fam @ tu wien: financial and actuarial mathematics · created date: 4/18/2016 2:03:17 am

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Prinzip der Versicherung Gegenstand der Versicherung Bei einem Versicherungsvertrag ¨ ubernimmt das Versicherungsunternehmen Risiken des Versicherten. Das Unternehmen verpflichtet sich also, den un- gewissen, zuk ¨ unftigen finanziellen Schaden, den der Versicherte auf Grund eines im Vertrag genau spezifizierten Ereignisses erleiden wird, zu ersetzen. Mit Versicherungsunternehmen“ ist hier ein privates Unternehmen gemeint, die Sozialversicherung funktioniert nach anderen Grunds ¨ atzen. Beispiele: 1. Feuerversicherung : Ersetzt wird der Schaden durch Feuer an einem Geb ¨ aude. 2. Haftpflichtversicherung : Der finanzielle Schaden ist der Verm¨ ogens- schaden, den der Versicherte wegen des Schadenersatzanspruchs ei- nes Dritten erleidet. Die Leistung des Versicherungsunternehmens ist das Versprechen, jeder- zeit w¨ ahrend der Dauer des Vertrages bei Eintritt des Versicherungsfalles den Schaden zu tragen. Das bedeutet zum Beispiel, dass selbst ein Auto- fahrer, der noch nie einen Unfall verursachte, schon eine Gegenleistung f¨ ur die von ihm gezahlte Pr¨ amie in der Kfz-Haftpflichtversicherung erhielt. Versicherungswirtschaft in ¨ Osterreich Die folgenden Daten sollen einen Einblick in die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Versicherungsbranche in ¨ Osterreich erm ¨ oglichen. Die Daten stammen vom Verband der Versicherungsunternehmen ¨ Osterreichs“ (http://www.vvo.at). In Tabelle 1 sind Kennda- ten der gesamten ¨ osterreichischen Versicherungsbranche im Jahre 2013 (jeweils ohne uckversicherungsanteile) dargestellt. Verrechnete Pr¨ amien 14.936 Zahlungen f ¨ ur Versicherungsf¨ alle 12.184 Jahresgewinn 1.158 Tabelle 1: Kennzahlen der Versicherungswirtschaft 2013 (in Mio. e) Der Fehlbetrag in der obigen Tabelle ergibt sich aus Ver¨ anderungen der Reserve sowie Be- triebskosten. In Tabelle 2 sind die gr¨ oßten Versicherungsgruppen aufgez¨ ahlt. Name Pr¨ amien in Mio. e Marktanteil Vienna Insurance Group 4.061 23,69% UNIQA 3.665 21,38% Generali 2.684 15,66% Allianz 1.388 8,10% Tabelle 2: Gr¨ oßte Versicherungsgruppen in ¨ Osterreich 2014 Warum und wann ist Versicherung m¨ oglich? Nicht f¨ ur alle Formen von Sch¨ aden ist Versicherung sinnvoll. Notwendige Merkmale versicher- barer Risiken sind: Zuf ¨ alligkeit: Der Schadensfall darf nicht mit Gewissheit eintreten, oder muss zumindest in Intensit ¨ at oder Zeitpunkt nicht vorherbestimmt sein. Auch darf er vom Versicherungsnehmer nicht absichtlich herbeigef ¨ uhrt werden. Gleichartigkeit : Das Risiko darf nicht einzigartig sein, sondern es muss gen ¨ ugend viele an- dere, vergleichbare Risiken geben. Sch ¨ atzbarkeit: Es muss m¨ oglich sein, fundierte Vorhersagen ¨ uber die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts sowie seines Ausmaßes zu treffen. Absicherung: Durch die Versicherung muss ein existierendes finanzielles Risiko ganz oder teilweise abgesichert werden. Eine Lotterie ist keine Versicherung! Der Versicherungsneh- mer darf aus dem versicherten Ereignis keinen finanziellen Nutzen ziehen (Bereicherungs- verbot). Versicherungen werden erm¨ oglicht durch den Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit. Ver- einfacht ausgedr ¨ uckt bedeutet das: Je mehr gleichartige Einzelrisiken durch ein Versicherungsunternehmen versichert sind, desto geringer ist dessen (relatives) Gesamtrisiko pro Versicherungsnehmer! Versicherung oder Wette? Findet bei einem Vertrag kein Risikoausgleich im Kollektiv statt, handelt es sich um