in the shadow of his father?

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20 12. April 2013 tachles 15 KÜNSTLER MICHAEL KOVNER Im Schatten des Vaters? Vergangenen Monat hatte in New York eine seltsame Inszenierung Premiere. Im Anschluss an die Ausstel- lungseröffnung von «Exteriors» mit einer Serie von grossformatigen New Yorker Stadtansichten des Künstlers Michael Kovner wurde unter der Leitung von Jenny Levison dessen Graphic Novel «Ezekiel’s World» als Theaterstück vor ausverkauftem Haus aufgeführt. VON JULIAN VOLOJ D er 1948 geborene Israeli erklärt die Motivation zu «Ezekiel’s World» wie folgt: «Ich wollte durch meine Kunst einen Dialog mit meinen Vater ent- wickeln. Ich hatte viele Dinge, die mich beschäftigen und für die ich eine Aus- drucksweise suchte.» Der Vater, das ist Ab- ba Kovner, der legendäre Partisanenfüh- rer und hebräische Dichter. Abba Kovner ist eine Legende in Israel, ein Symbol des jüdischen Widerstands und der Gründung des Staates Israels. Doch in «Ezekiel’s World» findet sich keine Glorifizierung des Vaters, sondern eher genau das Gegenteil. Ein eigener Blickwinkel «Mein Vater war eine sehr wichtige Persön- lichkeit in Israel. Er war es, der sagte, Juden sollen sich nicht wie Lämmer zum Schlachthof bringen lassen. (Abba Kovner schrieb diese Worte 1942 in einem Mani- fest, das im Ghetto von Wilna verteilt wur- de, Anm. d. Red.). Er war ein Nationalheld, aber die Menschen kannten ihn nicht so, wie ich ihn kannte, als einfachen Mensch, als Vater. Hier geht es nicht um den Schrift- steller und Widerstandskämpfer, ich zeige einen anderen, meinen Blickwinkel.» In Zentrum der Graphic Novel steht der 75-jährige Ezekiel, ein einsamer, bitterer Mann, der unter chronischer Arthritis lei- det. Sein einziger Kontakt zur Aussenwelt ist seine Physiotherapeutin. Sein Sohn, zu dem er kaum noch Kontakt hat, lebt mit sei- ner Familie in San Francisco, doch dann, kurz nach Ausbruch des ersten Golfkriegs, besucht ihn seine Schwiegertochter mit dem Enkelsohn und versucht, eine Verbin- dung zu dem alten Mann, und auch zu der israelischen Heimat zu erstellen. Wahre Begebenheiten «Ezekiel hat sehr viel von meinem Vater, aber ich habe die Geschichte bewusst ins Jahr 1991 versetzt, um klarzustellen, dass es sich nicht um meinen Vater handelt», erklärt Michael Kovner. Abba Kovner verstarb 1987, kurz vor seinem 70. Ge- burtstag. Ezekiels Vergangenheit wird in Traumsequenzen erzählt, die, wie im Anhang erläutert wird, auf wahren Bege- benheiten der Biografie des Vaters basie- ren. Es geht um die traumatischen Erleb- nisse während des Zweiten Weltkrieges, die indirekt die Bitterkeit und Verschlos- senheit des Protagonisten erklären. «Um Ezekiel eine authentische Stimme zu geben, habe ich in den Text eine Reihe von Gedichten meines Vaters eingebaut.» Auch wenn Abba Kovner die Intifada nicht mehr erlebte, so scheint er hier mit seinem Sohn in einem Dialog zu stehen. Michael Kovner erlebte die Intifada da- mals aus der Ferne. «Ich lebte damals für drei Jahre in New York und überlegte, nicht zurückzukehren.» Im Buch hat Eze- kiels Sohn eine neue Heimat in San Fran- cisco gefunden, und wie sich im Verlauf DIALOG MIT DEM VATER Michael Kovner schuf mit «Ezekiel’s World» kein einfaches, aber ein sehr interessantes Werk FOTO JULIAN VOLOJ

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German online magazine about Michael Kovner's new graphic novel - Ezekiel's world

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Page 1: In The Shadow of His Father?

