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5 . D E Z E M B E R 6 3 V . C H R .
D I E E R S T E V E R W E N D U N G D E R K U R Z S C H R I F T
Longe alia mihi mens est, patres conscripti, cum res atque
pericula nostra considero et cum sententias nonnullorum ipse mecum reputo.
Meine Meinung ist fern davon, Senatoren, wenn ich die Sache und die Gefahr für uns bedenke und wenn ich die Sätze einiger hier für mich selbst überdenke.1
Mit diesen Worten beginnt die erste Rede, über die berichtet wird, dass sie kurzschriftlich festgehalten
wurde. Gehalten wurde sie an den Nonen des Dezember im Jahr des Konsulats von Marcus Tullius Cicero und
Gaius Antonius Hibrida – oder in unserer heutigen Datierung am 5. Dezember 63 v. Chr. – im Tempel der
Concordia auf dem Forum Romanum. Es handelt sich dabei um die Antwort von Marcus Porcius Cato auf eine
Rede Caesars in der Senatsdebatte über das Schicksal von verhafteten Teilnehmern der V ers c hwöru ng
d es L uc ius S e rg ius C a t il in a .
Ende des Jahres 63 v. Chr. befand sich Rom im Aufruhr. Ende Oktober war bekannt geworden, dass der
Senator Lucius Sergius Catilina, der seit mehreren Jahren erfolglos versuchte, zum Konsul gewählt zu
werden und der hoch verschuldet war, mit zahlreichen Mitverschwörern einen Staatsstreich plante. Dazu
sollte Cicero, einer der beiden amtierenden Konsuln, ermordet, an mehreren Stellen Roms Feuer gelegt und
im entstehenden Chaos die Kontrolle den Senat und damit die Regierung übernommen werden. Um eine
geordnete Gegenwehr des Senats zu erschweren, hatte ein Vertrauter Catilinas in Etrurien (nördlich von
Rom, heute Toskana) einen Aufstand angezettelt. Für eine Festnahme von Catilina lagen zu dieser Zeit aber
noch keine juristisch ausreichenden Beweise vor. Mit der berühmten Ersten Catilinarischen Rede am
7. November 63 v. Chr. gelang es Cicero, Catilina so zu provozieren, dass dieser sich durch sein folgendes
Handeln selbst überführte:
Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? Wie lange noch, Catilina, willst du unsere Geduld missbrauchen?2
Catilina verließ kurz darauf Rom und schloss sich dem Aufstand in Etrurien an, weshalb er Mitte November
zum Staatsfeind erklärt wurde. Seine Mitverschwörer blieben jedoch in Rom zurück. Als sich die Bedrohung
durch die Verschwörung Anfang Dezember 63 v. Chr. jedoch zuspitzte, gelang es Cicero durch einen
Hinterhalt an schriftliche Beweise zu kommen, die Catilinas Mitverschwörer überführten. Am 5. Dezember
ließ er daher den Senat symbolträchtig im Tempel der Concordia, der Göttin der Eintracht,
zusammenkommen. Die Reden dieses Tages wurden nun zum ersten Mal mitprotokolliert. Mit seiner Vierten
Catilinarischen Rede forderte Cicero die Todesstrafe für die zwei Tage zuvor verhafteten Gefolgsleute
Catilinas – rechtlich befand er sich hiermit in einer Grauzone, worin Historiker den Grund für das
Sitzungsprotokoll sehen.
