keine Erdbeben gibt, weshalb

er sein Haus nicht erdbebensicher baute - welche sich nach seinem Tode doch als

falsch herausstellt, sprich zum Einsturz seines Hauses führt, worunter allerdings

nicht mehr dieser Mensch, sondern nur mehr seine Kinder leiden werden. Die

Meinung dieses Menschen war dann doch sicher falsch; müßte man aber nach

Peirce nicht sagen, dieser Mensch hätte mit dieser Meinung Zeit seines Lebens

5 Vgl. auch [1903a], CP 5.28, [A] 340, wo sich Peirce gegen seine frühere psychologischeCharakterisierung von "Überzeugung" abgrenzt und die logisch-normative Grundlage diesesBegriffs betont.

8das Erkenntnisziel erreicht? Nein, denn Peirce dehnt das Ziel der festen

Überzeugung, wie wir gleich sehen werden, auf die gesamte Menschheits-

geschichte aus. Das, was Peirce unter einer ideal festen Überzeugung versteht, ist

eine, die sich die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch als stabil erweist.

Zugleich aber betont Peirce, daß für jeden Satz, mögen wir derzeit noch so fest

von ihm überzeugt sein, die Möglichkeit besteht, späterem Zweifel ausgesetzt zu

sein.6 Daraus folgt, daß unsere faktischen gegenwärtigen Überzeugungen immer

nur als 'vorläufig', nie als 'entgültig' fest angesehen werden können. Peirce vertrat

damit einen Fallibilismus, ganz im Sinne Poppers, von dem später noch die Rede

sein wird.

Peirce konfrontiert nun sein Erkenntnisziel mit dem klassischen Konzept der

Wahrheit. Er sagt, wer mit diesem Erkenntnisziel nicht zufrieden ist und verlangt,

unsere Überzeugung sollten über die Eigenschaft, langfristig stabil und praktisch

erfolgreich zu sein, hinaus , auch noch wahr sein, leide unter Einbildungen. Das

einzige, was man sagen kann, sei, daß wir nach Überzeugungen suchen, die wir -

langfristig und stabil - für wahr halten; aber dies sei eine bloße Tautologie, denn

wir halten jede unserer Überzeugungen für wahr ([1877, CP 5.375, [A] 157f). Ein

darüber hinausgehender Wahrheitsbegriff sei dagegen sinnlos, und erzeuge

lediglich Verwirrungen.

Nachdem das Erkenntnisziel abgesteckt ist, stellt Peirce sich die nächste

Frage: welche Erkenntnismethode ist es, die dieses Erkenntnisziel am ehesten,

oder besten, erreicht? Peirce diskutiert vier Methoden, in einer witzigen,

argumentativ allerdings unbefriedigenden Weise. Die erste Methode, die der

Beharrlichkeit - auch die 'Vogel-Strauß'-Methode - besteht einfach darin, seine

Meinung zu konservieren, indem man die Augen schließt, sprich jeden gegensätz-

lichen Einfluß von sich fernhält (sei es auch auf Kosten des eigenen Lebens). Als

Hauptgrund gegen diese Methode führt Peirce den Trieb zur Gemeinschaft an,

welcher jedem Menschen eigen ist - also das Bedürfnis, mit anderen Menschen zu

kommunizieren und die Meinung mit ihnen in Übereinstimmung zu bringen. Auch

erwähnt er nebenbei, daß diese Methode langfristig die menschliche Gattung

zerstören könnte ([1877], CP 5.377-8, [A] 159-161). Die nächste Methode,

welche Peirce unter Hinweis auf das mittelalterlich-kirchliche Glaubenssystem

bespricht, ist die Methode der Autorität , also der Fixierung einer sozial

verbindlichen Ideologie durch Gewalt oder Manipulation. Auch diese Methode

kann auf lange Sicht nicht wirklich unsere Wünsche befriedigen, wie Peirce

aufgrund verschiedener offensichtlicher Gründe ausführt; zudem könne keine

Ideologie langfristig das Auftauchen von weitsichtigeren und geistig

opponierenden Individuen verhindern (]1877], CP 5.379-81, [A] 161-4). Die dritte

Methode ist die Apriori-Methode, womit Peirce die Methode der traditionellen

6 Vgl. die 1893 hinzugefügte Anmerkung 26, [1877], CP 5.376, [A] 177.

9Philosophie meint, dasjenige, was uns die eigene Intuition als unbezweifelbar

bzw. notwendig einflößt, als apriorische Wahrheit anzusehen. Doch daß uns etwas

als notwendig erscheint, ist - wie Peirce in Auseinandersetzung mit Kant und

Leibniz erläutert7 - nicht im geringsten ein Grund für seine Wahrheit. Ein solcher

Grund kann überhaupt nicht 'drinnen', im "Oberstübchen des Schädels", sondern

nur 'draußen', in der Erfahrung gewonnen werden.

Die Apriori-Methode, so fährt Peirce fort, führt aufgrund ihres subjektiven

Charakters nur zu einem Chaos verschiedener Meinungen, somit infolge des

'sozialen Triebs' der Menschen nicht zu einer Festlegung unserer Überzeugung,

sondern zum Zweifel ([1877], CP 5.383, [A] 165f). Hier kann uns nur die vierte

Methode heraushelfen, um die es Peirce letztlich geht: die Methode der Wissen-

schaft. Peirce' Arbeiten zur wissenschaftlichen Methode können sich, das sei hier

vorweggenommen, durchaus an den Standards moderner Wissenschaftstheorie

messen. Was Peirce an dieser Stelle jedoch dazu ausführt, ist spärlich und zudem

sehr mißverständlich. Die grundlegende Arbeitshypothese der Wissenschaft

besage, es gäbe etwas von unseren Meinungen Unabhängiges, 'Reales', welches

auf unsere Sinne nach regelmäßigen Gesetzen einwirkt. An eben diesen Sinnes-

daten überprüft die wissenschaftliche Methode ihre Hypothesen, und kann so der

Subjektivität, die allen anderen Methoden anhaftet, entrinnen. Nur die

wissenschaftliche Methode kann eine stabile Unterscheidung zwischen dem

Wahren und dem Falschen liefern; nur sie führt langfristig dazu, daß unsere

Meinungen mit den realen Tatsachen übereinstimmen ([1877], CP 5.384-5, [A]

166-8).

Peirce' Ausführungen leiden an drei gravierenden Mängel. Erstens ist der

Begriff des Realen, wie ihn Peirce hier einführt, sehr mißverständlich: es klingt, als

fasse Peirce Realität im traditionell-metaphysischen Sinn, als eine

außermenschlich existierende Entität auf, die schlicht vorausgesetzt wird.

Tatsächlich korrigiert sich Peirce in derselben Passage, wenn er bemerkt, daß die

Wissenschaft strenggenommen keinen Beweis für die Existenz einer solchen

Realität liefern kann (CP 5.384, [A] 167). Was Peirce, wie der anschließende

Aufsatz [1878a] klarstellt, mit "Realität" eigentlich nur meint, ist folgendes: wenn

wir unsere Meinungen auf die Erfahrung beziehen, so zeigt sich, daß darin etwas

enthalten ist, was von subjektiven Einzelmeinungen unabhängig ist, also

Objektivität im Sinne von Intersubjektivität ermöglicht. Dieser empirische

Moment der wissenschaftlichen Methode ist zweifellos der entscheidende Punkt,

auf den es Peirce im gesamten Artikel [1877] ankommt. Hier sind wir aber schon

beim zweiten Mangel: Peirce gibt keine wirklich befriedigende Begründung dafür,

warum gerade die empirisch-wissenschaftliche Methode als einzige unsere

Meinungen erfolgreich festzulegen vermag. Seine historischen Hinweise auf die

7 S. 1878a], CP 5.382, [A] 178-80, Anm. 30, und [1877], CP 5.392, [A] 184.

1 0Erfolge der Naturwissenschaften reichen als Begründung allein nicht aus, und das

grundsätzliche Argument, demzufolge die empirische Methode Intersubjektivität

garantiert, wird viel zu wenig ausgeführt. Drittens schließlich müssen wir uns

daran erinnern, daß nach Peirce eine langfristig feste Überzeugung die Eigenschaft

haben muß, auch langfristig unsere praktischen Wünsche zu befriedigen. Zugleich

sagt er, sie könne nur durch die wissenschaftliche Methode gefunden werden. Daß

nun aber die aufgrund der wissenschaftliche Methode gefundenen Überzeugungen

langfristig auch am besten unsere praktischen Wünsche befriedigen, ist doch

keineswegs selbstverständlich, sondern bedarf einer Begründung, die uns Peirce

weitgehend schuldig bleibt.

Fassen wir zusammen: In [1877] entwickelt Peirce drei Kernelemente seines

Systems: (1) Die Festlegung des Erkenntnisziels als langfristig stabile

intersubjektive Überzeugung, welches wir als das pragmatische Erkenntnisziel im

weiten Sinne (iwS) bezeichnen. (2) Die These, daß nur die wissenschaftliche

Methode es erreichen kann, welche wir die pragmatische Methodenthese nennen.

(3) Die These, daß die durch die wissenschaftliche Methode gefundenen

Überzeugungen zugleich unsere praktischen Wünsche am besten befriedigen,

welche wir die pragmatische Theorie-Praxis-These nennen. Während (1) recht

plausibel ausgeführt wird, sind betreffend (2) und (3) erhebliche

Begründungslücken offengeblieben.

2.2 Die pragmatische Maxime

Nur die wissenschaftliche Methode kann einen langfristigen Konsens der

Meinungen erreichen. Aber wie erreicht sie ihn? Meinungen werden in Sätzen

ausgedrückt, diese wiederum gebildet mittels Begriffen . Um einen Konsens der

Meinungen zu erreichen, muß man sich zuerst über die Bedeutung der Begriffe im

klaren sein. Wie klärt man die Bedeutung eines Begriffs? Diesem Problem widmet

sich Peirce im seinem zweiten populären Aufsatz [1878a], und seine Lösung ist

die berühmte 'pragmatische Maxime'. Vorweggenommen sei gleich, daß die

Bedeutung wissenschaftlicher Begriffe nicht schon damit geklärt ist, daß

Wissenschaft sich auf Sinnesdaten stützt. Peirce war sich im klaren darüber, daß

die theoretischen Begriffe der Wissenschaft über das direkt in den Sinnesdaten

enthaltene hinausgehen.8 Eine andere Methode der Bedeutungsbestimmung muß

gefunden werden, die der theoretischen Natur wissenschaftlicher Begriffe gerecht

wird und doch zugleich einen Bezug zum Empirisch-Praktischen herstellt.

Peirce beginnt mit einer Kritik traditioneller philosophischer Definitionen von

Klarheit. Er kommt auf Descartes und Leibniz zu sprechen. Für Descartes

bestand die Klarheit einer Idee in einem introspektiven Evidenzerlebnis. "Daß ein

8 Vgl. [1878d], CP 2.640, [A] 245, sowie Peirce' Kritik am Positivismus Comtes, CP 5.597.

1 1Unterschied bestehen könnte zwischen einer Idee, die klar scheint, und einer

solchen, die es wirklich ist, fiel ihm niemals ein" ([1878a], CP 5.391, [A] 184). Für

Leibniz seien Begriffe klar, wenn für sie eine Definition gegeben werde. Doch

durch das bloße Aufstellen und Analysieren abstrakter Definitionen kann nie

etwas Neues gelernt, also an Klarheit gewonnen werden (ebd., [A] 185). Wieder

kommt Peirce Kritik an der Apriori-Philosophie zum Ausdruck, die Bedeutung

durch rein verstandesimmanente Methoden klären zu wollen.

Peirce war ein leidenschaftlicher Kritiker abstrakter Definitionen: sie erwecken

das Gefühl von Klarheit, doch erweisen sich bei näherer Analyse als Leerformeln.

Zur Verdeutlichung wollen wir hier Peirce' Kritik an der traditionellen

korrespondenztheoretischen Wahrheitsdefinition erwähnen, derzufolge ein Satz

wahr ist, wenn er mit der Realität übereinstimmt. Nichts an echter Klarheit ist mit

dieser Definition gewonnen, sagt Peirce, da der unklare Begriffe der Wahrheit

durch den noch "okkulteren" Begriff der Realität ersetzt wird ([1902-3a], CP

1.578). Denn fragen wir: wie gewinnen wir denn von der Realität Kenntnis? Doch

nur mithilfe sprachlicher Aussagen, sodaß die Kenntnis des Realen schon

voraussetzt, daß wir wissen, wann eine Aussage wahr ist. Die Definition enthüllt

sich somit, sobald wir sie anwenden wollen, als zirkulär; wir sind so schlau als

wie zuvor (ebd., vgl. auch CP 5.553). Die Klarheit, um die es Peirce geht, muß im

Bezug von Begriffen auf den empirisch-praktischen Bereich gelegen sein, denn nur

so kann ein intersubjektiver Konsens der Forschenden erreicht werden. Die

Grundlage für einen solchen Begriff von Klarheit, bzw. einer solchen Methode der

Bedeutungsfestlegung, hat Peirce schon im ersten Aufsatz [1877] gelegt. Hier

hieß es, eine Überzeugung bestünde in gewissen Verhaltensgewohnheiten. Diese

Überlegung wird nun auf die Frage nach der Bedeutung von Begriffen bzw. Sätzen

übertragen. "Um die Bedeutung eines Gedankens zu bestimmen", sagt Peirce,

"haben wir ... einfach zu bestimmen, welche Verhaltensweisen er erzeugt"

([1878a], CP 5.400, [A] 193). Dabei ist eine Verhaltensweise, wie wir schon

wissen, keine Einzelhandlung, sondern eine Handlungsdisposition - "ihre Identität

… hängt davon ab, wie sie uns zum Handeln anleiten könnte, nicht nur unter

wahrscheinlichen, sondern auch unter bloß möglichen Umständen" (ebd.).

Dasjenige an einer Proposition, was die aus ihr folgenden Verhaltensweisen

bestimmt, ist die Summe der praktisch relevanten Wirkungen des von ihr

ausgesagten Sachverhalts. So gelangt Peirce zu folgender pragmatischen

Bedeutungsdefinition, die pragmatische Maxime genannt: "Überlege, welche

Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem

Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser

Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes"

([1878a], CP 5.402, [A] 195).

Fügen wir hier einige logische Klärungen hinzu. Zunächst sind mit "Begriff"

1 2hier Allgemeinbegriffe (Art- und Eigenschaftsbegriffe) gemeint, wie z.B.

"Diamant", nicht indexialische Singulärausdrücke wie "dieser Diamant". Zweitens

ist natürlich nicht schon der Begriff selbst, sondern nur seine Anwendung in einem

Satz von praktischer Relevanz, also z.B. die Aussage "dies x ist ein Diamant".

Die Bedeutungsermittlung von Begriffen vollzieht sich nach Peirce über die mit

ihnen bildbaren Sätze. Drittens sind die praktischen Wirkungen W immer auf

gewisse mögliche Umstände U relativiert. Die Bedeutung einer Aussage der Form

"x ist ein F" liegt der gemäß pragmatischer Maxime also in einer Menge von

allgemeinen Konditionalen der Form "wenn U(x), dann W(x)".

Peirce illustriert seine Bedeutungstheorie anhand einiger Beispiele, von denen

wir hier eines erwähnen, das in späteren Überlegungen noch öfter wiederkehren

wird. Was bedeutet "x ist hart"? Gemäß der pragmatischen Maxime folgendes:

"wenn wir x mit einem spitzen Gegenstand zu ritzen versuchen, wird die

Oberfläche von x meistens - im Idealfall, beim Diamant, immer - unbeschädigt

bleiben". Eben das sind nämlich die sinnlich wahrnehmbaren Konsequenzen von "x

ist hart", gemäß der geologischen Härtebestimmungsmethode ([1878a, CP 5.403,

[A] 195). Inwiefern sind diese Konsequenzen "denkbarerweise praktisch

relevant"? Nun, trivialerweise, weil es mögliche praktische Situationen bzw.

Zwecksetzungen gibt, die einen Gegenstand mit einer Oberfläche erfordern, die

trotz intensiver Beanspruchung möglichst unbeschädigt bleibt (ein Bohrer, eine

Plattenspielernadel, usw.).

2.3 Die pragmatische Definition derWahrheit und der Realität

Im vierten Abschnitt von [1878a] wendet Peirce nun die pragmatischen

Maxime auf ein zentrales philosophisches Problem an: die Begriffe der Realität

und der Wahrheit. Peirce hat seine Theorie der Realität schon in zwei früheren

Arbeiten [1868b] und [1871] entwickelt, auf die wir ebenfalls Bezug nehmen. In

[1878a] gibt er zunächst eine neutrale Charakterisierung des 'Realen', d.h. eine,

worin die gegensätzlichen 'philosophischen Lager' und der Common Sense

übereinstimmen: das Reale ist etwas, das unabhängig davon ist, wie ich, du, oder

irgendwer über es denkt ([1878a], CP 5.405, [A] 202). Doch diese Charak-

terisierung ist unvollständig; sie beantwortet nicht die Frage, wo wir dieses Reale

finden (]1871], CP 8.12, [A] 114). Der traditionellen Antwort zufolge ist die

Realität etwas außerhalb unseres Verstandes, das über den Weg der Sinnesem-

pfindungen unser Denken beeinflußt (ebd.). Das Problem dieser Charakterisierung

ist ihre fehlende Klarheit im pragmatischen Sinn. Denn Realität erschöpft sich ja

keinesfalls in den Sinnesdaten; darüberhinaus besagt die Charakterisierung jedoch

nur, daß Realität irgendetwas außerhalb des Verstandes sei, was uns nicht nur

nicht weiterhilft,, sondern weitere konkrete Bestimmungen der Realität - die sich

1 3ja nur über unseren Verstand geben ließen - sozusagen per definitionem

ausschließt (s. [1871], CP 8.30, [A] 126). Von da aus ist es nur mehr ein kleiner

Schritt zu der Kantischen Lehre von der Realität als Ding-an-sich, die - weil

gänzlich außerhalb des Verstandes - letztlich unerkennbar bleibt. Die traditionelle

Realitätsdefinition hat also, so Peirce, "das Mißverhältnis zwischen Verstand und

Ding-an-sich geschaffen" (ebd.).

