gitarre & laute xxx/2008/nº 1
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Gitarre & Laute XXX/2009 Heft 1TRANSCRIPT
GITARRE & LAUTE – ONLINE XXX/2008, Nº 1
Wolfgang Amadeus Mozart – Mauro Giuliani
Helmut Lachenmann – Rolf Rihm
Neue Platten – Neue Bücher
2 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
PRIM - Musikverlag : EditionEN Tilman Hoppstock
Dietrich Buxtehude
PASSACAGLIA
BUXWV 161
orig. für Orgel
original for organ
für 2 Gitarren
for 2 guitars
Bearbeitung von/
transcription by
Tilman Hoppstock
PRim -Musikverlag DarmstadtNr. 99 074
Gitarrenkammermusik
2 Gitarren
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Franz Schubert
LIEDER MIT GITARRE - Vol. 5
6 Lieder aus
„Schwanengesang”
6 songs from
“Schwanengesang”
für Tenorstimme
for tenor voice
Bearbeitung und Fingersätze von/
transcription and fingerings by
Tilman Hoppstock
PRim -Musikverlag DarmstadtNr. 99 705
Johann Seb. Bach
FRANZÖSISCHE SUITENR. 2 D-MOLL BWV 813
French Suite No. 2
d minor BWV 813
orig. für Cembalo in c-mollorig. for harpsichord in c minor
Bearbeitung und Fingersätze von/transcription and fingerings by
Tilman Hoppstock
PRim -Musikverlag DarmstadtNr. 99 062
Transkriptionenfür Gitarre solotranscriptions for solo guitar
Franz Schubert
LIEDER MIT GITARRE - Vol. 3
12 Lieder aus
„Winterreise”
12 songs from
“Winterreise”
für hohe/mittlere Stimme
for high/medium voice
Bearbeitung und Fingersätze von/
transcription and fingerings by
Tilman Hoppstock
PRim -Musikverlag DarmstadtNr. 99 703
Johann Seb. Bach
Cellosuite Nr.2a-moll BWV 1008
2 Fassungen
Cello suite no.2
a minor BWV 1008
2 versions
Bearbeitung und Fingersätze von/transcription and fingerings by
Tilman Hoppstock
PRim -Musikverlag DarmstadtNr. 99 079
Transkriptionen
für Gitarre solo
transcriptions for solo guitar
Neuerscheinungen 2006-2007
Bearbeitung und Fingersätze von/transcription and fingerings by
Tilman Hoppstock
PRim -Musikverlag Darmstadt
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Nr. 99 077
Transkriptionen
für Gitarre solo
transcriptions for solo guitar
Isaac Albéniz
TANGO
EL POLO
orig. für Klavier
orig. for piano
Für Gitarre solo:Joh. Seb. Bach: Cellosuite Nr. 2 a-moll (2 Fassungen)PRIM 99 079 Preis: 11,90Joh. Seb. Bach: Franz. Suite Nr. 2 (orig. für Cembalo)PRIM 99 062 Preis: 10,50Dietr. Buxtehude: Suite Nr. 10 BuxWV 236 (orig. für Cemb.)PRIM 99 061 Preis: 8,50Isaac Albéniz: Tango + El Polo (orig. für Klavier)PRIM 99 077 Preis: 9,95
Schubert: 110 Lieder für Gesang und GitarreBand 3:12 Lieder aus “Winterreise” PRIM 99 703 Preis: 16,90Band 4:17 Lieder nach versch. Dichtern PRIM 99 704 Preis: 15,50Band 5:6 Lieder aus “Schwanengesang” PRIM 99 705 Preis: 13,90Band 6:12 Lieder nach Schiller/Klopstock PRIM 99 706 Preis: 14,50
Aus der bekannten Serie “GroßeKomponisten für junge Gitarristen”Gaspar Sanz:3 Suiten für 2 GitarrenPRIM 99 074 Preis: 10,50
Enrique Granados:Valses Poeticos f. Gitarre soloPRIM 22 100 Preis: 8,50
Isaac Albéniz:Asturias + Malagueña f. Git. soloPRIM 99 039 Preis: 8,50
Für 2 Gitarren:Dietrich Buxtehude: Passacaglia
PRIM 99 074 Preis: 10,50
bearbeitet f r 2 Gitarren/arranged for 2 guitars byTilman Hoppstock
G r o ! e Komponisten f r junge G i t a r r i s t e n
PRim -Musikverlag DarmstadtNr. 99 065
Gaspar Sanz3 Su i t e n
bearbeitet f!r Gitarre solo von/arranged for guitar so lo byTilman Hoppstock
G r o " e Komponisten f!r junge G i t a r r i s t e n
PRim -Musikverlag DarmstadtNr. 22 100
Enrique GranadosValses Poet i c os
PRIM-MusikverlagPostfach 10 11 20 . 64 211 DarmstadtInfos und Bestellung: www.prim-verlag.de
Vertr ieb weltweit / d i s t r i b u t i o n wo r l dw i d e :Chanterelle . Postf. 103909 . 69029 HeidelbergTel: ++49-6221-784105 / Fax: ++49-6221-784106online ordering: http://www.chanterelle.com
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 3
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
der „Guitarrefreund“ steht Ihnen, wie schon
im letzten Heft beschrieben, in der Boije-
Sammlung in Stockholm zur Verfügung – es
macht also keinen Sinn, die Hefte hier in Gitar-
re & Laute-ONLINE auch noch anzubieten …
bis auf die Ausgaben natürlich, die die Schwe-
dische „Statens Musikbibliotek“ nicht hat. Hier
ist noch einmal die URL der Sammlung mit ih-
rer englischsprachigen Inhaltsseite:
http://www.muslib.se/ebibliotek/boije/inde-
xeng.htm
Sie finden dort nicht nur die ersten achtzehn
Jahrgänge des „Guitarrefreund“ – oder „Gitar-
refreund“, wie die Zeitschrift später hieß –,
sondern auch eine enorme Menge originaler
Ausgaben mit Gitarrenmusik als PDF. Alles ko-
stenlos!
Allerdings sind ein paar Ausgaben des Jahr-
gangs I/1900 in Stockholm nicht vorhanden
und die Jahrgänge nach 1919 – die können Sie
dann hier lesen und sammeln. In der vorlie-
genden Ausgabe finden Sie die Ausgabe
I/1900/Nº 1 (Seiten 47--58) als Faksimile und in
Neusatz.
Auf den Seiten 19 bis 34 steht ein Beitrag, der
eine „Nachlese“ auf das Mozartjahr 2006 dar-
stellt: Einige Buchbesprechungen und eine
neue Ausgabe der Ouvertüre zu Mozarts „La
Clemenza di Tito“, für zwei Gitarren bearbeitet
von Mauro Giuliani. Hier, in der Ausgabe von
Gitarre & Laute-ONLINE finden Sie die Ausgabe
in Form einer Partitur, eine gedruckte Ausgabe
mit zusätzlichen Einzelstimmen wird aber auch
herauskommen.
Die Seiten der Dates und der Kleinanzeigen bei
Gitarre & Laute sind jetzt online gestellt. Unter
C:\dates\MusiCologne.eu finden Sie die Kurs-
ankündigungen und Konzerttermine wie Sie es
seit dreißig Jahren kennen, jetzt aber nur noch
online, weil das aktueller ist und weil Sie auf
diese Weise unmittelbaren Zugriff auf die Web-
seiten der Veranstalter haben. Aber bitte: Wenn
Sie Wettbewerbe, Kurse oder Seminare veran-
stalten oder wenn Sie Konzerte geben, schicken
Sie uns die Termine möglichst frühzeitig. Ihre
Meldungen werden nach Möglichkeit sofort
eingearbeitet – aber wir brauchen dafür Ihre
Angaben! Je früher wir die Kursdaten veröf-
fentlichen können, desto mehr Interessenten
haben die Chance, sie zu sehen und ihnen zu
folgen. Bitte benutzen Sie diese Email-Adresse:
Das Gleiche gilt für Kleinanzeigen. Auch hier
werden neu eingehende Anzeigen nach Mög-
lichkeit sofort ins Netz gestellt. Die Adresse:
Und eine Bitte habe ich noch an Sie, als Leser
und Benutzer unseres Online-Angebots. Bitte
teilen Sie uns mit, wenn Ihre Email-Adresse
sich ändert! Die Newsletter von Gitarre und
Laute-ONLINE sind kein Spam und um das wei-
ter so zu betreiben, ist es für uns wichtig, dass
wir den Adressbestand auf dem neuesten
Stand halten und pflegen können … übrigens
auch, wenn Sie umziehen, denn am Ende die-
ses Jahres gibt es das Gitarre & Laute-ONLINE-
Jahrbuch zum ersten Mal … und das kommt
natürlich per Snail-Mail!
Ansonsten gibt es in diesem Jahr noch fünf
weitere Ausgaben online – tragen Sie sich in
unsere Newsletter-Liste ein und wir werden Sie
informieren (www.MusiCologne.eu)! Und ge-
ben Sie unsere URL an Freunde weiter, die sich
für die Gitarre interessieren oder für Laute und
Lautenmusik. Je mehr Bezieher unsere Online-
Zeitschrift lesen, desto besser wird unser Servi-
ce ausgestattet!
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit dieser
Ausgabe von Gitarre & Laute-ONLINE
Ihr
Dr. Peter Päffgen
Chefredakteur, Herausgeber
4 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
… was ich noch sagen wollte …
moderntimes 1800: Sinfonias from the
Enlightenment
Werke von Johann Adolf Hasse, Johann
Gottlieb Graun, Carl Philipp Emanuel
Bach, Wilhem Friedemann Bach, Joseph
Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart
„Moderntimes_1800 Chamber Orchestra“
on Authentic Instruments, Ltg. Ilia Ko-
rol und Julia Moretti
Aufgenommen im Oktober 2007
2 CD Challenge Records [challengere-
cords.com] CC72193
hier gebe ich Ihnen in lockerer Form
Bemerkungen mit auf den Weg,
von denen ich glaube, sie wären von
allgemeinem Interesse. Es wird sich dabei
wie heute um Bemerkungen über neu er-
schienene CDs drehen, die vielleicht auch
mit der Gitarre oder der Laute überhaupt
nichts zu tun haben. Oder vielleicht gilt es
auch, einen Geburtstag zu feiern oder aus
anderem Grund an einen Großen unserer
Zunft zu erinnern. Sollte ich Sie langwei-
len oder sollten Sie Vorschläge machen
wollen, schreiben Sie doch einfach an:mailto:[email protected]
Peter Päffgen
Natürlich ist es eine Binsenweisheit zu be-
haupten, Kunst, sei es nun bildende Kunst
oder Musik, aus Zeiten großer gesellschaftli-
cher und kultureller Umbrüche sei besonders
spannend und aufregend. Das trifft auf die
beginnende Neuzeit zu, als Schreiben und
Lesen plötzlich von jedermann gelernt wer-
den konnte und Bücher zur Verfügung stan-
den, als die großen Entdecker, unter ihnen
Cristoforo Colombo, auf Reisen waren, um
neue Welten zu entdecken … und es trifft in
mindestens gleichem Maß zu auf die zweite
Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Gedanken-
gut der Aufklärung bestimmte diese Zeit. Es
wurde an die Vernunft appelliert und daran,
altes Obrigkeitsdenken über Bord zu werfen
und selbstbestimmt die Zukunft zu gestal-
ten. All das kulminierte in den Geschehnis-
sen rund um die Französische Revolution.
Musikalisch war die Barockzeit längst über-
lebt und überholt. Schon das Spätschaffen
Johann Sebastian Bachs, mit dessen Tod
1750 gerne das Ende der Barockzeit definiert
wird, galt als das „Werk eines Esoterikers, dersich bewusst vor der Welt verschloss und darausdie kompositorischen Konsequenzen zog“
(Dahlhaus). Viele neue Gedanken und Ideen
wurden erprobt, so viele, dass man von ei-
nem einheitlichen Stil für das 18. Jahrhun-
derts nicht sprechen, ja, dass man sich nicht
einmal für alle Phasen auf einheitliche Be-
zeichnungen enigen kann. Von einem „galan-
ten Stil“ ist da die Rede, von Sturm und
Drang oder vom „Empfindsamen Stil“ oder
„Vorklassik“. Am Ende dieser Phase der
Bemühungen um neue Ausdrucksmittel und
Formen haben wir es wieder mit einem „ge-
meinsamen Stil“zu tun. Ein gewisser Vorrat
an Formen (zum Beispiel klassische Sonaten-
form, Konzert, Sinfonie) und ein stilistischer
Rahmen waren von Komponisten des 18.
Jahrhunderts geschaffen worden und deren
Essenz wurde nun eine gewisse (kurze) Zeit
benutzt. Die einen hielten sich lange und un-
beirrbar an das einmal Erreichte, andere nur
kurz oder überhaupt nicht, weil sie schon un-
terwegs zu neuen Ufern waren. Man beden-
ke, dass Ludwig van Beethoven, der gemein-
hin ohne Zögern in die Schublade („Wiener“)
Klassik sortiert wird, in seinen späteren Wer-
ken den klassischen Wiener Stil ernsthaft in
Frage gestellt hat und eigentlich schon Kün-
der neuer musikalischer Ideen war.
Die Kompositionen, die auf diesen beiden
CD vereinigt sind, enthalten Material aller
musikalischer Strömungen denen wir im 18.
Jahrhundert begegnet sind. Hier hört man
spätbarocke Anklänge, dort revolutionär aus-
gelassene und durchaus mutige, völlig uner-
hörte Sätze, die ganz offenbar bewusst ver-
wundern, empören und schockieren sollten –
und manchmal passiert das auch innerhalb
einer Komposition wie in CPE Bachs Sinfonia
B-Dur.
Das Kammerorchester, das sich der Werke an-
genommen hat, benutzt Instrumente der
Zeit, und zwar „in der Überzeugung, dass dieMusiksprache einer Epoche mit ihren eigenenKlangmitteln am lebendigsten zum Ausdruckgebracht werden kann“. Der Hinweis auf die
Verwendung authentischer Instrumente
wirkt anachronistisch. Er erinnert an den
Harnoncourt der frühen Jahre oder an das
Collegium Aureum. Damals war dieser Hin-
weis Empfehlung für die einen … und War-
nung für die anderen, denn allgemein hatte
es sich nicht durchgesetzt, dass Interpreta-
tionen älterer Musik gewinnen, wenn die Mu-
siker versuchen, sich an die Aufführungsge-
wohnheiten der Entstehungszeit halten. Viel
mehr, als sich alter Instrumente zu bedie-
nen! Wenn es nur die Wahl des Instruments
wäre, müsste man heute Narciso Yepes ne-
ben Gustav Leonhardt und Nikolaus Harnon-
court als Pionier der Alten Musik nennen,
denn er hat ja das Bach’sche Lautenwerk auf
einer Barocklaute aufgenommen … eine
mehr als peinliche Aufnahme bei der Archiv-
Produktion (2708030) übrigens, die nie wie-
der neu aufgelegt worden ist, weil man sich
ihrer offenbar schämte. Diese Produktion auf
zwei Vinyl-Schallplatten ist auch noch gut
besprochen worden, weil Yepes als Gitarrist
ein bekannter Mann war und seine Meriten
hatte und weil die Deutsche Grammophon
mit ihrer Archiv-Produktion Garant für Qua-
lität war. Aber sie beweist, dass die Benut-
zung eines historischen Instruments aus Mu-
sik noch keine Alte Musik macht.
Seitdem das Thema „Aufführungspraxis“
ernstgenommen wird, gehen Musiker mit
Hemiolen um, man weiß, was inegales Spiel
ist, wie schnell ein Andante zu nehmen und
wie ein Menuett getanzt worden ist – das al-
les aus musikpraktischer Sicht.
Die, wie gesagt, anachronistische Bemerkung
„on authentic intruments“ auf dieser CD darf
aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es
die Musiker vom Ensemble „modern-
times_1800“ keineswegs nötig haben, sich
hinter Etiketten zu verstecken. Nicht nur neh-
men sie sich einer Musik an, die ansonsten
nicht oft auf CD oder in Konzerten zu hören
ist, sie tun das auch mit höchster Delikates-
se und Eleganz. Angst vor Virtuosität, sprich
avancierten Tempi haben sie nicht, auch
nicht vor neobarocker klanglicher Pracht wie
in Hasses eröffnender Sinfonia für „Alcide al
Bivio“, die mit vollem Bläsereinsatz einlädt.
Aber auch Hasse schwebte zu dieser Zeit,
1760, schon auf anderen musikalischen Wol-
ken, war der Oprnkomponist seiner Zeit und
gehörte der Avantgarde seiner Zeit an.
Diese CD kann ich Ihnen nur empfehlen! Sie
gewährt Ihnen Zugang zu einer bislang
weitgehend unzugänglichen Schatzkammer
der Musikgeschichte. Und ich kann Ihnen die
ebenso kompetenten wie wortgewaltigen
Führer durch diese Kammer nur empfehlen!
Bravi!
Nähere Infos:
040-611 400www.plan-deutschland.de
Werde Pate!
Öffne deine Augen
für meine Welt.
Plan International Deutschland e.V.Bramfelder Str. 70 · 22305 Hamburg
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 5
6 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
Impressum: Verlag: MusiCologne Ltd., Registered in England & Wales No. 5752198; Niederlassung
Deutschland: MusiCologne Ltd., Sielsdorfer Straße 1a, D-50 935 Köln (Briefanschrift: Redaktion Gitarre &
Laute, Postfach 410 411, D-50 864 Köln). Telefon: ++49-221-346 16 23. FAX: ++49-1803-5 51 84 30 17. Auf-bereitung des ePaper: CANTAT GmbH, Wien, www.cantat.com. Internet: www.MusiCologne.eu, Kleinan-
zeigen: www.VerkaufeGitarre.de und www.gitarre-und-laute.de. Email: [email protected] (weitere
Email-Adressen sind im redaktionellen Zusammenhang veröffentlicht).
Erscheinungsweise: sechsmal jährlich, am Anfang der ungeraden Monate (Januar, März, Mai ...). Erschei-
nungsweise im Jahr 2007: 1. Juli 2007, danach jeweils am Anfang jedes Monats bis Dezember 2007. Kün-digungsfrist: sechs Wochen vor Ablauf der Bezugsfrist. Preis: Einzelheft EUR 5,50, Abonnement für ein
Jahr (sechs Ausgaben) 28,00 EUR inklusive Porto (In- und Ausland) und der gesetzlichen Mehrwertsteuer
(19 %). Chefredakteur: Dr. Peter Päffgen. Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 13. Die namentlich gekennzeich-
neten Beiträge in dieser Zeitschrift entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion. Für unver-
langt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt der Verlag keine Haftung. Terminangaben, insbe-
sondere in der Rubrik „Dates“ erfolgen prinzipiell ohne Gewähr. © Nachdruck in jedweder Form und allen
Medien, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Aboverwaltung: Verlag, Nie-
derlassung Köln. [[email protected]], Bildnachweis für vorliegende Ausgabe: S. 1: Caterino Maz-
zolà, La Clemenza di Tito (nach Pietro Metastasio), Titel des Librettos, Prag 1791, Tschechischens Muse-
um für Musik, Prag; S. 8-18: inpetto Filmproduktion, Berlin; S. 19-28: © auf Ausgabe und Stichbild Peter
Päffgen, Köln; S. 43: Gunnar Letzbor, Ars Antiqua Austria; S. 47-58: Bayerische Staatsbibliothek, München.
Gitarre & Laute
ONLINE
XXX/2008, Heft 1
Inhalt
Editorial
3
… was ich noch sagen wollte …
4Uli Aumüller
10 Jahre später …
Helmut Lachenmann und Wolfgang Rihm im Gespräch
8Peter Päffgen
Das klinget so herrlich … Nachträge zum Mozart-Jahr 2006
19Wolfgang Amadeus Mozart
Ouvertüre zur Oper „La Clemenza di Tito“
für zwei Gitarren bearbeitet von Mauro Giuliani, revidiert von Peter Päffgen
21… Gelesen …
Neue Bücher
35Neue Platten
39Kleinanzeigen
45Mitteilungen des Internationalen Guitarristen-Verbandes
XXX/1900/Nº
46
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 7
8 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
10 Jahre später …
Helmut Lachenmann im Gespräch mit Wolfgang Rihm
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 9
WOLFGANG RIHM: Du warst es doch, der ge-sagt hat … HELMUT LACHENMANN: Nein, ich rede dannganz leise. Wer leiser redet, ist bedeutender. WOLFGANG RIHM: Ja, klar. HELMUT LACHENMANN: Naja, also so etwa. ULI AUMÜLLER: Eine Frage möchte ich Helmutals erstes stellen, zum Anfang. Hat dieser Filmdich in irgendeiner Weise verändert? HELMUT LACHENMANN: Bewusst kann ich
das nicht sagen, ob es mich verändert hat.
Hat mich beschäftigt, ganz bestimmt. Vor
allem, weil ich mit meinem eigenen Vokabu-
lar konfrontiert worden bin, so wie ich da-
mals das versucht habe, so ein bis´l das
Komponieren aus meiner Perspektive zu be-
schreiben. Und das war schon richtig irgend-
wie oder treffend, meinte ich. Aber es war
eigentlich zugleich, wenn man´s einmal ge-
sagt hat, kann man so nicht mehr weiter.
Dann stimmt´s schon nicht mehr für die Zu-
kunft, sozusagen.
WOLFGANG RIHM: Ich wollte gerade fragen.
Ist es net immer eine Festschreibung? Wenn
so was dann auch noch mit filmischen Mit-
teln festgehalten wird, das ragt ja dann so
übers Entwickeln oder übers Momentane
auch sich weiter Formen hinaus – dass alle
Welt dann dich immer damit vergleichen
wird. Ich finde das ein furchtbare Festschrei-
bung. Ich leid immer, wenn ich mich imFernsehen irgendwas sagen höre. Das istdann schon längst irgendwann … HELMUT LACHENMANN: Vorbei … WOLFGANG RIHM: … vorbei gewesen. HELMUT LACHENMANN: Aber ja gut, wennman das vorher mit in Betracht zieht, kannsein, dass man auf irgendeinen Abstandkommt, wo es möglich ist. Also bei mir wardas damals so. Du hast ihn wahrscheinlichnicht gesehen … WOLFGANG RIHM: Ich habe ihn gesehen,aber ich erinner nur noch, dass du mit Musi-kern sehr gut geprobt hast und dass diedann bestimmte Dinge hervorgebracht ha-ben, die genau deinem Ohr entsprachen. HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist klar, ok. WOLFGANG RIHM: An das kann ich mich er-innern, und dass ihr irgendwo gegangenseid in Berlin. HELMUT LACHENMANN: Das war … ichmusste im Gehen reflektieren. WOLFGANG RIHM: Ja. HELMUT LACHENMANN: Das ist ungewohntgewesen. WOLFGANG RIHM: Eine sagen wir mal fastgriechische Vorgehensweise. HELMUT LACHENMANN: Ohne die – wieheißt das Ding? – die Kordel, die man da da-bei so leise vor sich hin … WOLFGANG RIHM: Macht man das? HELMUT LACHENMANN: Ja, beim Philoso-phieren muss man so ein Ding glaube ich –wenn man durch die Piniengärten geht undso – verändert weiß ich nicht. Aber imGrund jedes mal wenn ich etwas versuchegenauer zu bestimmen mit Hilfe meiner ani-malisch gesteuerten Analysebedürfnisse,dann ist es eigentlich, so wie der Wolfgangdas eben gesagt hat: Gesagt, und jetztmuss man eigentlich drüber hinaus gehen.Das ist halt so. Und bei mir ist es halt so,das ist auch wieder ein Unterschied, dass ichimmer noch über das Material nachdenke.Ich kann mir vorstellen, bei dir denkt dasMaterial über dich nach. Ja. WOLFGANG RIHM: Ja, du kennst ja das Ma-terial besser – musst es mal fragen, was sievon mir halten da, die ganzen … HELMUT LACHENMANN: Beim Material – WOLFGANG RIHM: Beim Material – was dieda so … Nein, aber jetzt mal im Ernst. Eswird ja, wenn man so etwas zum Beispieljetzt in die Medien hinein äußert. Das wirdja ungeheuer verabsolutiert, und irgend-wann bist du dann eben derjenige, derübers Material nachdenkt, egal was du tust.Vielleicht denkst du gerad nicht übers Mate-rial nach, aber du bist in dem Moment,musst ja der sein, der übers Material nach-denkt. Und wenn du dann ein Stückschreibst, wo all das gar keine Rolle spielt,was ich natürlich nicht glaube, aber es gehtja auch gar net – wird das aber trotzdem andich heran gelegt. Ich nehme zum Beispieldas Programmheft, wo wir jetzt diese Hitz-acker-Begegnung, die wir jetzt hier mit voll-
ziehen. Da bist – da werden auch solche Por-tale wieder errichtet. Der strenge Schwabe – HELMUT LACHENMANN: Steht das da? WOLFGANG RIHM: Der strenge Schwabeund der überbordende Badener. Verstehstdu – egal was du tust. HELMUT LACHENMANN: Moment – nochmal der gestrenge Schwabe und was wardas Andere. WOLFGANG RIHM: Und ich bin der überbor-dende Badener. HELMUT LACHENMANN: Überbordende Ba-dener. WOLFGANG RIHM: Verstehst du, egal, wasich mache – es wird dann überbordend sein,selbst wenn es streng ist. Und wenn duüberbordest, ist es streng. Weil du – dasweiß man ja dann. Ich wollte damit nur sa-gen, diese Funktion, die die Medien einneh-men, ist net die Dinge im Fluss zu zeigen,sondern sie zu justieren und in einer Weisefestzuschreiben, wie es römische Meißel-In-schriften nicht kräftiger könnten. Und daswundert mich eigentlich. Also die ganzeDurchlässigkeit, die durch Medien möglichwäre, hm. Vielleicht übe ich jetzt zu sehrMedienkritik und müsste eigentlich eher dieNutzer der Medien an den Ohren ziehen:Warum stürzt ihr euch so auf das, was euchda mitgeteilt wird. Ich meine, wenn ihr dasen passant gesagt bekommt, dann wäre esja auch an euch zu sagen, ja, da entwickeltsich was. Aber warum wird das immer wieein Grabstein auf uns gestellt. Hm. HELMUT LACHENMANN: Ja, das sind danndie Schubladen, aus denen du dann wiedervergeblich versuchst rauszukommen. WOLFGANG RIHM: Mit dem Material ist ei-gentlich viel interessanter … HELMUT LACHENMANN: Ich denke schon,also ich insistiere aber ein bis´l drauf, weiles nämlich auch eine Mode gibt jetzt - alsoein nicht ganz unbekannter Jung-Star hatmich neulich mal gestellt. In der BerlinerPhilharmonie im Foyer. Und hat gesagt: Dumit deinem Material. Mir hängt der schonso zum Hals raus. Und damals habe ichdann gesagt, mir hängt er nicht zum Halsraus. Ich habe ihn im Kopf. (Lachen) D.h.das ist ein Teil, wo … bei mir ist es halt so,dass ich wirklich manchmal schon diese – al-so sagen wir nicht Material – sagen wir dieMittel, mit denen ich arbeite, die auch ihreGeschichte haben, dass ich schon die so einbis´l anschaue, auch ein bis´l technisch an-schaue. Dadurch brauche ich auch manch-mal viel Zeit, weil ich erst die Mittel irgend-wie definiere, und dann wandle ich ab –und so was Ähnliches habe ich mal früher inGesprächen mit dem Ulrich Aumüller be-schrieben. Wie das passiert, also ein – oderich sage es mal anders: Als ich in Köln stu-diert habe, Kurse besucht habe, bei Stock-hausen und bei anderen, da war einer, dawar der Henri Pousseur. Damals absolut se-rialistizistisch – alles – das war ja – und derhat – da saßen wir so zu zwanzig im Saal –
Das folgende Gespräch zwischen denKomponisten Helmut Lachenmann undWolfgang Rihm hat der Musikjournalistund Filmemacher Uli Aumüller am 2. Au-gust 2007 in Hitzacker aufgezeichnet –eine DVD (Audio und Video) ist bei derProduktionsfirma inpetto-Filmproduk-tion in Berlin erhältlich (www.inpetto-Filmproduktion.de). Anlass für das Gespräch war ein Film,der 1998 (also vor zehn Jahren) bei dergleichen Produktionsgesellschaft ent-standen ist und bei dem sich alles umdie Komposition „Die zwei Gefühle“ fürInstrumentalensemble und Sprecher vonHelmut Lachenmann dreht. Auch dieserFilm ist bei Inpetto in Berlin als DVDerhältlich.Die Produktionen wurden gefördertdurch das SIEMENS-artsprogram.
