horaz dionysode

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Die Dionysosode des Horaz (c. 2, 19) Author(s): Viktor Pöschl Reviewed work(s): Source: Hermes, 101. Bd., H. 2 (1973), pp. 208-230 Published by: Franz Steiner Verlag Stable URL: http://www.jstor.org/stable/4475790 . Accessed: 01/08/2012 06:15 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Hermes. http://www.jstor.org

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Page 1: Horaz Dionysode

Die Dionysosode des Horaz (c. 2, 19)Author(s): Viktor PöschlReviewed work(s):Source: Hermes, 101. Bd., H. 2 (1973), pp. 208-230Published by: Franz Steiner VerlagStable URL: http://www.jstor.org/stable/4475790 .Accessed: 01/08/2012 06:15

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208 VIKTOR POSCHL

it than most Plautine plays, but definitive pronouncements on individual passages seem impossible. There is, on the other hand, no reason to deny Diphilos the creative use of obscenity that characterizes the messenger speeches of Olympio and Lysidamus in the false bride scenes at the end of the Casina.

No attempt can be made here to explain all the apparent inconsistencies in the Casina, or to do justice to all the critics who have commented upon them. An attempt has been made to show that Plautus, when working from originals by Diphilos, writes plays which resemble each other, and differ from most Plautine plays, in essential features, and that these features can therefore be tentatively traced to Diphilos. Most important are his spectacular scenes, which probably derive from previous comedy rather than directly from tragedy, and his development of motifs in one section of a play which are dropped in another. The Rudens has a tripartite structure and shows internal inconsistencies, but is held together by a general theme: the just shall be rewarded. The Casina, also, has a tripartite structure, shows internal incon- sistencies, and is held together by a general theme: the old lover shall not be rewarded, but ridiculed. There is much in the Casina, as there is in the Rudens, that is pure Plautus, but the basic structure of the play, including the false bride scenes, seems, by analogy with the Rudens, to be derived from Diphilos' Kleroumenoi, which, in turn, owes much to the long tradition of Greek comedy.

University of Texas, Austin, Texas W. THOMAS MAC CARY

DIE DIONYSOSODE DES HORAZ (c. 2, I9)

Als Horaz im Jahre 23 seine drei Odenbiicher der romischen Offentlichkeit vorlegte, war er sich der Bedeutung des Wagnisses wohl bewuBt, ging es doch darum, die Formen der altgriechischen Lyrik fir die lateinische Dichtung zu gewinnen, wie er es selbst am Ende der Sammlung programmatisch verkiindet:

dicar . . . princeps Aeolium carmen ad Italos deduxisse modos'.

Auch im Abstand der Jahre nach der Veroffentlichung der Oden hebt er noch einmal nachdruicklich auf diese Leistung ab (epi. I, I9, 32ff.). In einzelnen Gedichten wird durch Zitate und Anspielungen sicherlich in weit groBerem Umfange, als wir es heute noch verifizieren k6nnen, auf das grie-

1 C. 3, 30, I0-14. Vgl. dazu V. POSCHL, Horazische Lyrik, Heidelberg I970, S. 246 ff. Bei der Abfassung dieses Aufsatzes erfreute ich mich der Hilfe meines Assistenten Thomas C. KLINNERT, dem ich manche wichtige Anregung verdanke.

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Die Dionysosode des Horaz (c. 2, I9) 209

chische Vorbild verwiesen. Auch die Anordnung der Gedichte enthalt Hin- weise darauf, wie sehr sich Horaz seiner epochemachenden Leistung bewuBt war. In den neun Oden des Eingangs wird die Fiille der griechischen Formen und Themen dem r6mischen Geist des augusteischen Zeitalters adaptiert vorgefiihrt. Die letzte davon ist eine pointierte Hinwendung an Alkaios: in ihr wird ein alkaisches Motiv im alkaischen VersmaB nun ganz in die r6mische Welt transponiert2.

Die VorschluBgedichte der drei Odenbiicher sind im gleichen Zusammen- hang zu verstehen. Sie sind im alkaischen VersmaB verfaBt, und die drei Grundformen der alkaischen Lyrik sind in ihnen wieder aufgenommen. Das politische Siegeslied (c. r, 37: Die Kleopatraode) 3, das sympotische Freund- schaftsgedicht (c. 3, 29: Die groBe Maecenasode)4 und - in der Mitte - der Hymnus (c. 2, I9: Die Dionysosode). Nachdriicklich wird der Leser vor dem SchluB jedes Buches an die aolischen Lyriker erinnert, deren Kunst in Rom einzubiirgern die Bemuihung des Horaz galt. Man kann darin eine ins Praktische transformierte poetische Reflexion erblicken, ein Phanomen, das in der Wis- senschaft bisher nicht die gebuihrende Wuirdigung erfahren hat6.

Auch eine weitere Beziehung verbindet die drei VorschluBgedichte mit- einander. Im ersten steht die Offentlichkeit Roms beherrschend im Mittel- punkt, von der sich der Dichter durch die noble Darstellung der geschlagenen K6nigin nur ganz diskret abhebt. Im zweiten erfahrt der Dichter die g6ttliche Inspiration, die ihn befahigt, zu Mitwelt und Nachwelt als Dichter zu sprechen, im dritten schlieBlich stellt Horaz sein eigenes bescheidenes Dasein und Leben dem des Maecenas gegeniuber und offnet seine stille Welt dem in den viel- faltigen Pflichten des Offentlichen Lebens gebundenen hohen G6nner. Eine Linie fortschreitender Selbstbesinnung und Verinnerlichung findet in diesen drei Gedichten ihre Gestalt: Am Ende durchfahrt Horaz, geborgen im kleinen Nachen und unter der Obhut giinstiger G6tter, die Wirren des Lebens. Das epikureische Credo der Maecenasode (c. 3, 29, 32f.) bildet den diametralen Gegensatz zum jubelnden Preis des Augustus in der Mitte der Kleopatraode

(c. I, 37, i6). Genau gegenlaufig ist die Linie, die die drei SchluBgedichte miteinander

verbindet. Auf die stille Trinkszene intimen Charakters folgt das Gedicht, in dem Horaz im Vollgefuihl seiner dichterischen Begabung die Welt bis in ihre entlegensten und gefahrlichsten Teile fur seinen Dichterruhm gewinnt, wahrend dann das SchluBgedicht der Odensammlung von der Unverganglichkeit dieses Ruhmes spricht, dessen Bestehen in der Dauer der ehrwiirdigen, den Bestand

2 a. 0. S. 30ff. a a. 0. S. 68ff. 4a. 0. S. Ig8ff. 5 Ansatze dazu a. 0. S. 237ff. V. P6SCHL, Die Hirtendichtung Virgils, Heidelberg I964,

S. 93ff. E. A. SCHMIDT, Poetische Reflexion Vergils Bukolik, Miunchen I972.

Hermes 101,2 14

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2IO VIKTOR P6SCHL

des Reiches garantierenden Formen der romischen Kultzeremonien gleich- gesetzt wird. Der Bestand Roms und die Dauer des horazischen Dichterruhms werden in diesem letzten Gedicht gleichsam identifiziert: Horaz ist der ro- mische Dichter schlechthin.

Diese beiden Linien beriihren sich am SchluB des zweiten Odenbuches, also in der Mitte der Odensammlung. Hier handeln die beiden aufeinander- folgenden Gedichte, 2, I9 und 2, 20, von der dichterischen Pers6nlichkeit des Horaz. Die spirituelle Autobiographie, das poetische Selbstverstandnis des Dichters bildet so die Mitte der Odensammlung, wie es die Sammlung mit den beiden im gleichen VersmaB gehaltenen Gedichten i, i und 3, 30 er6ffnet und beschlieBt 6.

I Bacchum in remotis carmina rupibus vidi docentem, credite posteri,

Nymphasque discentis et auris capripedum Satyrorum acutas.

2 euhoe, recenti mens trepidat metu plenoque Bacchi pectore turbidum

laetatur, euhoe, parce Liber, parce gravi metuende thyrso.

3 fas pervicacis est mihi Thyiadas vinique fontem lactis et uberes

cantare rivos atque truncis lapsa cavis iterare mella,

4 fas et beatae coniugis additum stellis honorem tectaque Penthei

disiecta non leni ruina Thracis et exitium Lycurgi.

5 tu flectis amnis, tu mare barbarum, tu separatis uvidus in iugis

nodo coerces viperino Bistonidum sine fraude crinis.

6 tu, cum parentis regna per arduum cohors gigantum scanderet inpia,

Rhoetum retorsisti leonis unguibus horribilique mala;

6 Beachtung verdient, welchen Gott Horaz hier preist: es ist Dionysos, der Gott des orgiastischen Rausches und der Ausschweifung (Vgl. c. i, i8: Nullam Vare sacra), der Gott, mit dem sich expansive Eroberungsvorstellungen verbanden, das religiose Symbol des Antonius, des grof3en Gegners des Augustus. Vielleicht kann man sagen, daB Horaz in seinem Gedicht nichts Geringeres versuchte, als diesen Gott der romischen Welt unter Berufung auf seine Rolle als Dichtergott in der griechischen Poesie wiederzugewinnen.

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Die Dionysosode des Horaz (c. 2, I9) 2II

7 quamquam choreis aptior et iocis ludoque dictus non sat idoneus

pugnae ferebaris; sed idem pacis eras mediusque belli.

8 te vidit insons Cerberus aureo cornu decorum leniter atterens

caudam et recedentis trillingui ore pedes tetigitque crura.

i Bacchus sah ich in Felseneinsamkeit Lieder lehrend, glaubt es, ihr Spateren, und Nymphen lernend und die spitzen Ohren der ziegenftiBigen Satyrn.

2 Euhoe, vor jaher Furcht bebt der Sinn, und in der von Bacchus vollen Brust iauchzt er verwirrt, euhoe, schone Liber, schone du durch den schweren Thyrsus Furchtbarer.

3 Die bis zum Sieg beharrlichen Thyiaden darf ich singen, des Weines Quelle und der Milch tippige Fltisse und den Honig erneut aus den hohlen Stammen triefen lassen.

4 Der seligen Braut Kranz darf ich, den Sternen zugefuigt, singen und des Pentheus Haus in nicht sanftem Sturz zerschmettert, und des Thrakers Lykurg Ende.

5 Du beugst die Str6me, du das wilde Meer, du bandigst in fernen Bergen weinbetaut der Bistoniden Haar schadlos im Schlangenknoten.