Damit bleibt natürlich auch der auf dem traditionellen Realitätsbegriff

aufbauende korrespondenztheoretische Wahrheitsbegriff unklar; ja er führt, wie

wir oben sahen, direkt in einen Zirkel. Die Einsicht in diesen unvermeidlichen

Zirkel ist nun das auslösende Moment für die pragmatische Wende, die Peirce in

[1878a] dem Problem der Realität und der Wahrheit gibt. Es ist methodisch

unzulässig, einen Realitätsbegriff abstrakt zu postulieren und darauf den

Wahrheitsbegriff korrespondenztheoretisch einzuführen, wenn die einzige

Möglichkeit, etwas über die Realität in Erfahrung zu bringen, in Form von

Aussagen besteht, die wir begründeterweise als wahr annehmen können.

Tatsächlich bestehen sinnlich-praktischen Wirkungen der Realität genau darin,

eine langfristig stabile Überzeugung hervorzubringen, d.h. eine Meinung, die wir

mit guten Gründen für wahr erachten ([1878a], CP 5.406, [A] 202f). Pragmatisch

gesehen müssen wir also den Begriff der Realität auf den der Wahrheit

zurückführen, und nicht umgekehrt. Wie aber definieren wir nun die Wahrheit?

Natürlich nicht wieder durch Rekurs auf die Realität, denn das wäre zirkulär.

Peirce greift hier zurück auf die Überlegungen des ersten Aufsatzes [1877] zurück.

Dort hieß es, das eigentliche Erkenntnisziel bestünde darin, zu einer stabilen

Überzeugung zu gelangen; ein darüber hinausgehender Wahrheitsbegriff sei

gehaltleer. Jetzt geht Peirce daran, einen pragmatisch sinnvollen Wahrheitsbegriff

auf die Einsicht aufzubauen, daß die praktischen Effekte der Wahrheitsfindung,

gemäß der pragmatischen Bedeutungsregel, eben im Finden einer langfristig

stabilen Überzeugung bestehen. Eine solche kann, wie Peirce in [1877] ausgeführt

hat, nur dann gefunden werden, wenn man nach der wissenschaftlichen Methode

vorgeht. Die öffentliche Gemeinschaft all jener, die nach dieser Methode vorgehen,

nennt Peirce die Forschergemeinschaft . Eine Meinung dieser Forscherge-

meinschaft kann nur dann in den Rang einer langfristig stabilen Überzeugung

gelangen, wenn sie zweierlei Merkmale besitzt: erstens muß es sich um einen

intersubjektiven Konsens handeln, d.h. jeder Forschende muß sich von ihr

überzeugen lassen, und zweitens muß sie gemäß den Regeln des empirisch-

wissenschaftlichen Verfahrens gefunden worden sein. So gelangt Peirce zu

folgender pragmatischer Definition der Wahrheit und der Realität: "Die Meinung,

die vom Schicksal dazu bestimmt ist, daß ihr letztlich jeder der Forschenden

zustimmt, ist das, was wir unter Wahrheit verstehen, und der Gegenstand, der

durch diese Meinung repräsentiert wird, ist das Reale". ([1878a, CP 5.407, [A]

1 4205).

Eine Reihe von Fragen ergeben sich aus dieser Definition. Zunächst ist mit

"vom Schicksal dazu bestimmt", wie Peirce erläutert, einfach gemeint, daß es sich

bei der Wahrheit um jene Meinung handelt, der mit Sicherheit letztlich jeder

Forschende zustimmt (ebd., Anm. 35, [A] 214). Was aber ist 'letztlich jeder

Forschender'? Heißt dies etwa, daß die Forschergemeinschaft, wenn sie einmal

einen Konsens gefunden hat, diesen Konsens beruhigt als Wahrheit ansehen und

sich um weitere Überprüfungsversuche einstellen kann? Mitnichten - würde diese

doch dem bereits erwähnten Peirceschen Fallibilismus krass widersprechen. Für

Peirce ist die Forschergemeinschaft räumlich wie zeitlich unbegrenzt ausgedehnt

zu verstehen. Daß einer Meinung letztlich jeder Forschende zustimmt, heißt

genau folgendes: Wenn die Forschung beliebig lange weiter betrieben werden

würde, dann würde irgendwann - sei es auch in Millionen Jahren, oder sei es, daß

die Menschheit ausstirbt und die Forschung von einer anderen intelligiblen

Spezies weiterbetrieben wird - diese Meinung zum entgültigen Konsens der

Forschergemeinschaft werden ([1878a], CP 5. 408-9, [A] 205-7). Dennoch können

wir von jederfaktisch vorliegenden Meinung, und bestehe über sie noch so großer

Konsens, nie mit Sicherheit wissen, daß sie wahr ist, d.h. sich mit dem entgültigen

Konsens deckt, da sie möglicherweise schon morgen durch die wissenschaftliche

Methode falsifiziert wird.9 Peirce Fallibilismus ist gekoppelt mit einem metho-

dischen Falsifikationismus, wieder ganz im Popperschen Sinn, demzufolge der

beste Weg, der Wahrheit näherzukommen, darin besteht, unsere gegenwärtigen

Überzeugugen ständig Widerlegungsversuchen in Form kritischer Tests auszu-

setzen. Auf diese Weise werden wir unsere Irrtümer am schnellsten los, während

nur das des Prädikats "wahr" würdig ist, was alle solche 'Härtetests' übersteht.10

Das Modell, das dem Peirceschen Wahrheitsbegriff zugrundeliegt, ist das des

Konvergenzpunktes bzw. Grenzwertes einer unendlichen Reihe - ein Modell, daß

der induktive Logiker Peirce von der Wahrscheinlichkeitstheorie entlehnt.11 So

wie die Wahrscheinlichkeit, z.B. eines Würfelwurfresultates, definiert ist als

Grenzwert der faktischen Häufigkeiten einer ins Unendliche verlängerten

Würfelwurfserie, so ist Wahrheit definiert als Konvergenzpunkt der faktischen

Meinungen einer ins Unendliche verlängerten Forschergemeinschaft. Und so wie

der Häufigkeitsgrenzwert einer Würfelwurfserie möglicherweise faktisch nie

erreicht wird, weil der Würfel nur endliche Lebensdauer besitzt, sondern aus dem

Konvergenzverhalten der faktischen Häufigkeiten nur approximativ erschlossen

werden kann, so wird auch die Wahrheit, aufgrund der endlichen Lebensdauer der

9 Vgl. [1877], CP 5.376, Anm. 26, [A] 177; [1873] CP 7.317; Grundsätzliches zum Fallibilismus in[1897].

10 [1873], CP 7.317; [1905b], CP 5.451, [A] 466; vgl. auch die zu [1877] später hinzugefügtenAnmerkungen 25 und 27, CP 5.376, [A] 176f.

11 Vgl. [1868c], CP 5.345-50, [A] 95-8, sowie [1903a], CP 5.170, [A] 399.

1 5Forschergemeinschaft, möglicherweise faktisch nie erreicht, sondern kann nur aus

dem historischen Konvergenzverhalten der faktischen Forschermeinungen hypo-

thetisch erschlossen werden. Peirce drückt diese mithilfe des kontrafaktischen

Konditionals, des Würde, aus: "Die entgültige Meinung, die sich mit Sicherheit als

das Ergebnis ausreichender Untersuchung einstellen würde, mag möglicherweise

in bezug auf eine gegebene Frage niemals tatsächlich erreicht werden, sei es, daß

das geistige Leben schließlich ausgelöscht wird" ([1885], CP 8.43, [A] 259).

Apel nennt diesen kontrafaktisch formulierten Wahrheitsbegriff den 'norma-

tiven' Wahrheitsbegriff.12 Um unsere Kritik daran bündig vorzutragen: diese

Formulierung ist 1. mehrdeutig, 2. inadäquat, und 3. involviert sie einen Irrtum. Ad

1: (1.1) Mit "normativer Wahrheit" kann gemeint sein, daß es sich bei der

Behauptung, eine Aussage sei wahr, um eine von der Forschergemeinschaft

festgelegten Norm handelt. Das wäre keinesfalls im Sinne von Peirce. Daß eine

Aussage wahr ist, sprich mit dem Konvergenzpunkt der Forschungsmeinungen

übereinstimmt, ist eine deskriptive Aussage, die etwas über das faktische

Konvergenzverhalten der Forschungsmeinungen besagt. Von ethischen

Willensentscheiden ist diese Wahrheit ganz unabhängig, sie wird vielmehr den

Forschenden, wie Peirce immer wieder betont, durch die Forschungsresultate

aufgezwungen.13 (1.2) Mit normativer Wahrheit" kann andererseits bloß gemeint

sein, daß die Konvergenz nicht notwendigerweise faktisch eintreten muß, sondern

kontrafaktisch formuliert wird, d.h. aus dem faktischen Konvergenzverhalten

heraus hypothetisch erschlossen werden muß. Doch das kontrafaktische Kondi-

tional macht aus einer deskriptiven Aussage noch keine normative. Wohl macht es

aus einer direkt verifizierbaren eine prinzipiell nur hypothetisch erschließbare

Aussage - und darin liegt eben Peirce' Fallibilismus. Aber daß Peirce Fallibilist ist,

macht seine Wahrheitstheorie noch zu keiner 'normativen'. (1.3) Mit "normativer

Wahrheits" könnte auch lediglich gemeint sein, daß Wahrheit das oberste Ziel der

Forschergemeinschaft ist. Aber das wäre offenbar trivial: natürlich können

deskriptive Sachverhalte zugleich normativ erstrebenswert sein - "Brot" ist ja

auch nicht schon deshalb ein 'normativer Begriff', weil alle Menschen gerne Brot

essen. Ad 2: Da keine Deutung von "normativer Wahrheit" einen rechten Sinn

macht, ist die Formulierung inadäquat. Ad 3: Mit der von ihm eingeführten

Dichotomie 'faktischer' versus 'normativ-idealer' Konsens scheint Apel die These

zu verbinden, daß Wahrheit als 'normativ-idealer' Letztkonsens im Sinne eines

kantischen regulativen Ideals faktisch nie erreicht werden könnte (vgl. Anm. 12).

Dementsprechend sieht er Peirce' Behauptung, in vielen Fragen hätten wir die

entgültige Meinung bereits erreicht14, einen 'Rückfall' (ebd.). Nach Peirce aber ist

12 Apel (1975), z.B. 120f; [A] Anm. 7, 136; Anm. 24, 175.13 Vgl. [1871], CP 8.12, [A] 114; [1873], CP 7.334; s. auch Kap. 4.3.14 [1871], CP 8.12, [A] 116; [1885], CP 8.43, [A] 260.

1 6es sehr wohl möglich, daß der Letztkonsens bzgl. einer gegebenen Frage faktisch

bereits erreicht ist - die Pointe ist lediglich, daß wir dies nie mit Sicherheit wissen

können.15 Dementsprechend basiert Peirce' Behauptung, in vielen Fragen hätten

wir den entgültigen Konsens bereits erreicht, lediglich auf einer Wahrscheinlich-

keitsüberlegung: selbst wenn viele unsere gegenwärtig nicht in Zweifel gezogenen

Überzeugungen sich als falsch erweisen, so muß es doch, mit an Sicherheit

grenzender Wahrscheinlichkeit, darunter auch viele geben, die sich mit dem

Letztkonsens decken - Peirce erwähnt die zahllosen Fakten von Lexikas,

Atlanten, Geschichtsbüchern. Dennoch wissen nicht mit Sicherheit, welche

unserer gegenwärtigen Überzeugungen sich mit dem Letztkonsens decken; jede

ist möglicherweise falsch ([1885], ebd.).

Halten wir fest, daß "Wahrheit" gemäß Peirce' Definition der Konvergenz-

punkt der Forschungsmeinungen ist, welcher entweder faktisch, oder nur kontra-

faktisch - als hypothetische Verlängerung des Konvergenzverhaltens ins

Unendliche - existiert. Wann dieser Konvergenzpunkt eintritt, und ob er faktisch

oder bloß kontrafaktisch existiert, können wir nie sicher wissen. Doch wir können

aufgrund des bisherigen Konvergenzverhaltens gewisser Meinungen in der

Forschergemeinschaft induktive Hypothesen über ihre zukünftige Stabilität

anstellen. Umso größer der bisherige Forschungskonsens einer Theorie, umso

'bewährter' ist sie, umso 'eher' wahr. Dies ist das Peircesche Wahrheitskriterium.

Kommen wir nun zur philosophischen Natur des Peirceschen Realitätsbegriffs.

Die Realität, als Gegenstand des Letztkonsenses, ist unabhängig davon, was ich,

du oder irgendwer über sie denkt, und erfüllt insofern die eingangs gegebene

neutrale Charakterisierung. Aber sie ist nicht unabhängig davon,daß überhaupt

über sie gedacht wird, setzt sie doch die Existenz einer Gemeinschaft denkender

Subjekte voraus ([1878a, CP 5.408, [A] 205f). Die pragmatische Realitätstheorie

sei insofern kantisch, wie Peirce in ([1871], CP 8.15, [A] 118) ausführt, als sie die

Realität, qua Gegenstand des Letztkonsenses, vom Denken erzeugt sein läßt.

Zugleich sei sie aber ganz unkantisch, denn sie "zerstört sofort die Idee eines

Dings-an-sich" ([1871], CP 5.8.13, [A] 117), einer dem Denken jenseitigen

Realität, die letztlich unerkennbar bleibt. Da alles, was real ist, gemäß der

pragmatischen Definition von der Forschergemeinschaft letztlich erkannt werden

würde, folgt als Konsequenz, daß Erkennbarkeit und Sein synonyme Begriffe sind -

eine These, die Peirce bereits in [1868a] (CP 5.257, [A] 33) und [1868b] (CP

5.265, [A] 42) vertritt. Eine Konsequenz, die Peirce besonders am Herzen

liegt, ist der Universalienrealismus. Die Position des Nominalismus behauptet,

nur Einzelgegenstände, wie 'diese weiße Blume' existieren wirklich, Allgemein-

gegenstände dagegen, wie 'das Weiße im allgemeinen', existieren nur in den

15 [1885], CP 8.43, [A] 260; dieselbe Sicht findet sich beim späten Peirce, s. z.B. [1907], CP 5.494,[A] 530, insb. der Satz mit der "Anm. 41".

1 7Gedanken (oder Begriffen) der Menschen, nicht in realiter. Peirce war ein hartnä-

ckiger Bekämpfer des Nominalismus, die dominante Position in der der traditio-

nellen Philosophie (CP 1.15ff). Vertritt man die traditionelle Theorie der Realität

als ein Etwas außerhalb unseres Verstandes, das unsere Sinne beeinflußt, so muß

man, wie Peirce ausführt, zur nominalistischen Auffassung gelangen, denn was

unsere Sinne beeinflußt, sind immer nur raumzeitlich lokalisierte Einzeldinge

([1871], CP 8.12, [A] 114). Aus der pragmatischen Theorie der Realität folgt

dagegen zwanglos der Universalienrealismus, denn "daß in allen weißen Dingen

Weiße ist ... besagt nur ... daß alle weißen Dinge weiß sind. Aber da [dies - d.A.]

wahr ist, ... ist Weiße etwas Reales" ([1871], CP 8.14, [A] 118). Freilich gibt es

das Weiße nur, insofern es denkende Subjekte gibt, aber dies gilt ja nicht nur für

universelle Entitäten wie "das Weiße", sondern für die Realität insgesamt, gemäß

pragmatischer Auffassung. Dabei liegt es Peirce ganz fern, hiermit eine

platonistisch-metaphysische Position zu verbinden, derzufolge diese universellen

Entitäten in einer Idealwelt außerhalb von Raum und Zeit existieren (vgl. [1868b],

CP 5.312, [A] 77). Diese platonische Auffassung ist nur dann eine Konsequenz

des Universalienrealismus, wenn man die nominalistische These bereits

akzeptiert hat, derzufolge in der realen raumzeitlichen Welt nur Einzeldinge

existieren können. Die reale raumzeitliche Welt kennt jedoch, um Peirce'

Ontologie vorwegzunehmen (vgl. Kap. 4.2), mehrere Seinsweisen. Eine davon, die

'Zweitheit', ist die Seinsweise raumzeitlicher lokalisierter Dinge und Ereignisse;

eine andere, 'die Drittheit', ist die Seinsweise der Allgemeinheit. In diesem

Zusammenhang wird auch Peirce Bewunderung des Duns Scotus verständlich:

auch dieser hatte nämlich versucht, einen nichtplatonistischen

Universalienrealismus zu entwickeln16, wobei Peirce allerdings betont, daß sein

Universalienrealismus weit über Duns' Position hinausginge (CP 8.208, [A] 578;

[1909], [A] 143).

Da Realität als Gegenstand des Letztkonsenses ein Erzeugnis der Forscher-

gemeinschaft ist, kann man Peirce' pragmatische Realtitätsdefinition konstruk-

tivistisch nennen (worauf Scherer 1984 abzielt). Realität nach Peirce gibt es nur,

sofern ein solcher Letztkonsens zustandekommt, zumindest als

Grenzwertverhalten. Doch wie begründet Peirce eigentlich die Annahme, daß ein

solcher Letztkonsens überhaupt erreicht wird? - m.a.W., wie begründet er die

Annahme, daß Realität in seinem Sinne überhaupt existiert? Wieder weicht

unsere Interpretation von jener Apels ab. Apel glaubt, in Peirce' Realitätsdefinition

wäre vorausgesetzt, daß es einen Letztkonsens geben müsse, aufgrund der

apriorischen Voraussetzung des induktiven Schlußverfahrens (1975, 74f, 102).

Doch wie Peirce bemerkt, machen induktive Schlüsse überhaupt keine Postulate

im Sinne 'transzendentaler Voraussetzungen' ([1892], CP 6.40-1, [A] 293f). Und

16 [1868b], CP 5.312, [A] 77; [1871], CP 5.811, [A] 111.