10 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
in einem Zimmer, so einem Schulzimmer.Und hat gesagt, sagt mir irgendeinen Klang.So einen – und dann sagte der – Pferdege-trappel. Gut – und dann sagst du mal ir-gendeinen Klang: Und dann sagte der, An-fang der Eroica. Also gut. So – und jetzt isterst mal eine Stunde hier Ruhe im Saal oderin der Bude. Jeder von euch macht jetzt ei-ne Reihe. Verwandelt schrittweise die musi-kalischen Mittel – die klanglichen Mittel desPferdegetrappels in den Anfang der Eroica.Das war so eine Art brain storming. So eineArt Klangerfindungsgymnastik. Und ich fanddas lustig. Hat mir Spaß gemacht. Natürlichnicht nur, dass man sagt, hier Pferdetrappel,hier so und so – sondern, wie geht´s drüberhinaus, sozusagen. Und außerdem – war na-türlich interessant, dass jeder von zwanzigKomponistinnen und Komponisten eine an-dere, völlig andere Verbindung hergestellthat. Der eine hat wirklich gemeint, akus-tisch muss das Pferdegetrappel rhythmisiertwerden, und dann wird der Rhythmus abge-wandelt und dann wird aus dem Pferd viel-leicht ein anderes Tier oder ein … WOLFGANG RIHM: Napoleon! HELMUT LACHENMANN: Ja .. WOLFGANG RIHM: Zum Beispiel. HELMUT LACHENMANN: Irgend sowas, ja.Also was Militärisches, natürlich. Und dannkommen wir schon der Sache näher. Dakommen wir schon an die französische Revo-lution. Also da gibt´s – der eine macht esassoziativ, der andere macht es klangtech-nisch und so weiter. Und dieses Spiel, dasgefällt mir. So. Und wenn man über dasspricht, sollte man eigentlich nicht automa-tisch in eine Schublade gesteckt werden,sondern warum – nicht so … Aber die Ge-fahr ist natürlich … ich meine überborden-der … WOLFGANG RIHM: Ja, und so weiter … HELMUT LACHENMANN: Und so weiter istgenauso eigentlich das Denken eher läh-mend als … oder das Fühlen auch … WOLFGANG RIHM Gleich, ja. Natürlich –und selbst das Überbordende wird dadurchgelähmt. HELMUT LACHENMANN: Genau – ja. WOLFGANG RIHM: Aber um dieses Materialüberhaupt mal so fremd zu haben, dassman es angucken kann, außerhalb des musi-kalischen Geschehens, das ist nun ein Pro-blem, was ich habe. Ich könnte das – ich be-trachte das Komponieren ständig als Um-gang mit Material. Und nicht einen eigenen– ich kenne keinen eigenen Materialprüf-raum, in dem ich Material prüfe und danngehe ich zum Komponieren. Du ja auchnicht. Aber für mich ist es ein Teil der kom-positorischen Praxis, des Umgehens mitKlang und seinen Voraussetzungen. Wenndas aber so hervor gestellt wird, dann glau-be ich verstellt es, dass – ich möchte mal sa-gen – du ja eigentlich auch richtig kompo-nierst (lachen), nämlich von großer Dring-lichkeit, wie man gestern wieder am Streich-
quartett hören konnte. Da geht es eben netum Materialerkundung, sondern da ist die –wird zur Sache selber geredet. So ist meinGefühl. HELMUT LACHENMANN: Genau. Ich meine –das gehört auch – ich würde halt sehr gernemanchmal auch Hörer interessieren für denKompositionsprozess. Der was anderes ist,als die Komposition selber. Also der … hatmich immer beschäftigt, vor allem also esgab einmal einen Begriff – andere Schubla-de, die ich mir ja selber gezimmert hab viel-leicht, leichtsinniger Weise, es gibt mehrereSchubladen, die ich mir selber gezimmert
habe, aber ich komme noch aus dieser Generation, nach Stockhausen,wo wir meinten, wir müssten auch so wie er… WOLFGANG RIHM: Ordnung im Haus … HELMUT LACHENMANN: Ordnung und Ver-künden. Oder Ordnungsprinzipien verkün-den. Ja, und am besten dem noch ein Eti-kett, dann kann man darüber schneller re-den. Ich dachte eigentlich nur im Sinne Eti-kett. WOLFGANG RIHM: Und es ist natürlich aucheine Verkürzung deines … denn so ist es beiihm ja auch net. Da geht es ja auch ständigum Inspiration. HELMUT LACHENMANN: Und wie! WOLFGANG RIHM: Da geht’s ja auch nichtnur um Etikettierung, sondern der HeiligeGeist muss auch wehen. Ich meine, dermuss auch in uns fahren. HELMUT LACHENMANN: Aber er hat auchden Heiligen Geist schon ein biss´l etiket-tiert, ja – da muss man aufpassen. Also –mit Superformel und so – aber das ist einanderes Thema. Nur also nur ich wollteschon, das auf Begriffe bringen, auch einbiss´l für mich, weil ich muss gestehen,denn manchmal weiß ich gar nicht mehr wieKomponieren geht. Vergesse das total … WOLFGANG RIHM: Wollte gerade sagen,wem sagst du das? Aber gut … HELMUT LACHENMANN: Aber da gibt´s haltMomente, wo man dich an irgendeinen Be-griff erinnert, und dann ganz langsam öff-
net sich wieder der kreative Apparat. WOLFGANG RIHM: Aber jetzt frage ich – ichbleibe einen Moment draußen, wie geht esdenn eigentlich. Ich meine nicht, wie gehtes dir, sondern wie geht das Komponieren?Wie geht´s denn eigentlich? HELMUT LACHENMANN: Pfff …. Das ist einegute Frage. WOLFGANG RIHM: Ich habe mir in dem Mo-ment – ich sitze da und nicke, und denk, ko-misch, wenn du mich jetzt fragen würdest,wie geht´s komponieren? Wird man ja oftgefragt, ne. Wo man sich dann wwwwwhhh– zack und da sagt man irgendwas – aberjetzt so zwischen uns: Wie geht´s denn? HELMUT LACHENMANN: Ich glaube, bei dirgeht es anders als bei mir. Sagen wir malso. Das sowieso. Ok. Das ist auch keine inte-ressante Erkenntnis, aber ich sehe einen Un-
terschied schon. Ich glaube, dass du viel nä-her immer dran bist. WOLFGANG RIHM: Ich möchte es sein. HELMUT LACHENMANN: Du hast doch malirgendwann gesagt, du hast die ganze Tradi-tion und wünscht es eigentlich– das istauch wieder so ein Etikett – und wünscht esanderen nicht, ja. WOLFGANG RIHM: Ja, gut – das war in ei-ner Situation, wo diese Traditionsdiskussionziemlich beherrschend war, wo offensicht-lich jeder, der nur einen Ton geschriebenhat, sich schon dem Verdacht ausgesetzthat, ein Tradio – lllbblb – ein Traditionalistzu sein. Ne. Aber ich glaub, wenn du sagst,näher, kann das ja auch heißen, dass ich be-stimmte Wege bestimmte Möglichkeitenauch vielleicht übersehe. Kann doch sein.Deswegen frage ich dich ja. Will auch waslernen. Ne. Also etwas mitbekommen. Was –wie geht’s denn –wie geht’s denn? Alsowenn du mich jetzt schilderst, oder wenndu sagst, du glaubst, dass ich näher dranbin, meinst du ja, ich fang an und will dann
schon Musik schreiben. Das stimmt auch. HELMUT LACHENMANN: Ne, das habe ichnicht gemeint. Ich meine, dass du sagen wirmal von dem Materialbegriff her … es gibteine Menge von Elementen, die erkenne ichwieder in deinen letzten Stücken, nochmehr als in früheren – zum Beispiel gestern,das war Chiffre und war Vormittag diesesHölderlin … WOLFGANG RIHM: Das Lied, ja. HELMUT LACHENMANN: Und dann nochFremde Szenen drei. Du hast es selber so ge-nannt, Fremde Szenen drei. D.h. du kannstrelativ – ich weiß nicht, jetzt musst du michkorrigieren - schneller oder vertrauensvollerElemente abrufen, die du schon kanntest.Weil sie nämlich wahrscheinlich Teil einesvielleicht von dir nicht sooo buchhalterischbetriebenen Materialdenkens sind wie beimir. Ich bin ein biss´le schon manchmal einLaborant. WOLFGANG RIHM: Aber ich höre ja net nurdas Element, sondern ich hör auch den Zu-sammenhang und das Platz – den Ort, dendas Element hat. Also, ich hab den Begriffdes placements, der, den hat mir mal je-mand erklärt, aus dem Ballett stammt, woist was platziert, spielt offensichtlich da ei-ne ganz große Rolle, das hat mich unheim-lich fasziniert, weil ich da eine Ähnlichkeitzu meinem Vorgehen gespürt habe. Dass ichhier etwas habe, was seine Selbstverständ-lichkeit und seine Bekanntheit schon offe-riert durch die Art, wie es ist. Aber dass iches dann in einen Zusammenhang stelle, indem es sich verändert. Und das ist ein Kom-ponieren, was ich auch bei Komponisten derVergangenheit zum Beispiel bei Mozart ofterlebe. Mit dem ich eine ganz ganz starke jaBeziehung hab. Zumindestens sage ich das.Aber es ist so. Also es ist wirklich so. Dasind Dinge, die du aus allen anderen Zusam-menhängen bereits kennst. In einer Weise
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stehen die beieinander, wie sie so noch niestanden. Und das ist ein heißer Wunsch, das
ist ein heißer Wunsch bei mir. HELMUT LACHENMANN: Klar. Im Grunde istalles fast – nicht alles, aber sehr viel totalbekannt, bei ihm, und wird durch einen Kon-text veredelt, der … WOLFGANG RIHM: Oder verunklart – oderver – wie soll man sagen – oder verfremdetauch manchmal, oder verdichtet oder … HELMUT LACHENMANN: Oder auch gar nix.Einfach stehen gelassen. WOLFGANG RIHM: Oder verhindert. Auch – HELMUT LACHENMANN: Oder einfach ste-hen gelassen. WOLFGANG RIHM: Oder einfach so gelassen. HELMUT LACHENMANN: Das ist eine ganzperfide Form einen zu verunsichern: NICHTZU VERUNSICHERN! – Da ist eigentlich garnichts los. Es ist – also wenn du so ein Me-nuett von der Jupitersymphonie nimmst.Mit der chromatischen (singt) – zwischen-durch sind diese Klauseln, total vertraut.Und jetzt klingen sie total anders. WOLFGANG RIHM: Und dieses verrückteStück da aus der Bläser – der achtstimmigenBläsermusik, auch in c-moll. Wo auch sochromatische Führungen sind. Du traust dei-nen Ohren nicht. Aber das … HELMUT LACHENMANN: Ok. Ein Thema fürsich. WOLFGANG RIHM: Ja, das ist ein Thema fürsich – gut machen wir ein andermal. HELMUT LACHENMANN: Aber jetzt ist eineandere Situation. Ich meine heute habenwir viel ein viel weit greifenderes Repertoirevon Möglichkeiten. Es gibt einen riesen Su-permarkt sowohl in Sachen Neuer wie Histo-rischer Musik, und exotischer Musik undweiß der Kuckuck was und so. Im Grunde,ich bin in dem Sinn total einverstanden,dass die Dinge durch einen Kontext verän-dert, d.h. geladen werden – oder manchmalauch entleert werden. Eigentlich ist das fastdas Gleiche. Also ich denke immer, sie wer-den auch entleert. Dieses Entleeren war soein biss´l das Prinzip der Seriellen glaubeich. Weil der Ton war ja an sich schon etwasAusdrucksvolles, ja. Und wenn man denaber jetzt in einen Zusammenhang packt,indem man so durch irgendeine Reihe oderwas auch so eingespannt wird, geht einmaldiese a priori Magie erst einmal verloren. WOLFGANG RIHM: Das muss man aber wis-sen, dass dem so sei. HELMUT LACHENMANN: Eine Information. WOLFGANG RIHM: Das muss man ja wissen.Ich meine, wenn man als Hörer nicht weiß,dass der Ton in einen Zusammenhang ton-setzerischer Art eingebunden ist, sondernwenn man ihn nur nimmt als das, was er ist,nämlich ein Ton, dann ist man natürlichwieder auf sein´n pathetischen Ort zurück-geworfen. Ne. HELMUT LACHENMANN: Ja, aber wenn dernächste Ton dem ersten Ton sozusagenschon wieder in die – wie sagt man da …
WOLFGANG RIHM: In die Quere kommt … HELMUT LACHENMANN: In die Querekommt und dass die sich gegenseitig eher –ja also – Beispiel, klassisches Beispiel undauch nie wiederholbar ist Strukture 1a vonBoulez. Klingt für manche wie ein totesSpiel von angeschlagenen Klaviertasten. Ja.Und das Gesetz, was drin herrscht, ist ganzdeutlich zu spüren, aber es ist zunächst malfür viele Hörer ein negatives Gesetz. Alsomanche Leute – der Komponist schafft eineOrdnung. Und die Hörer hören eine Unord-nung. Zumindest ein nicht einsehbares
Spiel. WOLFGANG RIHM: Das hat aber in der Ge-schichte Vorbilder. Denn alle Komponistenhaben, ob sie wollten oder nicht, eine Ord-nung geschaffen. Selbst derjenige, der keineOrdnung schaffen will, schafft natürlich eineOrdnung, nämlich dieser Art, und die Hörersind entweder fähig, diese Ordnung wahrzu-nehmen, oder an ihr vorbeizuhören. Aberdas sollte man dem Hörer auch überlassen.Ich mein, wenn ein Hörer die Unordnung,die er mit den Dingen verbindet, wieder zu-rückbekommt, das ist ja auch – das ist seineLeistung. Er kann auch nicht mehr jetzt ge-währen. Es geht nur das. Und das ist seineArbeit. Hören ist ja auch Arbeit. Ne. HELMUT LACHENMANN: Ja, aber das stimmtschon. Nur – also ich denke, … WOLFGANG RIHM: Guck mal, Boulez hat janach Strukture 1 eben Structure 2 geschrie-ben. HELMUT LACHENMANN: Ich weiß, klar. WOLFGANG RIHM: Und da wollte er ganzandere Dinge. Nicht. Da gings um die … HELMUT LACHENMANN: Nein, das war einExorzismus. Einmal – und hinüber. WOLFGANG RIHM: Man kann ja nicht sagen,so jetzt schreibe ich – das wäre dann, ich sa-ge jetzt mal – Johann Nepomuk David aufandere Art. Ein Leben lang solche Stückeschreiben. HELMUT LACHENMANN: Eine Handwerksleh-re … WOLFGANG RIHM: Irgendwann wird das zu
einem gedrechselten Gartenzwerg. HELMUT LACHENMANN: Oder aber auch dasandere selbst wenn es vielleicht virtuoses –virtuoser wirkte, war – ich nehm das ein-fach zur Kenntnis. Das ist mir nicht ganzegal, … WOLFGANG RIHM: Nein, auf keinen Fall. HELMUT LACHENMANN: Weil du sagst, derHörer muss das irgendwie spüren, oder soähnlich. Ich weiß nicht, ob ich es richtigwiedergebe. Ich würde viel weiter ansetzen.Ich denke, ganz egal, ob es nun Hörer sind,oder ob es einfach Staatsbürger sind. Siemüssen sensibilisiert werden, erstens, dasses Gesetze gibt, die sie nicht kennen. Aberdie sie spüren können, wenn sie wachsameAntennen haben. Und zweitens, dass es soetwas wie ein Abenteuer gibt. WOLFGANG RIHM: Aber wenn wir arbeiten,folgen wir auch Gesetzen, die wir zum einen
Teil nicht kennen. HELMUT LACHENMANN: Das ist klar. WOLFGANG RIHM: Ich meine, wir sind das– wir sind ja nicht diejenigen, die einenText herstellen, der nur auf Grund unseresbesseren Wissens entsteht, sondern da ent-steht auch sehr viel ohne unser Zutun, unddas ist mit manchmal das, was nach Jahren,wenn wir es wieder hören, eigentlich dasist, was am längsten immer noch frisch ge-blieben ist, und was weiterlebt, und woman spürt, dass da ein Lebenspuls ist. Alsoich mein das ganz konkret, wenn dir nachJahren ein eigenes Stück wieder begegnet,dann sind es selten die Dinge, die dir da-mals wichtig waren, also mir geht das so,die einem damals wichtig waren, als man esgeschrieben. Sondern da sind ganz andreDinge spürbar. Von denen man gar net ge-merkt hat, dass man ihnen auch gestalte-risch entsprochen hat, dass man die auchgeformt hat, aber eben nicht mit der Be-wusstheit einer gesetzgeberischen Instanz,sondern mit der Fähigkeit eines - ja mit derAufnahmefähigkeit einer – wie heißt, was –eines Seismographen. Das möchte schonauch sein, aber das kannst du nicht erzwin-gen. HELMUT LACHENMANN: Ich meine, ich wür-de sogar noch weitergehen. Ich sage, wehewenn nur das entsteht was du gewollt hast.Also das, was man macht. Ich denke immer,das ist der Treibsatz, mit dem du raus-kommst. Und irgendwo in eine Situationkommst. Und der Treibsatz muss irgend-wann wie bei jeder Rakete hoffentlich malrunterfallen. Kannst ja nicht mitschleppen.Und dann – also ich denke nicht nur nach10 Jahren, sondern eigentlich schon wäh-rend des Komponierens, dass ganz andereGesetze auftauchen. Ich denke am Endeweiß ich eher was ich – vielmehr ich meinegewußt zu wissen, was ich gemacht habe.Es gibt immer noch Überraschungen. Ichglaube, es gibt dauernd andere Gesetze. Vorallem weil wir auch uns verändern. Das, wasuns wichtig ist an der Historischen Musik,ist auch nicht unbedingt das, was die Kom-ponisten … WOLFGANG RIHM: Eben – aber das ist dochfür Hörer, die zunächst mal davon ausge-hen, dass das, was sie da von einem Kompo-nisten Komponiertes wahrnehmen, dass dasgenau dessen Vorstellungen entspricht, einSchlag ins Kontor, sage ich jetzt mal, diemüssen doch entsetzt sein von Komponistenzu hören, was da entstand, wird auch vonandern Kräften gespeist, als von denen, überdie wir verfügen. HELMUT LACHENMANN: Warum müssen diedeshalb davon schockiert sein? Die sollendoch froh sein. WOLFGANG RIHM: Ja natürlich. Ich meintedas ja rhetorisch. Da ist doch immer die Vor-stellung, dass der Komponist das alles vo-raussieht, vorausplant, voraushört, voraus-weiß und letztlich danach versteht auch. Al-
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so dieses integrale Beherrschen, das ist tiefin die Hörer gesenkt, als Ideal. Es ist nicht
mein Ideal. HELMUT LACHENMANN: Also wie gesagt,ich bin der Meinung, das ist eine Aufgabe,die geht über das bloße Bewußtmachen vonHören hinaus. Sondern dass wir – also wennmir jemand etwas sagt, dann glaube ichihm schon mehr oder weniger, was er sagt,aber ich schaue ihm zu. Ich schaue, was mitihm passiert, wenn er es sagt. Also ichschließe zurück. Aber es gibt eine ganzeMenge von Prozessen, es gibt eine ganzeMenge von sogenannten Strukturen, die beimir berührt werden, und die bei ihm aktivsind. Das was er weiß, was er macht, das istvielleicht – das ist ein anderes Thema viel-leicht. Aber das ist bei mir manchmal schoneine relativ bewusste Konstruktion. Ichschaffe schon mal so eine Art Gerüst, unddann weiß ich scheinbar, was ich machenwill. In der Erwartung, dass Dinge passie-ren, die das irgendwie sogar zerbrechen.Oder die darüber hinaus gehen. Und dannmanchmal entdecke ich sogar noch Gesetze,die dahinter kommen, die ich vorher nichtbeachtet hatte. Die aber jetzt das Ganze do-minieren. Also bei den „Zwei Gefühlen“ zumBeispiel, diesem Stück mit der Stimme und… war so wie so bei allen Stücken – am En-de weiß ich erst, was ich eigentlich gemachthabe. In der Mitte gibt´s einen Teil mit –wo sozusagen ich sehr bewusst die Gitarreals Thema genommen habe. WOLFGANG RIHM: Die Gitarre als Thema –als Objekt sozusagen. HELMUT LACHENMANN: Wobei ich natürlichin Gedanken - der Text heißt: Doch ich irreumher, getrieben von meiner – das ist eineWanderung durch eine erkaltete Vulkanland-schaft. Und die Gitarre ist ein schlechtes Ge-rät, aber irgendetwas hat sie von Freiluft-klang vielleicht. Jetzt habe ich sozusagendie Gitarre abgewandelt, habe Pseudogitar-ren. Ein Klavier kann eine – und wenn´s nurdie Stimmungs – also nur die leeren Saitenvon der Gitarre spielt, ist es eine Piano-Gitar-re. Es kann auch eine verstimmte Gitarrespielen, dann ist es eben vielleicht in der –die beiden E´s – ist dann kein E oder so ir-gendwas. Oder die Streicher können sogareine gezupfte Gitarre oder auch eine Arcogespielte – dann wird der Begriff Gitarreverschwommen. Oder wenn ich vier Paukenin Quarten stimme, dann tut es auch so –das ist für mich ein bewusstes Spiel. Dannpassiert etwas – erstens, ich habe es am An-fang noch nicht gewusst, dass ich das ma-chen werde. Und zweitens, was da alles anKlängen passiert, das sagt ja nicht einfachso, als wenn man nicht da ist (?), sondernwas machst du jetzt mir? Also dann kom-men Gesetze heraus, die schon während desKomponierens kenne. Ob das dann die glei-chen sind, die wenn ich das später höre,noch einmal mich berühren, weiß ich nicht.Aber in dem Sinn meine ich, bin ich ein La-
nochmal Pousseur. Dinge die – was hat dasPferdegetrappel mit der Eroica zu tun.Nichts! Jetzt plötzlich kommen die unter ei-nem Dach und jetzt plötzlich sind sie beiei-nander und dann gibt es plötzlich irgendei-ne Beziehung, von der ich gar nichts wusste.Ja. Also in dem Sinn, bei mir umgekehrt, ich– in diesem Fall – nahm so ein Element unddann verwandle - verändere ich es, bis eszur Unkenntlichkeit verwandelt ist. Und daaber, jetzt habe wenigstens zum ersten Malkann ich diese leeren Saiten benutzen undzugleich sagen, das ist nicht einfach unserebekannte Leeren-Saiten-Klang. Das sind jetztSurrogate von dem Anfangsbegriff, mit demich angefangen habe, der Gitarre. Die Gitar-re kann man einfach wegschmeißen. Aberdann habe ich die … das ist so ein biss´l derrationale – Apparat. WOLFGANG RIHM: Da ist aber sehr viel Her-meneutik auch drin. HELMUT LACHENMANN: In dem Fall ja.Wenn ich so darüber spreche. WOLFGANG RIHM: Sehr viel. HELMUT LACHENMANN: Aber zum Beispiel,die Anregung dazu, es gibt ein Stück –nicht nur eins, aber eines sehr deutlich, beiNono. Canto suspeso IV. Das ist das einzige– nein nicht das einzige – eines von zwei acapella – also nur Instru – nicht a capella –wie sagt man da – ohne Sänger. Nur instru-mental. WOLFGANG RIHM: Orchesterstücke. HELMUT LACHENMANN: Ja.
WOLFGANG RIHM: Das in As-Dur ist. HELMUT LACHENMANN: Nein, der Canto su-speso – das ist nur in dem kleinen Oktavbe-reich zwischen dem eingestrichenen E untenund dem zweigestrichenen ES oben, dieseOktav. Und fängt an mit einem A in der Mit-te, und es gibt eine Zickzack-Reihe … WOLFGANG RIHM: Eine Allton-Reihe. HELMUT LACHENMANN: Ja, und die Dauernsind richtig, wie es damals sich gehörte, … WOLFGANG RIHM: Zwölf, elf, HELMUT LACHENMANN: In diesem Fallganz arithmetisch zwölf elf zehn und so inZickzackform – und das fängt an mit einemgewirbeltem Vibraphon, also immerhin einperforierter Klang, und dann kommt einenFlatterzunge von Flöte – dann kommt eineFlatterzunge – und dann kommt eine Röh-renglocke – also ich kanns jetzt nicht genaualles sagen … WOLFGANG RIHM: Aber ich erinnere mich … HELMUT LACHENMANN: Aber romantisch –das Text davor hieß: Dein Sohn wird dieGlocken der Freiheit nicht mehr hören. Undwas der Gigi da gemacht hat, ist er hat Glo-cken läuten lassen. Das Vibraphon läutet inForm von repetierten Schlägen gegen Me-tall. WOLFGANG RIHM: Schwingungen eben, ja. HELMUT LACHENMANN: Ja, aber dann auch,obwohl das schon keine richtige echte Glo-cke mehr – eine Flatterzunge von einer Po-saune. Oder nachher – es sind immer Flat-
borant manchmal, dass ich so ein Toposnehme und nicht einfach – also wie es nochmeine Altvorderen Seriellen gemacht haben,irgendwie mathematisch, oder messtech-nisch behandelt. … WOLFGANG RIHM: Sondern inhaltlich. HELMUT LACHENMANN: Inhaltlich? … ir-gendeine Eigenschaft nehme, zum Beispiel,wenn ich sage, einfach Gitarre – das sind indiesem Fall, damit ich es erkenne, das sindleere Saiten. WOLFGANG RIHM: Das kann aber auch einKörper sein. Ein weiblicher zum Beispiel. HELMUT LACHENMANN: Das ist schon ziem-lich weit. Da muss ein Pousseur ein Über-gang darüber finden. WOLFGANG RIHM: Ein Übergang (lachen) HELMUT LACHENMANN: Aber stimmt … WOLFGANG RIHM: Vom Pferdegetrappel … HELMUT LACHENMANN: Aber dann nochein Cello –
WOLFGANG RIHM: Ein Kontrabaß HELMUT LACHENMANN: Wenn es magerwär, und dann vielleicht und so weiter …Ne, ich hab zum Beispiel Klavier als eine Un-gitarre. Nicht mehr Gitarre. Oder einfach nurdie leeren Saiten – und dann: so gut ich dieleeren Saiten der Gitarre bemühe, kann ichdie leeren Saiten des ganzen Streichappa-rats. Da habe ich irgendwie einen Grund, et-was, was im Grund vorher schon bekanntwar, nämlich wie die leeren Saiten von ei-nem Streichapparat klingen, die sind jetztSchwestern oder Brüder oder irgendetwasvon diesem Gitarrenkind ... WOLFGANG RIHM: Aber wie du da hin-kommst, ist ja fast eine ich möchte mal sa-gen fast eine eulenspiegelhafte Wörtlichneh-mung von Situationen. Also du sagst: Frei-luft – ich irre umher. Bin also in der freienLuft. In der freien Luft erklingt die Gitarre.(lacht) Nicht … oder ich meine … HELMUT LACHENMANN: Ein Spiel ja ja … WOLFGANG RIHM: Natürlich – das ist ja imschönsten Sinn ist es ein romantisches Spielim Grunde. Also wirk ich dagegen ja wie eineinskalter Pragmatiker, der knallhart Tönesetzt. Und du spielst da viel romantischermit den Dingen umher. HELMUT LACHENMANN: Das kann schonsein. WOLFGANG RIHM: Eben. HELMUT LACHENMANN: Nur dass ich ebensozusagen wie ein also romantisch nichtsdagegen. WOLFGANG RIHM: Ja. HELMUT LACHENMANN: Aber dann stufeich ab. WOLFGANG RIHM: (deutsch?) HELMUT LACHENMANN: Dann mache ichAbstufungen und so. Das hat schon so et-was mit also - ich bin jetzt nicht irgendwieseelisch erhitzt, ich bin vielleicht kreativ,grad begeistert, aber ich beobachte das eherso wie ein Chirurg, diese Eigenschaft undich verwandle es und möglichst in Eigen-schaften, die weit weg von der Sache sind –
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terzungen die nächsten oder gehaltene Sa-
chen. Eine nach der anderen. Die eine hört
auf, und die andere beginnt. Die eine be-
ginnt, wenn die andere aufhört. Das geht
sogar so weit, dass er irgendwo einmal ei-
nen kleinen Trommelwirbel einsetzt. Also
auch wieder sowas wie Ruf. Würdest du viel-
leicht. Den Begriff Ruf habe ich von dir ge-
lernt. Musik ruft manchmal. Also, ich unter-
stelle mal, er hat so einen Begriff, wie weit
der jetzt bewusst ist, weiß ich auch nicht,
Begriff: Die Glocken der Freiheit. Und wird
dann so nicht mehr hören, dieser Abschied-
brief des Ermordeteten Partisanen. Und jetzt
gibt es ein großes Geläute. Nacheinander.
Und das Geläute erfasst jetzt irgendwann
auch die Röhrenglocken. Die auch schon Sur-
rogate sind von einer echten Glocke, natür-
lich. Glocken der Freiheit sind nicht Röhren-
glocken. Aber die auch ein Vibraphon und
Xylophon und Flatterzungen also irgendwie
unter einem technischen Aspekt, nämlich
des Fulato oder des Tremolo oder wie auch
immer, fasst er jetzt plötzlich Klänge, die
man schon kannte, den Vibraphonwirbel ha-
be ich schon 1000 mal gehört, aber der ist
jetzt eine Metaglocke.
WOLFGANG RIHM: Gibt es überhaupt profa-
ne Glocken? Glocken sind doch immer im
kirchlichen Zusammenhang.
HELMUT LACHENMANN: Weiß Gott. Und Lui-
gi Nono, der eigentlich nicht so arg kirchlich
gesinnt war, ja, der hatte auch in den canti
di vita et amore – am Ende kommen Glo-
cken, aber dann eben gleich zwölf Stäbe, die
werden gleichzeitig – d.h. aus den Glocken
sind Metallstangen geworden. Also dieses
Verfremdungsspiel finde ich halt von mei-
nem Kopf her unheimlich anregend. Dann
habe ich das Gefühl, jetzt bin ich in einem
Bereich, den gab´s vorher noch nicht. Also
bei ihm ist man jetzt in einem Bereich, den
gab´s bei Nono so noch nicht. Also von
dem habe ich mein Gitarren zum Beispiel ge-
lernt, über dieses Spiel. Aber ich streite
überhaupt nicht ab, was dann passiert, ist ja
nicht einfach, dass da jetzt einen Ausstel-
lung von abgewandelten Gitarroiden daher-
schleicht …
WOLFGANG RIHM: Sondern es geht so und
so um die Abstufung. Es geht nicht um das
Wiedererkennen eines irgendwann mal her-
meneutisch besetzten Zeichens, sondern um
die Abstufungen.