keine Versi- cherung im engeren Sinne. Man sollte dann eher von einer Wette reden. Beispiel: Wenn sich ein Fußballverein dagegen versichert“, die Meisterschaft zu gewinnen, so sind obige Kriterien bis auf die Gleichartigkeit“ erf ¨ ullt. Das finanzielle Risiko besteht in hohen Meisterpr ¨ amien f¨ ur die Spieler. Ein Risikoausgleich im Kollektiv ist nur m¨ oglich, wenn sich mehrere Vereine der Liga zu ¨ ahnlichen Konditionen beim selben Unternehmen versichern. Tun dies alle Vereine, so mangelt es aber f¨ ur das Unternehmen an der Zuf¨ alligkeit, und der Vertrag k¨ onnte als Kredit aufgefasst werden, den die Versicherung zu Beginn der Saison bei allen Vereinen aufnimmt und am Ende an den Meister zur¨ uckzahlt. Besonders Lloyd’s of London ist ber¨ uhmt f¨ ur solche außergew ¨ ohnlichen“ Versicherungen. Lloyd’s selbst ist keine Versicherung, sondern ein Vermittler von Versicherungen. Fr¨ uher ¨ uber- nahmen dabei letztlich (reiche) Privatpersonen, welche mit ihrem Verm¨ ogen hafteten, das Risi- ko. Heute sind viele Unternehmen beteiligt, darunter auch Versicherungen. Aufgabe der Versicherungsmathematik Hauptaufgabe der Versicherungsmathematik ist es, mit Hilfe von Sch ¨ atzungen ¨ uber die Eintritts- wahrscheinlichkeit von Sch¨ aden sowie ¨ uber das Ausmaß der eingetretenen Sch¨ aden geeignete Pr¨ amien und Reserven zu berechnen. Erschwert wird dies durch die sehr lange Dauer mancher Versicherungsvertr¨ age (etwa in der Lebensversicherung). Risikoausgleich im Kollektiv Risikoausgleich im Kollektiv funktioniert nach dem sogenannten Gesetz der großen Zahl. Voraussetzung daf¨ ur ist das Bestehen einer großen Anzahl gleichartiger Risiken, die voneinander weitgehend unabh ¨ angig sind. Ein einfaches Beispiel Das folgende, stark vereinfachte Beispiel soll die Funktionsweise des Risi- koausgleichs zeigen. Angenommen, ein gewisser Schaden tritt pro Person mit einer Wahr- scheinlichkeit von 1% (in einem Jahr) ein und betr ¨ agt dann 150.000 e. Der durchschnittliche Schaden ist daher 1500 epro Person. Insgesamt sind 100.000 Personen von diesem Schaden bedroht, und zwar unabh¨ angig voneinander. Wir betrachten zwei Situationen: 1. Die Betroffenen tragen den Schaden, falls er eintritt, jeweils selbst. 2. Die Personen teilen sich die Sch¨ aden untereinander auf: Nach einem Jahr wird der Gesamtschaden aller Personen, der einer Binomialvertei- lung folgt, zusammengerechnet, und jeder von ihnen zahlt genau ein 100.000-stel des Gesamtschadens. Die Abbildung zeigt das Ergebnis einer Million verschiedener, simulierter Verl¨ aufe. Häufigkeit der Schadenhöhen individuell Schaden in Euro Anzahl der Beobachtungen 0 50.000 100.000 150.000 0 500.000 1.000.000 Häufigkeit der Schadenhöhen im Kollektiv Schaden in Euro Anzahl der Beobachtungen 1300 1500 1700 0 50.000 100.000 150.000 Man erkennt, dass im ersten Fall die Betr¨ age sehr stark schwanken. Im zweiten Fall hingegen schwankt der Beitrag, den jeder der 100.000 Perso- nen leisten muss, nur noch gering, das Risiko ist beherrschbar. Tats¨ achlich liegt dieser Beitrag mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 95% zwischen 1400 und 1600 e und in keinem einzigen von einer Million Simulationen lag der Beitrag ¨ uber 1750 e. Genau das ist der Effekt des Risikoausgleichs: Der Durchschnittsschaden ist zwar in beiden Situationen gleich, aber durch den Risikoausgleich gibt es nur noch geringe Schwankungen. Institut f ¨ ur Stochastik und Wirtschaftsmathematik Forschungsgruppe f ¨ ur Finanz- und Versicherungsmathematik Poster gestaltet von Christian Bayer (2005), aktualisiert von Sre´ cko Mihaljevi´ c (2015)