1 8in [1902-3b] (CP 2.113) heißt es: "Ein Transzendentalist würde behaupten, es sei

eine unverzichtbare 'Voraussetzung', daß es auf jede vernünftige Frage eine wahre

behauptbare Antwort gibt". [Ebd., kurz davor:] "Aber alles was Logik verbürgen

kann, ist eine Hoffnung , nicht ein Glaube". Folgerichtig kann es nach Peirce auch

keinen strengen Beweis dafür geben, daß für jede praktisch relevante Frage ein

Letztkonsens gefunden werden wird, auch nicht, wenn die geistige Entwicklung

unbegrenzt fortdauert (vgl. Anm. 15). "Denken wir ..., daß einige Fragen niemals

gelöst werden können, so sollten wir zugeben, daß unser Begriff der Natur als

absolut real nur teilweise korrekt ist" ([1885], CP 8.43, [A] 262). Weil es aber

"keine Möglichkeit gibt, die unbeantwortbaren Fragen von den beantwortbaren zu

unterscheiden, [müssen wir] in der Untersuchung so verfahren..., als seien alle zu

beantworten" (ebd.).

Wenn es aber keinen Beweis für die Existenz des Letztkonsens, und damit die

Existenz der Realität im Sinne der pragmatischen Definition gibt, so muß es doch

zumindest gute philosophische Gründe dafür gegen. In der Tat gibt es sie, und sie

hängen mit Peirce' Empirismus und seinem empiristischen Realitätsbegriff

zusammen, wie wir in Kap. 4.3 sehen werden.

2.4 Eine erste Übersicht und vier verbleibende Fragen

Unsere bisherigen Ausführungen können wir zu einer schematischen

Darstellung des Kernsystems der Peirceschen pragmatischen Erkenntnistheorie

wie folgt zusammenfassen:

Bild

Legende:PrErkZiwS (Pragmatisches Erkenntnisziel im weiten Sinn): Festlegung der Meinung in Formlangfristig stabiler ÜberzeugungPrMethT (Pragmatische Methodenthese): Nur die wissenschaftliche Methode kann PrErkZiwSerreichen.PrMax (Pragmatische Maxime): Bedeutung = Summe empirisch-praktischer Wirkungen untermöglichen Umständen.PrDfW (Pragmatische Definition der Wahrheit): Wahrheit = Letztkonsens der Forscher-gemeinschaft.

1 9PrDfR(Pragmatische Definition der Realität): Realität = Gegenstand des LetztkonsensesPrErkZieS (Pragmatisches Erkenntnisziel im engen Sinne): Wahrheit gemäß PrDfW.Bezeichnung der Pfeile: Aw Anwendung, Vf Verfeinerung.

PrErkZiwS und PrErkZiwS stammen aus [1877], der Rest aus [1878a] (und

früheren Schriften). Die zentralen Elemente stützen sich wechselseitig. Einerseits

ergab sich PrMax heuristisch als Verfeinerung von PrErkZiwS und PrMethT (man

erinnere sich an den Übergang von [1877] zu [1878a]). Umgekehrt kann

PrErkZiwS aus [1877] streng als Anwendung der PrMax begründet werden (der

praktische Effekt der Wahrheitssuche ist die Festlegung der Überzeugung).

Ebenso ergibt sich PrDfW streng aus PrMax, womit natürlich auch pragmatische

Wahrheit als das Erkenntnisziel im 'engeren Sinne', PrErkZieS, etabliert ist.

Zugleich wurde auch PrErkZieS schon heuristisch durch PrErkZiwS und PrMethT

aus [1877] nahegelegt. (Der Unterschied zwischen PrErkZiwS und PrErkZieS

liegt darin, daß PrErkZieS bereits auf der Annahme PrMethT beruht - i.e. daß nur

die Wissenschaft unsere Überzeugung langfristig festzulegen vermag - während

PrErkZiwS von dieser Annahme unabhängig ist). PrDfR folgt schließlich aus

PrDfW. Ferner haben wir in unserer Übersicht noch 4 Fragezeichen vermerkt.

Einmal ist unklar geblieben, welchen Status die Theorie-Praxis-These in Relation

zu diesem Kernsystem besitzt, derzufolge die Verfolgung von PrErkZieS

langfristig unsere praktischen Ziele befriedigt, und wie diese These begründet

wird. Dann haben wir gesehen, daß weder Peirce' Methodenthese PrMethT noch

Peirce' Optimismus bzgl. des Zustandekommen eines Letztkonsenses bisher eine

befriedigende Begründung erfahren hat. Schließlich sahen wir, daß in PrMax ein

kontrafaktisches Konditional, ein "Würde" eingeht, über dessen pragmatische

Bedeutung wir uns noch nicht Rechenschaft abgelegt haben.

3. Ethische Fundierung: Das Verhältnis von Wissenschaftstheorie und Ethik

3.1 Die Rolle der Zwecke in der pragmatischen Maxime: experimentalistische und

praktikalistische Version

Gemäß der pragmatischen Maxime liegt der Bedeutungsgehalt eines Begriffes

bzw. einer Proposition in den praktischen Wirkungen. Das kann so verstanden

werden, daß die Bedeutung in den aus der Proposition folgenden praktischen

Handlungsanleitungen besteht (und etlicheIn Peirce-Passagen legen diese Lesart

nahe). Eine praktische Handlungsanleitung ist natürlich immer relativ zu einem

vorausgesetztem Zweck. Heißt dies, daß der Bedeutungsgehalt wissenschaft-

licher Theorien gebunden ist an praktische, also wissenschaftsexterne Zwecke

oder Interessen? Angenommen ja. Da unsere Handlungszwecke subjektiv und

historisch-gesellschaftlich variabel sind, wäre ein extremer Subjektivismus und

2 0Relativismus die Folge. Die Bedeutung der Atomphysik beispielsweise würde

dann davon abhängen, welche Interessen, z.B. friedliche oder kriegerische, damit

verfolgt werden. Von dort aus ist es nur mehr ein kleiner Schritt zu jener

vielkritisierten Version des Pragmatismus, welche das Wahre mit dem Nützlichen

identifiziert. Zu allem Überdruß gibt es tatsächlich auch Peirce-Stellen, die auf den

ersten Blick diese Interpretation stützen. Schon in [1877] hieß es ja, daß wir von

einer Proposition nur dann überzeugt sind, wenn die aus ihr folgenden Handlungs-

anleitungen unsere Wünsche befriedigen, und in einer 1903 hinzugefügten

vielzitierten Anmerkungen sagt Peirce: "Denn die Wahrheit ist weder mehr noch

weniger als der Charakter eines Satzes, der darin besteht, daß die Überzeugung

von diesem Satz uns bei genügender Erfahrung und Reflexion zu einem Verhalten

führen würde, das darauf abzielen würde, die Wünsche, die wir dann haben

würden, zu befriedigen" ([1877], Anm. 24, CP 5.375, [A] 175). Also wäre Peirce

doch ein 'verkappter' James?

Langsam. Obiges Zitat gibt genau wieder, was wir die Peircesche Theorie-

Praxis-These nannten. Die entscheidende Frage, die es zu klären gilt, ist nur

folgende: handelt es sich bei jener These um einen Bestandteil der pragmatischen

Wahrheitsdefinition - nur dann nämlich wäre die wissenschaftsimmanente

Wahrheit interessensgebunden - oder aber handelt es sich um eine von der

pragmatischen Wahrheitsdefinition unabhängige These, die Peirce separat begrün-

den muß, und die wahr oder falsch sein kann, ohne die pragmatische

Erkenntnistheorie zu zerstören? Wir glauben, daß letztere Alternative zutrifft, und

wollen dies nun begründen.

Man trifft bei Peirce auf zwei Versionen der pragmatischen Maxime, die wir die

experimentalistische und die praktikalistische Version nennen wollen, und die

Peirce ganz offenbar als äquivalent ansieht. Die praktikalistische Version wird in

[1903a], CP 5.18, [A] 339) wie folgt formuliert: die Bedeutung jedes theoretischen

Urteils in Indikativform liegt "in seiner Tendenz ..., einer entsprechenden

praktischen Maxime Geltung zu verschaffen, die als ein konditionaler Satz

auszudrücken ist, deren Nachsatz in Imperativform steht". Und in ([1905b], CP

5.438, [A] 454) heißt es: "Der volle intellektuelle Bedeutungsgehalt irgendeines

Symbols besteht in der Gesamtheit aller allgemeinen Formen rationalen Ver-

haltens, die aus der Annahme des Symbols konditional in bezug auf alle möglichen

verschiedenartigen Umstände und Bestrebungen folgen". Der springende Punkt

dabei ist, daß sich die Bedeutung qua rationales Verhalten nicht auf bestimmte

faktische Zwecke ("Bestrebungen") bezieht, sondern konditional auf beliebige,

bloß mögliche Zwecke; ebenso nicht auf bestimmte faktische, sondern beliebige

bloß mögliche Handlungsumstände. Dies bedeutet, in Peirce' Worten, daß "der

Zweck ... nur willkürlich unterstellt und das Eintreten der Umstände ... nicht allge-

mein erwartet wird" (CP 5.517; vgl. [A] Anm. 28, 484). Dadurch, daß Peirce die

2 1Bedeutung konditional auf alle möglichen Zwecke bezieht, abstrahiert er die

Bedeutung von aller bestimmten Zweckbezogenheit, und macht sie, und damit die

Wahrheit, objektiv. Aber noch mehr: es folgt daraus direkt die Äquivalenz mit der

experimentalistischen Version. Die experimentalistische Version hat Peirce schon

in [1878a] nahegelegt, wo er die Bedeutung mit der Gesamtheit aller

möglicherweise praktisch relevanten Wirkungen identifiziert, und erläuterte, daß

es sich bei den möglicherweise praktisch relevanten Wirkungen im Grunde um die

empirischen handelt. In [1905a] heißt es, etwas verwickelt: jener Satz, der als die

Bedeutung eines anderen Satzes verstanden werden soll, "muß ... einfach die

allgemeine Beschreibung all der experimentellen Phänomene sein, die ... [der

andere Satz - d.A.] virtuell voraussagt" (CP 5.427, [A] 442).17 Dabei versteht

Peirce unter einem experimentellen Phänomen nicht ein vorausgesagtes

Einzelereignis, sondern eine vorausgesagte empirische Gesetzmäßigkeit, von der

Form "immer, wenn wir durch unser Handeln die und die Bedingungen

herbeiführen, wird der und der Effekt eintreten" ([1905a], CP 5.425-6, [A] 441-2).

Kurz, der experimentalistischen Version zufolge liegt die Bedeutung eines Satzes

in den von ihm vorausgesagten experimentellen Gesetzmäßigkeiten

Die Äquivalenz der praktikalistischen und der experimentalistischen Version

ergibt sich aus der Überlegung, daß die Menge aller rationalen Verhaltensweisen,

die aus einem Satz folgen, durch nichts anderes definiert ist als durch die Menge

der von ihm implizierten experimentellen Gesetzmäßigkeiten. "Die Summe der

experimentellen Phänomene, die ein Satz impliziert, [macht] seinen ganzen Bezug

auf menschliches Verhalten aus" ([1905a], CP 5.427, [A] 443). Dies folgt aus

zwei simplen Tatsachen: Erstens ist jede Handlung (sofern sie der Bezeichnung

"Handlung" würdig ist), auf irgendein sinnlich wahrnehmbares, somit ein

experimentelles Resultat bezogen; und daher ist jede Handlungsregelmäßigkeit,

sprich rationale Verhaltensweise, auf eine experimentelle Regelmäßigkeit, sprich

ein experimentelles Phänomen, bezogen. (ebd., sowie [1878a], 5.401, [A] 194).

Daraus folgt die eine Richtung der These, daß nämlich alle Verhaltensimpli-

kationen bezüglich möglicher Zwecke in den experimentellen Phänomenen

enthalten sind. Die andere Richtung der These folgt aus dem Umstand, daß jedes

mögliche experimentelles Resultat zum Gegenstand eines möglichen Zweckes

werden kann.18

Erläutern wir dies abschließend an einem Beispiel. Die experimentalistische

Bedeutung von "x ist weich" liegt in folgendem experimentellen Phänomen: "wann

immer auf x Druck ausgeübt wird, wird sich die Oberfläche von x verformen". Die

17 Peirce spricht hier von 'dem anderen Satz', dessen Bedeutung 'jener Satz' ist, als "die Aussage desSatzes". Für weitere Belege der experimentalistischen Version vgl. [1907], CP 5.465,[A] 502 undCP 5.468, [A] 504.

18 [1903a], CP 5.196, [A] 408: "jede [experimentelle - d.A.] Erwartung [mag - d.A.] denkbarerweiseunser praktisches Verhalten betreffen".

2 2praktikalistische Bedeutung gewinnt man daraus, indem man das Hinterglied, das

den experimentellen Effekt beschreibt, im Vorderglied zu einem angenommenen

Zweck macht, und im Hinterglied eine entsprechende den bezweckten Effekt reali-

sierende Handlung als Norm hinzufügt. D.h: "wann immer du bezweckst, daß sich

die Oberfläche von x verformt, übe auf x Druck aus". Die praktikalistische

Bedeutung von "x ist weich" kann sich aber auch auf kompliziertere Weise

ergeben, z.B.: "wann immer du in Umständen bist, in denen du auf einen

Gegenstand Druck ausüben mußt, und du bezweckst, daß seine Oberfläche

verformt, dann nimm x". Man kann noch andere Formulierungen geben (vgl.

Scherer 1984, 95), und eine genaue logische Explikation wäre wohl eine Aufgabe

für sich; hier müssen wir uns mit dem Grundsätzlichen begnügen.

Da die Bedeutung einer wissenschaftlichen Hypothese in ihren experimen-

tellen Konsequenzen liegt, entspricht der pragmatische Erkenntnisbegriff ganz

dem Selbstbild empirisch-objektiver Wissenschaft. Die pragmatische Methode der

Bedeutungsermittlung sei nichts anderes als die experimentelle Methode der

Wissenschaft, sagt Peirce in [1907] (CP 5.465, [A] 502). Pragmatische Wahrheit

wird also, unter Absehung von allen praktischen Interessen, allein dadurch

gesucht, daß wissenschaftliche Hypothesen an ihren experimentellen

Konsequenzen überprüft werden. Daher sagt Peirce auch, "der wahre

Wissenschaftler sieht nicht auf die Nützlichkeit dessen, was er tut" ([1898, CP

1.619; vgl. ebenso in CP 1.75ff).

Wenn die pragmatische Methode mit der experimentellen Methode der

Wissenschaft zusammenfällt, wozu benötigt dann Peirce überhaupt die

praktikalistische Version seiner Maxime? Nun, sie ist der Angelpunkt von Peirce'

Theorie-Praxis These. In [1905c] (CP 5.499, [A] 487) heißt es dazu emphatisch:

"Weil der Pragmatizist also weiß, daß die Substanz ... seines Denkens ... in

konditionalen Entschließungen liegt, ... weiß er auch, daß die Wahrheit selbst zu

erfahren der Weg ist, seine tiefsten Wünsche zu erfüllen". Diese Theorie-Praxis-

These ist aber, wie wir jetzt deutlich sehen, keinesfalls schon in der

pragmatischen Bedeutungs- und Wahrheitsdefinition enthalten, welche an rein

wissenschaftsimmanenten Kriterien der empirischen Überprüfung orientiert ist und

von allen bestimmten praktischen Zwecken abstrahiert. Sie bedarf einer eigenen

Begründung. Um diejenige, die Peirce gibt, tiefer zu verstehen, müssen wir uns

das Verhältnis von Logik und Ethik bei Peirce näher ansehen.

3.2 Wissenschaftstheorie und Ethik im Kontext des Peirceschen Gesamtsystems

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Architektur des Peirceschen

Gesamtsystems. Peirce wollte Philosophie als Wissenschaft etablieren. Wie jede

andere Wissenschaft hat auch die Philosophie einen Beobachtungsteil (CP 1.133):

2 3die Phänomenologie.19 Sie sucht nach universalen, also überall anzutreffenden

Eigenschaften der Phänomene. Dabei ist unter einem Peirceschen Phänomen alles

zu verstehen, was der Inhalt einer Wahrnehmung sein kann, einschließlich der

Innenwahrnehmung des Bewußtseins. Ziel der Phänomenologie ist es, zu

gewissen grundlegensten Begriffen, oder Kategorien, zu gelangen, welche die

grundlegensten Arten von existierenden Entitäten beschrieben, auf die alle

weiteren Disziplinen der Philosophie sowie der Einzelwissenschaften aufbauen.

Die Phänomenologie muß daher so voraussetzungslos als möglich sein; das

einzige, was die Phänomenologie ihrerseits noch voraussetzt, sind die Formal-

wissenschaften der deduktiven Logik und reinen Mathematik (ebd.; [1903a] CP

5.40, [W] 39). Das Hauptresultat der Peirceschen Phänomenologie sind die an

allen Phänomenen aufweisbaren ontologischen Grundkategorien der Erstheit,

Zweiheit und Drittheit, auf die wir in Kap. 4.2 zu sprechen kommen.

An die Phänomenologie schließen sich dann die drei normativen Wissen-

schaften an, wie Peirce sie nannte, nämlich: Ästhetik, Ethik, und Logik. Dabei ist

zu beachten, daß Peirce mit "Logik" nicht bloß die deduktive Logik meint, sondern

den Gesamtbereich der Wissenscha f t s theor ie . Über den normativen

Wissenschaften erhebt sich schließlich, als Spitze des Peirceschen Systems, die

Metaphysik, welche sich mit allgemeinen Fragen der Realität beschäftigt.20

Was uns hier interessiert, sind Peirce' drei normativen Wissenschaften. Wie

wir sahen, baut architektonisch die Logik (resp. Wissenschaftstheorie) auf die

Ethik, und diese auf die Ästhetik auf. Heißt dies, bei Peirce würde die Logik durch

die Ethik begründet - wie man es oft hört? Gehen wir mit Vorsicht ans Werk.

