helga schultz: strukturwandel 1 die goldenen jahre strukturwandel in westeuropa
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Helga Schultz: Strukturwandel
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Die Goldenen Jahre
Strukturwandel in Westeuropa
Helga Schultz: Strukturwandel
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Literatur
• Graham, Andrew /Seldon, Anthony: Government and Economies in the Postwar World, London 1991.
• Hobsbawm, Eric: Das Zeitalter der Extreme, München/Wien 1994, S. 324-401.
• Buchheim, Christoph: Einführung in die Wirtschaftsgeschichte, München 1997, Kapitel III: Deutschland in der Wachstumsphase, S. 86-130.
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Schwerpunkte
• Die Goldenen Jahre – Wirtschaftswachstum
• Strukturwandel
• Blüte des Sozialstaat
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1. Die Goldenen Jahre - Wirtschaftswachstum
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Boom 1948-1973
• An den kurzen und erfolgreichen Wiederaufbau schloss sich ein Vierteljahrhundert außerordentlich raschen Wachstums an: 4,7 % jährlich in OECD-Europa.
• Das Goldene Zeitalter (Hobsbawm, Galbraith) brachte einen nie gekannten Volkswohlstand und ein hohes Maß an Sicherheit und Stabilität, das der Entwicklung der Demokratien zugute kam.
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Jährliche Wachstumsraten
Quelle: Handbuch der europ. Wirtschaftsgeschichte, Bd. 6, 86; Graham/Seldon, Table 9.3.
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1913-50 1950-73 1973-79 1979-84
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Belgien
Bulgarien
Frankreich
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Österreich
Polen
Schweden
Spanien
Ungarn
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Vollbeschäftigung
• Das Wachstum beruhte fast ganz auf wachsender Arbeitsproduktivität (Innovationen). Es führte zur raschen Ausschöpfung der Arbeitskraftreserven, also zur Vollbeschäftigung.
• Unter den Bedingungen der Vollbeschäftigung schlug sich die Produktivitätssteigerung voll in der Steigerung der Reallöhne nieder.
• Die Lohnquote stieg, während die Profitrate sank. Die Massenkaufkraft stieg.
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Wachstum in OECD-Europa (Quelle: Graham/Sheldon,1991, 276)
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Inde
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GNP Beschäftigung Arbeitsproduktivität
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Fallende Profitrate (Armstrong, 1991, Table A1)
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1952 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1987
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Deutschland/BRD USA FankreichItalien Großbitannien
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Massenproduktion• In den Goldenen Jahren holten die
westeuropäischen Industrieländern den Übergang zur standardisierten Massenproduktion nach, den die USA in der Zwischenkriegszeit begann.
• Automobilisierung, Fernsehen, Telekommunikation, Kühlschränke, Wohnungsbau trugen den Wirtschaftsaufschwung in den westlichen Industrieländern.
• Westeuropa war auf dem Weg in die Konsumgesellschaft.
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Nach der „Fresswelle“(Bundesrepublik Deutschland - Buchheim 1997, 126)
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Kartoffeln Brot und Backwaren Fleisch und Wurst Käse
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Automobilisierung Pkw pro 1.000 Einwohner (Fischer, Handbuch, Bd. 6, 143)
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Deutschland /BRDFrankreich
Schweden
Italien
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Tschechosl.
Polen
UdSSR
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Krise der Siebziger
• Die Goldenen Jahre endeten Mitte der siebziger Jahre – Im Zusammenbruch des Währungssystems von
Bretton Woods,– In der ersten Ölkrise,– In der Krise der alten Industrien.
• Die westlichen Industrieländer bewältigten die Krise mit verstärktem Strukturwandel.
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2. Strukturwandel
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Wachstum ist Wandel
• Wachstum und Strukturwandel von der Agrar- zur Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft waren miteinander verbunden.
• Der Wandel ging mit einer Erhöhung des Bildungsniveaus einher.
• Alltagskultur und Konsumstruktur veränderten sich durch wachsende Einkommen, mehr Freizeit, neue Möglichkeiten der Mobilität und Kommunikation.
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Umbau der Landwirtschaft
• Der Anteil der landwirtschaftlichen Produktion und der landwirtschaftlichen Beschäftigten sank rapide, außer in dem weit fortgeschrittenen Großbritannien.
• Das lang anhaltende Wirtschaftswachstum ermöglichte einen schmerzarmen Strukturwandel im Generationenwechsel und sog die freigesetzten Arbeitskräfte auf.
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Die Marginalisierung der Bauern
Bechäftigte in der Landwirtschaft(Anteile je Land)
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Großbritannien
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Dienstleistungsgesellschaft • Die Dienstleistungsbranchen wuchsen stärker
als die Industrie. • Auch das war eine Frucht der steigenden
Massenkaufkraft und diversifizierter Bedürfnisse (Kommunikation, Mobilität, Freizeit).
• Der Strukturwandel veränderte die Struktur und Qualifikation der Beschäftigten.
• Der Anteil der ungelernten und angelernten Arbeiter sank, die Zahl der höher und akademisch gebildeten Angestellten und Selbständigen stieg.
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SekundarschülerAnteil an 10-19jährigen
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Großbritannien Frankreich Italien
Schweden Dänemark Deutschl./BRD
Niederlande
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Neue Struktur des Außenhandels
• Die Struktur des Außenhandels veränderte sich nachhaltig. Der Anteil der Rohstoffe und Nahrungsmittel ging zugunsten der Industriegüter zurück.