6 Du, da des Vaters Reich durch das Steile der Giganten ruchlose Schar erklomm, wirbeltest Rhoetus hinab mit des L6wen Krallen und schreck- lichem Rachen;

7 obgleich du zum Reigen, zu Scherz und Spiel geeigneter genannt nicht recht geschickt zur Schlacht hief3est, warst du doch derselbe mitten im Frieden und mitten im Krieg.

8 Dich sah Cerberus als schuldloser, dich, den mit goldenem Horn prangenden, sanft den Schweif anschmiegend und rtihrte mit dreiztungigem Maul des Scheidenden Schenkel und FuB.

Erste Strophe

Horaz hat Bacchus gesehen, wie er Nymphen und Satym in einer einsamen Felsenlandschaft Lieder lehrte7. Der Gott erscheint als Musiker und Dichter:

7 G. PASQUALI, Orazio lirico, Firenze I920; Th. STNKO, De Horatii carminibus bacchicis,

Eos 32, 1929, I-I7; V. DE FALCO, RFIC 14, I936, 37I-384; W. WILI, Horaz, Basel I948;

L. P. WILKINSON, Horace and his Lyric Poetry, Cambridge I95I; M. FUHRMANN, Unter-

suchungen zur Religiositat des Horaz, Diss. Freiburg I952; H. OPPERMANN, Das Gottliche

14*

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2I2 VIKTOR POSCHL

Dionysos Melpomenos8. Durch die Vision wurde Horaz zum Dichter und ins- besondere zum lyrischen Dichter geweiht. Er wendet sich an die Nachwelt9 - meines Wissens ist es das erste Mal, daB ein Dichter die Nachwelt apostro- phiert -, und er bittet sie, an diese Vision uInd seine Weihung zu glauben:

credite posteri (v. 2).

Hier stoBen wir auf eine religiose Idee, welche in der ganzen Antike lebendig war: von dem Auge des Gottes kommt Segen auf den Menschen, den sein Auge trifft 1. Im Apollonhymnos schrieb Kallimachos diese Verse: Apollon zeigt sich, aber nicht jedem, sondern nur dem, der edel ist, aber der, der ihn geschaut hat, ist groB.

'Q oSAuv "ou ycOvtL (p?LVCtaL, OTI, 6 54faO6 64 ,uLv'fl, LZyac o'roq

(Call., hymn. 2, I) sq.)

Bei Hesiod blicken die Musen auf den Herrscher bei seiner Geburt und gieBen ihm suiBen Tau auf die Zunge: die Worte aus seinem Mund flieBen sanft .

im Spiegel der Dichtung des Horaz, Altspr. Unterricht Heft 9, I956, 54-67; N. E. COL- LINGE, The Structure of Horace's Odes, New York I96I; S. COMMAGER, The Odes of Horace, New Haven-London I962; E. FRAENKEL, Horace, Oxford 1957, I99 ff.; H. JUHNKE,

Das dichterische Selbstverstandnis des Horaz und Properz, Diss. Kiel I963; I. TROXLER-

KELLER, Die Dichterlandschaft des Horaz, Heidelberg I964; 0. SCH6NBERGER, Horatius carm. 2, I9, Jahresbericht des Wirsberg-Gymnasiums WuYrzburg, Schuljahr i962/63,

4I-46; E. T. SILK, Bacchus and the Horatian recusatio, YCIS 2I, I969, I95-2I2.

8 Vgl. M. P. NILSSON, Geschichte der griechischen Religion, 3. Aufl., Miinchen I967, S. 564 if.; H. JEANMAIRE, Dionysos, Paris I95I; W. F. OTTO, Dionysos, 3. Aufl., Frankfurt

I960; ders., Die Musen und der gottliche Ursprung des Singens u. Sagens, Dusseldorf-Koln 1955, S. 55. - Als Melpomenos wurde Dionysos in Athen verehrt, vgl. CIA 3, 20 (aus

hadrianischer Zeit); 3, 274. 278. Pausanias berichtet (I, 2, 5): A&6vowov 8i '0oi3oV xlxXo0

MeX7r6iievov ?d ?O6y4 TQOe (' p6 O'noty 7rp 'Anr6Xcovoc Mouaocyz&OTV. Die naxische Inschrift, die Dionysos als Musagetes nennt (IG XII, 5, 46) ist leider nicht

datierbar. Zu Dionysos als Dichtergott vgl. FUHRMANN a. 0. und I. TROXLER-KELLER, a. 0. S. 56ff., die mit Recht darauf abhebt, daB Dionysos als inspirierender Dichtergott auch schon dem hellenistischen Griechentum bekannt war, wie aus dem Epigramm 8 des Kalli- machos hervorgeht.

9 I. TROXLER-KELLER (S. 65) vertritt die Ansicht, daB in dieser Wendung Ironie mit- schwingt: s)credite posteri mit uibersteigertem Pathos, in dem ein Lacheln mitschwingt, wie 6fters, wenn er seine personlichste Anteilnahme oder Ergriffenheit verbergen will. Auch hier verbinden sich in echt horazischer Weise Pathos und Ironie, Ernst und Scherz. .

Ich z6gere, dem zuzustimmen. Das dichterische Selbstverstandnis des Horaz stellt sich in der ersten Odensammlung m. W. nie in Frage, es ironisiert sich nicht (dies trifft eher fur die Episteln zu). Ich glaube, daB man auch in der i. Strophe nicht von 'Spielerischem' sprechen kann.

10 V. POSCHL, Die Hirtendichtung Virgils, S. 42 u. S. I30, sowie die dort genannte Literatur.

11 Hesiod, Theogonie 8i ff.; vgl. dazu den Kommentar von WEST, Oxford I966, p. i8i sq.

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Die Dionysosode des Horaz (c. 2, I9) 2I3

Horaz hat diesen Gedanken in c. 4, 3 ubernommen: )>Wen die Muse mit ihrem freundlichen Auge bei seiner Geburt gesegnet hat <(, der wird nicht Sieger in den olympischen Spielen und kein Triumphator sein, aber ein Poet.

quem tu Melpomene semel nascentem placido lumine videris . .. (c. 4, 3, I-2)

Es sind dies Ausdriucke des Anspruchs des Horaz, ein Dichter im h6chsten Sinne zu sein, ein heiliger Bote der Gbtter12. )>Ein neuerwachtes dichterisches Hochgefuihl schafft sich seinen Ausdruck in einer Art vates-Ideologie( 13. Das aber bedeutet, daB man die Vision des Horaz nicht als Ausdruck eines wirk- lichen Erlebens verstehen darf und daB die Frage, die WILAMOWITZ gesteilt hat, an der Sache vorbeigeht: )>Sollen wir glauben, daB Horaz die Epiphanie des Gottes erfahren hat, daB er ernstlich von uns verlangt, dies zu glauben ? a14.

Aber ich denke, man wird auch Eduard FRAENKEL nicht ganz beistimmen kdnnen, der als Antwort auf die Frage von W:LAMOWITZ gerade den unmittel- baren Erlebnischarakter herausstelltl5. Es ist vielmehr so, daB der Dichter seinem hohen, sakral gefarbten Anspruch die Gestalt der Dionysosvision gegeben hat, um ihn vor seinen Zeitgenossen und vor der Nachwelt zu legi- timieren. Mit Recht hat man gesagt, daB Horaz die in diesem Zusammenhang auftauchenden Motive, die vielfach konventionefler Natur sind und eine lange Tradition hinter sich haben16, gewiB nicht in dem naiven Glauben wortlich nimmt, aber doch viel ernster, als man entseelte Topoi nehmen kann. Die Vision ist ein Symbol des Dichteranspruchs, das aus einer Tradition stammt,

12 Auch das sind naturlich lang tradierte Vorstellungen, nach denen Dichter und Seher in besonderer Nahe zu den G6ttern stehen; das Griechische hatte dafur den Ausdruck S?eo(t> - der hier nicht fallt - den aber Horaz in c. I, 26 wieder aufgenommen hat (musis amicus; vgl. HEINZE Z. St.); siehe dazu F. DIRLMEIER, ?EODIAIA - ODIAO(EIA, Ausgewahlte Schriften, Heidelberg I970, S. 93.

13 F. SOLMSEN, Die Dichteridee des Horaz und ihre Probleme, Kleine Schriften II, Hildesheim I968, 263-277: S. 264.

14 U. V. WILAMOWITZ, Glaube der Hellenen II, S. 437. 15 slch denke, Horaz meint wirklich, was er sagt. Er hat Dionysos gesehen. Oft hat er

von ihm, von seinem Thiasus gelesen, nicht nur in Hymnen, sondern in verschiedensten Gedichten, epischen, lyrischen und dramatischen. Er brauchte nur die Augen zu schlieBen, um den Gott zu sehen, nicht als eine verschwommene Gestalt, sondern lebensvoll in seiner Schonheit und Kraft und mit ihm zusammen die Nymphen und Satyrn und eine groBe Schar von Gefolgsleuten, von Halbgottern, Mannern, Frauen und Tieren. Aber was den Dichter am tiefsten erregte, waren nicht Nymphen und Satyrn, es war die geheimnisvolle Gewalt, die von dem Gott ausstrahlte und die einen Sterblichen aus seinem Gleichgewicht brachte und seine Brust mit entgegengesetzten Gefuhlen erfullte, indem er t6dliche Furcht mit einer unaussprechlichen Freude vermischte, so daB der Mensch zugleich zu entrinnen wunschte und sich glucklich fuihlte, dem Gott nahe zu seine. E. FRAENKEL, Horace, p. 200 sq.

16 Dazu W. KROLL, Studien zum Verstandnis der r6mischen Literatur, Stuttgart 1924, S. 28ff.

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die mindestens siebenhundert Jabre als ist 17. Das Individuum Horaz hat sich in seinem Gedicht in eine andere, sublimere Gestalt verwandelt, er hat sich selbst in eine mythische Sphare erhoben, so daB man von Selbstmythologi- sierung sprechen konnte.

Es besteht jedoch ein Unterschied zwischen der gottlichen Epiphanie bei Hesiod, der Horazode 4, 3, dem Kallimachoshymnos und der Dionysosode 2, I9.