Zunächst: warum bezeichnet Peirce überhaupt Ästhetik, Ethik und Logik mit ein-

und demselben Namen "normative Wissenschaft"? Weil in allen diese Disziplinen

bewertet wird ([1903a] CP 5.126f, [W] 165ff). Die Ästhetik bewertet

Gegenstände in Bezug auf den Zweck der Schönheit (oder Expressivität); die

Ethik bewertet Handlungen in Bezug auf die Zwecke der Wahrhaftigkeit und

Gerechtigkeit; die Logik schließlich bewertet Erkenntnisse in Bezug auf den

Zweck der Wahrheit.21 Alle drei Wissenschaften sind also insofern normativ, als

sie ihre Gegenstände in Bezug auf charakteristische Zwecke bewerten. Und

dennoch steckt in dieser Definition von "normativ" eine fundamentale

Zweideutigkeit, welche wir durch folgende Begriffsdifferenzierung zum Ausdruck

bringen: Wir nennen eine normative Wissenschaft (in Peirce' Sinn) eine

Methodenwissenschaft, wenn sie zwar auf gewisse, von ihr selbst nicht weiter

begründete Normen bezogen ist, ihre Tätigkeit aber lediglich darin besteht,

19 Zu Philosophie als Wissenschaft s. [1903a], CP 5.61, [W] 71 und CP 1.133. Zur Phänomenologie s.[1903a], CP 5.41, [A] 344; CP 5.53f, [A] 354f; [1903a], CP 5.121, [A] 383.

20 Zu den normativen Wissenschaften s. [1903a], CP 5.129, [W] 169. Peirce' zahlreiche Beiträge zurMetaphysik finden sich in CP 6.

21 [1903a], CP 5.121, [A] 383; CP 5.129, [A] 385; CP 5.140-2, [A] 391.

2 4herauszufinden, durch welche Mittel (Methoden, Strategien) diese Normen am

besten zu realisieren seien. Eine solche Methodenwissenschaft betreibt primär

deskriptive Forschung; sie erhebt faktische Gesetzmäßigkeiten und wertet sie in

Form von Zweck-Mittel-Behauptungen aus: "B ist ein geeignetes Mittel zur

Erreichung des Zwecks A". Dagegen nennen wir eine Wissenschaft genuin

normativ, wenn sie nicht nur nach Mitteln zur Realisierung gegebener Normen

fragt, sondern selbst Normen explizit behauptet, und voralledem auch begründet.

Wir fragen nun: verstand Peirce "normative Wissenschaft" im Sinne von "Metho-

denwissenschaft" oder von "genuin normativer Wissenschaft"?

Tatsächlich sind Peirce' Ausführungen hierzu zweideutig. Wenn Peirce

definiert, "die normative Wissenschaft handelt von den Gesetzen der Relation der

Phänomene auf Zwecke hin"22, so spricht dies eher für die Auffassung als

Methodenwissenschaft. Dem entspricht auch Peirce Charakterisierung des

Unterschiedes zwischen den normativen Wissenschaften und der reinen

Mathematik: im Gegensatz zur letzteren "sollen die Hypothesen, aus denen die

Deduktionen der Normativen Wissenschaften hervorgehen, der positiven Tat-

sachenwahrheit entsprechen " ([1903a], CP 5.126, [W] 165). Diese Behauptung

kann sinnvollerweise nur so verstanden werden, daß die den Zweck-Mittel-

Beziehungen unterliegenden Gesetzmäßigkeiten, die von der Metho-

denwissenschaft erforscht werden, den Tatsachen entsprechen müssen. Dennoch

gibt es auch andere Äußerungen, die darauf hindeuten, daß Peirce sich der

Zweideutigkeit nicht bewußt war. So schreibt er: "Die Ethik ist das Studium der

Frage, welche Zwecke des Handelns wir überlegtermaßen willens sein sollten,

anzunehmen. D.h. [sie ist - d.A.] das Studium richtigen Handelns, das in

Übereinstimmung mit Zwecken steht, die wir willens sind, überlegtermaßen

anzunehmen." ([1903a, CP 5.130, [A] 386). Der ersten Behauptung zufolge ist

Ethik genuin normativ, insofern sie nach den richtigen Zwecken fragt. Der zweiten

Behauptung zufolge ist sie stattdessen methodisch, insofern sie nach dem

richtigen Handeln in bezug auf gegebene Zwecke fragt. Zusammenfassend können

wir festhalten, daß Peirce seine normativen Wissenschaften zwar überwiegend als

Methodenwissenschaften, teilweise aber auch als genuin normative

Wissenschaften konzipiert.

3.3 Wissenschaftstheorie als Methodenwissenschaft: Deduktion, Induktion und

Abduktion

Peirce' Logik verfährt, wie wir nun zeigen wollen, primär als Methoden-

wissenschaft. Die Begründung ihrer Methoden erfolgt ganz 'wahrheitsimmanent':

sie basiert ausschließlich auf deren Effektivität in der Erreichung des

22 1903a], CP 5.123, [A] 384; vgl. auch CP 5.121, [A] 383.

2 5wissenschaftlichen Wahrheitszieles, ohne dabei auf wahrheitsexterne Wert- oder

Nützlichkeitsgesichtspunkte Bezug zu nehmen. Im Zentrum von Peirce' Logik23

steht seine Theorie der drei grundlegenden Typen wissenschaftlichen Schließens:

Deduktion, Induktion, und Abduktion, welche er bereits in seinen Frühschriften

entwickelt ([1968b,c], [1978d]) und sie in den Grundzügen auch in seinen

Spätschriften beibehält (z.B. [1903a], CP 5.151-179), mit dem terminologischen

Unterschied, daß er in seinen Frühschriften statt von "Abduktion" von "Hypo-

these" spricht. Peirce entwickelt diese Theorie anhand eines Schlußschemas, das

in der Gegenwart als das 'Popper-Hempelsche' deduktiv-nomologische

Schlußschema bekannt wurd: "Regel: Alle F sind G. Fall: Dies ist ein F. Resultat:

Dies ist ein G". Nehmen wir das Peircesche Beispiel: "Regel: Alle Bohnen in

diesem Sack sind weiß. Fall: Diese Bohnen stammen aus diesem Sack. Resultat:

Diese Bohnen sind weiß". Die Deduktion, so Peirce, schließt von der Regel und

dem Fall auf das Resultat, gemäß dem deduktiv-nomologischen Schlußschema.

Die Induktion dagegen schließt vom Resultat und dem Fall auf die Regel - also:

diese Bohnenstichprobe entstammt diesem Sack, und alle Bohnen dieser

Bohnenstichprobe sind weiß; daher vermuten wir, alle Bohnen in diesem Sack sind

weiß. Die Abduktion (bzw 'Hypothese') schließt schließlich vom Resultat und der

Regel auf den Fall - also: diese Bohnen sind weiß, und wir wissen, alle Bohnen

dieses Sacks sind weiß; daher vermuten wir, daß diese Bohnen diesem Sack

entstammen.24 Die Abduktion schließt somit retrodiktiv zurück auf die mögliche

Ursache eines gegebenen Resultats, bezogen auf eine Regel (CP 8.228-30).

Nur das deduktive Schließen ist "analytisch", bzw. folgert mit Notwendigkeit.

Die beiden anderen Schlußarten sind dagegen "synthetisch", ihre Geltung ist bloß

"wahrscheinlich", wobei es sich bei der Abduktion allerdings um eine viel

"schwächere" Schlußart handelt als bei der Induktion.25 Weil deduktive Schlüsse

analytisch, induktive und abduktive synthetisch sind, haben diese, wie erwähnt,

topologisch einen ganz anderen Stellenwert im Peirceschen System: die Deduktion

kommt noch vor der Phänomenologie, Induktion und Abduktion dagegen erst nach

Ästhetik und Ethik, im Herzen der 'Logik' qua Wissenschaftstheorie. Auf Peirce'

umfangreiche Arbeiten zur Logik (sie füllen Bände 2-4 der CP) können wir hier

freilich nicht näher eingehen; uns interessiert nur folgende Frage: wie begründet

Peirce seine logischen Methoden? Nimmt er dabei auf ethische Prinzipien Bezug?

Die deduktive Logik hält Peirce für so evident, daß jedoch Versuch, sie durch

andere Prinzipien zu begründen, eine "petitio principii darstellen" müßte ([1903a],

23 Peirce' Logik im weiteren Sinne umfaßt auch noch seine Semiotik oder Zeichentheorie. Was davonfür Peirce' Pragmatismus relevant, wird in Kap. 4.2 zu Sprache kommen. Zur Semiotik s. CP2.233ff; Pape (Hg., 1983); vgl. auch [1903a], CP 5.73ff; [A] 362ff), sowie Scherer (1984).

24 [1968b], CP 5.270-274, [A] 44-47; [1978d] CP 2.619-625, [A] 229-233.25 [1868b] , CP 5.270, [A] 44; [1878d], CP 2.623, [A] 232; [1903a], CP 5.145, [A] 393f, CP. 5.171, [A]

400.

2 6CP 5.166, [A] 399). Im Grunde, meint er, beruht die deduktive Logik auf der

Tatsache, daß in einem Zeichensystem, worin jedes Zeichen genau eine

Bedeutung besitzt, bedeutungsgleiche Zeichen ersetzt werden können ([1968c],

CP 5.323). Doch "die Schwierigkeit zu zeigen, inwiefern das Gesetz des

deduktiven Schlußfolgerns gültig ist, beruht auf unserer Unfähigkeit, uns

vorzustellen, es sei nicht gültig" ([1868c], CP 5.341, [A] 91).

Peirce' Begründung der Gültigkeit induktiven Schließens, die in [1868c]

entwickelt wird, ist noch heute wissenschaftstheoretisch aktuell. Peirce'

Ausgangsargument besagt, daß in jedem Universum, wie immer es auch beschaf-

fen sein möge, eine unendliche Zahl von Regelmäßigkeiten vorhanden sein

müssen, was durch subtile Wahrscheinlichkeitsüberlegungen nahegelegt wird

(ebd., CP 5.342, [A] 92f; CP 5.345, [A] 95f). Wenn es in unserem Universum aber

solche Regelmäßigkeiten gibt, so müssen sie, so Peirce, durch das induktive

Schließen auf lange Sicht entdeckt werden, wobei er sich im wesentlichem auf das

zentralen Grenzwerttheorem der Statistik beruft, demzufolge die

Stichprobenhäufigkeiten von Zufallsstichproben auf lange Sicht gegen die

Grundgesamtheitshäufigkeit konvergieren ([1868c], CP 5.349-50, [A] 97f). Die

einzig vorstellbare Möglichkeit, daß die Menschen aus ihren induktiven Schlüssen

auf lange Sicht nichts lernen würden, wäre dann gegeben, wenn "aufgrund einer

allgemeinen Regel nach der Durchführung einer jeden Induktion die Ordnung der

Dinge … einen Umsturz durchmachen würde" (ebd., CP 5.352, [A] 99). Aber

selbst eine solche Regel, so lautet nun Peirce' Pointe, "würde selbst wieder durch

Induktion zu entdecken sein", sodaß es, wenn die Induktion nur weit genug

angewendet wird, unmöglich ist, aus der Induktion nichts zu lernen.

Wissenschaftstheoretisch am wichtigsten ist Peirce' Theorie der Abduktion.

Ihre klassifikatorische Beschreibung als Schluß von Resultat und Regel auf den

Fall machte ihre eigentliche Bedeutung noch keineswegs erkennbar. Sie ist

nämlich, wie Peirce in [1903a] (CP 5.171, [A] 400) ausführt, "das einzige logische

Verfahren, das irgendeine neue Idee einführt". Schon in [1978d] erkannte Peirce,

daß die Funktion der Abduktion in der Wissenschaft primär darin liegt,

theoretische Begriffe und Modelle zu entwickeln, welche die empirischen Gesetze

auf physikalische Entitäten und Strukturen zurückführen, die der Beobachtung

nicht direkt zugänglich sind - sein Beispiel ist die theoretische Erklärung der

empirischen Gasgesetze durch die statistische Mechanik (CP 2.637-40, [A] 240-

5). Peirce nimmt damit Carnaps Entdeckung der empirisch nicht definierbaren

theoretischen Terme vorweg. "Jedes einzelne Stück wissenschaftlicher Theorie ...

ist der Abduktion zu verdanken", heißt es später ([1903a], CP 5.172, [A] 400).

In sich ist die Abduktion durch nichts gerechtfertigt, ist bloße 'Spekulation'. Ihre

einzige Rechtfertigung, so Peirce, liegt darin, daß "die Deduktion aus ihrer

Annahme eine Vorhersage ziehen kann, die durch die Induktion getestet werden

2 7kann" (ebd., CP 5.171, [A] 400). Damit entwirft Peirce ein Bild der Logik der

Forschung, das in seinen Grundzügen genau dem Popperschen

falsifikationistischen Programm entspricht. Ausgehend von einem gegebenen

empirischen Wissen entwickeln wir theoretische Hypothesen, die das direkt

Beobachtbare übersteigen und zunächst rein spekulativ sind. Aus diesen können

wir aber empirische Konsequenzen deduktiv ableiten, deren Zutreffen wir

experimentell überprüfen. Erhalten wir den theoretischen Prognosen

widersprechende experimentelle Resultate, so ist die Theorie falsifiziert oder

zumindest geschwächt, stimmen die Experimente jedoch mit den theoretischen

Prognosen überein, so ist unser Vertrauen in die Theorie gestiegen, die Theorie

ist, wie Popper sagt, bewährt (vgl. auch CP 8.209, [A] 579f). In der Bewährung

einer Theorie durch die Bestätigung ihrer empirischen Konsequenzen ist der

induktive Schluß enthalten, daß eine bisher gut bewährte Theorie sich auch in der

Zukunft gut bewähren wird (1903a], CP 5.170, [A] 399). Auf diese Weise muß

auch die Abduktion sich auf lange Sicht der Wahrheit nähern (ebd.).

Peirce' und Poppers Forschungslogik decken sich also weitgehend - allerdings

mit dem Unterschied, daß Popper die Peircesche Abduktion nicht als

wissenschaftsmethodisches Verfahren akzeptieren würde, da sie nicht den

Begründungszusammenhang einer Hypothese, sondern ihren Entdeckungs-

zusammenhang betrifft, und nur der Begründungszusammenhang wissenschafts-

theoretische Relevanz besitzt. Peirce dagegen hat mit der Abduktion in seine

Wissenschaftstheorie auch den Entdeckungszusammenhang miteinbezogen;

womit er der heutigen, von Kuhn inspirierten Auffassung von

Wissenschaftstheorie sehr nahe kommt. Allerdings bleibt auch bei Peirce die

Abduktion ein spekulatives Verfahren, daß im Gegensatz zur Deduktion und

Induktion keiner angebbaren Regel folgt.26 Ihre einzige Rechtfertigung gewinnt

sie, wie oben erwähnt, mithilfe von Deduktion und Induktion, durch die

Überprüfung der empirischen Konsequenzen der von ihr konstruierten Theorien.

Dennoch gibt es bei Peirce zumindest ein systematisches Prinzip, der die

Abduktion unterliegt. Es handelt sich dabei um - nichts anderes als die

pragmatische Maxime (!). In [1903a] (CP 5.196, [A] 407) definiert Peirce diese

Maxime als die Logik der Abduktion, die der Kreation von neuen Begriffen und

Hypothesen folgende Restriktion auferlegt: kreiere nur solche neue Begriffe und

Hypothesen, die mögliche praktisch relevante Wirkungen besitzen, denn allein

darin liegt ihre Bedeutung. Der topologische Sitz der pragmatischen Maxime liegt

also, wie wir jetzt sehen, im Zentrum des Peirceschen Systems, in der Logik der

Abduktion. Da alle Begriffe und Ideen, die nicht unmittelbar in der Wahrnehmung

enthalten sind, der Abduktion entstammen, ist klar, daß die pragmatische Maxime

26 Peirce führt die abduktiven Fähigkeiten des Menschen auf 'natürliche Instinkte' zurück; s. [1903a],CP 5.47, Anm. 12, [A] 422; 5. 1724, [A] 400-403; 5.212, [A] 419f.

2 8aus dem Zentrum heraus auf das gesamte Peircesche System ausstrahlt und alle

grundlegenden philosophischen Begriffe bestimmt.

Rekapitulieren wir: Die deduktive Logik ist schlicht evidentes Prinzip jedes

bedeutungsdefiniten Zeichensystems; die induktive Logik als Grundprinzip

empirischen Lernens muß sich auf lange Sicht der empirischen Wahrheit nähern;

die abduktive Logik schließlich führt neue Begriffe und Ideen unter der Restriktion

der pragmatischen Maxime ein, und rechtfertigt sich allein durch die induktive

Überprüfung ihrer deduktiven Konsequenzen, wodurch auch sie auf lange Sicht zur

Wahrheit führt. Peirce' Begründung der wissenschaftlichen Methoden macht also

nirgendwo von außerwissenschaftlichen ethischen Maximen Gebrauch, sondern

orientiert sich einzig an dem wissenschaftsimmanenten Wahrheitsziel der

Forschergemeinschaft, und zeigt, gemäß dem Prinzip der Methodenwissenschaft,

daß diese Methoden auf lange Sicht zur Wahrheit führen werden.

Wir können damit nun genau sagen, worin das mögliche Mißverständnis

besteht, wenn man sagt, Peirce begründe seine Logik durch die Ethik. Was Peirce

ethisch begründet, ist nicht die Logik, sondern derWert der Logik. Anders

gesprochen: Als Methodenwissenschaft macht Peirce' Logik nirgendwo von Ethik

Gebrauch. Als genuin normative Wissenschaft jedoch - wenn es darum geht,

Wahrheit als ethischen Wert zu begründen - muß Logik sich auf die Ethik berufen.

Wir wollen dies als die normative Einbettung der Logik in die Ethik bezeichnen.

Die Grundlage dieser normativen Einbettung ist aber nichts anderes als Peirce'

Theorie-Praxis-These. Genau dann, wenn gezeigt ist, daß die Verfolgung des

wissenschaftlichen Wahrheitsziels langfristig auch unsere Wünsche befriedigt, ist

Wahrheit auch als ethischer Wert etabliert und die normative Einbettung

vollzogen. Damit kommt Peirce' Theorie-Praxis-These eine entscheidende

Funktion im Gesamtsystem zu.

