deutsche charaktere und begebenheiten

285
Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by Jakob Wassermann This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Deutsche Charaktere und Begebenheiten Author: Jakob Wassermann Release Date: April 26, 2006 [EBook #18258] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DEUTSCH CHARAKTERE *** Produced by Markus Brenner and the Online Distributed Proofreading Team at http://dp.rastko.net Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 1

Upload: sabo-doru-cosmin

Post on 18-Feb-2015

45 views

Category:

Documents


0 download

DESCRIPTION

Deutsche Charaktere und Begebenheiten

TRANSCRIPT

Page 1: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Deutsche Charaktere undBegebenheiten, by

Jakob Wassermann This eBook is for the use of anyoneanywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever.You may copy it, give it away or re-use it under the terms of theProject Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org

Title: Deutsche Charaktere und Begebenheiten

Author: Jakob Wassermann

Release Date: April 26, 2006 [EBook #18258]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOKDEUTSCH CHARAKTERE ***

Produced by Markus Brenner and the Online DistributedProofreading Team at http://dp.rastko.net

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 1

Page 2: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Deutsche Charaktere und Begebenheiten

Gesammelt und herausgegeben von Jakob Wassermann

S. Fischer, Verlag, Berlin 1915

Mit elf Abbildungen.

Alle Rechte vorbehalten, besonders die der Übersetzung. Erstebis vierte Auflage.

[Illustration: Hochzeitsfeier im Jahre 1548, nach einemBildteppich im Kunstgewerbemuseum zu Berlin.]

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Szene zwischen Friedrich dem Großen und Ziethen . . . . . 23nach Vehse

Böttiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 nach Vehse undSchmieder, Geschichte der Alchimi

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 2

Page 3: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Moritz von Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 nach Vehse

Wallenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 nach Vehse

Leonhard Thurneyßer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 nach Vehseund Dr. Möhsen

Danckelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 nach Vehse

Kaiser Rudolf II. und sein Hof . . . . . . . . . . . . . 131 nach Vehse

Hochzeit Fräulein Reginens, Herrin von Tschernembel, mitHerrn Reichard Strein . . . . . . . . . . . . . . . . 145 nach Hohenecks»Stände Östreichs ob der Ems«

Friedrich Wilhelm I. von Preußen . . . . . . . . . . . . 148 nach Vehse

Joachim Nettelbeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 nach seinerAutobiographie

Christian Holzwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 nach dem NeuenPitaval

Karl August von Weimar . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 nach Vehse,Briefen Eckermanns Gesprächen mit Goethe

Vorwort

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 3

Page 4: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Die folgende Zusammenstellung deutscher Schicksale undEreignisse ist zum größten Teil bereits vor drei Jahrenabgeschlossen gewesen, ich hatte aber die Veröffentlichung indem Gefühl verschoben, daß ein solches Buch mehr als einanderes von einem Bedürfnis gefordert werden müsse. Dergegenwärtige Krieg, den wir Deutsche als einen Nationalkriegempfinden, macht es zur Pflicht, in der Erinnerung des Volkesdie Bilder einiger seiner merkwürdigsten Männer wachzurufen.Es kam darauf an, das festzuhalten, was im allgemein Gültigenzugleich das begrenzteste Persönliche gibt; darum mußte ich denursprünglichen Plan des Werkes verändern und diejenigenLebensbeschreibungen, Erzählungen und Anekdoten entfernen,die mehr Romanhaftes und Interessantes hatten alsExemplarisches, mehr äußeren Bezug als inneren, mehrOberfläche als Gehalt. Die Darstellung ist nicht die meine, sie istzumeist wörtlich die der Historiker und der Quellen, die imInhaltsverzeichnis namentlich angeführt werden; ich habe dasMaterial übernommen, wie es sich bot, mit keinem andernMaßstab messend, als mit dem der fühl- und spürbaren Wahrheitund Wahrscheinlichkeit, nur nach dem Gesichtspunkt ordnend,den ein natürlicher Überblick ergab. Den außerordentlichenSchicksalen, dient nur das Wort treu ihrem Verlauf, wohnt sovielÜberzeugungskraft von selber inne, daß Stilkünste sie nurverschleiern und verzerren können, und wenn irgendwo, gilt hierder Feuerbachsche Ausspruch: Stil ist die Weglassung desUnwesentlichen. Es ist dieselbe Prozedur, die von derGeschichte, der Überlieferung in den meisten Fällen sogesetzmäßig und methodisch besorgt wird, wie von einem Strom,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 4

Page 5: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

der alles trübe Gemengsel und unreinen Stoffe alsbald an dieUfer schwemmt oder auf den Grund sinken läßt.

Ich habe es auch unterlassen, zwischen den losen Stücken durchAusdeutung oder Betrachtung künstliche Brücken herzustellen;das Gemeinsame liegt in ihrem Geist und Wesen, die scheinbareWillkür in der Wahl kann sich nur auf einen Zwang derPhantasie berufen, die Entscheidung gab allein ihre deutscheHerkunft und deutsche Beschaffenheit.

Unabweisbar drängt sich hier die Frage auf: Was ist eindeutscher Charakter, was ist ein deutsches Schicksal, was ist eindeutsches Ereignis?

* * * * *

Spreche ich vom Deutschen schlechthin, so postuliere ich eineGestalt, die aus der Erfahrung gezogen und zur Idee gesteigertist; als solche schließt sie eine Summe von Eigenschaften in sich,welche sowohl dem Wesen des Volkes als Ganzes zukommen,als auch dem uns überlieferten Bilde repräsentativer Männerentsprechen. Den Maßstab hierzu liefert mir das lebendige undfließende Element der Geschichte. Indem sie mir einezergliederte, beseelte Nachricht über das Ereignis gibt, wie auchüber die Personen, die in ihm eine Rolle gespielt haben, erlaubtsie mir zugleich, Ereignis und Figur zu deuten, in freierBetrachtung zu erweitern und zu verallgemeinern. Das Gesetzbegreifen, das Schicksal fühlen, die auf dem von der Menschheit

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 5

Page 6: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

bisher beschrittenen Weg gewaltet haben, ist das einzige Mittel,die Wege ihrer Zukunft wenigstens flüchtig und ahnend zuerleuchten.

In diesem Sinne hat man vom deutschen Charakter zu reden undihn als ein Umgrenztes und Unterscheidendes zu erklären. Eswäre nicht einmal notwendig, auf Stammeseigentümlichkeiten zuverweisen, auf ausgebildete und in jeder Landschaft andersgeartete Merkmale der Sprache, auf die Landschaftsformenselbst, auf die wechselnden Lebensbedingungen, das größereoder geringere Maß von Freiheit, von Wohlfahrt, vonBegünstigungen, die die Natur gewährt oder die durchvornehmliche Kraft, Tapferkeit, durch Fleiß oder Glückerworben wurden; man kann in einem so reichen, ja unendlichscheinenden Organismus, wie es eine Nation ist, eine unendlicheVielfalt und Variabilität der Lebenskristallisationen feststellen,und doch wird die Nation in ihrer Gesamtheit gegen eine andere,sei es auch benachbarte, sogar verwandte Nation ein völligverschiedenes Lebens- und Wesensbild zeigen. Es eignet ebenjeder Nation, genau wie jedem einzelnen, ihr besonderesFundament, ihre besondere Willenskraft, ihre besonderen Ziele,und in der Zusammenfassung erleidet sie jenes Schicksal, zu demihr Charakter den Grund legt.

Der Deutsche ward nicht in einem Garten geboren, die Natur hatihn nicht verschwenderisch beschenkt. Die Berichte aus derVorzeit erzählen schon von dem rauhen Klima und der Kargheitdes Landes, das seine Bewohner zu unermüdlicher Arbeit

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 6

Page 7: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

aufforderte und durch Überfluß nicht verwöhnte. Seitdem ist dieErde williger geworden, die Atmosphäre milder, aber die Fülleoder nur die unerwartete Gabe hat der Bauer nie erfahren, derGärtner, der Obstzüchter nie; genau nach dem Maß seines Tunsward ihm gelohnt.

Das Leben des Urvolks war gewiß dem Kindheitszustand allerandern Völker ähnlich; an den Grenzen finden die Feinde nurwenig natürliche Hindernisse; kriegerische Horden, von Ostenund Westen her eindringend, zerstampfen die Saaten, verwüstendie Siedlungen; kann der Aufruf des Fürsten Bewaffnete genugerreichen und sammeln, so zieht er dem Bedroher entgegen undstellt ihn in freier Feldschlacht; ist er zu solchem Unternehmenzu schwach, so verschanzen sich die Mannen in ihren festenPlätzen. Immerhin mußte der Deutsche als Bewohner desHerzlands Europas mehr als andre drauf gefaßt sein, daß alles,was er baute und schuf, was er säte und sparte, was er liebte undschmückte, seine Bäume und sein Vieh, sein Heim und seineKinder, sein Land und alle Werke darin, die Beute vonschweifenden Eroberern wurde.

Aber da eine feste politische Grenze nicht vorhanden war, konntejeder Nachbar jederzeit zum Gegner, der Freund von gestern zumFeind von morgen werden. Die Folge davon, eine immer größereZerstückelung des Gebiets, eine beständige Lostrennungeinzelner Teile, die sich dann zu selbstwilligen und derGesamtheit trotzig entgegengesetzten Interessensphärenentwickeln, trat gar bald ein und enthüllte sich als ein nationales

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 7

Page 8: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Unglück. Um das Jahr 1200 war ganz Deutschland derSchauplatz aufreibender egoistischer Kämpfe und einesFaustrechts, das jeden Besitz und jede friedliche Arbeitgefährdete. Um ihren Handel zu schützen, auf welchem allein derWohlstand, ja die Existenz des Bürgertums beruhte, mußten dieStädte zu Mitteln greifen, die sie auch als wehrhafte Macht inAchtung setzten, und nach und nach wurde jede Stadt, auch dienicht reichsfreie, zu einer Art von Republik. Da entstand nun dieschönste und eigentümlichste Blüte der Volkskraft, einbeständiges inneres Wachstum bis in die Zeit der Reformation.Die großen Schwurgesellschaften übernahmen den Schutz desPrivatlebens und ersetzten so den Staat, alle einzelnen traten inGenossenschaften zusammen, und diese wieder standen durchBünde gegeneinander.

Drohende Gefahr macht Wachsamkeit zur ersten Tugend.Ordnung muß die Vielzahl ersetzen, Zucht ist das Gebot, das dieFreiheit fördert. Der Mann ist König in seinem Haus, Diener inbrüderlichen Verbänden. Nur Arbeit verleiht Würde, nurBewährung einen Vorrang, und ohne Hingebung an eine Sachewird der Geist für nichts geachtet. Wenn aber der Geist sich zurSachlichkeit gesellt, entsteht die Idee, die das Individuum formtund das Gemeinwesen entwicklungsfähig macht. Welche Wegeauch immer der Ritter, der Junker, der Gutsherr, der Bauereinschlug, die Zukunft der Nation lag in den Händen desBürgers.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 8

Page 9: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Fast jede Stadt hatte etwas trotzig Ernstes, ja Finsteres; ihreHäuser drängten sich wie Männer, die Achsel an Achsel stehen,so dicht zusammen, daß für ein Blumenbeet der Raum nichtblieb. Die spitzgiebeligen Dächer erschienen als Wahrzeichender zur Höhe gedrängten Kraft, die engen Gassen gaben dasGefühl der Umschlossenheit, und alles Schmuckwerk wuchsgleichsam aus der Not: die Zierlichkeit massiver Gitter, diegeschwungenen Steinquadern unerschütterlicher Brücken, dieFeinheit und zarte Gliederung erhabener Dome, derenursprünglich fremde Formen dem deutschen Leben und Wesenimmer mehr zu eigen wurden.

Während alle andern abendländischen Völker verhältnismäßigfrüh zur Bildung eines staatlichen Organismus gelangten, wardies bei den Deutschen erst im Verlauf des neunzehntenJahrhunderts der Fall. Deutsche Zerrissenheit war das Merkwort,mit dem sich der Deutsche selbst in die Unabänderlichkeit einesWeltzustandes ergab. Dies ist eine Tatsache, deren Grund zuerforschen sich wohl lohnt.

Nach allem, was wir von dem Volk der Germanen wissen,scheint es, als ob ihr religiöses Leben durch den Eintritt in dasChristentum eine bedeutende Störung erlitten, als ob einenatürliche Entfaltung ihrer religiösen Anlage ein andres Ergebnisgehabt hätte als das durch die Geschichte hervorgebrachte.Darauf läßt namentlich die immer wieder zutage tretendeAbneigung der Deutschen gegen den Klerus, gegen das Papsttumund seine unumschränkte Gewalt schließen. Der Papst strebte

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 9

Page 10: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

nach Weltherrschaft; ein Weltimperium zu schaffen war auch dertiefe Wille der Deutschen; ist es nicht denkbar, daß dieeingeborne Macht dieser Idee dadurch gebrochen worden ist, daßdie Kaisergeschlechter der Salier, Franken und Schwaben eineArt Kompromiß schlossen, indem sie eine römischeWeltherrschaft auf deutschem Boden gründen, die Nation in einrömisches Kaisertum verwandeln wollten? Es war dies einepoetische Idee und nicht eine politische, und darin liegt dasVerhängnis, darin der Irrtum, der Stillstand, die Unfruchtbarkeit.Der Zug über die Alpen: das romantische Abenteuer; Italien, diezweite Heimat, Provinz des Lichtes und der Schönheit, der holdeTraum, die Lockung der Jahrhunderte.

Immer wieder setzen die Kräfte an diesem Punkte an, immerwieder brechen sie hier. Es lebte im Volk ein unbeirrbarer, bisins Unbewußte gedrungener Glaube, daß es die Herrenrolle inEuropa wieder übernehmen werde, die nach altenÜberlieferungen die Ahnen der Vorzeit innegehabt; aber dieseÜberzeugung kam stets nur in den Leistungen und Werkeneinzelner zum Ausdruck und entbehrte dann auch nicht derSchwermut und Klage; das Staatswesen schien davon unberührtzu bleiben. Während die Reformation, diese deutschesteBewegung in der deutschen Geschichte, die langersehnte geistigeBefreiung schafft, findet der Staat im Kaiserhaus selbst einenFeind, der ihn beständig an Rom und an die Romanen verrät, unddie Hoffnung der Freien und Befreiten wird durch denDreißigjährigen Krieg, das größte Unglück, von welchem je einVolk getroffen wurde, erstickt. Langsam sammeln sich die Kräfte

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 10

Page 11: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

wieder; es ist ein erhabenes Zeugnis für die der Nationinnewohnende Tüchtigkeit und Kraft, daß sie kaum einesJahrhunderts bedarf, um zu einer Blüte der Bildung und desgeistigen Lebens zu gelangen, wie sie die Geschichte keinesandern Volkes kennt, eine Blüte allerdings, die nach GustavFreytags tiefem Wort die wundergleiche Schöpfung einer Seeleohne Leib ist.

Erst mit dem Heraufkommen des preußischen Staates kündigtsich eine neue und verheißungsvolle Periode des nationalenLebens an. Ein neues Lebensgesetz wird von den einzelnenergriffen und bindet sie. Gleichsam gereinigt in der Glut geistigerErlebnisse, vor einen reinen Spiegel hingestellt durch das Genieder Dichter, das Beispiel großer Feldherrn, großer Fürsten undim wahren Sinn protestantischer Volksfreunde, erkennen dieFührer, erkennt das Volk die Notwendigkeit politischerSammlung und finden den Weg, das Ideal praktisch zuverwirklichen. Alte Instinkte trotziger Selbständigkeit werdenniedergezwungen und dem Allgemeinen dienstbar gemacht,schädliches Fremdes wird ausgeschieden, nützlich und tüchtigFremdes angeschmolzen.

[Illustration: Ziethen, nach einem Stich von Townley.]

In preußischer Zucht und Schule wächst das neue Deutschlandzur Erkenntnis und zur Erfüllung seiner Aufgabe heran. Dortvollzieht sich die Sonderung, die Wandlung, derZusammenschluß. Ein König, dessen unerschütterliche Energie

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 11

Page 12: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

im Bewahren, Sammeln und Vorbereiten ihn zum Werkzeug desSchicksals und zum wahren Zimmermann der Fundamentemacht, gibt aus scheinbar bürgerlicher Enge das ungeheure Wortvon der Suveränität, die er als einen #rocher de bronze# statuiere,und ein Philosoph in ebenso scheinbarer bürgerlicher Engeformuliert den kategorischen Imperativ als Stützpunkt einer dieganze moderne Welt überwölbenden Moral- und Sittenlehre.

Friedrich der Große war dann der Gestalter, wenn auch nicht derVollender, die Verkörperung wesentlicher politischer undorganisatorischer Eigenschaften, mit denen die neue Zeit ihreArbeit beginnen konnte. Vielleicht war ihm am Ende seinerunvergleichlichen Laufbahn noch nicht einmal bewußt, wie sehrer Bürger war, indem er König war. Und da seine Taten ihn zumHelden machten, schuf er eben dadurch, daß er König undBürger zugleich war, einen neuen Begriff des Heroischen, derdurch seine Einfachheit und Menschlichkeit vorbildlich wurde.In ihm hat das deutsche Gesicht seine krönende Gültigkeiterhalten und seinen beredtesten Ausdruck.

Das deutsche Gesicht! Es schwebt mir Christoph AmbergersBildnis eines Augsburger Patriziers vor, und Holbeins Bildnisdes Bürgermeisters Meyer, und Lukas Cranachs Bildnis einesalten Mannes; ich denke an Luthers Gesicht, an Keplers Gesicht,an Scharnhorsts und Nettelbecks Gesicht, an Sebastian Bachsund an Moltkes Gesicht; es sind immer dieselben Züge wie dievon Brüdern und Gefährten in der Reihe der wechselndenGeschlechter.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 12

Page 13: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Sie wissen den Tod, ohne ihn zu sehen, sie spüren ihn, ohne ihnzu fürchten. Wie der Tod innerstes Gefühl wird, ist in demDürerschen Porträt des Patriziers Oswald Grell über alleBeschreibung wahr ausgedrückt, neben einem Antlitz vonfeierlich ernster Versunkenheit ist eine Landschaft mit zartenBäumen hingesetzt wie die Vision einer höheren Welt.

Was macht ihr Auge so schön, so merkwürdig? Ist es dertraumvolle Blick, der dennoch im Lichte badet, die Güte ohneWeichheit, die Strenge ohne Härte? Oder das Wissen ummenschliche Dinge, um die deutsche Not, die Menschennot? Eswohnt ein Horchen in ihm, wie durch Stimmen aus der Überwelterzeugt, ein ungewisser Schimmer, der auf Vertrautheit mit denletzten Entscheidungen des Schicksals deutet. Im Schluß derLippen liegt ein bewältigter Zorn, der sich bald in Trauer wendenmag, oder eine Stille, die die Resignation trotzig ablehnt; dieNase ersteht aus Gruben, die von Seelenleiden ausgehöhlt sind,und um die Schläfen zuckt es wie Nachgewitter vonLeidenschaften, die gegen die Mitte der Stirne hin sich in einenSee ruhiger und reiner Gedanken auflösen.

Dem Deutschen ward verliehen, die Dinge zu sehen und durchdie Dinge hindurch sich in ein Verhältnis zu Gott zu begeben.Zwischen ihm und Gott steht das Ding; das Ding wird sein eigenoder Gott wird sein eigen, er wird Gottes oder auch des Dinges.Symbolisch groß sieht man deshalb auf der DürerschenMelancholia eine Leiter, eine Sanduhr, einen Zirkel, einenWürfel, ein Winkelmaß und manche andere »Dinge«.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 13

Page 14: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

In vielen deutschen Märchen ist der schlummernde Königssohn,der Schläfer, Siebenschläfer, Scheinschläfer eine Figur wie ausSelbstanklage und dunkler Verheißung gewebt. Leicht versankder Deutsche in sich selbst, verlor sich, vergaß sich, verspieltesich, versäumte die Stunde, die Gelegenheit, die Tat. Kehrte eraber einmal sein Inwendiges nach außen, so war seine Tat soheftig, wie vorher der Traum von ihr glühend. Es mußte aber einUnbedingtes sein, ein Höheres, gleichsam nicht mehr das Ding,sondern Gott, was ihn wandelte. Dann bot er sich zum Opfer an,und das Opfer war ihm selbstverständlich, die eigene Person stetsder Preis, den er ohne Prahlerei, mit vollkommener Einfachheitdes Gemütes einsetzte.

Niemand kann kleiner sein als der Deutsche, wenn ihn dieAlltäglichkeit beherrscht, niemand platter und lichtloser;niemand aber auch größer, wenn das Unbedingte an ihnherantritt, das Pathos großer Ereignisse ihn hinaufreißt. In keinerSprache gibt es ein Wort, das den Zustand unnützer undspielerischer Wehrhaftigkeit so in den Bereich des Komischenstellte wie das Wort Spießbürger; aber in keiner auch ein Wort,das höchste Tugend so karg und metallen ausdrückte, wie dasWort Held. Spießbürger und Held, das sind die Pole deutschenLebens, und daß aus einem Spießbürger ein Held werden kann,hat der Deutsche in jeder Stunde der Gefahr bewiesen. Hierzubrauchte er nur den Glauben an die Gerechtigkeit der Sache; esdurfte nur der Sache nichts Erschlichenes anhaften, nichtsKünstliches, nichts Verfeinertes, nichts Advokatisches; sie mußtesozusagen rauh und urtümlich sein und ihn im Mittelpunkt des

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 14

Page 15: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Herzens treffen, dann wurde sein Herz zum Mittelpunkt derWelt.

Seine Anteilnahme kann bis zur Unbequemlichkeit lärmen, dochseine Begeisterung ist fast immer von stiller Art. RomanischenVölkern eignet oft eine Begeisterung ohne Tiefe, eine müßigeund eitle, der begleitenden Tat ermangelnde; deutscheBegeisterung ist wie Essenfeuer; Hammer und Amboß, Huf undSchwert sind nicht weit davon entfernt. Der still Begeisterte,mehr Erglühte als Entflammte, das ist der Mensch, der desFanatismus nicht fähig ist, und die Zustände jenseit derSelbstbesinnung finden wir beim Deutschen mehr im Gebiet desReligiösen und rein Geistigen, der Mystik und desProphetentums, als in dem der Politik und des gemeinen Lebens.

So ist auch das Exzentrische dem deutschen Wesen fremd; seineAnlage ist konzentrisch. Er ist gefaßt; er weiß um seine Grenzen,wennschon sein Verlangen stets nach dem Grenzenlosen geht. Erist beschaulich, bleibt aber nicht im Bilde ruhen, sondern verirrtsich gern in die Labyrinthe der Spekulation. Alles muß für ihnBezug haben, Verbindung, Folge, -- insoweit es das Geistigebetrifft; daher seine Schwerfälligkeit, seine Pedanterie, seinRespekt vor dem Wissen, sein Zuviel an Schulbildung, seinMangel an Glätte, an Schmiegsamkeit und an Manier. Insoweites aber das Gemüthafte betrifft, braucht er keinen Bezug undachtet keine Folge; da wird ihm die Welt zum einheitlichenGebilde, das Schicksal ein gerechter Herr, und in seiner Seele istdie Menschheit.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 15

Page 16: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Wichtig vor allem ist ihm die Scholle; erstes Gesetz, dieHantierung, die er gelernt, zur Vollkommenheit auszubilden;einem Herrn zu dienen Bedürfnis und Freude; einen großenGedanken in seiner Brust zu hegen und zu wärmen beinaheKultus. In den Zeiten seiner politischen Unreife übersah er, daßdie Scholle nur ein winziger Teil des Ganzen ist und segensvollergedeiht, wenn auf der Nachbarscholle nicht der beargwöhnteGegner, sondern der mitwirkende Freund haust; bedachte ernicht, daß die Hantierung vom Allgemeinen aus- und zumAllgemeinen zurückgehen muß, damit ineinanderwachsendeKräfte durch Überlieferung erstarken und erblühen können undnicht das einzelne vereinzelt mit sich selber stirbt; mißkannte er,daß es keinen Herrn gibt, der nicht der Diener seiner Diener ist;versäumte es, sich zum Herren seiner Herren zu machen und so,im Geflecht von Ordnung und Herrschaft, von Bürgerpflichtenund Herrenrechten, von Herrenpflichten und Bürgerrechten dasglückliche Glied eines glücklichen Volkes zu werden.

Dies ist anders geworden. Es war ein Prozeß, so schwierig undlangwierig, daß die Besten immer wieder an ihrer Hoffnungverzweifelten und das Blut edler Märtyrer vergeblich geopfertschien. Der Prozeß ist gewonnen. Das verflossene Jahrhunderthat die deutsche Nation wiedergeboren, sie aus romantischerDämmerung an den lichten Tag der Geschichte geführt und ihr,in Pflicht und Liebe, in Neigung und Interesse das Reich derRealität geöffnet. »Der Realismus, welchen man rühmend oderzürnend die Signatur der Gegenwart nennt,« sagt Gustav Freytag,»ist in Kunst und Wissenschaft, im Glauben wie im Staate nichts

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 16

Page 17: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

als die erste Bildungsstufe einer aufsteigenden Generation,welche das Detail des gegenwärtigen Lebens nach allenRichtungen zu vergeistigen sucht, um dem Gemüt neuen Inhaltzu geben.«

Der Deutsche hat die ihm gemäße Art von Politik gefunden; ichmöchte sie die Politik des unbeirrbaren Triebes nennen; diePolitik der Entfaltung, der Erkenntnis und der Bestimmung. Siekann der Winkelzüge, der veralteten Rezepte und geheimenWege entraten, da sie auf den natürlichen Rechten des Geistesund Herzens ruht, nicht auf willkürlichen Machenschaften,sondern auf einer Notwendigkeit und einer welthistorischen Idee.

Der Siebenschläfer, aufgewacht ist er ja längst, hat sich aufdiesem Planeten ein gewaltiges Haus gebaut. Gestern ist es unterDach gebracht worden. Schon grüßen die Tannenreiser vomFirst.

Szene zwischen Friedrich dem Großen und Ziethen

Nach dem glücklich beendeten Siebenjährigen Krieg sahFriedrich unter seinen Tischgenossen vorzüglich gern den altenGeneral Ziethen. Wenn gerade keine fürstlichen Personenzugegen waren, mußte Ziethen immer an der Seite des Königssitzen. Einstmals hatte er ihn auch zum Mittagessen amKarfreitag eingeladen, aber Ziethen entschuldigte sich; er könnenicht erscheinen, weil er an diesem hohen Festtag immer zum

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 17

Page 18: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

heiligen Abendmahl gehe und dann lieber in seiner andächtigenStimmung bleibe; er dürfe sich darin nicht unterbrechen undstören lassen. Als er das nächstemal zur königlichen Tafel inSanssouci erschien und die Unterredung wie stets einen heiteren,fröhlichen und geistreichen Gang genommen hatte, wandte sichder König mit scherzender Miene an seinen Nachbar. »Nun,Ziethen,« sagte er, »wie ist Ihm das Abendmahl am Karfreitagbekommen? Hat Er den wahren Leib und das wahre Blut Christiauch ordentlich verdaut?« Ein lautes spöttisches Gelächterschallte durch den Saal der fröhlichen Gäste. Der alte Ziethenaber schüttelte sein graues Haupt, stand auf, und nachdem er sichvor seinem König tief gebeugt, antwortete er mit fester Stimme:»Eure Majestät wissen, daß ich im Kriege keine Gefahren fürchteund überall, wo es darauf ankam, für Sie und das Vaterland meinLeben gewagt habe. Diese Gesinnung beseelt mich auch heutenoch, und wenn es nützt und Sie es befehlen, lege ich meinenKopf gehorsam zu Ihren Füßen. Aber es gibt einen über uns, derist mehr als Sie und ich und mehr als alle Menschen, das ist derHeiland und Erlöser der Welt, der für Sie gestorben und uns allemit seinem Blut teuer erkauft hat. Diesen Heiligen lasse ich nichtantasten und verhöhnen, denn auf ihm beruht mein Glaube. Mitder Kraft dieses Glaubens hat Ihre brave Armee mutig gekämpftund gesiegt. Unterminieren Eure Majestät diesen Glauben, sounterminieren Sie die Staatswohlfahrt. Das ist gewißlich wahr.Halten zu Gnaden.«

Die Tafelgesellschaft war totenstill geworden. Der König warsichtbar ergriffen. Er erhob sich, reichte dem General die rechte

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 18

Page 19: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Hand, legte die linke auf seine Schulter und sagte: »GlücklicherZiethen! Möchte ich es auch glauben können! Ich habe allenRespekt vor Seinem Glauben. Bewahre Er ihn. Es soll nichtwieder geschehen.«

Kein Mensch hatte den Mut, ein Wort weiter zu reden. Auch derKönig fand zu einem andern Gespräch keinen schicklichenÜbergang, er hob die Tafel auf und gab das Zeichen zurEntlassung. Dem General Ziethen befahl er: »Komme Er mit inmein Kabinett.«

Böttiger

Unter die große Zahl merkwürdiger Männer, die das achtzehnteJahrhundert in Deutschland hervorbrachte, gehört auch JohannFriedrich von Böttiger, der zufällige Erfinder des Porzellans.Böttiger war ein geborener Sachse; er ward geboren zu Schleizim Vogtlande, wo sein Vater bei der Münze angestellt war. Daseine Mutter sich zum zweitenmal mit dem magdeburgischenStadtmajor und Ingenieur Tiemann verheiratete, erhielt erfrühzeitig Unterricht in der Mathematik und in derFortifikationskunst, zeigte aber eine auffallende Neigung zurChemie. Schon mit zwölf Jahren kam er als Lehrling in dieZornsche Apotheke nach Berlin, wo er sich sofort aufsGoldlaborieren legte. Er wurde dabei durch den berühmtenJohann Kunkel aufgemuntert, der im Zornschen Haus verkehrteund von dem jungen Menschen so bezaubert war, daß er überall

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 19

Page 20: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

seine Talente und Kenntnisse rühmte.

Um diese Zeit reiste ein großer Unbekannter durch Europa, derunter mancherlei Namen und vielfach verkleidet auftrat. Erschien kein anderes Ziel zu haben, als die Ehre der Alchimie zuretten, und verwendete darauf ungeheure Summen, wenn auchmit großer Vorsicht. Wenn die Transmutationen nach seinenAngaben versucht wurden und Aufsehen erregten, war er immerschon weit entfernt und durch Namenwechsel unerreichbargeworden. Er kehrte nicht leicht dahin zurück, wo er schongewesen, oder doch in ganz veränderter Gestalt. DieserUnbekannte, welcher Goldsamen ausstreute, bezeichnete sich,wenn man nach Pässen und dergleichen fragte, als einengriechischen Bettelmönch und nannte sich Laskaris; er wollteArchimandrit eines Klosters auf der Insel Mytilene sein undführte als solcher auch ein Beglaubigungsschreiben desPatriarchen von Konstantinopel mit sich. Da er das Griechischevollendet sprach und sich auch sonst keine Blöße gab, wurdeseinen Angaben geglaubt, und man war sogar geneigt, ihn füreinen Abkömmling der kaiserlichen Familie Laskaris zu halten.Er sammelte Almosen zur Loskaufung von Christen, die intürkische Gefangenschaft geraten waren, allein man wolltebemerkt haben, daß er weit mehr an die Armen verschenkte, alsihm die Kollekte eintrug, und demnach mochte es ihm mit seinerMission wenig ernst sein. Die Nachrichten über ihn beruhen aufdem Zeugnis glaubhafter Personen, die ihn als einen Mann vongefälligem Betragen schildern, sehr unterrichtet und voll vonInteressen, was eher auf einen gebildeten Abendländer, als auf

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 20

Page 21: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

einen morgenländischen Klosterbruder schließen läßt.

Als der geheimnisvolle Fremde im Jahre 1701 nach Berlin kam,erkundigte er sich bei dem Gastwirt, ob es in Berlin auchAlchimisten gebe. An dergleichen Narren sei kein Mangel,antwortete treuherzig der Wirt und nannte unter anderen denApotheker Zorn. Der Fremde ging bald darauf in die ZornscheOffizin und fragte nach einem chemischen Medikament. DerProvisor befahl einem Gehilfen, den Laboranten zu rufen. Eserschien ein junger Mensch, der Lehrling Böttiger. Auf die Fragedes Fremden, ob er dem Laboratorium vorstehe, weil man ihnden Laboranten nenne, erwiderte er gutmütig lachend, man tuedies zum Spaß, weil er in seinen Nebenstunden zuweilenchemische Experimente mache. Dem fremden Herrn gefiel derJüngling, und zur Einleitung einer näheren Bekanntschaft trug erihm auf, ein Antimoniumpräparat herzustellen und ihm dieses insGasthaus zu bringen.

Als Böttiger das bestellte Präparat brachte, plauderte der Fremdemit ihm. Böttiger wurde zutraulich und gestand, daß er denBasilius Valentinus besitze und unverdrossen nach ihm arbeite.Er wiederholte seine Besuche und gewann die Gunst desFremden immer mehr. Als dieser endlich abreisen wollte und diePferde schon warteten, ließ er Böttiger noch einmal rufen underöffnete ihm, daß er selbst das große Geheimnis besitze, undschenkte ihm zwei Unzen von seiner Tinktur, mit derAnweisung, daß er noch einige Tage davon schweigen, dann aberdie Wirkung der Tinktur zeigen möge, wenn er wolle, damit man

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 21

Page 22: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

in Berlin die Alchimisten nicht mehr Narren schelte.

Nach der Entfernung des Fremden säumte Böttiger nicht, sichvon dem Wert des Geschenks zu überzeugen. Bald zeigte er denGehilfen, die ihn bis dahin verspottet hatten, gutes Gold alsProdukte seiner Kunst und sagte, er sei entschlossen, diePharmazie aufzugeben, nach Halle zu gehen und Medizin zustudieren. In der Tat nahm er den Abschied von seinem Prinzipalund bezog eine Mietwohnung. Er verkehrte mit Alchimisten,vornehmlich mit einem Laboranten namens Siebert. Eines Tageswurde er von dem Apotheker Zorn zu Tisch gebeten. Er traf dortzwei Freunde, den Pfarrer Winkler von Magdeburg und denPfarrer Borst von Malchow. Die beiden Geistlichen vereinigtensich, dem achtzehnjährigen Menschen vorzustellen, daß er zumsicheren Broterwerb zurückkehren und nicht einer eingebildetenKunst nachhängen solle; das Unmögliche, sagten sie, könne erdoch nicht möglich machen. Er aber erbot sich, das Unmöglichesogleich möglich zu machen, und forderte sie auf, Zuschauer zusein. Die ganze Tischgesellschaft verfügte sich nun mit ihm indas Laboratorium.

Hier nahm Böttiger einen Tiegel und wollte Blei darinschmelzen, als aber die Gegner sein Blei verdächtig findenwollten, wählte er statt dessen Silbergeld von bekanntem Gehalt.Die preußischen Zweigroschenstücke waren damals fünflötig,und von diesen nahm er dreizehn Stück. Während siezusammenschmolzen, brachte er eine silberne Büchse hervor, dieden Stein der Weisen in Gestalt eines feuerroten Glases enthielt.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 22

Page 23: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Er löste davon einige Körnchen ab, streute sie auf das fließendeMetall und verstärkte die Glut. Danach reichte er den Zweiflerndas ausgegossene Metall dar, und staunend überzeugten sichdiese, daß es zum reinsten Gold geworden war.

Dem Laboranten Siebert zeigte Böttiger eine größereTransmutation in andern Metallen. Siebert mußte acht LotQuecksilber in einem Tiegel heiß machen; auf die Masse warfBöttiger soviel als ein Handkorn groß von einem braunrotenPulver, das er zuvor in Wachs impastiert hatte. Dadurch wurdedas Quecksilber ganz und gar in Pulver verwandelt, dieses Pulverwickelte er in Blei und ließ es schmelzen. Nach einerViertelstunde war alles Metall zu Gold geworden.

Diese und andere Proben, welche Böttiger neugierigenBekannten zeigte, machten ihn bald zum Helden des Tages, unddas um so mehr, als er nicht für gut fand, die Wahrheit zugestehen, sondern sich selbst als Erfinder des Pulvers bewundernzu lassen. Die Erfahrenen nannten ihn Adeptus ineptus undprophezeiten ihm Unheil, welche Prophezeiung sich auch balderfüllte. Die Stadtgespräche drangen in die königlichenVorzimmer und bis zu König Friedrich I. selbst. Der König ließnachfragen und fand es geboten, sich des jungen Adepten zuversichern. Schon war Befehl erteilt, ihn zu verhaften, als einBekannter ihn warnte. In der Nacht verließ er Berlin zu Fuß undeilte, Wittenberg zu erreichen. Während er über die Elbe gesetztward, sah er hinter sich ein preußisches Kommando, das manihm nachgeschickt hatte. In Wittenberg wohnte seiner Mutter

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 23

Page 24: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Bruder, der Professor Kirchmaier, der auch als alchimistischerSchriftsteller von sich reden gemacht hatte. Bei ihm wäreBöttiger geborgen gewesen, allein der preußische Hofreklamierte ihn in Dresden als preußischen Untertan. Der Grundhierzu blieb bei dem erregten Aufsehen kein Geheimnis; dersächsische Hof ward aufmerksam. Man verweigerte dieAuslieferung, weil sich ergab, daß er in Sachsen geboren sei.König August II. ließ ihn nach Dresden bringen und freute sich,daß ihm ein so seltener Vogel zugeflogen war, denn dieNachrichten aus Berlin ließen ihn nicht daran zweifeln, daßBöttiger wirklich ein Adept sei.

Böttiger zeigte dem Statthalter Fürstenberg die Tinktur und ihreWirkung. Er überließ ihm eine Probe seines Arkanums, auch einGläschen voll Merkur, und damit reiste Fürstenberg zum Könignach Warschau. Fürstenberg mußte einen Eid leisten, daß er mitdem König nicht früher eine Probe machen würde, als bis er aufEhre und Gewissen versprochen habe, Zeugen nicht zuzulassen,auch weder jetzt noch künftig jemandem das Geheimnis zuentdecken. Ferner hatte Böttiger es ihm eingeschärft, nicht ohneGottesfurcht und Frömmigkeit ans Werk zu gehen, weil daraufunendlich viel ankomme.