HELMUT LACHENMANN: Ja und dann passie-
ren Dinge, zum Beispiel sind dann Töne, die
wir bilden. Also da gibt es Reibungen, plötz-
lich gibt es eine intervallische Anregunge.
WOLFGANG RIHM: Ich wollte gerade lachen,
wir hören die Glocken der Freiheit da hinten
(Bierkisten).
HELMUT LACHENMANN: Das sind die Glo-
cken des Mittagessens, die gibt es auch.
WOLFGANG RIHM: Knastert da hinten –
aber gut. Ne das ist schon.
HELMUT LACHENMANN: Ich würde mir zu-
trauen manche – ich hab´s ja mal versu-
chen, manche Sachen von dir zu analysieren
und du wusstest es nicht. Es können eine
Menge Dinge passieren, die man nicht …
WOLFGANG RIHM: Ich wollte darauf raus,
dass diese Abstufungen auch mir sehr wich-
tig ist. Dieses den einen Klang als ja, noch
mit Bestandteilen des anderen zu kontami-
nieren, und davon sukzessiv wegzugehen
beziehungsweise hinzukommen. Also, das
ist etwas, was ich ganz egal wie die Stücke
jetzt klingen. Es gibt ja solche und solche,
es ja Stücke mit starken Tonalitätsbezug
und solche ohne. Das hat damit gar nichts
zu tun. Ich gehe wirklich so beim Kompo-
nieren oft vor, dass mir die Bestandteile ei-
ner klanglichen Erscheinung in Abstufungen
in anderen klanglichen Erscheinungen wich-
tig sind als Wiederkehrende. Aber nicht jetzt
so als eins zu eins, sondern als Veränderte.
Und das entspricht ja im Grunde diesem
Vorgehen – es ist eben nur ein Vorgehen im
Moment selber, an der Sache selber. HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist deineArt … WOLFGANG RIHM: Das ist meine Art, damitumzugehen. HELMUT LACHENMANN: Ich denke, es kannsein, dass du eher unmittelbar mit diesen
Gedanken im Hinter- oder im Vorderkopf reagierst und weiterschreibst oder irgend sowas. Und vielleicht auf viel überraschendereResultate kommst, als einer, so der ganz be-wusst sagt, das ist jetzt sozusagen der –das Thema, das Thema Gitarre, oder dasThema Glocke – und jetzt schaffe ich dieUnglocken. Die Nicht-mehr-Glocken. Mög-lichst bis hin, dass das Pferdegetrappel einGeglocke wird. Ich meine, der Gedanke istspannend, ja. Aber es kann sein, dass be-stimmte Dinge in meinem Temperament lie-gen würden oder in deinem liegen, danngar nicht vorkommen. Und bei dir könnteich eher dann … WOLFGANG RIHM: Ach, die setzen sichschon durch. HELMUT LACHENMANN: Du kannst dir dannhinterher deine Stücke angucken und sagen,was ist mir denn da passiert, was habe ichjetzt da für eine Versammlung von Zusam-menhängen geschaffen, die du beim Schrei-ben selber gar nicht so genau … WOLFGANG RIHM: Ich merk das bei Stü-cken, die – ich hab ja solche Stückfamilien,weißt du – die durch Jahre hin immer wei-ter gehen. Ich hab jetzt grad wieder an ei-nem der sehr Seraphin-Stück weitergeschrie-ben, das ist ein Ensemblestück von über ei-ner Stunde geworden. Seraphin´s Sphärenenne ich das. Da kommt es manchmal so,dass das Schichten von vor 15 Jahren plötz-lich, indem sie mit ganz anderen Sachenkonfrontiert sind, eben diese Abstufung vonselbst leisten. HELMUT LACHENMANN: Von was? WOLFGANG RIHM: Von selbst leisten die dieAbstufungen, von denen wir vorhin gespro-chen haben, ohne dass ich das in irgendei-ner Weise geplant hätte. Es ist – es kommtzu einer ganz starken ja Verwandtschaft derEreignisse, nur auf Grund der Grundierung,die da ist. Es könnte Slaps von der Kontra-bassklarinette sein, die sich durchziehen,aber es geschieht etwas völlig anderes und
unter jedem Klang liegt so ein Impuls, und die bekommtdann eine gestufte Verwandtschaft. Das isteigentümlich. Ich habe das gar nicht beab-sichtigt, in der Weise. Man wird aber alsKomponist oft gefragt: Haben sie das allesgenauso gehört, wirst du ja auch gefragt.Was antwortest du denn dann? HELMUT LACHENMANN: Ne, wenn ich es ge-hört hätte, würde ich es nicht aufschreiben.Ich will es erst mal hören. WOLFGANG RIHM: Ja, es geht mir genauso. HELMUT LACHENMANN: Klar, also das istnatürlich eine der oft gestellten Fragen: Ha-ben sie das vorher gehört.
Helmut Lachenmann
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WOLFGANG RIHM: Das wird natürlich durchVorstellungen – HELMUT LACHENMANN: Wie gehört – inner-lich. Natürlich es gibt ein inneres Ohr, dasgibt es schon. WOLFGANG RIHM: Ja, aber das ist ein Vor-stellungsohr. HELMUT LACHENMANN: Das ist eine Erinne-rungsmaschine. Ich weiß schon, wie eineAlmglocke klingt, oder ich weiß schon wiedie und die Dissonanz klingt, und ich weißschon, wie ein Streichertremolo klingt. WOLFGANG RIHM: Das ist eine Erfahrung,die du hast. HELMUT LACHENMANN: Und dann kommt –was passiert wenn? Was passiert, wenn ichjetzt eine Kuhglocke in die Mitte von einemStreichertremolo setze und das abbreche,dieses ganze Spiel. WOLFGANG RIHM: Das ist Gruppen. HELMUT LACHENMANN: Zum Beispiel, kannsein – ja – wie du willst. Es kommt draufan. Das ist jetzt gemein. WOLFGANG RIHM: Ich gehör genau den
gleichen Schluss. HELMUT LACHENMANN: Ahja, der Schluss,ja das stimmt. Ah, das war Zufall. Ja, ok.–Gut. Stimmt, der hat das gemacht. Ich träu-me noch von dem Stockhausen … WOLFGANG RIHM: Wo der Impuls denKlang bricht. HELMUT LACHENMANN: Was auch immer,eigentlich. Jede Begegnung von Dingen, diescheinbar so inkommensurabel zu sein schei-nen, werden plötzlich verbindbar, weil manauf andere Ebene kommt, von wo aus siemiteinander etwas zu tun haben. Und dasist eigentlich, dort fängst du an zu kompo-nieren, wie man so schön sagt, auf einemjungfräulichen Bereich. Weil die Klänge, diedu zwar schon so kennst, jetzt in dem Zu-sammenhang andere sind. Das ist das alteSpiel. Also das ist halt – was man ja auch inmeinem Fall inzwischen registriert hat, ichkratze zwar immer noch manchmal auf derGeige rum, aber so eine zum Beispiel die Be-wegung oder ein konsonanter Klang, die icheigentlich liebe, weil sie auch ein biss´l Hei-mat natürlich bedeuten. Ich weiß nicht, obich je Berührungsängste hatte. Das habe icheigentlich nicht. Aber ich habe es jetzt ganzbewusst integriert und das Moment, wasbei mir immer so auch als so als Etikett vornweg weggeschleppt wird, die Energie desKomponierens – WOLFGANG RIHM: Was ist damit gemeint? HELMUT LACHENMANN: Ja, die haben frü-her diesen Begriff musique concrète instru-mentale, also Klänge, die oft durch ihre Ver-fremdung darauf hinweisen, dass da irgend-ein Material strapaziert oder geschmeicheltoder wie immer wird. Also Flageolett istnicht einfach der Ton C. sondern Flageolettist eine Form eine Saite anzuregen, die ei-nerseits obertonärmer ist, als der zentrale,andererseits unheimlich einen sphärischenKlang hat. Und dann hört man nicht nur,
was man hört, sondern man schließt, was
passiert. Damit habe ich diese ganze Welt der Ver-fremdungen – ich mag nicht so gern sagenGeräusche, weil das klingt – das ist ein fal-sches Wort. WOLFGANG RIHM: Ja. HELMUT LACHENMANN: Aber der Verfrem-dungen einschließlich von auch Geräuschenoder auch so was – und inzwischen denkeich, ein Arpeggio oder eine gespielte Figur,fast eine musikantische Figur hat auch et-was – oder gerade die – haben etwas vonEnergie. WOLFGANG RIHM: Natürlich. HELMUT LACHENMANN: Das habe ichmanchmal ein biss´l ausgesperrt, eigentlichum mal erst von dem – von diesem a priorimusikantischen Denken abzulenken – abernatürlich, es hat mich eingeholt. Das ist jaganz klar. WOLFGANG RIHM: Es geht um Energiewei-tergabe – und das, was wir jetzt in Anfüh-rungszeichen musikantisch nennen, ist ja dieWeitergabe im Vollzug des Weitergebens.Wir vollziehen als (?) sozusagen mit aha –da wird etwas weitergegeben. Aber weil eseben nicht nur die Tonpunkte sind, sonderndas, was dazwischen – was dazwischen ab-läuft. HELMUT LACHENMANN: Aber trotzdem, ichmeine – Jagden und Formen, und es gibtdiese besessenen Rhythmen – ja. Die sind jaauch bewusst oder unbewusst irgendwo ab-gerufene Elemente aus einer wie auch im-mer motorischen Musik. Ich – bei mir auch,in diesem Streichquartett gestern, ich würdeam liebsten reinschreiben: Gigue – das isteine Gigue. WOLFGANG RIHM: Dom da da dom da dadom … HELMUT LACHENMANN: Nö, das ist keineGigue.
WOLFGANG RIHM: Dada dada dada dada .. HELMUT LACHENMANN: Das ist die 7te vonBeethoven. Nein. Digigi Digigi Digigi – jaa –ja baba bam bada da badada … bobo …t t t- es ist eigentlich total musikantisch ja … WOLFGANG RIHM: Aber was meinst du mitab… - du verwendest den Begriff des Abru-fens oft. HELMUT LACHENMANN: Weil sie irgendwoin der Erinnerung da ist. Aus irgendeinemBereich von Musik, den wir kennen. Und ichgehe jetzt nicht zurück an die alten – oderan die von mir unterstellten bloßen Aus-gangsmaterialien des Klingens, sondern anfertige – von dem was wir Musik nennen. WOLFGANG RIHM: Gestaltete … HELMUT LACHENMANN: Ja, fertige Gestal-ten. WOLFGANG RIHM: Gestaltete Partikel, ja. HELMUT LACHENMANN: Irgendwie vorge-formte Dinge. Die nicht selbstverständlichsind. Also das – die haben ja alle eine Eigen-schaft, über die – ich weiß, ob wir da jetztso viel darüber reden können, aber die mich
sehr beschäftigt. Das Moment des Magi-schen. WOLFGANG RIHM: Darauf wollte ich näm-lich raus. Das ist ja nicht nur, dass du etwasabrufst, sondern dass du dem in dem Mo-ment den richtigen Platz gibst, weißt du. Ei-ner der nur abruft, der ist dann umgebenvon den Dingen, die er jetzt bestellt hat.Und dass die Stimme (ist bestimmt?) wiebestellt und nicht abgeholt – aber kompo-nieren heißt eigentlich … HELMUT LACHENMANN: Er kann ruhig be-
stellen, aber muss auch abholen. WOLFGANG RIHM: Ja. Komponieren heißt ei-gentlich, das Abholen auch beherrschen,nicht. Die Dinge zu nehmen, ffft – aberdann irgendwie auch weiterzugeben. HELMUT LACHENMANN: Genau. Aber dort –ich rede trotzdem vom Abrufen. Weil dererste Schritt ist der – und manchmal sindauch – also ich kanns – ich könnte es auchbei deiner Musik beschreiben. Und das kannman kritisch beschreiben oder unkritisch,kanns bei meiner Musik auch beschreiben.Sagen wir mal so. Mein drittes Quartettwird viel lieber gespielt und viel lieber ge-hört, als etwa der Gran Torso, das erste. WOLFGANG RIHM: Weil es abwechslungsrei-cher auf der ersten Ebene ist. HELMUT LACHENMANN: Nö. WOLFGANG RIHM: Helmut – doch. Es pas-siert mehr. Das ist doch ganz klar. Und derHörer kann sich auf dieser ersten Ebene anDinge anschließen und … HELMUT LACHENMANN: Und er kann sichidentifizieren, wenn mit einem Rhythmus,mit – jetzt sage ich es noch mal: Mit abge-rufenen magischen Objekten. Wobei der Be-griff des Magischen, der ist noch nicht defi-niert jetzt. Aber ich sage es jetzt trotzdemmal schnell so. Mit Objekten, von denen ichunterstelle, dass sie einen kollektive Wirkung– oder deutliche Faszination fast. Das hat ei-gentlich jeder Ostinato-Rhythmus schon. Dubrauchst irgendein Ding nur ostinat zu be-nutzen, dann hat es schon, ob man es willoder nicht, so eine Präsenz, … WOLFGANG RIHM: Richtig, ja. HELMUT LACHENMANN: … die es gibt aufbilligster Ebene … also meine Tochter Joko,als sie noch klein war, die will ich jetzt nichtweiter ins Spiel bringen, außer dass sie ebenmir Angst gemacht hat, weil sie eben – hey.Weil sie im Techno quasi aufgegangen ist.Das waren Ostinati – zum Teil geistvoll ge-macht, oder auch zum Teil geistlos gemacht,aber die haben funktioniert. Einfach weil sieeine gemeinsame Art von Glück für dieseGeneration oder von Trance und alle habensich lieb, und alle sind miteinander in Bewe-gung und sind außerhalb des Alltag mit denLehrern und den Eltern … WOLFGANG RIHM: Das ist ein nervlichesGlück, nicht wahr. HELMUT LACHENMANN: Natürlich. Aber dashat alles andere verdrängt. Das wäre eineForm vielleicht billiger, aber zugleich von
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mir immer noch respektierter Form, obwohl
sie auch verhängnisvoll ist. Und es gibt – es
gibt den Moment des Magischen auf allen
Ebenen. Es gibt einen riesen Dienstleis-
tungsbetrieb von magischen Elementen. Die
einen gehen in den Techno, die anderen ge-
hen zum Volksmusikantenstadl, die dritten
gehen nach Salzburger Festspiele, die vier-
ten gehen nach Bayreuth – vielleicht sogar
nach Donaueschingen, weiß ich nicht.
WOLFGANG RIHM: Ja.
HELMUT LACHENMANN: Da werden sie viel-
leicht schlechter bedient, aber vielleicht
auch doch irgendwie, ja. Oder ja – bei be-
stimmten Komponisten wird Magie und mit
allem Respekt, oder mit aller Vorsicht auch.
WOLFGANG RIHM: Die Fliege (lacht)
HELMUT LACHENMANN: Diese Fliege hat et-
was …
WOLFGANG RIHM: Magisches (Lacht)
HELMUT LACHENMANN: Magisches – ich
mag isch überhaupt nicht. Soll ich sie fan-
gen?
WOLFGANG RIHM: Ja.
HELMUT LACHENMANN: (Fängt sie!)
WOLFGANG RIHM: Hast du sie.
HELMUT LACHENMANN: Wer will sie haben?
WOLFGANG RIHM: Entlasse sie.
HELMUT LACHENMANN: Soll ich sie entlas-
sen?
WOLFGANG RIHM: Vielleicht kommt sie zu
mir.
HELMUT LACHENMANN: Jetzt kommt sie zu
HELMUT LACHENMANN: Du vielleicht. – Zu-
nächst nicht. Also jetzt mir der – meine Er-
fahrung ist einfach die – ich will das jetzt
nicht weiter treiben. Kunst hat etwas mit
Magie zu tun, weil sie diese Situation in ir-
gendeiner Form beschwört. Aber ich würde
nicht sagen, Techno ist Kunst. Da ist ein Mo-
ment des – der Dienstleistung für eine ver-
fügbare Wahrheit drin und ersetzbar. Das ist
mir egal, was da im Techno passiert. Irgend-
etwas anderes …
WOLFGANG RIHM: Ich glaube eben noch et-
was spricht dafür, dass man das übersieht.
Es erlaubt nicht das momentane Spiel mit
dem Medium. Es erlaubt nicht das momen-
tane Spiel der Veränderung ins Gegenteil.
Also in einem wild zum Technocharakter
entschlossenen Musikstück kann´s nichts
anderes geben, als dieses. Das kann nicht
plötzlich umkippen in eine ganz andere
Welt. Und dieses Umkippen in andere Wel-
ten, das ist etwas, was für mich Kunst aus-
macht.
HELMUT LACHENMANN: Genau, ich danke
dir für diesen Hinweis. Das wollte ich näm-
lich genau sagen. Also Kunst (im Hinter-
grund Orchesterklänge) – wenn man den Be-
griff, der Begriff ist eigentlich vielleicht
langweilig, aber ich finde, er wird langsam
wichtig, weil er eingeebnet wird in alle
möglichen Formen von Undertainement (En-
tertainment): Kunst wäre Magie, die in ir-
gendeiner Form irritiert wird. Nono hat mir
dir. – Gut. Ok. Als Fliegenfänger …
WOLFGANG RIHM: Geeignet.
HELMUT LACHENMANN: Nicht als Rattenfän-
ger, aber als Fliegenfänger … hey, Mädle
(wieder zur Fliege) … also die stört jetzt ein
bisschen ja. Nein aber noch mal zu dem Be-
griff des Magischen zurück. Und als Kompo-
nist ich glaube wir können nicht – ich glau-
be, das muss man wissen – wir rufen eigent-
lich in irgendeiner Form Elemente des Magi-
schen auf. Selbst wenn es nur ein Ton ist,
den wir aushalten. In diesem dritten Quar-
tett ist das Thema in Anführungszeichen
nichts anderes als die Magie des gehaltenen
Tons, den ich wieder zerbreche. Der sich
dann auflöst in Bewegungen oder in Schwe-
bungen oder auch in ein riesen C-Dur – d.h.
das ganze Streichquartett ist ein Supercello,
dessen Obertöne ich jetzt verstärke und so.
Aber eigentlich diese Ausgangselemente
sind ja – vertraut und als Vertraute haben
sie dieses Element des unmittelbar Anspre-
chenden. Magischen. Das haben sie nicht,
wenn ich drrrrrrr mache. Bei der Verfrem-
dung. Jedenfalls nicht so schnell. Und dann
kann das auch so weit kommen.
WOLFGANG RIHM: Ja, das ist eine andere
Art von Magie, natürlich.
HELMUT LACHENMANN: Erst einmal ist eine
Befremdung, ist es eine Störung von Magie.
Also es ist eine Irritation.
WOLFGANG RIHM: Ne, finde ich nicht. Ich
find´s schon eine andere Form von Magie.
Wolfgang Rihm
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damals im allerersten Brief geschrieben:Schauen sie, wie der Geist alles beherrscht.Also Magie beherrscht – d.h. in dem Mo-ment bist du nicht einfach in Trance oderverzaubert, oder sowas, sondern du erin-nerst daran, dass es einen menschlichen Wil-len, einen Geist gibt, der eingegriffen hat.Und das hat – was immer du abrufst, kanndie erste Querfeldeinfaszination sagen, ah,wunderbar, Schumann. Oder ahh – wunder-bar, archaische Rhythmen oder so etwas.Oder Gigue oder C-Dur. All diese Sachen –und das andere kann eigentlich nicht ge-zielt inszeniert werden, aber muss gesche-hen. Es muss – ich habe neulich im Wissen-schaftskolleg darüber gesprochen. Und dahabe ich auf Deutsch gesagt, gebrocheneMagie. Und da war die Frage, wie übersetztman das auf Englisch. Weil im Englischenklingt das nicht so aggressiv wie gebrochen– sondern ich hab gesagt, ich hab´s – sus-pended genannt – also unterbrochene Ma-gie. Und zwar durch irgendeinen kreativenAnsatz. Und der ist bei mir manchmal soein biss´l gesteuert. Also ich brauche ir-gendwelche Vorordnungen. Und deshalb sa-ge ich, um zurückzugreifen auf das, was wirvorhin kurz gesprochen hatten, du bist nä-her dran nach meinem Eindruck. Du hastein Vertrauen in ein kreatives – nicht Mecha-nismus. Ein kreatives Spiel, welches selbstdiese ganze Brechung veranstaltet. WOLFGANG RIHM: Schön, dass du das sosiehst. Ich nehme das mal so an. HELMUT LACHENMANN: Wenn das so nichtwäre, wäre es eigentlich … WOLFGANG RIHM: Was jetzt störend durchdie Wand dringt, ist die Probe von meinenJagden und Formen. HELMUT LACHENMANN: Aus der Entfernungist es dann magisch. WOLFGANG RIHM: Aus der Entfernungkönnte es ein – HELMUT LACHENMANN: Irgendwas sein … WOLFGANG RIHM: Ja, ein Ritual sein. Nur –mit Knochen. HELMUT LACHENMANN: Na gut. Das inte-ressiert mich halt. Erstens interessiert mich
komischer Weise nicht bloß als Komponist sondern auch als Bundesbürger. Ich würdegern – ich kann nicht einfach – ich habekein totales Vertrauen in unser Hören. WOLFGANG RIHM: Ins Hören? HELMUT LACHENMANN: Ja, ich meine indi-rekt schon. Also jeder spürt schon hier istso nach Shakespeare – ist es schon Wahn-sinn, hat es doch Methode. Also man spürtes schon. Aber es gibt – es gibt irgendwieeine Bequemlichkeit beim Hören, die nichtLust hat, so weit zu hören. Dann denke ichmir manchmal gut, viele Stücke von dir sindtotal unvorhersehbar. Man weiß nicht, waspassiert. WOLFGANG RIHM: Selbst bei vertrautemMaterial. HELMUT LACHENMANN: Ja, gerade eben.Bei der Fremden Szene III, die ich vorher
nicht so bewusst gehört habe – eigentlichalles, finde ich auch o.k. – ich kann das viel-leicht irgendwo zuordnen zu irgendeiner Er-innerung. Jetzt aber steht es da, wie be-stellt oder wie nicht bestellt, aber von je-mand ganz anderem abgeholt, als der, derdas bestellt hat, ja. WOLFGANG RIHM: Jaja. Weißt du … HELMUT LACHENMANN: Das ist auch derGrund, wieso ich mich auch nicht so ausei-nander dividieren lasse, weil ich natürlich –bei mir gibt es Begriffe, die in deiner Musikkein Mensch so schnell - mit der Verweige-rung – ja – der mir jetzt anhaftet wie dieseFliege, ja. WOLFGANG RIHM: Ich glaube, bei mir sitzt(?) HELMUT LACHENMANN: Schrecklich. WOLFGANG RIHM: Die Verweigerungsfliege. HELMUT LACHENMANN: Ja, die Verweige-rungsfliege. WOLFGANG RIHM: Sie guckt, auf wem sie
ihre Eier ablegt. HELMUT LACHENMANN: Ja, aber klar, solchediesen momentan Irritationen oder den un-bewusst polemischen Kontakt, mit dem ichhalt ein biss´l rumlaufe, oder gelaufen bin –inzwischen ist das alles – ich bin am Endemir selber in den Rücken gefallen. DasStreichquartett ist ja … WOLFGANG RIHM: Wer sagt, dass du dir inden Rücken gefallen bist? HELMUT LACHENMANN: Ich. Ich sag daseher kokett. WOLFGANG RIHM: Du bist der einzige, deres darf. HELMUT LACHENMANN: Ja, es sagen schoneinige. Also die ganz frommen Lachenmann-Freunde – die sagen das schon, ja. Der Ver-räter. Ich bin nicht mehr so schön hässlichwie es sein … (lachen) Also meine Musik istnicht mehr so schön hässlich, wie es einmalwar. WOLFGANG RIHM: Das ist ja fast rührend. HELMUT LACHENMANN: Der gute schlechteRuf geht hin, ja. Allmählich. Geht kaputt.Aber weil es – ja genau – weil das auch wie-der schon zum Magischen – d.h. zum Medi-um von irgendeiner Form Undertainment-werden kann. Solange die Hörer irgendwiebeim Hören ein biss´l selber kreativ mitwir-ken müssen, ist es gut. HELMUT LACHENMANN: Ich mein, gestern,dieses – wie lange dauert die Fremde SzeneIII? WOLFGANG RIHM: 15 – 16 Minuten. HELMUT LACHENMANN: 15 – das ist dochabsolut puhhh – ja - aber sag mir bloß nichtwas über Form dadrüber. WOLFGANG RIHM: Es hat seine Form. Ichmüsste noch erzählen, das habe 1982 in Pa-ris geschrieben. Da war ich fast jeden Tag ir-gendwie in einem IRCAM-Konzert – undauch immer im Centre Pompidou, da hatteich so ein Stipendium Cité des Arts und dahatte ich dieses Atelier im Beethoven (?) –und da stand ein völlig abgespieltes Klavier
drin. Und in dieser Cité des Arts und dastank es immer, das war fürchterlich. Undich wohnte aber in dieser kleinen Wohnung,die der Wilhelm – der Wilhelm hat in derrue Mormoraucie (?) eine kleine Wohnung. HELMUT LACHENMANN: Welcher Wilhelm? WOLFGANG RIHM: Killmayr. HELMUT LACHENMANN: Ach so – in Paris? WOLFGANG RIHM: Ja. Eine ganz kleine Woh-nung. Und da wohnte ich – und dann habeich – bin ich immer in das Studio gegangenund hab dann auf dem Klavier gespielt undgeschrieben und da ist das entstanden. HELMUT LACHENMANN: Ja – und es ist to-tal formlos dieses Stück. Wenn du irgend-wie meinst, es gibt so irgendwie eine Formvon artikulierter Bestimmung dessen dazu(?). Die Form könnte man hinterher versu-chen zu beschreiben. WOLFGANG RIHM: Wie man die Morpholo-gie von einer Landschaft beschreibt. Oder … HELMUT LACHENMANN: Ja, das kannst duschon beschreiben. Vielleicht. Ich denke –und plötzlich gibt es auch irgendwelche inAnführungszeichen architektonischen Prinzi-pien, …
WOLFGANG RIHM: Natürlich … HELMUT LACHENMANN: Die man mit derZeit rausholt – aber wenn man mit denenanfangen würde, müsste man sie wiederaufbrechen. Also – die Form ist nie das, wasder Komponist formt. Sondern die Musikformt sich. WOLFGANG RIHM: Kaum reden wir wieder,ist die Fliege wieder da. HELMUT LACHENMANN: Ja gut, das ist mei-ne Verweigerungsfliege. Nächstes Mal brin-ge ich dich um. Vor allen Leuten. WOLFGANG RIHM: Jetzt hat sie es gemerkt. HELMUT LACHENMANN: Ne … WOLFGANG RIHM: Ja, ich habe vorhin, alsdu so elegant die Fliege gefangen hast, ha-be ich gedacht, das wäre natürlich jetztfürchterlich, wenn sie sich zu mir hinsetzt,und ich haue drauf und sie ist kaputt. HELMUT LACHENMANN: Er gab der Fliegeeinen Hieb, worauf sie starb und sitzenblieb. WOLFGANG RIHM: … und sitzen blieb. HELMUT LACHENMANN: Ja, genau. Aberzum Beispiel – ich meine – von mir gibt esein Stück, Kinderspiel erstes Stück. Ja. Naklar, das fängt rechts an und hört links auf. WOLFGANG RIHM: Das tun viele Stücke. HELMUT LACHENMANN: Was? WOLFGANG RIHM: Das tun viele Stücke. HELMUT LACHENMANN: Ja, manche fangenauch links an und hören rechts an – alsomeins fängt rechts an und hört links – dassind alle Tasten durch. Und dann ist dasStück zu Ende. Also die Form ist eigentlichbestimmt. WOLFGANG RIHM: Funktion und Form fal-len zusammen. HELMUT LACHENMANN: Ich find sowieso –also noch einmal, weil ich … ich hab einbiss´l eine nostalgische Liebe zum Seriellen
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– Denken. Wenn man das Serielle nichtmeint, jetzt geht es um irgendwelche mess-bare Abstufungen innerhalb irgendeiner Ei-genschaft. Sondern um Abstufungen, dieunter dem Begriff der Familie, von Dingen,die zusammengehören, wenn man das sosieht, dann wäre Form das, dass ich eigent-lich – also wenn ich die Familie vorstellenwill, dann stelle ich vielleicht nicht zuerstunbedingt den Vater vor, aber den ältestenSohn und dann vielleicht die Hausgehilfinund dann kommt die Mutter und dannkommt der Hund und dann stelle ich viel-leicht noch den älteren Bruder vor … WOLFGANG RIHM: Nach dem Hund? HELMUT LACHENMANN: Der Hund gehörtauch dazu. WOLFGANG RIHM: Aber der ältere Brudernach dem Hund? HELMUT LACHENMANN: Ist egal. Ja. Alsodas sind diejenigen, die zusammen einenSchicksalsgemeinschaft bilden. WOLFGANG RIHM: Die Simpsons. HELMUT LACHENMANN: Und vielleicht so-gar – ja, kann sein – und ein Bruder, der istzurzeit leider im Studium in Australien, denkann ich jetzt nicht zeigen, aber ist egal.Und dann habe ich die Familie eigentlichvorgestellt. Und in dem Moment, wo ich einBild von der Familie habe, ist die Vorstel-lung perfekt. Also die Form ist in dem Falldas Abtasten eines Ganzen nach einemSpiel, was nicht ganz klar ist. Das hängt da-von ab. Und manchmal – wie im Kinderspiel
– taste ich das Klavier ab. WOLFGANG RIHM: Dann ist die Familie aberschon vorher da? HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist Arpeg-gio – Arpeggio heißt: C-Dur ist schon vonAnfang an da, aber erst höre ich mal ein E,weiß noch nicht, was passiert – und hörevielleicht später ein G, weiß nicht, ob esnicht vielleicht e-moll draus wird. Und dannkommt das C. WOLFGANG RIHM: Könnte immer noch
dann ein B folgen. HELMUT LACHENMANN: Und dann wird dieFamilie wieder erweitert und ich muss wie-der mich neu wieder mit einem anderen Ge-bilde befassen. Aber eigentlich ist Form dieProjektion von einer Gleichzeitigkeit – diemit in Rechnung stellen muss, dass die Zeitvergänglich ist. Also es ist nicht wie in derArchitektur, wo ich sage, diesen Raum kannich mit verbundenen Augen allmählich er-schließen, indem ich da herumspaziere, son-dern der Raum bleibt da stehen. Die Zeitgeht weg. Also ich brauche Gedächtnis, ichmuss wissen, auch ein unbewusstes Ge-däch… ich weiß schon – oder meine – meinBildschirm, oder wie nennt man das – so –der hat schon die und die Information ge-speichert, vielleicht habe ich es im Gedächt-nis nicht bewusst, aber wenn dann wiederetwas kommt, das dem entspricht, dann er-innert man sich. WOLFGANG RIHM: Schön, dass du vorhingesagt hast, der Raum bleibt stehen. Esbleibt natürlich nicht der Raum stehen, abergenauso erfahren wir es ja. Der Raum bleibtstehen. Es bleibt die den Raum schaffendeVorrichtung, die die Umhüllung, die Archi-tektur ist, die bleibt stehen. Das Bemessenedarin, in dem wir uns bewegen, das ist im-mer schon da gewesen. Aber nur durch dieArchitektur … HELMUT LACHENMANN: Ich kann das ebenwiederholen. Ich kann das nur noch malmachen. Deshalb finde ich auch, zum Bei-spiel, also ich bin froh, dass wir die Fremde
Szene III ein zweites Mal gehört haben. WOLFGANG RIHM Gestern. HELMUT LACHENMANN: Total anders. Meinletztes Gedächtnis hatte einige Dinge ge-speichert – also es gibt ein unbewusstes Ge-dächtnis. Und wenn dann das kommt, oderwenn dann eine Analogie kommt, dannspringt das an und sagt: Das ist eine andereForm von … WOLFGANG RIHM: Aber das entspricht ja
genau dem, dass es – wenn Interpreten einStück oft gespielt haben, zu diesen Darstel-lungsweisen überhaupt erst kommt. Guckmal, die drei jungen Frauen, die gestern dasTrio gespielt haben, die haben das schonsehr lange an dem gearbeitet und oft ge-spielt. Die spielen das jetzt mit einer gro-ßen Selbstverständlichkeit, so wie sie ei-gentlich ein klassisches Stück auch spielen.Und das ist was ganz anderes. HELMUT LACHENMANN: Weil sie am Anfangschon wissen, was passiert. WOLFGANG RIHM: Was sie bringen werden.Was sie zeigen werden. Und genau das teiltsich dem Hörer mit. Und da ist diese ganzeAnfangsungewissheit weg. Das was die –was die klassische Musik so robust macht,wenn sie im Konzert ist, die wirkt ja unzer-störbar, aber eben weil sie durch Jahrhun-derte und durch ganz viel Hören dem einzel-nen individuellen Hören vertraut gewordenist. HELMUT LACHENMANN: Ja, das schwimmtda drinnen. Es wird nur erinnert. Déjâ en-tendu. WOLFGANG RIHM: Und deswegen wird eineMusik, die jetzt neu entsteht, immer aucheine – ja, wie ein Neophyt eben, eineSchwäche haben, schutzbedürftig sein. Wieein Neugeborenes. Das ist noch – hat noch
keine harte Haut. HELMUT LACHENMANN: Und da gibt es ei-ne vorauseilende Angst des Komponisten,dem entgegenzuwirken, indem er eine Formschafft. WOLFGANG RIHM: Und den Stücken einSchildkrötenpanzer mitgibt. HELMUT LACHENMANN: Das Stück war zwarziemlich beschissen, aber es hatte eine guteForm. WOLFGANG RIHM: Die Form war klasse,gell. Das Stück ist net gut – aber die Form. HELMUT LACHENMANN: So reden manch-mal … WOLFGANG RIHM: Kenner. – Aber so haben
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sie schon zu Zeiten von Brahms – zu Zeitenvon Debussy – zu Zeiten von X Y Z geredet.Immer. Die Kenner, die wussten immer Be-scheid. Leider hat der Komponist noch Mu-sik reingetan. Aber … HELMUT LACHENMANN: Deswegen habensie den Bruckner nicht so gemocht. Oder? WOLFGANG RIHM: Ja, zum Beispiel. HELMUT LACHENMANN: Formlos. WOLFGANG RIHM: Formlosigkeit ist immerder Vorwurf sagen wir mal eines eingehör-ten Hörens, eines bereits etablierten undwissenden Hörens gegenüber einer Erschei-nung, die eben nicht vertraut ist. Es gibtauch ein wissendes Avantgarde-Hören.Weißt du, ein ein – das ist uns ja oft begeg-net. Ein – so eines von oben herab in dieMusik Reinhörens. HELMUT LACHENMANN: Das meinte ich ja,die vorauseilende Vorsorge des Komponis-
ten. Das ist doch … WOLFGANG RIHM: Dass man dem ent-spricht. HELMUT LACHENMANN: Dass man dem …ja ja. Oder eigentlich. Ich wundere mich.Manchmal die Leute machen bungi-jumping,die machen Wildwasserfahrten, die machendurch die Sahara … WOLFGANG RIHM: Ich nicht. HELMUT LACHENMANN: … und so. Und imKonzertsaal? WOLFGANG RIHM: Darf sich nichts bewe-gen. HELMUT LACHENMANN: Feige oder faul.Oder ich weiß nicht. Da mal einfach sich –also es gibt ein Stück, das ich immer nochliebe, das ist Tombeau von Boulez. Das ei-gentlich – natürlich kann ich sehen, wie eres organisiert hat. Das kann man dannForm nennen. Aber diese Organisation, dieerblickst du nicht. Sondern du bist praktischeinem einer Landschaft ausgesetzt, von derman nicht weiß, was im nächsten Momentpassiert. Das finde ich sein anarchischstesStück formal gesehen, obwohl es - dukannst es wie ein Sextett untersuchen. Essind sechs Gruppen, und er kombiniert ein-mal eins und sechs, oder alle sechs, odernur … es gibt also schon ein Generierungs-piel, wo alle Spielvarianten einmal vorkom-men. Das ist sozusagen der Schutz, hat abermit der Form nichts zu tun. Weil das er-kennst du natürlich beim Hören so nicht.Da bist du in einem Dschungel und entwe-der fühlst du dich wohl in dem Dschungel,und sagt, Mensch, endlich mal im Dschun-gel. Oder du sagst: Um Gottes willen, ichwill raus, ja. WOLFGANG RIHM: Endlich mal im Dschun-gel. HELMUT LACHENMANN: Das meine ich mitden Wildwasserfahrten oder so, warum trau-en die Leute sich nicht endlich mal in denDschungel. Da muss man etwas vorher er-klären, damit sie sich irgendwas zum An-klammern haben. So ein Kompass oder ir-gend sowas. Und ich finde viel wichtiger,
dass ein Hörer lernt in Anführungszeichen
(Probenklänge im Hintergrund), dass es ein
Abenteuer gibt. Als eine Wünschbarkeit und
nicht als … Abenteuer hat immer etwas mit
dem sogenannten Risiko zu tun, das man
hinterher nicht mehr der gleiche ist wie vor-
her. Das – also einmal – ich habe es noch
nie gemacht, wirklich, dass man von weiß
nicht wie viel hundert Meter rausspringt.