3.4 Zwei ethische Voraussetzungen der Theorie-Praxis-These

Der Angelpunkt von Peirce' Theorie-Praxis-These ist, wie wir oben sahen, die

Äquivalenz zweier Versionen der pragmatischen Maxime: der experimenta-

listischen und der praktikalistischen. Es folgt daraus, daß, wenn wir die

wissenschaftliche Methode verfolgen, wir zugleich unser Wissen darüber

vermehren, wie wir handeln müssen, um gegebene Zwecke zu realisieren. Daher,

so könnte man weiterschließen, wird uns das wissenschaftliche Wissen auf lange

Sicht genau zu jenen Handlungen anleiten, die die ihnen unterliegenden Zwecke

tatsächlich realisieren und somit zur Befriedigung unserer Wünsche führen. Doch

diese Begründung ist lückenhaft, und Peirce ist sich dessen bewußt. Tatsächlich

wird nämlich die Orientierung an wissenschaftlicher Wahrheit nur dann die

praktischen Wünsche des Menschen befriedigen, wenn er zumindest einige

2 9ethische Grundwerte bereits angenommen hat und sich auch praktisch daran hält.

Die erste dieser Voraussetzungen hat Peirce schon in [1868c], im

Zusammenhang seiner Theorie induktiven Schließens, ausgeführt. Induktive

Schlüsse führen ja nur auf lange Sicht zur Wahrheit, d.h. nur unter der

Voraussetzung, daß sie beliebig oft wiederholbar sind. Brechen wir eine

statistische Untersuchungsreihe nach einer relativ kurzen Zeit ab, so kann es

durchaus sein, daß - 'weil es der Zufall so wollte' - ihre Resultate und die daraus

induktiv gezogenen Schlüsse uns völlig in die Irre geführt haben. In genau dieser

Situation, so Peirce, befindet sich aber der Mensch als Einzelindividuum ([1868c],

CP 5.350, [A] 98; 5.354f, [A] 101f). Sein Leben ist zu kurz, um Erfahrungen

beliebig lange wiederholen und variieren zu können; die induktive Methode kann

ihm keine Sicherheit gewähren, und er muß mit der Möglichkeit rechnen, daß sie

ihn in seinem persönlichem Leben in die Irre führt (ebd.). Nur für die gesamte

Gesellschaft bringt die induktive Methode auf lange Sicht den gewünschten Erfolg,

denn dadurch, daß Generation auf Generation immer wieder neue Individuen den

empirisch-induktiven Lernprozess fortführen, und dabei aus den - möglicherweise

auch tödlichen - Fehlern ihrer Vorfahren lernen, wird sich die soziale Gemeinschaft

im Ganzen der Wahrheit nähern. Daß die induktive Methode auch für den

Einzelnen erstrebenswert wird, setzt also voraus - so Peirce' zentrales Argument

- daß der Einzelne sich mit den Interessen der sozialen Gemeinschaft gedanklich

identifiziert, und die Interessen der anderen auch zu seinen eigenen macht. Wer in

seinem Herzen Egoist bleibt, für den ist die induktive Methode, zumindest

lebenspraktisch, nicht überzeugend. Es folgt daraus, so Peirce emphatisch, "daß

die Logik vor allem mit Strenge verlangt, daß ... nichts, was mein Selbst treffen

kann, mir wichtiger als alles übrige sein sollte. Wer seine eigene Seele nicht

opfert, um die ganze Welt zu retten, ist in all seinen Schlüssen insgesamt

unlogisch. So ist das soziale Prinzip tief in der Logik verwurzelt" ([1868c], CP

5.354, [A] 101). Aber selbst die Identifikation mit der sozialen Gemeinschaft ist

nicht hinreichend dafür, daß die Verfolgung der wissenschaftlichen Methode

unsere Wünsche befriedigt, denn es könnte sein, daß irgendwann alle Lebewesen

für immer vernichtet werden, sodaß die empirisch-induktive Methode nie mehr

fortgesetzt werden kann ([1868c], CP 5.357, [A] 103). Obzwar wir es nicht

wissen und durch nichts rechtfertigen können, so müssen wir alle von der Hoffnung

ausgehen, daß die Entwicklung der Menschheit unbegrenzt fortdauern wird.

"Diese unendliche Hoffnung, die wir alle besitzen ... ist so bedeutend und erhaben,

daß alles Schlußfolgern in bezug auf sie eine läppische Anmaßung ist" (ebd.). In

[1878b] faßt Peirce seine Überlegungen zusammen. Drei Gefühle, bzw. praktische

Werte, seien "unerläßliche Forderungen der Logik": "das Interesse an einer unbe-

schränkten Gemeinschaft, das Anerkennen der Möglichkeit, dieses Interesse zum

höchsten überhaupt zu machen, und die Hoffnung auf die unbegrenzte Fortdauer

3 0geistiger Aktivität (CP 2.655, [A] 220).

In seinen späteren Schriften bringt Peirce eine ganz analog gelagerte, aber

noch subtilere Überlegung ins Spiel. Er greift hier eine zweite, tieferliegende

Voraussetzung der Theorie-Praxis-These auf. Das Wissen um die praktisch

relevanten Folgen unseres Handelns, das uns die wissenschaftliche Methode auf

lange Sicht liefert, wird nur dann der Befriedigung unserer Wünsche dienlich sein,

wenn wir uns in unserem Handeln tatsächlich von diesem Wissen anleiten lassen,

also bewußt, willentlich und kontrolliert handeln, und uns nicht etwa von

unüberlegten Affekten und Instinkten treiben lassen. Mit anderen Worten, eine

weitere und noch grundlegendere Voraussetzung der Theorie-Praxis-These ist die

Fähigkeit zur Selbstkontrolle ([1903a], CP 5.130, [A] 385f).

3.5 Das 'Geheimnis des Pragmatismus': der ethische Theorie-Praxis-

Parallelismus

Wie begründet Peirce nun diese zwei ethischen Werte der Selbstkontrolle und

der Identifikation mit der unbegrenzten Gemeinschaft, welche Voraussetzungen

der Theorie-Praxis These sind? In [1868c] ist die Art der Begründung noch nicht

eindeutig. Wenn Peirce von "Forderungen der Logik" spricht, oder davon, daß der

Egoist "unlogisch" sei, so deutet dies darauf hin, daß der ethische Wert der

Identifikation mit der Gemeinschaft als Folgerung der Logik qua genuin normativer

Wisenschaft aufgefaßt wird. Aus dem Oberstwert der Wahrheit, so könnte man

argumentieren, folgt zusammen mit den Erkenntnissen der induktiven Methode,

daß auch die Identifikation mit der Gemeinschaft ein abgeleiteter Wert (bzw.

'Mittel-Wert') sein muß, weil nur so Wahrheit erreichbar ist. Insofern scheint es

hier also, als leitet Peirce aus der Logik eine Ethik ab. Doch hier ist eine wichtige

Differenzierung angebracht. Das Ziel der Wahrheit betrifft doch nur das Denken,

nicht das Handeln. Zwar liegt die Bedeutung unserer Gedanken, in laxer Ausle-

gung der pragmatischen Maxime, 'im Handeln', aber eben, wie Peirce betont, nur

im "gedachten Handeln", unter denkmöglichen Umständen ([1878a], 5.402, Anm.

20, [A] 212). Was die Logik vom Menschen qua Denker also abverlangt, ist die

Identifikation mit der Gemeinschaft nur im Denken, nicht im Handeln. Anders

ausgedrückt, in der Tat folgt aus der Logik qua normativer Wissenschaft eine

Ethik, aber es ist eine rein wissenschaftsimmanente Ethik, eine Ethik des

Denkens, nicht des Handelns. Daß jene Werte, die von der Logik qua normativer

Wissenschaft im Denken gefordert werden, zugleich die führenden Werte in

unserem Handeln und Leben bilden sollen, das wird von dieser

wissenschaftsimmanenten Ethik nicht mehr impliziert. Aber genau dies wäre zur

Begründung der Theorie-Praxis-These nötig.

Daß Peirce zu dieser Sicht der Dinge tendiert, wird bereits in einer Passage in

3 1[1868c] deutlich, wo er davon spricht, daß für den Logiker qua Denker die bloße

Erkenntnis genügt, daß man sich, um logisch zu handeln, mit der unbegrenzten

Gemeinschaft identifizieren muß - auch wenn der Logiker "diese

Selbstidentifikation selbst nicht fertigbringt" (CP 5.356, [A] 102). Später, etwa in

[1898], wird die Unterscheidung zwischen theoretischen Fragen des Denkens und

praktischen Fragen des Handelns explizit vollzogen. Das Problem stellt sich für

Peirce nun also so: Einerseits impliziert die Logik qua normativer Wissenschaft

eine Ethik, aber nur eine Ethik des Denkens. Als Denkethik verlangt sie vom

Denker Identifikation mit der Forschergemeinschaft und Selbstkontrolle. Um

jedoch die Theorie-Praxis-These zu begründen, muß gezeigt werden, daß jene

Werte, die die Logik von uns im Denken verlangt, zugleich die richtigen Werte für

die praktischen Ethik darstellen. Genau dies will Peirce in seinen späteren

Schriften zeigen; und wir sprechen hier von seinem 'ethischen Theorie-Praxis-

Parallelismus'.

Peirce' Ausgangspunkt ist die zweite Voraussetzung der Theorie-Praxis-

These: der Wert der Selbstkontrolle. Genau an diesem Punkt", sagt Peirce,

"stoßen wir auf die erste Spur des Geheimnisses des Pragmatismus" ([1902a],

CP 5.130, [A] 385). Hier handelt es sich nämlich um einen Wert, der zugleich in

der wissenschaftlichen Methode wie auch in der praktischen Ethik als Grundwert

fungiert. Denn das logisches Schließen involviert durch und durch gedankliche

Selbstkontrolle, nämlich die bewußt-willentliche Durchführung eines Denkaktes

(das Ziehen einer Konklusion) mit anschließender Bewertung als korrekt und

inkorrekt (ebd., 386). Zugleich ist die Fähigkeit zur Selbstkontrolle in unserem

praktischen Handeln Grundlage jeglicher rationalen Ethik. "Der rechtschaffene

Mensch ist derjenige, der seine Leidenschaften kontrolliert und sie mit solchen

Zwecken in Übereinstimmung bringt, die er willens ist, überlegtermaßen als

letztgültige anzunehmen" (ebd.). So erweisen sich also "die Phänomene des

Denkens in ihren allgemeinen Eigenschaften als parallel zu jenen des moralischen

Verhaltens. Denn Schließen ist im wesentlichen selbstkontrolliertes Denken, so

wie moralisches Verhalten im wesentlichen selbstkontrolliertes Verhalten ist"

([1903b], CP 1.606). In [1903b] spricht Peirce von einem "perfekten Paralle-

lismus" zwischen der Denk- und der Handlungsethik (ebd., CP 1.610). Insofern,

sagt Peirce in [1903a], sei "das logisch Gute einfach eine besondere Art des

moralisch Guten" (CP 5.130, [A] 386).

3.6 Die normative Einbettung der Wissenschaftstheorie in die Ethik und die

Begründung der Theorie-Praxis-These

Die Brücke, die Peirce zwischen Theorie und Praxis baut, beruht also letztlich

auf dem Argument, daß rationales Denken und rationales Handeln grundlegend

3 2artverwandt sind, und auf gleichen bzw. parallelen Grundwerten basieren, nämlich

Selbstkontrolle und Identifikation mit der Gemeinschaft. Indem dies gezeigt wird,

wird zugleich die Theorie-Praxis-These begründet. Anhand der Selbstkontrolle hat

uns Peirce dies bereits gezeigt. Damit ist die zweite Voraussetzung der Theorie-

Praxis-These begründet. Aber die Begründung der ersten, und viel

weitreichenderen Voraussetzung der Theorie-Praxis-These - die praktische

Identifikation des Einzelmenschen mit der unbegrenzten Menschheit - steht noch

aus.

In seiner Ethik versucht Peirce nun Gründe dafür zu geben, warum diese vom

Wert der Wissenschaft vorausgesetzte Identifizierung mit der gesamten Mensch-

heitsentwicklung auch aus der Sicht der praktischen Ethik als oberster Wert

anzusehen ist. Peirce geht von der Ausgangsfrage aus, welches Ziel überhaupt als

objektiv bzw. ethisch allgemeinverbindlich begründet bzw. 'nahegelegt' werden

kann ([1903a], CP 5.133, [A] 387). Ein solches Ziel darf nicht an spezifische

subjektive Interessen gebunden sein, wenn Ethik als objektive Wissenschaft

überhaupt möglich sein soll. Das Problem der Ethik, führt Peirce weiter aus, liegt

also darin, zu ermitteln, "welcher Zweck möglich ist" (ebd., CP 5.134, [A] 388) -

gemeint ist ein objektiver, für die gesamte Menschheit verbindlicher Zweck.

"Welches Ziel [ist] so beschaffen ..., daß es uns die Möglichkeit bietet, es zu

verfolgen, selbst wenn der Handlungsverlauf unbegrenzt verlängert wird?" (ebd.,

CP 5.135, [A] 389). Das letzte, objektives Ziel darf nicht von weiteren Zielen

abhängen, es muß sich "an sich unabhängig von jeder darüber hinausgehenden

Überlegung [empfehlen - d.A.]. Es muß ein bewundernswertes Ideal sein" (ebd.,

CP 5.130, [A] 387). Das heißt aber, so Peirce, daß dieses Ziel letztlich aufgrund

seiner ästhetischen Güte angenommen wird. Derart gelangt er zu der Überlegung,

daß die Frage nach einem letzten Ziel unseres Handelns im Grunde nicht von der

wissenschaftlichen Ethik, sondern von der wissenschaftlichen Ästhetik beant-

wortet wird (ebd., CP 5.132, [W] 173). Zur Vermeidung terminologischer

Mißverständnisse sei jedoch hinzugefügt, daß die Frage nach einem Letztziel des

Handelns - auch wenn Peirce darin Recht hätte, daß es seiner Natur nach

'ästhetisch' ist - zum traditionellen Bereich der Ethik zählt.

Zunächst kann ein solches Ziel nicht in einzelnen Handlungen liegen27, denn

das Ziel einer Handlung ist mit jeder Handlung erreicht. Bei dem letzten Ziel muß

es sich dagegen um ein allgemeines, wiederholbares und unbegrenzt verlänger-

bares Ziel handeln. Dieser Punkt ist also schnell abgehandelt. Was Peirce viel

schwerer fällt, ist die Auseinandersetzung mit dem ethischen Hedonismus bzw.

Utilitarismus. Dessen Antwort auf die Frage nach einem letzten,

allgemeinverbindlichen Ziel lautet nämlich, dieses läge im - persönlichen oder

27 Dies hat Peirce auch immer wieder gegen James' Version des Pragmatismus vorgebracht. Vgl.[1902a], CP 5.3, [A] 316, [1905a], CP 5.429, [A] 444.

3 3kollektiven - Glück des Menschen. Peirce kritisiert dieses Ziel mit dem Argument,

daß es sich bei Glück und Zufriedenheit nur um ein 'Beigefühl' handelt, das sich

einstellt, wenn man sein Ziel erreicht hat, aber nicht um ein eigentliches, inhaltlich

bestimmtes Ziel.28 "Eine ... Handlung könnte nach der hedonistischen Lehre kein

anderes Ziel haben als das, ihr eigenes Ziel zu befriedigen; das ist aber absurd"

(CP 5.561, [A] 495).

An diese Überlegungen knüpft nun Peirce' Hauptargument an: das einzige Ziel,

das unbegrenzt lange von allen Menschen verfolgt werden kann, ist die Evolution

der menschlichen Vernünftigkeit selbst ([1903b], CP 1.615; CP 8.141; [1903a], CP

5.433, [A] 448). Und dieses Ziel ist auch, wie Peirce eher emphatisch als

argumentativ nahelegt, das einzige Ziel, das wirklich an sich bewunderswert ist.

"Ich sehe nicht, wie man ein bewundernswerteres Ideal haben kann als die so

verstandene Entwicklung der Vernunft" ([1903b], CP 1.615). Man mag dieses

Ideal annehmen oder nicht; wesentlich ist, daß sich damit das Peircesche System

schließt. Die Identifikation mit der unbegrenzten Fortdauer der geistigen

Menschheitsentwicklung, die im Wert der Wissenschaft vorausgesetzt ist, wird

zum obersten Grundwert der Ethik unseres Handelns. Die Begründung der

Theorie-Praxis-These ist vollendet.

3.7 Eine zweite Übersicht

Wir fassen unsere bisherigen Einsichten in einer zweiten Übersicht

zusammen.

Bild

Legende:PrErkZiwS, PrMethT, PrMax, PrErkieS, PrDfW und PrDfR wie in der Abb. aus Kap. 2.4EV (experimentalistische Version der pragmatischen Maxime): Bedeutung = Summe vorausgesagterexperimenteller Gesetzmäßigkeiten.

28 [1877], CP 5.382, Anm. 31 (Zusatz 1903) [A] 180; CP 5.560-3, [A] 494; [1903b], CP 1.614, [1902-3a].

3 4PV (praktikalistische Version der pragmatischen Maxime): Bedeutung = Summe abgeleiteterHandlungsanweisungen unter möglichen Zwecken und UmständenWthMeth, D/I/A (Wissenschaftstheorie als Methodenwissenschaft, Deduktion, Induktion undAbduktion).WthNorm, WiEth (Wissenschaftstheorie als genuin normative Wissenschaft, wissens-schaftsimmenante Ethik).EthThPraxP (ethischer Theorie-Praxis-Parallelismus): Denken + Handeln basiert auf gleichenGrundwerten: Selbstkontrolle + Identifikation mit der rationalen Menschheit.ThPraxT (Theorie-Praxis-These): Die Verfolgung von PrErkZieS befriedigt langfristig auch diepraktischen Ziele der Menschen qua ethisch rationaler Wesen.Ästh, PrakEth (Ästhetik und praktische Ethik).Bezeichnung der Pfeile: Aw Anwendung, Vf Verfeinerung, St Stützung, Imp Implikation, BgrBegründung, Äq Äquivalenz, ZiVor Zielvorgabe, AngP Angelpunkt, normE normativeEinbettung.