In den anderen Gedichten liegt der Akzent auf dem Gott, dessen Blick Segen spendet, in unserer Ode auf dem Dichter, dem die Auszeichnung widerfahrt, den Gott zu schauen, und der so die Gabe der Dichtkunst empfangt. Was ist der Grund fur diesen Wechsel der Perspektive? Ich glaube: die Erfabrung der Mysterienweihe, wo der Neophyt die Gottheit, die heiligen Gegenstande und die heilige Handlung schauen darf und dadurch zu einer hoheren Seinsstufe emporgehoben wird18. Der sakrale Anspruch des Dichters erhalt so eine neue Intensitit, die sich dann in der ersten Ode des folgenden Buches ausspricht, wo sich der Dichter als Musarum sacerdos (c. 3, I, 3) bezeichnet19.

Seltsamerweise haben wir in der bildenden Kunst keine Darstellung des Dionysos als Chorodidaskolos, und wir wissen nicht, ob eine solche Darstellung existierte. Wir haben jedoch viele Darstellungen des gottlichen Sangers Orpheus, der seine Lieder zur Leier in einer einsamen Felsenlandschaft singt.

In einer subtilen Wendung sagt Horaz, daB die Nymphen die Lieder ler- nen - nymphas discentis -, wahrend die Satyrn ihre Ohren spitzen; vielleicht ist ihre halb tierische Natur mehr durch den Klang und die materielle Schon- heit der Lieder angezogen als durch ihren Inhalt, so daB neben die Gruppe der reproduzierenden die Gruppe der lediglich rezipierenden tritt:

aures capripedum satyrorum acutas (v. 3-4)

HEINZE sieht in den aures acutae, wie vor ihm schon ORELLI und NAUCK,

einen Hinweis auf die Tierohren der Satyrn, ohne zu erkennen, was alteren Kommentatoren bekannt war 20, daB dadurch zugleich auf ihre Aufmerksam- keit angespielt wird 21 Sowohl die konkrete wie auch die metaphorische Deutung kommt hier ins Spiel, und dieser doppelte Bezug ist fur Horaz charakteristisch.

17 Wie sehr dieser Gedanke in der augusteischen Zeit lebendig war, sehen wir an einer anderen Stelle: Der Verfasser tiber das Erhabene nennt die Dichter lao651OL (35, 2).

18 In diesem Zusammenhang ist wohl auch das 'credite posteri' (c. 2, I9, 2) zu sehen; entfernt vergleichbar Apuleius: igitur audi, sed crede, quae vera sunt (met. 9, 23, 8).

19 R. REITZENSTEIN, Die hellenistischen Mysterienreligionen nach ihren Grundlagen und Wirkungen, 3. Aufl., Stuttgart I927, S. 32I.

20 Z. B. DOERING, 2. Aufl., I8I5; WEISSENFELS, in der I5. Aufl. des NAUCK'sclien

Kommentars I899. 21 Diesen Doppelbezug von acutae aures hat bereits SCHELLER, in seinem Worterbuch

(3. Aufl. I804; Bd. i, Sp. I90) vermerkt; GEORGES hat dies dann leider aufgegeben. Acutus fuir die Sensibilitat der Sinne ist bei Horaz gelaufig, man vgl. s. I, 3, 26:

cernis acutum; ib. 29f. acutis naribus; Calp. Sic., buc. 4, I2: silvestre videatur acutis auyibus.

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Die Dionysosode des Horaz (c. 2, I9) 2I5

Zw'eite Strophe

Nach dem heiteren Idyll der ersten Strophe wird der moderne Leser durch den enthusiastischen Schrei der Bacchusanhanger iiberrascht - euhoe -, in dem Schrecken und Jubel sich vermischen. Wir k6nnen dies nur verstehen, wenn wir uns vergegenwartigen, welche Gefuihle die religiose Erfahrung der Epiphanie eines Gottes bei Griechen und R6mern wachrief.

Durch die Vision wird der Dichter gewuirdigt, in den Thiasus des Bacchus und seiner Nymphen einzutreten; wie diese ist er von der Gewalt des Gottes ergriffen, der das Herz des Dichters erfiillt:

plenoque Bacchi pectore (v. 6) 22

Der Gott weckt Schauder und Freude: mens trepidat metu ... turbidumque23 laetatur (v. 5-7). Dionysos erscheint

in seiner doppelten Natur 24, die zugleich freudig und furchtbar ist, eine Anti- these, die, wie wir sehen werden, den Bau des Gedichtes bestimmt. Aber diese doppelte Natur ist nicht allein fur Bacchus charakteristisch 25. Es ist eine Eigenschaft des Heiligen schlechthin 26

Im Gegensatz zur ersten Strophe ist in dieser zweiten Strophe die uber- waltigende Macht des Gottes herausgestellt, die den Epopten bezwingt; die Begriffe meti, metuendus rahmen den Begriff laetatur ein, der die Idylle des Anfangs nachklingen MUBt. Die Vision wandelt sich zur unmittelbaren Be- gegnung, die dem Sterblichen Furcht einfloBt und der deshalb um Schonung bitten muB 27.

Aus der Verziickung, dem Enthusiasmus des Dichters, kommt der Hymnos auf Dionysos, den die folgenden sechs Strophen enthalten. An dem Neophyten Horaz vollzieht sich hier eine religi6se Urerfahrung, die Dichtung wird als eine g6ttliche Manifestation begriffen, als eine Schopfung, die aus der Begeg- nung von Gott und Mensch entspringt28. Horaz erneuert diese Idee, weil er

22 Vgl. Hor., C. 3, 25, If.: tui plenum; zum Problem des Enthusiasmos, der hier erst- mals im R6mischen eine Formulierung findet, vgl. E. FRAENKEL, Horace, p. I99, I;

E. NORDEN, P. Vergilius Maro Aeneis Buch VI, 4. Aufl., Darmstadt I957, S. I45f.

23 turbidum. ist von turbo, dem Wirbelwind abgeleitet. Es deutet auf einen Zustand von Erregung und Verwirrung. Auch mag man darin eine Hindeutung auf den Wirbeltanz der Bacchantinnen sehen.

24 S. I. TROXLER-KELLER, S. 67. 25 S. H. OPPERMANN a. O., S. 54 ff. 26 Rudolf OTTO (Das Heilige, Miunchen 19I7) umschreibt die irrationalen Elemente des

Heiligen als das Tremendum und das Fascinosum: das, was erschreckt, und das, was be- zaubert.

27 Zu parce, das dem Gebetsstil entlehnt ist, vgl. E. FRAENKEL, Horace, p. 411, I. 28 W. F. OTTO hat dieses Phanomen beschrieben (Dionysos, 3. Aufl. I960, S. 2I):

#Der Beweis der Grol3e des Gottlichen ist die Kraft, die es erweckt. Dem Gefuhl seiner

Gegenwart hat der Mensch das Hochste, dessen er fahig war, verdankt, und dieses Hochste

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selbst das Wunder der poetischen Eingebung an sich erfahren hat. Er glaubt fest an die magische Seite der Kunst, und dies ist umso bemerkenswerter, weil wir im allgemeinen aus seiner Dichtung den Eindruck haben, daB das andere Grundelement der Kunst - das bewuBte Planen und Entwerfen - bei ihm vorwiegt29.

Dritte Strophe

Nachdem er den Gott geschaut hat, ist Horaz - zum Dichter und Seher geweiht - nun imstande, in Formen, die sich dem kultischen Hymnus an- nahern, die Taten des Gottes und seiner Gefolgschaft zu besingen. Nach gott- lichem Willen ist ihm dies nunmehr verstattet und zugleich geboten: das ist der Sinn von las.

Die Verse schildern die wunderbare Gewalt des Gottes, die sich zunachst in der hartnackigen Kraft der Thyiaden manifestiert, wie sie das Wort pervi- cacis andeutet, das man auf ihre zuigellose und unermiudliche Tanzraserei beziehen mag und auf das Wuiten, das erbarmungslos jeden Gegner vernichtet. Die bezwingende Erfahrung des alles niederwerfenden Gottes, die Horaz eben erlebt hat, klingt in diesem prononciert an den Anfang gestellten Wort nach und ist zugleich gemildert dadurch, daB das Epitheton vom Gott auf sein Gefolge iibertragen ist. So entsteht ein zwangloser tYbergang zur Beschreibung des segensvollen, lebenspendenden Wirkens des Gottes, der Strome von Wein, Milch und Honig flieBen IdBt. Hier wie in der ubrigen Beschreibung benutzt Horaz die Bakchen des Euripides30, die sicherlich die literarisch wichtigste Darstellung des Dionysosmythos in der antiken Literatur sind. Bei Euripides beschreibt der Bote die Tatigkeit der Manaden, Horaz andert eine Einzelheit: er IaBt den Honig nicht aus den Thyrsusstaben flieBen, wie Euripides (Bacch. 7Iof.), sondemn aus den Baumstammen. Die gleiche Einzelheit erscheint in

ist seine Sprachgewalt, die von der wunderbaren Begegnung zeugt, durch die sie empfangen und entbunden worden ist ... Der Mensch muB3 das Ungeheure heraussagen, das ihn ergriffen hat #.

29 In diesem Zusammenhang ist das Aufkommen der vates-Vorstellung besonders aufschluf3reich, weil hiermit nicht nur auf die altgriechische Vorstellung des von der Gott- heit inspirierten Dichters zuruickgegriffen wird, sondern, wie Paul THIEME (Die Wurzel vat, Indogermanische Dichtersprache, hrsg. v. R. Schmitt, Darmstadt I968, S. I87-203)

gezeigt hat, die urindogermanische Vorstellung von der dichterischen Inspiration wieder lebendig wird. Das Griechische dagegen, wo ))eine verwickeltere und modernere Auffassung des schopferischen Vorganges< (M. DURANTE, S. U., S. 263) stattgefunden hat, hat sich diese urspruingliche Idee erst spater wieder zuruickgewinnen mussen; Platon spielt darauf an

(Phaedr. 262 d), Kallimachos sagt ausdruicklich - und nennt Dionysos als Inspiranten- 4 p.6 [L' nve6a-nq bV8kLoq ... (epigr. 8, 3). Zu diesem Komplex auch M. DURANTE,

Untersuchungen zur Vorgeschichte der griechischen Dichtersprache, Die Terminologie fur das dichterische Schaffen, Indogermanische Dichtersprache, S. 26I-290.

80 Vgl. Eur., Bacch., 14If.: cel 8& yCXaXXTL 780OV, 'el 8' ONVc, At 8? pOXtLaaV V?XArCpL;

704ff.