WOLFGANG RIHM: Ich will´s auch nicht.
HELMUT LACHENMANN: Ne.
WOLFGANG RIHM: Das würde meiner Physis
nicht bekommen.
HELMUT LACHENMANN: Ja gut. Es ist frivol.
WOLFGANG RIHM: Dafür muss man gebaut
sein.
HELMUT LACHENMANN: Ich meine, das
sind ja schon alles Spiele mit den Grenzer-
fahrungen des Lebens. Also mit Tod und
mit Leben.
WOLFGANG RIHM: Aber das sind Spiele …
HELMUT LACHENMANN: Aber das kann ich
in Kunst je auch, diese Grenze.
WOLFGANG RIHM: Aber das sind Spiele, die
das von außen inszenieren, würde ich sa-
gen.
HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist ja wie-
der Dienstleistung. Das ist wieder Under-
tainment, an der äußersten Grenze. Aber ich
denke …
WOLFGANG RIHM (lacht): … da kommst sie
wieder (die Fliege).
HELMUT LACHENMANN: Was machen wir
denn mit der Fliege.
WOLFGANG RIHM: Die beziehen wir ein,
das ist vielleicht – die ist vielleicht Pfarrer.
Pfarrer Fliege.
HELMUT LACHENMANN: Zwei Gefühle, eine
Fliege.
WOLFGANG RIHM: Zwei Klappen – eine Flie-
ge.
HELMUT LACHENMANN: Wir schlagen eine
Fliege mit zwei Klappen. – Also …
© inpetto filmproduktion berlin 2007
DieBach-Gesamtausgabefür GitarreSämtliche Lautenwerke vonJohann Sebastian Bach für Gitarreeingerichtet von Ansgar Krause
Ansgar Krause hat in den letzten Jahren alleLautenwerke Bachs kompetent für sein In-strument eingerichtet und dabei vielfachneue Wege beschritten, nicht zuletzt in derWahl der Tonarten. Die Bearbeitungen Krau-ses klingen überzeugend und unverbraucht – sie sind im Konzert erprobt und auf CDdokumentiert. Durch die Erwähnung derAbweichungen vom Lauten-Original liegentextkritische Editionen vor.
� Suite g-moll BWV 995EB 8232 € 8,90
In seinem Vorwort begründet Krause dieWahl der Tonart g-moll, mit der sich seineVersion von den gängigen a-moll-Einrich-tungen unterscheidet. Die Bearbeitungnähert sich so Bachs Violoncello-Satz, der derLautenfassung eigentlich zu Grunde liegt.
� Suite e-moll BWV 996EB 8233 € 7,90
� Partita c-moll BWV 997EB 8234 € 9,50
Krause lehnt bei BWV 997 den üblichen Titel„Suite“ als stilistisch und das gängige a-mollals satztechnisch problematisch ab, lässt dasüberzeugendere h-moll greifen bzw. (mitKapodaster) das originale c-moll erklingen.
� Prelude, Fuga und Allegro BWV 9985771002 € 9,50
� Prelude BWV 999 & Fuganach BWV 1000, 1001 und 539EB 8235 € 7,90
Die bei J. S. Bach oft mehrschichtige Überlie-ferung wird überzeugend genutzt: für dieFuge BWV 1000 liefert stellenweise Bachseigene Bearbeitungstechnik für Orgel (inBWV 539) gitarrengerechte Lösungen.
Weitere Bach-Bearbeitungen von Ansgar Krause im Katalog «Edition Breitkopf».
www.breitkopf.de
Breitkopf Härtel
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NEU
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 19
Das klinget so
herrlich ...
Nachträge zum Mozartjahr 2006
Von Peter Päffgen
Die Oper, die zur Prager Krönung
von Kaiser Leopold II. aufge-
führt werden sollte, musste ei-
ne „opera seria“ sein, eine seriöse Oper.
Und neu sollte sie sein, neu, was Libret-
to und die Musik anging! Domenico Gu-
ardasoni, Impressario des böhmischen
Nationaltheaters, führte die Verhandlun-
gen, und zwar zuerst mit Antonio Salie-
ri. Der konnte nicht, war überlastet.
Schließlich fragte er Mozart. Haken an
Guardasonis Angebot war, dass die Krö-
nung schon am 6. September 1791 statt-
finden sollte – die Verhandlungen be-
gannen am 14. Juli des gleichen Jahres,
weniger als drei Monate vorher.
Ein weiser Oberstburggraf des Köni-
greichs Böhmen, Heinrich Franz von Rot-
tenhan, hatte schon gleich zu Beginn
der Aktion Bedenken angemeldet: Sollte
die Zeit zu knapp bemessen sein, mein-
te er, sollte der „Tito“ von Pietro Meta-
stasio (1698-1782) genommen werden,
ein bewährter Stoff, den schon Antonio
Caldara 1734 vertont hatte und vierzig
Komponisten nach ihm, unter ihnen
Christoph Willibald Gluck. Caterino
Tommaso Mazzolà, sächsischer Hofdich-
ter, zu der Zeit in Diensten der Habsbur-
ger in Wien, überarbeitete den Text –
Mozart schrieb die Musik. Das Angebot,
das Gardasoni Mozart machte, war lu-
krativ genug, die Arbeit an der Zauber-
flöte für kurze Zeit ruhen zu lassen. Man
munkelt, er solle das Doppelte von
dem, was er normalerweise für eine
Oper forderte, bekommen haben!
Erst in Prag, wo Mozart und Mazzolà am
28. August 1791 ankamen, entstanden
die letzten Stücke der Partitur – gut ei-
ne Woche später war die erste Auf-
führung. Ludwig Finscher hält zwar die
Behauptung, die Partitur zu La Clemen-
za sei in 18 Tagen entstanden für „eine
Legende der Mozart-Literatur“ weist
aber darauf hin, „dass Mozart die Seccos[...] von einem Helfer, wahrscheinlichFranz Xaver Süßmayr, komponieren ließ“
– so sehr drückte die Zeit.1
La Clemenza wurde bis zum 30. Septem-
ber in Prag gegeben, und dies war der
Tag, an dem in Wien die Zauberflöte
uraufgeführt wurde. Der Erfolg (von La
20 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
Clemenza) war mäßig, steigerte sich in den
späteren Aufführungen aber sogar so weit,
dass sie „bis ins 19. Jahrhundert hinein die
erfolgreichste Mozart-Oper nach Don Giovan-
ni und Zauberflöte“2 werden sollte. Ins Deut-
sche wurde ihr Libretto übersetzt, ins Russi-
sche, Dänische, Schwedische und in andere
Sprachen, in denen sie auch aufgeführt wur-
de. Aber wenig später, schon nach 1820, ge-
riet sie beinahe völlig in Vergessenheit.
Die Einspielung unter der Leitung von Char-
les Mackerras mit Rainer Trost (als Tito), Mag-
dalena Kozená (als Sesto), Hillevi Martinpelto
(als Vitellia) und Lisa Milne (als Servilia) ist
im Sommer 2005 entstanden und im Mozart-
Jahr herausgekommen.3 Als erste Gesamtauf-
nahme nach mehr als zehn Jahren hat sie
nicht viele Konkurrenten auf dem internatio-
nalen Markt, eine davon hat Nikolaus Harnon-
court dirigiert, und sie geht auf eine Zürcher
Aufführung aus dem Jahr 1993 zurück.
Es gibt Parallelen zwischen Mackerras und
Harnoncourt, besonders, was ihre Einspielun-
gen der Clemenza angeht. Das Überbetonen
La clemenza di Tito erlebte schon 1805, so
Finscher4 mehr Klavierauszüge mit Texten in
deutscher Sprache als Mozarts Figaro, die
Oper erfreute sich also großer Popularität.
Kein Wunder also, dass sich auch die Gitarri-
sten für sie interessierten. 1806, als Mauro Gi-
uliani (1781-1820) sich in Wien niederließ,
war Mozart schon fast fünfzehn Jahre tot,
und doch bestand Nachfrage nach seinen
Werken, zum Beispiel der Clemenza-Ouvertü-
re, sonst hätte weder Giuliani sie für zwei Gi-
tarren bearbeitet noch hätte sein Wiener Ver-
lag Artaria & Comp. die Bearbeitung im
Druck herausgebracht. Beworben wurde die
Ausgabe am 22. April 1812, sie wird also zu
dieser Zeit erschienen sein5. Später kam das
Stück auch bei Richault in Paris heraus. Brian
Jeffery, der Herausgeber einer Ausgabe sämt-
licher Werke von Mauro Giuliani in Form von
Reprints der Originalausgaben6, hat die Rich-
ault-Ausgabe für seine Edition verwendet,
weil das einzige nachgewiesene Exemplar der
Artaria-Ausgabe von 1812 in der Österreichi-
schen Nationalbibliothek in Wien (Signatur
Mc 13936) tatsächlich schlecht lesbar ist. Sie
ist, so schreibt Jeffery, „almost certainly co-
pied from the Artaria edition and identical
with it in most notational details”7
Bemerkenswert an der Bearbeitung ist die
Tatsache, dass Giuliani zwei Gitarren besetzt
hat, wobei für eine „Con capotasto alla terza
posizione o tasto“ vorgegeben ist: „mit Kapo-
daster im dritten Bund.“ Was er damit vor-
weggenommen hat, wurde später Terzgitarre8
genannt oder chitarra terzina oder chitarra
terza.9 Zu dieser Zeit wurde die Terzgitarre –
bzw. hier ist es expressis verbis eine „Normal-
gitarre“ mit Kapodaster – in Giulianis ge-
druckten Werken erstmalig verwendet.
Einen kritischen Bericht zu dieser Ausgabe
finden Sie im Internet unter www.peter-paeff-
gen.eu. Einige Fehler sind korrigiert worden,
einige Auslassungen ergänzt – dort finden
Sie präzise Angaben.
Wenn im Zusammenhang mit Wolfgang Ama-
deus Mozart von Libretti die Rede ist, fallen
zwei Namen sofort: Emanuel Schikaneder
(1751–1812) und Lorenzo da Ponte. Der eine
war ein mit allen Wassern gewaschener Thea-
termann, der sein Leben lang von einer Büh-
ne zur anderen zog und ein Gespür dafür hat-
te, was beim Publikum ankam und was nicht.
Für Mozart schrieb er 1791 das Libretto zur
„Zauberflöte“. Sein Name lebt weiter, unter
anderem in einer Wiener Bar mit Programm-
kino, einem „Ort der Kommunikation, Projekti-on, Audition, Vision, Kunstpräsentation und Ge-tränkekonsumation“.10
Der andere, Lorenzo da Ponte, schrieb die
Operntexte für „Le nozze di Figaro“, „Don
Giovanni“ und „Così fan tutte“, „drei dergrößten Opern aller Zeiten.“11 Nach ihm ist in
Wien ein „Institut für Librettologie“ benannt,
in Berlin ein Unternehmen, das sich mit Un-
ternehmenskommunikation befasst und ein
zeitgenössischer österreichischer Dichter hat
von Affekten, das Beschweren kleinster Fü-
gungen und die damit einhergehende Drama-
tisierung des gesamten Werks, das ist beiden
gemeinsam, aber sie gehen anders vor. Har-
noncourt sucht die Bedeutung in jeder Phra-
se eines musikalischen Werks und nimmt
nichts leichtfüßig als so und nicht anders –
der „grimmige Grübler“ eben! Und Charles
Mackerras schöpft aus dem Vollen, malt in Öl
und nicht mit Pastellfarben, sucht nach Lei-
denschaft und großen Gefühlen.
Diese Einspielung beschert dem Hörer sehr
viele Entdeckungen. Das Scottish Chamber
Orchestra zum Beispiel geizt überhaupt nicht
mit Klang und kokettiert gern mit Virtuosem,
der Chor unter Mark Hindley wirkt geschlos-
sen, homogen, manchmal suggestiv mah-
nend und klagend und für Magdalena Kozená
als Sesto möchte ich das große Wort „Ideal-
besetzung“ bemühen! Bravi!
Harnoncourt übrigens hat im Mozartjahr eine
Neuinszenierung von La Clemenza anlässlich
der Salzburger Festspiele dirigiert und auch
an anderen Häusern ist die Oper (wieder) im
Programm.
Wolfgang Amadeus Mozart: Overtura
dell’Opera La Clemenza di Tito di
Mozart ridotta per due Chitarre da
Mauro Giuliani, revidiert und her-
ausgegeben von Peter Päffgen
1791, in Mozarts Sterbejahr, wurde La
Clemenza di Tito zum ersten mal gegeben,
und zwar in Prag anlässlich der Krönungs-
feierlichkeiten von Kaiser Leopold II. 1812.
21 Jahre später kam sie in Wien bei Artaria
& Comp. in Bearbeitung für zwei Gitarren
heraus – für Gitarre und Terzgitarre, gesetzt
von Mauro Giuliani. „Con capotasto alla
terza posizione o tasto“ steht über dieser
und der Ausgabe, die ein paar Jahre später
bei dem Pariser Musikverleger Richault her-
auskam.
Die Berabeitung der Ouvertüre steht in C-
Dur, obwohl die erste Gitarre scheinbar in
A-Dur geschrieben ist, dies, weil sie einen
Kapodaster im dritten Bund hat, also
quasi G-c-f-b-d-g’ gestimmt ist.
Verschiedene Duos haben die Ouvertüre zu
La Clemenza de Tito von Mozart/Giuliani
aufgenommen, unter ihnen Leif Christensen
und Maria Kämmerling (Paula 54) und das
Duo Sonare mit Jens Wagner und Thomas
Offermann (MDG 630 0629-2). Diese beiden
Duos bedienen sich historischer Instrumen-
te bzw. Kopien. Eine moderne Ausgabe der
Ouvertüre liegt bisher nicht vor – außer
dem Reprint der Ausgabe bei Richault in
Band XXIII der Reihe „Mauro Giuliani: The
Complete Works in Facsimile of the Original
Editions, Edited by Brian Jeffery“ bei TECLA.
Einen kritischen Bericht über die hier vor-
liegende Ausgabe finden Sie im Internet
unter
www.peter-paeffgen.eu. Dort wird es auch
eine Errata-Liste geben, die nach Leser- und
Benutzerzuschriften ergänzt wird, um eine
nicht nur fehlerlose, sondern optimale Aus-
gabe zu erzielen.
Die oben abgebildete Titelseite ist die der
Richault-Ausgabe.
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 21
Revidiert und herausgegeben von Peter Päffgen, Kritischer Bericht im Internet unter www.Peter-Paeffgen.eu.© 2008 (für Ausgabe und Stichbild) by Peter Päffgen
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Chitarra 2a
8
3 3
Chitarra 1ma
Con capotastoalla terzaposizione o tasto.
Overtura dell’Opera »La Clemenza di Tito«
8
Allegro
3 3
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)für zwei Gitarren bearbeitet von Mauro Giuliani (1781–1829)
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Cres.
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FINE
FINE
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8
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Stück spricht, und die bei den Regenten von
Frankreich und Österreich, die dazu auch
noch miteinander verschwägert waren, nicht
gut ankam. Man bedenke, dass Marie Antoi-
nette, die Ehefrau Von Ludwig XVI. von
Frankreich eine Habsburgerin war – die
Schwester von Kaiser Joseph II. von Öster-
reich! Aber da Ponte und Mozart konnten
sich durchsetzen und „Le nozze di Figaro“
wurde ein Riesenerfolg.
Lorenzo da Ponte wurde ein viel beschäftig-
ter Librettist. Es entstanden weitere Opern-
texte für Martín y Soler (1754-1806), für Ste-
phen Storace (1762-1792) („Gli equivove“ [UA
1786] nach Shakespeare) und andere. Aber
Wien musste finanziell den „Türkenkrieg“
schultern, in dem der russische Zar und Kai-
ser Joseph II. das osmanische Reich unterein-
ander aufteilen wollten. Und schon damals
war es so, dass in schlechteren Zeiten an der
Kultur als erstes gespart wurde. Dem italieni-
schen Theater drohte die Schließung, sie
konnte mit Salieris Hilfe aber noch verhin-
dert werden.
1790 wurde „Cosí fan tutte“ uraufgeführt, im
gleichen Jahr starb Joseph II. Mit seinem
Tod sollte sich die Situation um da Ponte dra-
matisch ändern. Josephs Nachfolger war sein
Bruder Leopold, der schließlich 1791 da Pon-
tes Entlassung erwirkte. Mehr noch: Der Dich-
ter musste Wien verlassen. Intrigen, Kollegen-
neid, Boshaftigkeit! Die Verbannung wurde
zwar wieder aufgehoben aber da Ponte sollte
nur noch kurz nach Wien zurückkommen.
Im gleichen Jahr starb Mozart. Leopold II.
war keine lange Regentschaft vergönnt – er
„da Ponte“ als sein Pseudonym gewählt –
dies nur Beispiele dafür, wofür sein Name
steht und wie aktuell er noch ist.
Betrachtet man die Buch-Neuerscheinungen,
die das Mozartjahr 2006 zum Thema da Pon-
te hervorgebracht hat, sind es weniger Be-
trachtungen zu dessen Werk, als vielmehr
solche zu seiner Lebensgeschichte: „Auf-
bruch in die neue Welt“12 ist das eine unterti-
telt, „ein abenteuerliches Leben“ ein anderes
– letzteres hieß übrigens im englischen Ori-
ginal noch dezenter „The Life and Times of
Mozart’s Librettist“.13 Und eine Ausgabe sei-
ner Autobiographie ist seit 1993 unter dem
Titel „Mein abenteuerliches Leben“ im Ange-
bot.14
Schon Lorenzo da Ponte selbst scheint seine
Lebensgeschichte für so interessant gehalten
zu haben, dass er sie in autobiographischen
Artikeln und Büchern ausgebreitet hat. 1807
erschien in New York „Storia compendiosa
della vita di Lorenzo da Ponte“ in italieni-
scher und englischer Sprache, zwölf Jahre
später, 1819, „An Extract from the Life of Lo-
renzo da Ponte, with the History of Several
Dramas written by him, and among others,
Il Figaro, Il Don Giovanni, & la scuola degli
amanti, set to music by Mozart“ auf Eng-
lisch. Schon zwischen 1823 und 1827 wurden
dann die Memoiren in vier Bänden in italie-
nischer Sprache gedruckt: „Memorie di Lo-
renzo da Ponte da Ceneda, Scritte Da Esso …
Nova Jorca […] 1823“.
Im Einflussgebiet der Habsburger und damit
auch in Oberitalien war letzteres Werk verbo-
ten, weil da Ponte zu kritisch mit Kaiser Leo-
pold II., dem Bruder seines Gönners Joseph
II., umgegangen war. 1829 erschien eine
zweite Auflage, ein Jahr später noch einmal
und zwar korrigiert und um einen Band er-
weitert,15 aber trotz aller Glättungen und
Streichungen blieb das Buch auf dem Kaiser-
lichen Index.
Da Pontes Curriculum Vitae war, auch oder
vielleicht besonders für seine Zeit, unge-
wöhnlich. Er wurde 1749 als Emanuele Co-
negliano in Ceneda (heute Vittorio Veneto)
geboren. Bei seiner Familie ist er dort im jü-
dischen Ghetto groß geworden. Sein Vater
war der Gerber und Lederhändler Geremia
Conegliano, der 1763 zum Christentum kon-
vertierte. Die ganze Familie, Geremia und sei-
ne drei Söhne, erhielt bei der Taufe den Fa-
milienamen ihres Taufpaten, des Bischofs
von Ceneda, Lorenzo da Ponte. Der Vater
hieß ab sofort Gasparo und die Söhne Loren-
zo, Girolamo und Luigi da Ponte.
Die beiden ältesten Brüder, Lorenzo und Gi-
rolamo, traten im gleichen Jahr in das Prie-
sterseminar von Ceneda ein. Hier wurden sie
nicht nur im Lateinischen unterrichten, son-
dern lernten auch die Klassiker der italieni-
sche Literatur kennen. Nachdem Bischof da
Ponte, der die Brüder gefördert hatte, 1768
gestorben war, gingen sie, jetzt auch mit
ihrem jüngsten Bruder Luigi, ins Priestersemi-
nar von Portogruaro, wo Lorenzo bald Lehrer
für Literatur werden konnte, dann auch stell-
vertretender Direktor. 1773 wurde er zum Ab-
bé geweiht. Noch im gleichen Jahr ging er
zusammen mit Girolamo nach Venedig. „Un-glücklicherweise, möchte ich sagen, ging ichnach Venedig. Denn ich war jung und feurig,besaß ein lebhaftes Temperament und nachdem Urteil aller gute Manieren, war also wie ge-schaffen für Abenteuer. Sie ließen auch nichtlange auf sich warten. Bald steckte ich mitten inden Vergnügungen und Unterhaltungen dieserStadt des Sinnes und galanten Lebens und ver-gaß oder vernachlässigte Studien und Literatur.Hinzu kam die allerheftigste Leidenschaft für ei-ne der schönsten Damen von Venedig; ihr Eigen-sinn, ihre wunderlichen Launen haben mich ei-nige Jahre in Atem gehalten.“16
Ein Jahr später begann die Lehrtätigkeit von
Lorenzo und Girolamo da Ponte am Seminar
in Treviso. 1776 veranstaltete Lorenzo dort ei-
ne „Academia poetica“, wo seine zu aufkläre-
rischen Ideen aneckten. Nach Ansicht kirchli-
cher Kreise waren sie mit den christlichen
Lehren nicht zu vereinbaren und Lorenzo
musste sich in Venedig dafür verantworten.
Ihm wurde darauf die Lehrerlaubnis für die
Republik Venedig entzogen. Drei Jahre später
wurde er wegen öffentlichen Konkubinats so-
gar für fünfzehn Jahre aus Venedig verbannt.
