high follow-up, low follow-up, no follow-up?

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Editorial 869 JDDG | 10 ˙ 2007 (Band 5) High Follow-up, Low Follow-up, No Follow-up? Christiane Voit In kaum einem anderen Land Europas hat man sich bislang so viele Gedanken über den Umfang und die Effizienz einer Melanomnachsorge gemacht wie in Deutschland. Bereits in den Leitlinien von 1994 wurde ein ausgesprochen intensives Nachsorgeschema empfohlen, das auch in niedrigen Stadien eine apparative Nachsorge unter Einschluss von Laboruntersuchungen empfahl [1]. So wurde ein hoher Kosten- und Personalaufwand betrieben, der oft nur in einer kooperativen Nachsorge in Zusammenarbeit der Kliniken mit den niedergelassenen Hautärzten bewältigt werden konnte. Erste retrospektive Studien [2] von Hoffmann und Schadendorf zeigten aber, dass gerade in den niedrigen Stadien (< 1 mm Tumordicke) hohe Kosten entstanden, um die wenigen, überhaupt auftretenden Metastasen bei grundsätzlich exzellenter Prognose zu detektieren. Eine weitere prospektive Nachsorgestudie von Prof. Garbe et al. zeigte, dass ein intensiver apparativer Aufwand sich nur in den Stadien lohnte, die mit einem höheren Risiko für eine stattfindende Metastasierung verknüpft waren [3]. Eine konsequente Nachsorge schien auch mit einem verbesserten Überleben [4] und nicht mit einem lead-time bias („Lead time" ist der Zeitraum zwischen verfrühter Entdeckung eines Rezidivs aufgrund früherer Nachsorge/erhöhtem apparativen Aufwand und dem Zeitpunkt, an dem ein Rezidiv ohne diesen Mehraufwand entdeckt worden wäre) Effekt [5] verknüpft zu sein. Derzeit läuft eine vergleichende Nachsorgestudie in drei verschiedenen Studienzentren (Kiel, Mannheim, Tübingen) unter der Leitung von Professor Garbe, die das Konzept der reduzierten, rein klinischen Nachsorge in den niedrigen Stadien prüfen soll. Die ersten Ergebnisse, die auf der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology, (ASCO) 2007 in Chicago präsentiert wurden, unterstreichen erneut die Wertigkeit der klinischen Untersuchungen und der Lymphknoten- und Weichteilsonographie, bei denen Kostenaufwand und Rate der detektierten Läsionen in einem günstigen Verhältnis stehen. So konnte für die klinische Untersuchung eine Sensitivität zwischen 90 und 96 % sowie für den Ultraschall eine Sensitivität von 92 % bei jeweils sehr hoher Spezifität erreicht werden. Leider ist nicht bekannt, ob nach der Größe der entdeckten Rezidive stratifiziert wurde, da in der Literatur die Zahlen für die Sensitivität des Ultraschalls meist höher liegen als für die klinische Untersuchung. In dem in diesem Heft veröffentlichten Artikel von Professor Hengge werden 526 Melanompatienten über den langen Zeitraum von 5 Jahren genau auf diese Kosteneffizienz bei der Nachsorge hin untersucht. Das Patientenkollektiv umfasst zwar eine ausgesprochen hohe Zahl (76 %) an Patienten mit Melanomen unter 1 mm Tumordicke und unter diesen sogar 50 % in situ Melanome; letzteres ein Kollektiv, das ausschließlich bei niedergelassenen Hautärzten nachgesorgt werden kann. Jedoch wird gerade an diesem Kollektiv deutlich, wie effektiv in diesen Stadien eine Reduzierung auf die klinische Untersuchung und gegebenenfalls die Lymphknoten- und Weichteilsonographie sein kann. In bisher kaum gekanntem Umfang wird diese

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Page 1: High Follow-up, Low Follow-up, No Follow-up?

Editorial 869

JDDG | 10˙2007 (Band 5)

High Follow-up, Low Follow-up,

No Follow-up?