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Die Dionysosode des Horaz (c. 2, I9) 2I7

der Hirtenpoesie Virgils (ecl. 4, 30). Bei Horaz haben wir eine paradiesische Landschaft vor uns, wir sehen Quellen, aus denen Milch und Wein str6mt, und Baume, aus denen Honig3l traufelt. Die Vorstellungen, die sich mit dem goldenen Zeitalter verbinden, liefern die Farben fur die Schilderung der lebens- spendenden Macht des Gottes. Zu diesem Bild einer Welt, die von Wundern erffllt ist, kommt nun noch die Idee von der Unsterblichkeit hinzu:

Vierte Strophe

Dionysos hat die Erinnerung an die gliickselige Braut Ariadne unsterblich gemacht, die sich ihm in Liebe hingab, indem er ihren Hochzeitskranz zu den Sternen erhob. Aber wer sich der Macht des Gottes widersetzt, wird vemichtet wie Pentheus, dessen Palast zerstort wurde, oder wie Lykurgos, der ein elendes Ende fand; nachdem er von Wahnsinn befallen war, t6tete er sein Weib und seine Tochter und wurde von den Panthern des Gottes in Stiucke gerissen32.

In eine Strophe gebannt - und wohl nicht zufallig ist es die vierte, die die erste Halfte der Ode beschlieBt - erscheint hier das doppelte Wesen des Gottes, wie er sich dem sterblichen Menschen offenbaren kann: als unendlich milder, Unsterblichkeit verleihender und als unendlich grausamer, Vernich- tung bringender Gott. So wirkt die Strophe wie eine Ausformung dessen, was Dionysos bei Euripides fiber sich selbst sagt: )*Dionysos ist fiir die Menschen der furchtbarste und der suBeste Gott#33.

Fiinlte Strophe

In den Strophen 3 und 4, die durch die fas-Anapher verbunden sind, wurde die Erscheinung des Gottes in der Polaritat beschrieben, die seine Gaben charakterisiert. In den folgenden beiden Strophen - sie sind ebenfalls durch eine auffallende Anapher, die tu-Anapher miteinander verbunden34- er- scheint Dionysos in einem neuen Licht: er ist hier nicht mehr als der gaben- bringende Gott, vielmehr als der bezwingende, bandigende, ja sittigende Gott bezeichnet.

81 Mit dem Begriff Honig, der betont am Ende der Strophe erscheint, greift Horaz auf das ehrwfirdige Symbol der Gotterspeise zuruick, das Dionysos den Bakchen weiterge- geben haben soll. Durch Honig werden Seher und Dichter ffir ihr Amt geweiht, vgl. Hom., hymn. Merc. 558ff.; Pindar, Pyth. 4, 6o; Plato, Ion 534a. Zum Problem H. USENER,

Milch und Honig, Rh. Mus. 57, I902, I77ff.

32 So Aischylos in der Tragodie Lykurgos, Apollodor. 3, 34f. und Hygin, fab. 132;

anders Homer, I1. Z, I30ff.

3 Eur., Bacch. 86I: acw6taoToq, &VOp67t0ovL 8' LC t 5Cov0o. 34 Den Parallelaufbau betonen nicht nur die Anaphern und die jeweils auf eine Strophe

verteilte Schilderung des Wirkens in Natur und Mythos, sondern auch diskretere Hinweise. So wird in der jeweils I. Strophe das Gefolge des Gottes erwahnt (Thyiadas v. Io; Bsstoni- dum V. 20). Ferner steht in diesen beiden Strophen versteckt ein Hinweis auf die bekannteste Gabe des Gottes, den Wein (vinique fontem, v. ii; uvidus, V. I8). Das Element des im banalen Sinne Berauschenden ist nicht ausgeklammert, aber doch deutlich zuruickgedrangt.

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Die Worte 'tu ilectis amnis' stammen aus den Berichten uiber den Zug des Bacchus nach Indien, die nach der indischen Expedition Alexanders d. Gr. verfaBt wurden, um einen mythischen Prazedenzfall fur die Unternehmungen des K6nigs zu schaffen. Nonnos berichtet in seinem Epos Dionysiaca (23,

I22 ff.) 35, wie Dionysos bei dieser Expedition den Hydaspes iiberschritt und den indischen Ozean erreichte. Horaz dagegen spricht nicht von dem mythi- schen Einzelfall, sondern von der zeitlosen Gewalt des Gottes. Aus diesem Grund nennt Horaz Indien nicht, und 'mare barbarum' hat eine doppelte Be- deutung: es bezieht sich auf den fernen Ozean im Lande der Barbaren und deutet zugleich ganz allgemein auf die wilde, barbarische Gewalt des Meeres, die der Gott zu jeder Zeit bezahmen kann36.

Neben der elementaren Gewalt des Wassers sind die Schlangen symbolhaft fur die gefahrdende Erscheinung der Natur genannt37, die durch die Gottheit gebandigt und daher fuir die Menschen harmlos38 wird.

Sechste Strophe

Deutlicher erscheint die das Chaos bandigende, sittigende Gewalt des Gottes in der Schilderung seines Einsatzes fir die olympischen G6tter beim Angriff der Giganten. Seit hellenistischer Zeit wurde ja der Sieg der G6tter fiber die Giganten als das groBe mythologische Symbol fur die Niederwerfung des Barbarischen empfunden.

In der ganzen antiken Literatur erscheint der Gigant Rhoetus nach Horaz nur noch bei Sidonius Apollinaris (c. 6, 34), der ihn vermutlich aus Horaz hat. Dagegen treffen wir oft den Centauren Rhoetus, so bei Virgil, Ovid, Valerius Flaccus, Lucan und Martial39. Anscheinend hat niemand die naheliegende Vermutung zn auBern gewagt, daB Horaz sich irrte und den Giganten mit dem Centauren verwechselte. Aber es ist natturlich ebensogut m6glich, daB der Gigant Rhoetus aus einem Gedicht stammt, das wir nicht mehr besitzen 40*

35 Das Zitat bei HEINZE ist falsch. Es hat sich, wie so manche andere falsche Zitate, mit treuer Beharrlichkeit bis in die 7. Aufl. fortgeschleppt.

36 Es ist hier mit Handen zu greifen, wie Horaz seine literarische hellenistische Vorlage, die geschaffen wurde, um ein politisches Ereignis mythologisch zu iiberhbhen, gleichsam ent- politisiert hat und ihr damit eine neue religiose Verbindlichkeit gegeben hat. Die 'politische' Konnotation dieses Mythos konnen wir in dem etwa gleichzeitig entstandenen sechsten Buch von Virgils Aeneis fassen, 6, 804f.

37 Vgl. H. REYNEN, Klima und Krankheit auf den Inseln der Seligen, Interpretationen (Gymn. Beiheft 4), Heidelberg I964. S. 85.

38 sine fraude ist hier, wie c. s. 4I, in seiner Grundbedeutung: "ohne Schaden" zu verstehen wie beispielsweise Cic., de leg. 2, 6o; Gellius 20, I, 49.

39 Verg., georg. 2, 156; Ov., met. I2, 27I. 30I; Lucan. 6, 390; Mart. 8, 6, 5; Val. Flacc.

I, I4I; 3, 65 (wo der neueste Hrsg. E. COURTNEY, Leipzig 1970, gegen die Handschriften

Rhoecus liest). 40 Aus der mythographischen Tradition konnen wir erkennen, daB das Vorgebirge

Rhoiteion eine enge Beziehung zu Dionysos aufzuweisen scheint. Die Oinotropoi, die Enke-

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Die Dionysosode des Horaz (c. 2, I9) 2I9

Ein schwieriges Problem ist mit den folgenden Versen verknuipft:

Rhoeturn retorsisti leonis unguibus liorribilique mala. (v. 23 f.)

Ausnahmslos verstehen die Interpreten diese Worte so, daB Horaz meint, Dionysos habe die Gestalt eines L6wen angenommen. Es ist richtig, daB der homerische Dionysoshymnus (Hom., hymn. Bacch. 44ff.) berichtet, daB Dionysos sich in einen L6wen verwandelte und in dieser Gestalt die Seerauber des Tyrrhenischen Meeres in Schrecken setzte, und der Chor der Bakchen des Euripides betet: >>Erscheine als Stier oder vielk6pfiger Drache oder als feuer- speiender L6we<# (v. IOI7ff.). Aber bei Horaz steht nichts von einer Ver- wandlung. Der Ablativus instrumenti ist vielmehr ganz w6rtlich zu nehmen; Bacchus bedient sich der Krallen und des Rachens eines Lowen, der sein Werkzeug ist. Der Gott kampft nicht selber, sondern gebietet uber den Lowen. Dies ist der iibermenschlichen Machtftille eines g6ttlichen Wesens angemes- sener als die Vorstellung eines verbissen kampfenden Gottes. Es entspricht der erhabenen Gottesauffassung, wie sie zuerst Xenophanes formulierte: )>Doch sonder Miuhe erschiittert er alles mit des Geistes Denkkraft <41. Ebenso beschreibt Aischylos das Walten der Gottheit in den Hiketiden: )>Bei den Gottern bedarf es keiner Anstrengung <42. Das miihelose Walten der Gottheit, das ist der entscheidende Aspekt, der uns in der Horazode entgegentritt. Wir begegnen ihm auch in der groBartigen Charakterisierung Juppiters in der ersten R6merode, wo von Juppiter gesagt wird, daB er mit seiner Braue das All bewege: cuncta supercilio mioventis 3 So ist der L6we hier das Werkzeug, wenn man so will die Emanation des Gottes. Den besten Beleg liefert eine Vase von Spina, die den Dionysos und den L6wen darstellt, der den Giganten

linnen des Staphylos, stehen mit ihm in Verbindung (Schol. Lycophr. 58I); Rhoiteia, die Eponymin des Vorgebirges (Schol. Lycophr. 583, ii6i; Servius, Verg. Aen. 3, IO8), war eine Tochter Sithons, von dem wiederum eine andere Tochter Pallene unter die Geliebten des Dionysos gezahlt wurde (Parthenios, frg. 6). Damit ist man wieder bei Pallene, bzw. dem mythischen Phlegra, dem Ort der Gigantenschlacht. Dazu vgl. M. MAYER, Die Gi- ganten und Titanen in der antiken Sage und Kunst, Berlin i887, S. 200, 248; F. VIAN, La Guerre des G6ants, Paris I952, P. 226, 229 sq. Ob man den Phoitos der Aristophanes- schale (Berlin No. 2531; FURTWANGLER II 709f.), den Phorcus des Hygin (Hyg., fab. praef. 4) und den Rhuncus des Naevius (frg. I9 MOREL) damit in Verbindung bringen kann, muB3 offenbleiben. Generell stellt MAYER fest: ))Die Verlegenheit um die Namen der erd- geborenen Schaar,... die nur wenige bekannte Namen aufwies, bestand von jeher... Am leichtesten tauschen die Giganten naturgemaf3 ihre Namen mit Centauren und Satyrn. ... Der Name soll herhalten, um die an Kopfen so reiche und an individuellen Gestalten so arme Schaar der Erdgeborenen fluichtig zu beleben. (( (S. 252).