Das Kernsystem aus Kap. 2.4. ist nun angewachsen zu einem vollständigen Bild

der Peirceschen pragmatischen Erkenntnistheorie. Darüber erhebt sich die

ethische Fundierung. Ausgehend von der Darstellung des Kernsystems in Kap.

2.4, spaltet sich PrMax nun in die beiden äquivalenten Versionen EV und PV auf.

EV, PrMethT sowie die Zielvorgabe PrErkZieS konstituieren zusammen Peirce'

Wissenschaftstheorie als Methodenwissenschaft WthMeth, also die Lehre von

der Deduktion, Induktion und Abduktion D/I/A. PV ist andererseits der

Angelpunkt für die Theorie-Praxis-These ThPraxT. ThPraxT wird auf komplexe

Weise begründet. Zunächst folgt aus PrErkZieS zusammen mit den Einsichten der

WthMeth eine wissenschaftsimmanente Ethik WiEth, i.e. eine Ethik des

Denkens, welche Peirce' Wissenschaftstheorie als genuin normative

Wissenschaft WthNorm konstituiert. Die Tatsache, daß die Grundwerte dieser

Ethik des Denkens - nämlich Selbstkontrolle und Identifikation mit der rationalen

Menschheitsentwicklung - sich als identisch erweisen mit den Grundwerten der

Peirceschen praktischen Ethik und Ästhetik, PrakEth und Ästh, begründet Peirce'

These des ethischen Theorie-Praxis-Parallelismus EthThPraxP. Dieser wiederum

liefert die Begründung der ThPraxT, derzufolge die Verfolgung des wissenschafts-

immanenten Ziels PrErkZieS zugleich die praktischen Ziele der Menschen

befriedigt, freilich nur unter der Voraussetzung, daß die Menschen als ethisch

rationale Wesen agieren, also die Werte der Selbstkontrolle und der Identifikation

mit der rationalen Menschheitsentwicklung in ihrem Handeln als Oberstwerte

akzeptieren. Zugleich wird auf diese Weise die wissenschaftsimmanente Ethik,

wie wir sagten, 'normativ eingebettet', d.h. deren 'Denkwerte' als Teile einer prak-

tischen Ethik ausgewiesen. An dieser normativen Einbettung sind alle drei

Elemente Ästh/PrakEth, EthThPraxP und ThPraxT gleichermaßen beteiligt. Übrig

bleiben die drei schon in Kap. 2.4 erwähnten Fragen an der methodologisch-

ontologischen Basis des Systems. Ihnen wenden wir uns nun zu.

4. Ontologische und methodologische Fundierung: Realismus und

Empirismus

3 54.1 Die Irreduzibilität des kontrafaktischen Konditionals in der pragmatischen

Maxime und der Modalitätenrealismus.

Der Verzicht auf den traditionellen erfahrungstranszendenten Realitätsbegriff

und die daran anknüpfende pragmatische Maxime haben es Peirce ermöglicht, den

großen Bogen zwischen Theorie und Praxis zu spannen, demzufolge der Theore-

tiker letztendes das im Denken tut, was der ethische Mensch im Handeln tut.

Doch kann die pragmatische Maxime dem typischen realistischen Weltbild der

Wissenschaften wirklich gerecht werden? Sobald man sie näher analysiert,

enthüllt sich eine fundamentale Schwierigkeit.

Bereits in [1878a] wird sie offenkundig. Gehen wir zurück zum Peirceschen

Beispiel, demzufolge die Bedeutung der Tatsache, daß dieser Diamant hart ist,

darin liegt, daß er von keinem Gegenstand, mit dem man ihn zu ritzen versucht,

geritzt wird. Die Härte des Diamanten wird also nur dann erfahrbar, wenn man ihn

einer gewissen experimentellen Bedingung unterwirft - nämlich daß man ihn zu

ritzen versucht. Was ist dann aber mit einem Diamanten, fragt Peirce, der Zeit

seiner Existenz nie mit einem anderen spitzen Körper in Berührung kam?

([1878a], CP 5.403, [A] 195). Ein solcher Diamant hat keinen einzigen faktischen

Effekt gezeitigt, der ihn von einem weichen Körper unterscheidet. Könnte man

gemäß pragmatischer Maxime dann von ihm nicht ebensogut sagen, daß er weich

war (ebd.)? Peirce dehnt diese Überlegung noch weiter aus: "Wir können …

fragen, was uns zu sagen hindert, daß alle harten Körper völlig weich bleiben, bis

sie berührt werden" (ebd.). Die Antwort, die Peirce hier gibt, ist irritierend: "An

dieser Redeweise würde nichts Falsches sein. Sie würde eine Abänderung

unseres jetzigen Sprachgebrauchs im Hinblick auf die Wörter hart und weich

einschließen, aber nicht eine Abänderung ihrer Bedeutung" (ebd., [A] 195f).

Peirce hat sich später wiederholt von dieser Passage distanziert.2 9

Interessanterweise hat er aber auch in seiner früheren Schrift [1873] - die im

wesentlichen dem Inhalt seines Vortrages im 'Metaphysical Club' entspricht - die

gegenteilige Ansicht vertreten. Vermutlich wollte Peirce in der zitierten [1878a]-

Passage der empiristischen Gesinnung seiner Mitstreiter im Metaphysical Club,

oder der des Publikums, ein Stück entgegenkommen,30 entgegen seiner sonst

üblichen Auffassung; entdeckte dann aber, daß dieses 'Entgegenkommen' letztlich

sein System ruinieren würde, woraufhin er die Passage vehement widerrief. Es ist

29 Kurz vor dieser Stelle heißt es in der 1903 hinzugefügten Anm. 18 (CP 5.402, [A] 211): "Hier einelange Einfügung, die das widerlegt, was als nächstes kommt". In [1905b], CP 5.453, [A] 467f,widerruft Peirce seine [1878a]-Passage.

30 In [1905b] (CP 5.4453, [A] 467) spricht Peirce von der "Realität gewisser Möglichkeiten",welche das direkte Gegenteil der [1878a]-Passage implizieren (dazu s. unten im Text), und meintdann: "Der Artikel vom Januar 1878 bemühte sich, über diesen Punkt [die Realität vonMöglichkeiten - d.A.] hinwegzugehen, da er für die breite Öffentlichkeit, an die dieser Artikelsich wandte, unpassend schien; oder vielleicht war sich der Verfasser selbst noch nicht im klaren".

3 6leicht zu sehen, warum die oben zitierte [1878a]-Deutung in der Tat den

Peirceschen Pragmatismus ruinieren würde. Dessen grundlegendes Anliegen war

es ja, zu zeigen, daß auf pragmatischer Basis jener objektive Begriff der Wahrheit

und der Realität etabliert werden kann, auf den sich die Wissenschaften stützen.

Würde nun aber die Härte des Diamanten davon abhängen, ob man ihn zu ritzen

versucht oder nicht, so wäre sie keine objektive Eigenschaft des Diamanten mehr,

sondern hinge von den Handlungen einzelner Menschen ab. Mithin, die 'Realität'

des Diamanten wäre subjektabhängig. Könnte man pragmatisch also nicht unter-

scheiden zwischen der Behauptung, der Diamant sei hart, sofern er von einem

anderen Körper berührt wird, andernfalls weich, und der Behauptung, der Diamant

sei immer hart, unabhängig davon, ob er berührt wird, so könnte man also

pragmatisch gar nicht zwischen einer objektiv-realistischen und einer subjektiv-

antirealistischen Position unterscheiden. Der Unterschied zwischen einem objek-

tiven und einem subjektiven Realitätsbegriff wäre nur mehr ein 'Unterschied der

Sprechweise'. So aber kann der Pragmatismus niemals einen objektiven

Realitätsbegriff etablieren.

Genau dasselbe Problem läßt sich aber auch für den Peirceschen

Realitätsbegriff aufwerfen. Die empirisch-praktischen Effekte der Realität liegen in

der Konvergenz der menschlichen Meinungen zum Letztkonsens hin. Eine solche

Konvergenz kann freilich nur stattfinden, solange es Menschen gibt. Welcher

pragmatischer Bedeutungsunterschied besteht dann also zwischen den beiden

Behauptungen "Es gibt eine Realität" und "Es gibt eine Realität nur, solange es

Menschen gibt, andernfalls nicht"? Da die beiden Behauptungen sich in keiner

einzigen empirischen Implikation unterscheiden, müßte man gemäß obiger

Deutung ebenfalls sagen, es läge hier nur ein Unterschied der Sprechweise vor.

Daß aber die Realität nur existiert, wenn es Menschen gibt - z.B. das Universum

vor der Existenz der Menschen gar nicht existierte - ist ein extremer erkenntnis-

theoretischer Solipsismus, ganz unvereinbar mit dem wissenschaftlichen Weltbild.

Dennoch müßte man schließen, daß der Pragmatismus einem solchen Solipsismus

nichts entgegenhalten kann.

Denken wir die Sache logisch ein wenig gründlicher durch, so wird sie noch

schlimmer. Wir sprachen oben davon, daß die beiden Sprechweisen "ein

unberührter Diamant ist hart" und "ein unberührter Diamant ist weich"

pragmatisch bedeutungsgleich seien. Das bedeutet aber genau genommen nicht,

daß der Pragmatist sich eine davon 'aussuchen' darf, sondern vielmehr, daß er,

wenn er die eine als wahr anerkennt, auch die andere als wahr anerkennen muß.

Er muß also sagen, ein ungeritzter Diamant ist hart und weich. Man könnte jedoch

noch eine 'dritte' pragmatisch erlaubte Sprechweise einführen - daß ein ungeritzter

Diamant weder hart noch weich ist. Ein Diamant, der nicht geritzt wird, muß also

pragmatisch entweder hart und weich, oder weder hart noch weich, genannt

3 7werden. Wenn er aber geritzt wird, muß er pragmatisch hart und nicht weich

genannt werden. Damit ergibt sich aber in jedem Fall, unabhängig von allen

Sprechweisen, daß sich die Natur des Diamanten ändert, sobald man ihn ritzt. Die

genauere logische Analyse zeigt also, daß die obige Deutung der pragmatischen

Maxime auf tiefere Ebene in jedem Fall einen Antirealismus implizieren würde.

Und dasselbe würde dann für den Realitätsbegriff gelten: die Natur der Realität

hinge in jedem Fall davon ab, ob es Menschen gibt.

Man sieht, wie groß die Bedrohung ist, die von diesem Problem ausgeht. Es

würde im Falle seiner Unlösbarkeit das Peircesche System in einen solipsis-

tischen Subjektivismus zusammensacken lassen. Und dennoch hat Peirce bereits

in [1878a] die Wurzel zur Lösung dieses Problems gelegt. Sie liegt in dem

erwähnten Würde, dem kontrafaktischen Konditional. Die pragmatische Maxime

ist, wie Peirce später erläuterte, im Sinne dieses kontrafaktischen Konditionals zu

verstehen: die Bedeutung liegt in den Wirkungen, die der Gegenstand des Begriffs

unter gewissen Bedingungen haben würde, auch wenn diese Bedingungen faktisch

nicht, oder gar nie, eintreten. "Die Frage [ist - d.A.] nicht …, was tatsächlich

geschah, sondern … ob jener Diamant einem Versuch, ihn zu ritzen,

widerstehenwürde "([1905b, CP 5.453, [A] 468). Und in [1873] heißt es

sinngemäß: Ob wohl die Härte des Diamanten vollständig durch sein Verhalten

gegenüber Gegenständen konstituiert wird, mit denen man ihn zu ritzen versucht,

so beginnt der Diament doch nicht erst hart zu werden, wenn man ihn mit einem

anderen Gegenstand zu ritzen versucht; vielmehr ist er die ganze Zeit hart, seit er

zu existieren begann. Um hart zu sein, ist es also nicht erforderlich, daß der

Diamant tatsächlich zu ritzen versucht wird, i.e. von einem spitzen Gegenstand

gerieben wird, sondern nur, daß es zumindest möglich ist, ihn mit einem spitzen

Gegenstand zu reiben, und daß er in einem solchen, möglicherweise kontra-

faktischen Fall mit Notwendigkeit nicht geritzt worden wäre (CP 7.340). Ebenso

hat Peirce ja schon, wie in Kap. 2.3 ausgeführt, Realität als Gegenstand des

Letztkonsenses definiert, den die zeitlich unbegrenzte Forschergemeinschaft mit

Sicherheit erreichenwürde, und möglicherweise erreichen wird, obwohl wir faktisch

nicht wissen können, ob die Menschheit vorher ausstirbt oder nicht.

Damit gelangen wir zu folgender Interpretation von Peirce' pragmatischer

Maxime: Die Bedeutung einer Proposition "x ist ein F" wird wiedergegeben durch

eine Menge von generellen kontrafaktischen Konditionalen der Form: "wenn x in

experimentellen Umständen U wäre, würde x immer (oder mit der und der Wahr-

scheinlichkeit) so und so reagieren". Ein solches Konditional gibt eine allgemeine,

deterministische oder probabilistische Gesetzmäßigkeit bzw. Notwendigkeit

wieder, die nicht auf eine materiale Allimplikation reduzierbar ist, insofern das

Zutreffen dieser Gesetzmäßigkeit unabhängig davon ist, ob das Vorderglied, die

experimentellen Umstände, jemals faktisch erfüllt sind oder nicht. Es ist bloß

3 8erforderlich, daß das Eintreten der experimentellen Umstände möglich ist. Peirce

pragmatische Maxime macht also von den Modalitäten der Möglichkeit und der

Notwendigkeit essentiell Gebrauch. Dabei handelt es sich natürlich nicht um

logische, sondern um metaphysische, i.e. naturgesetzliche Modalitäten (s. CP

1.483, sowie Kap. 4.2). Voralledem aber aber handelt es sich, wie Peirce betont,

nicht um subjektive Modalitäten - also um Möglichkeit und Notwendigkeit relativ

zu unserem Wissensstand - sondern um ob jek t i ve Modalitäten, um

Notwendigkeiten und Möglichkeiten, die in der Natur real vorhanden sind

([1905b], CP 5.455, [A] 469f). Denn andernfalls würde der Pragmatismus ja

wiederum in den erwähnten subjektivistischen Solipsismus kollabieren. "[Der

Pragmatizist - d.A.] ist daher verpflichtet, die Lehre von der realen Modalität, die

reale Notwendigkeit und reale Möglichkeit einschließt, zu unterschreiben" (ebd.,

CP 5.457, [A] 473). Wir nennen dies den Peirceschen Modalitätenrealismus.

Diese realen Modalitäten sind nun aber, wie eine kurze Überlegung zeigt,

offenbar nicht mehr auf das reduzierbar, was man üblicherweise unter den

empirischen Fakten versteht. Denn ein harter und ein weicher Gegenstand, die nie

zu ritzen versucht wurden, haben sich Zeit ihres Lebens faktisch gleich verhalten.

Dennoch wäre es möglich gewesen, sie zu ritzen zu versuchen, und dann wäre

der harte Gegenstand geritzt worden, der weiche jedoch nicht. Daher sagt auch

Peirce: "Keine Anhäufung von tatsächlichen Ereignissen kann jemals die

Bedeutung eines solchen "würde-sein" vollständig wiedergeben" ([1907], CP

5.467, [A] 504). Jedoch noch mehr: das "würde-sein" ist nicht nur nicht auf die

Summe der beobachteten Fakten reduzierbar, es ist auch nicht auf das redu-

zierbar, was daraus durch bloße empirisch-induktive Verallgemeinerung

erschließbar ist. Denn alles, was wir aus einem Gegenstand, der Zeit seines

Lebens nie mit einem anderen Gegenstand in Berührung kam, hinsichtlich seiner

Ritzbarkeit empirisch-induktiv erschließen können, ist eben die Tatsache, daß er

nie einem anderen Gegenstand in Berührung kam. Freilich könnten wir, wie Peirce

in [1905b] (CP 5.457, [A] 472) ausführt, versuchen, in diesem Fall den harten

vom weichen Gegenstand durch andere Eigenschaften unterscheiden - doch auch

diese Eigenschaften könnten, als kontrafaktische Konditionale analysiert, aufgrund

des Nichtvorliegens ihrer experimentellen Bedingungen unzugänglich sein. Man

denke nur an einen Diamanten am Grunde des Meeres, von dem Zeit seines

Existenz keiner Menschenseele Kenntnis hatte - dennoch ist auch dieser

Diamant, wie jeder andere, hart.31

Peirce hat in seiner Analyse der pragmatischen Maxime im Grunde die

31 Obwohl Peirce' Äußerungen nicht immer ganz klar sind, und in ihm scheinbar einen inneren'geistigen Kampf' bzgl. der Frage der Akzeptanz dieser Modalitäten stattfand (vgl. CP 5.545 in[1902b], [A] 331f), so geht doch aus der Summe seiner Schriften eindeutig hervor, daß dieseInterpretation korrekt ist. Vgl. auch [1905b], CP 5.457, [A] 472: "Ist es nicht eine monströseVerkehrung des … Begriffes real, zu sagen, der Zufall, daß der Diamantspat nicht rechtzeitigeintraf, habe die Härte des Diamanten daran gehindert, … Realität zu haben?".

3 9gesamte moderne wissenschaftstheoretische Debatte um die Problematik der Dis-

positionsbegriffe und der Gesetzesartigkeit vorweggenommen. Die Einsicht von

Carnap war es ja, daß Dispositionsbegriffe, wie z.B. "x ist hart", nicht durch

empirische Allimplikationen definierbar sind. Ebenso hat Goodman gezeigt, daß

echte Naturgesetze nicht auf bloße empirische Allimplikationen zurückführbar

sind. Das Problem war die Einsicht, daß empirische Allimplikationen auch bloß

'zufällig' wahr sein können, genau dann nämlich wenn ihr Vorderglied leer ist - wie

beim nie berührten Diamanten. Beides, Dispositionsbegriffe wie gesetzesartige

Allsätze, hat man daher versucht, mithilfe von kontrafaktischen Konditionalen zu

explizieren. Das heißumstrittene Problem dabei war eben die Tatsache, daß die

Bedeutung letzterer sich nicht in empirischen Fakten erschöpft - sie sind, wie man

in logischer Terminologie auch sagt, nicht 'extensional', sondern 'intensional'. Man

sieht wieder, wie weit Peirce seiner Zeit voraus war. Da eine sinnvolle Analyse

kontrafaktischer Konditionale auch heute noch ein unbewältigtes Problem

darstellt, gewinnt die Lösung, die Peirce im folgenden anbietet - auch wenn sie

nicht ganz zufriedenstellen mag - hohe Aktualität.