Kaum war Fürstenberg beim König angelangt, als im Zimmerdes Königs ein Hund die Schachtel umwarf, in der sich das Glasmit Merkur befand, so daß dieses zerbrach. Böttiger hatteversichert, der Merkur sei von ganz besonderer Beschaffenheit,er war also in Warschau nicht zu ersetzen. Nichtsdestoweniger

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 24

Page 25: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

nahmen am zweiten Weihnachtsfeiertag, in tiefer Nacht, in einemder innersten Zimmer des Schlosses und bei verriegelten Türender König und Fürstenberg die Probe vor. Die beiden Tiegel, dieBöttiger mitgegeben hatte, wurden mit Kreide bestrichen, in dengrößeren Tiegel die Tinktur mit Merkur, wie er in Warschau zukaufen war, und Borax getan, der zweite Tiegel darauf gestürztund die Masse anderthalb Stunden lang ins Glühfeuer gestellt.Das Resultat des Prozesses war nicht Gold, sondern ein so festerKörper, daß man die Tiegel zerschlagen mußte, um ihn zugewinnen. Fürstenberg schrieb an Böttiger, daß der König selbstüber zwei Stunden beim Feuer gesessen sei; an der gehörigenFrömmigkeit habe es bestimmt nicht gefehlt, da der König zweiTage vorher das heilige Abendmahl genossen und er, der Fürst,seine Gedanken ebenfalls einzig auf Gott gerichtet habe;trotzdem sei das Experiment, dessen Gelingen Böttiger demKönig so sicher vorgespiegelt habe, gänzlich mißlungen.

Im Januar 1702 kehrte Fürstenberg wieder nach Sachsen zurück.Er traf Böttiger, der in seinem Hause wie ein Gefangenerbehandelt wurde, höchst unzufrieden; der lebenslustige jungeMensch drohte sich zu ermorden, wenn man ihm nicht dieFreiheit gebe. Fürstenberg ließ ihn deshalb auf die FestungKönigstein bringen, doch hier wurde Böttiger noch viel wilder.Nach einem Bericht des Kommandanten schäumte er wie einPferd, brüllte wie ein Ochse, knirschte mit den Zähnen, ranntemit dem Kopf gegen die Mauer, arbeitete mit Händen und Füßen,kroch an den Wänden entlang und zitterte am ganzen Leibe.Zwei starke Soldaten konnten seiner nicht Herr werden; er hielt

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 25

Page 26: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

den Kommandanten für den Engel Gabriel, verzweifelte wegender Sünde an dem heiligen Geist an seiner ewigen Seligkeit undtrank dabei oft zwölf Kannen Bier täglich, ohne betrunken zuwerden. Man konnte nicht klar sehen, ob alles dies aufVerstellung beruhte.

Nun kam aber der Befehl vom Statthalter, ihn nach Dresden zuschaffen, und Fürstenberg nahm ihn wieder in sein Haus. Hierwar es, wo er mit dem berühmten Tschirnhausen bekannt wurde.Ehrenfried Walter von Tschirnhausen gehörte zu Fürstenbergsvertrautesten Freunden. Sooft er von seinem alten StammgutKieslingswalde nach Dresden kam, wohnte er beim Statthalterund arbeitete beim Fürsten in dessen Laboratorium. Er war einerder ausgezeichnetsten Naturverständigen seiner Zeit, durch ihnsind in Sachsen die Glashütten eingeführt worden. Er hatte zwölfJahre lang ganz Europa bereist und war Mitglied der PariserAkademie der Wissenschaften. Wie Kunkel in Berlin, so nahmsich Tschirnhausen in Dresden Böttigers an, und dies verliehBöttiger auf einmal wieder große Wichtigkeit, so daß manjahrelang Geduld mit ihm hatte und immer hoffte, er werde dasgroße Werk leisten. Er selbst hoffte es.

[Illustration: Joh. Friedr. Böttiger, nach einem Medaillon imMuseum zu Gotha.]

Böttiger erhielt nun seine Einrichtung im königlichen Schloß. Erbewohnte zwei Zimmer mit der Aussicht auf den Hofgarten, densogenannten Probiersaal und einige Gewölbe zum Laborieren,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 26

Page 27: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

die große Opernstube als Billardzimmer und das Kirchstübchendes Gärtners zu seiner Andacht. Alle Räume waren neu möbliertworden. Er durfte in dem an seine Wohnung stoßendenFeigengarten spazieren gehen, und wenn er ausfahren wollte,stand ihm eine königliche Equipage zur Verfügung. Zu seinerBeaufsichtigung wurde der Sekretär Nemitz bestimmt, der dafürein besonderes Zimmer im Schloß hatte, nach Belieben Gästeeinladen konnte, aber bei Verlust seiner Freiheit für Böttigerverantwortlich war. Außer Tschirnhausen durfte niemand ohneseine Erlaubnis zu Böttiger gehen. Ein Baron Schenk warangewiesen, Böttiger in dessen freien Stunden Gesellschaft zuleisten, ihm die Zeit zu vertreiben und, wenn er es verlangte, imroten Zimmer mit ihm zu speisen. Es speisten auch viele anderePersonen bei ihm, so der Bergrat Pabst von Ohain, der berühmteMetallurg, der geheime Kammerier Starke, ein Liebling desKönigs, der seine Schatulle besorgte, und der Sekretär Malhieu;Tschirnhausen, der Böttiger so lieb gewonnen hatte, daß er sichmehr in Dresden als in Kieslingswalde aufhielt, war häufig seinGast und brachte manchmal den Statthalter mit. BöttigersDeputat im Schlosse waren mittags und abends fünf Gerichte mitWein und Bier. Das Tafelgerät war aus Silber. Er konnte Geldhaben soviel er wollte, man hielt ihm sogar Mätressen wie einemvornehmen Kavalier.

Böttigers Umgang hatte, wenn er bei Laune war, ungemein vielAnziehendes. Er war ein jovialer Mensch mit der lebendigstenUnterhaltungsgabe, mit der er alle zu bezaubern wußte. DerStatthalter lebte mit ihm auf vertrautem Fuß, fuhr oft mit ihm

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 27

Page 28: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

nach Moritzburg auf die Jagd, die Böttiger leidenschaftlichliebte, und schrieb ihm die zärtlichsten Briefe. Auch der König,der sich mit Bezug auf Böttiger überschwenglichen Hoffnungenhingab, behandelte ihn in seinen Briefen mit großer Rücksicht.Er gratulierte ihm zum neuen Jahr, versichert ihm wiederholt,daß der Statthalter die Vollmacht habe, alles nach BöttigersBelieben einzurichten, und ihm niemand aufdringen dürfe, dervon »widrigem Naturell« sei. In Briefen des Königs an anderewird er Monsieur Schrader genannt oder »die Person« oder »derBewußte« oder »l'homme de Wittenberg«; Böttiger selbstunterzeichnete sich nur mit seinen beiden Vornamen oder mitNotus.

Anderthalb Jahre lang war Böttiger vor dem Mißtrauen desKönigs durch den Hund geschützt, der in Warschau die Schachtelmit dem Merkurglas umgeworfen hatte und der Vorwand genuggab, zu sagen, der König und sein Minister seien bei demTingierversuch ohne Geschick verfahren. Während dieseranderthalb Jahre lebte Böttiger in Herrlichkeit und Freude. SeinAufenthalt kostete dem König vierzigtausend Taler. Böttiger warbei den Leuten von gutem Ton allgemein beliebt. Man speistegern bei ihm, denn er legte jedem Gast eine große, goldeneSchaumünze von eigener Arbeit unter den Teller; dies bewogsogar die Damen, sich zahlreich bei ihm einzufinden. Man spielteauch gern mit ihm, weil er gern verlor.

Die hohe Ehre hatte seinen Kopf so gänzlich eingenommen, daßer kaum der Möglichkeit gedachte, sein Schatz könne erschöpft

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 28

Page 29: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

werden. Allenfalls erwartete er von einigen Winken, die Laskarisim Gespräch hatte fallen lassen, daß sie ihn auf den rechten Wegführen würden, wenn es Zeit sei, ihn zu suchen. Diese Zeit schober leichtsinnig hinaus, bis endlich Bedürfnis und Verlegenheitenmahnten, an die Auffindung der Goldquelle mit Ernst zu denken.Da fand er sich aber in seiner Hoffnung bedroht. Was er auchprobierte, alles schlug fehl, und er überzeugte sich, daß er sichdie Sache zu leicht gedacht habe und weit vom Ziel entfernt sei.Die berechnende Politik seiner Gönner wähnte sich jetzt am Ziel.Böttigers sechs Bediente waren schon längst gewonnen undbelauerten ihn Tag und Nacht. Was sie berichteten, gefiel nichtmehr. Man argwöhnte, daß er die Umstellung merke undabsichtlich das Rechte verfehle, um seine Kunst für sich zubehalten. Da erfuhr man, daß er Vorbereitungen treffe, umheimlich nach Österreich zu entweichen, und nun wurde seineWohnung, sogar sein Zimmer mit Wachen besetzt.

Indessen hatte Laskaris, der noch in Deutschland reiste, seinenjungen Freund nicht aus den Augen verloren, und der übleAusgang, welchen Böttigers Angelegenheiten in Dresden zunehmen drohten, machte ihm Sorge, da er sich vorwerfen mußte,den Jüngling in Versuchung geführt zu haben. Er entschloß sichdaher, ihn zu befreien und große Opfer nicht zu scheuen. Insolcher Absicht wagte er sich im Jahre 1703 zum zweitenmalnach Berlin. Er ließ einen jungen Arzt, den Doktor Pasch, zu sichkommen, der mit Böttiger vertrauten Umgang gehabt hatte undunternehmend genug zu sein schien. Diesem eröffnete er alleSchwierigkeiten, trug ihm auf, nach Dresden zu gehen, dem

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 29

Page 30: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

König Böttigers Unwissenheit zu erklären und ihm für dessenFreilassung die Summe von achtmalhunderttausend Dukaten zubieten, die man in Holland oder in einer beliebig zubestimmenden deutschen Reichsstadt erheben könne. Um denSendboten von der Aufrichtigkeit seines Anerbietens zuüberzeugen zeigte er ihm einen Vorrat von Tinktur, der übersechs Pfund wog. Er bewies ihm durch Versuche, daß mit dieserMasse ein Zentner Gold in lauter Tinktur verwandelt werdenkönne, die dann noch drei- bis viertausend Teile Metall in Goldzu veredeln vermöge. Er gab ihm eine Probe für den König mitund versprach, ihn ebenso reich wie Böttiger zu beschenken,wenn er sich seines Auftrages gut entledigte.

Doktor Pasch begab sich auf den Weg. Er war mit zwei Herrenverwandt, die am Dresdner Hof großen Einfluß hatten. Durchihre Vermittlung hoffte er leichter zum König zu gelangen undmachte ihnen deshalb sein Anliegen bekannt. Sie urteilten aber,ein so hoher Preis werde den König eher bestimmen, denVerhafteten noch besser zu bewahren, weil es ja den Anscheinhabe, als lasse Böttiger selbst durch dritte Hand soviel für seineFreiheit bieten. Außerdem meinten sie auch, daß dem König anein paar Millionen Talern nicht soviel gelegen sein könne alsihnen, und sie kamen überein, Böttiger in der Stillefortzuschaffen und den Preis mit Doktor Pasch zu teilen.

Auf ihre Veranstaltung bezog Pasch eine Wohnung dicht nebendem Hause, worin Böttiger bewacht wurde. Er konnte ihm ausdem Fenster zuwinken, wurde sogleich von ihm erkannt, fand

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 30

Page 31: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Mittel, ihm Briefe zu schicken, erhielt auf demselben Weg dieAntworten, gab ihm Kunde von der nahenden Hilfe undverabredete mit ihm den Plan der Flucht.

Böttigers Bediente ließen sich das Hin- und Hertragen der Briefegut bezahlen, berichteten aber höheren Orts über denBriefwechsel und lieferten die folgenden Briefe aus.Nichtsdestoweniger gelang es Böttiger zu fliehen. Er kam bisnach Enns in Österreich, wurde aber dort aufgegriffen und nachSachsen auf den Sonnenstein zurückgebracht. Doktor Pasch wardritthalb Jahre lang Gefangener auf der Feste Königstein. Nachvielen Bemühungen zeigte sich ein Soldat willig, ihm zur Fluchtzu verhelfen. Beide ließen sich an einem Seil herab, welches abernicht bis zum Boden reichte; der Soldat kam glücklich an, Paschjedoch fiel auf einen Felsen und zerbrach das Brustbein. SeinGefährte trug ihn bis zur böhmischen Grenze, und von dagelangte er auf Umwegen nach Berlin zurück. Den AdeptenLaskaris sah er nicht wieder, und seine Klagen, wie er vergeblichJugend und Gesundheit zugesetzt habe, wurden stadtkundig inBerlin. Der König ließ ihn vor sich kommen und hörte seineErzählung an. Sein Körper blieb siech von jenem Fall; nachanderthalb Jahren starb er.

Auf dem Sonnenstein wurde Böttiger sehr streng bewacht. ImJanuar 1704 kam der König August nach Sachsen und lernteBöttiger persönlich kennen. Er bestand darauf, daß der BergratPabst zur Bereitung des großen Arkans bei Böttiger förmlichUnterricht nehme. Pabst, Tschirnhausen und der Statthalter

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 31

Page 32: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

beschworen nun feierlich sechsunddreißig Kontraktpunkte, dieauch der König durch seinen schriftlichen Eid unverbrüchlich zuhalten versprach. Böttiger machte zur Bedingung, daß von demgewonnenen Golde »nichts zur Üppigkeit sündhaften Aktionibus,boshafter Verschwendung, unnötigen und unbilligen Kriegenverwendet werden dürfe; auch dürfe, wer das Arkan besitze, nieeinem Herrn dienen, der öffentlichen und schändlichen Ehebruchtreibe und unschuldiges Blut vergieße«.

Im September 1705 übergab Böttiger auf zwanzig Folioseiteneinen Prozeß zum Universal; kurz darauf machte er einenTingierversuch, welcher gelang, aber der Kämmerer Starke sagte,es wären verschiedene Umstände passiert, die »zu einemkonzentrierten Betrug ziemlichen Soupson gegeben«. Wiederholtbat nun Böttiger um seine Freiheit und machte den König vorChristi Richterstuhl dafür verantwortlich. Der König ließ ihnaber nicht los; vom Sonnenstein wurde er auf die Albrechtsburgbei Meißen geschafft, dann kam er wieder auf den Königsteinund im Herbst 1707 nach Dresden zurück.

Hier ließ er nun Materialien aller Art herbeischaffen und verfuhrnach der berühmten mephistischen Tafel, das heißt, er kochtealles durcheinander. Und so, ganz zufällig, erfand er eines Tages,es war das sechste Jahr seiner Haft, das braune Jaspisporzellanund später, als er schon etwas methodischer zu Werke ging, dasweiße Porzellan. Nach Tschirnhausens Rat bildete er dieseErfindungen technisch aus, wobei er seiner enthusiastischenNatur gemäß so eifrig war, daß er mehrere Nächte in kein Bett

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 32

Page 33: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

kam. In einem Schreiben an den König gestand er endlich, daß erkein Adept sei.

Der König begnügte sich jedoch mit dem Porzellan, das ihm beider damaligen Kostbarkeit des chinesischen Porzellans beinaheso lieb wie eine Goldfabrik war. Die Manufaktur wurde sofort imgroßen durch herbeigezogene holländische Steinbaggerbetrieben. Das auf der Albrechtsburg zu Meißen hergestelltePorzellan verdrängte bald das chinesische und japanische, für dasder König August noch Millionen ausgegeben hatte, und wurdeeiner der begehrtesten Luxusartikel der eleganten Welt. EineMenge Dinge, die bisher aus Marmor, Metall oder Holz gemachtwaren, wurden jetzt aus Porzellan fabriziert, sogar Särge; dieWitwe eines Oberstallmeisters wurde in einem Porzellansargbegraben, der aber beim Hinuntersenken in die Gruft zerbrach.Wahrscheinlich hatten neidische Tischler die Leichenträgerbestochen. Die Hauptkunstwerke, die man in Meißen herstellte,waren die kleinen, aufs feinste und schönste bemalten Figuren,und wie der »zerbrochene Spiegel«, »das Blumenmädchen«, »diefünf Sinne« beweisen, brachte man es darin zu einer hohenVollendung. Der Vertrieb der Fabrik stieg bis überzweimalhunderttausend Taler, und die Kosten betrugen nur dieHälfte; gegen achtzig Kommissionslager und Handelshäuserführten das Verkaufsgeschäft.

Des Fabrikgeheimnisses wegen mußte Böttiger noch eineZeitlang Gefangener bleiben, doch zeigte sich der König sehrgnädig gegen ihn, besuchte ihn häufig auf der Bastei und schoß

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 33

Page 34: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

mit ihm nach der Scheibe. Er erhielt Zutritt zu denPrivataudienzen, sooft er wünschte, und wiederholt befahl derKönig, ihn vor Ärgernis zu schützen. Er schenkte ihm einen Ringmit seinem Bildnis, einen jungen Bären und ein Paar Affen undgab ihm offenen Kredit bei dem Hofjuden Meyer. Sechs Jahrenach der Erfindung wurde ihm die Meißner Porzellanfabrik zurfreien Disposition ohne alle Rechnungslegung überlassen. Erlebte in Dresden auf großem Fuß, hielt eine zahlreicheDienerschaft und eine Menge Hunde. Ausschweifungen in derLiebe und im Trunk verkürzten sein Leben; er starb im März1713, erst vierunddreißig Jahre alt.

Moritz von Sachsen

Kurfürst Moritz war der Sohn Herzog Heinrichs des Frommenund am 21. März 1521 geboren. Er war ein kräftiger Mann,geschmeidigen Körperbaus; sein braunes Gesicht verkündete denHelden. Seine Augen waren so glänzend, daß sie funkelten undwie von Flammen sprühten; schaute er unversehens jemand an,so mußte dieser den Blick niederschlagen. Seltsam waren inseiner Erziehung die Elemente gemischt. Sein Vater, den dieUntertanen wegen seiner Gutmütigkeit liebten, war bei allerFrömmigkeit ein Mann ganz eigenen Schlages. Er hatte einensonderbaren Geschmack am Bunten und eine sonderbareVorliebe für Kanonen. Er ließ anstößige Bilder auf die Kanonenmalen, und Lukas Cranach mußte ihm dazu die Zeichnungenmachen. Er kaufte alle schönen Gemälde für seine Kanonen, die

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 34

Page 35: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

er nur auftreiben konnte, und obgleich er das Geschütz niebrauchte, konnte man ihm doch keine größere Freude bereiten,als wenn man ihm sagte, Kaiser Karl habe von seinen Kanonengesprochen. Vom Hof seines Vaters kam Moritz an den desKurfürsten von Mainz und sah hier das üppig schwelgerischeTreiben eines katholischen Kirchenfürsten. Und dann weilte erbei seinem Vetter Johann Friedrich von Sachsen, wo er dietraurige Einförmigkeit eines protestantischen Hofes derdamaligen Zeit kennen lernte. Johann Friedrich hatte großeSchwächen, der kluge Moritz durchschaute sie, er faßte einenWiderwillen gegen den Vetter, er konnte ihn nicht leiden, dendicken Hoffart, wie er ihn zu nennen pflegte.

Noch ehe er zwanzig Jahre alt war, vermählte er sich mit Agnes,der Tochter Friedrichs des Großmütigen von Hessen. Sein Vaterwar über die verfrühte Ehe so unglücklich, daß der Kummer seinLeben verkürzte; er starb wenige Monate nach der Hochzeit, undMoritz folgte ihm in der Regierung. Trotz seiner Heiratsungeduldmußte aber seine Frau später über ihn klagen, daß er dieWildschweinsjagd ihrer Gesellschaft vorziehe.

Moritz bekannte sich zur evangelischen Lehre wie sein Vater,aber er trat nicht in den schmalkaldischen Bund, so oft ihn auchsein Vetter, der Kurfürst, und sein Schwiegervater, der Landgraf,darum mahnten. Er vermochte in der neuen Lehre nicht dieSumme alles Heils zu sehen. Er weigerte sich, eine Verbindunggegen den Kaiser abzuschließen, im Gegenteil, er näherte sichdem Kaiser, je mehr sich die Bundesgenossen von ihm

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 35

Page 36: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

entfernten. Er wollte nicht der Trabant dieser Bundesgenossensein, er fand seinen nächsten und unmittelbaren Vorteil beimKaiser. Deshalb ließ er durch seinen Vertrauten ChristophCarlowitz mit Granvella unterhandeln und kam dann im Mai1546 persönlich zum Kaiser nach Regensburg; hier trat er in denDienst des Kaisers ein. Karl ernannte ihn nicht nur zumExekutor, Konservator und Schirmer von Magdeburg undHalberstadt, nach deren Besitz Moritz schon lange getrachtethatte, sondern er versprach ihm auch die Kur Sachsen. Der Tagvon Mühlberg verschaffte ihm den Kurhut wirklich, und esschien ihn nicht zu beirren, daß durch diese Schlacht sein Vetterin das bitterste Unglück geriet. Luther hatte wohl recht gehabt,als er einmal bei der Tafel den Kurfürsten davor gewarnt hatte, inMoritz einen jungen Löwen aufzuziehen.

Ende April 1547 rückten das kaiserliche Heer und die ScharenHerzog Moritz' gegen Mühlberg. Der Kaiser Karl war ritterlichanzusehen, er saß auf einem andalusischen Roß, das mit einerrotseidenen, goldbefransten Decke behangen war; er war ganz inblanken Waffen, sein Helm und Panzer vergoldet, mit dem rotenburgundischen Feldzeichen geschmückt; in der Rechten hielt ereine Lanze. Die Gicht hatte ihn grau und müde gemacht, seinGesicht war leichenblaß, die Glieder wie gelähmt, die Stimme soschwach, daß man sie kaum vernahm. Zu früh aber hatten dieProtestanten ihn wie einen Verstorbenen betrachtet. Karl zittertejedesmal, bevor er die Waffenrüstung anlegte, aber dann erfüllteihn plötzlich der Mut. So war es auch am Tag von Mühlberg.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 36

Page 37: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Die ersten, die das Ufer der Elbe erreichten, waren Moritz undHerzog Alba. Ein Bauer verriet ihnen, daß Johann Friedrich inder Stadtkirche zu Mühlberg den Sonntagsgottesdienst abwarte,daß er sein Fußvolk schon nach Wittenberg vorausgeschickt habeund nach der Predigt mit den Reitern folgen wolle. Diespanischen Hakenschützen erhielten sofort den Befehl, hinüberzu schwimmen; sie taten es, indem sie sich entkleideten und dieSäbel zwischen die Zähne nahmen. So bemächtigten sie sich derBrücke, die die Kurfürstlichen vergebens anzuzünden versuchthatten, und die sie zerstörten. Der Kaiser hatte schon über dendichten Nebel geklagt, der über der ganzen Gegend lag, jetztgegen Mittag erhob sich der Nebel langsam. Er erblickte dieElbe, die Sonne trat heraus, aber sie war rot wie glühendes Eisenund schien den ganzen Tag über still zu stehen. Als später derKönig von Frankreich den Herzog Alba fragte, ob sich dennwirklich bei dieser Schlacht die Geschichte Josuas erneuert habe,erwiderte dieser: »Sire, ich hatte zu viel auf Erden zu tun, umbemerken zu können, was am Himmel vorging.« Gegen allesErwarten wurde dem Kaiser durch einen Müller namens Strauch,dem die Kurfürstlichen zwei Pferde weggeführt hatten, eine Furtgezeigt; Moritz, sein Landesherr, versprach ihm dafür hundertKronen, zwei andere Pferde und einen Herrenhof. Die Furt warvon festem Boden, sieben Pferde konnten nebeneinander gehen,das Wasser reichte den Reitern bis an die Sättel. Einige Kavalieredes Kaisers hatten große Furcht, wenn der Kaiser selbst nichtvorangeritten wäre, hätten sie nicht gewagt, sich einer solchenGefahr auszusetzen. Am jenseitigen Ufer angelangt, schickteMoritz einen seiner Offiziere mit einem Trompeter an den

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 37

Page 38: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Kurfürsten und ließ ihn auffordern, sich dem Kaiser zu ergeben.Johann Friedrich schlug es ab. Er glaubte nicht an den Ernst derDinge. Er konnte nicht glauben, daß ein ganzes Heer die Elbedurchwaten könne; er vermutete ganz und gar nicht, daß derKaiser selbst gegen ihn anziehe; er zog sich vorsichtig zurück,und seinem bedächtigen Sinn wurde die Situation erst klar, alsdie Angriffe der kaiserlichen Armada immer ungestümer wurden.Jetzt empfand er mit einemmal die große Verantwortlichkeit, daßer sich gegen den ihm von Gott gesetzten Herrn, gegen dasallerhöchste Reichsoberhaupt vergangen habe. Auf freiem Feldefiel er vor seinen Leuten auf die Knie, hob die Augen und Händeempor und betete: »Ach Gott im Himmel! Bin ich mit meinemVornehmen gegen die Majestät ungerecht, so strafe mich, abernicht mein Volk.«

Er stellte sein kleines Heer in Schlachtordnung auf und bestiegeinen schweren friesischen Hengst; er trug einen schwarzenHarnisch mit weißen Streifen und darunter noch ein Panzerhemdmit kleinen Ringen.

Es war vier Uhr nachmittags. Der Vortrab der Kaiserlichenrückte zur Hauptattacke zusammen; es waren die Reiter vonHerzog Moritz, die Neapolitaner und die Husaren. Mit dem Ruf»Hispania« und »das Reich« brachen sie los. Die Kurfürstlichenfeuerten. Aber von der anderen Seite her rückten die vollenGewalthaufen des Kaisers an. Die Haltung ihres Kriegsfürstenhatte der kleinen sächsischen Armee wenig Zuversicht undheldenmütiges Vertrauen eingeflößt. Da nun die Gefahr sich

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 38

Page 39: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

deutlich offenbarte, rief er sie an, getreu bei ihm zu stehen, wieer getreu bei ihnen stehen werde. Trotzdem kam allgemeineVerwirrung über die Leute. Aber es traf noch etwas weitschlimmeres ein. Der Patrizier Imhof aus Nürnberg, der unterKarls Fahnen diente, erzählt: »Es ist seltsam zu vernehmen, wiedes Kurfürsten Räte und große Hansen, so er bei sich gehabt, mitihm umgegangen sind. Wie die Schlacht angegangen, hat derKurfürst seinem Volke zugeschrien: 'er wolle auf diesen TagLeib und Blut bei ihnen lassen, sie sollten auch ehrlich halten beiihm.' Als nun das Treffen angegangen, haben seine Räte undgroßen Hansen, auf die er sich verlassen, zur Flucht geschrien,auch unter sein eigenes Volk gehauen und gestochen und dieOrdnung seiner Haufen getrennt. Das habe ich zu Torgau vonetlichen von Karl gehört, auch habe ich an der Walstatt gesehen,daß alles durch Verräterei zugegangen.«

Das Heer stob auseinander, die Ritter zuerst, und als das Fußvolkdie Ritter fliehen sah, warf es Gewehre und Piken weg undsuchte sein Heil gleichfalls in der Flucht. Die Ritter entkamen,aber das Schicksal des Fußvolks war schrecklich; obwohl es dieWaffen weggeworfen hatte und um Pardon bat, ward es samt undsonders niedergehauen. Karl, von Gottes Gnaden römischerKaiser, allzeit Mehrer des Reiches, zu Hispanien König, hatteausdrücklichen Befehl erteilt, alles über die Klinge springen zulassen. Damals lernte man im Herzen von Deutschland das HausHispanien-Habsburg mit seinen Husaren kennen.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 39

Page 40: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Johann Friedrich, den seine Ritter verlassen hatten, sah sichplötzlich ganz allein im Wald, wo alles voller Leichen lag, vonHusaren vorn und hinten umgeben. Der schwerbeleibte Herrmußte sich zur Wehr setzen, er tat es ritterlich. Ein Ungar hatteihn in die linke Backe gehauen, das Blut rann ihm über dasGesicht auf den schwarz und weißen Harnisch herab. Dennochwollte er sich diesen Husaren und auch den neapolitanischenReitern, die ihn umdrängten, nicht ergeben. Endlich sprengte einHerr vom Hofgesinde des Herzogs Moritz heran, Thilo vonTrotha; dieser rief ihn auf deutsch an, Pardon zu nehmen. JohannFriedrich ergab sich an diesen Deutschen; er zog einen Ringunter seinem Panzerhandschuh hervor. Die Waffen dessächsischen Kurfürsten, Schwert und Dolch, fielen den Ungarnzur Beute zu.

Thilo von Trotha brachte den gefangenen Kurfürsten unter einerBedeckung von neapolitanischen Reitern zum Herzog von Alba.Dieser erstattete dem Kaiser Meldung. Karl wollte den edlenFang sogleich sehen, aber dreimal weigerte sich der sonst sopflichtbewußte Alba, denn aus politischen Gründen fürchtete ermit Recht, daß Karl in der ersten Hitze den Kurfürsten allzuungnädig behandeln werde. Der Kaiser bestand aber auf seinemWillen. Er hielt in der Heide zu Pferd.

Als der noch aus seinen Wunden blutende Johann Friedrich desKaisers ansichtig wurde, den er in seinen Absagebriefen als»Karl von Gent, der sich römischer Kaiser heißt« betitelt hatte,seufzte er tief und rief aus: #»Miserere miserere mei domine, nos

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 40

Page 41: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

sumus jam hic!«# Der Kaiser erkannte den friesischen Hengstwieder; es war derselbe, den Johann Friedrich vor drei Jahren aufdem Reichstag zu Speier geritten hatte. Von Alba unterstütztstieg der Kurfürst vom Pferd, wollte nach spanischer Sitte vordem Kaiser aufs Knie fallen und zog auch wieder nach deutscherSitte seinen Blechhandschuh aus, um als Kurfürst dem Kaiser dieHand zu reichen. Karl lehnte sowohl die spanische Devotions-als die deutsche Vertraulichkeitsbezeigung ab. Er war sehrfinster; er wendete sich zur Seite. Endlich brach der Kurfürst dasStillschweigen mit der Titulatur, mit der ihm die Kurfürstenschrieben. Er sprach: »Großmächtigster, allergnädigster Kaiser.«Karl erwiderte: »Ja, ja, nun bin ich Euer gnädiger Kaiser; Ihrhabt mich lange nicht so geheißen.« Der Kurfürst fuhr fort: »Ichbin auf diesen Tag Euer Gefangener und bitte um ein fürstlichGefängnis. Kaiserliche Majestät wolle sich gegen mich als einengeborenen Fürsten halten.« Darauf sagte der Kaiser zornig: »Ja,wie Ihr verdient habt. Ich will mich so gegen Euch halten, wieIhr Euch gegen mich gehalten habt. Führt ihn hin! Wir wissenuns wohl zu halten.«

[Illustration: Moritz von Sachsen, nach einem Holzschnitt ausder Werkstatt Cranachs.]

Erst spät in der Nacht kam Herzog Moritz von der Verfolgungder Ritter und Reiter zurück, bei der ihm heller Mondscheingeleuchtet hatte. Mehr als zwanzig Stunden hatte er an diesemTag zu Pferde gesessen, war mehr als einmal dem Todentgangen, und nun fand er den Stammvetter in Gefangenschaft.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 41

Page 42: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Die Kur Sachsen war auf seinem Haupte fest.

Karl zog nun vor Wittenberg und belagerte die Stadt. Die Bürgerwollten sich bis auf den letzten Mann wehren, und JohannFriedrich weigerte sich, sie zur Übergabe aufzufordern. Da ließder Kaiser durch ein spanisches Kriegsgericht das Todesurteilüber ihn aussprechen, welches lautete, »daß bemeldeter HansFriedrich, der Ächter, ihm zur Bestrafung und andern zumExempel durch das Schwert vom Leben zum natürlichen Gerichtfürgebracht und solch Urteil auf der im Feld aufgerichtetenWalstatt vollzogen werden solle.«

Der Kurfürst, dem es im Glück so sehr an der nötigen Energiegemangelt hatte, bewies im Unglück den ganzen Heldenmut desGlaubens, der sein einfaches Gemüt durchdrang. Er vernahm dasTodesurteil, als er eben mit seinem Leidensgenossen Franz vonGrubenhagen beim Schachbrett saß. Er erwiderte gelassen: »Ichkann nicht glauben, daß der Kaiser also mit mir handeln werde,ist es aber bei der kaiserlichen Majestät gänzlich beschlossen, sobegehre ich, man soll es mir fest zu wissen tun, damit ichbestellen kann, was meine Frau und meine Kinder angeht.«

Neun Tage lang ließ Karl seinen Gefangenen in der Todesfurchtschweben. Dem Kurfürsten von Brandenburg und dem Herzogvon Cleve gelang es aber, das Unheil abzuwenden: dieWittenberger kapitulierten. Johann Friedrich blieb Gefangenerdes Kaisers so lange als es diesem gefallen würde; selbst nachSpanien sollte er ihn schicken dürfen. Zum Unterhalt für ihn und

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 42

Page 43: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

sein Haus wurde ein Teil von Thüringen mit einemJahreseinkommen von fünfzigtausend Gulden bestimmt. Es warein Artikel in der Kapitulation, demzufolge Johann Friedrichalles annehmen sollte, was das Konzil zu Trident oder diekaiserliche Machtvollkommenheit in Sachen der Religionbeschließen werde; diesen Artikel anzunehmen weigerte sich derKurfürst beharrlich; Karl strich ihn mit eigener Hand wieder aus.

Auf einer großen Wiese bei Blesern übertrug der Kaiser demHerzog Moritz das Kurfürstentum, und Moritz legte darauf seinHeer als Besatzung in die Stadt Wittenberg. Das Volk nahm siemit tiefem Herzeleid auf. Moritz ritt zornig gerade aufs Schloßund sah keinem Menschen ins Gesicht. Zu den Ratsmännern, dieihm die Aufwartung machten, sagte er: »Ihr seid eurem Fürsten,meinem Vetter, so getreu gewesen, das will ich euch ewig imguten gedenken.«

Von Wittenberg aus zog der Kaiser gegen den Landgrafen vonHessen. Der war schon längst kleinmütig geworden, und als erdas Schicksal Johann Friedrichs erfuhr, begann er mit Karl zuunterhandeln. Der Kaiser forderte, daß er sich auf Gnade undUngnade ergeben, hundertfünfzigtausend Goldgulden Bußezahlen, seine Festungen schleifen und seine Kanonen ausliefernsolle. Dagegen wurde ihm schriftlich versichert, daß er Land undLeben behalten, auch mit »einigem« Gefängnis verschont werdenwürde. Die beiden Vermittler, Joachim von Brandenburg undMoritz von Sachsen, verbürgten sich in dieser Verschreibung mitihrem Ehrenwort gegen den Landgrafen. Im Vertrauen auf die

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 43

Page 44: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Kurfürsten nahm der Landgraf die Bedingungen an. MoritzensGemahlin, die Tochter des Landgrafen, tat vor dem Kaiser einenFußfall für ihren Vater. Der Kaiser war zu keiner andernErklärung zu vermögen, als daß der Landgraf sich auf Gnadeoder Ungnade zu ergeben habe. Nun kam der Landgraf nachHalle; er speiste mit den beiden Kurfürsten zu Abend; am andernMorgen nahmen die drei Herren ihr Frühstück bei Granvella, undhier unterzeichneten sie das verhängnisvolle Schriftstück, inwelchem, ohne daß sie es merkten, der Ausdruck »einiges«Gefängnis verändert war in »ewiges« Gefängnis. Am Nachmittagfand die Abbitte vor dem Kaiser statt. Der Kaiser saß auf demThron unter einem vergoldeten Himmel, umgeben von seinenspanischen, italienischen, niederländischen und deutschenGroßen. Der Landgraf Philipp kniete in schwarzsamtenem Kleidmit roter Binde kleinmütig und traurig auf dem Teppich vor demThrone, und hinter ihm las sein getreuer Kanzler Tielemann vonGünterode die Abbitte vor. Er las mit kläglichen Gebärden und inkläglichem Ton; auf dem Gesicht des Landgrafen zeigte sich einLächeln; es war vielleicht die unbewußte Hilfe seiner leichtenNatur gegen das Gefühl der Schmach. Aber der gravitätischeKaiser hob langsam den Finger auf und sagte in seinerbrabantischen Mundart: »Wart, ik wöll dir laken lehr.« Nachdemder Reichsvizekanzler die Antwort des Kaisers verlesen,Günterode sich dann höflich bedankt hatte, erwartete derLandgraf des Kaisers Wink, um sich zu erheben. Dieser Winkerfolgte nicht. Nun stand der Landgraf von selber auf und wolltedem Kaiser die Hand reichen. Die kaiserliche Majestät jedochsah sauer und hielt ihre Hand zurück. Dafür ergriff Alba die

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 44

Page 45: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Hand des Landgrafen und lud ihn und die andern Fürsten zumNachtmahl bei sich ein. Alba hatte sein Losament im Schloß. Alsdie Tafel aufgehoben war, spielte der Landgraf Brett mit einemder sächsischen Räte, es war zehn Uhr vorüber; da kündigte ihmAlba auf einmal an, daß er sein Gefangener sei. Zugleich tratenhundert spanische Arkebusiere in den Saal. Die beidenKurfürsten, die sich für die Freiheit des Landgrafen verbürgthatten, waren außer sich; Joachim von Brandenburg rief, das seiein Bösewichtsstück, zog den Degen, um Alba den Schädel zuzerspalten, Moritz aber zeigte sich tief betroffen und blieb beiseinem Schwiegervater die ganze Nacht hindurch. Er versicherteihm, daß da ein Mißverständnis vorliegen müsse, und er werdemit dem Kaiser sprechen. Dies geschah. Der Kaiser sagte, daßsich ihm der Landgraf auf Gnade und Ungnade ergeben habe; essei weder Rede noch Schrift davon gewesen, daß man ihn mit»einiger« Gefangenschaft verschonen wolle, nur mit »ewiger«Gefangenschaft habe man ihn verschonen wollen. Und so fandsich auch die Fassung in der Notel, die die Kurfürsten amMorgen unterschrieben hatten, ohne sie näher zu besehen.