Im gleichen Jahr, 1779, zog Lorenzo da Ponte
in das Habsburgische Görz (heute Gorizia)
und war damit vor den Verfolgungen der In-
quisition in Sicherheit.
Es folgten folgende Stationen: 1780 Dresden,
dort traf er mit Caterino Maz-
zolà zusammen, 1981 Wien. Jo-
seph II. ernannte ihn 1783 zum
Dichter der italienischen Oper,
im gleichen Jahr traf da Ponte
erstmalig mit Mozart zusam-
men. Da Ponte schrieb Libretti
für Salieri, Vicente Martín y So-
ler und, 1785, „Le nozze diFigaro“ für Mozart, die am 1.
Mai 1786 uraufgeführt wurde.
Die Vorlage für dieses Libretto
war das Theaterstück „La follejournée, ou le mariage de Figaro“
von Pierre-Augustin Caron de Be-
aumarchais (1732-1799), das im
vorrevolutionären Frankreich Fu-
rore gemacht hatte und dort wie
auch in Wien zunächst verboten
war. Es geht in dem Stück um ei-
nen jungen Bürgerlichen, der
den Grafen Almaviva, davon ab-
zuhalten versucht, an seiner Ver-
lobten Susanna das „ius primae
noctis“ oder das „droit de Seig-
neur“, wie es in Frankreich hieß,
auszuüben, das er, Almaviva,
vorher selbst abgeschafft hatte.
Revolutionär war die antiaristo-
kratische Haltung, die aus dem
30 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
starb am 1. März 1792. Im gleichen Jahr fin-
den wir da Ponte in London wieder, wo er
mit seiner Ehefrau Nancy Grahl Zuflucht ge-
sucht hatte. Aber das berufliche Glück war
nicht auf seiner Seite. Er versuchte es von
London aus an Theatern in Amsterdam, Den
Haag, Brüssel, Rotterdam … ohne Erfolg. Die
Zeiten waren schwierig. Schließlich bot ihm
William Taylor, Leiter des King’s Theatre at
Haymarket, die Stelle des Dichters für italie-
nische Opern an. Da Ponte nahm an und
überarbeitete nun Werke für das Londoner
Publikum: Paisiello, Cimarosa, Gluck, Piccin-
ni.
Ein paar Jahre später kaufte der Dichter eine
Druckerpresse, um sein Einkommen durch
gedruckte Operlibretti, die im Theater ver-
kauft wurden, aufzustocken. Seine Frau be-
trieb bereits die „Cafeteria“ des Theaters –
auch, um das Familieneinkommen zu si-
chern. Aber durch geplatzte Wechsel, die er
für William Taylor gegengezeichnet hatte, ge-
riet da Ponte in arge finanzielle Schieflage.
Ein paar Libretti entstanden und schließlich
beauftragte ihn Taylor 1798, in Italien neue
Sänger zu engagieren. Im März 1799 kam er
zurück nach London und die Ereignisse über-
schlugen sich. Lorenzo da Ponte verlor seine
Stellung am Theater und wurde schließlich
selbständiger Buchhändler für klassische ita-
lienische Literatur. Wechselschulden, Bank-
rott Gefängnisstrafen … da Ponte hatte kein
Fortune. Zusammen mit seinem Halbbruder
Paolo eröffnete er in London eine Druckerei.
Gelegentlich entstanden Libretti, drei davon
für Peter von Winter, aber schließlich nah-
men die Schulden derartig überhand, dass
da Ponte sein gesamtes Büchersortiment ver-
kaufen musste, um an Bargeld zu kommen.
Am 20. September 1804 reiste Nancy mit
den Kindern in die USA – vermutlich, um Er-
sparnisse vor Gläubigern zu sichern. Lorenzo
folgte ihr ein halbes Jahr später, nachdem
auch sein Bruder Paolo Konkurs anmelden
musste.
Aber auch in der Neuen Welt gingen die Ge-
schäfte schlecht. 1807 war da Ponte erneut
bankrott. Er ging nach New York, gab Italie-
nischunterricht und schrieb seine ersten auto-
biographischen Texte. Und immer wieder ver-
suchte er sich in Geschäften, die alle minde-
stens wechselhaft, wenn nicht schlecht liefen.
In New York kaufte er 1819 eine Buchhand-
lung für teure italienische Bücher und gab
Italienischunterricht. Neue autobiographi-
sche Schriften entstanden. Schließlich wurde
Lorenzo da Ponte 1825 (ehrenamtlicher) Pro-
fessor für Italienisch und italienische Litera-
tur am Columbia College. Er bemühte sich
um Aufführungen von Mozart-Opern in New
York, stiftete der New York Society Library ei-
ne ganze Bibliothek italienischer Klassiker
und am 18. November 1833 eröffnete er das
New Yorker Italian Opera House, das erste
feste Opernhaus in New York. Es war auf sein
Betreiben gebaut worden und mit La gazzaladra (Die diebische Elster) von Gioacchino
Rossini eröffnet. Noch im selben Jahr war das
Unternehmen bankrott, ein Jahr später brann-
te das Haus ab und wurde nicht wieder auf-
gebaut. Am 17. August 1838 starb Lorenzo
da Ponte 89jährig in New York.
Zwei Versionen der Autobiographie da Pontes
sind im Taschenbuch auf dem deutschen
Markt, eine davon ist 2005, also zum Mozart-
jahr erschienen.
Lorenzo da Ponte, Mein abenteuerliches Leben:Die Erinnerungen des Mozart-Librettisten,
Zürich, Diogenes, 1991, € 9,90
Lorenzo da Ponte, Geschichte meines Lebens:Mozarts Librettist erinnert sich, Frankfurt u.a.,
Insel, 2005, € 1 2,00
Die Insel-Ausgabe – ich sage es gleich vor-
weg: Sie ist die, die ich anschaffen würde,
stünde ich vor der Wahl – liefert nicht nur da
Pontes Memoiren, sondern auch einen sehr
informativen Begleittext des Münchner Ger-
manisten Jörg Krämer, der unter anderem fol-
gendes offen legt: „… Bis heute gibt es keinevollständige Übersetzung [der Memorie] insDeutsche. Die erste Übersetzung wurde 1847[…] publiziert. […] Sie ist philologisch weitge-hend getreu nach der zweiten Fassung von1829/30 gearbeitet, kürzt diese allerdings undverzichtet auf den letzten Teil. […] Diese (ano-nyme) Übersetzung liegt auch den späterendeutschen Ausgaben von 1924 […], 1960 […],
und 1970 […] zugrunde. Eine weitere Übertra-gung von Eduard Burckhardt, erschienen 1861im Opetz-Verlag Gotha, kürzt den Text noch we-sentlich stärker und scheint nicht vom italieni-schen Original, sondern von einer französischenÜbertragung auszugehen. Sie wurde 1991 nocheinmal vom Diogenes-Verlag Zürich nachge-druckt.
Die einzige neue Übersetzung stammt von Char-lotte Birnbaum und wurde 1969 für den Wun-derlich-Verlag H. Leins angefertigt. Auf ihr be-ruht diese Ausgabe, obwohl auch BirnbaumsÜbertragung nicht vollständig ist. “ (S. 476)
Die Übersetzung der Diogenes-Ausgabe
stammt also aus dem Jahr 1861, was man
verschmerzen könnte, aber auch die Kürzun-
gen sind 150 Jahre alt und begründet durch
moralische, weltanschauliche oder sonstige
Bedenken der damaligen Zeit. Und schließ-
lich: Eine Übersetzung nach einer Überset-
zung anzufertigen und das nicht einmal
kenntlich zu machen, ist natürlich philolo-
gisch unhaltbar. Dass diese Übersetzung nun,
das heißt in den Jahren vor 1991, noch ein-
mal „durchgesehen und dem heutigen Sprachge-brauch behutsam angepasst“ worden ist17,
konnte den Schaden kaum noch vergrößern,
denn vermutlich ist das bei allen Auflage ge-
schehen, die seit 1861 in diversen Verlagen
herausgekommen sind. „Stille Post“!?
Welche Bedeutung haben denn Lorenzo da
Pontes Autobiographien überhaupt? Waren
es Versuche des Autors, sich selbst in besse-
rem Licht darzustellen? Es ist offenkundig,
dass er über Dinge und Zusammenhänge
nicht berichtet, andere geschönt hat. Zum
Beispiel ist von seiner jüdischen Herkunft
kein Wort zu lesen und daher auch nicht über
seinen Namenswechsel von Conegliano zu da
Ponte. Dass er als katholischer Priester einige
Frauenaffären hatte und schließlich auch hei-
ratete, war ihm offenbar keinen Kommentar
wert … mindestens keinen schuldbewussten.
Die zahllosen kaufmännischen, finanziellen
Misserfolge sind in seiner eigenen Darstel-
lung grundsätzlich von anderen initiiert wor-
den. Lorenzo da Ponte war der Prototyp des
Versagers „aufgrund schlechten Umgangs“ –
so jedenfalls stellt er es dar. Damit wären wir
bei den kommentierenden Neuerscheinungen
zum Thema Lorenzo da Ponte im Mozart-Jahr
2006, bei der Sekundärliteratur sozusagen:
Sheila Hodges, Lorenzo da Ponte: Ein abenteu-erliches Leben, Kassel u.a., Bärenreiter, 2005, €
29,95
Werner Hanak (Hrsg.), Lorenzo da Ponte: Auf-bruch in die Neue Welt, Ostfildern, Hatje
Cantz Verlag, 2006, € 35,00 [mit T extbeiträ-
gen von Karl Albrecht-Weinberger, Otto Biba,
Leon Botstein, Reinhard Eisendle, Wolfgang
Gasser, Miriam Grau Tanner, Werner Hanak,
Wiebke Krohn, Herbert Lachmayer, Erik Levi,
Wolfgang Nedobity und Giampaolo Zagonel]
Sheila Hodges ist Lorenzo da Ponte – das
empfindet man leicht beim ersten Lesen –
auf den Leim gegangen. Wenn er sich über
das Verhalten von William Taylor beklagt –
Sheila Hodges bedauert ihn. Wenn er in
rechtliche Bedrängnis kommt, weil er Wech-
sel von Taylor akzeptiert hat – Sheila Hodges
hat Verständnis. Wenn er in London im Ge-
fängnis sitzt, weil er an krummen Geschäften
beteiligt war – Sheila Hodges holt ihn raus.
Helfersyndrom? „Da Ponte hat nicht wenig un-ter dem Bild eines üblen Wüstlings zu leiden,das die Nachwelt ihm zugedacht hat, mit einerReihe von verlassenen Frauen in jeder Stadt.Tatsächlich war sein Leben – abgesehen von ei-ner kurzen und ziemlich bewegten Phase in Ve-nedig, als er noch ein junger Mann war, undabermals gegen Ende seiner Wiener Zeit – nichtdas Leben eines Abenteurers, wenn damit je-mand gemeint ist, der Abenteuer sucht. NachTemperament und Begabung war er eher einLehrer mit einer großen Liebe zur Dichtkunst,und die führt ihn, wie er selbst sagt, »plötzlichund immer wieder in die Welt des Dramas«.Durch bestimmte Seiten seines Charakters –Leichtgläubigkeit, Eitelkeit, das Bedürfnis, ge-liebt zu werden, jedermann gefällig zu sein und(nicht zuletzt) sein permanenter Hang, sich zuverlieben — war er während seines gesamten89-jährigen Lebens weniger Meister seinesSchicksals, vielmehr dessen Opfer, oft genughilflos hin und her gebeutelt zwischen Unge-mach und Ungemach.“18
Fausto Nicolini, Mitherausgeber der italieni-
schen Werkausgabe der Erinnerungen, sieht
das ganz anders. Er hält die „Memorie“ für
„einen Lügendschungel, eine einzige Selbstrecht-fertigung, grobkörnig, schlecht strukturiert, sal-badernd, heuchlerisch, moralisierend.“19
Jörg Krämer gar sieht in den Erinnerungen
pikarische Elemente, was eine Bewertung als
literarischen Text und weniger als dokumen-
tarische Schilderung nahe legt. Wenn die Le-
benserinnerungen von Lorenzo da Ponte so
etwas wie ein Schelmenroman sind, minde-
stens aber eine „dramatische Autobiogra-
phie“, wie vergleichbare Texte in der Litera-
turwissenschaft genannt werden,20 muss die
Frage nach ihrem Wahrheitsgehalt nicht
mehr gestellt werden, ja, sie verbietet sich re-
gelrecht. Die literarische Nähe zu den Memoi-
ren von Giacomo Casanova (1725-1798), mit
dem da Ponte gut bekannt war, bestätigt
diese Einschätzung.
Und Sheila Hodges weiß um die Glaubwür-
digkeit von da Pontes Texten und sie weiß
auch um seine Positionierung in der Ge-
schichte der Literatur. Wenn man Bemerkun-
gen liest wie „Das Bändchen wird mit einerkurzen Darstellung seines eigenen Lebens einge-leitet – stark zurecht geschminkt, wie üblich“
(S. 250) oder Worte wie „seinem zurechtge-stutzten Bericht zufolge …“ (S. 185), dann ahnt
man, wie sie seine „Memorie“ gelesen hat
und lesen musste.
Dass Lorenzo da Ponte „einer der kümmerlich-sten Geschäftsleute der Welt“ (S. 214) gewesen
ist, entgeht niemandem, der von den unzäh-
ligen Gerichtsverhandlungen, Pleiten und
Pannen liest … aber was bleibt? War Loren-
zo da Ponte ein begnadeter Dichter?
Thomas James Mathias (1754-1835), ein Ken-
ner italienischer Literatur und Kultur, nannte
da Ponte „einen Mann von Schöpferkraft, Bil-dung und Geschmack […] einen Mann von Ge-nie, einen wahren Poeten“ (S. 194) und die Au-
torin meint dazu: „So übertrieben die Bewer-tung von da Pontes Dichtkunst durch Mathiasauch gewesen sein mag, sie zeigt immerhin,dass sie von jemandem, der selbst ein glänzen-der und weithin verbreiteter Fachmann für itali-enische Literatur war, hoch geschätzt wurde.“
(S. 194) Ihre eigene Einschätzung war da
ganz anders: „Er war kein großer Dichter, undschon gar kein besonders origineller; aber erhatte ein untrügliches Gespür für die besonde-ren Bedürfnisse des jeweiligen Komponisten ...“
(S. 83) Und als Librettist? Über da Pontes
Operntexte liest man in der modernen Litera-
tur Kommentare wie: „Da Pontes Textbuchzeigt eine gewisse Dürftigkeit der Handlung.“21
Eduard Hanslick schrieb 1858: „Die grenzenlo-se Plattheit des Textbuches ist es, was Mozartslieblicher Musik zu Cosi fan tutte überall denGaraus machte.“22
Anna Amalie Abert geht besonders harsch
mit da Ponte ins Gericht, sie demontiert das
Bild, das von ihm selbst und seinen Apologe-
ten gern gezeichnet worden ist: „Er ist als Li-brettist Mozarts in die Geschichte eingegangenund kann in der Tat den Ruhm für sich in An-spruch nehmen, die Größe des Dramatikers Mo-zart als einer der ersten erkannt zu haben. Waser darüber hinaus behauptet, zeugt von einerSelbstüberschätzung, die zu seinen herausste-
chendsten Eigenschaften gehörte. […] aus Trevi-so wurde er entlassen, aus Venedig ausgewie-sen, aus Wien entfernt, aus London musste erfliehen, überall war er, den Memoiren zufolge,der Märtyrer, der von Engstirnigkeit, Verleum-dung, Neid und Missgunst verfolgt wurde undallen Intrigen wehrlos zum Opfer fiel.“23 Was
sein Schaffen als Librettist angeht, urteilt
Abert so: „Charakteristisch für da Pontes Li-bretti ist das Zurücktreten selbst erfundenerStoffe hinter Bearbeitungen fremder Vorbilder,wiederum ein Zeichen für seine mehr nach-schöpferisch-formale als schöpferische Bega-bung.“24 Fünfzig Jahre später bestätigt Danie-
la Goldin Folena in der zweiten Auflage der
gleichen Musik-Enzyklopädie diese Einschät-
zung, wertet aber die „handwerkliche“ Lei-
stung des Dichters höher: „Seit den erstenWiener Versuchen, Texte für Musik zu schrei-ben, zeigte Da Ponte ein Niveau allerhöchster»handwerklicher« Qualität, auch wenn dergrößte Teil seiner Libretti von gelegentlichenQuellen d.h. von existierenden Libretti oderschon bekannten dramatischen Textenausging.“25
Spätestens als Lorenzo da Ponte in dem von
Theo Stengel und Herbert Gerigk herausge-
gebenen „Lexikon der Juden in der Musik“
namentlich erschienen ist26, hat sich die Ein-
schätzung, die man ihm und seinem Werk
entgegenbrachte, radikal geändert – zumin-
dest ist die Missachtung weniger verblümt
geäußert worden. Entweder unterschlug man
seinen Namen in Büchern über Mozart und
seine Opern27 oder man bewertete ihn mit
damals üblichen Klischees: „eine wenig zuver-lässige Halbpoetennatur, eine in Ursprung undEnde dunkle Persönlichkeit“28 oder „Sohn einesjüdischen Lederhändlers […], keine dichterischeBegabung […] ehrgeiziger und skrupelloserCharakter.“29
Nach 1945 war eine andere Haltung gegenü-
ber da Ponte angesagt und angeordnet, viele
Formulierungen lassen aber immer noch har-
sche antisemitische Herabwürdigung ahnen,
die auf die Schnelle nicht übertüncht werden
konnte.
Um Lorenzo da Ponte als „tolerierter und ge-
taufter Jude“, dreht es sich in dem prachtvol-
len Buch von Werner Hanak, das er als Aus-
stellungskatalog im Auftrag des Jüdischen
Museums Wien herausgegeben hat. Es ist
viel mehr als ein Ausstellungskatalog. Es ist
eine Art Kongressbericht oder Festschrift
zum Thema da Ponte mit vielen höchst kom-
petenten Beiträgen und natürlich einer Viel-
zahl hervorragender Abbildungen. Und hier,
neben vielen Dokumenten und Anekdoten,
neben Aufklärung über die österreichische
Aufklärung bemüht sich eine Autorin um ei-
ne Antwort auf die hier schon schüchtern ge-
stellte Frage: War Lorenzo da Ponte ein beg-
nadeter Dichter? Und wenn ja: Worin wird
das deutlich? Und: War Da Ponte musika-lisch?30
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 31
Wiebke Krohn geht diesen Fragen nach und
kommt schließlich zu diesem Schluss: „Erwar sicher nicht unmusikalisch. Diese Affäremit einer Donna concertante [gemeint ist hier
die Liebesaffaire mit der Sängerin „La Ferra-
rese“ – d. Rezensent] und die Missionierung z.B. seiner New Yorker Schüler zeigen aber auch,dass er die Attitüde des musikalischen Men-schen zur Selbstinszenierung nutzte.“31 Vorher
hat die Autorin untersucht, wie weit Textvor-
lagen da Pontes von dem jeweiligen Kompo-
nisten umgesetzt worden sind, das heißt,
wie weit er durch seinen Text die Komponi-
sten beeinflusst, quasi mitkomponiert hat.
Am Schluss, na ja, ist es wieder eine mensch-
liche Schwäche, die das Bild, das die Autorin
von da Ponte hat, bestimmt.
Und doch lernt man sehr viel bei der Lektüre
des Katalogs. Zum Beispiel über die ungeheu-
re Toleranz des Herren Joseph von Gottes
Gnaden, der 1782 den Juden einiges erlaubte
– anderes nicht (Wolfgang Gasser, Neues ausder »Stadt der Toleranz«: Tolerierte und getauf-te Juden, da Ponte und Mozart, S. 63-79), und
einiges erfahren wir auch mehrmals. Jeder
Autor des Katalogs beginnt nämlich erst ein-
mal mit dem Teil Geschichte, der zu erzählen
ist … natürlich ohne in Betracht zu ziehen,
dass die Kollegen das auch schon getan ha-
ben! Das muss nicht sein, aber auch Otto Bi-
ba erzählt in seinem Beitrag über Lorenzo daPonte in Amerika noch einmal, dass dieser am
10. März 1749 im Ghetto von Ceneda gebo-
ren wurde usw., usw. … das hätten Redakteu-
re besser koordinieren können! Aber später,
wo es um die Jahre in Amerika geht, weiß
Otto Biba viel beizusteuern, viele neue Infor-
mationen, viele Details, die einem bisher ent-
gehen mussten und viele Schlüsse, die einem
bisher versagt waren.
Das Gleiche gilt für den Beitrag von Gi-
ampaolo Zagonel (Lorenzo da Ponte: JüdischeKindheit und italienische Rezeption, S. 125-
143). Er liefert Materialien, die in der Liter-
atur entweder nicht oder falsch bewertet
worden sind. Er korrigiert Fehler, die seit fast
hundertfünfzig Jahren kritiklos wiederholt
werden und er weist nach, warum die Mein-
ungen über da Ponte so auseinanderklaffen.
Einer der seit Jahrzehnten repetierten Fehler
ist, Geremia Conegliano, Lorenzos Vater,
habe sich 1763 als Witwer aus Opportunis-
mus scheiden lassen, weil er eine Christin
heiraten wollte. Das ist, so Zagonel, wider-
legt, obwohl auch Sheila Hodges noch so ar-
gumentiert: „Da aber Juden keine Christenheiraten durften, musste er sich erst taufenlassen …“32 Und es gibt mehr.
Was die Rezeptionsgeschichte angeht, sind
verschiedene vernichtende Urteile über da
Ponte bereits zitiert worden. Das von Fausto
Nicolini ist dabei das deutlichste. Be-
merkenswert ist, dass die durchweg negativ-
en Einschätzungen vornehmlich aus Italien
stammen bzw. auf italienische Literatur
zurückgehen. Spät, im XX. Jahrhundert, „be-gann man auch in Italien bisherige Einstellun-gen zu kippen und das Werk Da Pontesganzheitlich zu überprüfen“33 Und auch hier
hat es Rückfälle in alte Zeiten gegeben. Gi-
ampaolo Zagonel zitiert einen Artikel in der
renommierten Tageszeitung La Repubblicavom 2. November 1999, wo da Ponte als
boshaft, dreist wehleidig, verlogen, derb,
gefühlsduselig, knechtisch, äußerst eitel
beschrieben wird ... „Wie hat es der großeAmadeus bloß vermocht, so lange jenenschändlichen italienischen Scharlatan nebensich zu dulden?“34
Da Lorenzo da Ponte, auch wenn er nichts
davon wissen wollte, als Kind jüdischer Eltern
und somit als Jude auf die Welt gekommen
ist und da das Jüdische Museum, Wien, die
Ausstellung, die in diesem höchst informati-
ven Buch dokumentiert wird, realisiert hat,
stehen die Themen Judentum und Musik,
(auch) in den beiden letzten Beiträgen im
Vordergrund: Leon Botstein, Unter Wunderkin-dern: Das Mozart-Bild der Juden in Europa (S.
145-160) und Eric Levi, Mozart wird deutschund da Ponte »arisiert« (S. 161-176).
Wolfgang Amadeus Mozart als das Wun-
derkind par excellence hatte vor allem unter-
privilegierten Bürgern wie den Juden
gezeigt, dass Musiker-Karrieren Möglichkeiten
bereithielten „dass sogar ein unschuldigesKind durch den neutralen Weg der Leistung denAnpassungsprozess forcieren könne. Das 18.Jahrhundert war richtungweisend für die Kon-struktion von Kindheit als Entwicklungsstufe, inder sich mehr als im Erwachsenendasein eineder Menschheit innewohnende Dimension anGleichheit widerspiegelt […] Als Ergebnis davonwurde das musikalische Wunderkind (besondersim Bereich instrumentaler Virtuosität) zumVorkämpfer und Wegbereiter im Streben der Ju-den nach Gleichberechtigung in Europa stil-isiert.“35 Tatsächlich gab es im 19. und
früheren 20. Jahrhundert eine „Wunderkind-
schwemme“. Musikwissenschaftler der Nazi-
Ära verzeichneten jüdischen Musiker auch
durchaus bestimmte Fertigkeiten im repro-
duktiven Bereich, wie folgendes Beispiel bele-
gen mag: „Wie überall, so hat sich das Juden-tum ganz besonders auch auf dem Gebiet derMusik in Europa und USA vorgedrängt; Ver-leger, Agenten und Presse haben ihreArtgenossen auf fast alle entscheidenden Postenzu bringen verstanden und so ihren Geschmackden Wirtsvölker aufzuzwingen gesucht. Daßeinzelne von Ihnen durch Anpassung Be-merkenswertes zumal als Reproduzierendegeleistet haben, brauchen wir nicht zuleugnen.“36 Erinnert die Einschätzung der in-
terpretatorischen Leistungen nicht auch an
Anna Amalie Albert, die, was da Ponte ange-
ht, zwischen „nachschöpferisch-formaler undschöpferischer Begabung“ differenzierte?
Damit wären wir beim letzten Beitrag des
Ausstellungskatalogs und der Frage: Wie gin-
gen die Nazis mit Mozart um oder besser:
Wie versuchten sie, Mozart vor ihren Karren
zu spannen? Immerhin hatten sie das
Mozart-Jahr 1941 zur Selbstdarstellung zur
Verfügung.
Mozart hat sich nie als Antisemit geoutet.
Und er war Freimaurer! Der Librettist seiner
erfolgreichsten Opern war, auch wenn er sich
nie dazu bekannte, konvertierter Jude! Und
die am häufigsten aufgeführte, beinahe als
Standard eingeführte Übersetzung der italie-
nischen Opern stammte von Hermann Levi.
Jude. Natürlich waren rasch ein paar schlaue
arische Literaten und Wissenschaftler bereit,
diesen Missständen abzuhelfen. Neue Über-
setzungen wurden angefertigt und die Na-
men da Ponte oder gar Levi aus den Pro-
grammen und Partituren gestrichen.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Lo-
renzo da Ponte“ anlässlich des Mozart-Jahres
2006 hat viele interessante Themen und offe-
ne Fragen ans Tageslicht gebracht. Neben al-
len historisch relevanten Erkenntnissen sind
die Ergebnisse der Rezeptionsforschung von
besonderem Interesse. Da Pontes Leben war
bestimmt von dem mehr oder wenig offen
ausgetragenen Antisemitismus seiner Zeitge-
nossen. Und noch lange nach seinem Tod be-
stimmte seine jüdische Herkunft die allge-
meine Einschätzung seines Schaffens und sei-
ner Lebensumstände.
Mit dem Libretto zu Le Nozze di Figaro von
Mozart befasst sich auch Ragni Maria
Gschwind in ihrem äußerst amüsanten, le-
senswerten Buch.
Ragni Maria Gschwind, figaros flehn & flattern– Mozart in den Fängen seiner Übersetzer,
Straelen 2006, Straelener Manuskripte,
€ 26,40
Um genau zu sein, befasst sie sich mit den
Übersetzungen des Librettos ins Deutsche:
„Faszinierend finde ich [...], wie viele Möglich-keiten es gibt, ein und denselben Text zu über-setzen [...], und wie fast jeder Übersetzer festdavon überzeugt ist, als erster und einziger dieMozart-/Da-Ponte-Texte absolut „kongenial“ insDeutsche gebracht zu haben.“
Mozart und Da Ponte waren, wir haben es
eben gehört, 1781 in Wien angekommen.
Dort erschien ein paar Jahre später, 1785, ei-
ne deutsche Übersetzung des Lustspiels „Le
Mariage de Figaro“ von Pierre Augustin Ca-
ron de Beaumarchais unter dem Titel „Der
närrische Tag, oder die Hochzeit des Figaro.
Lustspiel in fünf Aufzügen, aus dem Französi-
schen des Herrn Caron de Beaumarchais“.
Das Stück war in aller Munde. Joseph II. hat-
te seine Aufführung verboten (nicht aber den
Druck und die Verbreitung des Textes), in Pa-
ris durfte es nach 1784 gegeben werden.
Aber auch hier hatte es Kämpfe gegeben.
Das Stück wandte sich gegen Obrigkeiten,
gegen den Adel und seine gesellschaftliche
32 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
schweigen von Beaumarchais, dessen politi-
sche Aussagen oft kaum noch erahnt werden
können.
Als im Mozart-Jahr 1906 Gustav Mahler, da-
mals Kapellmeister in Wien, die fünf großen
Mozart-Opern aufführen wollte und sich da-
bei unter anderem um die Übersetzungen
der im Original italienischen Werke kümmer-
te, entstand eine neue, auch in musikalischer
Hinsicht reformierte Version des Figaro. Mah-
ler ging, wie er selbst in einem Brief an die
Sängerin Lilli Lehmann schrieb, in den Secco-
Rezitativen zum Beispiel, auf das Original
von Beaumarchais zurück und weniger auf da
Ponte. Mahler „befreite Mozart von der Lügeder Zierlichkeit wie von der Langeweile akade-mischer Trockenheit, gab ihm seinen dramati-schen Ernst zurück, seine Wahrhaftigkeit undseine Lebendigkeit“ schrieb später Bruno Wal-
ter.
Man ahnt, was nach 1933 geschehen ist:
Mahler, Walter, der bisher maßgebende Über-
setzer des Figaro Hermann Levi und viele an-
dere Kulturschaffende waren Juden, also hat
es sicher bald neue, „rassisch einwandfreie“
Versionen der Mozart-Opern gegeben. Fata-
lerweise war auch da Ponte, wie wir eben ge-
lesen haben, konvertierter Jude! Aber selbst
die Nazis wollten nicht auf Mozarts Meister-
werke verzichten. Das korrupte System fand
Lösungen. In einer vertraulichen Mitteilung
der Reichspropagandaleitung hieß es 1938,
dass „Lieder von Franz Schubert und RobertSchumann, die Texte von Heinrich Heine haben,nicht angegriffen werden“ durften. „Dichter
unbekannt“ stand dann in den Programmhef-
ten. Ähnlich gingen die „braunen Kultur-
schaffenden“ mit Mozart um. Verschiedene
neue Übersetzungen wurden initiiert, dann
aber wieder verworfen und man blieb
schließlich bei der von Hermann Levi – aller-
dings, ohne seinen Namen zu erwähnen.