20 12. April 2013 tachles 15

K ü n st l er M i c h a el Kov n er

Im Schatten des Vaters?vergangenen Monat hatte in new York eine seltsame inszenierung Premiere. im anschluss an die ausstel-

lungseröffnung von «exteriors» mit einer serie von grossformatigen new Yorker stadtansichten des Künstlers

Michael Kovner wurde unter der leitung von Jenny levison dessen Graphic novel «ezekiel’s World» als

theaterstück vor ausverkauftem haus aufgeführt.

von Julian voloJ

Der 1948 geborene Israeli erklärt die Motivation zu «Ezekiel’s World» wie folgt: «Ich wollte durch meine

Kunst einen Dialog mit meinen Vater ent-wickeln. Ich hatte viele Dinge, die mich beschäftigen und für die ich eine Aus-drucksweise suchte.» Der Vater, das ist Ab-ba Kovner, der legendäre Partisanenfüh-rer und hebräische Dichter. Abba Kovner ist eine Legende in Israel, ein Symbol des jüdischen Widerstands und der Gründung des Staates Israels. Doch in «Ezekiel’s World» findet sich keine Glorifizierung des Vaters, sondern eher genau das Gegenteil.

Ein eigener Blickwinkel«Mein Vater war eine sehr wichtige Persön-lichkeit in Israel. Er war es, der sagte, Juden sollen sich nicht wie Lämmer zum Schlachthof bringen lassen. (Abba Kovner schrieb diese Worte 1942 in einem Mani-

fest, das im Ghetto von Wilna verteilt wur-de, Anm. d. Red.). Er war ein Nationalheld, aber die Menschen kannten ihn nicht so, wie ich ihn kannte, als einfachen Mensch, als Vater. Hier geht es nicht um den Schrift-steller und Widerstandskämpfer, ich zeige einen anderen, meinen Blickwinkel.»

In Zentrum der Graphic Novel steht der 75-jährige Ezekiel, ein einsamer, bitterer Mann, der unter chronischer Arthritis lei-det. Sein einziger Kontakt zur Aussenwelt ist seine Physiotherapeutin. Sein Sohn, zu dem er kaum noch Kontakt hat, lebt mit sei-ner Familie in San Francisco, doch dann, kurz nach Ausbruch des ersten Golfkriegs, besucht ihn seine Schwiegertochter mit dem Enkelsohn und versucht, eine Verbin-dung zu dem alten Mann, und auch zu der israelischen Heimat zu erstellen.

Wahre Begebenheiten«Ezekiel hat sehr viel von meinem Vater, aber ich habe die Geschichte bewusst ins Jahr 1991 versetzt, um klarzustellen, dass

es sich nicht um meinen Vater handelt», erklärt Michael Kovner. Abba Kovner verstarb 1987, kurz vor seinem 70. Ge-burtstag.

Ezekiels Vergangenheit wird in Traumsequenzen erzählt, die, wie im Anhang erläutert wird, auf wahren Bege-benheiten der Biografie des Vaters basie-ren. Es geht um die traumatischen Erleb-nisse während des Zweiten Weltkrieges, die indirekt die Bitterkeit und Verschlos-senheit des Protagonisten erklären. «Um Ezekiel eine authentische Stimme zu geben, habe ich in den Text eine Reihe von Gedichten meines Vaters eingebaut.» Auch wenn Abba Kovner die Intifada nicht mehr erlebte, so scheint er hier mit seinem Sohn in einem Dialog zu stehen. Michael Kovner erlebte die Intifada da-mals aus der Ferne. «Ich lebte damals für drei Jahre in New York und überlegte, nicht zurückzukehren.» Im Buch hat Eze-kiels Sohn eine neue Heimat in San Fran-cisco gefunden, und wie sich im Verlauf

Dialog mit Dem Vater Michael Kovner schuf mit «ezekiel’s World» kein einfaches, aber ein sehr interessantes Werk

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der Geschichte herausstellt, verliess er Is-rael aus Protest.