Diese spanische Arglist brachte eine große Wandlung in demHerzen Moritzens hervor. Er sah jetzt wohl, daß der Kaiser Karldarauf ausging, Deutschland spanisch zu machen, aus dem vonSchatzungen und fremdem Kriegsvolk erdrückten Reich allesWasser auf eine Mühle zu leiten, und da erwachte in ihm derDeutsche. Ohne seinen kühn verborgenen und kühn ausgeführtenWiderstand wäre die spätere freie Entwicklung Norddeutschlandsunmöglich gewesen, und wenn heute nicht ganz Deutschland ein

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 45

Page 46: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

österreichisches Gesicht zeigt, so ist es vielleicht im letztenGrunde der Verwechslung jener Wörtchen »einig« und »ewig«zu danken.

Zunächst freilich mußte Moritz warten. Einerseits fürchtete er,der Kaiser könne seine Drohung wahr machen und denLandgrafen nach Spanien schicken. Anderseits mußte ergewärtigen, daß der allerdurchlauchtigste, großmächtigste undunüberwindlichste Kaiser, welchen Titel Karl jetzt mit einerfurchtbaren Realität führte, dem Kurfürsten Johann Friedrichwieder die Freiheit schenke, wodurch im Lande selbst Hader undKrieg ausbrechen mußte. Er war jetzt in der Schlinge. Die Rachemußte aufgeschoben werden.

Er suchte von nun ab sein Heil in der Verstellung. Gerade weil ersich zumeist sehr offen und rücksichtslos auszusprechen pflegte,konnte niemand auf die Vermutung kommen, daß hinter dieserDerbheit eine Berechnung verborgen sei. Als auf dem Reichstagzu Augsburg sich ein protestantischer Fürst an den kaiserlichenTisch setzen wollte, rief er: »Hier ist kein Platz für Ketzer.«Selbst der undurchdringliche Kaiser Karl konnte sich bisweilenverraten; er hatte sich in Regensburg durch ein Lächeln verraten,als ihm die Protestanten ihre Schrift gegen das TridentinerKonzil überreichten. Moritz verriet sich niemals. Er pflegte zusagen: »Wenn ich wüßte, daß mein eigenes Hemd, das mirzunächst am Leibe liegt, meine Gedanken kennte, ich würde esaustun und verbrennen.« Kein Mensch in Deutschland, keinervon seinen Freunden und Vertrauten erfuhr etwas von dem, was

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 46

Page 47: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

er im Schilde führte. Er täuschte den Kaiser, der ihn einmalgetäuscht hatte, so sicher und vollkommen, daß das Stück, das ervor dem spanischen Senjor aufführte, ohne Zweifel das größteMeisterstück war, das jemals ein Deutscher zustande gebrachthat.

Seiner gewöhnlichen Lebensweise nach mußte man glauben, daßnur das Vergnügen und die Lustbarkeiten Reiz für ihn hätten. Inseinem Hoflager beschäftigte ihn unausgesetzt die Wildbahn imDresdener Forst; er liebte Trinkgelage, Ritterspiele und dieFreuden der Fastnacht; ebenso suchte er an fremden Höfen undauf Reichstagen das lustige Leben, und er machte Kundschaftmit schönen Frauen. So schildert ihn Sastrow während desAugsburger Reichstages: »Herzog Moritz hatte seine Kurzweil inder Herberge eines Doktor Haus. Der hatte eine erwachseneTochter, eine schöne Metze, hieß Jungfrau Jakobina, mit derbadete er und spielte täglich Pharao mit ihr und dem wildenMarkgrafen Albrecht. Sie lachte fein lieblich und freundlich zuder Fürsten Scherzen und hielten also Haus, daß der Teufel sichdrüber freuen mochte und viel Sagens in der ganzen Stadt davonwar.« Die Befreiung seines Schwiegervaters schien ihm nichtbesonders am Herzen zu liegen. Der Landgraf, der öfter geäußerthatte, Gefängnis fürchte er weit mehr als den Tod, wurde inDonauwörth, wohin er gebracht worden war, sehr hart behandelt.Seine spanische Wache lärmte Tag und Nacht in seinemQuartier; er beklagte sich bitter, daß sie ihn auch bei Nachtvisitierten, ob er nicht durch einen Ritz oder durch einMäuseloch entwischt sei. Einmal schrieb er an Moritz: »Wenn

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 47

Page 48: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Euer Liebden so fleißig wären in meinen Sachen als imBankettieren, Gastladen und Spielen, wäre meine Sach langbesser.«

Kein Wunder, daß der Kaiser glaubte, der vermöge am meistenbei Moritz, der ihm bei seinen Vergnügen Vorschub leiste. Aberder bedächtige und weitschauende Karl durchschaute denbedächtigeren und viel weiter schauenden, scheinbar souninteressierten und doch so interessanten Moritz mit nichten.Auch die Venezianer, die größten Diplomaten der damaligenZeit, durchschauten ihn nicht. Der Gesandte Mocenigo sagt vonihm: »Moritz hat viel Mut, aber, wie man glaubt, nicht vielUrteil, und dazu ist er ein sehr leichter Herr. Von ihm hat Karlwenig zu fürchten.«

Und doch wurde Moritz der Verderber des Kaisers. Als er alleszu seinem großen Plan vorbereitet hatte, stürzte er wie einSturmwind über Karl her und vernichtete ihn im Wetter. Langezuvor, ehe der Schlag ausgeführt wurde, hatte er sich mit demnötigen Geld zu versehen gewußt. Bereits im Jahre 1547 hatte erdie Kleinodien des Meißner Domkapitels einliefern lassen. Eswaren darunter ausbündige Stücke: das silberne Bild desBischofs Bruno, mit Edelsteinen geschmückt, in der einen Handden Bischofsstab, in der andern ein Buch haltend, dreiundsiebzigMark schwer; Donatis silbernes Bild, zweiundfünfzig Markschwer; Briccii Haupt mit goldener Inful; dazu einhundertvierzigKelche, alles zusammen im Wert von hundertfünfzigtausendGulden. Wo diese Schätze hingekommen, wußte später niemand

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 48

Page 49: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

zu sagen, höchstwahrscheinlich hatte Moritz sie heimlicheinschmelzen lassen. Außerdem hatte er nach und nachbedeutende Summen aufgenommen; nach seinem Tode hatte seinBruder eine Schuldenlast von über zwei Millionen Gulden zutilgen.

Im Sommer des Jahres 1550 finden sich die Spuren der erstenAnnäherung an Frankreich, mit dessen Hilfe Moritz den Kaiserzu demütigen dachte. Im November darauf unternahm er, vonKarl hierzu bestimmt, die Belagerung von Magdeburg. ImFrühjahr des nächsten Jahres hatte er Zusammenkünfte mit demBruder des Kurfürsten von Brandenburg und seinem SchwagerWilhelm von Hessen und mit dem Herzog von Mecklenburg.Einige Monate später verhandelte er mit Jean de Bresse, Bischofvon Bayonne, und das Bündnis mit Frankreich kam zustande. Esward als eine merkwürdige Vorbedeutung angesehen, daß einBlitzstrahl durch das Zimmer fuhr, in welchem der Vertragabgeschlossen wurde. Im Januar 1552 beschwor der König vonFrankreich die Allianz mit Moritz und den Kurfürsten. In derenNamen beschwor den Eid der Markgraf Albrecht vonBrandenburg-Kulmbach, der mit Schärtlin nach Chambordgegangen war. Der französische König erhielt die Aussicht aufdie deutsche Kaiserkrone und unterdessen die drei BistümerMetz, Toul und Verdun.

Moritz entließ die vor Magdeburg versammelte Armee nicht, ervermehrte sie im Gegenteil bis auf fünfundzwanzigtausendMann. Er nahm Offiziere in Dienst, die im schmalkaldischen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 49

Page 50: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Krieg gegen den Kaiser gedient hatten. Er war so schlau, dieStärke seines anwachsenden Heeres dadurch zu verbergen, daß eres verteilte und die Quartiere in den Dörfern oftmals wechselnließ. Wohl hatte der Kaiser seine Spione im Lager. Moritz aberhinterging alle. Der Kaiser besoldete zwei geheime Sekretäre amsächsischen Hof; Moritz wußte es, verstellte sich, zog sie zuallen Beratungen, rühmte immer seine Treue gegen den Kaiser,und so meldeten die bestochenen Leute lauter falsche Dinge.

Die Venezianer faßten Argwohn, und dieser Argwohn verstärktesich. Karl erhielt Warnungsbriefe nach Innsbruck, und seinBruder Ferdinand riet ihm, den Landgrafen freizulassen. DerKaiser antwortete: »Es wäre seltsam, wenn Herzog Moritz allesvergessen sollte, was ich für ihn getan, wenngleich dierücksichtslose Verwendung von so vielen Rebellen in seinemDienst mich auf einigen Verdacht bringt.« Die drei geistlichenKurfürsten wollten, erschreckt durch die Gerüchte, das Konzil zuTrident plötzlich verlassen. Beruhigend schrieb ihnen der Kaiser:»Moritz hat mir solche Zusicherungen gemacht, daß ich mir nurGutes von ihm verspreche, wenn es noch Glauben gibt immenschlichen Leben.« Seine ausgesprochene Überzeugung war:»Die tollen und vollen Deutschen besitzen kein Geschick zuderartigen Ränken.«

Im März 1552 verließ Moritz Dresden und ging nach Thüringen.Bei Erfurt und Mühlhausen stand seine Armee. Er zog mit großerEile nach Augsburg, wo er am 1. April ankam und sich damit,nach seinem eigenen Ausdruck, »vor die Spelunke des Fuchses

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 50

Page 51: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

in Innsbruck setzte.« Er hatte sich unterdessen mit dem Heerseines Schwagers vereinigt.

Der Kaiser ließ sich trotzig vernehmen, daß er den Leib desLandgrafen in zwei Teile zerlegen und jeder der Parteien, die ihnzwingen wollten, einen Teil entgegenschicken werde. InWirklichkeit war die Lage Karls verzweifelt. Er hatte wederTruppen noch Geld. Sein Bruder hatte ihm geschrieben, erbrauche seine ganze Macht in Ungarn. Die geistlichen Kurfürstenund der Herzog von Bayern wichen seiner Forderung um Hilfeaus. Die Wechselhäuser in Italien und in den Niederlanden,sowie die Fugger in Augsburg wollten keine Darlehen mehrgeben. Karl hatte allen Kredit verloren, denn er verfolgte dieübelste Politik, die man gegen Handels- und Geldleute treibenkann, nämlich die der Unehrlichkeit. So erblickte er zum Beispieldie größte Sicherheit für die Treue der Genuesen darin, daß erbeschloß, ihnen die Kapitalien, die er ihnen schuldig war, niewieder zu bezahlen; denn, so sagte er sich, sie würden sich hüten,mit einem Fürsten zu brechen, der ihnen so viel Geld schuldigwar.

Der Kaiser wollte von Innsbruck aus nach London entfliehen,aber der zweimal unternommene Versuch mißglückte. In einerAprilnacht begab er sich im tiefsten Geheimnis auf den Weg, soschwach und von Gichtschmerzen geplagt er auch war. In seinerBegleitung befanden sich nur zwei Kammerherren, zwei Dienerund sein getreuer Barbier Van der Fé. Sie ritten durch Wald undGebirge und erreichten in der Frühe das Dorf Nassereit. Hier

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 51

Page 52: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

blieb der Kaiser bis Nachmittag, und dann ritten sie bisPaschelbach, eine Stunde von der Ehrenberger Klause. Van derFé ward aufs Schloß geschickt, um den Befehlshaber umKundschaft zu erfragen. Dieser berichtete, Moritz sei schon vonAugsburg aufgebrochen und habe Füssen besetzt, der Weg überKempten sei unsicher durch des Herzogs Reiter. Da entschloßsich Karl, wieder nach Innsbruck zurückzukehren. In demselbentiefen Geheimnis langte er an, kein Mensch erfuhr etwas von derReise.

Beim zweitenmal verkleidete er sich als altes Weib. Der Planwar, in einem bedeckten Packwagen über Ehrwald undHohenschwangau zu entkommen. Der alte Kammerdiener Karlsmußte sich in dessen Bett legen, und in der Küche wurdegekocht, als ob der Kaiser noch im Schlosse wäre. Zwei kurzeTagereisen wurden zurückgelegt, der neugebahnte Fernpaßüberstiegen, und im Dorfe Lermos stieg Karl aus, um eineMahlzeit zu nehmen. Ein Mädchen, das einmal sein Bildnisgesehen, rief bei seinem Anblick: »Ei, wie sieht die alte Fraudem Kaiser so gleich.« Da erschrak Karl und kehrte abermalsum.

Inzwischen war es dem König Ferdinand gelungen, Moritz zueinem Waffenstillstand zu überreden, damit man zu Passau eineVersammlung einberufen könne, die zu beraten habe, wie dieGebrechen der deutschen Nation abzustellen seien. DiesenStillstand benutzte Karl, und es gelang ihm, einiges Geld undTruppen zu sammeln. Das Heer stand bei Reitti, unfern der

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 52

Page 53: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Ehrenberger Klause. Moritz zog zu Felde, schlug dieKaiserlichen und eroberte die Festung. Nun lag der Weg zumKaiser offen. Die verbündeten Fürsten entschlossen sich, denFuchs in seiner Spelunke zu suchen -- da trat eine unerwarteteHilfe für den Kaiser ein: Moritz mußte erst einen Aufstandunterdrücken, der unter einem Teil des Fußvolks ausgebrochenwar; die Leute forderten für den Sturm auf das EhrenbergerSchloß die doppelte Löhnung. Die Sache stand so schlimm, daßMoritz in Lebensgefahr war; er mußte fliehen und sichverbergen. So erhielt der Kaiser Zeit, Innsbruck zu verlassen. DerHerr zweier Welten mußte in einer kalten Frühlingsnacht, beiströmendem Regen und von heftigen Schmerzen geplagt, in einerSänfte fliehen; fliehen beim Schein brennender Windlichter, mitdenen die Diener die Engpässe der Tiroleralpen erhellten. AlleBrücken wurden hinter ihm abgebrochen. Dem Kaiser folgte derKurfürst Johann Friedrich mit seinem alten Freund, dem MalerLukas Cranach. Zum erstenmal seit fünf Jahren sah der Kurfürstsich nicht mehr von seiner spanischen Garde umgeben; erstimmte auf seinem Wagen ein Lob- und Danklied an.

Der Kaiser wandte sich nach Villach in Kärnten und blieb dortbis in die Mitte des Sommers. Moritz zog am vierten Tage nachKarls Flucht in Innsbruck ein. Alles was den Spaniern, demKaiser und dem Kardinalbischof von Augsburg gehörte, überließer seinen Landsknechten als gute Beute; sie stolzierten in denprächtigsten Gewändern herum, auf ihren Hüten glänztenportugiesische Goldstücke, und einer nannte den andern »Don«.Moritz' Verbündeter, der König Heinrich von Frankreich, zog ins

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 53

Page 54: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Elsaß und erließ Manifeste, in denen viel von deutscher Freiheitzu lesen war; auf einem sah man sogar einen Freiheitshut mitzwei Dolchen und das Wort »Libertas« an der Spitze. Vor allemnahm der Befreier Deutschlands Metz, Toul und Verdun weg.

Moritz machte sich nun auf den Weg nach Passau, wo er mit demKönig Ferdinand, dem Herzog von Bayern und den Bischöfenvon Passau, Salzburg und Eichstädt den welthistorischen Vertragabschloß, der den Protestanten ihre Religionsfreiheit wiedersicherte. Nachdem der Friede abgeschlossen war, führte er seinHeer dem König Ferdinand zu Hilfe gegen die Türken, derKaiser wandte sich gegen die Franzosen nach Westen, und diegefangenen Herren von Hessen und Sachsen kehrten in ihreLänder zurück. Karl entließ Johann Friedrich nicht ohne Zeichender Achtung, sogar der Rührung. Alle protestantischen Städte,durch die er auf seinem Weg kam, empfingen ihn wie einenHeiligen und Märtyrer. In Koburg traf er seine Gemahlin; siehatte in den fünf Jahren ihre Trauerkleider nicht abgelegt und fielin Ohnmacht, als sie ihn wiedersah. Die Ratsherren in Amtstrachtund schwarzen Mänteln gingen ihm entgegen, die Bürger inihren Rüstungen und Feiertagsgewändern bildeten Spalier, aufden Märkten standen die Geistlichen und die jungen Männer aufder einen Seite, die eisgrauen Leute und die jungen Mädchen mitdem Rautenkranz im fliegenden Haar auf der anderen, und dieKnaben sangen das Tedeum. Der Fürst schritt mit entblößtemHaupt hindurch, seine Rückkehr ihrem Gebet zuschreibend, undhinter ihm ging sein lieber Lukas Cranach.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 54

Page 55: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Auch der Landgraf von Hessen kehrte aus den Niederlandennach Kassel zurück. Er hatte Moritzens Vorhaben gegen denKaiser durchaus nicht glauben wollen und geäußert: »Wie willein Sperling den Geier angreifen?« Das Wunderliche geschahjetzt, daß man Moritz von allen Seiten zu mißtrauen anfing. Daer so viele getäuscht, wenn auch zum guten Zweck getäuscht,verdächtigte man sein Wesen ganz und gar. Wilhelm von Hessennannte ihn in einem Wortwechsel einen Verräter. Als er nach denPassauer Tagen die Stadt Frankfurt am Main auffordern ließ, sichzu ergeben, wurde ihm geantwortet, er möge erst fromm werdenund die Judasfarbe ablegen.

Als er aus dem Türkenkrieg zurückgekehrt war, hielt er zurFastnacht in Dresden großes Rennen und Stechen, und dannmußte er in den Krieg gegen seinen ehemaligen Freund undBundesgenossen, den wilden Markgrafen Albrecht. Dieser hattedie Friedenspakte nicht geachtet; es gefiel ihm, das alteFaustrecht noch ferner in Deutschland zu üben, und er war eingefürchteter Mann, der seinen eigenen Weg ging. Er behauptete,der Passauer Vertrag tauge nichts, die Pfaffen müßtengedemütigt werden. Nebenbei suchte er auch die Pfeffersäcke zurupfen, wie er die Kaufherren der Städte nannte. Er umgab sichmit ein paar Tausend Eisenfressern und zog im Namen desEvangeliums verheerend durch die fränkischen und sächsischenLande.

Bei Sievershausen in der Lüneburgerheide traf Moritz seineplündernden Scharen. Es gab ein kurzes Gefecht; hoch zu Roß,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 55

Page 56: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

die rote Feldbinde mit dem weißen Streifen um die Brust,kämpfte Moritz ritterlich. Eine silberne Kugel traf ihn vonhinten, zerriß seinen Panzer und drang durch seinen ganzenKörper. Wilhelm von Grumbach, der fränkische Ritter, soll seinMörder gewesen sein. In einem Zelte, das man neben einemZaun aufgeschlagen hatte, empfing er die erbeuteten Fahnen unddie Papiere des Markgrafen, die er eifrig durchspähte. Erdiktierte sein Testament, und nach zwei Tagen starb er,zweiunddreißig Jahre alt. Sein letztes Wort war: »Gott wirdkommen,« das übrige verstand man nicht.

Kaiser Karl V. liebte Moritz so sehr, daß er, als man ihm zuBrüssel die Todesnachricht mitteilte, in die Worte ausbrach: »O,Absalom, mein Sohn, mein Sohn!«

Der wilde Markgraf wurde in die Acht getan, scheinbar gegenden Willen des Kaisers. »Es ist alles dahin gerichtet, Deutschlandeine Kappe zu schneiden,« schrieb der Herzog vonBraunschweig, der bei Sievershausen seine zwei ältesten Söhneverloren hatte, an Philipp von Hessen, »der Kaiser will dieFürsten nur gegeneinander hetzen. Er hat zwar Albrecht alsseiner Hetzhunde einen gebraucht, würde es aber gern sehen,wenn ihm ein Rad übers Bein ginge.«

Albrecht flüchtete nach Frankreich, kehrte später nachDeutschland zurück und starb elend in Pforzheim, erstfünfunddreißig Jahre alt.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 56

Page 57: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

So endete die Reformation, die als eine Angelegenheit desVolkes begonnen hatte, als ein Zusammenbruch der Fürsten.

Wallenstein

Albrecht Wenzel Eusebius Baron von Waldstein oderWallenstein entstammte einem alten böhmischen Geschlecht,dessen Name schon im zwölften Jahrhundert zu finden ist. Erwar am 15. September 1583 geboren und kam zwei Monate zufrüh auf die Welt. Seine Eltern waren Protestanten, und beideverlor er bald, den Vater, als er zehn, die Mutter, als er zwölfJahre alt war. Sein Oheim, Albrecht Slavata, ließ ihn in derSchule der böhmischen Brüdergemeinde unterrichten, aber einzweiter Oheim, Johann von Ricam, nahm ihn von dort weg undbrachte ihn in das adelige Jesuitenkonvikt nach Olmütz, wo ihnPater Pachta der katholischen Kirche zuführte.

Die im Volk verbreiteten Sagen über den hochfahrenden undtrotzigen Sinn Wallensteins beschäftigten sich auch mit seinerKindheit. So hieß es, es habe ihm einst auf der Schule zuGoldberg geträumt, daß Lehrer und Schüler, ja selbst die Bäumedes Waldes sich vor ihm verneigt hätten, und als er diesen Traumerzählte, sei er lebhaft verspottet worden.

Von Olmütz aus ging er auf Reisen; er machte mit einem reichenjungen Edelmann aus Mähren die europäische Kavaliertur nachHolland, England, Frankreich und Italien. Ihr gelehrter Begleiter

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 57

Page 58: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

war der Mathematiker und Astrolog Verdungs, ein Franke; durchihn und den Professor Argoli in Padua wurde Wallenstein in diegeheimen Wissenschaften der Sterne und in die Kabbalaeingeweiht. Nach seiner Rückkehr diente er dem Kaiser Rudolfgegen die Türken und dem König Ferdinand unter Dampierregegen die Venezianer. In diesem Feldzug konnte er schon einDragonerregiment auf eigene Kosten stellen, denn er war durchdie Heirat mit einer begüterten alten Witwe zu Vermögengekommen. Lukrezia von Landeck hieß die Frau; um seineNeigung zu gewinnen hatte sie ihm einen Liebestrankeingegeben, der ihm fast den Tod gebracht hätte. Sie lebte nurwenige Monate an seiner Seite.

Nach der Kampagne gegen Venedig erhob ihn der KaiserMathias in den Freiherrenstand und ernannte ihn zum Obrist,Hofkriegsrat und Kämmerer. Beim Ausbruch der böhmischenUnruhen waren seine Fähigkeiten schon anerkannt; die Böhmenwollten ihn zu ihrem General machen. Er blieb aber dem Kaisertreu und flüchtete von Olmütz aus mit der Kriegskasse nachWien. Im Jahre der Prager Schlacht erhielt er dieReichsgrafenwürde, und nach dem Nikolsburger Friedenschenkte ihm der Kaiser die an Schlesien und an die Lausitzgrenzende Herrschaft Friedland, die aus neun Städten undsiebenundfünfzig Dörfern und Schlössern bestand; seitdem hießman ihn nur den »Friedländer«. Auch wurde er Fürst desReiches. Sein Vermögen entsprach der fürstlichen Würde; er warallmählich durch den Ankauf konfiszierter Güter, die um einenSpottpreis zu haben waren, der reichste Grundherr Böhmens

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 58

Page 59: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

geworden. Er betrieb den Güterschacher im allergrößten Stil,denn er verkaufte auch wieder. Um dieses Freiwerden adeligerBesitztümer verständlich zu machen ist es notwendig, auf dieUrsache hinzuweisen.

* * * * *

Als Ferdinand im Jahre 1619 seinem Vetter Mathias folgte, warer bereits einundvierzig Jahre alt, ein kleiner, korpulenter Herrvon gesunder Leibesbeschaffenheit und gemäßigterLebensführung. Der beherrschende Zug seines Wesens war dieFrömmigkeit. Khevenhüller schildert ihn, wie er einmal währendeiner Jagd den Trägern des heiligen Sakraments begegnete,umkehrte und barhäuptig bis an das Lager des Sterbenden folgte.Was Philipp II. für Spanien gewesen, wollte er für Deutschlandsein. »Besser eine Wüste, als ein Land voll Ketzer,« war seinWahlspruch. Die Priester waren für ihn die Stimme Gottes, undjeden einzelnen verehrte er als überirdische Erscheinung. »Trittmir ein Priester und ein Engel zugleich in den Weg,« so soll ersich einst geäußert haben, »so werde ich dem Priester zuerstmeine Ehrfurcht erweisen.« Dies galt freilich nur für diespanisch-aristokratischen Geistlichen, die sich zu dem Systemder unbedingten Ketzerausrottung bekannten. Er hörte alle Tagezwei Messen in der kaiserlichen Kapelle, am Sonntag außerdemdie Messe in der Kirche, eine deutsche und eine italienischePredigt und nachmittags die Vesper; während der Adventszeitversäumte er keine Frühmette, und an allen Prozessionen nahmer zu Fuße teil. Seine Gewissensräte, die Jesuiten Lamormain

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 59

Page 60: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

und Weingärtner, hatten sein ganzes Herz in der Hand undlenkten es, wie der Orden wollte. Er war stark durch seinenStarrsinn. Alles Unglück ertrug er mit der Geduld des Hasses,den er gegen die Ketzer empfand; all das selbstverschuldete,durch Mangel an Treu und Glauben herbeigeführte Unglückerschien ihm als eine vorübergehende Prüfung Gottes. Er war derunversöhnliche Feind der Protestanten in Deutschland undBöhmen; die Rache, die er an ihnen üben wollte, war derMittelpunkt seiner Gedanken und Gefühle.

Nach des Kaisers Mathias Tode zog das böhmischeProtestantenheer gegen Wien. Ferdinand befand sich in derHofburg. Er war ohne Soldaten und ohne Geld. Er schienverloren. Seine Räte drängten ihn, nach Tirol zu fliehen, selbstdie Jesuiten stimmten für Nachgiebigkeit. Ferdinand weigertesich. Die Lage war furchtbar; Geschosse flogen in diekaiserlichen Fenster, Ferdinand mußte sein Wohnzimmerverlassen. Er betete gegen seinen Feind. Seine Bedrängnisnutzend, erschienen sechzehn protestantische Herren derösterreichischen Stände vor ihm und forderten, er solle seineEinwilligung zu der Union mit den Böhmen geben. Ferdinandweigerte sich, die Schrift zu unterzeichnen. Da faßte AndreasThonradtel den Kaiser bei den Wamsknöpfen und rief ihm zu:»Nandl, gib dich, du mußt unterschreiben.« In diesemAugenblick schmetterten Trompeten im Burghof; es waren dieDampierreschen Kürassiere, die durch das Wassertor in die Stadtgedrungen waren. Sie retteten den Kaiser. Furcht und bösesGewissen trieben die Herren von der protestantischen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 60

Page 61: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Adelskirche aus Wien. Der böhmische General hatte dieGelegenheit versäumt, und Ferdinand entschloß sich rasch undkühn, nach Frankfurt zu reisen und sich dort zum Kaiser krönenzu lassen. Aber gerade in dieser Zeit sprachen ihm die Böhmenin Prag die königliche Würde ab. Sie entsetzten ihn als einenErbfeind der Gewissensfreiheit, als einen Sklaven Spaniens undder Jesuiten, und sie wählten an seiner Statt den KurfürstenFriedrich von der Pfalz zum König, ein unglücklicher Schritt, derdie Erbitterung aller drei Religionsparteien auf die Spitze trieb,denn Friedrich war Kalvinist, und nach Luthers Wort waren dieKalvinisten siebenmal ärger als die Päpstlichen.

Friedrich war ein schöner, stattlicher und galanter Mensch vondreiundzwanzig Jahren. Als er zu Amberg die Nachricht erhielt,daß er König geworden sei, war er betroffen und konnte keinenBeschluß fassen. Erst auf das dritte Schreiben der Böhmen reisteer nach Prag und war nun guten Mutes. Er verließ sich auf seinenmächtigen Schwiegervater, den König von England, er verließsich auf die Hilfe der deutschen Städte, der Hugenotten inFrankreich und der Graubündtner, die ihm versprachen, denspanischen Armeen die Pässe zu sperren, und am meisten verließer sich auf seine Jugend.

Doch war er von Anfang an ein verlorener Mann. Wohl stand eran der Spitze einer evangelischen Union, viel mächtiger aber wardie Vereinigung der katholischen Fürsten, welchen aus Haßgegen die Kalvinisten auch der protestantische Kurfürst Johannvon Sachsen sich gesellte, und als nun gar der König von

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 61

Page 62: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Frankreich Gesandte an die Fürsten der Union schickte, um sievon Friedrich abzubringen, machten diese ihren Frieden mit derkatholischen Liga, und von allen verlassen, sah Friedrich vonallen Seiten her die Feinde gegen sich losstürmen. Er hatte esnicht verstanden, die böhmischen Herren zu gewinnen; er hattees nicht verstanden, sich bei diesen Aristokraten in Respekt zusetzen, die einen König nur zum Schein haben wollten, und daßer ihnen ihre krummen Sachen gerade biege. Sie hatten nur ihreFeudalrechte, Freiheiten und Privilegien im Sinn, nannten denKaiser einen blinden Hund, den Herzog Max die bayrische Sauund den Kurfürsten von Sachsen den meineidigen, trunkenenKlotz, und als Friedrich sie einmal um sieben Uhr früh zu einerRatsversammlung bescheiden ließ, wurde ihm erklärt, zu solcherTageszeit könnten sie nicht kommen, der Mensch müsse nachder Arbeit seine Ruhe haben.

In der Stadt herrschte die größte Unsicherheit. Jeden Tag wurdenein paar Menschen ermordet. Ehebruch und Hurerei wurden zurPlage. Die Ernstgesinnten fanden sich durch Friedrichs Vorliebefür französische Sprache, französische Sitten und Modenbeleidigt. Man verspottete ihn, wenn er im rotsamtenen Pelz, mitweißem Hut und gelben Federn abends im Schlitten durch dieStadt fuhr. Aber am meisten verdarb er seine Sache dadurch, daßer die Bilderstürmerei zuließ. Allenthalben wurden die Altärezerstört, die Kruzifixe zerschlagen, die Gräber der Schutzpatroneaufgerissen und beraubt, die Geräte weggeführt, die schönenStoffe verbrannt und das geschnitzte Holzwerk zerhackt. Als dasgroße steinerne Kruzifix auf der Moldaubrücke fallen sollte,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 62

Page 63: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

entstand ein Aufruhr, und man mußte der Wache befehlen, jedenin den Fluß zu werfen, der die Statue anzutasten wage.

So standen die Dinge, als Max und Tilly heranzogen, dieglühenden Katholiken, die vor Eifer brannten, die böhmischeHauptstadt den Klauen des Ketzers zu entreißen. Die Jahreszeitwar vorgerückt, es fing an rauh und kalt zu werden. Der GeneralBoucquoy war gegen rasche Maßregeln, aber Tilly rief jederzeitim Kriegsrat, wo er vor Ingrimm und Ungeduld stets etwas zuzerknittern oder zu zerreißen pflegte: »Prag, Prag.« Im Frühnebeldes 8. November stand die ligistische Armee endlich vor Prag.Der Morgen war bitterkalt, der Boden festgefroren. Abermalswollte Boucquoy den entscheidenden Schlag nicht wagen. Datrat ein spanischer Karmelitermönch auf, riß ein von denBöhmen verstümmeltes Marienbild aus der Kutte und hielt eshoch empor. Herzog Max rief überlaut: »Heilige Maria!« und»heilige Maria« wurde das Feldgeschrei des Tages. Es warMittag, und die Sonne trat aus den Nebeln. Das Vorrücken zurSchlacht geschah in Massenvierecken des Fußvolks, die Reitereizog auf beiden Flügeln mit. Die böhmischen Kanonen schossenin die Vierecke, und die ungarischen Reiter machten einenAngriff. Boucquoy und Herzog Max, die sich im Rücken derArmee befanden, hielten die Fliehenden mit dem Degen in derFaust auf. Nun führte der Reiteroberst Pappenheim seineKürassiere gegen die Ungarn. Ein junger polnischer Lanciererstach das Pferd des den Böhmen verbündeten Herzogs vonAnhalt. Er stürzte und wurde gefangen. Dieser Zufall warentscheidend. Die Ungarn ergriffen die Flucht, ihre Flucht

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 63

Page 64: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

verwirrte die ganze böhmische Schlachtordnung, und dieNeapolitaner erstürmten die Schanzen und nahmen die Batterien.Die Schlacht war nach einer Stunde zu Ende. Eine einzigeStunde hatte das Schicksal Böhmens, ja das SchicksalDeutschlands für Jahrhunderte entschieden.

Im königlichen Tiergarten hatte Pappenheim gegen eineauserwählte Schar von jungen Adeligen gekämpft. Mit zahllosenHieb- und Stichwunden bedeckt, fiel er und lag die ganze kalteNovembernacht hindurch ohne Bewußtsein unter Leichen undPferden. Am andern Morgen kam ein Kroat über ihn. Er biß ihnin den Finger, weil der schöne Ring, den er trug, sich nichtanders wollte abziehen lassen. Das herzhafte Zubeißen deswilden Mannes brachte Pappenheim wieder ins Leben. Er blickteden Kroaten finster an und fragte: »Kerl, was willst du?« DerKroat erwiderte: »Du hast gute Kleider an, du mußt sterben.«Obgleich halbtot, versetzte ihm Pappenheim eine gewaltigeOhrfeige, versprach aber dann, ihn gut zu belohnen, wenn er ihnzu einem Wundarzt führe. Der Kroat willfahrte.

Am Morgen nach der Schreckensnacht stieg Friedrich, derWinterkönig, in den Reisewagen, ließ alles im Stich, Krone,Kleinodien, Archiv und geheime Kanzlei, und fuhr über Breslauund Berlin nach Holland.

Die Rache des Kaisers war glänzend. Er wartete; er wartetesieben Monate lang. Er wollte die böhmischen Landherrensorglos machen und die Vögel sicher ins Garn locken. Es gelang

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 64

Page 65: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

ihm nur zu gut. Max und Tilly hatten Amnestie verbürgt. Tillygab den Rat, die Stände nicht zur Verzweiflung zu treiben; aberdie Klugen, die den Kaiser lenkten, waren der Meinung, daßLeute, die ein schlechtes Gewissen haben, keine verzweifeltenSchritte tun, sondern daß solche Leute es lieben, sich zu ducken.

Eines Tages wurden plötzlich achtundvierzig Häupter desAufstandes verhaftet und auf den Hradschin gefangengesetzt.Noch hatte Ferdinand seine Bedenken, ob er mit den Rebellenauf spanische Art verfahren solle. Der Jesuit Lamormain machtedem Spintisieren ein Ende, indem er erklärte, er nehme alles aufsein Gewissen. Am andern Morgen war der Blutbote auf demWege nach Prag, um dem Statthalter die kaiserlichen Befehle zuüberbringen.

Schlag vier Uhr früh ertönte der Knall einer Kartaune vomHradschin. Die Gefangenen, von einer Reiterschwadron undzweihundert Musketieren begleitet, wurden in bedeckten Wagenzur Altstadt heruntergeführt. Der Richtplatz war unmittelbar vordem Rathaus, gegenüber der Theinkirche, wo der goldeneHussitenkelch mit dem Schwerte stand. Das Schafott war mitrotem Tuch behangen; auf einer Bühne unter einem Baldachinsaß der Statthalter und elf vom Kaiser verordnete Kommissarien.Es war ein regnerischer Junimorgen, aber zum Trost der Märtyrerspannte sich ein schöner Regenbogen über den Lorenzberg.

Der Scharfrichter köpfte innerhalb vier Stunden vierundzwanzigPersonen, drei wurden gehenkt. Es waren lauter protestantische

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 65

Page 66: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Köpfe bis auf den des Grafen Czernin, der Katholik war. Ermußte sterben, weil man den Schein retten wollte, daß dasBlutgericht keine Religionsverfolgung, sondern eineabgedrungene politische Maßregel sei. Es waren meist ganz alteLeute, die exekutiert wurden; zehn von ihnen zählten zusammenüber siebenhundert Jahre.

Der Kaiser tat noch ein übriges für die Opfer: er betete, währendsie hingerichtet wurden. Er hatte zu diesem Zweck eine Wallfahrtnach Mariazell angetreten, lag vor dem Bild der Mutter Gottesauf den Knien und flehte, daß die Böhmen noch vor ihrem Tod inden Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückgeführtwerden möchten.

Elf Monate nach dem Bluttag ließ Ferdinand einenGeneralpardon verkündigen. Wer sich schuldig fühlte, sollte sichselbst anklagen, um die kaiserliche Verzeihung zu erhalten. DieVögel liefen ins Garn. Siebenhundertachtundzwanzig Herrenvom Adel, Ritter und Barone, stellten sich freiwillig. Sofortwurden ihre Güter konfisziert. Teils ganz, teils halb, teils einDrittel. Im kaiserlichen Kabinett fehlte es an Geld. Diekonfiszierten Vermögen ergaben die Summe von dreiundvierzigMillionen Gulden, eine ungeheure Summe für jene Zeit. Sieerlaubte dem Kaiser, den Krieg fortzusetzen. Alle Güter kamenin andere Hände. Es wechselte der ganze Besitzstand.Hundertundfünfundachtzig adelige Geschlechter und vieleTausende von Bürgerfamilien verließen die Heimat undwanderten ins Ausland, und ganz Böhmen, ganz Mähren und

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 66

Page 67: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

ganz Österreich wurde mit Gewalt wieder katholisch gemacht.