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Page 1: FAM @ TU Wien: Financial and Actuarial Mathematics · Created Date: 4/18/2016 2:03:17 AM

Prinzip der Versicherung

Gegenstand der VersicherungBei einem Versicherungsvertrag ubernimmt das VersicherungsunternehmenRisiken des Versicherten. Das Unternehmen verpflichtet sich also, den un-gewissen, zukunftigen finanziellen Schaden, den der Versicherte aufGrund eines im Vertrag genau spezifizierten Ereignisses erleiden wird, zuersetzen.

Mit ”Versicherungsunternehmen“ ist hier ein privates Unternehmen gemeint,die Sozialversicherung funktioniert nach anderen Grundsatzen.

Beispiele:

1. Feuerversicherung: Ersetzt wird der Schaden durch Feuer an einemGebaude.

2. Haftpflichtversicherung: Der finanzielle Schaden ist der Vermogens-schaden, den der Versicherte wegen des Schadenersatzanspruchs ei-nes Dritten erleidet.

Die Leistung des Versicherungsunternehmens ist das Versprechen, jeder-zeit wahrend der Dauer des Vertrages bei Eintritt des Versicherungsfallesden Schaden zu tragen. Das bedeutet zum Beispiel, dass selbst ein Auto-fahrer, der noch nie einen Unfall verursachte, schon eine Gegenleistung furdie von ihm gezahlte Pramie in der Kfz-Haftpflichtversicherung erhielt.

Versicherungswirtschaft in Osterreich

Die folgenden Daten sollen einen Einblick in die gesamtwirtschaftliche Bedeutung derVersicherungsbranche in Osterreich ermoglichen. Die Daten stammen vom ”Verband derVersicherungsunternehmen Osterreichs“ (http://www.vvo.at). In Tabelle 1 sind Kennda-ten der gesamten osterreichischen Versicherungsbranche im Jahre 2013 (jeweils ohneRuckversicherungsanteile) dargestellt.

Verrechnete Pramien 14.936Zahlungen fur Versicherungsfalle 12.184Jahresgewinn 1.158

Tabelle 1: Kennzahlen der Versicherungswirtschaft 2013 (in Mio. e)

Der Fehlbetrag in der obigen Tabelle ergibt sich aus Veranderungen der Reserve sowie Be-triebskosten. In Tabelle 2 sind die großten Versicherungsgruppen aufgezahlt.

Name Pramien in Mio. e MarktanteilVienna Insurance Group 4.061 23,69%UNIQA 3.665 21,38%Generali 2.684 15,66%Allianz 1.388 8,10%

Tabelle 2: Großte Versicherungsgruppen in Osterreich 2014

Warum und wann ist Versicherung moglich?

Nicht fur alle Formen von Schaden ist Versicherung sinnvoll. Notwendige Merkmale versicher-barer Risiken sind:

• Zufalligkeit : Der Schadensfall darf nicht mit Gewissheit eintreten, oder muss zumindest inIntensitat oder Zeitpunkt nicht vorherbestimmt sein. Auch darf er vom Versicherungsnehmernicht absichtlich herbeigefuhrt werden.

• Gleichartigkeit : Das Risiko darf nicht einzigartig sein, sondern es muss genugend viele an-dere, vergleichbare Risiken geben.

• Schatzbarkeit : Es muss moglich sein, fundierte Vorhersagen uber die Wahrscheinlichkeitdes Schadeneintritts sowie seines Ausmaßes zu treffen.

• Absicherung: Durch die Versicherung muss ein existierendes finanzielles Risiko ganz oderteilweise abgesichert werden. Eine Lotterie ist keine Versicherung! Der Versicherungsneh-mer darf aus dem versicherten Ereignis keinen finanziellen Nutzen ziehen (Bereicherungs-verbot).

Versicherungen werden ermoglicht durch den Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit. Ver-einfacht ausgedruckt bedeutet das:

Je mehr gleichartige Einzelrisiken durch ein Versicherungsunternehmen versichert sind, destogeringer ist dessen (relatives) Gesamtrisiko pro Versicherungsnehmer!

Versicherung oder Wette?