«Es geht um sehr israelische Fragen: Soll ich bleiben oder gehen? Wie können wir auf Kosten anderer, der Palästinenser, hier leben? Aber es geht auch um einen einfachen Vater-Sohn-Konflikt.»

Ungewöhnliches Kunstwerk«Ezekiel’s World» ist ein ungewöhnliches Kunstwerk. «Eigentlich hatte ich gar nicht vor, eine Graphic Novel zu schreiben», ge-steht Michael Kovner ein, und daher wird die Bezeichnung dem fast 300 Seiten um-fassenden Werk auch nicht gerecht. «Ezekiel’s World» ist eher eine Anreihung von konkreter und abstrakter Malerei in narrativer Form, so wie die Theaterinsze-nierung eher eine Lesung war, bei der die Bilder Kovners auf eine Grossleinwand projiziert wurden, was ihnen eine beein-druckende Wirkung gab.

«Die Malerei ist keine einfache Aus-drucksweise. Es war nicht das, was ich wollte. Also fing ich an, die Geschichte wie ein Drehbuch zu schreiben», erklärt Kov-ner, dessen Sohn Regisseur ist und ihn bei seinem kreativen Prozess unterstützte. «Es war so ganz anders an meine normale Kunst.» Michael Kovner wuchs auf einem Kibbuz auf, und seine damals initiierte Liebe zur Natur spiegelt sich in seiner Ma-lerei wider. Mitte der siebziger Jahre stu-dierte er bei Philip Guston in New York und die Stadt ist seither seine zweite Hei-mat. «Ezekiel’s World» entstand jedoch ausschliesslich in Israel. «Kunst ist eine Form des Ausdrucks. Man kann durch Kunst Gefühle ausdrücken, sich mit ande-ren verbinden. Doch die Malerei hat keine Sprache, sie verbindet durch Schönheit.» Für seinen Dialog mit dem verstorbenen Vater brauchte Michael Kovner eine Spra-che, und die Kombination von Malerei und Worten brauchte ihn zum Medium der Graphic Novel.

Zwischen Gegenwart und Vergangenheit«Ich hatte zunächst keine Ahnung von Graphic Novels» gesteht er. «Ich kannte le-diglich ‹Maus› (von Art Spiegelman, Anm. d. Red.). Als ich anfing, die Kunstform Graphic Novel zu recherchieren, fand ich das beste Comic der Welt, ‹Jimmy Corri-gan, the Smartest Kid on Earth› (von Chris Ware, Anm. d. Red.). Es war so beeindru-ckend, dass es gleichzeitig auch ein-schüchternd war. Denn was verstand ich schon von Graphic Novels?» Es dauerte daher eine Weile, bis Kovner seinen Stil

gefunden hatte. «Ezekiel’s World» ist ver-schiedenartig illustriert, es gibt keine Sprechblasen und andere typische Stil-mittel einer Graphic Novel, die Dialoge sind kurz, und in vielen Szenen scheint das Ungesagte den Kontext zu bestimmen. Farben sind teilweise Code der Erzählung, viele Assoziationen bleiben offen, die Er-zählebene wechselt zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her und setzt so ein kompliziertes Puzzle zusammen, in dem die Bilder des Sohnes mit den Ge-dichten des Vaters eine Einheit bilden. Es ist kein einfaches, aber dafür ein sehr in-teressantes Werk geworden.

Ebenso kompliziert wie der Inhalt war auch der Entstehungsprozess. «Ich arbei-tete mich Kapitel für Kapitel durch das Drehbuch. Nachdem ich die Ideen formuliert hat-te, musste ich die geeig-neten Schauspieler fin-den, die meine Szenen personifizierten. Ich selbst spielte die Rolle von Ezekiel. Alle Szenen wurden zunächst gefilmt, dann nahm ich einzelne Standbilder aus dem Film, druckte sie aus, malte sie, scannte die ge-malten Bilder und bear-beitete sie in Photoshop für die Buchseiten.» Ein sehr komplizierter Pro-zess, der insgesamt vier Jahre dauerte. Als es zu seiner Ausstellung im New Yorker Jewish Community Center kam, sprach ihn Jenny Levinson, dessen Ehemann Kovner mit jiddischen Passagen im Buch half, an und schlug vor, eine Theaterinsze-nierung des Textes zu machen. «Ich moch-te die Idee. Es gibt dem Werk eine neue Di-mension. Es ist keine andere Geschichte, aber eine andere Interpreta-tion.»