* * * * *

Der Anteil Wallensteins an der Rebellenbeute betrug nahezu einDrittel. Sein Reichtum spielte eine wichtige Rolle in denEreignissen der Zeit. Denn als in Deutschland der Kriegerwachte, als der König von Dänemark sich mit Mansfeld unddem Herzog von Braunschweig verband, als Holland, Englandund Frankreich sich anschickten, den Protestanten gegen dasHaus Habsburg Hilfe zu leisten, sah sich der Kaiser ohnegenügende Mittel zur Ausrüstung und Besoldung eines großenHeeres. Da erbot sich Wallenstein, der unterdessen durch dieHeirat mit der Gräfin Harrach, der Tochter eines Günstlings desKaisers, höfische Beziehungen erlangt hatte, zum Helfer.Wallenstein wollte den Krieg in großem Stile führen. Der Kaiserbefahl ihm, ein Heer von zwanzigtausend Mann zu werben. Diesschlug er aus. Ein Heer von vierzig- bis fünfzigtausend Mannwollte er stellen, denn ein solches Heer, meinte er, werde sichselbst zu ernähren wissen. Er erhielt darauf die Vollmacht fürdiese Zahl und zugleich den unbeschränkten Oberbefehl alsGeneralissimus des Kaisers. Wenige Monate vergingen, und dieArmee war beisammen. Sein Name lockte; nicht bloßunbeschäftigte und hungrige Menschen traten unter seineFahnen, sondern es kamen auch als Offiziere Männer vonhöchstem Rang. Das Hauptquartier des Heeres war in Eger.

* * * * *

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 67

Page 68: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Wallenstein war zum Kriegsfürsten geboren. Er trat im höchstenPrunk auf und imponierte durch seinen Luxus, durch einglänzendes Gepränge, das jeden blendete, der ihm nahte. Erwußte die stärksten Leidenschaften der Menschen zu erregen undsie dadurch auf Tod und Leben sich dienstbar zu machen. SeineBelohnungen waren königlich, seine Tafel bot unerschöpflicheGenüsse. Unter der einzigen Bedingung der strengsten Disziplinließ er alle Ausschweifungen seiner Soldaten hingehen. SeinLager war das lustigste, das Soldaten haben konnten. Er duldeteeinen riesigen Train von Bedienten, Troßbuben, Fuhrknechtenund Weibern, nur Pfaffen duldete er im Lager nicht. Freibeuteraller Konfessionen und jeden Standes zogen ihm zu. Seinscharfes Auge erkannte den Tüchtigen auf den ersten Blick; dergemeinste Mann vermochte die höchste Stellung zu erringen.Jede heroische Tat wurde durch Beförderung und Geschenkeausgezeichnet, aber der Feigling mußte sterben, und über denUngehorsamen erging der Befehl, der als Kriegsgerichtsspruchgalt: Laßt die Bestie hängen.

Er verachtete die Menschen. Sie waren ihm nur Werkzeuge zuseinen Zwecken. Als ihm einmal Gustav Adolf vor einerSchlacht den Antrag machen ließ, daß man im äußersten Falleinander Pardon geben möge, antwortete er: »Die Truppen sollenentweder kombattieren oder krepieren.«

Schon sein Äußeres flößte Ehrerbietung und Scheu ein: einelange, hagere, stolze Gestalt, das Gesicht immer ernst, bleichoder gelb, die Stirn hoch und gebieterisch, das schwarze Haar

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 68

Page 69: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

kurz abgeschnitten und aufwärtsstehend, die Augen klein,schwarz und feurig-stechend, der Blick finster und vollArgwohn, Lippen und Kinn mit starkem Schnurr- undKnebelbart bedeckt. Seine gewöhnliche Tracht war einReiterrock von Elensleder, darüber ein weißes Wams, Mantelund Beinkleider von Scharlach, ein breiter, nach spanischer Artgekräuselter Halskragen, Korduansstiefel, die des Podagraswegen mit Pelz gefüttert waren, und eine lange, rote Feder aufdem Hut.

Mochte es im Lager noch so laut hergehen, in seiner Nähe mußtealles still sein, seine unmittelbare Umgebung mußte die tiefsteRuhe bewahren. Weder Wagengerassel noch Stimmen imVorzimmer konnte er ertragen. Man sagt, er habe einenKammerdiener aufknüpfen lassen, der ihn ohne Befehl geweckt,und einen Offizier heimlich umbringen lassen, weil er mitlautklirrenden Sporen vor ihn getreten sei. Er war immer in sichselbst versunken, in sich selbst webend und brütend, nur mitseinen Plänen und Entwürfen beschäftigt. Er forschteunermüdlich und war unablässig tätig, aber immer nur aus sichselbst heraus und fremde Einflüsse schroff abwehrend. Er konntees nicht einmal leiden, daß man ihn anblickte, wenn er seineBefehle gab; wenn er durch die Gassen des Lagershindurchschritt, mußten die Soldaten so tun, als bemerkten sieihn nicht. Ein wunderliches Grauen überfiel die Leute, wennseine hagere Gestalt gespenstergleich vorüberging. Es umgab ihnetwas Geheimnisvolles, Feierliches und Banges. Er schritteingehüllt in diese Zauber, und sie bildeten einen Nimbus um

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 69

Page 70: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

ihn. Der Soldat glaubte steif und fest, daß der General mitdunklen Mächten im Bündnis stehe, daß ihm die Sterne Bescheidsagten, daß er keinen Hund bellen, keinen Hahn krähen hörenkönne, daß er hieb-, kugel- und stichfest sei, und vor allem, daßer die Fortuna an seine Fahnen gebannt habe. Die Fortuna, dieseine Göttin war, wurde die Göttin des ganzen Heeres.

Wallenstein war ein Mann von heißestem Temperament, aberäußerlich war er immer kalt und ruhig. »Laßt fleißig münzen,«schreibt er einmal an seinen Hauptmann im HerzogtumFriedland, »auf daß ich nicht Ursach hab, solches zu ahnden,denn ich höre, daß man dem nicht nachkommt, wie ich esbefohlen, welches mir wohl in die Nasen raucht. Ich bin nichtgewohnt, eine Sache oft zu befehlen.« Er war höchst wortkargund sprach recht wenig, dann aber mit Nachdruck. Am wenigstensprach er von sich selbst. Der glühendste Ehrgeiz flammte stillund lautlos in seiner Brust; ihm opferte er kaltblütig alles. Er warein Meister in der Verstellung; keiner wußte um seine Absichten,und dem Umstand, daß er in wichtigen Sachen niemals etwasSchriftliches von sich gab, verdankte er viele seiner Erfolge. Erwar zweiundvierzig Jahre alt, als er den Oberbefehl übernahm.

* * * * *

Im Herbst 1625 zog Wallenstein gegen den König vonDänemark. Er überwinterte in Halberstadt, das er erobert hatte.Im Feldzug des folgenden Jahres schlug er den Grafen Mansfeldbei der Dessauerbrücke. Dann gewann er dem Kaiser Schlesien

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 70

Page 71: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

zurück, eroberte die dänischen Besitzungen und Mecklenburg,das sein Herzogtum wurde. Zum Dank dafür, und weil er demKaiser viel Geld vorstreckte, überließ ihm Ferdinand dasHerzogtum Sagan und verkaufte ihm die Herrschaft Priebus füreinen niedrigen Scheinpreis. Auch wurde er zum General desbaltischen und ozeanischen Meeres ernannt. Österreich wolltenämlich eine Seemacht werden. Dazu schien alles auf dem bestenWege, Dänemark lag darnieder, die Hansastädte waren willens,dem Kaiser behilflich zu sein, nur die Festung Stralsundwiderstand. Ein halbes Jahr lang belagerte Wallenstein dieseStadt; obwohl er schwor, daß er sie einnehmen werde, und wennsie mit Ketten an den Himmel gebunden wäre, mußte erunverrichteter Dinge wieder abziehen. Dieser Mißerfolguntergrub sein Ansehen im Norden Deutschlands. Auch derKaiser verlor den Glauben an seine Unüberwindlichkeit. Jetzttraten die Fürsten mit ihren Klagen über den beispiellosen Pompdes Emporkömmlings auf. Ein Notschrei erhob sich über dieunerträglichen Brandschatzungen, mit denen der General diebesiegten Länder heimgesucht. Bis dahin hatten alle, verblüfftvon seinem fabelhaften Glück, geschwiegen, nun taten sich dieLippen auf und ergossen sich in Verwünschungen gegen denTyrannen, der auf Kosten des allgemeinen Elends im Überflußschwelgte. Während Tausende ringsumher den Hungertodstarben, während sich viele Bürger und Bauern entleibten, umder Not zu entrinnen, lebte jeder Rittmeister derWallensteinschen Soldateska wie ein Fürst, und in Schlesien, woder Bruder den Bruder, die Eltern ihre Kinder anfielen, um sieaus Hunger zu schlachten, war der Übermut der Söldlinge am

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 71

Page 72: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

größten. Die Häuser wurden geplündert und demoliert, ganzeDörfer verbrannt, die Weiber geschändet, den Männern Nasenund Ohren abgeschnitten; Offiziere, die kurz zuvor bettelarmgewesen waren, besaßen drei- bis viermalhunderttausend Guldenan barem Geld.

Aber noch gehorchte ganz Deutschland dem WinkeWallensteins. Er stand wie ein Alleinherrscher da. DasUnbegreiflichste an dem unbegreiflichen Manne war, daß er dieRüstungen umso eifriger betrieb, je mehr die Feinde schwanden.Das Heer zählte erst fünfzigtausend, dann hunderttausend,schließlich hundertfünfzigtausend Mann. Diese furchtbareArmada des Kaisers erweckte bei allen Fürsten Eifersucht undAngst. Die Kurfürsten und der Papst, die Aristokraten des Reichsund die Jesuiten standen dagegen auf, aber die Seele allerRatschläge wider den übermächtig werdenden Kaiser war derKardinal Richelieu, der in einem Bericht an den Papst UrbanVIII. unverblümt die Absetzung Wallensteins forderte.

[Illustration: Wallenstein, nach einem Stich von Peter de Jode.]

Dieser Bericht, erfüllt von tiefster pfäffischer Schlauheit, sprachvon Österreich als von einer »Bestia mit vielen Köpfen«, vondenen die abgeschnittenen immer wieder nachwüchsen; Gewaltfruchte nichts, man müsse das Blatt umkehren und des KaisersFrömmigkeit ausnutzen. Derart müsse man seine Gottesfurchtausnutzen, daß man ihn hetze, die seit dem Passauer Vertrageingezogenen Kirchengüter zurückzuverlangen; so werde er sich

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 72

Page 73: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

alle protestantischen Fürsten auf immer zu Feinden machen.Ferner müsse man seine Frömmigkeit dadurch ausnutzen, daßman wegen der üblen Führung des Kriegsvolks sein Gewissenrühre und sein Mitleid reize. Alsdann solle Frankreich ein großesHeer nach Deutschland schicken, Gewalt brauchen, wo Gewaltvonnöten und mit dem Versprechen von Religionsfreiheit nichtsparsam sein.

Der Papst war mit diesen Vorschlägen einverstanden, und derKaiser wurde langsam umgarnt. Sein Beichtvater bedeutete ihm,daß der Passauer und der Augsburger Religionsfriede ungültigseien, weil sie ohne den Konsens des Papstes abgeschlossenwaren. Darauf erließ der Kaiser das berüchtigte Restitutionsedikt,welches alles wieder katholisch machte, was seitsiebenundsiebzig Jahren protestantisch geworden war, und soforterfolgte die strengste Exekution. Obwohl die norddeutschenProtestanten erklärten, sie würden eher Gesetz und Sitte von sichwerfen und Germanien wieder in die alte Waldwildnisverwandeln als zugeben, daß das Edikt vollzogen werde, wurdensie durch die kaiserlichen Heere dazu gezwungen. Fortwährendlagen die Truppen in allen Ländern der Protestanten, mitAusnahme Kursachsens, das noch für zu mächtig erachtet wurde,und raubten sie aus. Jede Beschwerde wurde höhnischabgewiesen, und es fiel das Wort: Der Kaiser will lieber, daß dieDeutschen Bettler seien als Rebellen.

Indessen verfolgte Wallenstein schweigend seine Entwürfe. Eskam der Tag, wo er seine Gedanken offen aussprach: »Man

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 73

Page 74: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

braucht keine Fürsten und Kurfürsten mehr. Jetzo ist es Zeit, daßman ihnen das Gasthütel abzieht. In Deutschland soll nur derKaiser allein Herr sein.« Diese Sprache klang der deutschenFürstenaristokratie furchtbar in die Ohren. Wallensteins Planwar, sämtliche kleinen Reichsfürsten mit Arglist oder mit Gewaltzu vertreiben, ihren Nachlaß zu parzellieren und an die Offiziereseines Heeres zu verleihen. Zum Teil war dies schon geschehen.Das neue Kaiserreich sollte sich auf den Soldatenadel stützen.

Natürlich war der Kaiser nicht sehr geneigt, einen Mann zuentfernen, der ein solches Machtideal für ihn verwirklichenwollte. Auf dem Regensburger Fürstentag im Juni 1630 befandsich Ferdinand in einer verzweifelten Lage. Die Fürstenbedrängten ihn, das über jedes Maß angeschwollene Heer zuverringern und den unerträglichen Diktator, den Urheber desallgemeinen Elends, zu entlassen. Weigerte sich der Kaiser, sodrohten sie, sich mit den Protestanten und mit Frankreich zuverbünden. Auf der andern Seite erbot sich Wallenstein, dieFürsten in Regensburg zu überrumpeln und unschädlich zumachen. Noch ganz andere Pläne schwebten vor seinem kühnenGeist, und er wartete nur, daß der Kaiser sie gutheiße. Er wolltefür den Kaiser gegen den Papst ziehen. Rom sei schon seithundert Jahren nicht geplündert worden, ließ er sich vernehmen,es müsse jetzt um vieles reicher sein. Er hatte gegenhunderttausend Mann seines Heeres nach dem südwestlichenDeutschland gezogen und wollte sich nicht nur gegen Frankreichund Italien, sondern auch gegen die katholischen FürstenDeutschlands wenden. Er und seine Günstlinge drangen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 74

Page 75: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

unaufhörlich in den Kaiser, daß er seine Einwilligung zu denmilitärischen Operationen geben möge. Aber der Kaiser gabnicht die Fürsten auf, wie Wallenstein es wollte, er gabWallenstein auf, wie die Fürsten es wollten. Dem päpstlichenNunzius Rocci gelang es, Ferdinand umzustimmen; es gelangihm mit Hilfe des feinsten Diplomaten jener Zeit, desKapuzinerpaters Joseph, eines Mannes, der, wie sein BegleiterHerr von Leon sagte, gar keine Seele hatte, sondern nur Untiefen,in die ein jeder geraten müsse, der mit ihm verhandelte. DerKaiser unterzeichnete den Absetzungsbefehl des Friedländersund hieb sich damit gleichzeitig die rechte Hand vom Arm. Indem Augenblick, wo alles zu gewinnen war, gab er alles auf. Diekirchliche Politik hat nie einen größeren Triumph gefeiert.

Zwei alte Freunde Wallensteins, der Hofkanzler Werdenberg undder Hofkriegsrat Westenberg, wurden beauftragt, ihm denAbsetzungsbefehl zu überbringen. Sie trafen ihn in seinemHauptquartier in Memmingen, anscheinend tief in astrologischenStudien, in Wirklichkeit völlig beschäftigt mit dem Gedanken andie Überrumpelung der deutschen Fürsten. Er empfing undbewirtete die kaiserlichen Räte prächtig. Lange Zeit wurde vongleichgültigen Dingen gesprochen, die Herren trauten sich nichtmit der Sprache heraus. Da nahm Wallenstein einige Papierevom Tisch und sagte: »Diese Dokumente enthalten des Kaisersund des Kurfürsten von Bayern Nativität. Aus ihnen könnt Ihrsehen, daß ich Euren Auftrag kenne. Die Sterne zeigen, daß derSpiritus des Kurfürsten den des Kaisers dominiert. Aus dieserUrsach messe ich dem Kaiser keine Schuld bei. Es tut mir weh,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 75

Page 76: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

daß kaiserliche Majestät mit Abdankung der Truppen denedelsten Stein aus seiner Krone wegwirft, es tut mir weh, daßkaiserliche Majestät sich meiner so wenig angenommen hat, aberGehorsam will ich leisten.«

Wallenstein zog sich nun nach Gitschin, der Hauptstadt seinesHerzogtums Friedland, in die Einsamkeit zurück. Von seinemHeere wurden dreißig Regimenter abgedankt, der Rest vereinigtesich mit Tilly.

* * * * *

Es erhob sich aber jetzt für den gefährdeten Protestantismus einRetter in der Person Gustav Adolfs von Schweden, derSchneemajestät, wie ihn die Herren in Wien nannten, die freilichnoch nicht wußten, was für Hitze ihnen dieser Eiskönig machenwürde. Bei den Protestanten hieß er wegen seines blondenHaares und Bartes der Goldkönig, auch den Löwen ausMitternacht hießen sie ihn in ihrer gläubigen Hoffnung.

Gustav Adolf war von ungewöhnlich hohem Wuchs, starkemKnochenbau und großer Wohlbeleibtheit, so daß nur ein starkesPferd ihn zu tragen vermochte. Seine graublauen Augen blicktenunter der weiten Stirn mit freundlichem Ausdruck. Seine Haltungund sein Anstand waren echt fürstlich, seine ganze Erscheinungtrug das Gepräge der Zuversicht und Offenheit, und seinewohltönende Stimme flößte Vertrauen ein. Er übte große Machtüber die Gemüter, seine Zunge war beredt, und seine

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 76

Page 77: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Unterhaltung voll Anmut und Leutseligkeit. Er liebte dieWissenschaften, sein Lieblingsbuch war das Buch vom Kriegund Frieden von Hugo Grotius, das er immer mit sich führte. Seitseiner Jugend hatte nur der Krieg für ihn Reiz, er war zumHelden und zum Herrscher geboren. Er war fromm undgottesfürchtig, aber er war auch klug; seine Diplomatie hieltgleichen Schritt mit seiner Heldenschaft. Seine Geschäftsleutewurden hoch bezahlt, ein Netz von schwedischen Gesandten undSpionen war über die europäischen Höfe verbreitet, und seinKabinett war durch seine undurchdringliche Verschwiegenheit soausgezeichnet, daß die französischen Gesandten beständigdarüber klagten, nie hinter die eigentlichen Absichten derSchweden kommen zu können. Fremden Ministern undOffizieren ließ Gustav, wenn sie in sein Lager zuUnterhandlungen kamen, ihre Geheimnisse beim Weinentlocken, wozu meist ein schottischer Oberst verwendet wurde,der übermäßig viel vertragen konnte und dabei doch denVerstand bewahrte.

Mit bloß vierzehntausend Mann kam Gustav Adolf nachDeutschland; die kaiserliche Macht war wenigstens doppelt sostark. Aber er hatte viel Zulauf von Wallensteins entlassenerArmada, und er verließ sich auf die Sympathie im Volke; in allenStädten, die er durchzog, blies man von den Türmen: nun kommtder Heiden Heiland. Er nahm Stettin ein, rief die Mecklenburgervon Wallenstein ab und zum Gehorsam gegen die alten Herzögezurück, erstürmte Frankfurt an der Oder, bemühte sich, freilichvergebens, ein Bündnis zwischen den Kurfürsten von Sachsen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 77

Page 78: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

und Brandenburg zu erwirken, und sandte, da Magdeburg ingroßer Not war, einen der Obersten seiner vierzig deutschenKompanien, Herrn Dietrich von Falkenberg, in die belagerteStadt. Falkenberg, ein sehr tapferer Edelmann, verkleidete sichals Schiffer und schlich durch Pappenheims Scharen in die Stadt,wo er alsbald den Kommandantenposten übernahm. Pappenheimmachte den Versuch, ihn durch das Anerbieten einer großenSumme zu bestechen, er aber erwiderte: »Braucht derPappenheim einen Schelmen, so mag er ihn im eigenen Busensuchen.«

Aber die Stadt war nicht zu halten. Tilly war mit dreißigtausendMann vor den Mauern angelangt und eroberte alle Außenwerke,doch hatte er erfahren, daß der Schwedenkönig in der Nähestehe, und wollte deshalb die Belagerung aufheben. NurPappenheim bestand im Kriegsrat auf einer Bestürmung. Amfolgenden Tag fiel die Stadt. Pappenheim wurde ihrMordbrenner. Um die Feinde zu vertreiben hatte er einige Häuserin Brand stecken lassen, der Wind blies in die Flammen, die nunalles ergriffen. Zornig darüber, daß ihnen die Feuersbrunst dieerhoffte Beute entzog, schlugen die kaiserlichen Truppen jedentot, der ihnen in den Weg kam. Einige ligistische Offiziere,empört über das teuflische Wüten der Kroaten, Ungarn undWallonen, traten vor Tilly und baten ihn, er möge dem GemetzelEinhalt tun. Mit finsterem Gesicht antwortete ihnen Tilly: »DreiStunden Plünderung ist Kriegsregel. Der Soldat will für Müh undGefahr etwas haben.« Pappenheim schrieb nach München:»Magdeburgs Jungfrauschaft ist weg. Wir haben es mit

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 78

Page 79: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

stürmender Hand erobert, den Bischof habe ich gefangen,Falkenberg ist niedergehaut samt allen Bürgern, so in der Wehrgewesen. Was sich von den Menschen in die Keller oder Bödenversteckt hatte, ist alles verbrannt. Ich halt, es seien überzwanzigtausend Menschen draufgegangen und ist gewiß seit derZerstörung Jerusalems kein greulicheres Werk und Straf Gottesgesehen worden.« An den Kaiser nach Wien schrieb er: »Es istmir und meinen rätlichen Spießgesellen bei dieser wunderbarenViktori nichts abgegangen, als daß wir nit Eure kaiserlicheMajestät und dero kaiserliches Frauenzimmer als Zuschauergehabt.«

Das war die magdeburgische Hochzeit, wie die kaiserlicheSoldateska es nannte. Der Dom war von den Flammen verschontgeblieben, in ihm wurde Messe gelesen und das Tedeumgesungen.

Das Kriegsvolk aber sang:

»Magdeburg, du stolze Magd, Hast dem Kaiser den Tanz versagt,Jetzt tanze mit dem alten Knecht, Geschieht dir eben recht.«

Gustav Adolf hatte nichts zum Entsatz Magdeburgs wagenwollen; in einer Schutzschrift wälzte er die Schuld auf die beidenKurfürsten. Endlich rückte er vor Berlin und forderte einebestimmte Erklärung. Der Kurfürst Georg Wilhelm war seinSchwager, aber er war ganz in den Händen seines Ministers, desGrafen Schwarzenberg, und dieser stand im Solde der Jesuiten.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 79

Page 80: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Der Kurfürst wollte stille sitzen und bangte davor, Land undLeute zu verlieren, und er fürchtete die Übermacht des Kaisers.Gustav Adolf zwang ihn jedoch, in sein Lager zu kommen, dieAllianz zu unterzeichnen, und besetzte dann Berlin und Spandau.Darauf zog er südwärts dem alten Tilly entgegen, und in jenenHerzfeldern Deutschlands, bei Leipzig, wo mehrmals diedeutschen Geschicke ausgekämpft worden sind, sollte nun dieEntscheidung fallen.

Tilly hatte sein Hauptquartier in einem abgelegenen Hause vorLeipzig, er merkte erst nachher, daß es des Totengräbers Hausgewesen. Er hatte seine Befehle in einem Zimmer ausgefertigt, indem sich lauter Pyramiden von Totenschädeln und Gebeinenbefanden. Eine düstere Ahnung ergriff ihn, selbst Pappenheimerbleichte.

Am Morgen des Schlachttages schickte Tilly den Pappenheimermit zweitausend Kürassieren aus, damit er rekognosziere. Aberder hitzige Mann ließ sich in ein Gefecht ein, und um ihn zuretten mußte Tilly seine ganze Streitmacht entfalten. SeineVölker trugen weiße Bänder auf Helmen und Hüten und weißeBinden um den Arm; er selbst kommandierte in einemsonderbaren Kostüm, in einem grünseidenen Schlafrock; auf demKopf hatte er ein Barett mit bunten Federn, und er ritt seinenkleinen Schimmel.

Der Schwedenkönig entwickelte sein ganzes Kriegsgenie undzeigte die Überlegenheit seines leichten Fußvolks. Er machte

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 80

Page 81: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

gegen die andrängenden Kaiserlichen Front, wendete sich mit derSpitze seiner Kolonne gegen die Hügel, wo ihre Geschützestanden, und beschoß Tilly mit seinen eigenen Kanonen. DieReiterei wurde aus dem Feld geschlagen, das Fußvolk floh, undnur fünf Wallonenregimenter schlugen sich mit ihrem alten VaterTilly unter dem Schutze der Nacht in geschlossener Ordnungdurch. Tilly starrte vor sich hin, die Augen voll von Tränen. Erhatte schon drei Streifschüsse. In Halle traf er den Pappenheimer,der wieder mit höchster Bravur gefochten und vierzehnSchweden teils niedergehauen, teils, weil ihm das Schwertzerbrochen war, wie ein Bär in seinen Armen erdrückt hatte. DieSchweden erbeuteten das ganze kaiserliche Lager, alles Geschützund über hundert Fahnen.

Jetzt trat in Wien eine andere Stimmung ein; die Hofschranzenund Weiber, Jesuiten und Kapuziner vermaßen sich nicht mehr,das »neue Feinderl«, wie sie Gustav Adolf nannten, mit Rutenüber die Ostsee hineinzupeitschen oder das Schneekönigleinzerrinnen zu sehen, wenn es sich dem Süden näherte. Der SiegGustav Adolfs war ein zermalmender Schlag für den Kaiser unddie Katholiken. Der König Sigismund von Polen jammerte, erkönne gar nicht begreifen, warum unser Herrgott lutherischgeworden sei. Angst und Bedrücktheit wuchsen, als der Schwededurch die »Pfaffengasse« ins Reich zog, Erfurt, Würzburg,Hanau und Frankfurt nahm, die Pfalz befreite, mit Bayernunterhandelte, Augsburg eroberte und mit suveräner Macht jedenWiderstand zerbrach.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 81

Page 82: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Im Mai des Jahres 1632 hielt er seinen Einzug in München, undin seiner Begleitung befand sich der vertriebene Böhmenkönig.Das Pfingstfest feierte er in Augsburg; eine Chronik erzähltdavon also: »Am heiligen Pfingsttag wohnte der König demöffentlichen Gottesdienst nicht bei, sondern ließ sich von seinemHofprediger Doktor Fabricius in seinem Kabinett predigen.Abends aber bei der Tafel bekam er jählingen Lust zu tanzen,dahero denn sogleich Anstalt gemacht worden, daß dieGeschlechterstöchter in den Fuggerschen Häusern erschienen,mit welchen sich sowohl der König wie die anwesendenfürstlichen Personen etliche Stunden lang mit englischen unddeutschen Tänzen erlustiget.« Gustav Adolf war ein großerFrauenfreund; er wollte eine schöne Augsburgerin küssen; siehieß Jakobine Lauber und gefiel ihm sehr, aber sie wehrte sichund riß dem König die Halskrause ab.

In diese friedlichen Tage hinein fiel die Nachricht, daßWallenstein gegen den König von Schweden heranziehe.

* * * * *

In stolzer Ruhe hatte Wallenstein in Gitschin und in Prag gelebt.Schon von Memmingen aus hatte er für sein neues Schloß Sorgegetragen und an seinen Landeshauptmann geschrieben: »Seht,daß die zwei Kapellen, meine und meines Weibes, heuer fertigwerden; laßt die Altäre darin machen, wie auch die fünf Altäre inder Kirche verfertigen, daß ich daselbst den Gottesdienstverrichten könne. So seht ebenmäßig, daß alle Zimmer fertig

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 82

Page 83: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

werden und mit schönen Bildern versehen, denn in diesemverlasse ich mich allein auf Euch. So werdet Ihr auch sehen, daßder Garten verfertigt wird und viel Fontanen daselbst gemacht.Die Loggia laßt geschwind mit Zwerchgewölben und #lavor distucco# zieren. Sagt dem Baumeister, daß gleich in der Mitte aufdem Platz vor der Loggia muß eine mächtige Fontana sein, dahinalles Wasser laufen wird, alsdann aus derselben, daß sich dasWasser auf die rechte und linke Hand teilt, und die andernFontanen laufen macht. Ich vermeine Mitte Oktober zu Gitschinzu sein und daselbst zu verbleiben; dahero seht, daß das Gebäufertig und die Zimmer mit Damast, Sammet und goldenenLedern ausgeputzt und möbliert werden. Laßt mir auch bitternWermutmost anmachen, der #dulce picante# ist, auf daß ich ihnkann desto ehender haben. Laßt alle Ställe verfertigen wie auchden Tummelplatz und das Ballhaus.«

In Prag lebte Wallenstein mit königlichem Aufwand, aber fürseine Person, wie im Lager, in der tiefsten Abgeschiedenheit. Fürden Palast, den er auf der Kleinseite hatte bauen lassen, warenhundert Häuser niedergerissen worden, um Platz zu gewinnen.Alle Straßen, die die Zugänge bildeten, waren mit Kettengesperrt. Sechs Portale führten zu dem Palast; im Schloßhofstand eine Leibwache von fünfzig aufs reichste gekleidetenHellebardieren. Sein Hofstaat zählte an tausend Personen. GrafPaul Liechtenstein stand als Oberhofmeister an der Spitze, einGraf Harrach war Oberstkämmerer, ein Graf HardeggOberststallmeister. Vierundzwanzig Kammerherren bedientendes Friedländers Durchlaucht, trugen, wie die des Kaisers, die

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 83

Page 84: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

goldenen Schlüssel, und sechzig Edelknaben aus denvornehmsten Häusern waren um ihn, alle in hellblauen Samt mitGold gekleidet. Auch lebten viele seiner ehemaligen Offizierebei ihm, denen er Löhnung und freie Tafel gab. Jede Mahlzeitbestand aus hundert Schüsseln. In den Marmorställen fraßen übertausend Pferde aus marmornen Krippen, und wenn er reiste,geschah es nicht anders als in fünfzig vierspännigen Wagen. ImFestsaal des Prager Palastes hatte er sich als Triumphator malenlassen, von vier Sonnenrossen gezogen, einen Stern über demlorbeerbekränzten Haupt. Die langen Zimmerreihen waren mitastrologischen und mythologischen Figuren geschmückt. Auseinem Rundgemach führte eine geheime Treppe in eineBadegrotte aus künstlichem Tropfstein. Aus dieser Grotte tratman in eine hohe Säulenhalle und von da in den Garten mitseinen Fontänen und fischreichen Kanälen.

Wallensteins Vermögen war für jene Zeit ungeheuer. Man hatseine Jahreseinkünfte auf sechs Millionen Gulden geschätzt; erzog sie teils aus den Kapitalien, die er in den Banken vonVenedig und Amsterdam liegen hatte, teils aus den böhmischenund mährischen Gütern und dem Fürstentum Sagan.Unausgesetzt erließ er einsichtsvolle Verfügungen für seinenBesitz, suchte die Jesuiten durch große Stiftungen beim Guten zuerhalten und berief tüchtige Männer in seinen Dienst. Aber erverkehrte nur mit sehr wenigen Personen; es lebte deritalienische Astrolog Seni bei ihm, mit dem er viele Nächte ineifrigen Studien verbrachte, und seine einzigen Vertrauten warensein Schwager Adam Terzka und dessen Mutter, die ihm wegen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 84

Page 85: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

ihrer hohen Klugheit ganz besonders wert war. Seine Gesundheithatte durch die Kriegsstrapazen gelitten, er mußte mäßig leben,und da er vom Podagra geplagt wurde, konnte er nur auf einenindischen Rohrstock gestützt gehen.

* * * * *

Ununterbrochen hatte der Kaiserhof mit Wallensteinkorrespondiert. Nach der furchtbaren Leipziger Schlacht mußteman daran denken, einen Mann wieder zu gewinnen, dessenKredit bei der Soldateska ohnegleichen war, und so wurdeQuestenberg nach Prag geschickt, um mit Wallenstein wegenWiederannahme des Kommandos zu verhandeln. Wallensteinlehnte ab. Darauf ging Prag fast ohne Schwertstreich verloren.Don Balthasar Maradas zog mit den Truppen ab, um sie inSicherheit zu bringen, hatte aber zuvor Wallenstein um Ratfragen lassen; dieser hatte erwidert, er habe kein Kommandomehr, Maradas möge tun, was er wolle. Darauf verließ er Prag,zog nach Gitschin und schickte seine Frau und seinen VetterMax nach Wien. Max ward nun vom Kaiser mit einembeweglichen Schreiben an Wallenstein zurückgeschickt;Ferdinand flehte, er möge ihn doch in der gegenwärtigen Notnicht im Stiche lassen. Das war es, was Wallenstein wollte. Erbegab sich nun nach Znaim, um mit dem Kaiser weiter zuunterhandeln. Er bequemte sich, das Kommando wieder zuübernehmen, aber vorerst nur auf drei Monate. Man drang immermehr in ihn, und so entschloß er sich endlich, den Oberbefehlohne Zeitbestimmung zu übernehmen, aber #»in absolutissima

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 85

Page 86: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

forma«#. Weder der Kaiser noch sein Sohn sollten bei der Armeeetwas zu schaffen haben; zwei Artikel des Vertrags gabenWallenstein unbeschränkte Macht, die Güter rebellischerReichsstände einzuziehen, und wen er für schuldig erachte, zubegnaden oder zu bestrafen. Ausdrücklich war bedungen, daßweder der Reichshofrat, noch das Kammergericht, noch derKaiser selbst in solchen Dingen das geringste einreden dürfe. Alldas liefert den Beweis, daß Wallenstein mit ungebrochenemWillen auf sein altes Ziel losging. Als #»ordinari recompens«#verlangte er kaiserliche Assekuration auf ein österreichischesErbland und als #»extra ordinari recompens«# dieOberlehensherrschaft in den eroberten Ländern.

Der Vertrag wurde in demselben Monat unterschrieben, inwelchem Tilly am Lech gefallen war. Seine Bedingungen sindvon so außerordentlicher Art, daß sie in der Weltgeschichte ohneBeispiel dastehen. Nur ein so phantastischer Mann wieWallenstein konnte sich einbilden, daß er das Seil ohne Gefahrso straff spannen könne. Nur ein Charakter so voll Fatum konnteohne Erbeben ein Schicksal auf sich nehmen, das jede Erwartungheuchlerisch erfüllt.

Wenige Monate vergingen, und Wallenstein hatte wieder einneues Heer von zweihundertvierzehn Schwadronen Reiterei,hundertzwanzig Kompanien Fußvolk nebst vierundvierzigKanonen. Sofort säuberte er Prag und Böhmen von den Sachsenund vereinte sich in Eger mit dem Herzog von Bayern, der ihnvordem gestürzt hatte und ihn jetzt als Kriegsherrn anerkennen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 86

Page 87: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

mußte. Beide zogen gen Nürnberg, wo der Schwedenkönig sichverschanzt hatte. Wallenstein besetzte die Anhöhen desAltenbergs und verschanzte sich gleichfalls. Sein Plan war, keineSchlacht zu liefern; er wollte Gustav Adolf zeigen, daß erschlagen oder auch nicht schlagen könne, wie es ihm beliebe.Monatelang stand Wallenstein wie eingefroren. Ringsumherbegannen Hunger und Elend zu wüten. Gustav Adolf mußtekämpfen oder weichen. Er versuchte einen Sturm aufWallensteins Linien, der mißlang aber gänzlich. Von diesem Tagan verlor er seinen frohen Mut und erhielt ihn nicht wieder. Erließ Wallenstein Friedensvorschläge machen, aber noch ehe dieAntwort kam, gab er sein Lager auf. Er zog an Wallensteinvorbei, der unbeweglich blieb, zog an die Donau und dann, demHilferuf des Kurfürsten von Sachsen folgend, an die Saale. AuchWallenstein setzte sich jetzt in Bewegung; er ließ sein Lageranzünden, das anderthalb Meilen im Umfang gehabt hatte. SeinHeer war ein wandernder Raubstaat. Überall wurden die Herdenweggetrieben, die Obstbäume umgehauen und die Dörferverbrannt.

Wieder in den Feldern bei Leipzig trafen sich die Heere.Wallenstein hatte an Pappenheim geschrieben: »Der Feindmarschiert hereinwärts, der Herr lasse alles stehen und liegen undincaminiere sich herzu mit allem Volk und Stücken, auf daß Ersich morgen früh bei uns befinde.« Dieser Befehl ist noch imWiener Archiv aufbewahrt; er ist getränkt mit dem BlutePappenheims, der am Tag von Lützen fiel.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 87

Page 88: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Wallenstein ließ am Schlachtmorgen die Generale und Oberstenan seinen Wagen kommen, um die Befehle zu erteilen, dann erstbestieg er sein Schlachtroß, aber die Steigbügel mußten mitseidenen Tüchern umwunden werden, da ihm die Füßeschmerzten. Auf dem ganzen Gefild lag dichter Nebel. GustavAdolf hatte ebenfalls sein Leibroß bestiegen und redete einzelnzu vielen Leuten seines Heeres. Dann ließ er zum hellen Schallder Trompeten und Pauken: »Eine feste Burg ist unser Gott« undjenes andere, sein Lieblingslied, anstimmen: »Verzage nicht, duHäuflein klein, obgleich die Feinde willens sein, dich gänzlich zuzerstören«.

Die Schlacht begann. Nach dreistündiger Bemühung wurdenmehrere der wallensteinschen Vierecke durch die schwedischeInfanterie zersprengt. Da gewahrte der König die schwarzenKürassiere Wallensteins mit dem in blanker Rüstung davorhaltenden Oberst Piccolomini. Er befahl dem finnischenReiterregiment, sie anzugreifen, erhielt aber die Nachricht, daßsein Fußvolk wieder zum Weichen gebracht worden sei. Sogleicheilte er an der Spitze des smaländischen Regiments zu Hilfe.Dem rasch Voransprengenden konnten nur wenige folgen. Aufeinmal befand er sich mitten unter den schwarzen Reitern. SeinPferd wird durch den Hals geschossen, ihm selbst zerschmettertein Pistolenschuß den linken Arm. Seine ersten Worte waren:»Es ist nichts, folgt mir.« Aber die Wunde war so bedeutend, daßdie Knochen aus dem Ärmel hervorstarrten. Er wandte sich, umaus dem Getümmel zu entkommen, im selben Augenblick erhielter einen zweiten Pistolenschuß in den Rücken. Mit dem Seufzer:

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 88

Page 89: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

»Mein Gott, mein Gott,« sinkt er vom Pferd, bleibt aber imSteigbügel hängen, das Pferd schleift ihn mit sich fort. SeineBegleiter fallen oder fliehen, nur ein Page bleibt bei ihm. Er lebtnoch, der Page will nicht sagen, daß es der König ist, er wirdselbst auf den Tod verwundet. Der König wird seiner goldenenHalskette beraubt und entkleidet, er ruft endlich: »Ich bin derKönig von Schweden.« Die schwarzen Kürassiere wollen ihnfortschleppen. Da sprengt das Stenbocksche Regiment heran. DieKürassiere fliehen; da sie den König nicht mitnehmen können,durchschießen sie ihm den Kopf und durchstechen ihm den Leibmit vielen Stichen. Er sinkt zur Erde, der Hufschlag der Rossebraust über den Leichnam dahin.