Peirce versucht zunächst, seinen Modalitätenrealismus als Konsequenz des

von der pragmatischen Realitätsdefinition implizierten Universalienrealismus

auszuweisen und dadurch zu rechtfertigen (vgl. [1905b], CP 5.453, [A] 467). Doch

dies ist nicht überzeugend. Der Universalienrealismus impliziert nämlich noch

keineswegs den starken Modalitätenrealismus, demzufolge dem "Würde" nicht

nur 'irgendetwas' Reales entspricht, sondern etwas, das sich nicht in empirischen

Regelmäßigkeiten erschöpft. Im Gegenteil, der Modalitätenrealismus scheint

sogar in einem Konflikt zur pragmatischen Maxime zu stehen. Eine kurze

Überlegung zeigt dies. Nachdem das kontrafaktische Konditional über die

induktive Verallgemeinerung empirischer Einzelfakten hinausgeht, muß es, gemäß

Peirce' Logik, offenbar durch Abduktion gewonnen worden sein.32 Die Bedeutung

abduktiver Begriffe wird in Peirce' System aber durch die pragmatische Maxime

definiert. Sobald wir aber versuchen, die Bedeutung des "Würde" gemäß der prag-

matischen Maxime durch seine empirischen Effekte zu erklären, landen wir genau

bei der Schwierigkeit, von der wir ausgingen. Denn die beiden Behauptungen

"dieser nie berührte Gegenstand würde, wenn berührt, geritzt werden", und

"dieser nie berührte Gegenstand würde, wenn berührt, nicht geritzt werden"

unterscheiden sich ja - dies war die Ausgangsschwierigkeit - durch keinen ein-

zigen vorausgesagten empirischen Effekt. Wollte man also das "Würde" durch die

pragmatische Maxime weiter 'reduzieren', so wäre die Konsequenz wieder die

Auffassung, daß es sich hier nur um 'zwei Sprechweisen' mit gleicher Bedeutung

handle, was den Peirceschen Pragmatismus zum Einsturz brächte.

Es gibt in dieser Situation nur zwei Möglichkeiten. Entweder, das "Würde"

32 Vgl. CP 1.168; sowie [1903a], CP 5.211, [A] 417.

4 0wird als irreduzibles Element von der pragmatischen Maxime explizit ausge-

nommen. Dann hätte aber der Pragmatismus an Kohärenz beträchtlich eingebüßt,

insofern sich nun in seinen Kern ein 'metaphysisches', i.e. nicht durch seine

empirisch-praktischen Effekte explizierbares Element eingeschmuggelt hätte. Oder

aber, man versucht zu zeigen, daß das 'Würde', obwohl nicht auf empirische

Fakten reduzierbar, doch in 'irgendeiner' Weise in unserer Erfahrung enthalten ist.

Dies würde freilich bedeuten, daß der Begriff der 'Erfahrung' gegenüber seiner

üblichen empiristischen Interpretation wesentlich erweitert werden muß. Wie wir

unten sehen werden, beschreitet Peirce diesen letzteren Weg, den wir seinen

Hyperempirismus nennen. Vorher wollen wir das bisher Gesagte durch einen Blick

auf Peirce' Ontologie und Methodologie vertiefen.

4.2 Die Ontologie der Erstheit, Zweitheit und Drittheit

Wie Peirce in seiner Phänomenologie zu zeigen versucht, lassen sich an allen

Phänomenen drei grundlegende Seinsformen aufweisen, welche durch drei

universale ontologische Kategorien bezeichnet werden. Die Kategorie der Erstheit

bezeichnet etwas, das so ist, wie es ist, ungeachtet alles anderem. Die der

Zweitheit bezeichnet etwas, das so ist, wie es in Hinblick auf ein anderes ist; sie

bezeichnet, anders gesprochen, etwas insofern es auf ein anderes reagiert. Die

Kategorie der Drittheit schließlich bezeichnet etwas, das sich als ein drittes

vermittelndes Element bzw. als eine Verbindung zwischen ein Erstes und ein

Zweites schiebt ([1903a], CP 5.66, [A] 358).33 Daß es sich bei diesen Kategorien

um eine erschöpfende Liste handelt, glaubt Peirce in seiner Relationenlogik

nachgewiesen zu haben, derzufolge sich alle höherstelligen Relationen zwischen

Elementen auf ein-, zwei- und dreistellige zurückführen lassen, wogegen es sich

bei den letzteren um irreduzible Grundrelationen handelt ([1907], CP 5.469, [A]

507; [1903c]).

Konkretisieren wir diese Kategorien anhand einiger Peircescher Beispiele.

Eine Erstheit ist z.B. eine unmittelbar gegenwärtige Gefühlsqualität, wie der

"Duft von Rosenöl" ([1903a], CP 5.44, [A] 346; CP 5.66, [A] 358). Bei Erstheiten

handelt es sich also um wahrnehmbare Qualitäten an sich betrachtet, ohne daß

diese irgendwo raumzeitlich individuiert wären. Insofern sind Erstheiten, wie

Peirce auch sagt, bloße 'Möglichkeiten ([1894], CP 1.303-4). Zweitheiten sind alle

Paare von individuellen Dingen, die sich in momentaner Wechselwirkung befinden.

Alle unsere Erfahrungen, Wahrnehmungen von Außenobjekten, aber auch die

33 Wie Peirce bemerkt, wurden seine drei Kategorien zuerst von Hegel aufgestellt ([1903a], CP 5.43,[A] 346). Dennoch grenzt sich Peirce von Hegel markant ab; inbesondere weil dieser von derLogik kaum Gebrauch machte (vgl. CP 5.332), und weil er letztlich nur die Drittheit alseigenständige Kategorie anerkannte ([1903a], CP 5.44, [A] 346); [1905a], CP 5.436, [A] 451;u.a.m.).

4 1Handlungen, die wir an ihnen verrichten, sind Beispiele von Zweitheit ([1903a],

CP 5.45-52, [A] 347-354; CP 1.317-336). Eine individuelle Wahrnehmung, oder die

individuelle Wirkung einer Kraft ist Beispiel einer Zweitheit, aber auch alle

individuell und aktual existierenden Objekte sind im Modus der Zweitheit,

insofern ihre Existenz sich nur in ihren aktuellen Wechselwirkungen mit anderen

Objekten äußert ([1905a], CP 5.429, [A] 445).

Eine Drittheit dagegen ist nichts Individuelles, sondern etwas Allgemeines -

ein kontinuierlich und überall wirkendes Gesetz (CP 1.337). Beispielsweise ist

nicht eine individuelle Kraftwirkung, aber die überall gegenwärtige

Gravitationskraft eine Drittheit ([1903a], CP 5.107, [A] 381; [1902-3c]). Die

Drittheit ist die Seinsform, die dem Peirceschen Modalitätenrealismus zugrunde-

liegt, die der realen Möglichkeit und Notwendigkeit. Jede abduktive eingeführte

und gemäß der pragmatischen Maxime analysierte Eigenschaft, wie etwa die

"Härte", ist, insofern sie ein gesetzmäßiges Verhalten impliziert, eine Drittheit

([1905a], CP 5.431-2, [A] 447f). Aber nicht nur ein allgemeines Naturgesetz,

sondern - und voralledem - jede semantische Zeichenrelation, ist Beispiel für eine

Drittheit, insofern das Zeichen (oder 'Representamen) vermittels seiner

Bedeutung (seinem 'Interpretant') ein Objekt bezeichnet (CP 1. 541, 2.303,

[1903a], CP 5.89, [A] 372). Peirce verwendet die semantische

Repräsentationsrelation als bevorzugtes Beispiel für Drittheit ([1903a], CP 5.66,

[A] 358). Er ist der Meinung, daß es sich bei der semantischen Beziehung

zwischen einem Zeichen und seinem Objekt und der kausalen Beziehung

zwischen Ursache und Wirkung letztlich um denselben Typ einer allgemeinen und

real wirksamen Kraft, eben einer Drittheit handelt ([1903a], CP 5.105-7, 119; [A]

380-2). Grundsätzlich ist alles, was gemäß der pragmatischen Realitätsdefinition

als real bezeichnet werden kann, i.e. worauf die Forschungsmeinungen gesetzes-

mäßig hinkonvergieren, im Modus der Drittheit ([1903a], CP 5.121, [A] 383f).

Die Lehre der Erst-, Zweit- und Drittheit geht auch in Peirce' Semiotik ein. Die

Bedeutung jedes Satzes involviert - in mehr oder minder starkem Ausmaß, einen

Aspekt der Erstheit - sein ikonischen Gehalt, einen der Zweitheit -

seinindexikalischen Gehalt, und einen der Drittheit - seinrational-symbolischer

Gehalt.34 Der ikonische Gehalt ist z.B. eine Sinnesqualität, wie "blau", oder ein

geistiges Vorstellungsbild; der indexikalische Gehalt ist eine konkrete

Raumzeitstelle, ein "dies da". Jeder Satz involviert, am 'letzten Ende' der

pragmatischen Bedeutungskette, einen solchen ikonischen und indexikalischen

Gehalt (vgl. Anm. 34). Dieser Gehalt, so betont Peirce, wird durch die prag-

34 Zur grundsätzlichen Lehre von Ikon, Index und Symbol s. CP 2.274 - 308; [1903a] CP 5.73-76, [A]362-64. Man beachte aber, daß bei Peirce auch ein konventionell-symbolisches Zeichen ikonischenund indexikalischen Bedeutungsgehalt hat. Siehe hierzu: CP 2.438; [1903a], CP 5.76, [A] 364;sowie Scherer (1984), Kap. 2.3.1-2.3.3.

4 2matische Maxime nicht festgelegt.35 Sie fixiert lediglich den rational-symbolischen

Gehalt von Sätzen, in Form der vom Satz implizierten gesetzesmäßigen

Wirkungskette, mithilfe derer sich die Bedeutung des Satzes letzten Endes auf

eine konkrete Erfahrung bezieht. Damit können wir auch in Peirce' Ontologie die

pragmatische Maxime topologisch lokalisieren: sie ist für den Aspekt der Drittheit

zuständig.

Wir sahen, wie Peirce den Modalitätenrealismus, der sich als unentbehrliches

Element der pragmatischen Maxime erwies, in seiner Ontologie zu untermauern

versucht. Notwendigkeiten und Möglichkeiten sind eine grundlegende Seinsform

der Realität, die der Drittheit. Es handelt sich dabei um in der Realität vorhandene

allgemeine Gesetzmäßigkeiten, in Form von überall anwesenden aktiven Kräften.

Damit wird Peirce zugleich ein strikter Anti-Humeaner, ein Vertreter des kausalen

Realismus. Die Frage ist natürlich, wie diese stark metaphysische Lehre der

Drittheiten mit dem Pragmatismus vereinbar ist, und wie oben schon angedeutet,

liegt Peirce' Lösung nicht darin, die Drittheiten einfach als ein vom

Anwendungsbereich der pragmatischen Maxime ausgenommenes metaphysisches

Element vorauszusetzen, sondern sie mithilfe eines gewissen 'Hyperempirismus'

doch auf die Erfahrung zurückzuführen. Bevor wir uns diesem Hyperempirismus

zuwenden, müssen wir erst einmal Peirce' Empirismus kennenlernen.

4.3 Der Empirismus und der empiristische Realitätsbegriff

Bereits in Kap. 2.4 hatten wir zwei kritische Fragen gestellt. Die erste betraf

die pragmatische Definition der Realität. Wie wir sahen, gibt es keinen Beweis

dafür, daß es eine Realität im Sinne der pragmatischen Definition überhaupt gibt,

weil nicht beweisbar ist, daß die Forschermeinungen konvergieren, Die zweite

Frage betraf die Methodenthese: warum ist gerade die empirische Methode der

Wissenschaften die einzige erfolgreiche Methode der Meinungsfestlegung? Jetzt,

wo wir einen hinreichenden Einblick in Peirce' Gesamtsystem gewonnen haben,

sind wir in der Lage, diese Fragen zu beantworten. Die Antwort liegt in Peirce'

Empirismus.

Zunächst zur ersten Frage. Wenn es keinen Beweis für das Konvergieren der

Meinungen gibt, so muß es doch einen plausiblen Grund geben; warum sollte

Peirce sonst so optimistisch gewesen sein? Schon in [1871] betont Peirce, es

müsse doch so etwas wie das Reale geben, "denn wir finden, daß unsere

Meinungen einem Zwang unterworfen sind" (CP 8.12, [A] 114). Dieser Zwang

aber geht von der Erfahrung aus, die Peirce [1885] (CP 8.43, [A] 259) als

"äußeren Zusammenprall" bezeichnet, da ihr Wesen darin besteht, daß uns in der

35 [1907], CP 5.467, [A] 503f; sowie [1905a], CP CP 5.429, [A] 444f.

4 3Wahrnehmung etwas, das wir nicht erwarteten, aufgezwungen wird.36 In der

Wahrnehmung von etwas Unerwartetem erfahren wir, so Peirce, die Dualität von

"Ego und Non-Ego" ([1903a], CP 5.52, [A] 354); "die Realität der Außenwelt

bedeutet nichts außer jener realen Erfahrung der Dualität" ([1902b], CP 5.539,

[A] 322; CP 8.144). In der Wahrnehmung also erfahren wir, daß eine von uns

unabhängige Realität existiert. Wir nehmen, in Peircescher Terminologie, die Rea-

lität im Modus ihrer Zweitheit wahr: Existenz ist die Seinsform der Realität als

Zweitheit ([1902-3c], CP 1.532).

Damit erkennen wir nun aber einen neuen Peirceschen Realitätsbegriff. Die

Realität kommt nicht bloß als Gegenstand des in ferner Zukunft liegenden

Letztkonsens der Forschergemeinschaft ins Spiel. Sie taucht auch als dasjenige

auf, dessen Existenz in der Wahrnehmung erfahren wird. Wir wollen diesen

letzteren Peirceschen Realitätsbegriff den empiristischen nennen. Zusammen-

fassend können wir festhalten: In der Wahrnehmung erfahren wir Realität als

Zweitheit - wir erfahren, daß eine subjektunabhängige Realität existiert, ohne sie

dabei jedoch ihren Eigenschaften zu begreifen. Als Drittheit, d.h. als in ihren

Eigenschaften begriffene, ist Realität dagegen erst durch den Letztkonsens der

Forschergemeinschaft bestimmt (vgl. auch CP 8.300).

Die Frage nach Peirce' Optimismus bzgl. des Zustandekommens eines

Letztkonsenses beantwortet sich damit von selbst. Denn daß irgendeine subjekt-

unabhängige Realität existiert, wird ja bereits in der Wahrnehmung erfahren.

Daher ist die Hoffnung, wenn auch nicht beweisbar, so doch berechtigt, daß die

wissenschaftliche Forschung, welche sich ja auf die Wahrnehmungen beruft, diese

Realität auch erkennen kann, also letztlich zu einem Konsens finden wird, als

deren Gegenstand dann die Realität in nicht bloß existenzieller, sondern inhaltlich

bestimmter Weise definierbar ist. Damit beantwortet sich auch zugleich unsere

zweite Frage, warum, gemäß Peirce' Methodenthese, es gerade die

wissenschaftliche Methode sein soll, die allein unsere Meinungen zum Konsens

bringen kann. Eben weil diese Methode ihre Hypothesen an dem überprüft, worin

wir von der Realität erfahren - an den Sinneswahrnehmungen. Dementsprechend

hat Peirce seinen Pragmatismus durch eine empiristische Methodologie

untermauert, die der ausgezeichneten Stellung der Wahrnehmungsurteile im

wissenschaftlichen Erkenntnisprozess gerecht werden soll. All unser Wissen,

sagt der frühe wie der späte Peirce, beruht letztlich auf unseren Sinnes-

erfahrungen; nur von ihnen hängt es schlußendlich ab, zu welcher Konklusion wir

gelangen.37 Dies begründet sich durch Peirce' feste Überzeugung, daß

Wahrnehmungen tatsächlich intersubjektiv sind - d.h. daß verschiedene

Personen, die mit hinreichender Konzentration dasselbe sinnliche Phänomen

36 [1902b], CP 5.539, [A] 321-3; [1903a], CP 5.45, [A] 348f.37 [1868a], CP 5.255, [A] 32; [1873], CP 7.328; [1903a], CP 5.142, [A] 391), CP 6.327.

4 4betrachten, tatsächlich auch dasselbe sehen, und sofern sie dieselbe Sprache

sprechen, zu übereinstimmenden Wahrnehmungsurteilen gelangen ([1903a], CP

5.118, [W] 151f; 5.186, [A] 407). Diese Intersubjektivität von Wahrnehmungen

begründet ja letztendlich erst die These, daß wir in ihnen die Existenz einer

subjektunabhängigen Realität erfahren.