41 B 25: &?X '7TaveUWk 7rVOLO v6ou pp1VL 7cV'lCC XpOCaLVL.

42 Aesch., Suppl. 99f.: 3LOCW 8' OuTLV ?07r),L[1L, 7rc6V &mVOV aa,L,OVMOV.

43 Hor., c. 3, i, 8; hieruber vgl. V. P6SCHL, Horazische Lyrik, S. Issff.

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packt 44. Auf dem Fries des Lysikrates-Monuments in Athen sieht man Dionysos ruhig gelagert, wahrend rings um ihn sein Gefolge die tyrrhenischen Schiffer vernichtet. Auf dem Pergamonaltar legt Athene die Hand auf die Haare eines Giganten, den ihre Schlange umschlingt und bezwingt: die Schlange kampft fuir die G6ttin, jedoch kampfen hier auch die G6tter. L6wen kampfen eben- falls am Pergamonaltar, worauf schon HEINZE hingewiesen hat. Auch in der vierten Romerode, wo Horaz die Gigantenschlacht beschreibt, kampfen die Gotter nicht eigentlich, sondern an ihrer Gegenwart zerbricht die 'vis consilii expers quae mole ruit sua'. Von Apollo wird ausdrticklich gesagt: 'A.pollo numquam umeris positurus arcum' - Apollo, der den Bogen nie von der Schulter nimmt 45. Die G6tter kampfen nicht, sondern siegen durch ihre geistige Gewalt. So hat WINCKELMANN den Apollo vom Belvedere beschrieben. Die Vergeistigung der Gottheit, die sich im klassischen Griechentum vollzog, wurde von den Augusteern uibernommen. Auch die epikureische Gottes- vorstellung, die dem Epikureer Horaz naheliegen muBte, steht ganz im Banne dieser griechischen Gottesidee 46.

Dionysos aber vor allem ist der miuhelose, spielerische Gott, der nur indirekt kampft, sei es mittels ihm unterstellter Wesen oder durch Blendung oder Be- zauberung des Gegners. Wenn wir die Verse so verstehen, dann fuigen sie sich vortrefflich in den Verlauf des Gedichtes, denn die Paradoxie, daB Dionysos 'uvidus', weinbefeuchtet, die giftigen Schlangen in die Haare der Bistoniden knotet, bringt im Grunde die gleiche Vorstellung zum Ausdruck. Der wein- geloste Gott, der keiner physischen Gewalt bedarf, besitzt eine wunderbare Zauberkraft. Als er im Gefangnis ist, l6sen sich die Fesseln von selbst, und die Tiiren springen auf (Eur., Bacch. 447ff.). Der Gott selbst spricht es aus (Eur., Bacch. 6I4): *Selbst habe ich mich gerettet, leicht, ohne Miihe#.

Der ganze Umkreis um den Gott scheint von gleiBender, berauschter, alle Sorgen, Gebrechen und Miihsal tiberstrahlender Helle zu sein. Der Gegensatz zwischen dem Gott und den Menschen kommt groBartig in der Szene der Bakchen zum Ausdruck (62Iff.), wo der Gott ))ruhig, um Pentheus sich nicht kiimmernd, das Haus des Pentheus vernichtet (. Hier wird der Gott der Ver- ziickung, der selbst v6llig gelassen bleibt, mit dem rasenden, die Luft mit dem Schwert im Wahn peitschenden, von Gott geschlagenen Menschen Pentheus

44 N. ALFIERI - P. E. ARIAS, Spina, Mtinchen I958, Taf. 66 = J. D. BEAZLEY, Attic Red-Figure Vase Painters II, Oxford I963, I04I, 6.

45 Bezeichnend das MiB3verstandnis bei HEINZE: #Das Beiwort nimmt auf den Augen- blick des Kampfes ebensowenig Riucksicht wie numquam umeris positurus arcum bei Apollo, der ja dabei den Bogen zwar nicht abgelegt, aber zur Hand genommen hat: er ist allzeit gerfistet, Feinde zu erledigen .

46 Siehe Epicu. epist. Men. I24; vgl. A. J. FESTUGItRE, Epicure et ses dieux, Paris

I946; W. SCHMID, G6tter und Menschen in der Theologie Epikurs, Rh. Mus. 94, I951;

G. PFLIGERSDORFFER, Cicero fiber Epikurs Lehre vom Wesen der G6tter, WSt. 70, 1957,

235-253; G. Lucx, Epikur und seine G6tter, Gymn. 67, I960, 308-315.

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konfrontiert. Der Gott der Raserei ist selbst das genaue Gegenteil der Raserei. WINCKELMANN hat ihn so gesehen: )>Wie auf dem Gipfel des h6chsten Ge- birges, welches in seinem Schatten die fruchbaren Taler Thessaliens verhillt, die Asche der Opfer niemals ein Spiel der Winde gewesen, so heiter und un- geriihrt von Leidenschaft erhebt sich seine Stirn?. (WINCKELMANN, hrsg. von Eislein, Bd. I2, S. 59). Auch die folgende Strophe reiht sich in diesem Zu- sammenhang ein.

Siebente Strophe

Es muBte iiberraschen, daB Dionysos, der im Griechischen, wie sonst nur Aphrodite, den Namen Philopaigmon -'Freund der Spiele' -tragt, der Gott der szenischen Chore und der Buihnenspiele, insbesondere auch der Satyrspiele, sich auch im Kriege bewahrte 46. Auf diese Paradoxie will der Dichter hinweisen. Ich verstehe die Worte

idem pacis eras mediusque belli

so: #Du warst derselbe mitten im Frieden und mitten im Kriege<4, derselbe, das heiBt gleich aptus, gleich machtig, gleich uiberlegen. Es mag in dem Begriff sogar etwas von der aequanimitas mitschwingen, die zu den wichtigsten Eigen- schaften des gottergleichen Weisen gehort. Auf 'idem' liegt der Hauptakzent. Das gibt einen besseren Sinn als HEINZEs blassere Deutung: tu qui pacis medius fueras idem belli medius eras, ))Wie du im Frieden der Mittelpunkt warst, so warst du es auch im Kriege<. Unsere Deutung wird zudem durch die starke Stellung des idemn im Enjambement empfohlen.

Ebenso muihelos bezaubert der Gott den Hollenhund Cerberus:

Achte Strophe

Der Gott hat den Hollenhund so bezaubert, daB er 'insons' wurde. Zu insons bemerkt HEINZE: "Ungewohnlich fur innoxius". Insons ist das geistigere, das mehr auf die innere Verfassung bezogene Wort. Durch die Erscheinung des Gottes wird Cerberus47 in seinem Wesen verwandelt. Merkwiirdigerweise gibt es Kommentatoren, die das Eingreifen des Gottes konkreter verstehen 48,

46a Das in Krieg und Frieden gleicherma3en hervorragende Auftreten weiB der Ver- fasser der Elegie an Maecenas am Gonner des Horaz zu rulhmen und nennt in diesem Zu- sammenhang neben anderen G6ttern auch Dionysos (v. 57ff.); Plutarch sagt iuber Deme- trios: )>Besonders von den G6ttern machte er Dionysos zu seinem Vorbild, der am schreck- lichsten war, wenn es galt sich des Krieges zu bedienen, und am tauglichsten, wenn es galt, wieder Frieden aus dem Krieg zu schaffen zu Frohsinn und angemessener Freudea.

UL&XLGYrc 'To)V gYeo)V &K?Xou AL6vuOOV, (5 WO>{CX tr (pY)a4hL no6-rtxtoT epV yv re &X MXo6LOU Tp&JOCL 7rp6q EqpOaVnUV xOc XCpLv 4L-6Taxrov. (Plut., Demetr. 2, 3).

47 Zum Ausdruck trilingui ore (v. 3If.), der jetzt mit HEINZE richtig als 'trium orum linguis' verstanden wird, verweise ich auf Val. Flacc. 7, I84, wo cantuque trilingui von

Hekate gesagt wird. 48 Z. B. PLESSIs-LEJAY I924, VILLENEUVE 1954, HEINZE in der 4. Aufl. I9OI.

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indem sie das Horn als Trinkhorn verstehen, mit dessen Inhalt Dionysos den Grimm des H6llenhundes brechen sollte. Doch das Bild von einem Bacchus, der sich den Zugang zur Unterwelt uber die Weinleiche des HUlienlhundes verschafft, m6chten wir eher in den Fr6schen des Aristophanes als in der Bacchusode suchen, mit deren Stilhohe sich eine solche Vorstellung nicht ver- tragt. Der SchluB der Ode ist so ganz von dem muihelosen Walten des Gottes bestimmt, der hier in der Ftille seiner lebenspendenden Macht49 auch die Schranken des Todes tiberwindet, genauso wie er Unsterblichkeit verleihen kann 50.

Vergegenwartigen wir uns nun den Aufbau des Gedichtes. Die beiden ersten Strophen stellen einen gewaltigen Kontrast dar. Dem friedlich-idyllischen Bild des Gottes, der seinen Nymphen und Satyrn Lieder vorsingt, steht die zweite Strophe gegeniuber, die die Erschbitterung schildert, die die Epiphanie des Gottes im Dichter hervorruft. Damit ist ein Grundmotiv der Ode ange- deutet: das doppelte Gesicht des Gottes, der der Gott des Gesanges, des Spieles, der Freude und zugleich der furchtbar zerstorende Gott ist, dessen Thyrsus- stab der Dichter ftirchtet.