Zwar besaß Cicero durch einen Notstandsbeschluss des Senats quasi-diktatorische Vollmachten, war
gleichzeitig aber an ein Gesetz gebunden, das römischen Bürgern eine Aussprache vor dem Volk im
Angesicht einer drohenden Todesstrafe gewährte. Dies wollte Cicero aber unbedingt vermeiden, weil er
fürchtete, die Verschwörer könnten in diesem Fall das Volk gegen den Senat aufwiegeln. Nach einigen
Wortmeldungen sprach sich Caesar schließlich dafür aus, die Verschwörer nicht hinzurichten, sondern
1 Sallust, De Coniuratio Catilinae 52,1 2 Cicero, Oratio in Catilinam I 1,1
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stattdessen lebenslänglich zu inhaftieren. Dieser Meinung schlossen sich nach und nach immer mehr
Senatoren an – zur größten Besorgnis Ciceros, der für diesen Fall eine spätere Befreiung der Verschwörer
befürchtete. Die entscheidende Wende in der Debatte gelang schließlich Marcus Porcius Cato, dessen Wort
aufgrund seiner familiären Herkunft großes Gewicht hatte. Er forderte die Hinrichtung der Verschwörer, da
dies auch die Sitte der Vorfahren, die mos maiorum, gewesen sei – was im antiken Rom sehr hohe Bedeutung
hatte. Obschon auch die vor dieser gehaltenen Reden mitgeschrieben worden sein dürften, wird über die
Rede Catos erstmalig explizit berichtet, dass sie mitstenographiert wurde. Zu finden ist dies in der Cato-
Biographie des griechischen Biographen Plutarch aus dem frühen 2. Jahrhundert n. Chr.:
Diese ist die einzige von Catos Reden, von der man sagt, dass sie überliefert wurde; denn der Konsul Cicero hatte zuvor mehrere der erfahrensten und schnellsten Schreiber im Senatssaal platziert, denen er zuvor beigebracht hatte, mehrere Worte in einigen kurzen Strichen darzustellen. Bis zu jenem Zeitpunkt waren solche nie benötigt worden, die wir heute K u r z s c h r i f t s c h r e i b e r nennen. Diese, so wird gesagt, wurden damals das erste Mal eingesetzt.3
Nachdem die Gefangenen noch am selben Tag hingerichtet wurden, versuchte Catilina mit seinem Heer aus
Etrurien nach Gallien zu entkommen, wurde aber im Januar 62 v. Chr. nördlich von Florenz von einem Heer
des Senats gestellt und in der darauf folgenden Schlacht getötet.
In Plutarchs Cato-Biographie findet sich sowohl eine Beschreibung der Funktionsweise der Kurzschrift als
auch eine Angabe über ihre erstmalige Verwendung. Die von ihm beschriebene Kurzschrift wurde von
Ciceros Privatsekretär und Sklaven Tiro entwickelt und nach ihm als „ Ti ron is c h e Not en “ benannt. Das
System wurde ab diesem Zeitpunkt nicht nur für die Protokollierung von Senatssitzungen, sondern auch für
viele weitere Gelegenheiten genutzt und wurde zu einem wichtigen Teil der antiken Schreibausbildung. Aus
dem 5. Jahrhundert ist eine Auflistung von über 13 000 Zeichen bekannt. Das System blieb auch nach dem
Ende des Römischen Reiches in Benutzung und wurde insbesondere zum Kommentieren und Korrigieren
von Handschriften verwendet, da es extrem platzsparend war – auf teuren Schreibunterlagen und
begrenztem Platz ein unschlagbarer Vorteil im Vergleich zur „Langschrift“. Ab dem 10. Jahrhundert ließ die
breitere Verwendung jedoch nach, auch wenn einige Zeichen noch länger verwendet wurden. Der Grund
dafür könnte in der Entwicklung einfacher lesbarer Minuskelhandschriften in Kombination mit der
Herausbildung eines umfangreichen Abkürzungssystems für die Langschrift liegen, was das extrem
aufwändige Erlernen der Tironischen Noten überflüssig machte. Bis heute hat sich in Irland jedoch das
tironische Zeichen für „et“ (lat. „und“) - ⁊ - anstelle der Ligatur „&“ erhalten, im Deutschen fand es bis ins
19. Jahrhundert im Fraktursatz in der Abkürzung „⁊c.“ für „etc.“ Verwendung.
Wer mehr über die Umstände der Verschwörung des Catilina wissen möchte, dem sei zum einen die Lektüre
der antiken Quellen – insbesondere Ciceros vier Catilinarische Reden und Sallusts De Coniuratio Catilinae –
zum anderen Robert Harris‘ Cicero-Trilogie (Imperium, Titan, Dictator) – eine aus der Sicht Tiros verfasste
Roman-Biographie Ciceros – ans Herz gelegt.
3 Plutarch, , Cato d. J. 23,3 – 23,5