Der verwundete, blutbedeckte, reiterlose Schimmel des Königsverkündigte, an der schwedischen Front entlang jagend, dasgeschehene Unglück. Zuerst entmutigt, dann in ihrem Schmerzzur Rache angespornt, griffen die Schweden neuerdings an, undwäre jetzt nicht Pappenheim mit vier frischen Regimentern aufdem Walplatz erschienen, so hätte der heldenhafte Bernhard vonWeimar schon um die dritte Nachmittagsstunde gesiegt. Sobegann die Schlacht von neuem, aber auch Pappenheim erlag vorder unwiderstehlichen Gewalt des jungen Bernhard. Daskaiserliche Heer ergriff die Flucht. Wallenstein schlug in Pragseine Winterquartiere auf und ließ viele Offiziere hinrichten, weildurch sie, wie er sich ausdrückte, die kaiserlichen Waffenunauslöschlichen Spott erlitten hätten. In Böhmen sollte sich seindunkles Schicksal erfüllen; ihm war nicht der Heldentod auf demSchlachtfeld beschieden.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 89

Page 90: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Am anderen Morgen suchten die Schweden unter den zahllosenLeichen des Schlachtfeldes die edelste Leiche, die des Königs.Man fand sie, nackt ausgezogen, vor Blut und Hufschlägen kaumerkennbar, mit neun Wunden bedeckt, unfern des großen Steins,der jetzt noch der Schwedenstein heißt. An der Leiche schworendie Soldaten dem Herzog Bernhard, ihm zu folgen bis ans Endeder Welt.

Der unerwartete Tod Gustav Adolfs erregte ganz Europa. DerKaiser ließ in allen Kirchen Dankgebete singen, als wenn er denglorreichsten Sieg erfochten hätte, und er weinte beim Anblickdes blutigen Kollers mit den Schußöffnungen im linken Ärmel,das der König in der Schlacht getragen hatte. In Madrid wurdenFreudenfeste veranstaltet und der Tod des Königs zum Ergötzenaller Gläubigen im Schauspiel dargestellt. Der Papst, der es imstillen recht gern gesehen hatte, daß dem Kaiser ein Bedrängeraufgestanden war, ließ eine Messe lesen. Den vertriebenenWinterkönig rührte bei der Nachricht vor Schrecken der Schlag,und er starb, sechsunddreißig Jahre alt; er hinterließ dreizehnunmündige Kinder, mit denen Eleonora, sein Weib, fast dreißigJahre lang ohne Heimat und oft ohne Geld umherirren mußte,verfolgt von mancher abenteuerlichen Liebe und vonblutgierigem Haß.

* * * * *

Während der schwedische Kanzler Oxenstjerna, der nach demTode des Königs an die Spitze der Geschäfte trat, mit Sachsen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 90

Page 91: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

und Brandenburg unterhandelte, während Herzog BernhardFranken zurückeroberte und sich am Oberrhein festsetzte und derFeldmarschall Horn die in Deutschland zerstreuten kaiserlichenTruppen aus dem Felde schlug, blieb Wallenstein ruhig inseinem Winterquartier und vermehrte sein Heer. Erst Mitte Maibrach er auf, zog nach Schlesien, gewann es dem Kaiser wieder,schloß aber bald einen Waffenstillstand mit dem sächsischenGeneral Armin, der in Schlesien kommandierte. Derselbeauffällige Waffenstillstand wurde einige Wochen später erneuert.Es war der Plan Wallensteins wie auch der beiden Kurfürstenvon Sachsen und Brandenburg, eine dritte Macht im Reichherzustellen, eine Mittelmacht zwischen dem Kaiser und denSchweden. Es lief damals das Gerücht, daß alle Ausgewandertenihre Güter zurückerhalten, die Jesuiten aus dem Reich verjagtwerden und den Schweden ihre Kriegskosten ersetzt werdensollten; auch hieß es, daß Wallenstein in dem geheimen Vertragmit Kursachsen für sich selbst die Krone von Böhmenausbedungen habe. Gewiß ist, daß Wallenstein gleichzeitig mitFrankreich unterhandelte und zwar über die Krone Böhmen. DerKardinal Richelieu, der in den deutschen Angelegenheiten festenFuß gefaßt hatte, ließ ihm seinen Beistand, eine Million Livrejährlich und die Krone anbieten, wenn er vom Kaiser abfallenwolle. Aber der Botschafter Feuquières brach dieUnterhandlungen ab, weil er der Ansicht war, Wallenstein wolleihn nur hinters Licht führen und die Feinde des Kaisersgegeneinander hetzen. Auch mit den Schweden und mit demHerzog Bernhard trat er ins Einvernehmen. Das Mißtrauen amWiener Hof wurde zur Spannung, als er sich weigerte, dem

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 91

Page 92: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Herzog von Bayern gegen Bernhard von Weimar zu Hilfe zuziehen. Er führte das Heer aus Schlesien in die Winterquartiereund schickte von Pilsen aus ein Schreiben nach Wien, worin erseine Obristen ihr Gutachten abgeben ließ, daß ein Kriegszug indieser Jahreszeit untunlich sei.

Seit Gustav Adolfs Tode war dem Kaiser der mit Wallensteinabgeschlossene Vertrag immer lästiger geworden. Er klagte laut,daß er gleichsam einen Mitkönig habe und keine freienDispositionen mehr in seinem eigenen Lande. Das WienerKabinett brach den Verkehr mit Wallenstein ab, weil dieNotwendigkeit drängte, dem Herzog Bernhard in Süddeutschlandentgegenzutreten. Da Wallenstein sich weigerte, dies zu tun,wurde der Herzog von Feria aus Italien gerufen, und JohannAltringer, einer von den Generalen Wallensteins, erhielt denBefehl, sich mit dem Herzog zu vereinigen. Altringer schwankteerst, aber nach dem Tode Ferias ließ er sich vom Wiener Hofgewinnen. Voll Zorn zitierte ihn Wallenstein vor sich, Altringerverweigerte den Gehorsam. Nun beschloß Wallenstein, um nichtzum zweitenmal abgesetzt zu werden, den Oberbefehl freiwilligniederzulegen, wollte sich jedoch sicherstellen, daß die Zusagenerfüllt würden, die man ihm gemacht hatte. Deshalb versammelteer alle in Böhmen, Mähren und Schlesien stehenden Generaleund Obristen in seinem Feldlager zu Pilsen. Dort gab ihnen derFeldmarschall Illo ein Bankett, bei dem die Herren schließlich sobetrunken waren, daß sie Stühle und Bänke, Ofen und Fensterzerschlugen. Illo und Graf Terzka, die sich mit Wallensteinverabredet, stellten ihnen beweglich vor, daß der Oberfeldherr

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 92

Page 93: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

wegen der vom Wiener Hofe erfahrenen Unbill genötigt sei, dasKommando niederzulegen. Diese unerwartete Nachrichtbestürzte die Offiziere nicht wenig. Sie alle hatten aufWallensteins Wort und in der Hoffnung, von ihm entschädigt zuwerden, ihre Regimenter auf eigene Rechnung angeworben undihr Vermögen zugesetzt; wenn Wallenstein fiel, drohte ihnen derRuin. Zu ihrer Sicherstellung wurde ihnen jetzt ein Reversvorgelegt, und darin wurde der Kaiser, obwohl er nicht genanntwar, hart angeklagt. Nach der flehentlichen Bitte an Wallensteinverpflichteten sich die Generale und Obristen, mit Gut und Blutfür ihren Feldherrn einzustehen, sich auf keinerlei Weise von ihmtrennen zu lassen, seinen Vorteil nach Möglichkeit zu befördernund seine Feinde zu verfolgen.

Vierzig Generale und Obristen unterzeichneten das merkwürdigeSchriftstück. Es befand sich aber in ihrer Mitte auch der VerräterPiccolomini, der an der Spitze der italienischen Partei stand, unddiese Partei war mit den Jesuiten im Bunde, um den Friedländerzu stürzen. Wallenstein aber hegte ein unbedingtes Vertrauengegen Piccolomini, denn er glaubte aus den Sternen gelesen zuhaben, daß er sich auf ihn verlassen dürfe. Piccolomini berichteteden Inhalt des Reverses nach Wien und klagte Wallenstein einergefährlichen Verschwörung an. Zudem teilte der Herzog vonSavoyen den Inhalt der Verhandlungen mit, die Wallenstein mitdem französischen Hofe gepflogen hatte. Man beschuldigteWallenstein der verwegensten Pläne. Es hieß, er habe geäußert:»Ich dulde Gott nicht, viel weniger werde ich Ferdinand dulden.«Der spanische Botschafter sagte: »Wozu zaudern? Ein Dolchstoß

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 93

Page 94: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

macht der Sache ein Ende.« Ferdinand sah sich gedrängt, nichtnur die zweite Absetzung Wallensteins auszusprechen, sondernauch den Mann, der ihm die Monarchie gerettet hatte, deräußersten Rache seiner Feinde preiszugeben. NiedrigerEigennutz war der stärkste Beweggrund der mit aller Hastherbeigeführten Katastrophe, denn als die Absetzung noch tiefesGeheimnis war, stritten sich die Herren mit Erbitterung und biszum Zweikampf über die Teilung der Beute, der Güter, derHäuser, der Gärten, ja der Wagen und Pferde Wallensteins undriefen mit schamloser Stirne sogar den Hof selbst zumSchiedsrichter bei ihren Zwistigkeiten an.

Der Hof seinerseits verfuhr gegen den gefährlichen Gegnerungemein verschlagen. Er schickte einen Erlaß an dieBefehlshaber der Wallensteinschen Armee, worin die Absetzungdes Generalobristfeldhauptmanns vorsichtig angedeutet war, dieOffiziere ihrer Verpflichtung entbunden wurden, ihnen für denFehltritt bei dem Pilsner Bankett mit Ausnahme zweierRädelsführer Verzeihung zugesichert und der Fortbestand deskaiserlichen Wohlwollens gelobt wurde. Aber wochenlang nachdiesem Erlaß korrespondierte der Kaiser scheinbar ganz harmlosmit Wallenstein über amtliche Geschäfte, nannte ihn nach wievor »hochgeborner lieber Oheim und Fürst« und versicherte ihnmit der gewöhnlichen Courtoisie seiner Huld und Gnade.

Unterdessen wurden die Generale und Obristen einzelnnacheinander und im Geheimen gewonnen. Die Italiener, Spanierund Wallonen waren bald willig, die Deutschen, Böhmen,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 94

Page 95: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Mährer und Schlesier waren dem Friedländer treu, und mantraute ihnen in Wien trotz der gewährten Amnestie nicht. Nacheinem Monat erging ein zweites kaiserliches Mandat, das schoneine deutlichere Sprache führte und nicht nur an dieBefehlshaber, sondern auch an alle gemeinen Soldaten gerichtetwar. Es sprach davon, daß ihnen männiglich wohl bekannt seinwerde, wie er, der Kaiser, seinen gewesenen Feldhauptmann vonFriedland mit allerhand Guttaten, Gnaden, Freiheiten, Hoheitenund Dignitäten, als nicht bald bei einem Menschen seinesStandes gleich geschehe, begabt und geziert habe; welchergestaltaber derselbe aus boshaftem Gemüt und ohne Zweifel längstgefaßtem Vorsatz eine Konspiration wider ihn und sein Hausangesponnen und durch Verkleinerung der kaiserlichen Personund eigensinnige Ausdeutung seiner Macht in der kaiserlichenArmada zugetane Obristen verführt habe. Der Kaiser erklärt, erhabe gewisse Nachrichten erlangt, daß Wallenstein ihn und seinHaus gänzlich auszurotten sich vernehmen lassen und sichäußersten Fleißes bemühet habe, solche meineidige Treulosigkeitund barbarische Tyrannei zu vollziehen, dergleichen nichtgehört, noch #in scriptis# zu finden sei.

Wallenstein erfuhr erst, woran er war, als Gallas, Altringer,Maradas, Piccolomini und Colloredo Ordonnanzen erließen,welche den Obristen untersagten, künftig noch Befehle vonWallenstein, Illo oder Terzka anzunehmen. Die Obristenerhielten die Weisung, gegen Prag zu ziehen, um sich derHauptstadt des Landes zu versichern. Wallenstein ließ nun inPilsen eine feierliche Erklärung ausstellen, daß der frühere

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 95

Page 96: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Revers nicht das geringste gegen den Kaiser und die Religionbedeutet hätte. Er befahl seinen Truppen, ebenfalls nach Prag zuziehen, schickte aber zwei Offiziere an den Kaiser mit einemHandschreiben, in welchem er sich erbot, sich nach Danzig oderHamburg zu begeben; er wünsche nur seine #ducadi,# seineHerzogtümer, zu behalten.

Aber gerade jene #ducadi# wollte man sehr gerne in Wien, daswußte Wallenstein recht wohl. Er beschloß daher, sich inVerfassung zu setzen, auf alle Fälle, nur nicht auf den Fall, dener keineswegs voraussehen konnte, da er gegen alle Berechnungwar. In seiner tiefen Not wandte er sich jetzt ernstlich an denHerzog Bernhard von Weimar und ließ ihn auffordern, nachBöhmen zu kommen. Herzog Bernhard traute nicht. Er rief aus:»Wer an Gott nicht glaubt, dem kann auch der Mensch nichtglauben.« Und doch drängte die Zeit. Wallenstein erfuhr denAbfall eines Generals nach dem andern. Altringer entschuldigtesich von Frauenberg aus mit Krankheit, Gallas kam nicht wieder,Diodati war heimlich durchgegangen, dreizehn Kuriere flogennach Regensburg und zurück, endlich machte sich HerzogBernhard langsam auf den Weg. Wallenstein hatte sich nach Pragbegeben wollen, der Abfall der Generale hatte den Plan vereitelt;auch den Vorsatz, nach Zittau zu marschieren, mußte eraufgeben; der dritte Ort, den er wählte, um sich mit denSchweden in Verbindung zu setzen, war Eger.

Am 22. Februar 1634 morgens gegen zehn Uhr verließ er Pilsenund zog am 24. nachmittags zwischen vier und fünf Uhr in Eger

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 96

Page 97: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

ein. In seiner Begleitung befanden sich Illo und Terzka mit fünfKompanien Kürassieren, fünf Kompanien vom altsächsischenRegiment zu Pferd, die unterwegs abfielen und nach Pragmarschierten, und zweihundert Mann Fußvolk. Bevor er das ersteNachtquartier erreicht hatte, stieß Oberst Butler mit achtKompanien Dragoner zu ihm.

Butler war ein Irländer von Geburt und Katholik. Er hatte vonPilsen aus nach seinem Quartier in Gladrup von Wallenstein denBefehl erhalten, mit seinem Regiment auf Prag zu rücken, -- beiTodesstrafe. Schon diese Weisung, die Pässe zu verlassen, dieaus Böhmen nach der Oberpfalz führen, hatte seinen Verdachterregt; jetzt erhielt er die neue Weisung, Wallenstein nach Egerzu folgen, und er mußte mit seinen Dragonern der Sänfte desFeldherrn voranreiten. Er schrieb an Gallas und Piccolomini überseinen wachsenden Argwohn, daß er notgedrungen mitWallenstein ziehe, daß er aber vielleicht aus besondererSchickung Gottes zu diesem Weg gezwungen werde, um einebesondere heroische Tat zu verrichten. Auf dem letzten Marschließ Wallenstein Butler an seine Sänfte kommen undentschuldigte sich, daß er bisher nicht mehr für ihn getan habe; erversprach ihm zwei Regimenter und ein Geschenk vonzweimalhunderttausend Talern. In Eger mußte Butler mit seinenFahnen in der Stadt bleiben, während seinen Soldaten auf freiemFeld zu kampieren befohlen war. Wallenstein wohnte im Hausdes Bürgermeisters Bachhälbel auf dem Markt, Terzka undKinsky mit ihren Frauen im Hintertrakt desselben Hauses.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 97

Page 98: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Der Kommandant von Eger war der Obristleutnant in TerzkasRegiment, Johann Gordon, ein Schotte und Kalvinist. An ihn undan den Oberstwachtmeister Walter Lesly, ebenfalls einenSchotten, wandte sich Butler. In der Nacht vom 24. auf den 25.Februar verschworen sich diese drei Männer in der Zitadelle beigezückten Degen, Wallenstein sofort aus dem Weg zu räumen.Es ward ausgemacht, daß am folgenden Abend Gordon dieGenerale zu einem Faschingsschmaus auf die Burg laden solle;bei diesem Schmaus sei die Tat zu vollbringen. Alles drängte zurEile, schon hatte Illo frohlockend die Kunde gegeben, daß amandern Tag die Schweden in Eger einrücken würden.

Am 25. Februar, es war ein Samstag, gab Graf Terzka denOffizieren ein Gastmahl. Darnach, um sechs Uhr abends, fuhr ermit Kinsky, Illo und dem Rittmeister Neumann in einer Kutschezum Faschingsschmaus auf die Burg. Man setzte sich zur Tafelund speiste und zechte lustig. Nach dem Essen veranstaltetenGordon und Lesly, daß das Obertor der Stadt geöffnet undhundert Mann von Butlers irischen Dragonern und ebensovieledeutsche Soldaten in die Stadt gelassen wurden; mit ihnenverstärkte man die Wache auf der Burg, die nun abgesperrtwurde. Unterdessen war das Konfekt aufgetragen worden. Daerhielt Gordon ein fingiertes Schreiben, das angeblich vonKursachsen verfaßt und nun aufgefangen war. Es stand darin,daß der Kurfürst die Absicht Wallensteins, vom Kaiserabzufallen, nicht billige, und daß er gesonnen sei, Wallensteindem Kaiser auszuliefern, wenn er ihn in seine Gewalt bekomme.Gordon reichte den Brief Illo hinüber; dieser las ihn und

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 98

Page 99: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

schüttelte den Kopf. Auch die andern lasen ihn, es erhob sich einStreit; um freier reden zu können, wurde die Dienerschafthinausgeschickt; sie wurde in ein abgelegenes Gemach zumEssen geführt und dort eingeschlossen. Nun war man mit denSchlachtopfern allein.

Kaum hatten sich die Diener entfernt, so traten aus den beidenNebenzimmern des Speisesaals der italienischeObristwachtmeister Geraldino und die irischen HauptleuteDeveroux und Macdonald mit sechsunddreißig Dragonern.Deveroux rief laut: #»Viva la casa d'Austria!«# Und Deveroux:»Wer ist gut kaiserlich?« Butler, Gordon und Lesly antwortetenschnell: »Vivat Ferdinandus! Vivat Ferdinandus!« Ergriffen ihreDegen und jeder einen Leuchter von der Tafel und traten auf dieSeite. Die Irländer schritten auf den Tisch zu und warfen ihn überden Haufen. Kinsky wurde zuerst niedergestoßen, dann Illo nachkurzer Gegenwehr; Terzka, der glücklich seinen Degen erlangthatte, stellte sich in eine Ecke und verteidigte sich mannhaft.Sein Wams von Elenshaut schützte ihn gegen mehrere Hiebe, sodaß ihn die Dragoner für einen Gefrorenen hielten; endlich trafenihn einige Dolchstöße im Gesicht, er fiel und wurde mit denKolben der Musketen erschlagen. Rittmeister Neumann hattesich verwundet ins Vorhaus geflüchtet und wurde draußenerstochen. Die Körper der Gemordeten gab man den Dragonernpreis, die sie bis aufs Hemd auszogen.

Gordon ließ nun den Speisesaal schließen und blieb bei derWache auf der Burg, Lesly begab sich auf die Hauptwache am

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 99

Page 100: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Markt, und Butler besetzte Wallensteins Wohnung. Es war einefinstere, unfreundliche Nacht, der Wind heulte und ein feinerRegen klirrte an die Fenster. »Es ist,« heißt es in den FrankfurterRelationen, »sonderlich zu merken, daß selbige Nacht um neunUhr ein erschreckliches Windsbrausen erstanden, welches bisgegen Mitternacht gewähret. Hat sich also gleichsam dasFirmament über die grausamen Mordtaten entsetzet und einenAbscheu getragen.«

Deveroux unternahm mit zwölf Mann den Gang zum Herzog.Die Wache am Haus ließ ihn durch, weil sie glaubte, daß er eineMeldung zu machen habe. Im Vorzimmer begegnete er demKammerdiener Wallensteins, der seinem Herrn, welcher eben einBad genommen hatte und sich zu Bett begeben wollte, denNachttrunk brachte, Bier auf goldener Schale; Deveroux wardvon ihm bedeutet, keinen Lärm zu machen. Sein Astrolog Senihatte Wallenstein eben verlassen; er soll ihn aus den Sternengewarnt haben. Wallenstein hatte den Lärm gehört, den dieAufstellung der Soldaten auf dem Markt veranlaßt hatte; er hattedas Schreien der Gräfinnen Terzka und Kinsky im Hintergebäudegehört, denn beide hatten schon von der Ermordung ihrer Männerauf der Burg erfahren; er war ans Fenster getreten und hatte dieSchildwache gefragt. Deveroux forderte vom Kammerdiener denSchlüssel zu Wallensteins Zimmer, und als der Diener sichweigerte, sprengte er die Tür mit dem lauten Ruf: »Rebell!Rebell!« und trat mit seinen Mordgesellen ein. Wallenstein standim Nachtkleid an den Tisch gelehnt. »Du mußt sterben, Schelm!«rief ihm Deveroux zu. Wallenstein eilte ans Fenster, um Hilfe

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 100

Page 101: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

herbeizurufen, Deveroux folgte ihm mit der Partisane.Wallenstein breitete die Arme aus, und ohne einen Laut von sichzu geben empfing der große Mann den Todesstoß.

Sein Leichnam wurde in einen roten Fußteppich gewickelt und inLeslys Kutsche auf die Zitadelle gebracht. Da lag er mit den vierLeichnamen der andern Ermordeten den ganzen Sonntag über.Am Montag wurden alle nach Mies auf Illos Schloß gebracht undbegraben. Bloß Neumann nicht; wegen seiner lästerlichen Redenbeim letzten Bankett, daß er ehestens in der Herren vonÖsterreich Blut seine Hände zu waschen verhoffe, wurde er unterdem Galgen eingescharrt.

Wallensteins Sarg war zu klein geraten, und damit er Platz habe,mußten ihm die Beine zerbrochen werden.

Schweigend ist er aus dem Leben geschieden; geheimnisvollhatte er die Pläne und Entwürfe, die seine Seele nährten, intiefster Brust eingeschlossen, und über seinem Leben und überseinem Tode liegt ein undurchsichtiger Schleier.

Die Güter der Ermordeten wurden sämtlich eingezogen; von denBesitzungen Wallensteins, die auf fünfzig Millionen Guldengeschätzt wurden, fiel das meiste dem Kaiser zu. Die abtrünnigenGenerale wurden reich belohnt, die Mörder machten ihr Glückund wurden angesehene Leute, aber alle Anhänger Wallensteinswurden geächtet und vierundzwanzig Obristen und Hauptleutewurden in Pilsen hingerichtet.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 101

Page 102: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Leonhard Thurneyßer

Leonhard Thurneyßer, genannt zum Thurn, war einGoldschmiedsohn aus Basel und 1530, im Jahr der Übergabe derAugsburger Konfession, geboren. Er sollte wie sein VaterGoldschmied werden, war aber nebenher bei Doktor Huber, demer Kräuter sammeln und Arzneien zubereiten half und aus denSchriften des Paracelsus vorlesen mußte. Schon in seinemsiebzehnten Lebensjahr verheiratete ihn sein Vater mit einerWitwe, die ihn mit ihrem Vormund betrog. Durch einen falschenFreund kam er in Händel mit Juden und verließ die Heimat imachtzehnten Jahr seines Alters. Er ging in die weite Welt, zuerstnach England, dann nach Frankreich, und wurde hier Soldatunter den wilden Truppen des MarkgrafenBrandenburg-Kulmbach. In der Schlacht von Sievershausen, inder Moritz von Sachsen fiel, wurde Thurneyßer von Christophvon Karlowitz gefangengenommen. Er verließ nun denKriegsdienst und verschaffte sich seinen Lebensunterhalt alsArbeiter in Bergwerken und Schmelzhütten, auch mit derGoldschmiedekunst und mit Wappen- und Steinzeichnen. Daseine Frau von ihm geschieden worden war, heiratete er im Jahre1558 eine Goldschmiedstochter aus Konstanz und zog mit ihrnach Imst in Tirol, wo er eine Schmelz- und Schwefelhütteanlegte und Bergbau auf eigene Rechnung trieb. Zwei Jahrespäter nahm ihn der Erzherzog Ferdinand von Tirol, der Gemahlder schönen Philippine Welser, in Dienst und schickte ihn auf

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 102

Page 103: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Reisen; er ging nach Schottland und den orkadischen Inseln,nach Spanien, Portugal und in die Berberei, nach Äthiopien,Ägypten, Syrien, Arabien und Palästina, wurde auf dem BergSinai, im Katharinenkloster vom Orden des heiligen Basilius,Ritter der heiligen Katharina und kehrte über Kandia,Griechenland und Italien nach Tirol zurück.

Durch seine Kenntnisse als Chemiker und Metallurg, alsBotaniker und besonders als Arzt, wurde er der berühmtesteWundermann seiner Zeit. Er fing jetzt an, seine Schriftenherauszugeben, zuerst das in deutschen Reimen abgefaßte Buch»Archidoxa«, darin der »wahre Lauf, Wirkung und Einfluß derPlaneten auf den menschlichen Körper, auf alle Gewerbe undHantierungen der Menschen und die verborgenen Mysterien derAlchimie« enthalten waren. Als Wunderdoktor lernte ihn derKurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg im Jahre 1571während der Huldigungsfeier zu Frankfurt an der Oder kennen.Thurneyßer besorgte hier die Publikation einer andern Schrift,die den Titel hatte: »Pison, von kalten, warmen, mineralischenund metallischen Wässern samt Vergleichung der Pflanzen«, unddie dem Kurfürsten von Sachsen zugeeignet war. An einer Stelleheißt es: »Große und starke Personen sind von kalter Natur,haben eine böse, unreine Komplexion, stinken und schwitzenviel, und solcher Art ist auch Herr Christoph Sparre, derkurfürstliche Oberhofmeister in Berlin.« Oder: »Diejenigen, dievon Person lang, schmal, dürr und kleine runde Köpfe haben,besitzen gar keine Geschicklichkeit und führen weibische Redenwie weiland Kaiser Rudolf von Habsburg.« Er war auch Anatom,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 103

Page 104: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

und Kaiser Ferdinand hatte ihm im Jahre 1559 erlaubt, eine Frauzu sezieren, der zur Strafe die Adern geöffnet waren, daß sie sichtotbluten solle.

[Illustration: Leonhard Thurneyßer, nach einem 1583erschienenen Holzschnitt.]

Das Vertrauen des Kurfürsten erwarb er sich gleich, denn er warein Mann von stattlichem Ansehen; die den Schweizern eigeneManier von Ehrlichkeit, seine Welt- und Menschenkenntnis undsein lebhaftes Temperament nahmen für ihn ein. Er verstand es,die Schwächen großer Herren und ihre Neigungen auszuforschenund sich gegen diejenigen klug zu betragen, an deren Gunst ihmgelegen war. Die Kurfürstin war krank, Thurneyßer übernahmdie Behandlung, und der Erfolg bewirkte, daß von Stund an seinGlück bei den brandenburgischen Herrschaften gemacht war. Sienahmen ihn mit nach Berlin, der Kurfürst ließ auf seine KostenThurneyßers Frau und Kinder, die er seit drei Jahren nichtgesehen hatte, aus Konstanz nach seiner Hauptstadt bringen.

Thurneyßer hatte dem Kurfürsten Blätter aus dem »Pison«gezeigt, welche die Flüsse in der Mark und deren unerkannteReichtümer betrafen. So hieß es unter anderm darin: »DasWasser der Spree ist grünfarbig und lauter. Es führet in seinemSchlich Gold und eine schöne Glasur. Das Gold hält 23 Karat 1/2Gramm.« Daß die Spree Gold führe, war bisher unerhört, bliebauch unerhört. Ebenso beschrieb Thurneyßer Orte in der Mark,wo man Rubine, Smaragde und Saphire finden könne. Bisher

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 104

Page 105: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

hatte man sie nicht gesucht und nicht gefunden, fand sie auchniemalen. Aber die glänzenden Verheißungen lockten bei Hofnicht wenig, den Mann festzuhalten, der so viele Hoffnungenerweckte. Alle Hofleute waren von ihm entzückt, und sogar daskurfürstliche Hoffrauenzimmer breitete seinen Ruhm im ganzenLande aus. Er erhielt Briefe von einigen Fräulein undverheirateten Damen, die auf dem Lande lebten, worin sie ihn umSchminke baten, oder um Schönheitsöl, oder um Waschwasser,nebst Beschreibung des Gebrauchs. Sie schließen gemeiniglichmit dem Ersuchen, es niemand wissen zu lassen, noch anderndavon zu geben.

Thurneyßer war ein Mann, der sich wohl darauf verstand, diegute Meinung zu nutzen, die man von ihm gefaßt hatte, um sichbedeutende Reichtümer zu erwerben. Er wußte sich in seinenGlücksumständen bis an das Ende seines Lebens zu erhalten, --wo er dann freilich um Geld und Ehre kam. Er hatte einvortreffliches Gedächtnis und eine nicht zu ermüdendeWißbegierde. Nach dem Vorbild des Paracelsus hatte er dieNatur unmittelbar aus ihren Werken studiert, und da er mitAufmerksamkeit eine Menge von Gegenständen in nahen undweitentlegenen Ländern betrachtet hatte, war er auch zu einertiefen Erkenntnis der Natur gelangt. Nicht so sehr wie Paracelsuswar er gegen das Bücherlesen eingenommen; er hatte mehreremedizinische und historische Werke studiert. Mit demGriechischen war er auf seinen Reisen bekannt geworden, auchmit einigen orientalischen Sprachen, so daß er später eineSchriftgießerei in ausländischen Lettern anlegen und sogar ein

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 105

Page 106: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Onomastikon herausgeben konnte. Lateinisch lernte er noch inseinem sechsundvierzigsten Jahr bei dem berlinischen PropstJakob Colerus. Er verstand sich auf die Kunst des Zeichnens undkonnte die für seine anatomischen Handleitungen und seinKräuterbuch beschäftigten Formschneider wohl anweisen. Erhatte eine Karte der Mark Brandenburg aufgenommen, wie mansie damals noch nicht besaß. Seine Kenntnisse in derMathematik, Astronomie und Astrologie waren nichtunbedeutend, so daß er nicht nur die weit und breit berühmtenKalender veröffentlichte und sich mit dem Stellen der Nativitätabgeben konnte, sondern er vermochte auch für die Jahre 1580bis 1590 die ephemeriden und astronomischen Tabellen zuberechnen.

Der Kurfürst bestellte ihn zu seinem Leibmedikus, und seinstehendes Gehalt betrug 1352 Taler, eine für jene Zeitansehnliche Summe. Daneben hatte er auf vier Pferde Futter, dieHofkleidung, die Hofdeputate und bei Reisen Vorspann. Kurfürstund Hof gaben ihm vielerlei Bestellungen von Einkäufen, die erzu Leipzig, zu Nürnberg und zu Venedig durch seine Schreiberund Bekanntschaften besorgen mußte. Der Kurfürst war einLiebhaber von Silbergerät; die Goldschmiede hatten so viel fürden Hof zu tun, daß Joachim Friedrich viel Silberzeug in Leipziganfertigen ließ, und Thurneyßer hatte davon die Kommissionen.Besonders setzte die Kurprinzessin Katharina von Küstrin einaußerordentliches Vertrauen in Thurneyßer. Ihr Gemahl warAdministrator von Magdeburg, sie selbst residierte in Halle. Sieließ ein Laboratorium bauen und ersuchte Thurneyßer, zu ihr zu

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 106

Page 107: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

kommen. Der Kurfürst gab nur ungern seine Einwilligung, weiler Thurneyßer stets um sich haben wollte. Katharina brauchteden gewandten Schweizer in allen ihren Geschäften; wenn sieGeld nötig hatte, mußte er auf der Leipziger Messe in seinemNamen zwei, drei und mehrere tausend Taler für sie aufnehmen.Sie ließ durch ihn Kleinodien und Silberzeug kaufen undverkaufen und schickte ihm Leute zu, die er zu Laboranten undProvisoren bilden, in der Imitation von Rubinen und Smaragdenund im Wappen- und Steinschneiden unterrichten sollte.

Bald nach seiner Ankunft in Berlin hatte ihm der Kurfürst einegeräumige Wohnung in dem ehemaligen Franziskanerkloster,dem grauen Kloster, gegeben, damit er Platz zu einerweitläufigen Haushaltung haben möge. Er richtete sich dort ingroßem Stile ein. Im Laboratorium wurden nach seinemsilbernen Buch die Arkana präpariert, die geheimen Arzneien,die ihn zum reichen Mann machten: Goldpulver, Goldtropfen,Amethystenwasser, Saphir-, Rubinen-, Smaragden-, Perlen- undKorallentinktur, auch Bernsteinöl. Er hatte Mittel »wider dieVergicht, wider ein Rotgesicht, dasselbe zu erläutern und zudealbieren.« Ein Lot #spiritus vini# kostete vier Taler, ein Lot#Spiritus vini correcti# sogar sechs Taler, ein LotRhabarberextrakt zwei Taler. Der Gräfin Lynar schickte ereinmal einige Öle zum äußerlichen Gebrauch, die fünfunddreißigTaler kosteten, und schrieb ihr dazu: »Ihre Gnaden würde zumbesonderen Vergnügen gereichen, diese kleinen Unkosten zutragen, damit Sie nichts einnehmen dürften.« Er meinte, weil sieja die Mittel nicht schlucken müsse.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 107

Page 108: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Er hielt im grauen Kloster eine Art von kleiner Hofstatt, seineHaushaltung bestand aus mehr als zweihundert Personen, ausDienern, Schreibern, Laboranten, Boten zum Verschicken undden Arbeitern in der weitläufigen Druckerei, die mit deutschen,lateinischen, griechischen, hebräischen, chaldäischen, syrischen,türkischen, persischen, arabischen, sogar mit abessinischenTypen versehen war, in der seine Schriften fortan gedrucktwurden, auch die Schriften von andern Gelehrten, zum Teil ausfernen Städten, jede mit der Aufschrift: gedruckt zu Berlin imgrauen Kloster. Die Arbeiter und Bedienten waren fast alleverheiratet und wohnten mit Frauen und Kindern bei Thurneyßer.Der Aufwand zu ihrem Unterhalt war so groß, daß er monatlicheinen Ochsen schlachten ließ. Er selbst ging stattlich, inschwarzsamtenen und seidenen Kleidern, was ein besonderesZeichen der Pracht war, auch täglich mit seidenen Strümpfen.Noch kurz ehe Thurneyßer nach Berlin kam, hatte der MarkgrafJohann zu Küstrin seinem geheimen Rat Barthold vonMandelsloh, der die seidenen Strümpfe aus Italien mitgebrachthatte und einst an einem Wochentag mit ihnen bei Hof erschien,zugerufen: »Barthold! Ich habe auch seidene Strümpfe, aber ichtrage sie nur des Sonn- und Festtags.« Thurneyßer prangte nichtnur in seidenen Strümpfen und Kleidern, sondern er trug um denHals auch goldene Gnadenketten mit daran hängenden Kur- undFürstenbildnissen, goldnen Gnadenpfennigen undKontrefaitmünzen. Wenn er ausging, begleiteten ihn zweiEdelknaben; 1580 verrichteten diesen Dienst zwei Vettern,Christoph und Hans Christoph von Tetzel aus dem alten,reichsadeligen Patriziergeschlecht der Tetzel von Kirchsittenbach

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 108

Page 109: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

und Vohra zu Nürnberg. Ihre Eltern wohnten in Denelohe, einemim fränkischen Altmühlkreis gelegenen Reichsrittersitz; 1582dankte der Vater dem Doktor Thurneyßer dafür, daß er seineKinder zu sich genommen; er sei überzeugt, daß sie im ganzenKurfürstentum nirgends besser als bei ihm zur Ordnung undTugend erzogen werden könnten. Oft speisten großeGesellschaften von den Vornehmsten des Hofes bei ihm, undwenn auswärtige Herren ankamen, sich seines Rats zu erholen,nahm er sie im grauen Kloster bei sich auf, wie den FürstenRadziwill. Er war das Orakel von aller Welt. König Friedrich II.von Dänemark bat ihn, die einst von Heinrich dem Löwenverschütteten Salzbrunnen zu Adeslon zu untersuchen; KönigStephan Bathory von Polen, den er zuweilen mit Antidoten oderGegengiften versah, sprach ihn um Hilfe wegen der Bergwerkean; Graf Wilhelm der Weise von Hessen forderte von ihm eineErklärung fremder Buchstaben auf einem in der GrafschaftKatzenellenbogen aufgefundenen Gipsstein. Der König vonSchweden schickte ihm einen schönen Luchspelz. Die Schreiberbreiteten seine Wunderkuren aus und brachten reiches Entgelt,seltene gemalte Bücher, Handschriften, Erzstufen,Versteinerungen und Kräuter mit. Sie erzählten auch, was anauswärtigen Höfen und in anderen Ländern vorfiel, und mitdiesen Nachrichten wußte Thurneyßer sich bei seinem Herrn sehrbeliebt zu machen.