Die mir selbst vorliegende Partitur des Figa-
ro ist übersetzt von Georg Schünemann (Pe-
ters 11462). Sie geht zurück auf die von Levi,
aber genaue Angaben dazu wurden nicht ge-
macht: „So einfach war das also! Der Inhaltblieb, nur die Verpackung wurde gewechselt.“Am Schluss steht die eigene Figaro-Überset-
zung der Autorin. Peter Zadek inszenierte
1981/1982 in Stuttgart: „so nah am Original
wie möglich, aber ohne Reim“ Auf die Bühne
ist die Übersetzung nie gekommen.
Das Buch ist, wie gesagt, höchst amsüsant
und ist eine Art Geschichte der Rezeption
von Mozart-Opern ... denn es waren nicht nur
die Übersetzungen, die dem Zitgeist entspre-
chend angepasst wurden, es waren auch mu-
sikalische und aufführungspraktische Details.
Dazu ist es ein „schönes Buch“, ein Buch,
dem man handwerkliche Kunst und Sorgfalt
anmerkt. Und es ist eine CD beigegeben, auf
der man Beispiele hören kann und Musik um
die Arie, um die es in dem Text geht.
Es ist keine wissenschaftliche Arbeit, das
schreibt die Autorin gleich im ersten Satz
des Buches, und das sollten Sie als Empfeh-
lung und nicht als Warnung werten! Unerhör-
ter Lesespaß!
© 2008 by Dr. Peter Päffgen, Köln |
mail[at]peter-paeffgen.eu
Anmerkungen
3 Art, La clemenza di Tito in: Pipers Enzyklopädiedes Musiktheaters, hrsg. v. Carl Dahlhaus u.a.,
München u.a. 1991, Bd. VIII, S. 336
2 ebda. S. 338—339
3 Deutsche Grammophon (2 CD) 00289 477 5792
mit Scottish Chamber Orchestra und Chorus
[www.deutschegrammophon.com/mackerras-ti-
to]
4 op. cit. S. 339
5 Thomas F. Heck, Mauro Giuliani: Virtuoso Guita-rist and Composer, Columbus/Ohio 1995, S. 220
6 Mauro Giuliani, The Complete Works in Facsimi-les of the Original Editions edited by Brian Jef-fery, London 1986 [TECLA]
7 ebda. Bd. XXIII, S. [7]
8 Terzgitarre, weil sie eine Terz höher klingt als
die „Normalgitarre” in „E”.
9 S. Thomas F. Heck, op. cit. S. 51
10 s. www.schikaneder.at
11 Sheila Hodges, Lorenzo da Ponte: Ein abenteuerli-ches Leben, Kassel u.a. 2005, S. 7
12 Werner Hanak (Hrsg.), Lorenzo da Ponte: Auf-bruch in die Neue Welt, Ostfildern 2006
13 Hodges, op. cit., englische Originalausgabe
London 1985
14 Lorenzo da Ponte, Mein abenteuerliches Leben:Die Erinnerungen des Mozart-Librettisten, Zürich
1991
15 Hodges S. 281
16 Lorenzo da Ponte, Geschichte meines Lebens:Mozarts Librettist erinnert sich, Frankfurt u.a.
2005, S. 19-20
17 Mein abenteuerliches Leben, op. cit. S. 320
18 Sheila Hodges, op. cit. 10
10 zitiert nach Hodges S. 10
20 s. Nachwort von Jörg Krämer zu Lorenzo da Pon-te, Geschichte meines Lebens, S. 464. Krämer
nimmt hier Bezug auf den Literaturwissen-
schaftler William Horwarth, der den Terminus
technicus geprägt hat. „Dramatische Biographi-
en“ zeichnen sich demnach durch „Abenteuerfül-le, die ausführliche Schilderung von Intrigen oderdramatischen Ereignissen, Aktionen, Dialogen unddurch eine hohe Selbsteinschätzung desVerfassers“ aus.
21 Silke Leopold, Art. Vicente Martin y Soler, in: Pi-per Exzyklopädie des Musiktheaters III/703
22 in: Presse 22, 5. 1858, zitiert nach Werner
Hanak, Zwischen Welt und Nachwelt, in: Werner
Hanak, Hrsg.: Lorenzo da Ponte: Aufbruch in dieNeue Welt, Ostfildern 2006, S. 48
23 Anna Amalie Abert, Art.: Lorenzo da Ponte, in:
MGG1, II/1918
24 ebda.
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 33
Position ... man bedenke: Fünf Jahre später
wurde in Paris die Bastille gestürmt. Revoluti-
on! Und was Wien angeht: Kaiser Joseph II.
war der Bruder von Marie Antoinette, der
Ehefrau von König Ludwig XVI. von Frank-
reich. Beide, Antoinette und Ludwig wurden
1793 guillotiniert. Welch Wunder also, dass
man Carons Werk nicht schätzte!
Also: Die Hochzeit des Figaro war „in aller
Munde“, auch in Mozarts. Ihm gefiel das
Stück und seine Wirkung. Also schlug er es
Lorenzo da Ponte vor. Er, der Geistliche und
Kaiserliche Theaterdichter, erhielt die Erlaub-
nis des Hofes, das Stück unter bestimmten
Auflagen zu verwerten. Die Pläne für Mozarts
Erfolgsoper wurden umgesetzt! Am 1. Mai
1786 wurde Le Nozze di Figaro von Mozart/
da Ponte/Beaumarchais in Wien uraufgeführt!
Ein leicht entschärftes Skandalstück, dessen
Brisanz man heute, über zweihundert Jahre
später, nicht mehr wirklich erahnt.
Also noch einmal: Das Libretto der Oper Le
Nozze di Figaro ist die italienische Adaption
des französischen Theaterstücks „Le Mariage
de Figaro“. Um die zahlreichen deutschen
Übersetzungen dieses Librettos geht es in
dem Buch „Figaros Flehn und Flattern“ und
zwar wird das exemplarisch anhand der Arie
des Cherubino „Non più andrai farfallone
amoroso“ dargestellt.
Erste Übersetzungen gab es schon ein paar
Monate nach der Erstaufführung. Vor allem
die Prager Aufführungen waren außerordent-
lich erfolgreich und die Oper machte rasch
die Runde. Schon 1787 wird sie in Donau-
eschingen aufgeführt — übersetzt ins Deut-
sche. Ein Jahr später wird sie in Lübeck gege-
ben und hier stammte die Übersetzung von
Adolph Freiherr von Knigge. Viele weitere fol-
gen – vom Original-Text da Pontes mal wei-
ter, mal weniger weit entfernt … ganz zu
25 Daniela Goldin Folena, Art. Lorenzo da Ponte in:
MGG2, Personenteil V/416
26 Berlin 1940, S. 52, Nachdruck, hrsg. von Eva
Weissweiler in: Ausgemerzt! Das Lexikon der Ju-den in der Musik und seine mörderischen Folgen,
Köln 1999
27 So Alfred Ohrel in seiner Schrift Mozart inWien, wie Werner Hanak schreibt (op. cit. S. 57)
28 Wilhelm Spohr, Mozart Leben und Werk, Berlin
1943, zitiert nach Hanak op. cit. S. 57
29 Leopold Conrad, Mozarts Dramaturgie der Oper,
Würzburg 1943, zitiert nach Hanak op. cit. S.
57
30 Wiebke Krohn, Per Musica Scrivere, in: Hanak
op. cit. S. 81-86
31 ebda. S. 86
32 op. cit. S. 19
33 op. cit. S. 142
34 ebda. S. 143
35 ebda. S. 153
36 Hans Joachim Moser, Art. Jüdische Musik in: Mu-siklexikon, 1935, zitiert nach einem Faksimile-
Nachdruck in: Dümling/Girth, Entartete Musik,Düsseldorf 1988, S. 88
34 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
Detlef Altenburg (Hrsg.), ARS MUSICA – MUSICA SCIENTIA,Festschrift Heinrich Hüschen zum fünfundsechzigsten Geburtstagam 2. März 1980, Köln 1980(474 S., zahlreiche Notenbeispiele und Abbildungen, Ganzleinen,Fadenheftung) G&L 125, ISBN 3-88583-002-7, € 75,–
Detlef Altenburg, Vom poetisch Schönen. Franz Liszts Auseinandersetzung mit der Musikäs-thetik Eduard Hanslicks; Konrad Ameln, „Herzlich tut mich erfeuen“ … Wandlungen einerMelodie; Denis Arnold, Pasquale Anfossi’s Motets for the Ospedaletto in Venice; Maria Augus-
ta Barbosa, Einführung in die Musikgeschichte Portugals bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts;Heinz Becker, Massenets „Werther“: Oper oder vertonter Roman?; Oswald Bill, J. S. BachsMesse in A-Dur: Beobachtungen am Autograph; Wolfgang Boetticher, Zum Problem der äl-testen handschriftlich überlieferten Lautentabulaturen; Dimiter Christoff, Kompositionstech-nische Analyse des bulgarischen Liedes „Swirtschiza Swiri“ auf der Grundlage einer verallgemein-ernden Theorie der Melodik; Georg von Dadelsen, De confusione articulandi; Carl
Dahlhaus, Über das System der muskitheoretischen Disziplinen im klassisch-romantischenZeitalter; Joachim Dorfmüller, Orgelsonate zwischen Historismus und Avantgarde: Anmerkun-gen zu Kompositionen aus der Zeit zwischen 1960 und 1979; Ursula Eckert-Bäcker, DiePariser Schola Cantorum in den Jahren um 1900: Eine Skizze unter besonderer Berücksichtigunghistorischer und pädagogischer Aspekte; Georg Feder, Über Haydns Skizzen zu nicht identi-fizierten Werken; Hellmut Federhofer, Stylus Antiquus und modernus im Verhältnis zumstrengen und freien Satz; Renate Federhofer-Königs, „Der Merker“ (1909–1922) – ein Spiegelösterreichischen Musiklebens; Karl Gustav Fellerer, Agostino Agazzaris „Musica ecclesiastica“1638; Kurt von Fischer, Die Musik des italienischen Trecento als Gegenstand historischerÜberlieferung und musikwissenschaftlicher Forschung; Constantin Floros, Richard Strauss unddie Programmusik; Arno Forchert, Zur Satztechnik von Beethovens Streichquartetten; Jobst
Peter Fricke, Hindemiths theoretische Grundlegung der Kompositionstechnik in seiner „Unter-weisung im Tonsatz“; Walter Gerstenberg, Das Allegretto in Beethovens VII. Symphonie;Walter Gieseler, Quid est Musica? – Quid sit Musica?: Anmerkungen zu Heinrich Hüschen,Artikel Musik. Begriffs- und geistesgeschichtlich, in: MGG IV, Sp. 970-1000; Theodor Göllner,Beethovens Ouvertüre „Die Weihe des Hauses“ und Händels Trauermarsch aus „Saul“; Kurt
Gudewill, Vom Lobe Gottes oder der Musica: Zu Lorentz Schröders Kopenhagener Traktat von1639; Robert Günther, Abbild oder Zeichen: Bemerkungen zur Darstellung von Musikinstru-menten an indischen Skulpturen im Rautenstrauch-Joest Museum zu Köln; Dieter Gutknecht,Schleifer oder Vorschläge in der Arie „Erbarme dich“ aus der Matthäus-Passion von J. S. Bach;Willibrord Heckenbach, Responsoriale Communio-Antiphonen; Gerhard Heldt, … aus derTradition gestaltet: Der „Rosenkavalier und seine Quellen; Siegmund Helms, Musikpädagogikund Musikgeschichte; Lothar Hoffmann-Erbrecht, Der Lautenist Silvius Leopold Weiss undJohann Sebastian Bach; Heinrich Husmann, Ein Missale von Assisi, Baltimore, Walters GalleryW.75; Hans-Josef Irmen, Engelbert Humperdinck und sein transzendental-ästhetisches Systemder Plastik; Roland Jackson, Mercadente’s Résumé of Opera Reform; Dietrich Kämper, Lastangetta – eine Instrumentalkomposition Gaspars van Weerbeke?; Hans Klotz, Über den origi-nalen Aufbau eines Scharf von 1637; Ernst Klusen, Singen als soziales Handeln: Einzelfallstudie:„Das Singen liegt mir im Sinn“; Siegfried Kross, von „roten“ und anderen Brahms-Festen;Josef Kuckertz, Der südindische Raga Kharmas; Harald Kümmerling, Ut a corporeis ad in-corporea transeamus; Helmut Moog, Zum Stande der Erforschung des Musikerlebens zwischendem sechsten und zehnten Lebensjahr; Klaus Wolfgang Niemöller, Zur Qualifizierung undDifferenzierung der Intervalle in der deutschen Musiktheorie des 16. Jahrhunderts; Frits Noske,Verdi’s ’Macbeth’: Romanticism or Realism?; Walter Piel, Der Bau von Musikinstrumenten mitSchulkindern: Bemerkungen zur Quellenlage in Deutschland; Nancy B. Reich, Louise Reichardt;Rudolf Reuter, Zur Baugeschichte der Orgeln des Escorial; Martin Ruhnke, Musikalisch-rhetorische Figuren und ihre musikalische Qualität; Hans Schmidt, Gregorianik – Legende oderWahrheit?; Udo Sirker, Joseph Sauveurs musikakustische Untersuchungen: Ein Beitrag zu experi-mentellen Forschungen um 1700; Joseph Smits van Waesberghe, „Wer so himmlisch mehrstim-mig singen will …“; Martin Staehelin, Bemerkungen zum geistigen Umkreis und zu denQuellen des Sebastian Virdung; Günter Thomas, Haydn-Anekdoten; Hubert Unverricht, DieDasia-Notation und ihre Interpretation; Horst Walter, Haydns Schüler am Esterházyschen Hof;Grete Wehmeyer, Die Kunst der Fingerfertigkeit und die kapitalistische Arbeitsideologie
MusiColognewww.MusiCologne.eu
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 35
Michael Rensen und Vilim Stösser, gui-
tar heroes – Die besten Gitarristen von
A—Z, Bergkirchen 2008, € 1 9,90
Dass in einem Buch mit dem Titel „guitar he-
roes“ die Namen Andrés Segovia, Julian Bre-
am oder Francisco Tárrega nicht zu finden
sind, verwundert nicht wirklich … selbst
dann nicht, wenn man den vollmundigen
Untertitel des knapp vierhundert Seiten star-
ken Bändchens in seine Betrachtungen einbe-
zieht: „Alles über die wichtigsten Gitarristen al-ler Zeiten“. Klassiker fehlen und ich hatte den
Verdacht, dass schon das Benutzen von mit
Nylon besaiteten Gitarren als Grund ausge-
reicht hat, einen Musiker a priori als Persona
non grata redaktionell zu ächten … stimmt
natürlich nicht! Paco de Lucia ist drin, der es
„zur Meisterschaft an der Nylongitarre ge-bracht“ hat, und … na ja … sonst keiner? Wo
ist der begnadete Jazz-Gitarrist Charlie Byrd
(16.9.1925—30.11.1988)? Gut, er hat „Nylon-gitarre“ gespielt und auch klassische Musik,
und er hat sogar bei Maestro Segovia Unter-
richt genommen. Und wo ist Laurindo Al-
meida? Wie Charlie Byrd war er durch Djan-
go beeinflusst und auch er hat klassische
Musik gespielt, aber haben solide musikali-
sche Fundamente schon einmal geschadet?
Gut, man hätte im Vorwort des Buches klä-
ren können, warum der eine drin ist und der
andere nicht! Hat man nicht! Kein Vorwort!
Also bleibt es erklärungsbedürftig, warum
beispielsweise Bob Dylan zu den „wichtigstenGitarristen aller Zeiten“ zählt. Über ihn steht
gar zu lesen: „Robert Allen Zimmermann […]
ist die personifizierte Antithese des Gitarrenhel-den“. Viele andere haben sich als Komponis-
ten oder Rock-Legenden einen Namen ge-
macht … aber als Gitarristen?
Ein paar Musiker gibt es, bei denen keine
Diskussion aufkommt. Bei Carlos Santana
zum Beispiel oder Pat Matheny, bei Wes
Montgomery oder Robert Fripp … obwohl …
ob Fripp, der Schöpfer vom Crimson King,
als Gitarrist in die Musikgeschichte eingeht
oder als Komponist und Rock-Visionär, wer
weiß?
Teile des Buches sind übrigens fachspezifisch
wertvoll und sprachlich ein Vergnügen, und
das sind die Partien, in denen es um das
technische Equipment geht. Beispiel: „Frippbegnügt sich nie lange mit einem bestimmtenSound und wechselt zwischen cleanen Compres-sor-, herb verzerrten, metallischen Fuzz-Soundsund diversen Effekten, sowie intensiven Synth-Passagen hin und her.“ Eine andere Welt!
Aber so ist das mit der Gitarre. Peter Päff-
gen, der Herausgeber dieser Zeitschrift hat
ein Standardwerk zum Thema „Gitarre“ ge-
schrieben, in dem die Worte „elektrische Gi-
tarre“ oder „akustische Gitarre“ quasi nicht
vorkommen und diese Neuerscheinung über
die „wichtigsten Gitarristen aller Zeiten“ kennt
Tárrega und Segovia nicht. C’est la vie!
Markus Grohen
Lochner-Code – da Vinci-Code?
Dan Brown, The Da Vinci Code, New York
2003; Roland Krischel, Die Muttergottes
in der Rosenlaube, Leipzig 2006, Seemann-
Verlag, € 9,90
Lochner: Viele Gemälde, die in unseren Mu-
seen der Öffentlichkeit zugänglich sind, ent-
halten gemalte Rätsel, die seit Jahren be-
nannt werden, aber niemals „geknackt“ wor-
den sind. Und es gibt auf Gemälden Geheim-
nisse, die nicht als solche erkannt worden
sind, weil Menschen unserer Zeit Details in
gemalten Bildern leichtfertig als vom Zufall
gegeben ansehen – ganz wie auf Fotos. Aber
Gemälde sind keine Schnappschüsse. Maler
haben jedes Detail ihrer Bilder geplant und
bewusst eingesetzt – schließlich haben sie
viel Zeit für jede Nuance und jeden Pinsel-
strich aufgewandt. Schier überall sind Infor-
mationen verborgen, viele davon nehmen
wir als Menschen des 21. Jahrhunderts nicht
mehr wahr, viele Metaphern wissen wir nicht
mehr zu deuten.
Die „Muttergottes in der Rosenlaube“ zum
Beispiel, früher „Maria im Rosenhag“ oder
schlicht „Rosenhagmadonna“ genannt, gilt
Gelesen!
als das berühmteste Gemälde des Kölner
Walraf-Richartz-Museums, sein Schöpfer, Ste-
fan Lochner (ca. 1400/1410—1451) als der be-
deutendste Vertreter der spätmittelalterli-
36 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
chen „Kölner Malerschule“ … dabei wissen
wir nicht einmal mit Bestimmtheit, ob das
Bild wirklich von Stefan Lochner gemalt wor-
den ist. Das Bild eines „maister Steffan zuCöln“ besuchte Albrecht Dürer 1520 und no-
tierte das in seinem Ausgabenbuch, weil er
für das Aufschließen des Bildes zweimal
Trinkgeld gegeben hatte. Aus dieser Schilde-
rung wurde geschlossen, es könne sich dabei
nur um den „Altar der Stadtpatrone“ gehan-
delt haben, später auch „Dombild“ genannt.
Einen (einzigen) Maler namens Stefan hatte
es in Köln in der fraglichen Zeit gegeben:
Stefan Lochner. Da Maler damals als Hand-
werker arbeiteten und nicht als Künstler, sig-
nierten sie ihre Erzeugnisse nicht – also er-
stellte man anhand stilistischer Parallelen ei-
nen Werkekatalog dieses Stefan Lochner, vo-
raussetzend, dass zwei Hypothesen sich be-
wahrheiteten: 1. Dürer hat sich tatsächlich
auf das „Dombild“ bezogen, als er in sein
Ausgabenbuch zwei Besuche bei einer
„taffel“ von „maister Steffan“ eintrug und 2.
Dürers „maister Steffan“ war tatsächlich Ste-
fan Lochner.
Was Roland Krischel zur „Muttergottes in der
Rosenlaube“ in seinem Bändchen anbietet,
ist zunächst eine detaillierte Interpretation
vieler Details, deren Sinn und Bedeutung
den meisten Betrachtern des Bildes ver-
schlossen bleiben. Bildkomposition, Farben,
Proportionen, Materialien – fast alle Aspekte
bezieht er ein. Aber das Buch ist mehr als ei-
ne Interpretationshilfe für Besucher des Mu-
seums, dessen Abteilung „Mittelalterliche
Malerei“ der Autor, nebenbei bemerkt, leitet.
Das Buch präsentiert als Quintessenz Er-
kenntnisse, die gemeinhin nicht in derartig
populär aufgemachten und wohlfeilen Bü-
chern veröffentlicht werden, und auch nicht
in einer Sprache, die sogar für Museumstou-
risten verständlich ist.
Die „Muttergottes in der Rosenlaube“ war
und ist der linke Flügel eines Diptychons,
auf dessen rechtem Pendant der Auftragge-
ber und Finanzier des Bildes dargestellt war
… das ist eine der zentralen Erkenntnisse,
die Krischel aus seinen Forschungsergebnis-
sen zieht. „Zweifellos hatte der unbekannteAuftraggeber darauf gehofft, dass sein Portraitauch posthum mit dem Madonnenbild verbun-den bleibe: Die Nachwelt hätte sich den from-men Spender dann umso besser im Angesichtdes Paradieses vorstellen können.“ Inzwischen
ist das Bild im Museum so aufgehängt, dass
der Besucher um es herumgehen, also auch
die Rückseite betrachten kann. Denn sie ist
bemalt und belegt, wie das Bild ursprüng-
lich benutzt worden ist.
Die weltweite Popularität der „Muttergottes
in der Rosenlaube“, ist, so Krischel, durch die
Isolierung des linken Diptychon-Flügels ge-
Robert Schumann, Dichterliebe, Lieder-
kreis op. 24
Roman Trekel, Bariton, Oliver Pohl, Kla-
vier
Aufgenommen im November 2005
OEHMS Classics [www.oehmsclassics.de]
OC 571
Auf diese (nicht mehr ganz neue) CD mit Ro-
man Trekel und Oliver Pohl möchte ich in
diesem Zusammenhang hinweisen. Sehr in-
tensiv wird hier eine hoffnungsvolle Liebe
dargestellt, die schon ein paar Verse später
getrübt wird durch tiefe Enttäuschung und
Weltschmerz.
Die alle könnens nicht wissen,Nur Eine kennt meinen Schmerz;Sie hat ja selbst zerrissen,Zerrissen mir das Herz.
„Durch Schumann werden Heines Dichtungenzur Chiffre des modernen Weltschmerzesschlechthin“ schreibt Richard Eckstein im
Booklet. Sehr eindringlich ist das Auf und
Ab der Gefühle in dieser Aufnahme darge-
stellt.
Peter Päffgen
fördert worden. Der rechte ist, als „das dy-nastische bzw. historisch-biographische Interes-se am Portraitierten geschwunden war“, ent-
fernt worden.
Roland Krischel hat ein spannendes Buch ge-
schrieben und seine Erkenntnisse sind vom
Kölner Museum sofort umgesetzt worden –
zum Beispiel in Form einer neuen Hängung
der „Kölner“ Bilder. Auch wenn die Kölner
Malerschule, die Lochner repräsentiert,
„fälschlicherweise so genannt“ wird, er, Stefan
Lochner, hat justament da gewohnt, wo sein
Bild heute in neuer Umgebung (her-)ausge-
stellt wird. Ecke Quatermarkt/In der Höhle.
Es wird als „Kölsche Mona Lisa“ weiterhin
weltweit massenhaft reproduziert – hier auf
Weihnachtskarten wegen der musizierenden
Engel, dort als „Hauptwerk der spätmittelalter-lichen deutschen Malerei“ … und weil es „In-nigkeit, heitere Gelassenheit, Harmonie undPoesie“ ausstrahlt wie kein anderes.
Noch eine Bemerkung am Rande: Robert
Schumann hat 1840 in seinem Liederzyklus
„Dichterliebe“ (op. 48) Gedichte von Hein-
rich Heine vertont. Als Nº 6 folgendes:
Im Rhein, im heiligen Strome,Da spiegelt sich in den Wellen,Mit seinem großen Dome,Das große heilge Köln.
Im Dom da steht ein Bildnis,Auf goldenem Leder gemalt;In meines Lebens WildnisHats freundlich hineingestrahlt.
Es schweben Blumen und EngleinUm unsre liebe Frau;Die Augen, die Lippen, die Wänglein,die gleichen der Liebsten genau.
Die „Muttergottes in der Rosenlaube“ ist
nicht mit der Sammlung von Ferdinand
Franz Wallraf (1748—1824) in den Besitz des
heute nach ihm benannten Museums ge-
langt, sondern ist dem Museum von einem
anderen Kölner Sammler, Franz Jakob Josef
Melchior von Herwegh (1773—1848), ver-
macht worden. Im Dom hat es nie gehan-
gen, sehr wohl aber (nach 1810) der „Altar
der Stadtpatrone“. Ihn, so wird angenom-
men, hat Dürer 1520 in Köln – noch in der
Ratskapelle vor dem Rathaus – besucht und
ihn haben auch Heinrich Heine und Robert
Schumann besungen. Er zeigt auf seiner Mit-
teltafel die Frau, die Schumann so an seine
Liebste erinnert hat … an Clara Wieck, die
spätere Clara Schumann … „die Augen, dieLippen, die Wängelein“, welche Ähnlichkeit!
Mit Clara Wieck? Mit der „Muttergottes in
der Rosenlaube“.
Gelesen!
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 37
Gitarre & Laute-ONLINE …
alle zwei Monate unter
www.MusiCologne.eu
38 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
Gitarre & Laute - ONLINE
www.Gitarre-und-Laute.de
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 39
garde, Experiment und Erweiterung des Klan-graums; andererseits entstehen Kompositionen,die im Umgang mit der Gitarre selbst höchstvirtuos sind, ihrem Instrument den Raum derTonalität neu erschließen und dabei ihre spezi-fischen Klangmöglichkeiten, gleichsam ihreSeele aufspüren.“ Dem „Andererseits“ hat er
diese CD gewidmet, und das unterscheidet
sie grundsätzlich von der namensgleichen
Platte von 1966. Die Stücke, die Bream da-
mals ausgesucht hat, waren weit entfernt
von „gitarrenidiomatischer Virtuosität“. Sie
haben der Gitarre den Weg auf die Bühnen
der großen Konzertsäle geebnet – sie wurde
zum Instrument, für das sich international
renommierte Komponisten interessierten …
Benjamin Britten, Frank Martin, Hans Werner
Henze und viele andere. Gitarrenidiomati-
sche Virtuositäten hatte es vorher genug ge-
geben, Alberti-Bässe, Arpeggien, Glissandi ,
Skalen und Läufe. Jetzt hatten sich Komponi-
sten des Instruments angenommen, die
selbst nicht Gitarre spielten. Sie komponier-
ten das, was sie im Kopf und nicht in den
Händen hatten. Britten und Martin, das war
noch vitale Musik mit viel Engagement und
Sentiment, aber es entstand auch viel „ver-
kopfte Musik“. Zu viel! Musik, die an den
Leuten vorbeikomponiert war, Musik, die im-
mer weniger Zuhörer fand. Wen wunderts,
dass heute das Pendel wieder in die andere
Richtung schlägt?
Die späten 60er und die 70er Jahre waren
keine Zeit zum Kuscheln! Man hatte den
größten Teil der Trümmer zusammengekehrt
und begann, die Wunden zu lecken, die die
Weltkriege hinterlassen hatten und das Den-
ken über Gott und Welt in neue Bahnen zu
leiten. Neues musste geschaffen werden,
weil das Alte Unsägliches heraufbeschworen
hatte und aus dieser Perspektive ist Theodor
W. Adornos viel zitiertes Diktum zu verste-
hen „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben,ist barbarisch!“.
Und jetzt, wo wir die Zeit ohne Gedichte
hinter uns haben, gibt es noch das Grüpp-
chen der Spät-68er, die jedes Anbiedern an
den Publikumsgeschmack ablehnen … und
es gibt die Fortschrittsmenschen, die dem
grüblerischen Suchen nach dem Sinn des Le-
bens abgeschworen haben zugunsten des
Auftrags, das Publikum zu unterhalten und
bei Laune zu halten. „Dafür hat es schließ-
lich bezahlt!“
Die Sonata von Ulrich Wedlich ist eine
„Hommage à Leo Brouwer“ und Diederich
Lüken, der Autor des Booklet-Textes, hört in
ihr eine „Gratwanderung zwischen populärerBeliebigkeit und elitärem Anspruch“. Dafür
wirkt sie ziemlich fordernd … im Gegensatz
zu „Koyunbaba“ am Schluss der CD, wo be-
kanntlich der Zuhörer schamlos umworben
wird. Überhaupt: Die „Sonata“ von Ulrich
Wedlich ist weit entfernt von jeglicher Belie-
Neu
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Friedemann Wuttke beherrscht es, alle paar
Jahre mit neuen CDs auf den Markt zu kom-
men und so das Interesse von Rezensenten
und Interessenten auf sich zu lenken … die
dann bald feststellen, dass es sich gar nicht
um neue CDs handelt, sondern um Neuauf-
lagen und Neuzusammenstellungen bereits
bekannten Materials. Gut, werden Sie sagen,
dass geschieht mit den Aufnahmen von
Andrés Segovia oder denen von Julian Bre-
am auch. Die sind schon Gott weiß wie oft
in neuem Gewand gepresst und gepusht
worden und erscheinen immer wieder neu
in preiswerten oder auch teuren Neuaufla-
gen und keiner beschwert sich. Schauen wir
doch, was Friedemann Wuttke auf seiner
neuesten Neuerscheinung anbietet.