Durch die Vision begnadet, darf und muB3 der Dichter die Wundertaten des Gottes besingen. Das kommt in dem folgenden Strophenpaar (3 und 4) zum Ausdruck, das durch die Anapher von las zu einer Einheit verbunden ist. In sorgfaltig sich steigernden Bildern wird die Macht des Gotteszur Anschau- ung gebracht. 'pervicacis' -von pervincere, bis zu Ende siegen - unbesiegbar, wird an erster Stelle unter den Epitheta der Dienerinnnen des Gottes genannt. Das Wort geh6rt zu den kraftgeladenen Adjektiven, deren sich Horaz zu bedienen weiB. Er gewinnt dem Wort gleichsam seine etymologische Grund- bedeutung zurtick 51. Damit wird ein weiteres Grundmotiv der Ode angeschlagen: die siegreiche Gewalt des Gottes und derer, die er mit seiner Gewalt erfuillt.

Dem paradiesischen Bild der Natur in Strophe 3 werden die Taten des Gottes aus dem Mythos in Strophe 4 gegenuibergestellt. Die gleiche Folge findet sich in dem nachsten Strophenpaar, das durch die Anapher des itt zusammengehalten wird. Auch hier wird der Macht des Gottes fiber die Natur, fiber Flisse, Meere und Giftschlangen seine mythische Tat in der grofen Gigantenschlacht gegenuibergestellt. Auch aus diesem Grund wird der indische Feldzug, aus dem die Bezwingung der Flisse und des Meeres stammt, nicht ausdrticklich in der Strophe erwahnt, die die Gewalt des Gottes uiber die Natur veranschaulichen soll.

49 2, I9, 29f. 'aureo cornu decorum'; #Das Gold ist Sinnbild des Lebens((, wie Paul THIEME (Ambrosia, Indogermanische Dichtersprache, hrsg. v. R. Schmitt, Darmstadt I968, S. II7) gezeigt hat.

50 Hier klingt ein leiser Bezug zur 4. Strophe auf, deren Motiv der Unsterblichkeit hier in verwandelter Form wieder erscheint; uber den Bezug zur i. Strophe s. u.

51 Andere bedeutungsschwere Adjektive waren acutae aures, mare barbarum; s. o.

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Noch ein anderer Gegensatz ist beiden Strophenpaaren gemeinsam: der Gegensatz zwischen Dionysos, dem Segensstifter, WTundertiter und Friedens- bringer, und dem alles vernichtenden Damon. In beiden Strophenpaaren, die die Mitte des Gedichtes einnehmen, steht die dunkle Seite des Gottes der hellen gegenuiber. In dem zweimaligen Kontrast kommt die Doppelnatur des Gottes zum einpragsamen Ausdruck.

Strophe 7 zieht das Fazit aus dem Ganzen: in sentenzenartiger Formu- lierung wird die Wirksamkeit des Gottes in Krieg und Frieden genannt, (lie aufs Neue seine Doppelnatur veranschaulicht. Dabei wird betont, daB der Gott paradoxerweise immer der gleiche bleibt: heiter und ungeriihrt von Leidenschaft, mit WINCKELMANN zu reden. Daran schlieBt sich als SchluB und H6hepunkt des Ganzen die Bezwingung des Todes: der Gott vermochte sogar den HUllenhund zu bezaubern und aus dem Hades zurtickzukehren.

Wir haben also einen klaren Aufbau: dreimal zwei Strophen, die miteinan- der kontrastieren,

der Kontrast von Idylle und ekstatischer Raserei (Strophe i und 2),

der Kontrast im Wirken des Dionysos in Natur und Mythos (Strophe 3 und 4; Strophe 5 und 6).

Die Kontrastkomposition, die ein Merkmal der klassischen Dichtung Roms ist 52, wird hier auf einen Gegenstand angewandt, zu dessen Wesen die Kontrastnatur gehort.

Ein weiteres Strukturelement ist bemerkenswert: der durch den Gott mit dem goldenen Horn gleichsam verzauberte Cerberus illustriert noch einmal die heitere, besanftigende Gewalt des Gottes. So endet das Gedicht mit einer freundlichen Szene, wie es mit einer solchen begann. Ferner: beide Szenen k6nnten leicht in einem wirklichen Bild, einem Relief oder einer Malerei dar- gestellt werden. So beginnt die Ode mit einem statischen Tableau und endet mit einem solchen. Sieht man sorgfaltig hin, so wird man kein anderes sta- tisches Bild dieser Art in der ganzen Ode finden . So kann man sagen, daB ein Kreis sich schlieBt. Auch ist die formale Beziehung zwischen 'Bacchum ... vidi' zu 'te vidit' in der letzten nicht zu ulbersehen. Cerberus ist nicht weniger beeindruckt als Horaz.

Die zweite und die siebente Strophe sind ebenfalls symmetrisch, und zwar diesmal im Gegensinn symmetrisch. Die zweite Strophe beschreibt die Er- regung des Dichters, als sein Herz mit der Macht des Gottes gefuillt wird, wahrend die siebente Strophe die ruhige Uberlegenheit des Gottes in Frieden

52 V. POSCHL, Die Hirtendichtung Virgils, Heidelberg I964, S. 272ff.

53 Man konnte vielleicht sagen, daB die Strophe, die die paradiesische Landschaft mit ihren Stromen von Milch, Wein und Honig beschreibt, ahnlich sei, aber es ist nicht so leicht, sich diese Szene als ein Bild vorzustellen, wie die Strophen i und 8, es ist eine mehr dynamische als statische Szene.

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und im Krieg schildert. Beide Strophen sind Beschreibungen von Seelenzu- standen und gegensatzlich einander zugeordnet. Der Dichter und der Gott, Erregung und Ruhe, absolute Hingabe und absolute Vberlegenheit.

Wenn ich die Struktur der Ode in einfacher Weise veranschaulichen darf, so k6nnte man folgende Skizze entwerfen:

Strophe I: Anfangstableau Strophe 2: Die Erregung des Dichters Strophe 3

und 4: Wirken des Gottes in Natur und Mythos Strophe 5

und 6: Wirken des Gottes in Natur und Mythos Strophe 7: Die Ruhe des Gottes Strophe 8: SchluBtableau.

Der tJbergang zwischen den ersten drei Strophenpaaren ist nicht abrupt. Es besteht eine Beziehung zwischen dem Thyrsus des Gottes, durch den er seine Macht ausuibt (Ende von Strophe 2), und den ungezulgelten Thyiaden von Strophe 3. Die Wortanfange sind gleich: thyrso - Thyiadas; das ist eine Art von Paronomasie. Ein ahnlicher Bezug verbindet den Sieg tiber Lykurgos (Ende von Strophe 4) mit der Bezwingung der Machte der Natur und des barbarischen Meeres (Beginn von Strophe 5).

Vor allem ist bemerkenswert, daB die ganze Komposition in Form einer Steigerung aufgebaut ist, in die alle Abschnitte einbezogen sind: nach dem Idyll der ersten und der Erschuitterung des Dichters in der zweiten Strophe eroffnet sich in Strophe drei die gr6f3ere Welt des Gottes mit ihren Wundern. Der Horizont weitet sich gewaltig aus. Mensch und Natur, alles befindet sich im Taumel. Die Erde offnet sich und ergiel3t Str6me von Lebenskraft aus ihrer mtitterlichen Tiefe. Doch nicht nur Fruchtbarkeit und Leben spendet Dionysos, sondern auch Unsterblichkeit. Ariadne wird fur ihre Liebe dadurch belohnt, daB der Gott ihre Brautkrone unter die Sterne versetzt. Da aber bricht die Strophe um zu dem Bild der zertriimmerten Konigsburg des Pentheus und dem furchtbaren Untergang des Lykurgos, der ein so gefahrlicher Gegner war, daB der Gott sich, wie in der Ilias berichtet wird, vor ihm zu Thetis in die Tiefen des Meeres fluichten muBte. Der gewaltige Sieg tiber Lykurgos l6ste dem Dichter gleichsam die Zunge, und nun stromt der Hymnus in der vierfachen Anapher des 'tu' frei aus: Dionysos wird als der Bezwinger der Machte der Natur gefeiert, der Flisse, des Meeres, der giftigen Schlangen. In Strophe 6 weitet sich dann der Blick zum Kosmischen, zum Gigantenkampf. Eine ganze Strophe nimmt die Bezwingung des furchtbarsten aller Gegner, des Giganten Rhoetus, durch den Lowen des Dionysos ein, um in der SchluBstrophe - und das ist eine weitere Steigerung - mit der Bezwingung des Hades zu enden. Erde, Himmel und H6lle werden durchmessen, tiberall siegt Dionysos durch die Zaubergewalt seines Wesens.

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Mit den knappen und suggestiven Mitteln seiner Kunst ist es dem Dichter gelungen, in acht Strophen das Phanomen des Dionysos und des Dionysischen zur Darstellung zu bringen, das in der Geschichte der europaischen Kultur von grol3er Bedeutung gewesen ist. Es ist die konzentrierteste Beschreibung des Phanomens, die wir besitzen. Auch heute noch konnte man mit Hilfe der Ode das Wesen des Dionysischen erhellen. Das zeigt, daB es sich nicht nur um eine groBe ktinstlerische, sondern um eine geistige Leistung handelt, die nicht zuletzt darin besteht, daB das Phanomen des Dionysischen, des Ek- statischen, alle Grenzen Sprengenden in die klassische Form einer horazischen Ode gebannt wurde.

Aber damit ist das Wesen des Gedichtes nicht ersch6pft. Man hat auf die griechischen Voraussetzungen hingewiesen: die traditionelle Form des Hym- nenstils, die Eduard NORDEN in seinem Buch Agnostos Theos und Hermann KLEINKNECHT in seinem Werk fiber die Gebetsparodie untersucht hat, die Epiphanie des Gottes am Anfang, die wir schon im Apollonhymnos des Kalli- machos finden, Dionysos, der die Dichtung inspiriert in einem orphischen Hymnus (53, 5ff.). Eine gottliche Macht, die den Dichter inspiriert, findet sich auch bei Lucrez (I, 922ff.)53a. Dort ist es die groBe Ruhmeshoffnung (laudis spes magna), die den Dichter mit dem Thyrsusstab beruihrt. Den epi- kureischen Dichter Lucrez hat sein Materialismus gezwungen, den Gott Dionysos durch die Ruhmeshoffnung zu ersetzen, doch der Thyrsos ist bei- behalten. Dies aber weist auf eine Tradition hin, wo Dionysos den Dichter durch seine Erscheinung und durch die Bertihrung mit dem Thyrsosstab begnadete. Man kann vielleicht Kallimachos als Quelle vermuten, der ja ausdriicklich an einer Stelle von der Inspiration durch Dionysos spricht (epigr. 8, 3), so daB die Dichterweihe durch Dionysos bei Horaz auf Kallimachos zurtuckgehen wulrde .54

Das interessanteste und wichtigste Vorbild aber ist Platons Dialog Ion. Dort wird die Auswirkung der Inspiration des Dichters mit den Verwandlungen gleichgesetzt, die die Manade erfahrt, sobald sie die Kraft des Gottes in sich aufnimmt. Der entscheidende Satz lautet: )>Wie die Bacchantinnen aus den Flissen Honig und Milch schopfen, wenn sie vom Gott ergriffen sind, wenn sie aber im Besitz ihres Verstandes sind, es nicht zu tun verm6gen, so vermag dies auch die Seele der Liederdichter zu tun55( . Das mag mit begriindet haben,

53a Zu Lucrez, vgl. P. H. SCHRIJVERS, Horror ac divina voluptas. Etudes sur la po6tique et la poesie de Lucrece, Amsterdam I970, bes. p. 3I sqq.