Von seinen Kalendern setzte er ungeheure Auflagen ab. Bei deneinzelnen Monatstagen pflegte er Buchstaben und verblümteWorte als Prognostika beizufügen, und im folgenden Jahr

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 109

Page 110: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

schickte er dann die Erklärungen, wenn die Begebenheitenrichtig eingetroffen waren. Im Kalender auf 1579 steht beim 17.Dezember: schändliche Tat einer fürstlichen Person. 1580 lautetedie Erklärung: auf diesen Tag hat Signora Bianca Capelli ihrenStiefsohn zu Florenz mit Gift vergeben, welcher am 18.Dezember gestorben.

Als Nativitätssteller begründete er seinen Ruf mit derVersicherung, er habe dem König Sigismund August von Polenohne Aberglauben und Teufelskünste Jahr, Monat und Tag seinesTodes prophezeit; sowie in einer fürstlichen oder gräflichenFamilie in Deutschland ein Kind geboren war, wurde ihm dieGeburtsstunde zugeschickt; manchmal kamen mehrere Boten aneinem Tag. Nun suchte er den Stand der Planeten, forschte, inwelchem Zeichen des Tierkreises sie gestanden, bemerkte dieAspekten gegeneinander und bestimmte daraus die Influenzenauf den Geborenen. Er beurteilte seine künftigen Schicksale,seine natürlichen Neigungen und Fähigkeiten, ob er glücklich,reich oder arm, zu Ehren gelangen werde oder nicht, heiratenwerde oder nicht, Kinder bekommen werde oder nicht, was er fürKrankheiten zu erwarten und in welchem Alter er sterben würde.Das alles interessierte damals die Leute ungemein, jedermannglaubte steif und fest daran, auf den Universitäten wurdenCollegia über das Nativitätstellen gelesen, und Bischöfe undhohe Geistliche gaben sich damit ab.

Die Bestimmung der Nativität hatte keinen Zweck, wenn mannicht die Talismane trug, die Thurneyßer fabrizierte. Er versah

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 110

Page 111: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

die ganze Mark und die benachbarten Länder mit Talismanen.Selbst Andreas Osiando, der berühmte Streittheolog inKönigsberg, trug zum Schutz wider den Aussatz eine Kette umden Hals. Als Thurneyßer, eine goldne Kette um den Hals, 1574nach Königsberg reiste, um den blödsinnigen Herzog zu heilen,benutzte er bei seinen Kuren die Talismane. Es waren sogenanntegroße Jupiter-Talismane, #Sigilla solis#. Sie finden sich noch inden Münzkabinetten; Jupiter erscheint auf ihnen wie einWürttemberger Professor mit Bart und Pelzrock und einemgroßen Buch, aus dem er doziert; auf dem Revers befindet sichein Apucus, ein heiliger Rechenpfennig, der die Summe 34 gibt,man mag die Zahl in den sechzehn Feldern der Länge nach oderder Breite nach oder in der Diagonale addieren. Die #Sigillasolis# waren oft sechs Dukaten schwer. Einer ist vierzehnDukaten schwer. Er trägt die Namen Gottes und der zehn Fürstender Engel und die hebräischen Worte, die der berühmte AbtTrieheim aus der Bibel und den Rabbinen entlehnt und Agrippavon Nettelsheim in seinem Werk #De occulta philosophia#erklärt hatte. Die #Sigilla solis# waren dazu bestimmt, diesolarischen Krankheiten abzuwenden, wozu die des Gehirnszählten. Es gab auch Talismane mit dem Zeichen der andernPlaneten, und diese verhüteten die astralischen Krankheiten.Ferner gab es Talismane aus sieben verschiedenen Metallengemischt, in einem festgesetzten Verhältnis und mitBeobachtung der Konstellation: wann sie geschmolzen warenund wann der Stempel aufgeprägt war; diese hatten einebesondere verborgene Kraft, Menschen, in unglücklicher Stundegeboren, glücklich zu machen. Andere Talismane verschafften

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 111

Page 112: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

die Gunst großer Herren, beförderten zu Ehrenstellen, ließenHeiratshändel gelingen, und wenn Mars beim ersten Eintritt indas Zeichen des Skorpions darauf geprägt war, verliehen sie demSoldaten Mut und Sieg. Thurneyßer verkaufte Talismane zumBesten des ganzen menschlichen Geschlechtes, vom Kaiser biszum Bauer herunter. Das sollte die mit dem Zepter kreuzweisgelegte Sense andeuten, die sich auf den Münzen befinden. Ererzeugte auch sympathetische Ringe, die von der fallenden Suchtbefreiten.

Durch alle diese Geldquellen wurde Thurneyßer sehr reich. SeinSchatz bestand aus zwölftausend Goldstücken, teils einfachenund doppelten Portugalesern, teils vierfachen Kronen,Rosenobeln, Engalotten und Dukaten. Er besaß über neunZentner an Trinkgeschirren und einen silbernen vergoldetenHirsch, der, nach der Sitte der Zeit mit Leuchtern ausgeziert, inseinem großen Saale hing. Seine Bibliothek soll ihresgleichenweit und breit nicht gehabt haben; sein Naturalienkabinettenthielt eine Sammlung von Pflanzensamen aus allen Teilen derWelt. Er hatte Präparate von getrockneten Teilen desmenschlichen Körpers und von seltenen Tieren. Er hatteSkorpione in Baumöl, die der gemeine Mann für entsetzlicheZauberteufel ansah. Sein Garten beim Grauen Kloster war vollbotanischer Kuriositäten, und ein Elentier, das ihm der FürstRadziwill geschenkt hatte, schickte er nach seiner VaterstadtBasel, um sich bei seinen Landsleuten in Respekt zu setzen. Diefrommen Baseler hielten es aber auch für einen Zauberteufel, undein altes Weib gab ihm einen Apfel mit zerbrochenen Nähnadeln

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 112

Page 113: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

zu fressen.

Thurneyßer zog eine Menge kunstverständige Ausländer nachBerlin und brachte auf jede Weise viel Geld in Umlauf. EineMenge Schriftgießer, Stempelschneider, Kupferstecher,Illuminierer, Buchbinder, Kaufleute und Goldschmiede hattenbeständig für ihn zu tun. Er war der erste, der die chemischenArzneien einführte, deren kleine aber wirksame Dosen denverschleimten Ruppiner- und Bernauerbiermagen desbrandenburgischen Adels annehmlicher dünkten, als diebisherigen kopiosen galenischen Arzneitränke. Er half denAlaun- und Salpetersiedereien auf, sowie den Glashütten. Ausder Grimnitzer Glashütte in der Uckermark hatte er einengläsernen Vogelbauer, in dessen inwendigem Raum ein Vogelsaß, während außen Fische schwammen. Dieser Vogel war demgemeinen Mann gleichfalls ein Zaubervogel, da er scheinbarmitten im Wasser mit schwimmenden Fischen lustigherumsprang, als ob er in freier Luft lebte.

Vierzehn Jahre lang erhielt sich Thurneyßer in derunverminderten Gnade des Hofes. Der Kurfürst gab ihm dasZeugnis, »daß er sich nach seinen ihm von Gott verliehenenGaben gegen ihn und dem Hause Brandenburg, auch vielenanderen hohen und niederen Standespersonen getreu, aufrichtig,nützlich und wohl erzeiget habe«. Im Jahre 1575 warThurneyßers Frau gestorben, das Schweizerheimweh kam überihn, der Kurfürst wollte ihn nicht ziehen lassen, nun reiste erwenigstens zu Besuch nach Basel und heiratete dort 1580 seine

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 113

Page 114: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

dritte Frau, eine Geschlechtertochter aus Basel, eine Herbrot. Siewar liederlich, er verstieß sie, und sie brachte ihn um Ehre undVermögen. Es entspann sich ein skandalöser Prozeß, worin beideTeile Schriften gegeneinander veröffentlichten, und seinesämtlichen Habseligkeiten, die er nach Basel geschickt hatte,wurden mit Beschlag belegt und der Frau zugesprochen. Daraufentstand in der Mark eine große Hetze gegen ihn, er wurde alsZauberer, Atheist und Wucherer gebrandmarkt, ein Professor inGreifswalde predigte öffentlich gegen ihn, warnte die Gemeindenund erachtete ihn des Kirchenbanns für würdig. Er verließ Berlin,wurde katholisch, ging nach Rom und begab sich unter denSchutz des Papstes. Beim Kardinal Ferdinand von Medici, beidem er speiste, verwandelte er einen eisernen Nagel in Gold.Nach der Tafel stellte der Kardinal darüber ein Zeugnis aus, dasman lange Zeit nebst dem Nagel als große Merkwürdigkeit denFremden in Florenz zeigte. Es fand sich aber später, daß dasWunder durch einen Betrug zustande gekommen war.

Thurneyßer lebte ein paar Monate dann in Belvedere, wandertedann wieder nach Deutschland und starb endlich in ärmlichenUmständen in einem Kloster bei Köln, fünfundsechzig Jahre alt,genau an dem Tage, auf den er sich selbst das Horoskop gestellthatte.

Danckelmann

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 114

Page 115: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Der Kurfürst Friedrich von Brandenburg und spätere erste Königvon Preußen überließ sich am Anfang seiner Regierung völligder Leitung Danckelmanns, seines ehemaligen Hofmeisters.Eberhard Danckelmann war 1643 geboren; er war ein Fremder,ein Westfale aus der damals noch nassau-oranischen StadtLingen, wo sein Vater, der berühmte gelehrte Sylvester,Landrichter war. Die Familie war bürgerlich, hatte aber dieTradition, daß einer ihrer Vorfahren einem deutschen Kaiserdurch treue Wachsamkeit das Leben gerettet und dieser ihm mitden Worten: »Danke, Mann«, den Ritterschlag erteilt habe. DasWappen, das dieser Tradition Wahrscheinlichkeit geben sollte,war ein Kranich.

Der junge Danckelmann war eine Art Wunderkind gewesen; erhatte in Utrecht studiert, hatte hier schon in seinem zwölften Jahreine Disputation gehalten und dann die europäische Turnee durchEngland, Frankreich und Italien gemacht. Er war zwanzig Jahralt, als ihn der Große Kurfürst auf einer Reise nach Hollandkennen lernte und zum Lehrer des damals fünfjährigen PrinzenFriedrich Wilhelm annahm. Zwei Jahre später, 1665, wurde erTitularrat, 1669 Halberstädtischer, 1676 kurmärkischerRegierungsrat, und noch unter dem Großen Kurfürsten Kammer-und Lehnsrat. Zweimal vor Friedrichs Regierungsantritt rettete erdem Prinzen das Leben, 1680 bei dem angeblichenVergiftungsversuch durch die Stiefmutter, und sieben Jahredarauf bei einem Stickfluß, wo er ihm gegen den Rat der Ärzteeine Ader schlagen ließ und ihn so wieder zum Bewußtseinbrachte. Kurz nach seiner Thronbesteigung ernannte ihn Kurfürst

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 115

Page 116: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Friedrich zum Regierungspräsidenten in Cleve, und am 2. Juli1695, bei der Zusammenkunft der sieben Brüder Danckelmann,die alle hohe Ämter im Brandenburgischen bekleideten, beioffener Tafel zum Premierminister mit dem ersten Rang amHofe. Friedrich setzte die Bestallung eigenhändig auf. Es heißtdarin, daß Danckelmann ein vollständiges Exempel ungefärbterTreue, unablässiger Applikation in der Beförderung der Gloiredes Kurfürsten und aller andern, dem Diener eines großen Herrnwohlanständigen Tugenden und Qualitäten sei. In demselbenJahre ließ ihn der Kurfürst mit seinen sechs Brüdern von KaiserLeopold in den Reichsfreiherrenstand erheben, und der Kaisergab ihnen zu dem bisher im Wappen geführten Kranich siebenmit einem Ring zusammengehaltene Zepter, »damit derenPosterität aus denen sieben Zeptern die Urheber dieser unsererihnen erteilten Gnad und Würde als sieben Brüder, welchegleichsamb an einem Ring beisammen halten umbsomehrabnehmen und vermerken können«. So das Diplom; und esbesagte auch, daß Eberhard Danckelmann den ihm angetragenenGrafenstand abgebeten habe, um mit seinen Brüdern im gleichenStand zu bleiben. Der Kurfürst verlieh ihm noch dieErbpostmeisterwürde, die Hauptmannschaft zu Neufeld an derDosse und ansehnliche Lehne und Güter.

Er leitete die Finanzen und alle Hauptgeschäfte. Man nannte ihnden Colbert der brandenburgischen Staaten. Er vermehrte dieJahreseinkünfte aus den Domänen um hundertfünfzigtausendTaler. Er regierte mit seinen sechs Brüdern, von denen er dermittelste war. Man nannte diese Regierung der sieben Brüder

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 116

Page 117: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Danckelmann, die als rechtschaffene Männer im Volk beliebtwaren, die Herrschaft der Plejaden oder des Siebengestirns. Derälteste Bruder war Resident im westfälischen Kreis. Der zweiteaußerordentlicher Gesandter beim König von England, der dritteKammergerichts- und Konsistorialpräsident, der vierteGeneralkriegskommissär, der fünfte Kanzler zu Halle undaußerordentlicher Gesandter am kaiserlichen Hof und der sechsteKanzler zu Minden.

Danckelmann war ein tüchtiger und verdienstvoller, ein sehrselbstbewußter und gegen den alten Adel sehr stolzer Mann. Erwar von tiefmelancholischem Temperament; man hat ihn niemalslachen gesehen. Sein Unglück schwebte dunkel vor seiner Seele,als er noch im höchsten Glücke war. Eines Tages gab er dem Hofzur Einweihung seines neuen Hauses ein Fest. Die Gesellschafttanzte im großen Saal, Danckelmann befand sich mit demKurfürsten in seinem Arbeitskabinett. Mit dem Wohlgefalleneines Kenners betrachtete Friedrich einige Gemälde, die dort anden Wänden hingen. »Das sind schöne Bilder,« meinte derKurfürst. »Ach,« erwiderte Danckelmann mit bitterem Lächeln,»die Bilder und was ich sonst noch Kostbares besitze, wird jadoch einst, bald vielleicht, das Eigentum von Eurerkurfürstlichen Gnaden sein, wenn meinen Feinden gelingt,wonach sie so eifrig trachten, mir die Liebe meines Herrn zuentfremden.« Da legte der Kurfürst die Hand auf die Bibel undantwortete, der Fall könne sich nie ereignen.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 117

Page 118: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Der Fall ereignete sich aber doch, und zwar nicht ohneDanckelmanns Verschulden. Das Zeremoniell war in jenenTagen, wo sich alles um die Hofherrlichkeit drehte, die Schlange,die die gescheitesten Köpfe verführte. Danckelmann bezeigtesich gegen seine altadeligen Kollegen hochfahrend, rauh undunfügsam. Er mochte freilich zu tun haben, sich in Positur gegensie zu setzen. Er verlangte von sämtlichen Ministern derauswärtigen Höfe den ersten Besuch; selbst den regierendenReichsgrafen wollte er nicht weichen. In die Kirche zuKönigsberg, wo der ganze Hof versammelt war, kam er einst zuspät, die Predigt hatte schon begonnen. Sein Nachfolger, derspätere Premier Wartenberg und der Feldmarschall Barfußsprachen miteinander; Danckelmann fuhr zwischen sie mit denWorten: »Meine Herren, warum heben Sie mir kein Platz auf?«Wartenberg erhob sich und sagte: »Hier ist Platz.« Kaltentgegnete Danckelmann: »Es ist Ihre Schuldigkeit, mir Platz zumachen.«

[Illustration: Eberhard Danckelmann, nach einem Stich von G. P.Busch.]

Dergleichen gab böses Blut. Im Gefühl seiner Vorzüge nahmDanckelmann auch gegen den Kurfürsten einen feierlichen Tonan, der dem hohen Herrn natürlich zu hoch vorkommen mußte.Er verdarb es auch mit den Damen und brachte die ganzekurfürstliche Familie gegen sich auf. Sein Sturz erfolgte auf echtorientalische Weise. Im Vorgefühl seines Schicksals hatte erseinen Abschied erbeten. Der Kurfürst, der fünfunddreißig Jahre

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 118

Page 119: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

lang um ihn gewesen war, bewilligte den Abschied.Danckelmann blieb in Berlin; noch am Abend des 10. Dezember1697 erschien er bei Hof, und der Kurfürst unterhielt sich mitihm aufs freundlichste. In der Nacht darauf erschien derGardeoberst von Tettau in Danckelmanns Haus in der altenFriedrichstraße, dem sogenannten Fürstenhaus. Er wurdearretiert, seine Effekten wurden versiegelt, und man brachte ihnnach Spandau, später nach Peitz. Erst zehn Jahre darauf wurde ernebst vielen andern Staatsgefangenen pardonniert; da er Preußennicht verlassen durfte, begab er sich nach Kottbus, wo er einehalbe Freiheit genoß und zweitausend Taler Pension. Seinesämtlichen Güter wurden ohne Prozeß konfisziert; dasFürstenhaus, Marzahne, Zimmerbude, Groß- undKlein-Quittainen in Preußen, Biesenbruch in der Uckermark,Umelingen und Schönebeck in der Altmark und dieKohlenbergwerke bei Wettin. Die Familie hat die Güter niemalszurück erhalten. Während der ganzen Zeit seiner Gefangenschaftwar nur seine Frau um ihn, die sich ausgebeten hatte, seine Haftteilen zu dürfen. Erst nach Friedrichs Tode erhielt dersiebzigjährige Greis eine Ehrenerklärung: König FriedrichWilhelm ging öffentlich mit ihm zur Kirche.

Kaiser Rudolf II. und sein Hof

Rudolf, der älteste Sohn des zweiten Maximilian, war zu Wiengeboren und wurde in Spanien erzogen. Seine Mutter war Maria,die Lieblingstochter Karls V., eine echte Spanierin, streng

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 119

Page 120: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

katholisch, sehr tugendhaft und sehr düster. Der Aufenthalt amHofe des unheimlich kalten, ausschweifenden und grausamenPhilipp und die furchtbaren Ereignisse unter dessen Regierunghinterließen nicht zu verwischende Spuren in Rudolfs Seele.Ehemals war er sanft, schüchtern und gerechtigkeitsliebendgewesen; als er im Alter von neunzehn Jahren nach Deutschlandzurückkam, um die römische Königskrone aufs Haupt zu setzen,war er wild, finster und zu heftigen Zornanfällen geneigt. Mitvierundzwanzig Jahren wurde er Kaiser. Er schlug seine Hofstattzu Prag auf.

Es war eine Drohung über ihm von den Ahnen her. Aber er hattenicht die rührende Melancholie Johannas von Kastilien, auchnicht die durch die Eitelkeit aller irdischen Dinge niedergebeugtestille Größe Karls V., in ihm war eine Art von Versteinerung.Mit der Ungeduld eines bösen Kindes sprach er seinenWiderwillen gegen alle Regierungsgeschäfte aus, und dieserWiderwille endigte erst, wenn er merkte, daß ein anderer sichihrer mit Liebe und tätigem Fleiß annahm; dann erwachte in ihmder Neid und eine verzehrende Eifersucht.

Er kam niemals ins Reich; er besuchte nie einen Reichstag seitjenem Regensburger, wozu ihn die Türkennot gedrängt hatte. Erkam auch niemals nach Wien. Er saß fest auf dem Hradschin;dort hatte er seine Zauber- und Wunderwerkstatt aufgeschlagen.Wenn die deutschen Fürsten ihm ihre Gesandten schickten, ließer ihnen sagen: er sei eben mit andern Angelegenheiten trefflichmolestieret. Ebenso warteten die Boten Ungarns und Österreichs

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 120

Page 121: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

jahrelang in Prag vergeblich und immer wieder vergeblich aufeine Audienz. Die Statthalter und Generale wurden ohneVerhaltungsbefehle gelassen; sie mochten sich helfen, wie siekonnten. Die Geheimkünste füllten seine ganze Welt aus.

Er hatte große Schätze, verbarg sie aber sorgfältig in seinenTruhen. Es kümmerte ihn nicht, wenn den Räten und Hofleutenkein Gehalt ausbezahlt wurde, wenn sogar in der kaiserlichenHofhaltung sich Mangel einstellte. Der bayrische Residentschrieb einmal an seinen Herrn: »Heute hat das vornehmsteHofgesinde nichts zu essen gehabt, es war kein Geld vorhanden,um für die Küche einzukaufen.« Von alledem unberührt, überließsich Rudolf seiner Leidenschaft für das Mysteriöse und seinerSammelwut.

Er sammelte Naturalien, seltene Steine, ausländische Pflanzenund Tiere. Löwen, Leoparden und Adler verstand er so zahm zumachen, daß sie mit ihm im Zimmer herumgingen. Die Welser inAugsburg, die für die zwölf Tonnen Goldes, welche sie demKaiser Karl vorgestreckt, einen Küstenlandstrich in Südamerikaerhalten hatten, ließen von dort her peruanische Kuriositäten fürihn kommen. Er sammelte römische und griechische Altertümer,die seine Agenten aufkaufen mußten, Münzen, Gemmen,Kameen und Statuen. So erwarb er zwei der größten Schätze derAntike, den Sarkophag mit der Amazonenschlacht und dieOnyxtasse mit der Apotheose des Augustus, für die erfünfzehntausend Dukaten bezahlte. Seine Schatzkammer warweit und breit berühmt; sie blieb fast zweihundert Jahre lang im

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 121

Page 122: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Stande, erst in der Zeit der josefinischen Aufklärung ging vielesverloren; die Statuen wurden für ein Spottgeld veräußert, einherrlicher Torso wurde durch das Fenster in den Schloßgrabengeworfen, die seltenen Münzen wurden nach dem Gewichtverkauft, und die Tizianische Leda figurierte in einem Inventarunter dem Titel: ein nacktes Weibsbild von einer bösen Gansgebissen.

Ein besonderes Wohlgefallen fand Rudolf an derStempelschneidekunst. Die Siegel an seinen Diplomen, goldnenBullen, Lehn- und Gnadenbriefen sind so fein und zierlich invollendetstem gotischen Stil ausgeprägt, daß die Annahmeberechtigt erscheint, er habe die größten Meister dieser Kunst inseinen Dienst gezogen.

Von seinen Hofleuten wurde Rudolf II. Salomon genannt. Erbeherrschte sechs Sprachen, war bewandert in der Mechanik,Physik und Mathematik und besonders in der Astrologie, Magieund Alchimie. Er verkehrte schriftlich mit allen gelehrtenMännern im heiligen römischen Reich, und manchenunscheinbaren Doktor erhob er in den Adelsstand, auch wenn esein Lutheraner war. Aber hauptsächlich waren die sonderbarenLeute seine Leute. Es lebten an seinem Hof eine MengeUhrmacher und Maler, eine Menge Astronomen, die ihmHoroskope stellen und Kalender machen mußten; er verkehrtemit Adepten aller Art, worunter sich viele Scharlatane,Glücksritter, Quacksalber und Marktschreier befanden; erverkehrte mit Magiern, Spiegeldeutern, Lebensverlängerern und

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 122

Page 123: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Menschenmachern; sie mußten dem Kaiser aus kochendemWasser weissagen, ihm ihre Phantasmagorien zeigen und allenErnstes versuchen, Mumien zu beleben und in der RetorteMenschen zu erzeugen.

Der größte Magus an Rudolfs Hof war der Engländer John Dee.Er schloß dem Kaiser das Geisterreich auf. Er rühmte sich, zujeder Zeit seinen Genius vor sich zu sehen, und wenn er seineStudien unterbreche, setze sich der Genius an seine Stelle hinund studiere weiter; wenn er dann zurückkehre, brauche er ihnnur auf die Achsel zu klopfen, so stünde der Genius auf undentferne sich wieder. Rudolf hielt Dee für einen gewaltigenZauberer, Dee hielt den Kaiser ebenfalls für einen gewaltigenZauberer, und so hatten beide große Furcht und großen Respektvoreinander. Ein anderer Wundermann war der Italiener MarcoBragadino. Eigentlich hieß er Mamugna und war ein Grieche. ZuEnde des sechzehnten Jahrhunderts war er als Graf Mamugnanonach Italien gegangen, trat in den Kreisen der venezianischenNobili mit größter Pracht auf und machte in den Palästen derDandolo und der Contarini zum Erstaunen aller Gold. In Pragerschien er stets begleitet von zwei riesigen schwarzenBullenbeißern, die er zur Beglaubigung seiner Macht über dieGeister mit sich führte. Er behandelte das Gold wie Messing,verschenkte große Stücke und hielt stets auf eine reiche Tafel.Als er sich später nach Münster wandte, verlor er sein Leben amGalgen. Noch größeres Aufsehen als dieser Bragadino machteein gewisser Hieronymo Scotto. Er war es, der dem KölnerKurfürsten Gebhardt Truchseß durch die Bilder in einem

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 123

Page 124: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Zauberspiegel die schöne Gräfin Agnes Mannsfeld verkuppelte,worüber der geistliche Herr Land und Leute einbüßte. In Koburgverführte der einschmeichelnde Glücksritter die Gattin desHerzogs, und die unglückliche Prinzessin schmachtete dafürzwanzig Jahre lang im Gefängnis.

Alle fahrenden Alchimisten waren Rudolf willkommen, er hattetäglich Zuspruch von ihnen und beschenkte sie reichlich, wennsie interessante Versuche machen konnten. Man nannte ihn dendeutschen #Hermes trismegistos,# und daß er wirklich ein Adeptgewesen, schien nach seinem Tode klar, denn man fand unterseinem Nachlaß eine graue Tinktur, man fand vierundachtzigZentner Gold und sechzig Zentner Silber, die in Ziegelsteinformgegossen waren.

Es lebten aber auch drei große Männer an Rudolfs Hof: Tycho deBrahe, Loncomontanos und der unsterbliche Kepler, der vonPrag aus sein fundamentales Werk #»nova astronomia de stellamartis«# in die Welt sandte. Er hielt sich zwölf Jahr lang anRudolfs Hof auf und war seit dem Tode Brahes, der an der Tafeldes letzten Rosenbergs in Krumau aus Etikettenangst starb, alsrömisch-kaiserlicher Majestät Mathematikus angestellt. EinJahrgehalt von fünfzehnhundert Gulden war ihm zugesichert;aber er erhielt es selten richtig ausbezahlt.

Vielleicht war die Zurückgezogenheit, in welcher der Kaiser aufseinem Zauberschloß lebte, schuld daran, daß sich starkeParteiungen an seinem Hof bildeten. Den mächtigsten Einfluß

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 124

Page 125: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

hatten die Italiener. Davon liefert die Geschichte desFeldmarschalls Rusworn einen Beweis; Graf Khevenhüllererzählt sie in seiner altertümlichen Manier, die ich zu mildernversuche:

[Illustration: Kaiser Rudolf II., nach einem Stich von A. Wierx.]

»Dies Jahr sind zu Prag der Feldmarschall Rusworn und derBegliojoso so hart aneinandergekommen, daß sie sich mitWorten übel traktiert, was der Begliojoso von seinemFeldmarschall hat leiden müssen. Seines Unwillens hat sich einvon Mailand verbannter Kerl namens Furlan bedient; derBegliojoso hatte in seiner Heimat eines Rechtsgelehrten Weibverführt, deshalb waren zwölftausend Kronen auf seinen Kopfgesetzt, welche dieser Furlan zu gewinnen und dabei seiner Achtsich zu entledigen hoffte. Als nun Begliojoso einmal am Abendauf der Kleinseite spazieren ging, ist Furlan zu demFeldmarschall gegangen, der beim Grafen Herberstein speisteund hat ihm vermeldet, der Begliojoso lauere ihm auf. Darauf hatder Rusworn um seine Leute und Pistolen geschickt und hatseinen Kämmerling und den Furlan ihm vorausgehen heißen. Alssie nun den Begliojoso angetroffen, hat dieser, der nichts Bösesim Sinn geführt, freundlich zu Furlan gesprochen, der aber hatihm mit der Pistole geantwortet und ihn durch den Armgeschossen. Darauf hat der Begliojoso mit der rechten Hand denDegen erwischt, mit großer Wut auf die zwei losgegangen undsie gegen den Feldmarschall getrieben; der hat gemeint, dieVerräterei sei erwiesen, hat dem Begliojoso stark mit der Wehr

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 125

Page 126: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

zugesetzt und ihn fast auf den Tod verwundet. Indem hat Furlanden Begliojoso hinterwärts durch den Kopf geschossen, istdavongelaufen, aber später ertappt und gehenkt worden. DerKaiser war zuerst übel zufrieden, daß man seinen Feldmarschallso traktiert, aber als Rusworns Widersacher den Kaiser andersinformiert, wurde er verarrestiert und die Sentenz über ihngesprochen. Der Kaiser hat ihm den Pardon gegeben, der ist aberaus Praktiken zurückgehalten und die Exekution vorgenommenworden. Der Feldmarschall hat sich trefflich wohl zum Sterbengeschickt, hat ein gemaltes Kruzifix vor sich ausgebreitet undseines Endes unerschrocken gewartet. Der Kopf ist ihm gleich zuder Wunde Christi gefallen, und also hat dieser kühne tapfereHeld, so in Ungarn wider den Türken ansehnliche Dienstegeleistet, mit einem schmählichen Streich sein Leben endenmüssen, aus Mißgunst etlicher, die ihn um das Glück beneidetund denen er im Wege gelegen. Der Kaiser hat seine Übereilunghoch beklagt. Weil aber die Majestät damals sich ganz verstecktgehalten und fast niemand gehört, wurde die Sache beschönt undverschwiegen.«

Gerade weil Rudolf so eingezogen lebte, bedurfte er derZuträgereien; die Kammerdiener brachten sie ihm, und nachseiner argwöhnischen Gemütsart lieh er ihnen ein williges Ohr.Lakaien und Abenteurer waren es, die im Hradschinkommandierten. Die Stallknechte hatten einen großen Stand,weil der Marstall des Kaisers Lieblingsaufenthalt war. VielMacht übten endlich die listigen Buhlerinnen aus, mit denen derKaiser in immer wechselnder wilder Ehe lebte. Die Ursache,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 126

Page 127: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

weshalb sich Rudolf nicht vermählte, war das Horoskop, das ihmTycho de Brahe gestellt hatte. Es lautete, er dürfe nicht heiraten,denn es drohe ihm Gefahr vom eigenen Sohn. ZweiHeiratsprojekte lagen vor: mit einer mediceischen Prinzessin undmit der spanischen Infantin Isabella. Viele Jahre lang wurdedarüber verhandelt, aber jeder Versuch, den Kaiser zur Ehe zubewegen, schlug fehl. Um das Jahr 1600, als sich dieHeiratsprojekte endgültig zerschlagen hatten, stieg RudolfsTrübsinn aufs höchste. Gegen seinen jüngeren Bruder Mathiasfaßte er einen unaustilgbaren Widerwillen. Das Erscheinen desHalleyschen Kometen bestärkte ihn in der Furcht vor denAnschlägen seiner Verwandten, Anschläge, die der blutigeSchwanzstern ihm recht handgreiflich in der Vorbedeutunganzuzeigen schien. Vergeblich suchte ihm Kepler seine Angstauszureden. Er war so mißtrauisch, daß er nicht nur denniedrigsten Verleumdern zugänglich war, sondern auch allePersonen, die zu ihm kamen, untersuchen ließ, ob sie heimlichWaffen bei sich führten. Selbst seine Geliebten mußten sichdiesem Zwang unterwerfen. Aus Furcht verließ er das Schloßnicht mehr. Sein Schlafzimmer glich einer Festung. Oft sprang eraus dem Bett und ließ durch einen Schloßhauptmann alle Winkelder kaiserlichen Residenz mitten in der Nacht durchstöbern.Wenn er zur Messe ging, was nur an hohen Festtagen geschah,saß er in einem gedeckten und stark vergitterten Oratorium. Umganz sicher beim Spazierengehen zu sein, ließ er lange und weiteGänge mit engen schrägen Fensterchen gleich Schießschartenbauen, durch die hindurch er nicht fürchten mußte, erschossen zuwerden. Diese Gänge führten in seinen prächtigen Marstall; er

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 127

Page 128: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

hatte hier seine Zusammenkünfte mit den Frauen und besah sichgern seine Pferde, die er liebte, auf denen er aber niemals ritt.

Daniel L'Hermite schildert die Erscheinung dessiebenundfünfzigjährigen Kaisers wie folgt: »Viel zu frühe sindihm Haare und Bart grau geworden. Die Stirn ist majestätisch,der Mund nicht unangenehm, die Augen sind feurig, werden abervon starken Wimpern fast gänzlich beschattet. Seine Gestalt istmehr gedrückt als aufgerichtet, von alters her ist diese gedrückteLeibesgestalt im Hause Österreich angeboren. Er trägt nochimmer Kleider nach der alten Sitte, er hält auf diese alte Sitte undsetzt ein Zeichen der Größe daran, nichts an ihr zu ändern; erträgt einen kurzen, mit Gold eingefaßten Mantel und über dergegürteten weißen Hose ein spanisches Wams.«

In Prag wußte man oft monatelang nicht, ob Rudolf noch lebe.Das Volk fürchtete, die Günstlinge verheimlichten seinen Tod,um seine Schätze an sich zu bringen. Einmal brach deshalb einAufstand aus, und da zeigte sich der Kaiser nach langen Bittenam Fenster des Hradschins, um den andrängenden Volkshaufenzu beruhigen. In dumpfem Brüten, und ohne einen Laut von sichzu geben, saß er oft viele Stunden hindurch und schaute denMalern und Uhrmachern zu, die in seinem Zimmer arbeiteten.Wurde er dabei angesprochen, so packte ihn der Jähzorn, und erwarf, was er gerade erreichen konnte, ein Gefäß oder einWerkzeug, dem Störer mit Schimpfworten an den Kopf.Bisweilen auch fuhr er aus seinem wehmütig stieren Sinnen ohneGrund empor und zerschlug alles um sich her.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 128

Page 129: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Personen, die in Geschäften bei Hof erschienen, fanden esungemein schwer, zum Kaiser zu gelangen. Entweder war er imZimmer bei den Löwen, Leoparden und Adlern, die er selbstfütterte, oder bei Tycho de Brahe auf der Sternwarte, oder beiDee und Bragadino, beschäftigt mit Schmelztiegeln,Wunderspiegeln, Traumtafeln und Geistererscheinungen, oder inden Gärten des Hradschins, wo Bäume, Gesträuche und Blumenaus fernen Weltgegenden blühten und Zaubergrotten undWasserwerke sich befanden, aus denen Musik ertönte. Wer ihnsprechen wollte, mußte sich als Stallknecht verkleiden und ihnim Marstall erwarten. Aber auch hier war es gefährlich, sich demseltsamen und gewalttätigen Herrn zu nähern. Eva, die Tochterdes in Ungnade gefallenen Oberst-Burggrafen Lobkowitz, hattesich durch Geld eine solche Audienz erkauft, um für ihrengefangenen Vater Freiheit und Leben zu erbitten. Ein ehrlicherStallknecht warnte sie in letzter Stunde, indem er ihr eröffnete,daß sie zu schön sei, um solches zu wagen, der Kaiser scheuenicht vor Gewalt zurück. Sie verstand ihn und floh.

Rudolf ahnte nichts von der Not seiner Völker. Dersturmbewegten Zeit mußte dieser kranke Träumer auf dem Thronalles schuldig bleiben. Die Türkengefahr und der Aufstand desSiebenbürgerfürsten vereinigte sämtliche Erzherzoge deshabsburgischen Hauses zu dem Beschluß, den Kaiser abzusetzen,und der Urheber dieser Maßregel war Clesel, der Bischof vonWien und Neustadt. Im Juni 1608 mußte Rudolf an seinenBruder Mathias die Krone Ungarns und die Lande Österreich undMähren gegen ein Jahrgeld gänzlich abtreten, und trotz seines

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 129

Page 130: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

leidenschaftlichen Widerstandes wurde er gezwungen, denberühmten Majestätsbrief auszustellen, durch den er denböhmischen Herren unbedingte Glaubensfreiheit sicherte. Nurdas tiefe Zerwürfnis mit Mathias drängte ihm den Majestätsbriefab, die Scharteke, wie Kaiser Ferdinand später die Urkundeverächtlich betitelte, als er sie nach der Schlacht am WeißenBerg verbrannte. Aber eines glaubte sich Rudolf dadurchgesichert zu haben: als böhmische Majestät in dem teuren Pragruhig sterben zu können. Es war ein Irrtum. Er wurde in seinemSchloß so eng bewacht, daß ihm nicht einmal verstattet war, inden Garten zu gehen und Luft zu schöpfen. Einmal, als derrömische Kaiser aus dem Tor treten wollte, schlug die Wache dasGewehr auf ihn an; da kehrte Rudolf in seine Gemächer zurück,öffnete das Fenster und rief mit erhobener Hand: »Duundankbares Prag! durch mich bist du erhöht worden, und nunstößt du deinen Wohltäter von dir. Die Rache Gottes soll dichverfolgen und der Fluch über dich und ganz Böhmenlandkommen.«

Die Kurfürsten von Mainz und Sachsen verwandten sich für denKaiser, indem sie betonten, daß er doch auch noch ein Mitglieddes kurfürstlichen Kollegiums sei. Darauf entgegneten dieStände Böhmens höhnisch den Abgesandten: »Wir wollen euchden römischen Kaiser samt dem Kurfürsten von Böhmenzugleich in einem Sack zuschicken.«

In dieser Bedrängnis war es, wo Mathias seinem Bruder auch dieböhmische Krone raubte. Erbittert darüber, daß die Böhmen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 130

Page 131: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Mathias gehuldigt hatten, schleuderte Rudolf, als er dieAbdankungsurkunde unterzeichnet hatte, im Zorn seinen Hut aufdie Erde, zerbiß die Feder und warf sie dann auf das Diplom, aufdem man noch heutigentags den Tintenfleck sieht. Ungeachtetseiner hoffnungslosen Lage glaubte der wunderliche Mann durchdie Stiftung eines Ordens von Friedensrittern alles wieder insGeleise bringen zu können, und Tag und Nacht arbeitete er anden Ordensketten.