Findet bei einem Vertrag kein Risikoausgleich im Kollektiv statt, handelt es sich um keine Versi-cherung im engeren Sinne. Man sollte dann eher von einer Wette reden.

Beispiel: Wenn sich ein Fußballverein dagegen ”versichert“, die Meisterschaft zu gewinnen,so sind obige Kriterien bis auf die ”Gleichartigkeit“ erfullt. Das finanzielle Risiko besteht inhohen Meisterpramien fur die Spieler. Ein Risikoausgleich im Kollektiv ist nur moglich, wennsich mehrere Vereine der Liga zu ahnlichen Konditionen beim selben Unternehmen versichern.Tun dies alle Vereine, so mangelt es aber fur das Unternehmen an der Zufalligkeit, und derVertrag konnte als Kredit aufgefasst werden, den die Versicherung zu Beginn der Saison beiallen Vereinen aufnimmt und am Ende an den Meister zuruckzahlt.

Besonders Lloyd’s of London ist beruhmt fur solche ”außergewohnlichen“ Versicherungen.Lloyd’s selbst ist keine Versicherung, sondern ein Vermittler von Versicherungen. Fruher uber-nahmen dabei letztlich (reiche) Privatpersonen, welche mit ihrem Vermogen hafteten, das Risi-ko. Heute sind viele Unternehmen beteiligt, darunter auch Versicherungen.

Aufgabe der Versicherungsmathematik

Hauptaufgabe der Versicherungsmathematik ist es, mit Hilfe von Schatzungen uber die Eintritts-wahrscheinlichkeit von Schaden sowie uber das Ausmaß der eingetretenen Schaden geeignetePramien und Reserven zu berechnen. Erschwert wird dies durch die sehr lange Dauer mancherVersicherungsvertrage (etwa in der Lebensversicherung).

Risikoausgleich im Kollektiv

Risikoausgleich im Kollektiv funktioniert nach dem sogenannten Gesetz dergroßen Zahl. Voraussetzung dafur ist das Bestehen einer großen Anzahlgleichartiger Risiken, die voneinander weitgehend unabhangig sind.

Ein einfaches Beispiel

Das folgende, stark vereinfachte Beispiel soll die Funktionsweise des Risi-koausgleichs zeigen.

Angenommen, ein gewisser Schaden tritt pro Person mit einer Wahr-scheinlichkeit von 1% (in einem Jahr) ein und betragt dann 150.000 e. Derdurchschnittliche Schaden ist daher 1500 epro Person. Insgesamt sind100.000 Personen von diesem Schaden bedroht, und zwar unabhangigvoneinander. Wir betrachten zwei Situationen:

1. Die Betroffenen tragen den Schaden, falls er eintritt, jeweils selbst.2. Die Personen teilen sich die Schaden untereinander auf: Nach einem

Jahr wird der Gesamtschaden aller Personen, der einer Binomialvertei-lung folgt, zusammengerechnet, und jeder von ihnen zahlt genau ein100.000-stel des Gesamtschadens.

Die Abbildung zeigt das Ergebnis einer Million verschiedener, simulierterVerlaufe.

Häufigkeit der Schadenhöhen individuell

Schaden in Euro

Anz

ahl d

er B

eoba

chtu

ngen

0 50.000 100.000 150.000

050

0.00

01.

000.

000

Häufigkeit der Schadenhöhen im Kollektiv

Schaden in Euro

Anz

ahl d

er B

eoba

chtu

ngen

1300 1500 1700

050

.000

100.

000

150.

000

Man erkennt, dass im ersten Fall die Betrage sehr stark schwanken. Imzweiten Fall hingegen schwankt der Beitrag, den jeder der 100.000 Perso-nen leisten muss, nur noch gering, das Risiko ist beherrschbar. Tatsachlichliegt dieser Beitrag mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 95% zwischen1400 und 1600 e und in keinem einzigen von einer Million Simulationen lagder Beitrag uber 1750 e.

Genau das ist der Effekt des Risikoausgleichs: Der Durchschnittsschadenist zwar in beiden Situationen gleich, aber durch den Risikoausgleich gibtes nur noch geringe Schwankungen.

Institut fur Stochastik und WirtschaftsmathematikForschungsgruppe fur Finanz- und Versicherungsmathematik

Poster gestaltet von Christian Bayer (2005), aktualisiert von Srecko Mihaljevic (2015)