20th Century Guitar
The Art of Modern Guitar: Wedlich,
Brouwer, Domeniconi
Friedemann Wuttke, Guitar
Aufgenommen 1992, 1995 und 2006, er-
schienen 2008
Profil/Hänssler PH 08039 [im Vertrieb
von NAXOS-Deutschland, NAXOS.de]
… schamlos umworben …
PPP
1966 gab es schon einmal eine Platte, Vinyl
natürlich, mit dem Titel „20th Century Gui-
tar“, und auch diese Platte ist sehr oft neu
herausgekommen. Sie gilt heute noch als le-
gendär. Gut, der Titel „20th Century Gui-
tar“, den beide, Bream, Wuttke und sicher
noch etliche andere, gewählt haben, ist
nicht so singulär, dass man von einem Plagi-
at reden dürfte oder gar müsste, aber erlau-
ben Sie mir trotzdem, als einem, der alt ge-
nug ist, 1966 die Bream-Aufnahme wie ei-
nen Erdrutsch empfunden zu haben, wie ei-
ne Verheißung und übrigens auch als eine
politische Äußerung, jetzt, bei einer Platte,
die das gleiche Motto hat, Vergleiche anzu-
stellen.
Friedemann Wuttke schreibt, „Gitarrenmusikdes 20. Jahrhunderts, das ist einerseits Avant-
40 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
bigkeit, sondern klar strukturiert. Und sie
wartet mit schönen Bildern auf, mit Impres-
sionen, die der Komponist geschickt einge-
fangen hat.
Danach kommt das „Concerto Elegiaco“ von
Leo Brouwer, bei dem das sehr gut einge-
stellte New Moscow Chamber Orchestra und
der Dirigent Igor Zhukov mit von der Partie
sind. Leo Brouwer ist dabei das Beispiel für
einen Komponisten, in dessen Œuvre man
den Wandel vom Avantgardistischen in den
siebziger Jahren hin zu einer späteren
Neoromantik beobachten kann. Vergleicht
man beispielweise „Espiral Eterna“ oder
„Canticum“ mit seinen späteren Stücken,
dann hat man den eben beschriebenen
Schwenk vor sich, den das Komponieren ge-
macht hat. Und auch dieses Konzert „Hom-
mage à César Franck“ ist durchaus dem Be-
dürfnis nach Harmonie und Ausgleich näher
als dem nach Diskussion und Revolution.
Schließlich Koyunbaba! Wenn dieses Stück
nicht buchstäblich jeder spielte, wenn es
nicht der Gassenhauer professioneller und
vor allem weniger professioneller Gitarristen
wäre wie seinerzeit die „Spanische Roman-
ze“, dann ließe sich ja gegen „Koyunbaba“
überhaupt nichts sagen. Das Stück ist gut
geschrieben und, ja, es ist sehr wirkungsvoll
… und das bei sehr überschaubaren techni-
schen Anforderungen! Jeder setzt auf dieses
Pferd. Sogar John Williams!
Friedemann Wuttke weiß, was er seinem Pu-
blikum anbietet. Das ist keineswegs zu
bemängeln. Aber nicht jeder Zuhörer ist
gleich und hat die gleichen Präferenzen!
Aber wenn wir schon von „Klassik für Jeder-
mann“ reden. Wie wärs damit?
Melodie d’Amore
Giovanni De Chiaro, guitar
Werke von Liszt, Debussy, Albéniz, Offen-
bach, Ponchielli, Satie, Schubert, Goun-
od, Waldteufel, Rachmaninoff, Massenet,
Faure u. a.
Aufgenommen im Januar und Februar
2007
CENTAUR CRC 2906 [in Deutschland bei
Klassik-Center, Kassel – klassikcenter-
Kassel.de, centaurrecords.com]
… keine glückliche Hand …
P
Klassik quer durch den Garten! Jacques Of-
fenbachs „Cancan“ hat mich interessiert,
weil ich vor ein paar Tagen noch vor seinem
Geburtshaus am Großen Griechenmarkt hier
in Köln gestanden habe. Die Musik ist quick-
lebendig und vital … aber für Gitarre denk-
bar ungeeignet. Oder vielleicht hätte man
bei der Transkription anders verfahren müs-
sen? „La fille aux cheveux de lin“ von Clau-
de Debussy lässt sich recht gut transkribie-
ren. Gemeint ist die Musik und nicht der Ti-
tel, der hier als „The Girl with the Flaxen
Hair“ alle Poesie eingebüßt hat. Gelungen
ist auch der „Tanz der Stunden“ von Amilca-
re Ponchielli (1834—1886), ein „unbekanntes
Stück“ von unglaublicher Popularität, was
übrigens auch für „Les Patineurs“ von Emile
Waldteufel (1837—1915) gilt, bekannt ge-
worden als „Schlittschuhläufer-Walzer“.
Man sieht also, dass Giovanni de Chiaro
durchaus originell bei der Auswahl seiner
Stücke war, aber leider hatte er, was Trans-
kriptionen und Interpretation angeht, keine
glückliche Hand. Das schöne „Moment Musi-
cal“ von Franz Schubert hat er durchrast,
auch die monumentale „Ungarische Rhapso-
die Nº 2“ von Franz Liszt, mit 11:20 Minuten
das längste Stück der CD. Hier hat die Gitar-
renfassung mit ihren Akkordreihungen
manchmal groteske Züge – vor allem, wenn
noch lautes Quietschen bei Lagenwechseln
dazukommt.
Andrés Segovia: 1950s American Record-
ings Vol. 2
Werke von Sor, Giuliani, Schubert,
Ponce, Mendelssohn-Bartholdy, Chopin
NAXOS 8.111090
Andrés Segovia: 1950s American Record-
ings Vol. 3
Werke von Tárrega, Albéniz, Aguirre,
Ponce, Malats, Esplá
NAXOS 8.111091
Andrés Segovia: 1950s American Record-
ings Vol. 4
Werke von Milan, Narváez, Mudarra,
Dowland, Frescobaldi, Couperin, de
Visée, Rameau, Scarlatti, Ponce
NAXOS 8.111092
Segovia: 1950s American Recordings
Vol. 5
Werke von Castelnuovo-Tedesco, Cas-
sadó, Lauro, Tansman, Rodrigo, Gómez
Crespo, Haug
NAXOS 8.111313
Naxos führt die Segovia-Reihe weiter (Volu-
me 1 der amerikanischen Aufnahmen ist in
Ausgabe XXIX/2007/Nº 3, S. 30 bespro-
chen). Unter den Aufnahmen aus den fünfzi-
ger Jahren, gemacht in New York für DEC-
CA, findet man Raritäten und natürlich eini-
ge der Highlights des Schaffens Segovias.
Anfang der fünfziger Jahre war Segovias
ganz große Zeit. Die Aufnahmen Vol. 2 sind
zwischen 1952 und 1955 entstanden. Sego-
via, geboren 1893, war um die sechzig und
auf dem Zenith seiner Karriere. Seine Saat
war aufgegangen. Die Komponisten, die er
beauftragt hatte, für ihn und für die Gitarre
zu schreiben, hatten ihre Werke abgeliefert
und sie waren Welterfolge. Seine Transkrip-
tionen hatten ihre Weg ins international an-
erkannte Repertoire gefunden und Andrés
Segovia feierte eine Karriere, die kein (klassi-
scher) Gitarrist vor und nach ihm mehr erle-
ben sollte.
Vol. 5 der hier vorzustellenden CDs enthält
Stücke einiger Komponisten, die für den Ma-
estro geschrieben haben, darunter Mario Ca-
stelnuovo-Tedescos (1895—1968): Quintett
für Gitarre und Streicher, „Capriccio Diaboli-
co“ und „Tonadilla on the name of Andrés
Segovia“. Das Quintett gehört zu den Höhe-
punkten des Ensemble-Repertoires mit Gitar-
re, ist aber leider selten zu hören, weil sol-
che Besetzungen nicht oft zustande kom-
men. Die Gitarre ist kammermusikalisch be-
setzt, es handelt sich also nicht um ein Solo-
konzert in Reduktion für Gitarre und Streich-
quartett, sondern tatsächlich um ein Quin-
tett. Mir gefällt das Scherzo immer wieder
aufs neue (Allegro con spirito alla marcia)
und die darin enthaltenen Zwiegespräche
zwischen Erster Violine und Gitarre. Und mir
gefällt auch, dass Maestro Segovia sich ganz
offenbar einem Ensemble unterordnen konn-
te. Seine agogischen Eigenwilligkeiten hät-
ten durchaus zu Problemen führen können –
hätte er auf ihnen bestanden.
Dann kommt „Sardana ghigiana“ von Gas-
par Cassadó (1897—1966), auch ein Stück,
das man nicht oft aufgetischt bekommt, die
„Cavatina“ von Tansman, „Zarabanda leja-
na“, „Norteña“, eine venezolanischer Walzer
von Antonio Lauro und schließlich „Alba“
und „Postlude“ von Hans Haug (1900—
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 41
1967), Stücke, die ich tatsächlich jetzt, auf
dieser Wiederveröffentlichung, zum ersten
Mal gehört habe. Hans Haug war Pianist
und Komponist und hat 1950 mit einem
Konzert für Gitarre und Kammerorchester ei-
nen ersten Preis beim Kompositionswettbe-
werb der Accademia Chigiana in Siena ge-
wonnen. Danach schrieb er gelegentlich für
Gitarre – ein paar seiner Stücke stehen noch
in den Verlags-Katalogen, aber gespielt wer-
den sie nicht mehr. Dabei wären sie es wert!
Als Nicht-Gitarrist hat Haug sehr gut die
klanglichen Möglichkeiten der Gitarre ver-
standen und genutzt, hat mit offenen Klän-
gen gearbeitet, mit raffinierten Vorhalten
und komplexen harmonischen Strukturen,
zu komplex für Segovias Geschmack, möch-
te man meinen, aber er hat die Musik offen-
bar gemocht.
Vol. 3 der Reihe mit Segovia-Aufnahmen
aus den Fünfzigern beginnt mit einer Über-
raschung! „Recuerdos de la Alhambra“ von
Tárrega kennen wir von Segovia ja durchaus
… aber nicht mit der zusätzlichen Achtel e’
im zweiten Takt!
Was lernen wir daraus? Nicht, dass „Recuer-
dos de la Alhambra“ auch mit einem Achtel-
chen mehr gut zu spielen ist, sondern dass
beim Digitalisieren älterer Klangaufnahmen
durchaus editorisch eingegriffen wird. Viel-
leicht nicht überall und immer, aber hier ist
geschnitten worden, und das bei Aufnah-
men, die über fünfzig Jahre alt sind. Dass
Maestro Segovia seinen Tárrega gekannt
und das „e“ nicht selbst eingeschmuggelt
hat, dafür müssen sicher keine Beweise vor-
gelegt werden, aber natürlich ist diese NA-
XOS-Produktion nicht der einzige Segovia-
Sampler mit eben diesem Stück. Auf keinem
anderen hört man das hinzugedichtete „e“
… das mir im Übrigen den Spaß an dieser
CD keineswegs verdorben hat. Highlights:
„Serenata Española“ von Malats, „Sonata
III“ von Ponce und am Schluss die seltenen
„Impresiones levantinas“ von Oscar Esplá
(1886—1976).
Vol. 4 enthält Repertoire der Renaissance
und des Barock – mit Luis Milan und Mudar-
ra am Anfang und Manuel Ponce am
Schluss.
Ponce?! Natürlich war der kein Kind der Ba-
rockzeit, aber er hat eine Suite geschrieben,
die bis vor ein paar Jahren als Werk von Sil-
vius Leopold Weiss ausgegeben worden ist.
Wenn man heute diese Geschichte erwachse-
nen Gitarrenfans erzählt, behauptet jeder, er
habe immer schon an Weiss als Urheber ge-
zweifelt. Damals aber, als Segovia die Suite
öffentlich und auf Platte gespielt hat, ist
niemand auf den Gedanken gekommen, öf-
fentlich Fragen zu stellen oder gar Zweifel
anzumelden. José de Azpiazu hat sogar eine
Ausgabe der Suite auf den Markt gebracht
und geschrieben, er habe keinen originalen
Druck oder keine Handschrift finden kön-
nen und daher die Suite nach der Platten-
aufnahme von Maestro Segovia aufgeschrie-
ben.
Noch zwei Stücke, die unter falschem Na-
men gespielt worden sind, findet man auf
dieser CD: „Prámbulo“ und „Tempo di Ga-
votta“ von Alessandro Scarlatti (1660—
1725). Auch sie hat Ponce für Segovia ge-
schrieben.
Segovia ist mit historischen Vorlagen wie
Tabulaturen und alten Ausgaben rigide um-
gegangen. Urtext war nicht sein Ding! John
W. Duarte hat in seinem Buch „Andrés Se-
govia as I Knew Him“ (Pacific/MO 1998) Se-
govias Umgang mit Quellen und Originalen
beschrieben (und den seiner Zeitgenossen
natürlich – Segovia war kein Einzelfall): „Inthe case of early music, not least that original-ly written in tablature, one might expect thearranger to translate it as accurately as possi-ble, without the exercise of his/her own imagi-nation or taste. Such was not the case; eventhe scholarly Emilio Pujol was not above ma-king his own, unannounced contribution, e.g.,in the well-known Pavanas of Gaspar Sanz.”(S. 39)
Ich habe den Eindruck, das Segovia beim
Spielen der Stücke von Narváez und Mudar-
ra keine große Freude empfunden hat.
„Guárdame las vacas“ hat ihn als Variations-
satz noch am meisten gereizt und zu inter-
pretatorischen Eigenwilligkeiten Raum ge-
geben … aber die einleitende „Fantasia
XVI“ von Luis Milan? Sie scheint ihn nicht
wirklich herausgefordert zu haben. Aber die
d-Moll-Suite von Robert de Visée haben ihm
nach 1957, in diesem Jahr ist die Aufnahme
entstanden, alle Gitarristen nachgespielt,
nicht aus einer eigenen Ausgabe freilich,
aber die von Karl Scheit war schon seit
1944 auf dem Markt und die von José de
Azpiazu, in die Segovias Verzierungen und
Ergänzungen eingeflossen sind, seit 1954.
Für mich ist das Highlight dieser CD die
Weiss/Ponce-Suite, die ich vor vielen Jahren
aus der Azpiazu-Ausgabe zu spielen ver-
sucht habe … übrigens ohne den Verdacht
zu hegen, das Stück könne nicht von Weiss
stammen.
Vol. 2: Die Klassiker. Ganz am Schluss steht
mein Favorit, die „Canzonetta“ aus dem
Streichquartett Es- Dur op. 12 von Felix
Mendelssohn-Bartholdy. Dieses Stück hat
immer einen ganz besonderen Reiz auf
mich ausgeübt, und das tut es immer noch.
Aber auch eine ganze Reihe anderer auf die-
ser CD: Die C-Dur-Sonate von Mauro Giulia-
ni zum Beispiel, bzw. der erste Satz aus die-
ser Sonate, denn mehr hat Segovia nie ein-
gespielt. Und natürlich die Mozart-Variatio-
nen op, 9, die ich auch damals gespielt ha-
be, und zwar aus der Schott-Ausgabe von
Maestro Segovia höchstpersönlich. Erst Jah-
re später hörte ich sie von einem anderen
Gitarristen und war bass erstaunt, dass der
eine Art Ouvertüre dazukomponiert hatte.
So kann man sich irren! Aber natürlich
spielte niemand die Mozart-Variationen so
wie Segovia: so klangvoll, so virtuos, so
gut! Segovia hat Generationen von Gitarri-
sten und Gitarrefreunden geprägt und für
sich einnehmen können, weil er konkurrenz-
los war. Und weil er ein großer Musiker war.
Und er war ein Kind seiner Zeit, und das
war das 19. Jahrhundert. Seine interpretato-
rischen Eigenarten darf man nur aus dieser
Sicht bewerten. Wenn heute ein Musiker so
spielte wie Segovia, er würde für verrückt
erklärt. Aber Segovia war ein Künstler, dem
sein Instrument, die Gitarre, am Herzen
lag. Und er hat mit seiner Kunst, was die Gi-
tarre angeht, das zwanzigste Jahrhundert
geprägt wie kein anderer. Und, das sollte
man nie vergessen: Er gehörte einer ande-
ren Zeit an, einer Zeit, als man von Auf-
führungspraxis und Authentizität weder
viel wusste noch viel Aufhebens machte.
Und vergleichen Sie sein Spiel mit dem von
zeitgenossischen Vertretern anderer Instru-
mente. Es finden sich Parallelen, was Ago-
gik und andere Eigenwilligkeiten angeht!
Diese CDs gehören in die Plattensammlung
jedes Gitarrenfreunds. Es sind einzigartige
Dokumente einer einzigartigen Karriere.
Carl Philipp Emanuel Bach: Transcrip-
tions for Guitar
Petri Kumela, Guitar
Aufgenommen im November und Dezember
2006
ALBA-Records (in Deutschland bei Klas-
sik Center Kassel, ClassicDisk.de) 244
… Petri Kumela hat dem „Empfindsamen
Stil“ nachgeforscht …
PPPP
Carl Philipp Emanuel Bach (1714—1788), der
Berliner oder Hamburger Bach, hat 19 Sinfo-
nien geschrieben, 200 Sonaten, 50 Klavier-
42 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
so etwas, was man später, ab dem 19. Jahr-
hundert, als Charakterstücke bezeichnet hät-
te.
Carl Philipp Emanuel Bach schätzte das Cla-
vichord, ein Instrument das irgendwie mit
dem „Empfindsamen Stil“ verbunden zu sein
scheint und dessen Repertoire sich wegen
seiner zarten Fragilität zum Transkribieren
für Gitarre geradezu anbietet. So ist auch
die Aufnahme von Petri Kumela eher intro-
vertiert als laut herausposaunt, eher kon-
templativ als dezidiert. Von der durchaus
brillanten Virtuosität einiger der „Charakter-
stücke“ – „L’Irrésolue“ oder „La Capricieu-
se“ zum Beispiel – macht er nicht viel Auf-
hebens, macht keine Kraftakte daraus, son-
dern verspielte musikalische Miniaturen,
mehr für den Interpreten als für großes Pu-
blikum.
Petri Kumela hat dem „Empfindsamen Stil“
nachgeforscht und lässt uns an seinen Er-
kenntnissen teilhaben. Völlig unaufdringlich
berichtet er uns von einer musikalischen
Entdeckung, die mehr als bemerkenswert
ist. Ob die Werke von Carl Philipp Emanuel
Bach nun ihren Weg ins Gitarrenrepertoire
weiter beschreiten werden, wage ich zu be-
zweifeln. Für Exhibitionisten, das gleich vor-
weg, sind sie jedenfalls nicht das Richtige.
Wenzel Ludwig Edler von Radolt (1667—
1716)
Viennese Lute Concertos
Ars Antiqua Austria, Gunar Letzbor
Hubert Hoffmann, Laute
Challenge Classics
(Challengerecords.com, in Deutschland
bei Sunny-Moon.com) CC72291
Erschienen 2008
… das künstlerische Ergebnis ist sensa-
tionell! …
PPPPP
Wenzel Ludwig Edler (oder Freiherr) von Ra-
dolt? Ein 1701 in Wien gedrucktes Buch ent-
hält die einzigen Werke, die mit diesem
Komponisten in Verbindung gebracht wer-
den: „Die Aller Treüeste / Verschwiegenste undnach so wohl / fröhlichen als Traurigen Humorsich richtente / freindin / Vergesellschafft sichmit anderen getreü / en Fasalen Unserer Iner-sten Gemuets / Regungen“. „Es gehören zudißen Meinen Ersten Opus 5. Büecher. 1. DieErste Lautten. 2. Die Lautten, So die Mittel-Sti-men führet. 3. Die Erste Geigen oder Flautten.4. Die Mittel-Stimmen in der Geigen oder Gam-ba. 5. Der Baß.“ 1918 hat Adolf Koczirz Teile
dieser Sammlung in seinem Band „Öster-
reichische Lautenmusik zwischen 1650 und
1720“ der „Denkmäler der Tonkunst in
Österreich“ (DTÖ) Jahrgang XXV/2, Band 50
herausgegeben und dabei schon die bedau-
erliche Tatsache erwähnt, dass sie nicht voll-
ständig erhalten ist: „Das vollständigste Exem-plar dieses Werkes besitzt, soweit bekannt, die
Musikalienbibliothek des Stiftes Raigern – esfehlt hier bloß das 4. Buch“.
Zwölf „Concerti“ enthält das Buch in der Be-
setzung Violine, Laute und Bass, zu der Zeit
sehr beliebt als „Wiener Lautenkonzert“. „Be-merkenswert an dieser umfangreichen […]
Sammlung […] ist mancherlei: Ihre Beset-zungsvielfalt vom 4 stimmigen Streicher-Ensem-ble mit 3 obligaten Lauten in ebenso vielenGrößen, bis zur relativ intimen Variante vonnur einer Violine, obligater Viola da Gambaund Bass“ (Hubert Hoffmann im Booklet).
Gunar Letzbor, der Leiter des Ensembles Mu-
sica Antiqua Austria und der Lautenist Hu-
bert Hoffmann haben nach den fehlenden
Stimmen gesucht und schließlich begonnen,
sie zu rekonstruieren, weil sie nicht auffind-
bar schienen. Schließlich ist die letzte noch
fehlende Violinstimme noch gefunden wor-
den … und hier ist die erste Aufnahme!
Hören wir, ob die Suche sich gelohnt hat!
Vier der Wiener Lautenkonzerte sind auf die-
ser CD vereint, zusammen mit einigen Ein-
zelsätzen. Wie Hubert Hoffmann schon an-
gedeutet hat: Die Concerti sind keine Kon-
zerte für Laute und Streicher, wie man viel-
leicht erwartet, sondern kammermusikali-
sche Werke unterschiedlichster Besetzungen.
Gleich das erste (e-Moll) ist mit drei obliga-
ten Lauten besetzt, 2 Violinen, Diskantgam-
be und Bass, andere mit Traversflöte oder
auch Colascione als Bassinstrument.
Und es wird eine Vielzahl musikalischer For-
men präsentiert – eine Auswahl dessen, was
damals aus dem Habsburgischen Reich in
Wien zusammenkam und was in Mode war.
Im Concerto F-Dur hat der Komponist dabei
zusätzlich präzise aufführungspraktische An-
weisungen mitgeliefert. Bei dem hinreißend
schönen Satz „Querelle des Amantes“ steht:
„Wenn man dieses Stuckh allein spillet, So mu-eß man es nich gleich, Sondern bald Starkh,bald Still spillen, damit es scheinet, gleich ei-nen bittenden und erzürnten, So Sich, alß es inUnisono gehet, wiederumb vergleichen.“ Wie
passt diese Spielanweisung doch zu dem Ti-
tel des Stücks! Dass man das Stück auch „al-
konzerte, 20 Passionsmusiken, 2 Oratorien,
ein Buch mit dem Titel „Versuch über die
wahre Art, das Clavier zu spielen“ (Berlin
1758) und vieles mehr, er war also ähnlich
fleißig wie sein Vater Johann Sebastian.
Aber eines hat er nie geschrieben: Musik für
Gitarre (auch wie sein Vater). Und er ist
auch bisher selten von Gitarristen als Liefe-
rant von Transkriptions-Vorlagen eingesetzt
worden. Lediglich eine „Siciliana Fis-Moll“
ist mir bisher aufgefallen, übertragen und
gespielt von Andrés Segovia (s. NAXOS
8.111089: 1950s American Recordings Vol.
1).
Johann Sebastian Bach war ein großer Kom-
ponist, einer der größten der Musikgeschich-
te. Aber er war auch ein „Esoteriker, der sichbewusst vor der Welt verschloss und daraus diekompositorischen Konsequenzen zog“ (so Carl
Dahlhaus). Dass seine Söhne, die bei ihm in
die Lehre gegangen sind, musikalisch ande-
re Wege gehen würden, als ihr übermächti-
ger Vater, versteht sich von selbst. Schließ-
lich stand eine Revolution unmittelbar be-
vor, eine Revolution politisch-gesellschaftli-
cher Art und auch eine, was das das kultu-
relle Leben also auch das Komponieren an-
geht.
Carl Philipp Emanuel war Hofmusikus bei
Friedrich II. von Preußen (daher Berliner
Bach) und später Nachfolger seines verstor-
benen Paten Georg Philipp Telemann als
Städtischer Musikdirektor in Hamburg (da-
her Hamburger Bach). Das Ideengut der
Aufklärung beherrschte den Preußischen Hof
aber auch Bachs Umgebung in Hamburg.
Musik in einer aufgeklärten Welt sollte für
jeden verfügbar und sie sollte allgemein ver-
ständlich sein – schon dieses letzte Postulat
bereitete der harmonisch komplexen, kontra-
punktischen Musik des Spätbarock, wie Va-
ter Bach sie vertreten hat, ein Ende. Unge-
zwungen und natürlich sollte die Musik für
einen galant-homme sein, weit entfernt von
barockem Pathos. Galant nennen wir den
Stil, der diesem Ideal entsprach, später,
hauptsächlich in Norddeutschland, heißt er
„Empfindsamer Stil“.
Die Klaviermusik Carl Philipp Emanuel Bachs
kann als beispielhaft für diesen Stil, der da-
mals als avantgardistisch galt, angesehen
werden. Seine meist dreisätzigen Sonaten
nehmen oft das Prinzip des klassischen So-
natenhauptsatzes vorweg – drei davon hat
Petri Kumela für sein Programm ausgesucht.
Dazu gibt es „6 Petite Pièces“ aus einer ins-
gesamt großen Anzahl kurzer, oft tanzarti-
ger Stücke, die, wie auch Lotta Emanuels-
son, die Autorin des Booklet-Textes, meint,
an die kleinen Cembalo-Stücke von François
Couperin und seiner Zeitgenossen erinnern
und tatsächlich haben auch die „Petites Piè-
ces“ von Bach französische Namen wie
„L’Irrésolue“ oder „La Journalière“ und sind
Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 43
lein spillen“ kann, also auf der Laute, gilt
gleichzeitig für andere Sätze des gleichen
Concerto. Über das „Capriccio en Canon“
heißt es lapidar: „Wenn man es allein Schla-gen will, So lasst man die Pausen auß.“
Dass Gunar Letzbor mit Reinhard Goebel in
Köln gearbeitet hat, ist kaum überhörbar …
und natürlich für einen Geiger auch keines-
wegs verwunderlich. Sein Urteil aber, er sei
von den „gluckernden und unglaublich reso-nanten Klängen dieser dickbäuchigen Gesellenbegeistert“, würde sein Kollege Goebel kaum
teilen. Von ihm konnte man am 9. Juni 2006
im Kölner Stadtanzeiger lesen: „Das Lauten-geklimper und –gebimmel! Das ist das Aller-letzte. Diese Instrumente werden in einem gro-tesken Maß aufgewertet! Es gibt von Brockesein Gedicht darüber, dass die HamburgerJungfern so gerne in die Oper gehen, weil sieda die Giraffen sehen. Die Giraffen sind dieChitarronen, die wie erigierte Glieder aus demOrchestergraben ragen. Das interessiert dieLeute immer noch am allermeisten. Wie früher.Die unwichtigsten Instrumente! Spätestens1720 wurde in Venedig eine Lautenpositionnicht mehr neu besetzt, sondern in eine Gei-genstelle umgewidmet. Heute haben wir Bach-Kantaten mit Gitarre. Lächerlich!“ Gut, Bach-
Kantaten mit Gitarre als Continuo-Instru-
ment sind lächerlich! Aber sonst?
Die wissenschaftliche Leistung, die hinter
dieser „Entdeckung“ steht, ist bemerkens-
wert, das künstlerische Ergebnis ist sensa-
tionell! Barocke Kammermusik mit Laute(n)
wird, seitdem alte Musik „Alte Musik“ ist,
gespielt, aber Kammermusik mit obligaten
Lauten, deren Stimmen in Tabulatur überlie-
fert sind, nicht. Und es ist ein Segen, dass
hier kompetente Musiker diese „Erstauf-
führung“ einspielen konnten. Das Spiel der
Lautenisten kann man, zugegeben, nur als
Teil des Ganzen beurteilen. Primus inter pa-
res ist natürlich die Erste Geige … ohne sich
zu arg aus dem Fenster zu lehnen. Und das
kammermusikalische Gesamtbild ist ge-
schlossen. Es ist entschärft, ohne „brav“ zu
sein. Maestro Goebel – wenn wir schon ein-
mal bei diesem Vergleich sind – hätte ver-
mutlich schärfere Punktierungen, pointierte-
re Auftakte, auf die Spitze getriebene Beto-
nungs-Muster und überhaupt avanciertere
Tempi spielen lassen. Aber das wäre „ei-
gentlich“ nicht im Sinn des kammermusika-
lischen Ideals. Kammermusik ist Konversati-
on zwischen Musikern – nicht unbedingt
Streit!