Christiane Voit

In kaum einem anderen Land Europas hat man sich bislang so viele Gedanken über denUmfang und die Effizienz einer Melanomnachsorge gemacht wie in Deutschland. Bereitsin den Leitlinien von 1994 wurde ein ausgesprochen intensives Nachsorgeschemaempfohlen, das auch in niedrigen Stadien eine apparative Nachsorge unter Einschlussvon Laboruntersuchungen empfahl [1].So wurde ein hoher Kosten- und Personalaufwand betrieben, der oft nur in einer kooperativen Nachsorge in Zusammenarbeit der Kliniken mit den niedergelassenenHautärzten bewältigt werden konnte. Erste retrospektive Studien [2] von Hoffmann undSchadendorf zeigten aber, dass gerade in den niedrigen Stadien (< 1 mm Tumordicke)hohe Kosten entstanden, um die wenigen, überhaupt auftretenden Metastasen beigrundsätzlich exzellenter Prognose zu detektieren.Eine weitere prospektive Nachsorgestudie von Prof. Garbe et al. zeigte, dass ein intensiverapparativer Aufwand sich nur in den Stadien lohnte, die mit einem höheren Risikofür eine stattfindende Metastasierung verknüpft waren [3].Eine konsequente Nachsorge schien auch mit einem verbesserten Überleben [4] undnicht mit einem lead-time bias („Lead time" ist der Zeitraum zwischen verfrühterEntdeckung eines Rezidivs aufgrund früherer Nachsorge/erhöhtem apparativen Aufwand und dem Zeitpunkt, an dem ein Rezidiv ohne diesen Mehraufwand entdeckt worden wäre) Effekt [5] verknüpft zu sein.Derzeit läuft eine vergleichende Nachsorgestudie in drei verschiedenen Studienzentren(Kiel, Mannheim, Tübingen) unter der Leitung von Professor Garbe, die das Konzeptder reduzierten, rein klinischen Nachsorge in den niedrigen Stadien prüfen soll. Dieersten Ergebnisse, die auf der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology,(ASCO) 2007 in Chicago präsentiert wurden, unterstreichen erneut die Wertigkeitder klinischen Untersuchungen und der Lymphknoten- und Weichteilsonographie,bei denen Kostenaufwand und Rate der detektierten Läsionen in einem günstigenVerhältnis stehen. So konnte für die klinische Untersuchung eine Sensitivität zwischen 90 und 96 % sowie für den Ultraschall eine Sensitivität von 92 % bei jeweilssehr hoher Spezifität erreicht werden. Leider ist nicht bekannt, ob nach der Größe derentdeckten Rezidive stratifiziert wurde, da in der Literatur die Zahlen für die Sensitivitätdes Ultraschalls meist höher liegen als für die klinische Untersuchung.In dem in diesem Heft veröffentlichten Artikel von Professor Hengge werden 526 Melanompatienten über den langen Zeitraum von 5 Jahren genau auf diese Kosteneffizienz bei der Nachsorge hin untersucht. Das Patientenkollektiv umfasstzwar eine ausgesprochen hohe Zahl (76 %) an Patienten mit Melanomen unter 1 mmTumordicke und unter diesen sogar 50 % in situ Melanome; letzteres ein Kollektiv,das ausschließlich bei niedergelassenen Hautärzten nachgesorgt werden kann. Jedochwird gerade an diesem Kollektiv deutlich, wie effektiv in diesen Stadien eine Reduzierungauf die klinische Untersuchung und gegebenenfalls die Lymphknoten- und Weichteilsonographie sein kann. In bisher kaum gekanntem Umfang wird diese

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Kostennutzenanalyse im vorliegenden Artikel betrieben und untermauert, warumder Trend zu einer Risiko adaptierten apparativen Nachsorge geht.Allgemein anzumerken ist, dass sicherlich die Daten für die Sensitivität und Spezifitätder Nachsorge immer interindividuell schwanken müssen: der klinische Untersucherist nur so gut wie seine langjährige Erfahrung, sein kritischer Blick und sein Wunsch,nichts übersehen zu wollen, der Sonographeur nur so gut, wie das Gerät, vor dem ersitzt und die komplizierten Fälle und Muster, die er bereits gesehen und internalisierthat. Dennoch zeigt die Arbeit von Hengge et al., dass eine Kosten-Nutzen-Analyseim Zeitalter knapper werdender Ressourcen zwingend sind, um die vorhandenenMöglichkeiten für die Patienten bestmöglich zu nutzen.

PD Dr. med. Christiane Voit

KorrespondenzanschriftPD Dr. med. C. VoitKlinik für Dermatologie, Allergologie und VenerologieUniversitätsklinikum CharitéCharitéplatz 1D-10117 BerlinTel.: +49 30-45 06 18 23 0Fax: +49 30-45 06 18 91 1E-Mail: [email protected]

Literatur1 Orfanos CE, Jung EG, Rassner G, Wolff HH, Garbe C. [Position and recommendations

of the Malignant Melanoma Committee of the German Society of Dermatology ondiagnosis, treatment and after- care of malignant melanoma of the skin. Status1993/94]. Hautarzt 1994; 45: 285–91.

2 Hofmann U, Szedlak M, Rittgen W, Jung EG, Schadendorf D. Primary staging andfollow-up in melanoma patients--monocenter evaluation of methods, costs and patientsurvival. Br.J.Cancer 2002; 87: 151–7.

3 Garbe C, Paul A, Kohler-Spath H, Ellwanger U, Stroebel W, Schwarz M et al. Prospectiveevaluation of a follow-up schedule in cutaneous melanoma patients: recommendationsfor an effective follow-up strategy. J.Clin.Oncol. 2003; 21: 520–9.

4 Voit C, Mayer T, Kron M, Schoengen A, Sterry W, Weber L et al. Efficacy of ultrasoundB-scan compared with physical examination in follow-up of melanoma patients. Cancer2001;91: 2409–16.

5 Autier P, Coebergh JW, Boniol M, Dore JF, de Vries E, Eggermont AM. Managementof melanoma patients: benefit of intense follow-up schedule is not demonstrated.J.Clin.Oncol. 2003;21: 3707–8.