54 Die Vorstellung des vom Thyrsos des Bacchus inspirierten Dichters finden wir dann haufig bei Ovid, vgl. am. 3, I, 23: Thyrso pulsum graviore; am. 3, I5, 17: corniger increpuit Thyrso graviore Lyaeus; trist. 4, I, 43: sic ubi mota calent viridi mea pectora thyrso; vgl. dazu SINKo, a. o., p. ii. Ovid wendet sich auch an anderer Stelle an Bacchus als einen Gott, der die Dichtung beguinstigt, fast. 3, 7I2: Bacche, fave vati, dum tua Jesta cano.

55 Plato, Io 534a: 6`a7rp ocL PXXZL kp6OVTXL ?X rCV 7lroTqLwV VIMXL xal yaci Xoc'T?-

X6OVLewL, ?U?pOVn 8? ov6at ovS, xocaL tv LeX0o7oLvu)V u IjV ToVTo Spyaerao. Hierzu bemerkt

Hermes 101,2 15

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226 VIKTOR POSCHL

daB Horaz seinen Hymnus mit der Darstellung der Paradieseslandschaft beginnt, wo Honig, Milch und Wein flieBen. Der Dichter selbst nimmt an der dionysischen Verzuckung teil, seine Brust ist von Bacchus erftillt. Das aber bedeutet, daB die Kraft des Gottes Dionysos wie in die Manaden, als Kraft des Dichtergottes Dionysos auch in den Dichter iubergegangen ist. So kann Horaz in dem Wirken des Gottes auch etwas von der Macht der Dichtkunst sichtbar machen56 und insbesondere seiner eigenen, lyrischen Dichtkunst. Die zwei Seiten des Dionysischen sind auch in seiner Dichtung zu finden: die verzaubernde, besanftigende, alle N6te und Leiden lindernde Wirkung, und auch die Gewalt, die es vermag, Widerstande zu bezwingen und die Rechtsbrecher durch das Wort zu vernichten.

Die Macht des Gesanges als naturbezwingende Gewalt hat im Orpheus- mythos ihre gultigste Gestalt gefunden. Ihn hat Horaz als Symbol seiner eigenen, von der Muse Klio inspirierten Sangeskunst in einer Ode beschworen:

unde vocalem temere insecutae Orphea silvae arte materna rapidos morantem fluminum lapsus celerisque ventos (c. I, I2, 7-IO) 57

H. FLASHAR, Der Dialog Ion als Zeugnis platonischer Philosophie, Berlin I958: )#Dieses Bild bezeichnet die Gegenwart der Kraft des Dionysos ... Die ursprunglich ganz dem Gotte eigene Kraft geht dann auch auf seine schwarmerischen Verehrerinnen Uber.# (S. 6o). Es ist bedauerlich, daf3 wir hinsichtlich der Vorstellungen Demokrits ilber den Enthusiasmus der Dichter (B i8, vgl. dazu FLASHAR, a. 0., S. 56, A. 3) nichts Genaueres wissen.

56 Selbst ein so skeptischer Geist wie MONTAIGNE konnte sich dem bezaubernden Wesen der Dichtung nicht entziehen; er beschreibt sie: #il est plus aise de la faire que de la cog- noistre. A certaine mesure basse, on la peut juger par preceptes et par art. Mais la bonne, l'excessive, la divine est au-dessus des regles et de la raison. Quiconque en discerne la beaut6 d'une veue ferme et rassise, il ne la voit pas, non plus que la splendeur d'un esclair. Elle ne pratique point nostre jugement, elle le ravit et ravage. La fureur qui espoin,onne celuy qui la scait penetrer, fiert encore un tiers 'a la luy ouyr traitter et reciter. (( (M. Mon- taigne, Essais. Texte 6tabli par A. THIBAUDET, Paris I939, P. 235) - #Es ist leichter, Poesie zu machen, als Poesie zu verstehen. Ist sie von geringerem Wert, dann laI3t sie sich nach Vorschrift und Konnen beurteilen. Die gute aber, die auBerordentliche, die gott- liche, die ist erhaben iuber Regeln und Vernunft. Wer ihre Schonheit festen und gesetzten Blickes wahrnimmt, der sieht sie so wenig wie den Strahl eines Blitzes. Sie will nicht unser Denken in Gang setzen, sie reiB3t es hin und utberwaltigt es. Die Besessenheit, die den fur sie empfanglichen Menschen packt, entzundet auch noch einen anderen, der ihm zuhort, wenn er iuber sie spricht oder sie vortragt. s( (tbers. H. FRIEDRICH). H. FRIEDRICH hat gezeigt, daB sich diese Auffassung Montaignes nicht nur auf die neuplatonische Mode seines Jahrhunderts zurtickfuihren lalt, sondern mehr noch *aus der enthusiastischen Anlage seiner eigenen Natur<e resultiert (H. FRIEDRICH, Montaigne, 2. Aufl., Bern - Miinchen I967, S. 52 f.).

57 In der Hirtendichtung Virgils findet sich ein ganz ahnlicher Gedanke, wenn Virgil von den Hirten Damo und Alphesiboeus sagt, quorum stupefactae carmine lynces, et mutata suos requierunt fumina cursus (buc. 8, 3-4).

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)>Dem singenden Orpheus folgten deshalb blindlings die Baume, mit der Kunst seiner Mutter hielt er das rasche Str6men der Winde auf und der Fhisse<<.

Wie nahe ist das der Formulierung 'tu ftectis amnis, tu mare barbarum' (c. 2, i9, I7). Von einer neuen Seite erschlieBt sich dem Verstandnis, weshalb Horaz das Bild, das aus dem Mythos des indischen Heerzugs des Dionysos stammt, daraus loste und ins zeitlos Guiltige hob. Dionysos erscheint so Orpheus an- genahert. In beiden wird die Macht des Gesanges, die Macht der Dichtkunst verkorpert.

Wie nahe dem Horaz eine solche Identifikation lag, geht aus einer Stelle der ars poetica hervor: "Nur deshalb", heiBt es dort, )>sagt man von Orpheus, er habe durch seinen Gesang Tiger und Lowen bezahmt, weil er als Vermittler g6ttlichen Wollens (interpres deorum) die Urmenschen von Mord und Men- schenfraB abbrachte. Nur deshalb heiBt es von Amphion, er habe mit dein Klang seiner Leier Steine zu Mauern geftigt, weil die Dichter es waren, welche die Menschen unter der sittlichen Macht der Gesetze zu vereinen wuBten(58. Im Hymnus an Merkur (c. 3, II) lIdt der Dichter den Gott und die von ihm erfundene Leier ein, Weisen zu singen, durch die Lyde seinem Liebeswerben gefuigig gemacht werden kann: ))Denn du kannst Tiger und Baume zu deinem Gefolge machen und schnelle Fltisse aufhalten. Deinem Schmeicheln wich der Tiirhuiter des unheimlichen Palastes# 59, womit wieder auf Cerberus angespielt ist. Wie Dionysos, Hermes und Orpheus, so kann auch Alkaios, das wichtigste Dichtervorbild des Horaz, den H6llenhund besanftigen und durch seinen Gesang das hundertkbpfige Ungeheuer dazu bringen, daB es ))seine schwarzen Ohren voll Staunen senkt und die Schlangen in den Haaren der Eumeniden zum Leben erwachen(6O.

DaB sich dem von Dionysos Erfiillten Quellen von Wein, Honig ulnd Milch erschlieBen, ist aber nicht nur, wvie im Ion, als Gleichnis ftir die sch6pferische Phantasie des Dichters und die Wunder, die sie zu erwirken vermag, zu ver- stehen, sondem auch fur die lebenschaffende Kraft, die der Dichtung inne- wohnt6l. Am schonsten hat dies Virgil in seiner fiunften Ekloge ausgedruickt,

58 Hor., a. p. 39I-399; vgl. dazu C. 0. BRINK, Horace on Poetry. The 'Ars poetica', Cambridge 197I, S. 384ff.

59 Hor., c. 3, II, I 2-I6: tu potes tigris comitesque silvas / ducere et rivos celeres morari: cessit immanis tibi blandienti I ianitor aulae.

60 Hor., C. 2, I3, 33-36: ubi illis carminibus stupens / demittit atras belua centiceps auris et intorti capillis / Eumenidum recreantur angues.

61 Der Ausdruck iterare (v. 12) macht m. E. deutlich, daB diese lebenschaffende Wirkung auch auf den Dichter tibergeht. Ich kann daher weder HEINZE, der iterare - wie uibrigens auch der ThlL VII, 2, 549, 22f. - mit narrare gleichsetzt, noch FUHRMANN zustimmen, der, wie vor ihm schon E. MAASS, Hermes 3I, I896, Anm. 2, die Ansicht vertritt (a. O., S. 85, Anm. 4), Horaz wiederhole, was der Gott den Nymphen vorgesungen habe. Zwar ist, wie FUHRMANN richtig feststellt, cantare mit iterare zu verbinden, aber nicht im Sinne einer Gleichsetzung, (iterum cantare), sondern einer Cberbietung. Die Macht der Gottheit, die

15*

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wo der Tod des Hirtendichters Daphnis Duirre und Ode hervorruft, wahrend der Segen in der Natur als Ausstrahlung seiner gottlichen Gegenwart empfun- den wird 62. Die Bezwingung der Giganten, um derentwillen Dionysos in un- serer Ode gepriesen wird, ist in der vierten R6merode als Beispiel dafiir ver- wandt, daB man auf den milden Rat der Musen und ihres Vertreters, des Dichters, h6ren miusse, weil die G6tter Uberheblichkeit und Gottlosigkeit bestrafen (c. 3, 4, 4Iff.). Das Musische ist so nicht ein lediglich asthetisches Phanomen, sondern die Erscheinung eines fundamental ethischen Prinzips 62a.