Dabei war Peirce sich durchaus bewußt, unsere Wahrnehmung nicht frei von

'theoretischen' Interpretationen sind, die sozusagen in unseren Wahrnehmungs-

apparat eingebaut sind ([1903a], CP 5.184f, [A] 405).38 "Der abduktive Schluß

[geht - d.A.] allmählich ins Wahrnehmungsurteil über", wie Peirce ganz

'kuhnianisch' sagt. Der entscheidene Unterschied zwischen einer Wahrnehmung

und einer abduktiv erschlossenen theoretischen Hypothese liegt darin, daß wir

unsere Wahrnehmungen (bzw. 'Perzepte') nicht kontrollieren können; sie zwingen

sich uns einfach auf, wir können sie nicht leugnen, und daher auch nicht wirklich

kritisieren. 39 Aber auch unsere Wahrnehmungsurteile, insofern sie den Inhalt

einer bestimmten Wahrnehmung beschreiben, zwingen sich uns auf, sind

unkontrollierbar und daher nicht kritisierbar, sagt Peirce (Anm. 39). Heißt dies,

daß Peirce an dieser Stelle mit seinem Fallibilismus in Konflikt kommt? Nein, denn

es ist freilich nicht sicher, so Peirce, daß wir in unseren Wahrnehmungen

tatsächlich die Realität wahrnehmen; es könnte sich auch um eine Halluzination

handeln ([1902-3d], CP 2.142). Und wir können versuchen, dies indirekt zu über-

prüfen - etwa indem wir zu einem späterem Zeitpunkt neue Wahrnehmungen des-

selben Phänomens machen, oder indem wir unsere Wahrnehmungen mit denen

anderer Personen vergleichen, oder indem unser Gesetzeswissen heranziehen

(ebd.). Was Peirce nur sagen will, ist, daß wir ein Wahrnehmungsurteil wie "zu

diesem Zeitpunkt sah ich das und das", insofern es sich auf eine bestimmte

Wahrnehmung bezieht, nicht revidieren können, da die Wahrnehmung - ob es sich

nun um eine Realwahrnehmung oder eine Halluzination handelte - tatsächlich

stattfand und nicht mehr geleugnet werden kann.40 Zusammenfassend sind nach

Peirce also Wahrnehmungen bzw. die sie direkt repräsentierenden Wahrneh-

mungsurteile der Ausgangspunkt der Erkenntnis ([1873], CP 7.330; [1903a], CP

5.116, [W] 149-51). An ihnen werden alle anderen Hypothesen überprüft, während

sie ihrerseits nicht direkt kritisierbar, sondern höchstens indirekt, mithilfe weiterer

Wahrnehmungen und theoretischer Hypothesen, überprüfbar sind.

Wir sehen also, daß sich Peirce zu einem empiristischen Fundamentalismus

bekennt, demzufolge die Erfahrung der privilegierte Ausgangspunkt der

38 Dies hatte Peirce schon in seinen Frühschriften betont ([1868a], CP 5.216-224, [A] 15-21), darausjedoch den Schluß gezogen, daß es keinen 'Ausgangspunkt' der Erkenntnis gibt (ebd., CP 5.259ff,[A] 33ff), was er später ausdrücklich widerruft (s. [1903a], CP 5.181, [A] 404f).

39 [1903a, CP 5.115-6, [W] 147-51; CP 5.195, [A] 407; [1902-3d]; [1905d], CP 7.615-627.40 [1903a], CP 5.115, [W] 149. Peirce' Begriff des Wahrnehmungsurteil kommt übrigens dem

ziemlich nahe, was Schlick "Konstatierung" nannte.

4 5Erkenntnis ist. Aus der Perspektive der Peirceschen Realitätskonzeption ist das

freilich nicht verwunderlich - ist es doch die Erfahrung, in der die Existenz der

Realität zutagetritt. Wir können jedoch nie sicher wissen, ob wir in einer Einzel-

wahrnehmung tatsächlich die Realität erfuhren, oder nur halluzinierten. Dies muß

sich erst durch die Konstruktion der begriffenen Realität qua Gegenstand des

Letztkonsenses bestätigen.

Man wird fragen - hat Peirce durch die Einführung der empiristischen Realität

nicht insgeheim eine Realität im traditionellen Sinn, ein Ding-an-sich

eingeschmuggelt, das er durch seinen Pragmatismus ja überwinden wollte? Was

die empiristische Realität vom Ding-an-sich unterscheidet, so Peirce, ist ihre

Erfahrungsimmanenz - sie bezeichnet ja nur das in unserer Erfahrung enthaltene

"Non-Ego", i.e. die Tatsache, daß wir die Existenz von Phänomenen erfahren, die

von unserem Willen unabhängig sind ([1902-3d], CP 2.140). Was die Realität

dagegen inhaltlich ist, kann nur vom pragmatischen Realitätsbegriff, als Endpro-

dukt des Forschungsprozesses, bestimmt werden. So weit, so gut - allein, wir

stehen nun vor einem neuen Problem. Es gibt bei Peirce zwei Realitätskonzepte.

Wie hängen diese beiden zusammen?

4.4 Die Synthese des empiristischen und des pragmatischen Realitätsbegriffs:

Realität als Dispositionsbegriff

Bereits in [1873] (CP 7.339-45) hat Peirce versucht, diese beiden Realitäts-

begriffe zu vereinen. Es handelt sich in beiden Fällen, so Peirce, um dieselbe

Realität, die bloß in zwei verschiedenen Seinsweisen auftaucht: als Gegenstand

der Wahrnehmung in ihrer Zweitheit bzw. Existenz, als Endprodukt der

Forschung in ihrer Drittheit. Aber führt das nicht in ein Paradox? - so fragt Peirce

(ebd., CP 7.340). Wie kann die Realität als das Endprodukt unseres Denkens

zugleich die Ursache unserer Sinneswahrnehmungen sein, die ihrerseits den

Ausgangspunkt alles Denkens bilden? "Es scheint zunächst zweifellos paradox zu

sein, daß 'das Objekt unserer letzten Überzeugung, welches nur aufgrund dieses

Überzeugung existiert, zugleich diese Überzeugung verursacht haben sollte' "

(ebd.). Dennoch gibt es viele Fälle, so Peirce, wo wir eine ganz ähnliche

Auffassung vetreten - nämlich bei allen Dispositionsbegriffen (wie man modern

sagen würde). Peirce zieht einen Vergleich mit der mittlerweile vieldiskutierten

Härte des Diamanten. Die Härte des Diamanten wird logisch gesehen allein durch

die Tatsache konstituiert, daß er, wenn er mit einem spitzen Gegenstand gerieben

werden würde, nicht geritzt werden würde. Dennoch glauben wir nicht, daß der

Diamant erst dann hart wird, wenn er gerieben wird. Vielmehr war er schon die

ganze Zeit hart; ja und eben diese seine Härte ist die Ursache dafür, daß er, wenn

gerieben, nicht geritzt wird (ebd.). In derselben Weise verfahren wir, wie Peirce

4 6weiter ausführt, auch mit anderen Dispositionsbegriffen (CP 7.341-343). Und

genau derselbe Fall, so Peirce' Argument, liegt bei der Realität vor: die Realität

wird logisch gesehen allein dadurch konstituiert, daß ein Letztkonsens über sie

zustandekommt. Dennoch glauben wir nicht, daß die Realität erst dann zu

existieren anfängt, wenn der Letztkonsens erreicht ist. Vielmehr hat sie die ganze

Zeit existiert; ja und sie ist die Ursache dafür, daß der Forschungsprozess zu

einem Letztkonsens geführt hat (ebd., CP 7.344).

Wir können zusammenfassend festhalten: Peirce verbindet den empiristischen

mit dem pragmatischen Realitätsbegriff, indem er Realität als Dispositionsbegriff

analysiert. Logisch gesehen liegt nur insofern Realität vor, als eine unbegrenzten

Forschergemeinschaft zu einem Letztkonsens gelangen würde, deren Gegenstand

sie ist. Zeitlich gesehen hat die Realität - sofern sie existiert - 'immer schon'

existiert, und sie ist Ursache des zum Letztkonsens führenden Forschungs-

prozesses. Diese Synthese scheint gelungen - es gibt nur noch ein verbleibendes

Problem. Die Realität, so wie sie als Ausgangspunkt in die Wahrnehmung

'hineingerät', ist im Modus der Zweitheit: ein Ensemble von wechselwirkenden

Einzelindividuen. Die Realität, so wie sie als Endprodukt des

Forschungsprozesses 'herauskommt', ist aber im Modus der Drittheit: sie

involviert reale Modalitäten, universelle Kräfte. Woher kommen die Drittheiten?

Mit dieser Frage kommen wir zu dem Problem zurück, das wir am Ende von Kap.

4.1 aufwarfen: wie ist Peirce' Modalitätenrealismus mit seinem Pragmatismus

vereinbar? Wie wir ausführten, liegt Peirce' Lösung in einer Art

'Hyperempirismus'. Diesem wenden wir uns abschließend zu.

4.5 Die Fundierung des Modalitätenrealismus durch den Hyperempirismus

Auch hier handelt es sich um ein Problem, mit dem Peirce scheinbar einen

'inneren' Kampf ausführte. Noch in [1903d] heißt es, unsere Wahrnehmungen

enthielten nur Erst- und Zweitheiten, jedoch keine Drittheiten (CP 7.630). Daß

hieße, daß wir reale Notwendigkeiten in unserer Wahrnehmung nicht erfahren

können. Nachdem aber die pragmatische Maxime alle Begriffe letztlich auf

Erfahrbares zurückführt, wäre die Konsequenz, daß reale Notwendigkeiten

letztlich ein vom Menschen 'erfundenes', pragmatisch nicht explizierbares Element

darstellen würden - und das wäre mit der Objektivität des pragmatischen

Erkenntnisbegriffs unvereinbar. In [1903a] bringt dies Peirce ganz deutlich zum

Ausdruck. Er bespricht hier drei mögliche Positionen gegenüber der Drittheit, von

denen für uns hier nur zwei (seine zweite und die dritte) relevant sind (CP 5.209,

[A] 417). Man kann entweder annehmen, daß die Drittheit nicht wahrnehmbar ist,

sondern ein Zusatz, den das Verfahren der Abduktion hinzufügt (ebd., CP 5.211,

[A] 417). Diese Position wäre aber unbefriedigend. Denn da letztlich ja auch die

4 7pragmatische Realität eine Drittheit ist, wäre damit das "Reale völlig von der

Wahrnehmung [ge]trennt" (ebd., [A] 418). Den einzigen Realitätsbegriff, den

diese Position zuließe, wäre die Realität als Übereinstimmung mit dem

Letztkonsens der Forschung. Doch auch die Übereinstimmung mit dem

Letztkonsens würde dann letztlich nur in einer feststellbaren Regelmäßigkeit

unserer derzeitigen Forschungsmeinungen bestehen - "aber das verletzt die Idee

von Realität und Wahrheit" (ebd.). Peirce führt hier also genau das oben

aufgeworfene Problem auf: wenn man die realen Modalitäten, als abduktive

Konzepte aufgefaßt, selbst pragmatisch auf ihre experimentellen Effekte

reduzieren, also das "Würde" pragmatisch eliminieren wollte, wäre der objektive

Realitätsbegriff zunichte und ein Subjektivismus die Folge. Daher, so schließt

Peirce, muß eine Position eingenommen werden, die er die "zweite

Schleifsteinthese" des Pragmatismus nennt ([1903a], CP 5.180, [A] 404). Dieser

Position zufolge sind auch die Drittheiten bereits in unseren Wahrnehmungen

gegeben. Durch mehrere, hier nicht näher ausführbare Argumente versucht Peirce

zu zeigen, daß unsere Wahrnehmungen allgemeine Elemente enthalten, sodaß

universale Sätze aus ihnen ableitbar sind (ebd., CP 5. 148, [W] 195; CP 5.157,

[W| 205-7). Ja alle allgemeinen Konzepte und Gesetze, die wir aus den

Wahrnehmungen abduktiv erschließen, müssen in ihren rudimentären Elementen

schon in der Wahrnehmung vorhanden sein (ebd., CP 5.186, [A] 406f). Zwar kann

es, wie Peirce immer noch behauptet, keine unmittelbare Erfahrung des Allge-

meinen geben, doch "Allgemeinheit, Drittheit, breitet sich … in unseren

Wahrnehmungsurteilen aus" (ebd., CP 5.150, [W] 197).

Was immer man von diesem Peirceschen 'Hyperempirismus' halten möge -

worauf es hier ankommt, ist zu sehen, wie sich das Peircesche System schließt.

Indes wird das Problem, wie reale Notwendigkeiten mit der Erfahrung zu

verbinden sind, sicher noch vielen künftigen Generationen von

Wissenschaftsphilosophen Kopfzerbrechen bereiten.

4.5 Abschließende Übersicht

Wir gelangen nun zu unserer abschließenden Übersicht, einer 'Landkarte' des

Peirceschen Pragmatismus.

Legende:Die Elemente der pragmatischen Theorie der Erkenntnis und der ethischen Fundierung wie in derÜbersicht von Kap. 3.7Emp (Empirismus)EmpR (empiristischer Realitätsbegriff): Realität, deren Existenz in der Wahrnehmung erfahrenwird.RDisp (Realität als Dispositionsbegriff): Synthese des empiristischen und des pragmatischenRealitätsbegriffs.ModR (Modalitätenrealismus): Reale Notwendigkeit und Möglichkeit.Ont, 1./2./3. (Ontologie: Erstheit, Zweitheit und Drittheit).HypEmp (Hyperempirismus): Reale Notwendigkeit wird wahrgenommen.

4 8Bezeichnung der Pfeile: wie in der Übersicht von Kap. 3.7.

Bild

Zur Übersicht von Kap. 3.7 ist nun die methodologische und ontologische

Fundierung hinzugekommen. Zunächst wird PrMethT durch den Peirceschen

Empirismus Emp und empiristischen Realitätsbegriff EmpR gestützt. EmpR stützt

zugleich PrDfW und PrDfR, insofern er die Annahme plausibel macht, daß die

Forschung tatsächlich zu einen Letztkonsens hinkonvergieren wird bzw. würde.

EmpR und PrDfR gehen zusammen ein in die Synthese dieser beiden

Realitätsbegriffe mithilfe des Konzepts der Realität als Disposition, RDisp. Ein

zentraler Eckpfeiler ist der Modalitätenrealismus ModR, der als irreduzibles

Grundelement in der pragmatischen Maxime Eingang findet, und damit zugleich

die daraus gewonnenen Elemente PrDfW und PrDfR stützt, da ja andernfalls

deren objektiver Charakter verloren ginge. ModR wird durch Peirce Ontologie Ont,

also seine Lehre von der Erst-, Zweit- und Drittheit 1./2./3., untermauert. Diese

Lehre, insbesondere die These der realen Drittheiten, sowie der darauf

aufbauende ModR, werden schließlich durch Peirce' Hyperempirismus HypEmp

gestützt. Aber auch RDisp wird durch HypEmp gestützt, da letzterer erklärt, wie

im Verlauf des Forschungsprozesses aus der Realität als Zweitheit eine der

Realität als Drittheit werden kann: weil Drittheiten sich in unserer Wahrnehmung

ausbreiten.

Literatur

Gesamtausgaben und Teilsammlungen

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Martens, E. (Hg., 1975), Texte der Philosophie des Pragmatismus. Charles Sanders Peirce, WilliamJames, Ferdinand C. S. Schiller, John Dewey, reclam, Stuttgart.

Oehler, K. (Hg., 1968), Charles S. Peirce: Über die Klarheit unserer Gedanken, Frankfurt/M.Pape (Hg., 1983), Charles S. Peirce: Phänomen und Logik der Zeichen, Suhrkamp, Frankfurt/M.Walther, E. (Hg., 1967), Charles S. Peirce: Die Festigung der Überzeugung und andere Schriften,

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Wichtige Schriften von Peirce - eine Auswahl:

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318-357, [A] 88-105 (gekürzt)[1871] "Review: Fraser's Edition of the Works of George Berkeley", CP 8.7-38, [A] 106-138

(gekürzt).[1873] "The Logic of 1873", CP 7.313-361.[1877] "The Fixation of Belief", CP 5.358-387, [A] 149-181.[1878a] "How to Make Our Ideas Clear", CP 5.388-410, [A] 182-214.[1878b] "The Doctrine of Chances", CP 2.645-668, [A] 215-223 (Auszug).[1878c] "The Probability of Induction", CP 2.669-693, [A] 224-228 (Auszug).[1878d] "Deduction, Induction, and Hypothesis" CP 2.619-644, [A] 229-250.[1880] "On the Algebra of Logic", CP 3.154-251.[1885] "Review: Josiah Royce, The Religious Aspect of Philosophy", CP 8.39-54, [A] 253-265.[1892] "The Doctrine of Necessity Examined", CP 6.35-65, [A] 288-312.[1894] "The List of Categories. A Second Essay", CP 1.300-301, 1.293, 1.303, 1.326-329.[1896] "Lessions from the History of Science", CP 1.43-125.[1897] "Fallibilism, Continuity, and Evolution", CP 1.141-1.175.[1898] "Theory and Practice", CP 1.616-648.[1902a] "A Definition of Pragmatic and Pragmatism", CP 5.1-4, [A] 315-318.[1902b] "Practical and Theoretical Belief" CP 5.538-545, [A] 319-333.[1902-3a] "Ultimate Goods" (from "Minute Logic"), CP 1.575-584.[1902-3b] "Objective Logic" (from "Minute Logic"), CP 2.111-118.[1902-3c] "Reality and Existence" (from "Minute Logic"), CP 6.349[1902-3d] "Direct Knowledge" (from "Minute Logic"), CP 2.140-43[1903a] "Lectures on Pragmatism", CP 5.14-212, [W] 1-287, [A] 337-427 (gekürzt).[1903b] "Ideals of Conduct" (from the "Lowell Lectures"), CP 1.591-1.615.[1903c] "The Reality of Thirdness" (from the "Lowell Lectures"), CP 1.343-352.[1903d] "Telepathy and Perception", CP 7.597-688.[1905a] "What Pragmatism Is", CP 5.411-437, [A] 427-453.[1905b] "Issues of Pragmaticism" CP 5.438-463, [A] 454-484.[1905c] "Pragmatism and Critical Common-Sensism" CP 5.497-501, [A] 485-489.[1905d] "Consequences of Critical Common-Sensism", CP 5.502-537, [A] 490-493 (Auszug).[1907] "A Survey of Pragmaticism", CP 5.464-496, [A] 498-538.[1909] "Vorwort zu: Mein Pragmatismus" (Auszug), [A] 141-148.

Ausgewählte Sekundärliteratur:

Apel, K.-O. (1975), Der Denkweg von Charles Sanders Peirce, (erstmals erschienen 1967 und 1970),Suhrkamp, Frankfurt/M.

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Transzendentalphilosophie durch Ch. S. Peirce, Frankfurt/M.Wiener, P./Young, F. (Hg., 1952), Studies in the Philosophy of Charles Sanders Peirce, Harvard

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