Von seinen sämtlichen Kronen besaß er jetzt nur noch dierömische Kaiserkrone. Aber schon lange verachteten ihn auchdie deutschen Fürsten und schickten endlich eine Gesandtschaft,um ihn zu nötigen, zur Wahl eines anderen Kaisers seineZustimmung zu geben. Er empfing die Gesandten unter einemThronhimmel stehend; die linke Hand hatte er auf einen Tischgestützt. Als sie ihr Verlangen vorbrachten, wurde ihm der Kopfheiß, seine Knie zitterten, und er mußte sich auf einen Sesselniederlassen. Später sagte er zum Herzog von Braunschweig,seinem vertrautesten Freund: »Die mir in meinem Ungemachkeine Hilfe geleistet und zu meinem Dienst nicht einmal ein Roßhaben satteln lassen, haben mir jetzt eine Art von Leichenpredigtgehalten. Ohne Zweifel sind sie mit unserm Herrgott ingeheimem Rat gesessen und wissen vielleicht von daher, daß ichnoch in diesem Jahr sterben werde, weil sie gar so stark auf einenNachfolger im römischen Reich dringen.«

Erniedrigung, Verlust der Würden und alle damit verbundenenLeiden hatte Rudolf ertragen; der Tod seines schönen treuen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 131

Page 132: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

alten Löwen und zweier Adler, die er täglich mit eigener Handgefüttert hatte, brach ihm das Herz.

Sein Leichnam wurde in eine mit rotem Damast ausgeschlageneBahre gelegt, über der sich ein gläserner Deckel befand; auf derBrust trug er ein Kreuz, an der linken Seite die Wehr und an derrechten das goldene Vlies. Rudolfs Minister wurden verhaftetund zur Folter verurteilt; sein Schatzmeister Roszky, den er vorandern geliebt, erhängte sich im Gefängnis mit der Schnur, anwelcher er den Kammerschlüssel getragen. Man ließ daherseinen Leib vom Nachrichter vierteilen und auf dem WeißenBerg bestatten. Allein es hieß, daß er sich an derselben Stelleoftmals auf einem Bock oder Hirsch reitend zeigte, und so wurdeder Körper wieder ausgegraben, wurde verbrannt und die Aschein die Moldau geworfen. Als dies geschehen war, verschwandplötzlich der Schloßhauptmann, und es entstand der Verdacht,daß er den Roszky im Gefängnis ermordet, ihn aufgehängt undihm das #aurum purificatum,# das er aus des Kaisers Schatzzurückbehalten, geraubt habe.

Der Kaiser Rudolf hinterließ von seinen vielen Geliebtenwahrscheinlich viele Kinder, von denen vier Söhne bekanntgeworden sind, die sein wildes Blut erbten. Don Carlos d'Austriadiente dem Kaiser Ferdinand im Dreißigjährigen Krieg, wurdeaber in einer Vorstadt von Wien bei einem Auflauf um eineöffentliche Dirne, in den er sich mutwillig gemischt hatte,unerkannt erschlagen. Zwei andere führten ein anonymes Dasein,der vierte jedoch, Don Cesare d'Austria, hatte an einem

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 132

Page 133: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Edelfräulein Gewalt geübt und sie dann aus dem Weg geräumt.Der Kaiser, sein Vater, ließ ihm in einem warmen Bade dieAdern öffnen.

Hochzeit Fräulein Reginens, Herrin von Tschernembel, mitHerrn Reichard Strein, Freiherrn zu Schwarzenau, am 24.September 1581

Als Herr Reichard Strein mit zweiundzwanzig Kutschen, indenen seine nächsten Befreundeten gesessen, beim GrafenOrtenburg angekommen war, ließ er durch diesen bei Herrn vonTschernembel um die Hand seiner Tochter Regina werben. Umgrößere Unkosten zu verhüten und auf seine ansehnlichenBefreundeten weisend, begehrte Herr Strein, daß nachschleuniger Begleichung des Zeitlichen und geschehener Zusagedie Hochzeit sogleich vorgenommen werde, und obwohl derandere Teil Einwendungen gemacht, wurde dem Begehrenschließlich doch willfahrt. Die Brautleute wurden am selben Tagchristlich zusammengetan, und der Abend ward bei guterTraktation fröhlich verbracht. Am folgenden Morgen wurde dieHochzeitspredigt gehalten; dann fuhr Herr Strein mit HerrnAchaz von Lohsenstein und seiner Schwester, der Frau Jörgerin,nach Freydek, um Ordnung zur Heimführung zu geben.

Am Mittwoch den 27. September wurde zu früher Tageszeit derBrautwagen mit fünfzig Reitpferden nach Karlspach bei Melkbegleitet, dort setzten sich die Herren in die Kutschen, das

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 133

Page 134: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Frauenzimmer auf ihre Wägen und zogen in folgender Ordnungweiter: erstlich die Handrosse, dann die andern Pferde, derenZahl sich ebenfalls auf fünfzig belief; dann die Kutschen mit denDienern; dann die Herren selbst in ihren Kutschen; dann dreiberittene Trompeter; dann drei Berittene von Adel inmeißenischen Sammetröcken und weißen Kranichfedern auf denHüten; dann drei Edelknaben mit weiß und schwarzenFederbüschen auf den überzogenen Sturmhauben; dann diereisigen Knechte mit goldgeschmückten Röcken; dann HerrnStreins Pferd; dann wieder drei Berittene von Adel mit schönenWehrgehängen und zum Beschluß drei junge Freunde des HerrnStrein. Hierauf folgte der Brautwagen; er war mit schwarzemLeder überzogen und mit weißem Atlas ausgefüttert, und dasEisenwerk war versilbert; sechs gefärbte Rosse zogen ihn, anderen Lederzeug schwarzseidene Fransen hingen. Die Kutschender Frauenzimmer waren mit braunem lündischen Tuchbekleidet; es waren etwa dreißig Kobelwägen. Herr Streinempfing seine Gäste in Freydek mit ordentlichem Schießen undanderen Ehrenbezeugungen um zwölf Uhr Mittag.

Als nun die Herren und Frauen in ihre Zimmer gegangen undsich abgetan, ist die Mahlzeit mittlerweile bereit und die Speisenaufgetragen worden. Ein Saal war zum Tanzen zugerichtet und ineiner gleichgroßen Stube standen sieben gedeckte Tafeln. DieMahlzeit ist so vertraulich und lieblich abgegangen, daß manweder Fluchen noch unziemliche Reden gehört. Es ist keinübermäßiger Trunk geschehen, fröhlich ist jedermann gewesenund hat sich den Wein wohlschmecken lassen. Als nun das Obst-

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 134

Page 135: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

und Beschauessen zum Teil aufgetragen war und die Herrentafelaufgehoben werden sollte, fingen unversehens die Stühle an zusinken; zudem brach der Boden acht Klafter in der Länge undfünf in der Breite auseinander, und es entstand ein großesGetümmel. Die Restbäume waren gebrochen und dieZiegelpflaster des Bodens, die Tische, Stühle, Bänke, Schrägen,Messer, Teller und alles, was am Herrentisch gesessen, samtetlichen aufwartenden Personen stürzte dreiundeinhalb Klafter indie Tiefe.

Die Hochzeitsgäste meinten nichts weniger, als das JüngsteGericht und die Auferstehung der Toten sei gekommen. Der vomSchutt aufwirbelnde Staub war so groß, daß ihn die Leute im Hoffür Flammenrauch hielten. »Ist durch sonderliche Fügung undBarmherzigkeit Gottes,« so lautet der Bericht, »niemand amLeben verkürzt worden, außer einem, Kleinschopf genannt,Herrn Gabriel Streinz' Diener, der ist im Saal gewesen und hatdas Krachen gehört, und ist herausgegangen und etlichen andernsolches gesagt und mit dem Vermelden wieder hineingegangen,er wolle sehen, wo es brechen will. Indem hat ihn der Fallergriffen und erschlagen.« Einer vom Adel ist im Saal auf derBank gelegen und hat geschlafen; dem ist nichts geschehen, istauch nicht eher erwacht, als bis Herrn Wolf Ehrenreich Streinz'Lakai auf ihn gefallen, den er deshalb, unvermerkt woher erkäme, hat schlagen wollen. Herr Adam von Puchheim ist ohneSchaden auf die Füße heruntergefallen, ist alsbald den andern zuHilfe gelaufen und hat zum ersten die Frau Braut Reginamhervorgezogen, welche außer einem schlechten Riß am Knie

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 135

Page 136: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

keinen Schaden empfangen. Ihr Gemahl ist an Kopf und Arm einwenig gestreift worden, zwei Bäume sind überzwerch auf ihmgelegen, Kalk ist ihm in die Augen gekommen, und er hat nichtssehen können.

Die Liste der bei dieser Hochzeit gestürzten Personen der Herren,Frauen, Fräulein und Bedienten gibt die Zahl achtundzwanzig.

Friedrich Wilhelm I. von Preußen

Friedrich Wilhelm wurde am 14. August 1688 als einziger SohnFriedrichs des Ersten und der geistreichen, philosophischbegabten Charlotte von Hannover geboren, nur wenige Monatenach dem Tode seines Großvaters, des Großen Kurfürsten. Schonals Kind hatte er einen robusten Körperbau, ein äußerstwiderspenstiges Naturell und zeigte zum Lernen keine Lust. Dermuntere, fast unbändige Knabe war der Abgott seiner Mutter undseiner Großmutter. Die Kurfürstin Sophie ließ den geliebtenEnkelsohn bereits in seinem fünften Jahre zu sich nach Hannoverkommen, aber es war nicht möglich, ihn dort lange zu behalten,denn er vertrug sich ganz und gar nicht mit seinemSpielkameraden, dem Prinzen Georg, der später König vonEngland wurde. Die Abneigung zwischen den beiden blieb einedauernde; sie haßten einander bis zur Todesstunde, und Friedrichnannte Georg nicht anders als: mein Bruder, der Tanzmeister,während Georg seinerseits: mein Bruder, der Sergeant, sagte.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 136

Page 137: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Die Personen, die mit dem Prinzen zu tun bekamen, hatten einenschlimmen Stand mit ihm. Zwei Guvernanten mußten ihnbeaufsichtigen, und oft brachte er durch seine tollen Streiche diebeiden Frauen zur Verzweiflung. Frühzeitig legte er einenWiderwillen gegen allen Pomp und Luxus an den Tag, und erwarf einmal ein Schlafröckchen von Goldstoff, welchesanzuziehen man ihn nötigen wollte, ins Kaminfeuer. Dagegenbestrich er sich das Gesicht mit Fett und ließ sich in der Sonnebraten, um eine recht braune Soldatenfarbe zu bekommen.

Wie von dem großen Leibniz bestätigt wird, galt FriedrichWilhelm als Knabe für sehr witzig. Auf einem Jahrmarkt inCharlottenburg spielte der zwölfjährige Prinz den Taschenspielerzum allgemeinen Ergötzen. Die Herzogin von Orleans schrieb:»Es ist mir immer bang, wenn ich Kinder so witzig vor demrechten Alter sehe, denn es ist mir ein Zeichen, daß sie nichtlange leben. Darum ist mir auch bang für den kleinen Kurprinzenvon Brandenburg.« Friedrich Wilhelm blieb aber ungeachtetseines Witzes beim Leben, und zwar bei recht gesundem Leben.Nur mit dem Lernen wollte es gar nicht vorwärts; wie er seinemprunkliebenden Vater eine entschiedene Abneigung gegen Prunkzeigte, so trotzig verhielt er sich gegen alle Versuche seinerMutter, die einen gelehrten Mann, #une belle âme,# aus ihmmachen wollte. In seinem siebenten Jahre war ihm der GrafAlexander Dohna als Erzieher gegeben worden, ein ehrenfester,gravitätischer, stolzer Mann. Seine Instruktion besagte, daß eralle Mühe aufzuwenden habe, um dem Prinzen das Lateinischebeizubringen, »da solches nicht allein die goldene Bulle

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 137

Page 138: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

erfordere, sondern auch die nötigen Verhandlungen mit denbenachbarten Puissancen.« Aber trotz aller Einreden Dohnaslernte die Königliche Hoheit gar wenig, obwohl ihr ein ganzaußerordentliches Gedächtnis anerschaffen war. Noch schlimmerging es mit den Künsten, er wollte weder das Klavier noch dieFlöte spielen, die Musik war ihm geradezu unleidlich.

In schärfstem Gegensatz zu der Vorliebe seiner Eltern für dasFranzösische trat alsbald sein ausgeprägtes Deutschtum hervor.Hierin bestärkte ihn sein erster Lehrer, der Ephorus FriedrichCramer. Cramer war ein kenntnisreicher und gebildeter Mann,der einst die Schrift des Abbé Bouhours: Kann ein DeutscherGeist haben? mit einer grimmigen Gegenschrift beantwortethatte. Cramers Einwirkung blieb fest in der Seele FriedrichWilhelms, die, wie rasch sie sich auch nach Sympathien undAntipathien entschied, daran für immer und aufs zähestefesthielt. Der Nachfolger Cramers war ein Franzose namensRebeur, ein Emigrant, den Graf Dohna aus der Schweiz hattekommen lassen. Aber dieser Rebeur war ein trauriger Pedant; erplagte den Prinzen fortwährend damit, daß er ihn lateinische,französische und deutsche Aufsätze über das Alte Testamentmachen ließ, und die Folge war, daß Friedrich Wilhelm fortaneinen unbezwinglichen Haß gegen das Alte Testament hegte;sein ganzes Leben lang konnte es bei ihm nicht wieder zu Ehrengebracht werden, ein so guter Christ er auch war.

Seine Mutter verzog ihn gänzlich, und eigentlich hat er ihr dasspäter nie verziehen. Gerade aus dem Verhältnis zur Mutter

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 138

Page 139: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

entwickelte sich in ihm die Forderung eines unbedingten blindenGehorsams, »sonder Räsonieren«, seine unphilosophische starreRechtgläubigkeit nach eigenem Rezept und eigener Vorschriftund die harte Behandlung, die er seinem Sohn Friedrichangedeihen ließ.

Er nährte im stillen nur zwei Leidenschaften: dieSoldatenliebhaberei und die Ökonomie in den Finanzen. Schonals Knabe errichtete er von seinem Taschengeld eine Kompanieadeliger Kadetten. Eine zweite Kompanie befehligte sein Vetter,der Herzog von Kurland, mit dem er sich auch sehr übel vertrug,die Mutter kam einmal dazu, wie er ihn wütend bei den Haarenherumschleppte. Seine Sparsamkeit zeigte sich frühzeitig; er waracht Jahre alt, als er sich ein Ausgabenbuch anlegte, das den Titelführte: Rechnung über meine Dukaten. Seine Mutter ängstigtesich, daß der Geiz ihn verhärten werde, und nicht wenigerbekümmerte sie seine immer mehr zutage tretende Unhöflichkeitgegen die Frauen, die freilich in einer unbesiegbarenBefangenheit und Schüchternheit begründet war und auch in demUmstand, daß die erste zarte Neigung seines Herzens, die zurPrinzessin Karoline von Ansbach, nicht erwidert wurde. Karolineheiratete später den englischen Georg.

In seinem sechzehnten Jahr erhielt der Prinz die Erlaubnis zueiner Reise nach den Niederlanden und nach England. DerHerzog von Marlborough hatte ihm bereits ein Schiff zurÜberfahrt bestimmt, als er nach Berlin zurückgerufen wurde;seine Mutter war gestorben. Von nun an lebte er mit Vorliebe in

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 139

Page 140: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Wusterhausen, dorthin zog er die Leibkompanie seinesRegiments, die er fleißig exerzieren ließ und die seine höchsteFreude war. Er machte den Feldzug am Rhein unter Marlboroughund Prinz Eugen mit, und im Jahre 1706 vermählte er sich mitder Prinzessin Sophie Dorothea von Hannover, welche dieMutter des großen Friedrich wurde. Sie war eine große schlankeFrau mit blauen Augen und braunem Haar, gebildet und lebhaft,ehrgeizig und stolz.

Als Friedrich Wilhelm nach dem Tode seines Vaters im Jahre1713 zur Regierung gelangte, änderte er den ganzen Hofhaushaltvöllig um. Wer seine Gunst erlangen wollte, mußte Sturmhaubeund Küraß anlegen, alles war Offizier und Soldat, und zweiMänner gewannen alsbald ausschließlich sein Vertrauen, derGeneralmajor von Grumbkow und der Fürst Leopold vonAnhalt-Dessau. Alle wichtigen Geschäfte gingen durchGrumbkows Hände, und da er des Königs täglicherGesellschafter war, wuchs sein Einfluß beständig. Er fügte sichin des Königs Launen, wußte dessen erste Hitze abzulenken undleitete ihn, soweit er sich überhaupt leiten ließ, anscheinendtreuherzig, freimütig und bieder. Grumbkow war ein großerFeinschmecker und konnte ungeheuer viel Wein vertragen, sodaß er den Ehrentitel Biberius erhielt. Für zwölftausend TalerTafelgelder, die ihm ausgezahlt wurden, übernahm er dieBewirtung der fremden Prinzen und Gesandten. Während derKönig und der übrige Hof in der größten Sparsamkeit lebten,führte Grumbkow allein einen glänzenden Haushalt. Der Königspeiste selbst gern und oft bei ihm und pflegte zu sagen: »Wer

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 140

Page 141: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

besser essen will als bei mir, der muß zu Grumbkow gehen.«Grumbkows Verschwendungssucht brachte ihn aber in einehöchst bedenkliche Abhängigkeit von fremden Höfen; er standerst im englischen und später im österreichischen Solde. SeineHauptfeindin war die Königin Sophie, deren Lieblingsplan einerHeirat ihres Sohnes Friedrich mit der englischen PrinzessinAmalia er hintertrieb. Damals beleidigte er die Königin geradezudurch unziemliche Redensarten, und sie verfluchte ihn dafür.Sein Ehrgeiz vermaß sich immer höher, geflissentlich säte erZwietracht zwischen dem König und der Königin, endlicherschöpfte er die Langmut seines Herrn und fiel in Ungnade. Alsder König seinen Tod erfuhr, sagte er: »Nun werden die Leutedoch endlich einsehen, daß der Grumbkow nicht alles macht.Hätte er vierzehn Tage länger gelebt, so hätte ich ihn verhaftenlassen.«

Leopold von Anhalt-Dessau, den der Volksmund und dieGeschichte den Alten Dessauer nennt, war ein Vetter des Königsund seit dem italienischen Feldzug eng mit ihm befreundet.Leopold verstand sich auf die Seele des Soldaten, und wenn erfluchte, war es dem gemeinen Mann wie bei einer Schmeicheleizumute. Er führte die großen Neuerungen in der preußischenArmee ein, die ihr später in den Schlachten Friedrichs desGroßen die taktische Überlegenheit verschafften: den eisernenLadestock und den Gleichschritt der Kolonnen.

Grumbkow und der Fürst von Dessau waren grimmige Feinde.Den ersten Streit zwischen ihnen gab es wegen eines

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 141

Page 142: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

merkwürdigen Projektes, das Leopold dem König kurz nachseinem Regierungsantritt vorschlug. Leopold hatte in seinemFürstentum alle Güter aufgekauft, das Land bestand am Ende nurnoch aus Domänen und war ganz sein Eigentum geworden. Erriet dem König, ein gleiches zu tun, und bewies ihm, daß Dessaujetzt verhältnismäßig doppelt soviel einbringe, als dem Königseine Staaten. Grumbkow widersetzte sich dem Vorschlaglebhaft und malte die schädlichen Folgen aus, wenn der Königseinen Adel vom Güterbesitz vertreibe und sich vom baren Geldentblöße. Dem Fürsten schleuderte er die Anklage entgegen, daßja in seinem Lande nur noch Juden und Bettler zu finden seien.Leopold geriet darüber in solchen Zorn, daß er den Minister aufPistolen forderte, und nur mit Mühe verglich sie der König durchsein Dazwischentreten. Von da an war es unmöglich, beideMänner in leidlichem Einvernehmen zu halten. Zehn Jahre späterkam es wegen des Vorwurfs der englischen Bestechung abermalszu einem Streit und wieder zu einer Herausforderung.Grumbkow lehnte ab. Um sich zu rächen verlangte Grumbkowvom Fürsten das Patengeschenk von fünftausend Talern, das ereinst einer seiner Töchter versprochen hatte, wenn sie sichverheiraten würde. Der Fall war da. Es kam zum Wortwechselund zu Beschimpfungen. Der Fürst schickte Grumbkow einKartell. Grumbkow schützte religiöse Bedenken vor und sagte,die Duelle seien nach göttlichen und menschlichen Gesetzenverboten. Endlich kam es aber doch zum Zusammentreffen, undbeide Teile begaben sich vor das Köpenicker Tor. Sobald derFürst, in weiter Ferne noch, seinen Gegner erblickte, rief er ihmzu, er solle den Degen ziehen. Grumbkow näherte sich mit

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 142

Page 143: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

langsamen Schritten, übergab dem Fürsten seinen Degen undsagte, er bitte Seine Durchlaucht untertänigst, das Vorgefallenezu vergessen und ihm seine Gnade wieder zu schenken. Da warfihm der Fürst einen verachtungsvollen Blick zu, kehrte ihm denRücken, schwang sich auf sein Pferd und ritt wieder gegen dieStadt.

Jetzt trat der König ernstlicher als Vermittler auf; er begehrte,daß Leopold eine Bescheinigung unterschreiben solle, worinGrumbkow das Zeugnis eines Ehrenmanns ausgestellt war;weigere sich der Fürst, so werde er, Friedrich Wilhelm, alleGenerale zu sich kommen lassen und erklären, daß, wer denGrumbkow nicht für einen braven Offizier halte, ein Erzhalunkesei. Es gab weitläufige Verhandlungen, mit Müh und Not war derFürst zu einer Abbitte zu bewegen, und bald darauf verließ er denHof von Berlin. Sein Regiment stand in Halle und in Magdeburg.In Halle kam es zu schweren Händeln zwischen ihm und denStudenten, die beim Rekrutenexerzieren im Frühjahr einlärmendes Publikum bildeten und das linkische Wesen derRekruten verhöhnten.

Das Kabinettsministerium Friedrich Wilhelms blieb in denHänden des seit der Verschaffung der Königswürde bewährtenHeinrich Rüdiger von Ilgen. Der kluge Westfale, den schon dergroße Kurfürst nach seinem Verdienst erkannt, gehörte zu jenenBürgerlichen, welchen die Monarchie ihre Größe verdankt. Ilgenwar ein sehr bedeutender Mann. Er allein hielt demhartgesottenen Mylord Raby stand, der am Berliner Hof den

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 143

Page 144: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Meister spielen wollte, und entfernte ihn endlich, indem er dieGräfin Wartenberg entfernte. In der gefährlichen Periode nachdem Utrechter Frieden, wo der Wind der Politik beständigumsprang, lenkte er das preußische Staatsschiff mit höchsterGeistesgegenwart, ungetrübtem freien Blick und bewußterEnergie. Von Jugend auf an Arbeit gewöhnt, gründlichunterrichtet, dabei welterfahren klug und scharfsinnig, war er einMeister in der Kunst der Verstellung, mit der allein man damalsregieren konnte. Er war immer auf der Hut, er verstand es wieirgendeiner von seinen geschulten Gegnern der alten Kabinette,seine Absichten zu verbergen, sich zweideutig auszudrücken, mitglatten Worten sie hinzuhalten, sie zugleich auf weiten Wegenauszuforschen, durch die stärksten Versicherungen von derrichtigen Fährte abzulenken und unter den heiligstenBeteuerungen doch zu hintergehen, so wie sie ihn hintergehenwollten. Er hatte sich vollkommen in der Gewalt und beherrschtemit stets gleichbleibender kalter Besonnenheit seinTemperament, seine Zunge, sein Gesicht, ja sogar seine Augen.Nichts verriet ihn und er erriet immer. Alle Staatsgeheimnisseverschloß er in sich selbst, arbeitete alles selbst, hatte keineeinzige Kreatur, auch seine Verwandten begünstigte er nicht.Seine Gabe, die Menschen zu erforschen, brachte ihn bei Hofe inden Ruf, daß er die Zukunft vorhersagen könne. Der König,obwohl er ihn nicht liebte, wußte doch, was er an ihm besaß.

Trotz der diplomatischen Kunst seines Ministers war es demKönig doch immer gegenwärtig, daß, um unter den MächtenEuropas Bedeutsamkeit zu erlangen, alles auf Geld und Soldaten

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 144

Page 145: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

ankomme; das übrige fände sich hernach von selbst. SeineStaatswirtschaft unterschied sich durchaus von derjenigen alleranderen Reiche und Kronen; sein Muster war und blieb dasHauswesen eines wohlhabenden Gutsbesitzers. Seine Neigungfür das Soldatenwesen schien ein Spiel, aber hinter diesem Spielverbarg sich ein tiefer, zukunftahnender Ernst. Es gibt eineMitteilung über eine merkwürdige Stelle in Friedrich WilhelmsTestament; sie stammt vom Ritter Zimmermann und lautet: Meinganzes Leben hindurch fand ich mich genötigt, um dem Neid desösterreichischen Hauses zu entgehen, zwei Leidenschaftenauszuhängen, die ich nicht hatte; eine war ungereimter Geiz unddie andere eine ausschweifende Neigung für große Soldaten. Nurwegen dieser so sehr in die Augen fallenden Schwachheitenvergönnte man mir das Einsammeln eines großen Schatzes unddie Errichtung einer starken Armee. Beide sind nun da, und nunbedarf mein Nachfolger weiter keiner Maske.

Sobald er den Thron bestiegen hatte, begannen die Werbungen ineinem vorher nicht dagewesenen Umfang. Im ganzen Landwurde eine förmliche Jagd auf Bürger und Bauern veranstaltet.Scharen junger Leute flüchteten vor dem Korporalstock derWerbewütriche, und es kam vor, daß die Werber in Kircheneindrangen und sich der jungen Männer während desGottesdienstes bemächtigten. Es fehlte dem König gegenübernicht an Klagen und Vorstellungen. Einmal wurde ihm ein Briefin die Hände gespielt, auf dem zu lesen war: Wer einenMenschen stiehlet und verkauft, daß man ihn bei ihm findet, dersoll des Todes sterben. 2. Moses 21, 16. Wenn jemand funden

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 145

Page 146: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

wird, der aus seinen Brüdern eine Seele stiehlet aus den KindernIsrael und versetzt oder verkauft sie, solcher Dieb soll sterben. 5.Moses 24, 7. Aber das waren Zitate aus dem Alten Testament,und das Alte Testament war ja dem König verhaßt; auch konnteder Hofhistoriograph Coßmann aus dem 1. Buch Samuelis,Kapitel 8 klärlich erweisen, daß es göttliches Recht der Königesei, Knechte und Mägde, Söhne und Esel wegzunehmen.Friedrich Wilhelm ereiferte sich sehr, wenn er vernahm, daßfremde Staaten Verbote gegen seine Werbungen erlassen hätten;er hielt es für Unrecht, wenn sie ihm lange Kerle verweigerten,da niemand sie so gut zu schätzen wisse als er.

Die langen Kerle, das war die berühmte Potsdamer Garde,riesengroße Leute, die er in seinen eigenen Staaten ausheben, ausallen Weltgegenden für ansehnlichen Sold und gutes Handgeldsich verschreiben, von befreundeten Fürsten sich schenken oderim Notfall durch seine Werber mit Gewalt entführen ließ. Erschrieb einmal an den Grafen Seckendorf: »Wenn ich kann vonmeinen beiden Vettern in Anspach und Bayreuth vierhundertoder sechshundert Mann als Rekruten kriegen, will ich für jedennackenden Kerl dreißig Taler geben.« Im Lauf von zwanzigJahren schickte er ungefähr zwanzig Millionen Werbetaler in dieFremde. Mit Pässen, die vom König unterzeichnet waren,machten die Werber in allen deutschen und in den benachbartenLändern Jagd auf lange Kerle. Im Jülichschen passierte eseinmal, daß ein Oberstleutnant bei einem sehr langenTischlermeister einen Kasten bestellte, der so lang und so breitsein sollte, wie der Tischler selber war. Als der Oberstleutnant

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 146

Page 147: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

nach einigen Tagen wiederkam, um den Kasten abzuholen,erklärte er, der Kasten sei zu kurz. Der Tischler legte sich sofortselbst hinein, um zu beweisen, daß der Kasten die nötige Längehabe. Geschwind ließ der Oberstleutnant von seinen Leuten denmitgebrachten Deckel zumachen und den Kasten von seinenRekruten davontragen. Als aber der Kasten vor dem Toraufgemacht wurde, war der lange Tischlermeister erstickt. DerOberstleutnant wurde zwar zum Tode verurteilt, der Königbegnadigte ihn aber zu lebenslänglicher Festung. Derösterreichische Hof, der russische und der polnisch-sächsischekamen der Passion des Königs freundlich entgegen. Für hundertrussische Potsdamer, die ihm der Zar Peter, dann die KaiserinnenKatharina und Anna zukommen ließen, gab er ihnen alsGegengeschenk das berühmte Bernsteinkabinett, das sein Vaterangelegt hatte, und später eine bestimmte Zahl ausgebildeterpreußischer Unteroffiziere. Von August dem Starken erwarb ergegen eine Partie Porzellan die dafür so genanntenPorzellanregimenter.

[Illustration: Friedrich Wilhelm I., nach einem Stich von G. P.Busch.]

Der gewöhnliche Preis eines langen Kerls von fünf Fuß zehnZoll rheinländischen Maßes war siebenhundert Taler; einer vonsechs Fuß wurde mit tausend Talern bezahlt, und war er nochlänger, so stieg der Preis noch höher. Einer der teuersten war derIrländer Kirkland; für diesen zahlte der preußische Gesandte inLondon neuntausend Taler. Für einen andern bekam der General

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 147

Page 148: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Schmettau fünftausend Taler und eine Stiftsstelle für seineSchwester. Im Lande selbst ward alles aufgeboten, damit mansich der tauglichen Subjekte rechtzeitig versichern konnte.Kinder in der Wiege, die lang zu werden versprachen, bekameneine rote Halsbinde und ihre Eltern das Handgeld. Es gabDorfschulen, wo alle Knaben solche Binden trugen. Einsonderbarer Versuch des Königs, recht lange Potsdamer mit rechtlangen Frauen zusammenzugeben, um von ihnen wieder rechtlange Kinder zu erhalten und auf solche Art ein Geschlecht vonGiganten aufzuziehen, mißglückte leider.

Das Infanterieregiment der blauen Grenadiere, dasKönigsregiment genannt, war das schönste in ganz Europa. Esbestand aus Leuten von allen Ecken und Enden der Welt,Deutschen, Holländern, Engländern, Schweden, Dänen, Russen,Walachen, Ungarn, Polen und Litauern. Franzosen warengrundsätzlich ausgeschlossen, aber wenn sie sechs Fuß maßen,konnte der König nicht widerstehen. Die »lieben blauen Kinder«waren seine größte Freude. Er ging mit ihnen um wie einKamerad und wie ein Vater; jeder Soldat hatte bei ihm freienZutritt. Die größten hatte er malen lassen, und ihre Bilder hingenin den Gängen des Potsdamer Schlosses. Der Flügelmann Jonasmußte sogar in Stein gehauen werden, und zwar, befahl derKönig, so ähnlich wie möglich. Es war den lieben blauenKindern gestattet, Bier- und Weinhäuser, Material- undItalienerläden zu halten und Gewerbe zu treiben. Einigen bauteder König Häuser, andern schenkte er Geld und Grundstücke,verheiratete sie und hob ihre Kinder aus der Taufe.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 148

Page 149: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Um eine solche durch Zwangswerbung entstandene Armee inOrdnung zu halten, bedurfte es der schärfsten Disziplin. DieTruppen wurden jährlich neu gekleidet, die Infanterie blau, dieKavallerie weiß, die Husaren rot. Alle trugen, wie der Königselbst, den langen Zopf und Puder in den Haaren. Die Monturenwaren so eng, daß die Leute oft nicht wagten, sich zu bewegen,aus Furcht, die Röcke könnten zerreißen. Einmal bemerkte derKönig vom Fenster des Schlosses aus einen Offizier, der einen zulangen Rock an hatte; er ließ ihn sogleich rufen und schnitt ihmeigenhändig mit der Schere das vorschriftswidrige Stück weg.Exerziert wurde unaufhörlich, und es war das größte Glück desKönigs, wenn bei jedem Kommando in der ganzen Linie nur einGriff zu sehen, beim Marschieren nur ein Tritt und beim Feuernder Rotten nur ein Schuß zu hören war. Der Ton im Heer warstreng und rauh, die Strafen waren furchtbar. Wenn ein Soldatdesertierte, mußten Bürger und Bauern die Sturmglocken läuten,und wer den Flüchtling wieder einbrachte, bekam zwölf Taler.Um dem allmählich überhand nehmenden Werbeunfug zusteuern, erließ der König im Jahre 1733 das berühmteKantonreglement, das den Keim und Anfang des allgemeinenWehrpflichtgesetzes darstellt. Alle Einwohner des Landeswurden als für die Waffen geboren erklärt; ausgenommen warennur die kleinen, die Söhne des Adels und die Söhne derjenigenBürger, die einen gewissen Reichtum nachzuweisen vermochten.

Zeit seines Lebens bezeugte Friedrich Wilhelm für Kaiser undReich eine Ehrerbietung und Treue der Gesinnung, die man beieinem so mächtigen Herrn, welcher achtzigtausend Soldaten

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 149

Page 150: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

unter sich stehen hatte, nicht vermuten konnte. Er warb um dieGunst der kaiserlichen Minister, und einmal sagte er: »Ich würdemich begnügen, wenn ich des Kaisers Kammerpräsident wäre.«

Alles was nicht deutsch war, war ihm nicht zu Sinne, undsonderlich waren ihm die Franzosen ein Greuel »mit ihrenQuinten und französischen Winden«. Um den Berlinern diefranzösischen Moden zu verleiden, ließ er seinen Profosenfranzösische Kleider tragen, grüne Röcke mit großmächtigenAufschlägen, gelbe Westen und gelbe Strümpfe, dazu ungeheuergroße Hüte wie Wetterdächer und Haarbeutel wie riesige Säcke.Auf dem Theater ließ er einmal ein Stück aufführen, das denTitel hatte: »Der anfangs hitzig und großsprechende, zuletzt abermit Schlägen abgefertigte Marquis«. Ebenso verhaßt waren demKönig »die hoffärtigen Leute über dem großen Wassergraben«,wie er die Engländer nannte. Als ihn zwei reformierte Predigerum die Erlaubnis baten, ihre Söhne nach England zu denErzbischöfen von Canterbury und York schicken zu dürfen,schlug er es mit der Begründung ab, daß in England keineOrthodoxie in der Religion statuiert werde und es überhaupt einSündenland sei. »Der König,« schreibt Seckendorf 1726 an PrinzEugen, »ist sehr gegen die englische Nation pikiert undsouteniert nicht ohne Grund, daß selbige durch ihre Seemachtdas Comercium von ganz Europa an sich nehmen wolle.« ImJahre 1730 wurden zwischen Deutschland und EnglandVerhandlungen zu einer Doppelheirat gepflogen; der KronprinzFriedrich sollte die Tochter Georgs II. und der Prinz von Walesdie Prinzessin Friederike angetraut bekommen. England forderte

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 150

Page 151: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

nur, daß der König den Minister Grumbkow als einen Verräterim Dienst und Solde Österreichs entferne, und der GesandteHotham erbot sich, diese Anklage aus aufgefangenen BriefenGrumbkows zu beweisen. Der Graf Seckendorf stellte aber demKönig vor, daß England den treuen Minister nur deshalbentfernen wolle, um mehr Einfluß am preußischen Hof zugewinnen; die aufgefangenen Briefschaften seien unterschobenund künstlich fabriziert. Als nun Hotham zur Audienz kam unddie Zuversicht aussprach, daß der König den Verräter sofortentlassen werde, geriet Friedrich Wilhelm in solchen Zorn, daßer dem Gesandten Großbritanniens die Dokumente ins Gesichtwarf und sogar den Fuß aufhob, als wollte er ihn mit einem Trittbedienen. Der Gesandte machte Anstalten zu seiner Abreise,Friedrich Wilhelm erkannte seine Übereilung und ließ sichzweimal entschuldigen, aber kurz darauf wollte er seineGemahlin, die englische Prinzessin, bei der Tafel nötigen, aufEnglands Untergang zu trinken.

Mit Holland und Sachsen-Polen stand der König gut, aber seinegrößte Sympathie hatten doch die Russen. Er war sehr für dierussische Allianz, und der Gedanke des nordischenDrei-Adlerbündnisses schwebte ihm immer vor der Seele. Dergroße Kurfürst war anderer Meinung gewesen und hatte tiefergesehen, wie sein Wort beweist: Die Russen sind Bären, die mannicht loslassen muß, weil es schwer ist, sie wieder anzubinden.