• Der Außenhandel der europäischen Länder war nun nicht mehr Austausch der jeweils mangelnden Güter zwischen Rohstofflieferanten und Industrieproduzenten.
• Er dient nun der Befriedigung eines hoch differenzierten Massenverbrauchs an Industrie- und Luxusgütern.
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Wachsende Verflechtung (Handel der BRD, Fischer, Handbuch Bd. 6, 462)
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Import
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Export
Nahrungsmittel Rohstoffe
Halbwaren Fertigwaren
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3. Blüte des Sozialstaats
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Dritter Weg• Der Sozialstaat
entwickelte sich auf der Grundlage von Wirtschaftswachstum und starken linken Parteien in allen westeuropäischen Ländern als neo-korporatistische, partizipatorische Demokratie.
Plakat 1947
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Varianten
• In der Bundesrepublik Deutschland in Gestalt der Sozialen Marktwirtschaft mit Wettbewerbsbeschränkungen in – Landwirtschaft, – Wohnungswirtschaft und – Gesundheitswesen.
• Das Schwedische Modell, das zum Skandinavischen Modell wurde, mit hoch steuerfinanzierten– staatlichen Sicherungssystemen,– staatlichem Gesundheits- und Bildungswesen.
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Das Skandinavische Modell
• Gesellschaften, – die sowohl reich als auch egalitär sind,– in denen Konsens statt Konfrontation gesucht wird
und dieser Konsens seinen Schwerpunkt eher links hat,
– in denen ein extensiver Wohlfahrtsstaat mit einer wettbewerbsorientierten Privatwirtschaft koexistiert.
• Besonderheiten von Klima und Geschichte:– Kleine und offene Wirtschaften;– Kargheit des Landes und dünne Besiedlung;– Flache Hierarchien und schwache Herrschaft
(Aristokratie, Bourgeoisie);– Partizipation der Bauern (Reichsstand).
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Kontinuität und Neubeginn
• Ehrhards Soziale Marktwirtschaft verhieß Wohlstand für alle.
• Sie zielte indessen weniger auf sozialen Ausgleich als das schwedische Modell.
Wahlplakat der fünfziger Jahre
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Instrumente und Institutionen
• Die Instrumente: – Umverteilung über Steuern; – Tarifautonomie der Gewerkschaften und
Tarifpartnerschaft von Gewerkschaften und Unternehmensverbänden unter Staatsaufsicht;
– Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb; – Soziale Sicherungssysteme mit Beteiligung
des Staates.
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Soziale Sicherung
• Die Sozialversicherungssysteme wurden so ausgebaut, dass sie nicht nur gegen Armut schützen, sondern Einkommen sichern.
• Die gesetzliche Rentenanpassung an die Lohnentwicklung in der Bundesrepublik im Jahre 1957 war ein Höhepunkt dieser Entwicklung.
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Typen der SozialversicherungMerkmale Freiwillige
VersicherungPflichtversiche-rung
Volksversiche-rung
Prinzip Selbsthilfe Statussicherung Grundsicherung
Finanzierung individuell Beiträge lohnabhängig
Steuern
Staatseingriffe Rahmenord-nung
Gesetzgebung, Finanzgarantie
umfassend
Erfassung nur besser Verdienende
nur abhängig Beschäftigte
alle Staatsbürger
Verbreitung Früher die meisten Staaten, heute noch in der Schweiz
Ursprünglich in Deutschland und Österreich, heute die meisten Staaten
Skandinavien, später auch Großbritannien und Niederlande
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Strukturwandel und Sozialstaat
• Strukturwandel und Massenwohlstand schlugen sich in einem wachsenden Anteil des Staatsverbrauchs an der Verwendung des Sozialprodukts nieder.
• Die Dienstleistungen des Staates in Verwaltung, Bildung, Gesundheitswesen und Daseinsvorsorge stiegen.
• Der Interventionsstaat wurde zum Sozialstaat. Dieser Prozess intensivierte sich im Gefolge der Krise der siebziger Jahre.
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Ambivalenter Staatsinterventionismus
• Der wachsende Anteil von Beschäftigten im öffentlichen Dienst (Schweden: > 60%) wurde ein Faktor der Stabilität von Beschäftigung und Massenkaufkraft.
• Er begrenzte zugleich den Spielraum staatlicher Ausgabenpolitik.
• Die Keyniasischen Instrumente staatlicher Beschäftigungssicherung (Subventionen, staatliche Investitionen und Beschäftigungsförderung) wurden schon bei geringen Wachstumsschwankungen angewandt und führten zu wachsender Staatsverschuldung.
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StaatsquoteÖffentliche Ausgaben vom BSP incl. Sozialversicherung
(Fischer, Handbuch, Bd. 6, 209)
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Schweden Niederlande Dänemark
Belgien Deutschl./BRD Frankreich
Italien Großbritannien
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Ende des Sozialstaats?• Seit dem Ende des Goldenen Zeitalters wird der
Sozialstaat nicht mehr vom keynesianischen Mainstream getragen.
• Neoliberalismus und neo-klassische Theorie gewannen die Oberhand und übten Fundamentalkritik. (Hayek: „Der Weg zur Knechtschaft“).
• Ist er tief genug in der europäischen Wirtschaftskultur verwurzelt, um auch den Umbau im Zeichen von demographischem Wandel und vermindertem Wachstum zu bewältigen?