Zum Schluss noch eine CD mit Kammermu-
sik. Kammermusik mit Thomas Müller-Pe-
ring. Und auf der CD steht der Name Piaz-
zolla!
Tangos y Historias
Friedemann Eichhorn, Violine, Thomas
Müller-Pering, Gitarre
Werke von Piazzolla, Gismonti, Ibert,
Albéniz, de Falla
Aufgenommen im September 2006, er-
schienen 2008
Hänssler Classic (in Deutschland bei
NAXOS-Deutschland, naxos.de) 98.508)
… Violine vs. Flöte? …
PPPPP
Tja, „Histoire du Tango“ ist von Piazzolla
dabei aber auch die „Milonga del Angel“
und „Decarísimo“, „Agua e Vinho“ von Gis-
monti, „Entr’acte“ von Ibert, „Mallorca“
von Albéniz und schließlich „Suite Popular
Española“ und „Pantomime“ von de Falla.
Diesmal mit Violine und nicht mit Flöte! (s.
hierzu Gitarre & Laute ONLINE
XXIX/2007/Nº3, S. 42 mit der Besprechung
der CD Círculo Mágico von Wally Hase, Flö-
te und Thomas Müller-Pering!)
Zunächst, das gleich vorweg: Die Violine
gewinnt, wenn das tatsächlich ein Wettbe-
werb sein soll … (soll’s natürlich nicht)! Ich
Hubert Hoffmann und seine Kollegen bei der Aufnahme
der Wiener Lautenkonzerte von Wenzel Ludwig Edler von Radolt (1667—1716).
Foto: © Gunar Letzbor. Ars Antiqua Austria
44 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1
höre Astor Piazzollas Geiger Fernando Sua-
rez Paz und seh’ ihn förmlich vor mir beim
Hören dieser CD. Er hat noch lasziver ge-
spielt, Glissandi und andere klangliche Ef-
fekte eher in den Vordergrund gestellt, aber
hier, auf dieser CD von Friedemann Eich-
horn und Thomas M-P, höre ich das perfek-
te Zusammenspiel zweier Musiker, eines
Geigers, der auf seinem Instrument singen
und Geschichten erzählen kann, denen man
gebannt lauscht, weil sie einen zum Lachen
und Weinen bringen – und eines ebenso
sensiblen wie manchmal auch bestimmen-
den, den Weg weisenden Partners (nicht Be-
gleiters), der, wie in Piazzollas „Decarísi-
mo“, die Gratwanderung zwischen Jazz,
Tango, „klassischer Kammermusik“ und was
auch immer traumwandlerisch mitmacht.
Die „Suite Popular Española“, entstanden
aus den „Siete canciones populares Españo-
las“ von Manuel de Falla, ist, zusammen mit
desselben „Pantomine“ aus „El Amor Bru-
jo“, Schluss- und Höhepunkt der CD. Die
Lieder bewahren, wie der ungenannte Autor
des Booklet-Textes richtig meint, „sogar ineiner rein instrumentalen Darreichungsformdie erzählerischen Qualitäten“. Jedes dieser
Lieder ist ein vollständiges kleines Kunst-
werk, eine Geschichte und ein Stimmungs-
bild von enormer Dichte. Und die Geschich-
ten werden verstanden – sogar von Nicht-
Spaniern, wenn sie so dargeboten werden!
Das ist eigentlich alles, was ich zu dieser
Produktion anmerken möchte … und doch
wäre es beinahe sträflich hier zu schließen
ohne etwas über eine andere auch noch
fast neue CD von Friedemann Eichhorn zu
sagen, die ganz Piazzolla gewidmet ist …
auf der die Gitarre allerdings keine Rolle
spielt.
Astor Piazzolla: Le Grand Tango
Friedemann Eichhorn, Violine, Julius
Berger, Cello, José Gallardo, Klavier
Aufgenommen im März 2005, erschienen
2007
Hänssler Classic (in Deutschland bei
NAXOS-Deutschland, naxos.de) 93.205
… Musik, die Gitarristen keineswegs un-
bekannt ist …
PPPPP
Aber es wird Musik gespielt, die Gitarristen
keineswegs unbekannt ist. Die „Vier Jahres-
zeiten“ zum Beispiel, mit ihnen beginnt das
Programm: „Cuatro Estaciones Porteños“.
Tiefe Melancholie umfängt einen beim
Hören, und die Geschichten die Piazzolla da
über die Porteños erzählt, über die Hafenar-
beiter oder Bewohner der Hafenviertel (por-
teño von porto = Hafen), handeln von Ar-
mut, harter Arbeit und von Verzweiflung,
aber auch von Hoffnungen, Illusionen viel-
leicht. Aus dieser Umgebung kommt der
Tango, seine Texte haben selten von Fröh-
lichkeit und Glück gehandelt. Es war meist
Trauer und Enttäuschung, wovon die Tan-
gueros gesungen haben und das hat Piaz-
zolla in Musik gefasst.
Neben den „Cuatro Estaciones Porteñas“
geben die Musiker „Four Tangos“ für Violi-
ne und Klavier („Revirado“, „Adios Nonino“,
„Milonga del Angel“ und „Fracanapa“), die
zum Teil auch in Transkription für Gitarre
vorliegen und gespielt werden und schließ-
lich das „Mottolied“ dieser CD: „Le Grand
Tango“. Er ist 1982 entstanden und dem
Cellisten Mstislav Rostropovitch gewidmet,
der tatsächlich 1990 auch in der Urauf-
führung den Cellopart gespielt hat.
Tango-CDs sind in den letzten Jahren viele
entstanden und auf den Markt gekommen.
Nachdem Astor Piazzolla am 4. Juli 1992
gestorben ist, wurden seine Werke immer
populärer und immer „klassischer“ – aus
der großen Auswahl möchte Ihnen diese
neue CD besonders empfehlen!
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Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 1 45
46 Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1
Vor hundertJahren …
Der Guitarrefreund wird uns hier noch ein
paar Ausgaben begleiten, denn die Hefte
werden noch nachgedruckt, die man in der
Staatlichen Musikbibliothek in Stockholm
nicht im Internet einsehen oder oder herun-
terladen kann.
Aber es gibt noch eine Menge anderer Gitar-
renzeitschriften, die die meisten von Ihnn
dem Namen nach kennen, die Ihnen aber
nicht zur Verfügung stehen. Gitarrenzeit-
schriften sind von den großen Bibliotheken
selten gesammelt worden, also ist es
schwierig an Ausgaben oder auch nur ein-
zelne Artikel heranzukommen. Wir werden
versuchen, Ihnen besonders wichtige und
selten auffindbare Zeitschriften als Faksimi-
les zur Verfügung zu stellen. Darunter wer-
den Periodika in fremden Sprachen (Spa-
nisch zum Beispiel) sein, bei denen wir aber
davon ausgehen, dass Sie so an ihnen inter-
essiert seind, dass Sie sich selbst um even-
tuell notwendige Übersetzungen kümmern.
Hier nun sehen Sie die allererste Ausgabe
der Zeitschrift „Der Guitarrefreund“ aus
dem Jahr 1900. Carl Oscar Boije af Gannäs
war zu dieser Zeit noch nicht Mitglied der
Internationalen Guitarristen Verbands
(IGV), also fehlen diese ersten Ausgaben
der Zeitschrift auch in seiner Sammlung in
der Stockholmer Bibliothek. Die von Josef
Brandl, Königlich Bayerischem Hoflieferan-
ten, autographierte Ausgabe wird der bes-
seren Lesbarkeit halber noch einmal in Neu-
satz mitgeliefert – Sie wissen selbst, dass
der „Guitarrefreund“ nur in den ersten paar
Ausgaben so hergestellt worden ist, für spä-
tere Hefte ist Neusatz nicht mehr nötig, wie
Sie in den letzten Ausgaben von Gitarre &
Laute-ONLINE selbst sehen konnten.
Wir werden die älteren Zeitschriften, die Sie
hier in Zukunft finden werden, nach der Ver-
öffentlichung in Gitarre & Laute-ONLINE
auch als PDF im Internet zur Verfügung
stellen, und wir werden sie als Texte aufbe-
reiten, damit man beispielsweise nach Kom-
ponisten- oder Instrumentenmachernamen
suchen kann. Das wird eine wertvolle Hilfe
für Ihre Recherchen sein!
GVL (Guitarra – Vihuela – Laude) hieß eine Zitschrift der Agupación Guitarrística Galega,
der Gitarrenvereinigung von Galicien. Die Hefte erschienen nur ein paar Jahre, beginnend
1982. Wir werden hier einzeln Artikel
und eventuell komplette Hefte als Faksmimiles „nachdrucken“.
Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1 47
Bei der Gründung des In-
ternationalen Guitarris-
ten-Verbands, gele-
gentlich des 1. Guitar-
retages in München am 17. Sep-
tember 1899 wurde auch die
Herausgabe eines Verbandsor-
gans ins Auge gefaßt. Über die
Art und Weise, wie dieses Or-
gan zu erscheinen habe, gin-
gen die verschiedenen Ansicht-
en jedoch auseinander, denn
während die Einen dafür ein-
traten, diese Zeitschrift als
selbständiges Blatt her-
auszugeben, äußerte sich die
Mehrzahl der Herren Redner
dahin, die Verbandszeitschrift
vorerst einem bereits bestehen-
den Musikblatte beizulegen
und erst später unabhängig
vorzugehen.
Die Generalversammlung vom
29. Januar 1900, die zur
Genehmigung der Statuten ein-
berufen worden war und in der
wegen Erlangung der Rechts-
fähigkeit für den Verband
Beschluß gefaßt wurde,
beschäftigte sich auch mit der
Frage des Verbandsorgans. Der
ursprüngliche Plan, die offi-
ciellen Mitteilung[en] einer
Musikzeitung beizulegen,
wurde endgültig fallen
gelassen und man beschloß,
die Mitglieder über die En-
twicklung des I.G.V., über
dessen Bestrebungen und Ziele
Mitteilungen
des
Internationalen Guitarristen Verbands e.V.
Nº 1 – München 1. Mai 1900.
Inhalt: Vorwort. – Die Entstehung deas Internationalen Guitarristen-
Verbands. – Guitarristische Plauderei. – Nachruf an J. Decker.
Amtliches. – Mitgliederverzeichnis. – Mitteilung der Ortsvertre-
tung München. – Chronik des Ortsverbands München. – Briefkasten
48 Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1
durch von Zeit zu Zeit erschei-
nende Blätter zu unterrichten.
Auf energisches Betreiben der
Herren Sprenzinger und Kühles
wurde es schließlich ermöglicht,
den Grundstein für ein peri-
odisch erscheinendes Verbands-
organ zu legen und so präsen-
tiert sich schon heute die erste
Nummer der „Mitteilungen des
Internationalen Guitarristen-Ver-
bands (e.V.)“ wenn auch in einer
sehr bescheidenen Form.
Nichtsdestoweniger hat unsere
junge Vereinigung Ursache ge-
nug, stolz zu sein auf die Errun-
genschaft, denn frei und unab-
hängig, nicht als Anhängsel ei-
ner Zither- Mandolinen- oder
sonstigen Musikzeitung treten
diese Blätter hinaus in die Welt,
und ebenso soll und wird auch
unser Lieblingsinstrument die
Guitarre sich wieder unabhängig
machen und inmitten der ande-
ren Instrumente den ihr gebüh-
renden Platz sich zurückerobern.
E[duard].K[ühles].
Die Entstehung des Interna-
tionalen Guitarristen-Ver-
bands
Als eifriger Jünger des viel ver-
achteten Guitarrespiels beschäf-
tigte ich mich schon seit Mitte
der 1890er Jahre mit dem Ge-
danken, die wenigen allerorts
zerstreut lebenden und verein-
samten Freunde dieses Instru-
ments aufzuspüren. Nach und
nach gelang es mir mit den
Herrn Otto Hammerer – Augs-
burg, Eduard Bayer – Hamburg,
J. Decker Schenk – St. Peters-
burg, A. Götz – Innsbruck, J.
Stockmann – Kursk, Dr. Sajaitzky
und P. Solovieff – Moskau, Dr.
Polupaenko Jusovka, Dr. Geb-
hardt – Sondermoning, C. O.
Boije af Gännas – Stockholm, J.
Adler, Zürich, Jul. Schramm –
Dresden, u. A., worunter die her-
vorragendsten Guitarresolisten
der alten Schule, persönlich oder
auf schriftlichem Wege bekannt
zu werden.
Von jüngeren Musikfreunden,
welche sich in unserer
Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1 49
aber umso eifrigeren und leis-
tungsfähigeren Freunde der
Guitarre ins Werk zu setzen,
nahm erst greifbare Gestalt
an, als mich die Münchner
Freunde im Januar 1899 mit
einem Besuche erfreuten und
die Augsburger ihren Gegen-
besuch in Aussicht stellten. Ei-
ne mit Herrn Mehlhart, Mün-
chen, im Frühjahr und Som-
mer 1899 intensiv betriebene
Korrespondenz, die nach vie-
len Bemühungen erlangte Zu-
sage erster Kräfte wie Hamme-
rer, Mehlhart, Decker Schenk,
Götz, Schwerdhöfer, Kullmann
(Zither) und Wachters’ Mando-
linen-Ensemble, bei einem öf-
fentlichen Konzerte in Mün-
chen mitwirken zu wollen, so-
wie aufmunternde Zuschriften
erfahrener Guitarristen aus
den verschiedensten Ländern,
führten zu dem kaum erhoff-
ten Resultate, mit einem Auf-
rufe zum I. Guitarretag nach
München – 16. und 17. Sept.
1899 – einladen zu können.
Bei dieser Gelegenheit sollte
eine internationale Guitarris-
ten-Vereinigung gegründet
und druch ein öffentliches Gui-
tarren-Concert der Beweis ge-
liefert werden, daß auch die
Guitarre wohl befähigt sei, in
kunstgeübter Hand auch Con-
certsale Erfolge zu erzielen. Ei-
nige 100 Exemplare dieses
Aufrufs flogen hinaus in alle
Himmelsrichtungen.
Die zahlreiche Teilnahme von
Guitarrefreunden aus allen Ge-
genden Bayerns, aus Sachsen,
aus Oesterreich und der
Schweiz, insbesondere aus
München und Augsburg, die
begeisterte Aufnahme, welche
die Gründung des I.G.V., die
musikalischen gelungenen Ver-
anstaltungen am Samstag
16.9. und Sonntag 17. Sept. 99
fanden, illustrierten prächtig,
wie sehnlich allerseits ein Wie-
deraufblühen der
Zeit des Pianos und der Zither
mit dem Guitarrespiel noch
abgaben, konnte ich nur die
Herren A. Mehlhart, L. Resch,
H. Halbing, J. Baudreal in
München, Professor Feder –
Linz, M. Schwerdhöfer, E. Schli-
cker und F. Schwab – Augs-
burg ausfindig machen.
Der Plan, einmal eine Zusam-
menkunft dieser wenigen,
50 Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1
altehrwürdigen Kunst des
Lautenspiels gewünscht
wurde.
Das schnelle Wachstum des
I.G.V. von anfänglich 40 auf
zur Zeit mehr als 100 Mit-
glieder innerhalb einiger
Monate, zeigt deutlich die
Lebensfährigkeit dieser Vere-
inigung.
Ein grosses Verdienst um den
gelungenen Verlauf des I. Gui-
tarristentages und um die
Sammlung neuer Mitglieder
haben sich unsere für die
Sache begeisterten Freunde in
München, Augsburg, Inns-
bruck ud Moskau erworben,
wofür denselben noch beson-
derer Dank gesagt sei.
Möchten diese eifrigen Be-
mühungen alle Freunde des
Guitarrespiels anspornen,
auch ihrerseits ein Scherflein
beizutragen, sei es durch Ein-
sendung interessanter, litter-
arischer [sic] Beiträge für
unser Verbandsorgan, sei es
durch Gewinnung neuer Mit-
glieder, sei es sonst auf ir-
gend welche Weise, dann wird
der Internationale Guitarris-
ten Verband einer herrlichen
Zulunft entgegen gehen und
stets blühen, wachsen und
gedeihen.
F[ranz]. Sprenzinger, Schrift-
führer
Guitarristische
Plauderei
J. Adler, Zürich
1. „Tocamos una buena toca-
ta; vamos a lo que Mega tu
habilidat“ sagen die Piraten
zu dem gefangenene Don
Rafaël (Gil Blas), und nach
dessen Spiel flüstert ihm einer
in’s Ohr: „Du wirst ein glück-
licher Sklave sein“.
Corina ließ sich ihre Lyra brin-
gen, das Indtrument ihrer
Wahl, der Harfe ähnlich, je-
doch von älterer Form und
einfacher in den Tönen.
Dass die gelehrte und geis-
tereiche Frau von Stael, die
nur ungewöhnliche Leute um
sich mochte, und in manchen
Punkten mit der Heldin ihres
Romans identisch scheint,
diese mit einer
Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1 51
Guitarre auftreten läßt (denn
die Lyra unterscheidet sich nur
der äußeren Form nach von
der Guitarre) ist ncht ohne Be-
deutung und macht unserem
Instrumente große Ehre.
Corinna, die gefeierte Dich-
terin und Sängerin, soll auf
dem Kapitol in Rom vor allem
Volke gekrönt werden, und sie
will ihre enthusiastische Im-
provisation mit den weichen,
feierlichen Akkorden jener Lyra
begleiten, welche heute noch
hier und da zu sehen ist, so
wie auch Kompositionen „Pour
la guitare ou lyre“.
Die ebenfalls in ihrer Art
berühmte Mad. de Gentis,
welche sich rühmt, in
Frabnkreich zuerst öffentlich
Harfe gespielt und zwei Eleven
„gemacht“ zu haben, gedenkt
in ihrer Harfenschule der Gui-
tarre mit diesen Worten:
2. „Pourquoi bannir la guitare
des concerts? Nul instrument
n’accompagne mieux une ro-
mance –“ Eine deutsche Dich-
terin, Friederika Brun, spricht
in „Wahrheit aus Morgenträu-
men“ von bezauberndem Gui-
tarrespiel und Gustav Freytag
braucht in einem seiner Ro-
mane eine Guitarre, um uns
die selige Häuslichkeit zweier
glücklichen Neuvermählten zu
veranschaulichen.
Herzerquickend mußte es sein,
im Salon der Poetin Mrs. He-
mans in London den Perlenre-
gen des braunlockigen Regton-
di zu belauschen, der unter
einer Fülle ergreifender Akko-
rde seiner Guitarre entströmte
– Oder den unermüdlichen ju-
gendliuchen Giuliani in Wien,
welcher in der Vorrede zu
seinen Arpeggien so reizend
bekannt: „Lo studio della chi-
tarra è sempre stata la mia
ocupazione prèdilletata“ –
Und die melancholischen
Weisen eines Wysocki in
Moskau, wenn er so recht in
der Laune war und eine Gui-
tarre probirte stundenlang,
daß sie Funken sprühte, daß
ein Sermontoff ihn in Versen
besigen mußte – Und wie sie
alle
52 Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1
heißen, jene Heroen der Gui-
tarre, deren bloße Namen
schon prächtig klingen – Wie
imponierten einem Jüngling,
der erst ein paar Akkorde
klimpern gelernt, jene Titel in
kühn geschwungener Schrift,
jene Grand Rondos, Capriccios,
Notturnos, Fürsten, Damen
und edeln Damen gewidmet
von Legnani, Ferranti, Carulli
u.s.w.
Ein Märchen aus alten Zeiten –
denn jetzt gilt der umgekehrte
Tanz (Minuetto al rovescio)
(nach Papa Haydn) – Guitarre
spielen? – Wer wird das
heutzutage bekennen, ohne
sich errötend ein Armutszeug-
nis auszustellen? Greifen doch
zur Guitarre nur noch Stall-
knechte, Zofen, junge Herr-
chen, um bei einem Anlaß et-
was Possen zu treiben,
Jungfern, die auf der Zither
nichts erreichten, dichtet ja die
Guitarre ganz allein, gleich der
deutschen Sprache (Klopstock)
– brauht da weder Lehrer noch
besonderes Studium. Sie aber,
„wie der Stein auf der
Straßen“ unsere Guitarre, hat
sich in die Dienste der Zither
und Mandoline begeben, und
aus Gram und Kummerder
Aheilsarmee in die Arme
geworfen. Soll es uns wun-
dern, wenn das Guitarrespiel
heutzutage als ein wildes,
häßliches Musizieren angese-
hen wird? Es kommt jedoch
bei allem darauf an, wie man
es betreibt – Hätten sich wohl
so tüchtige Musiker wie Sor,
Giuliani, Carulli u. so viele an-
dere es waren, zur Zeit
Beethovens, Mendelssohns,
Schuberts und Schumanns, als
alle klassischen Instrumente
schon längst existierten, ihr
Lebtag so eifrig mit der Gui-
tarre beschäftigt, wenn so gar
nichts dahinter steckte? Wäre
die Ursache dieser Erscheinung
wirklich nur in einer dummen
Mode zu suchen? Mir scheint
sie eher in dem edeln Be-
streben zu liegen, mit den
geiringen Mitteln das höchst-
mögliche zu erreichen – Welch
miserables
Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1 53
Ding wäre die Geige ohne den
Bogen, womit alles bequem
und kaltblütig überstrichen
wird? Das Zupfen ist auch
nicht so leicht, die weichen
und kräftigen Töne der Gui-
tarre wollen auch gesucht,
studiert, entlockt sein, der Gui-
tarre wie der Geige; mit sch-
aben, kratzen und kneifen, wie
die Franzosen das Anschlagen
nennen (rader, gratter, pincer)
ist’s nicht gethan, das ist
Kar4ikatur. – Das Klavier
brüste sich immerhin mit
seinen zehnfachen Leistungen,
es hat dieser kollossale
Lärmapparat die Mittel dazu
und kostet darnach – Allein
war nützen ihm die vielen
grellen Töne, was nützen der
Harfe und Zither ihr Saiten-
heer unter ungeschickten Hän-
den und dummen Fingern? Es
scheint mir eines gebildeten
Menschen würdiger, ein sehr
einfaches Instrument allen
Ernstes zu pflegen, als ein re-
icheres ohne Geschick und
Geschmack zu behandeln.
Und so ist dann die „Harfe des
Armen“ doch nicht unterge-
gangen und wird nicht un-
tergehen, wenn sie auch nur
hier und da mit Liebe und
Ernst gepflegt wird. – Sie ist
und bleibt das zugänglichste
Instrument der von Liebe und
Glück träumenden und singen-
den Jugend, des schlichten
häuslichen Herdes – Sie
verkürzt des Einsamen trübe
Stunden; sie ergötzt, von
tüchtiger Hand bemeistert, in
der Gesellschaft, u. das
geräuschvolle und bis zum
Überdruß gehörte, mit-
telmäßige Klavierspiel eine Ab-
wechslung ersehen läßt – Sie
kommt mit dir in’s stille
Dachkammerlein, in die
Gartenlaube, in den Kahn, das
braucht’s keine Zurüstung wie
bei der Zither – du hebst sie
vom Nagel herunter, sie ist au-
genblicklich gestimmt. Und
hast du erst das Glück, einem
gleich eifrigen Mitspieler zu
gewinnen, so werden die Reize
der Guitarre in aller Fülle zur
Geltung gelangen und es
bleibt nur noch die
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Klage über die Flüchtigkeit
dieser wonnevollen Stunden.
Übersetzung der Zitate:
1. Spiele uns was Schönes auf,
wollen sehen, wie viel du
kannst
(Lesage, Gil Blas)
2. Warum wird die Guitarre
aus den Konzerten verbannt?
Kein Instrument begleitet
besser eine Romanze. (Mad. de
Genlis)
3. SDas Studium der Guitarre
ist immer meine Lieblings-
beschäftigung gewesen. (Giu-
liani)
J. Decker-Schenk =
Im Oktober 1899 starb der
durch seine vorzüglichen Gui-
tarre-Compositionen in weiten
Kreisen bekannte Guitarre- und
Mandolinen-Virtuose J. Decker-
Schenk – St. Petersburg – ge-
borener Wiener – im Alter von
74 Jahren. Sein Vater war
Werkmeister der berühmten
Guitarrefirma Stauffer, Wien.
Der junge Decker-Schenk
spielte in den 60er Jahren
schon vor dem die Guitarre
und Zither hochschätzenden
Herzog Max in München und
vielen Fürstlichkeiten, wurde
später Opernsänger und Thea-
terdirektor und bereiste mit
einer Theatergesellschaft ganz
Russland. Nach dem Tode sein-
er ersten Gattin entsagte er
ganz der Theaterlaufbahn und
ließ sich, nachdem er eine
Russin geheiratet hatte, dauern
als Musiklehrer, spec. für Gui-
tarre und Mandoline, in Peters-
burg nieder.
Decker-Schenk war in den
feuinsten Kreisen Petersburgs
mit seiner Guitarre ein gern
gesehener Gast und genoß
dort den Ruf des bedeutend-
sten Virtuosen. Zum I. Guitar-
retag hatte sich der
liebenswürdige, alte Herr mit
Familie und mehreren Freun-
den zur Mitwirkung beim Con-
certe an-
Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1 55
gemeldet, doch kurz vor der
Abreise warf ihn ein tückisches
Leiden aufs Krankenlager, dem
er leider erliegen mußte. In
seinem letzten Briefe be-
dauerte er wehmütig, dem mit
so großer Freude entgegenge-
sehenen I. Guitarretag nicht
beiwohnen zu können. Decker-
Schenk war ein eifriger Förder-
er des Guitarrespiels und hätte
unserem Verbande in Peters-
burg viel nutzen können.
Eine Anzahl seiner gediegenen
Werke für 1, 2, und 4 Guitarren
hat Schreiber dieses von dem
Componisten seinerzeit erwor-
ben. Dieselben sind in
vorzüglichem Guitarresatze
sehr effektvoll geschrieben
uind lassen den vollendeten
Guitarremeister erkennen.
Möchte dem bedeutenden Gui-
tarremeister, der so viele durch
sein virtuoses Spiel und seine
reizenden Melodien entzückt,
die Erde leicht sein!
F. [franz] Spr. [enzinger]
Bekanntmachungen derCentralleitungUm eine möglichst rasche und
einheitliche Erledigung aller
die Verwaltung des. I. G. V.
betreffenden Arbeiten zu erzie-
len, hat der geschäftsführende
Ausschuß ein Secretariat
errichtet, dessen Leitung sich
in den Händen des Herren Ed-
uard Kühles, München VIII,
Pütrichstraße 5/II befindet.
Sämtliche Zuschriften beliebe
man an die vorbezeichnete
Adresse zu richten.
Die Bekanntmachungen wer-
den in dem monatlich er-
scheinenden Verbandsorgan,
dessen erste Nummer heute
vorliegt, veröffentlicht.
Die Zustellung dieser Blätter
erfolgt an die einzelnen Mit-
glieder unter Kreuzband, den
Mitgliedern der Ortsverbände
sind die Exemplare durch die
Ortsvertretung zuzustellen. –
Die verehrklchen Ortsvertreter
belieben vonm Zeit zu Zeit
Bericht über die Thatigkeit der
Ortsgruppen an das Secretari-
at
56 Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1
zu übermiteln, dese Berichte
werden im Verbandsorgan
eine ständige Rubrik: Chronik
der Ortsverbände bilden. Des-
gleichen finden auch alle
Bekanntmachungen der Orts-
gruppen Aufnahme im Verbnd-
sorgan. –
München 17. April 1900
Die Centralleitung
A. [nton] Mehlhart. Ed. [uard
Kühles]
Die Liste der Mitglieder kann
bei Bedarf dem Faksimile ent-
nommen werden. Man
beachte, dass Personen Mit-
glieder der ersten Stunde
waren, die in der Gitarrenszene
bereits eine Rolle spielten oder
eine Rolle spielen sollten,
darunter unter anderen der
Arzt und Gitarrenliebhaber
Sergei Spiridonowitsch Sa-
jaitzky, Julius Stockmann und
auch Carl Oscar Boije af Gan-
näs, dem die Sammlunng Gi-
tarrenmusik in Stockholm zu
verdanken ist.
Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1 57
58 Gitarre & Laute-ONLINE, XXX/2008/Nº 1
Notenausgaben von Gitarre & Laute
John W. Duarte
Danserie No. 2 für Gitarre solo€ 7,50 G&L 142Eduardo Falú
Gavota para Guitarra, Mit Fingersätzen versehen von Hubert Käppel, 2-3€ 5,00 G&L 112Eduardo Falú
Preludio del pastor€ 6,50 G&L 111Santino Garsi da Parma
Sämtliche Lautenwerke, Gesamtausgabe der handschriftlichen Quellen,Faksimile mit Übertragungen und Kommentar von Dieter Kirsch€ 30,00 G&L 148Jana Obrovská
Hommage à Choral Gothique f. Gitarre Solo, Revidiert von Milan Zelenka€ 8,50 G&L 122Jana Obrovská
Due Musici für zwei Gitarren€ 8,50 G&L 123
John W. Duarte
Danserie No. 2 für Gitarre solo€ 8,50 G&L 142Adrian Patino
Nevando Está, Für Gitarre bearbeitet von Eduardo Falú€ 6,50 G&L 120A. Robles und Jorge Milchberg
El Condor pasa, Für Gitarre bearbeitet von Eduardo Falú€ 6,50 G&L 116Ignace Strasfogel
Prélude, Elegie und Rondo für Gitarre, Herausgegeben von Volker Höh € 13,00 G&L 168Heinrich Marschner
Lieder mit Begleitung der Gitarre (Zwölf Lieder op. 5, Zwei Lieder vonGoethe), Herausgegeben von Oliver Huck€ 15,00 G&L 169
Der gesamte Katalog bei:
www.MusiCologe.eu
Gitarre-und-laute.de