In einer der beeindruckendsten Sze-nen versucht Ezekiel eine Beziehung zu seinem Enkel zu entwickeln und nimmt Legobausteine, um ihm seine Vergangen-heit zu erklären. Er baut das Ghetto von Wilna; die Nazis sind schwarz gekleidet, die Juden in Gelb. Als der Enkel verwun-dert fragt, welche Farbe denn die jüdi-schen Polizisten haben sollen, die ja einer-seits Juden sind, andererseits den Nazis halfen, beschliesst Ezechiel sie gelb-schwarz gestreift anzustreichen, antwor-tet aber nicht direkt auf die Frage, nach dem Warum. Die Vergangenheit ist nicht einfach zu erklären, und so ist auch nicht die Gegenwart, und mit seinem Werk er-

örtert Michael Kovner die kompilizierte Beziehung von beidem.

Ein einmaliges Projekt«Du kannst nicht vor Deiner Vergangen-heit weglaufen. Ich habe es versucht, aber es geht nicht. Viele Jahre lang habe ich das Thema Holocaust vermieden, aber jetzt, wo ich älter bin, habe ich angefangen, mich mit der Vergangenheit auseinander-zusetzen.» Das Werk ist daher ein posthu-mer Dialog, der «so leider nie zustande ge-kommen ist. Wir waren leider beide oft zu sehr mit unserer eigenen Welt beschäftigt, und ein Gespräch war dadurch leider im-mer zum Scheitern verurteilt.» Für viele Israeli war Abba Kovner ein «moderner Prophet, der an einem Schnittpunkt jüdi-

scher Geschichte stand und versuchte, Antworten auf die grausamen Dilem-ma seiner Zeit zu finden, die er am eigenen Leib er-lebte. Seine eigenen Trau-mata bestimmten aber auch seine Ansichten. Es war mir wichtig, ihn so zu zeigen, wie ich ihn kannte. Jemand, der einerseits vol-ler Liebe, Leben, Humor war, aber auch voller Zweifel. Er lebte in Gegen-sätzen und hatte keine Lö-sungen. Seine Philosophie war es, denn Sinn des Le-

bens darin zu finden, ohne Angst zu leben, stark zu sein.»

In «Ezekiel’s World» entfremdet diese Stärke den Protagonisten von seinen Kin-dern. Im Verlauf der Geschichte wird klar, dass Ezekiel seine Tochter in den Selbst-mord trieb, da er ihre Beziehung zu einen Nichtjuden nicht guthiess; der Sohn, der Ungerechtigkeit gegenüber den Palästi-nensern während seiner Wehrzeit erlebt hat, versucht vergeblich, das Gespräch mit dem Vater zu finden. «Ezekiel’s World» ist nur ein einmaliges Projekt. Michael Kov-ner hat keine Pläne, weitere Graphic No-vels zu erstellen. Obwohl er mit dem Re-sultat seiner Arbeit zufrieden ist, weiss er jedoch: «Meine Kunst, meine Bilder sind ganz anders als die Idee, die mein Vater von Kunst hatte. Ich weiss das, aber am Ende kannst du lediglich du selbst sein.» Und das ist Michael Kovner, er selbst. Trotz des Namens. «Der Name Kovner bringt eine gewisse Verpflichtung mit sich. Mein Sohn hasste es, den Namen zu tragen. Ich glaube, es ist ein Schicksal mit dem man einfach leben muss.» T

«Der Name Kovner bringt eine gewisse Verpflichtung mit sich.»