Die siebente Strophe aber wirkt beinahe wie ein verstecktes Selbstportrait des Horaz. Er, der Dichter der imbellis Musa (c. i, 6, io), der iocosa Musa (c. 3, 3, 69), der ridentem dicere verum als sein Programm nennt (s. I, I, 24),

der Schelm und SpaBmacher der Satire hat dennoch, wenn auch nicht erfolg- reich, bei Philippi gekampft und ist vielleicht in der coh'ors amicorum des Maecenas im Feldherrnlager zu Actium zugegen gewesen63r In der Selbst- vorstellung am Ende des ersten Epistelbuches sagt er von sich, daB er den Ersten der Stadt in Krieg und Frieden gefallen habe:

me primis urbis bello placuisse domique (epi. I, 20, 22).

In den Iamben und Satiren hat er sich als leidenschaftlicher Bekampfer mensch- licher Schwachen erwiesen.

Wenn wir so den Dionysos unserer Ode als Symbol der Idee der horazischen Dichtung interpretieren und die Wundertaten des Gottes als Analogie dessen,

der Dichter erfahrt, geht wahrend des Singens auf den Dichter selbst uiber, der das wunder- bare Wirken des Gottes so im Gesang wiederholt; was hier also zum zweiten Mal geschieht, ist nicht das Singen, sondern das Wunder. Die Verbindung cantare ... iterare ist daher nicht mit iterum cantare, sondern mit canenzdo iterare zu paraphrasieren; ein naheliegendes Beispiel fuir den Gedanken ist Hor., c. 3, II, 2: canendo . . . movere. Die gleiche Vorstellung finden wir bei Verg., buc. 9, I9 f.: quis caneret Nymphas? quis humum fiorenttibus / spargeret, aut viridi fontes induceret umbra? DaB hier der Dichter wirklich tut, was er nur singt, haben alle Kommentatoren erkannt und auf buc. 6, 46. 62 verwiesen, wo der Gedanke ebenfalls auftaucht; vgl. e. g. HEYNE, CONINGTON, PLESSIs-LEJAY zu buc. 9, I9f.

62 Verg., buc. 5, 32ff.

62a Indem Horaz dieses Phanomen an Dionysos beschreibt, erneuert er damit einen Versuch des perikleischen Athens, den Gott in die gebandigte Welt der olyinpischen Gotter einzuordnen. P. VICAIRE schreibt dartuber: )>Selon Nietzsche, les Grecs auraient commis la faute d'opter pour l'apollinisme contre le dionysisme. Si nous devions adopter cette maniere de voir, nous preciserions qu'entre les Grecs ce sont surtout les Atheniens et parmi les Ath6niens ce sont 6videmment ceux du temps de P6ricles et de Sophocle, qui se detournent des aspects h la fois les plus originaux et les plus violents, les plus anarchiques, de la religion dionysiaque: ils optent pour l'ordere et pour l'harmonie contre le desordre des impulsions abyssales! # (P. VICAIRE, Place et figure de Dionysos dans la tragedie de Sophocle, REG 8i, I968, 35I-373; 372). Fur Dionysos bedeutet das: )dle dionysisme parait 'exorcis6' de

sauvagerie et de d6sordre(( (P. VICAIRE, a. 0 p. 373). 63 Vgl. E. WISTRAND, Horace's gth Epode and its Historical Background, Goteborg

I958.

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was der von seinem Gott erfiillte Dichter leistet, muissen wir vor einem nahe- liegenden MiBverstandnis warnen, einem MiBverstandnis, dem symbolische Interpretation immer wieder ausgesetzt ist. Es ware ganz falsch, in jedem Zug des Gedichtes eine dechiffrierbare Hindeutung auf die Dichtung des Horaz aufspiiren zu wollen. Auch ist nicht daran zu denken, daB das Gedicht etwa nur aus diesem Bezug seinen Sinn bezieht. Es ist und bleibt ein Hymnus auf Dionysos, den inspirierenden Gott der Dichtung, und als solcher ist das Gedicht in sich sinnvoll und verstandlich: ein groBartiges Monument dieses religi6sen Phanomens. Andererseits aber darf man nicht uibersehen, daB auf die Be- ziehung zu Horaz und auf die Dichtung iiberhaupt hingedeutet wird. Antike Gotter werden in dieser spaten Phase der antiken Entwicklung als Seinsbe- reiche verstanden, und in diesem Sinne sind sie Wirklichkeiten erster Ordnung. Das Dionysische wird als Essenz der Dichtung des Horaz und der Dichtung tiberhaupt verstanden. Dionysos ist so gleichsam die Hypostase der sch6pferi- schen Phantasie des Dichters. Es scheint fast, als ob in den verschiedenen Aspekten des Dionysos, die die Ode anruihrt, verschiedene Arten, ja Gattungen des Poetischen anklingen. Das hymnische Element wandelt sich mit dem Wandel in der Erscheinung des Gottes und laBt Elemente, die man eher der Bukolik (Paradieseslandschaft), Lyrik (Verherrlichung und Verewigung der Ariadne) Tragodie (Pentheus und Lykurg) oder Epik (Gigantomachie) zuordnen m6chte, vemehmen. Damit erhalt freilich die uralte Form des Go5tterhymnus eine neue Dimension. Das gilt auch fulr andere Hymnen des Horaz; fur die Ode an Fortuna (c. I, 35) z. B. habe ich gezeigt64, daB sie eine monumentale Dar- stellung des Schicksals der romischen Revolutionszeit ist. Schuldbekenntnis und Hoffnung auf Stihne sind in dem Gedicht gegenwirtig. Die Drangsal, das unermeBliche Leid, die Brutalitat der Buirgerkriege zittern in dieser groB- artigen Ode noch nach, aber auch die Hoffnung auf Erneuerung, auf die Be- friedung des Imperiums und groB3e kriegerische Taten. Auch der erste Hym- nus auf Merkur (c. I, IO) 65 gewinnt seinen tieferen Sinn erst aus der person- lichen Beziehung zu Horaz, der sich als vir Mercurialis bezeichnete (c. 2, I7, 29).

Es wird von Merkur gesagt, daB er die Menschen durch die Rede erzogen habe: ))Schlau, verschlagen hast du die wilde Lebensweise der Urmenschen durch die Sprache geformt < 66. Spater wird Horaz vom Dichter sagen, er zuerst lehre den stammelnden Mund des Kindes die Sprache und dann forme er auch seine Gesinnung mit freundlichen Vorschriften (epi. 2, I, I26ff.). Merkur ist der Erfinder der Leier, und er ist ein heiterer, verschlagener Gott. Diese merkuriali- sche Seite ist am reinsten in der Satire des Horaz zu finden. Andererseits ist Merkur ein hilfreicher Gott, ein Gott, der die feindlichen Lager versohnt.

64 V. POSCHL, Horazische Lyrik, Heidelberg I970, S. 52ff. 65 Hier bin ich dem ungedruckten Habilitationsvortrag von Christoff NEUMEISTER

verpflichtet. 66 Hor., C. I, 10, 2-3: feros cultus hominum recentum / voce formasti catus.

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230 PAUL A. GALLIVAN

Mit seiner Hilfe gelang es Priamos, ins feindliche Lager zu kommen. Merkur vermag die Schrecken des Krieges und des Todes zu lindern: dies sind Aspekte, die der Dichter Horaz mit seinem Gott Merkur gemein hat. In den Oden an Merkur und an Dionysos ist so ein gleiches Verstandnis des Gottlichen wirk- sam, das stets auf das Individuum des Dichters zuriickweist und fast als seine Extrapolation erscheint. Es sei fern, hier zu allegorisieren, aber daB hier zarte Hindeutungen, zarte Beziehungen bestehen, das erst gibt dem Gedicht seinen tieferen Sinn.

Heidelberg VIKTOR POSCHL

NERO'S LIBERATION OF GREECE

Nero's speech pronouncing the liberation of Greece survives, as does the decree of the people of Acraephia in Boeotia thanking him'. Plutarch gives the circumstances-

ta ' o5v KopMtvCov 7JCO?L 7rp0' toVi EX?-qvcq TO6 oc&l6 Lc % au55X@ xal yap T'LToq ?v Kop'vOy -o6Tr xal N6pwv ocMOq xocO' at&5 ?V KopLvOp 7rapocnt - aL&G 'IaO6dcov 'yotL6vwv ToUq ̀ E??vocq 'su0'POUq xol ocurovo6Louq &cpWxCv, o p.,v &t& Xnpuxoq4 xc tpYyroL, N6pov 8% OUTOq CM -rq &yopCoc MMW P-5tocOq eV

TC, 7TrX1,e &%quy0p 6Go 2.

In his speech, Nero declared that nothing was unable to be hoped for ))7cpa ,

I5q ,u CyaXogpocppoauvG<( and added that although he regretted the present

condition of Hellas, he was not acting out of pity, but rather because the gods of Greece had been good to him. He ended his speech-)> 7or6eLq pev yocp xacaL 6-

XOr XzU0ep&CaV Tyz6vs4, N6pcv Ml p6VO XOaL ?0p/ L0xV3.((

The date for this proclamation presents a problem, for while the day and month are known from the inscription, i.e. 28 November (n 7porp -saac&pw)V

xcxXxva6V Aexetfpp'cov), the year is not specified. Both the years A.D. 66 and

1 S.I.G.3 814 = I.L.S. 8794 = E. M. SMALLWOOD, Documents Illustrating the Princi- pates of Gaius, Claudius and Nero, Cambridge I967, no. 64 = F. F. ABBOTT and A. C. JOHNSON, Municipal Administration in the Roman Empire, Repr. Princeton I968, no. 56. The inscription was discovered and first published by M. HOLLEAUX in Discours de Neron in Bull. de corr. hellenique 12, i888, p. 5IOff.

2 Plutarch, Flamininus 12, 8. 3 For the privileges involved in the freedom, see ABBOTT and JOHNSON Op. cit. p. 39ff.;

A. H. M. JONEs, The Greek City from Alexander to Justinian, Repr. Oxford I967, p. 13I f.; J. COLIN, Les Villes libres de l'orient Greco-Romain et l'envoi au supplice par acclamations populaires. Coll. Latomus 82, i965, p. 39ff.