Die Königin Sophie Dorothea verübelte es ihrem Gemahl sehr,daß er sich allerwegen für das Interesse des Kaisers einsetzte.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 151

Page 152: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Einmal sagte sie bei Tisch vor seinen Vertrauten und Offizierenzu ihm: »Ich will noch erleben, daß ich Euch Ungläubige willgläubig machen und dartun, wie Ihr seid betrogen worden.« Aberder König ließ sich nicht irre machen. Einst schrieb er anSeckendorf: »Meine Feinde mögen tun was sie wollen, so geheich nit ab vom Kaiser, oder der Kaiser muß mich mit Füßenwegstoßen, sonsten ich mit Treu und Blut sein bin und bis inmein Grab verbleibe.« Er war auch der Ansicht, die deutschenFürsten müßten geradezu gezwungen werden, die pragmatischeSanktion anzuerkennen. »Weigern sie sich, oder wollen sie sichnit explizieren,« schrieb er, »so muß man die Laus und Mottennit im Pelz lassen wuchern, daß der ganze Pelz nit verdorbensei.« Im Jahre 1729 schon drohte der Krieg, und da schrieb derKönig an Seckendorf: »Ich wünsche, daß es losgehe und kannversichern, daß ich mit Gut und Blut beistehen werde, aber esmuß alles reichskonstitutionsmäßig sein, und die Auswärtigenmüssen attackieren, dann ohne Räsonieren drup! drup! Mit diegrößte Pläsier von der Welt, die stolzen Leute zur Räson bringenzu helfen, sie sollen sehen, daß das deutsche Blut nit verwüstetist.« Aber als es fünf Jahre später zum Krieg zwischenFrankreich und Österreich kam, wollte er seine Truppen dochnicht marschieren lassen und sagte: »Ich gebe keinen Mann undkein Geld. Ich muß wissen woher und wohin.« Dann ließ er aberdoch zehntausend Blauröcke ins Feld rücken. Der KardinalFleury schickte ihm eine künstlich gearbeitete goldene Birne, inwelcher ein Wechsel auf fünf Millionen Pistolen lag, zahlbar,wenn der König sich für Frankreich erklären würde. Er wies dasAnerbieten zurück. In der Folge wurde er aber vom Kaiser mit

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 152

Page 153: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Undank belohnt, und als es zum Frieden kam, wurde PreußensStimme nicht einmal gehört. Ein halbes Jahr später sagte er beieiner Unterredung in Potsdam, indem er auf seinen so langemißhandelten Sohn Friedrich wies, die berühmten Worte: »Dasteht einer, der mich rächen wird.« Noch zwei Jahre früherfreilich hatte er dieses Genie so über die Achsel angesehen, daßer sich geäußert hatte: »Fritzchen #ne sait rien du tout desaffaires.# Wenn du es nicht recht anfangen wirst und allesdrunter und drüber gehen wird, so werde ich in meinem Grabeüber dich lachen.«

Als der Kronprinz Friedrich sechs Jahre alt war, erhielt er zweimilitärische Gouverneure von seinem Vater, und diesen wardeingeschärft, ihn in der Furcht Gottes zu erziehen, denn dies seidas einzige Mittel, so schreibt der König selbst in seinerInstruktion, die von menschlichen Gesetzen und Strafen befreitesuveräne Macht in den Schranken der Gebühr zu erhalten. Manmüsse ihn zum Guten antreiben und die Begierde zum Ruhm undzur Bravur in ihm erwecken, von Opern, Komödien und andernweltlichen Eitelkeiten abhalten und ihm so viel als möglich Ekeldavor machen. Aber alles was zu lernen sei, solle ihm ohne Ekelund Verdruß beigebracht werden. »Sie müssen ihn nicht bei Leibund Leben verzärteln oder gar zu weichlich gewöhnen. Vor derFaulheit, als woraus Verschwendung entsteht, soll ihm derallergrößte Abscheu von der Welt gemacht werden. Er soll nieallein gelassen werden, weder bei Tag noch bei Nacht, einer derGouverneure soll jederzeit bei ihm schlafen. Da sich beiherannahenden Jahren oftmals das Laster der Hurerei

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 153

Page 154: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

einzuschleichen pflegt, soll sowohl der Oberhofmeister als auchder Subgouverneur vor allen Dingen achthaben, daß solchesverhütet werde, widrigenfalls sie mir mit ihren Köpfen davorhaften sollen.« Und in einem späteren Reglement heißt es: »AmSonntag morgen soll er um sieben Uhr aufstehen; und sobald erdie Pantoffel an hat, soll er vor dem Bette auf die Knieniederfallen und zu Gott kurz beten, und zwar laut, daß alle, dieim Zimmer sind, es hören können. Dann soll er sich hurtiganziehen und proper waschen, schwänzen und pudern; dann soller frühstücken in sieben Minuten Zeit. Dann sollen alle seineDomestiken und Duhan hereinkommen, das große Gebetgehalten, auf die Knie, darauf Duhan ein Kapitel aus der Bibellesen soll und ein oder ander gutes Lied singen soll, da esdreiviertel auf acht sein wird. Alsdann wieder alle Domestikenherausgehen sollen. Duhan soll alsdann mit Meinem Sohn dasEvangelium vom Sonntag lesen, kurz explizieren und dabeiallegieren, was zum wahren Christentum nötig ist, auch etwasvon #Katechismo noltenii# repetieren, und soll dies geschehenbis neun Uhr; alsdann mit Meinem Sohn zu Mir herunterkommen soll und mit Mir in die Kirche gehen und essen; derRest des Tages ist vor Ihn. Des Abends soll er um halb zehn Uhrvon Mir guten Abend sagen, dann gleich nach der Kammergehen, sich sehr geschwind ausziehen, die Hände waschen, dannsoll Duhan ein Gebet auf den Knien halten, ein Lied singen,dabei wieder alle Seine Domestiken zugegen sein sollen, alsdannMein Sohn gleich zu Bette gehen soll.« So war auch für dieWochentage die Stundeneinteilung aufs genaueste geregelt. DasBudget des Prinzen ward ungemein kärglich bemessen, und der

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 154

Page 155: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

König prüfte alle Rechnungen selbst.

Friedrich sollte nach dem Willen seines Vaters vor allem einguter Soldat werden; aber sein feiner, rascher und feuriger Geistwar durch das pedantische Leben, das er führen mußte, dasunablässige Exerzieren, das Absperren von Musik und Büchern,zu denen ihn seine innerste Herzensneigung zog und die ihm derVater beharrlich verwehrte, aufs tiefste bedrückt. Er lehnte sichauf gegen die Tyrannei, gab sich Ausschweifungen hin und warfsich mit aller Glut einer jugendlichen und unbefriedigten Seeleder französischen Philosophie in die Arme. Der König, dem dieÄnderung im Wesen des Sohnes nicht entgehen konnte,behandelte ihn nur um so strenger. Die Königin hatte Friedrichheimlich Unterricht im Flötenspiel geben lassen; er hatte oft inversteckten Gewölben Konzerte veranstaltet oder seinemusikalischen Freunde in den Wald bestellt; während sein VaterSchweine hetzte, wurden die Flöten und Geigen aus denJagdtaschen gezogen und im Waldesdunkel konzertiert. DerKönig kannte diese Neigung und nannte seinen Sohn verächtlichden Querpfeifer und Poeten. Auf Friedrichs Bitten hatte dieKönigin den berühmten Flötenspieler Quanz nach Berlinkommen lassen; der König hatte Nachricht davon erhalten undden Prinzen überrascht; Quanz konnte zwar noch glücklich ineinem Kamin versteckt werden, er erzählte später, daß ihm nieeine Pause so schwer zu halten gewesen sei, aber der König hatteim Zimmer des Prinzen brokatne Schlafröcke und französischeGedichtbücher gefunden. Die Schlafröcke ließ er verbrennen, dieBücher verkaufen. Wütend darüber, daß sein Sohn den

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 155

Page 156: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Petitmaitre machte, schickte der König eines Morgens denHofbarbier Sternemann zu Friedrich mit dem Befehl, ihm dieschönen, langen, braunen Seitenlocken abzuschneiden und ihnvorschriftsmäßig einzuschwänzen. Als der gutmütige Mann denPrinzen weinen sah, legte er die Schere weg und band die Lockenin den Zopf mit ein. Als Friedrich sich bei seiner Tafel statt derzweizinkigen Eisengabeln gegen den Befehl dreizinkige silberneanschaffen ließ, ward er geschlagen. Auch bei anderenGelegenheiten wurde er von seinem Vater mißhandelt, und seineLage erschien ihm plötzlich so unerträglich, daß er den Planfaßte, zu entfliehen. Aber der unvorsichtige Katte, der überall inBerlin mit der Freundschaft des Kronprinzen prahlte, hattegeschwatzt, und der König, den sein Sohn auf einer Rheinreisebegleitete, ließ ihn in Wesel verhaften und fragte ihn, warum erhabe desertieren wollen. »Weil Sie mich nicht wie Ihren Sohn,sondern wie einen niederträchtigen Sklaven behandelt haben,«antwortete Friedrich. »Ihr seid also nichts weiter als ein feigerDesertör ohne Ehre?« sagte der König. »Ich habe so viel Ehrewie Sie,« antwortete Friedrich, »und habe nur das getan, was Siemir hundertmal gesagt haben, Sie würden es an meiner Stelletun.« Der König zog den Degen und wollte in der Hitze den Sohnerstechen. Der Mut des Kommandanten von Wesel retteteFriedrich; er warf sich zwischen Vater und Sohn und rief demKönig zu: »Sire, durchbohren Sie mich, aber schonen Sie IhresSohnes!«

Der neunzehnjährige Prinz ward aus der preußischen Armeegestoßen und auf die Festung Küstrin gebracht. Sein Gefängnis

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 156

Page 157: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

war sehr hart. Die Tür war mit zwei großen Vorlegeschlössernversperrt, sein Essen, aus der Garküche mittags für sechsGroschen und abends für vier Groschen, mußte ihm vorherentzweigeschnitten werden, Messer und Gabel waren verboten,ebenso Tinte und Feder, Bücher und Flöte. Niemand durfte sichlänger als vier Minuten bei ihm aufhalten, und um acht Uhrabends hatte der wachthabende Offizier den Befehl, die Kerzenauszulöschen. Einmal erinnerte er den Prinzen daran, zu Bett zugehen, und als dieser nicht darauf achtete, blies er die Lichteraus. Friedrich gab ihm eine Ohrfeige. Am andern Morgenerschoß sich der Offizier. Die beabsichtigte Desertion allein hättenicht des Königs Zorn so erregen können, wie es der Fall war.Man hatte ihm hinterbracht, und hier hatte wahrscheinlichGrumbkow seine Hand im Spiele gehabt, daß Friedrich nachÖsterreich fliehen gewollt, um katholisch zu werden und sich mitMaria Theresia zu verheiraten. Katholisch werden, das war fürden König der Schrecken und das Grauen. Grumbkow, der sichüberzeugt hatte, daß die Königin und die Prinzessin Friederikedie wichtigsten Papiere beiseite gebracht hatten, drängte denPrinzen zu Aussagen über einige Punkte. Friedrich antwortetemit stolzer Verachtung. Da hatte Grumbkow die Stirn, mit derFolter zu drohen. Friedrich erwiderte, ein Henker könne nur mitVergnügen von seinem Henkerhandwerk reden, und er wolle sichnicht zu weiteren Geständnissen erniedrigen. Die Untersuchungergab, daß er zur Flucht fünfzehntausend Taler geborgt hatte,auch wurde ihm ein Liebesverständnis mit der schönenPotsdamer Kantorstochter Doris Ritter zur Last gelegt. DerKönig befahl, das Mädchen auszupeitschen und nach Spandau

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 157

Page 158: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

ins Spinnhaus bringen zu lassen; der Vater verlor sein Amt. Dasfurchtbarste Schicksal aber hatte Katte. Er hatte mit der Fluchtgezögert, weil ein Mädchen ihn hielt, war arretiert und vomKriegsgericht zur Ausstoßung aus der Armee und zulebenslänglicher Festung verurteilt worden. Der Königverschärfte das Urteil auf die Todesstrafe. Am sechstenNovember früh sieben Uhr wurde der zweiundzwanzigjährigeMensch am Schlosse vorbei und auf den Wall geführt. Friedrichöffnete das Fenster und rief mit lauter Stimme: »Verzeih mir,lieber Katte.« Katte erwiderte: »Der Tod für einen solchenPrinzen ist süß.« Damit ging er mutig zum Richtplatz, wo seinKopf fiel. Friedrich wurde ohnmächtig und blieb dann bis zumAbend regungslos am Fenster stehen, den Blick unverwandt aufdie Richtstätte gerichtet. Wahrscheinlich begann mit diesem Tagseine völlige Umkehr und Verwandlung, zum Heil seines Volkesund der Welt. So ist, was grausam und dem einzelnen schwer zutragen scheint, in einem höheren Sinne Notwendigkeit.

Der Areopag, vor welchem am Berliner Hofe dieAngelegenheiten der innern und äußern Politik verhandeltwurden, war das Tabakskollegium. Die Tabaksstube war aufholländische Art wie eine Prachtküche mit einem hohen Gestellvon blauen Tellern eingerichtet; jeden Abend gegen sechs Uhrkam das Tabakskollegium zusammen und blieb bis zehn Uhr undauch länger. Es gehörten dem Kollegium an: Grumbkow, derAlte Dessauer, der Graf Dönhoff, der Oberst von Derschau, dieGenerale von Gerstorf und von Sydow, Jean de Forcade, derKommandant von Berlin, Peter von Blankensee, bei Hofe der

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 158

Page 159: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Blitzpeter genannt, Kaspar Otto von Glasenapp, Christoph Adamvon Flanz, der beste Rebhuhnschütze, Dubislav Gundomar vonNatzmer, Heinrich Karl von der Marwitz, Friedrich Wilhelm vonRochow, Wilhelm Dietrich von Buddenbrock, Arnold Christophvon Waldow, Johann Christoph Friedrich von Haake und die vonFall zu Fall gebetenen Minister und Gesandten.

Um den Haupttisch saßen die Herren mit ihren breitenOrdensbändern und rauchten aus langen holländischen Pfeifen;vor jedem von ihnen stand ein weißer Krug mit Ducksteiner Bierund ein Glas. Die nicht wirklich rauchen konnten, wie der AlteDessauer und der Graf Seckendorf, mußten wenigstens einePfeife in den Mund nehmen und kalt rauchen; Seckendorf warsogar so gefällig, sich durch fortwährendes Blasen mit denLippen den Anschein eines geübten Rauchers zu geben. Esergötzte den König höchlich, wenn fremde Prinzen, die als Gästeanwesend waren, betrunken gemacht werden konnten oder wennihnen das ungewohnte Tabakskraut Sterbensübelkeit verursachte.Er selbst rauchte passioniert, jeden Abend dreißig Pfeifen. Aufdem Tische lagen die Zeitungen, die Berliner, die Hamburger,die Leipziger, die Frankfurter, die Breslauer, die Wiener, auchholländische und französische. Ein Vorleser war bestellt, der sievorlesen, und, was unverständlich war, erklären mußte. DieserVorleser hieß Jakob Paul Freiherr von Gundling.

Gundling war ein Franke, ein Pfarrerssohn aus Hersbruck beiNürnberg. Er war durch Danckelmann nach Berlin gekommenund Professor an der Ritterakademie gewesen, der König erhob

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 159

Page 160: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

ihn auf Grumbkows Empfehlung zum Hofrat undZeitungsreferenten beim Tabakskollegium; er erhielt freie Tafelbei Hof, Wohnung im Schlosse und mußte den König auf allenseinen Gängen begleiten, um ihm mit seiner Gelahrtheit undinstruktiven Unterhaltung nahe zu sein. Er galt als ein wichtigerMann, und der russische wie der kaiserliche Hof verschmähten esnicht, ihn durch Gnadenketten zu gewinnen. Um dieGelehrsamkeit, die er wirklich besaß, recht lächerlich zu machen,mußte er beim König den Hofnarren abgeben. Der König erhobihn zu einer bereits abgeschafften Würde, der desOberzeremonienmeisters, und schenkte ihm den Anzug desverabschiedeten Besser, den dieser beim Krönungsfest getragenhatte; es war ein roter, mit schwarzem Samt ausgeschlagenerLeibrock mit großen französischen Aufschlägen und goldenenKnopflöchern, dazu eine große Staatsperücke mit langen Lockenaus weißen Ziegenhaaren, ein großer Hut mit weißenStraußfedern, gelbe Beinkleider, seidene Strümpfe mit goldenenZwickeln und Schuhe mit roten Absätzen. Der König machte ihn,und zwar an Stelle des großen Leibniz, zum Präsidenten derAkademie der Wissenschaften. Er gab ihm den Freiherrntitel unddie Kammerherrnwürde.

In der Trunkenheit schnitt man ihm einst denKammerherrnschlüssel ab. Der König drohte, ihn wie einenSoldaten zu behandeln, der sein Gewehr verloren hat. NachdemGundling acht Tage hindurch einen ellenlangen hölzernenSchlüssel zur Strafe auf der Brust hatte tragen müssen, ward ihmder verlorene wieder eingehändigt, und er ließ ihn nun von einem

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 160

Page 161: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Schlosser mit starkem Draht an seinem Rockschoß befestigen.Alle Würden und Chargen, auch die des geheimenOberappellationsrats, des Kriegs- und Hofkammerrats, des Hof-und Kammergerichtsrats, des Freiherrn und Historiographenerhielt Gundling nur, um ihn und die Ämter damit zu verspotten.Einmal machte Gundling den Vorschlag, Maulbeerbäume in derpreußischen Monarchie anzupflanzen; da ernannte ihn der Königzum geheimen Finanzrat mit der Weisung an den vorsitzendenEtatsminister, »man solle Gundling feierlich in das Kollegiumintroduzieren, ihn #cum voto sessionis# anstellen und ihm dasDepartement aller seidenen Würmer im ganzen Landübertragen«.

Dem armen Gundling ward oftmals so stark zugesetzt, daß erseiner nicht mächtig blieb. Man heftete ihm allerlei Figuren vonEseln, Kamelen und Ochsen an sein Staatskleid und malte ihmeinen Schnurrbart. Man ließ ihn aus den Zeitungen dieboshaftesten Artikel über seine eigene Person vorlesen, die derKönig eigens an die Redaktionen hatte schicken lassen. Mansetzte einen Affen, der genau wie Gundling gekleidet und mitdem Kammerherrnschlüssel geschmückt war, an seine Seite; derKönig behauptete, der Affe sei Gundlings natürlicher Sohn, under wurde gezwungen, das Tier vor dem ganzen Tabakskollegiumzu umarmen. In Wusterhausen, wo auf dem Schloßplatz immermehrere junge Bären herumliefen, legte man ihm einige Bären insein Bett, die Vorderfüße der Bestien waren zwar verstümmelt,dennoch hätten sie ihn mit ihren Umarmungen beinahetotgedrückt, und er bekam den Bluthusten. Einmal im Winter

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 161

Page 162: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

taumelte er betrunken über die Wusterhausener Schloßbrücke; dapackten ihn auf Befehl des Königs vier handfeste Grenadiere,und an Stricken ließen sie den schweren Mann solange in dengefrorenen Schloßgraben hinunter und wieder hinauf und wiederhinunter, bis er das Eis durchgestoßen hatte. Diese Szene mußtezur besonderen Ergötzlichkeit des Königs wiederholt und sogargemalt werden. Einmal war Gundling zu Gaste geladen und ließsich in einer Sänfte tragen. Plötzlich wich der Boden der Sänfteunter ihm, er schrie den Trägern zu, sie möchten halten, aber jelauter er rief, je schneller rannten die Träger und zwangen ihn so,nach Art des Pachter Feldkümmel mit ihnen zu laufen. Häufigfand Gundling, wenn er nachts nach Hause kam, seinStudierzimmer zugemauert; anstatt sich zur Ruhe legen zukönnen mußte er stundenlang die Türe suchen und endlich an derTreppe schlafen.

Eines Tages entfloh der schwergeplagte Mann zu seinem Bruder,dem Professor Nikolaus Hieronymus in Halle. Der König ließihn aber wieder holen und machte Miene, ihn als Desertör zubestrafen. Da er aber eine ungewöhnliche Stille an ihm bemerkte,nahm er zu dem alten Köder der Eitelkeit seine Zuflucht: ererhob ihn in den Freiherrnstand, und zwar mit der Anciennitätvon sechzehn Ahnen väterlicher und mütterlicher Seite. Esdauerte aber nicht lange, und der König ließ wieder einen seinerderbsten Schwänke an ihm verüben. Auf seinen Befehl schriebFaßmann, der Autor der damals beliebten »Gespräche im Reichder Toten« eine bösartige Satire auf Gundling, betitelt: »Dergelehrte Narr«, und erhielt den Auftrag, sie Gundling im

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 162

Page 163: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Tabakskollegium zu überreichen. Gundling wurde hochrot vorZorn und kam so in Harnisch, daß er eine der zumPfeifenanbrennen mit glühendem Torf gefüllten Pfannen ergriffund sie Faßmann ins Gesicht schleuderte, wovon diesem dieBrauen und Wimpern versengt wurden. Sofort setzte sichFaßmann vor den Augen Seiner Majestät in Avantage, entblößteGundling die hinteren Kleider und bearbeitete ihn mit der heißenPfanne dermaßen, daß er vier Wochen lang nicht sitzen konnte.Seitdem begegneten sich die beiden gelehrten Herrn imTabakskollegium niemals, ohne daß es zum Faustkampf kam.Der König, die Generale, die Minister und die Gesandten sahenden Turnieren zu. Schließlich verlangte der König, die beidenHerren sollten ihren Ehrenhandel durch ein Duell zum Austragbringen. Faßmann forderte Gundling auf Pistolen, Gundlingmußte die Forderung annehmen, er mochte wollen oder nicht.Als die Kombattanten auf dem Schloßplatz erschienen, warfGundling die Pistole weg, Faßmann schoß ihm die seinige, dienur mit Pulver geladen war, in die Perücke, welche zu brennenanfing; Gundling fiel vor Schreck auf die Erde, und ein ganzerEimer kalten Wassers, den man über ihn schüttete, konnte ihmnicht die Gewißheit geben, daß er noch lebte.

Achtundfünfzig Jahre alt, beschloß Gundling sein Dasein. Beider Sektion ergab sich, daß er im Magen ein großes Loch hatte;der Magen war vom vielen Trinken geborsten. Seit zehn Jahrenwar vom König ein mächtiges Weinfaß zu seiner letztenRuhestätte bestimmt worden. In seinem besten Staatskleidangetan, ward er in dieses Faß gelegt und so in Bornstädt bei

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 163

Page 164: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Potsdam trotz des Widerspruchs der Geistlichkeit wirklichbegraben. Faßmann hielt dem preußischen Freiherrn mit derAnciennität von sechzehn Ahnen, dem preußischenKammerherrn, Präsidenten, Finanzrat und Historiographen dieNach- und Trauerrede über seine Weinfaß-Ruhestätte.

In Potsdam gab der König im Winter einige Assembleen, inBerlin unterließ er dies aus Sparsamkeitsgründen, da mußten dieGenerale und Minister auf ihre Kosten Assembleen geben, aberbei den Diners, wo Friedrich Wilhelm ein freies Gespräch liebte,verbat er sich die Anwesenheit von Damen. Der Hauptgastgeberwar Grumbkow. Ein wegen seiner Knauserei bekannter General,bei dem sich der König zu Gast geladen hatte, entschuldigte sicheinst, daß er keine eigene Wirtschaft führe. Der König verwiesihn zum Gastwirt Nikolai, erschien dort mit großem Gefolge, undes wurde vortrefflich gegessen und getrunken. Beim Aufstehenrief der General den Wirt herein und fragte ihn, was das Gedeckkoste. »Ohne den Wein einen Gulden die Person,« antwortete derWirt. »Schön,« sagte der General, »hier ist ein Gulden für michund einer für Seine Majestät; die andern Herrn, die ich nichtgebeten habe, bezahlen für sich.« Der König lachte underwiderte, das sei ganz fein; er habe den Herrn zu prellengeglaubt, und nun sei er selber geprellt. Darauf bezahlte er dieganze Rechnung.

Später wurde die Einrichtung der Assembleen einemherumreisenden Komödianten übertragen, einem gewissen Karlvon Eggenberg. Er war ein Sattlersohn aus dem Bernburgischen,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 164

Page 165: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

war vom König von Dänemark geadelt worden und hatteFriedrich Wilhelm durch seine Körperkraft in Erstaunen gesetzt;man hieß ihn nur den starken Mann, und er konnte eine zweiZentner schwere Kanone samt einem Tambur in die Höhe hebenund solange halten, bis der Tambur ein Glas Wein ausgetrunkenhatte. Er kam reich nach Berlin, baute ein Haus, stand beimKönig, dem er die Husarenpferde, dänische Hengste, besorgte, ingroßer Gunst, und er war es auch, der das Theater wiedereinigermaßen emporbrachte. Vordem hatten nur Seiltänzer,Gaukler, Taschenspieler, Marktschreier und Marionettenspielervon Zeit zu Zeit die Erlaubnis erhalten, in Berlin Vorstellungenzu geben, auch einzelne herumziehende Schauspieler, nur durftenichts Ärgerliches und Skandalöses auf der Bühne erscheinen.Eggenberg bekam nun den Titel eines KöniglichenHofkomödianten und durfte mit einer vom König besoldetenTruppe Aufführungen veranstalten, »nur keine gottlosen unddem Christentum nachteilige Dinge, sondern lauter innozenteSachen zum honetten Amüsement.« Sie spielten auf demStallplatz und auf der breiten Straße; Hauptperson war derHanswurst; es wurde der Doktor Faust aufgeführt, wie er vomTeufel geholt, und Haman, wie er gehängt wird. Der»Premierplatz« kostete acht Groschen. Zuletzt wurde dieKomödie auch in Halle erlaubt, aber die theologische Fakultäterhob wegen des Gaukel- und Teufelsspiels beim König Protest.Der König schrieb zurück, es würden auch in Utrecht undLeyden Schauspiele geduldet, und kein Mensch könne zweifeln,daß dies die beiden ersten Universitäten der Welt seien.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 165

Page 166: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Sonst war Friedrich Wilhelm allen Volkslustbarkeiten abhold, ersah darin nur Üppigkeit. Das Scheibenschießen hob er auf, Tee-und Kaffeeschenken verschwanden, und wer nach neun Uhrabends sich in den Wirtshäusern betreffen ließ, wurde von denPatrouillen arretiert. Wenn der König nach der Friedrichstadtkam, flüchteten die Leute, machten Türen und Fenster zu, unddie Straßen waren öde. Für die Künste hatte Friedrich Wilhelmkeinen Sinn. Er malte zwar selbst, besonders in den späterenJahren, wo ihn die Gicht plagte; gewöhnlich waren es Bauern,die er porträtierte, einmal malte er auch Gundling als Polichinell,aber die Bilder wurden nur von seinen Schmeichlern gelobt. Fürdie Musik hatte er wenig übrig; einmal ließ er Glockenspiele ausHolland kommen, die von den Türmen geistliche Lieder spielten.Ein paarmal in der Woche ließ er an Winterabenden Arien undChöre aus heroischen Opern vorführen, etwa aus HändelsAlessandro oder Siroe, und zwar auf Blasinstrumenten von denHoboisten des Garderegiments. Bei diesen Konzerten standen dieMusiker mit ihren Pulten und Lichtern am einen Ende des langenSaals, und der König saß ganz allein am andern. Zuweilen, nacheinem guten Diner, schlief er auch bei der heroischen Musik ein.Den höchsten Spaß bereitete ihm ein von Kapellmeister Pepuschfür sechs Fagotte komponiertes Konzert, betitelt: #Porco primo,porco secondo# usw. Er hielt sich den Bauch dabei vor Lachen.Auch der Kronprinz Friedrich wollte einmal dieses Konzerthören, und um den Komponisten zu verspotten lud er eine großeGesellschaft dazu ein. Pepusch wollte ausweichen, mußte sichaber dem Willen des Prinzen fügen. Er kam nicht mit sechs,sondern mit sieben Hoboisten, legte die Noten auf die Pulte und

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 166

Page 167: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

schaute ganz ernsthaft im Saal herum. Der Kronprinz trat auf ihnzu und fragte: »Herr Kapellmeister, sucht Er etwas?« Pepuschantwortete, es fehle ihm noch ein Pult. »Ich dachte,« versetzteFriedrich lächelnd, »es seien nur sechs Schweine in seinerMusik?« -- »Ganz recht, königliche Hoheit,« gab Pepuschzurück, »aber es ist da noch ein Ferkelchen gekommen, #flautosolo#.« Und Friedrich, der Flötenspieler, war angeführt.

Was der große Kurfürst begonnen hatte, vollendete FriedrichWilhelm mit der Niederbeugung des Adels; er setzte dieBesteuerung durch. Als der Graf Alexander Dohna, Marschallder Stände Preußens, in seinem Bericht an den König die Phrasegebracht hatte: #Tout les pays seront ruinés,# schrieb FriedrichWilhelm die denkwürdigen, unsterblich gewordenen Worte:»#les pays seront ruinés? Nihil credo,# aber das #credo,# daß dieJunkers ihre Autorität wird ruiniert werden. Ich stabiliere dieSuveränität wie einen #rocher# von Bronze.« Friedrich WilhelmsHerz neigte sich mehr zu den Bürgern als zu den Junkern. Wenner einmal äußerte, daß er ein wahrer Republikaner sei, soverstand er eigentlich seine bürgerliche Gesinnung darunter. Erliebte es, mit dem Volke unmittelbar zu verkehren, und besuchteGastmähler und Hochzeiten, auch richtete er sich in Berlin undPotsdam ganz einfach bürgerlich ein, wie ein guter deutscherHaushalter. Fleißige Handwerker und reinliche Hausfrauenbelobte er sehr. Mit der Reinlichkeit konnte er auch an seinemganzen Körper nicht genug tun; ferner war er äußerstwahrheitsliebend. In der Instruktion für die Räte seinesGeneraldirektoriums schrieb er: »Wir wollen die flatterien

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 167

Page 168: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

durchaus nicht haben, sondern man soll Uns allemal nur die reineWahrheit sagen.« Aber er war ein sehr gewalttätiger Herr undKönig, im Zorne wild und furchtbar. Friedrich der Große undseine Schwester hatten ihm den Spitznamen #le ragotin#gegeben. Zuletzt war er so dick geworden, daß seine Weste fastvier Ellen weit war.

Er forderte unbedingten Gehorsam ohne Widerspruch. DieUniversität Halle stellte einmal beweglich vor, daß ein Studiosusvon einigen Soldaten des Abends auf der Straße angefallen undzum Tor hinausgeführt worden sei. Der Bescheid des Königslautete: »Soll nicht räsonieren! Ist mein Untertan.«

Er wollte in seinem Lande nur gute Christen, fleißige Bürger undtapfere Soldaten haben. Voltaire nannte ihn den Vandalen; aberalle seine Strenge und Härte entschuldigte Friedrich Wilhelm mitder Pflicht, und öfters äußerte er: Ich bin nur der erste Diener desStaates; und den Staat regierte er nach seiner eigentümlichenWeise mit Gewalt, um ihn zu beglücken. Dabei war ergewissenhaft; einmal hatte er in Stettin einen Beamten durch denHenker prügeln lassen, kurz darauf stellte sich die Unschuld desMannes heraus, da ließ er ihn an seiner Tafel speisen, um ihmeine öffentliche Genugtuung zu geben. Er glaubte, immer gerechtzu handeln, doch handelte er nur in dem gerecht, was er selbst fürRecht erkannte. Er war religiös, aber nur in dem, was er bei sichselbst als Religion gelten ließ; es war eine Religion ganz nacheigenem Rezept. Bisweilen war er ernstlich gesonnen,abzudanken, weil er glaubte, seine Pflicht nicht gehörig erfüllen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 168

Page 169: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

zu können. Er hielt sich in der genauen Bedeutung des Wortesfür einen Knecht Gottes. So wenig er das Alte Testament achtete,seine Gesetze waren wie die des Alten Testaments. Ausköniglicher Machtvollkommenheit kassierte und annullierte erdie Urteile der Richter und verschärfte sie weit öfter als er siemilderte. Da galt kein Ansehen der Person. Ein Kriegs- undDomänenrat von Schlubhut in Königsberg hatte Gelderunterschlagen, die für die Salzburger Emigranten bestimmtgewesen waren, und das Gericht erkannte auf einige JahreFestung. Der König wollte das Urteil nicht bestätigen, verschobden Spruch bis zu seiner Reise nach Königsberg, befahl denKriegsrat vor sich und kündigte ihm an, daß er ihn hängen lassenwerde. Schlubhut erwiderte frech, das sei nicht Manier, so miteinem preußischen Edelmann zu verfahren, er werde die fehlendeSumme ersetzen. Der König geriet in den höchsten Zorn undschrie: »Ich will dein schelmisches Geld nicht haben.« Daraufließ er einen Galgen vor dem Sessionszimmer der Kriegs- undDomänenkammer errichten und vor den Augen derversammelten Räte Schlubhut daran aufknüpfen.

Er haßte die Juristen und hätte sie gerne alle vertilgt, besondersdie Advokaten. Auf dem Lande durfte kein Advokat wohnen,damit die Bauern nicht prozeßsüchtig würden. Als er an dieStände Preußens das Verbot erließ, sich aller Beschwerden undMahnungen und der Hinweisung auf alte Verheißungen zuenthalten, wagten die Stände einzuwenden, Gott, der allmächtigeVater, gestatte doch auch, daß man ihm Beschwerden vortrage,und bleibe nichtsdestoweniger allmächtig, mithin werde es Seine

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 169

Page 170: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Majestät ebenfalls nicht ungnädig deuten. Aber Seine Majestätkehrte sich daran nicht, und in seinen Kabinettsbefehlen hieß esgewöhnlich: Wir sind Herr und König und tun, was Wir wollen.

In Reden und Schriften war er ausbündig derb. Die EhrentitelHundsfott, Kujon, Halunke schwebten beständig auf seinenLippen. Auf Eingaben, die ihm nicht behagten, malte erEselsköpfe und -ohren an den Rand, und in den Resolutionen, dieer ausgehen ließ, hieß es fortwährend: Wenn das und das nichtgeschieht, so werde Ich es scharf ansehen, man wird den Königzum Feinde haben, so wird Lärm werden, so wird der Donnerdreinschlagen, eh man es sich vermutet. Wenn ein Minister zuspät in die Sitzungen kam, mußte er hundert Dukaten Strafezahlen. »Die Herrn sollen arbeiten, wofür Wir sie bezahlen,«sagte der König. Einer seiner Kammerdiener sollte ihm einmalden Abendsegen vorlesen. Als die Worte kamen: Der Herr segnedich, glaubte der einfältige Mensch in seiner Unterwürfigkeit»der Herr segne Sie« lesen zu müssen. Da fuhr ihn der König an:»Hundsfott, lies, was dasteht, vor dem lieben Gott bin Ich genauso ein Hundsfott wie du.« Die Bedienten waren allerdings ihresLebens nicht sicher; er hatte stets zwei mit Salz geladne Pistolenneben sich liegen, und wenn sie etwas versahen, feuerte er diePistolen auf sie ab.

Seine Sparsamkeit war so pedantisch, daß er sich alleKüchenzettel vorlegen ließ und an den geringfügigsten Ausgabenmäkelte. Die Zettel mußten bis auf jede Zitrone und auf jedeMandel Eier spezifiziert sein, und einmal schrieb er darunter: Ein

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 170

Page 171: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Taler zu viel. Auf die Eingaben um Geldbewilligung schrieb erzumeist: #Non habeo pecunia,# oder: #point d'argent,# oder:Narrenspossen, Narrenspossen! Sogar auf die Papierersparnisrichtete er sein Augenmerk; auf den Rand eines Berichts desKammerkollegiums schrieb er: Der Quark ist das schöne Papiernicht wert, sollen schlecht Papier nehmen, das ist Mir genug.

Bei alledem konnte er auch freigebig sein. Für den Hofstaat derKönigin hatte er achtzigtausend Taler ausgesetzt, viel mehr, alsdie erste Königin gehabt. In ihrem Kabinett war sämtliches Gerätvon Gold, Kron-, Wand- und Armleuchter, Geridone und Tafeln.Einmal schenkte er ihr zu Weihnachten eine goldene Brandrutefür den Kamin, die sechzehnhundert Taler kostete.

Er war ein rastlos tätiger Mann, kein Hauch von Phlegma war inihm. »Der König,« schreibt Seckendorf im Juni 1726, »kannallem menschlichen Ansehen nach unmöglich in die Länge dieArt zu leben kontinuieren, ohne an Gemüt und Leib zu leiden,maßen der Herr vom frühen Morgen bis in die späte Nacht inkontinuierlichem #mouvement# ist, bei sehr früher Tagesstundedas Gemüt mit verschiedenen und differenten Materien,Resolutionen und Arbeiten angreifet, hernach den ganzen Tagmit Reiten, Fahren, Gehen und Stehen sich unglaublich fatigiert,mit starkem Essen und ziemlichem, doch nicht bis zur#debauche# kommenden starken Getränke sich erhitzet, wenigund dabei sehr unruhig schläft, folglich sein ohnedemvehementes Naturell dermaßen echauffiert, daß mit der Zeit übleFolgen daraus entstehen dürften.«

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 171

Page 172: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Es kam vor, daß Friedrich Wilhelm irgendeinen faulenzendenBerliner Eckensteher mit eigenen Händen durchprügelte. Einandres Mal prügelte er einen verschlafenen Torschreiber, der dieBauern vor dem Tor warten ließ, mit den Worten: »GutenMorgen, Herr Torschreiber« aus dem Bette. Recht mißlich wares, ihm zu begegnen. Wer ihm auffiel, an den ritt er so naheheran, daß der Kopf des Pferdes dem Manne an die Brust stieß,und dann begann das Verhör. Sah er einen französischenPrediger, so fragte er jedesmal, ob sie Molière gelesen hatten, umihnen damit anzudeuten, daß er sie für Komödianten halte. Amschlechtesten erging es denen, die vor ihm die Flucht ergriffen;einmal verfolgte er einen Juden, der Reißaus genommen hatte,und als er ihn gestellt hatte, sagte der Jude, er habe sichgefürchtet. Da prügelte ihn der König mit seinem Stock undschrie dabei in einemfort: »Lieben sollt ihr mich, lieben undnicht fürchten.«

So orthodox Friedrich Wilhelm auch war, erklärte er sich dochmit allem Nachdruck für die Toleranz. Er duldete alleReligionsparteien, nur die Jesuiten waren ihm zuwider, »dieVögels, die dem Satan Raum geben und sein Reich vermehrenwollen«. Schon im Anfang seiner Regierung erließ er ein Edikt,worin er den lutherischen und reformierten Religionsverwandtengebot, aller Schmähungen sich zu enthalten und friedlichmiteinander zu verkehren. Den lebhaftesten Anteil nahm er andem Schicksal der Salzburger Emigranten. Er schickte nicht nurKommissäre zu den Salzburger Bauern, um sie einzuladen, sichin seinen Staaten niederzulassen, sondern griff auch, um den

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 172

Page 173: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Erzbischof Firmian von weiterer Verfolgung abzuschrecken, zuRepressalien gegen die Katholiken im Bistum Halberstadt unddrohte die Einkünfte der Klöster in Beschlag zu nehmen.Zwanzigtausend Salzburger fanden damals in Preußen Zuflucht;als der erste Zug eintraf, begrüßte ihn der König selbst amLeipziger Tor und hieß die armen Leute als seine liebenLandeskinder willkommen; von der Königin wurden sie inMonbijou bewirtet.

Um das Jahr 1727 verfiel Friedrich Wilhelm in eine tiefereligiöse Schwermut. Er sprach unaufhörlich davon, daß er dieKrone niederlegen und sich in den Haag zurückziehen wollte, woihm aus der Erbschaft Wilhelms des Dritten das LustschloßHonslardik zugefallen war. Es war August Hermann Franke, dereinen solchen Einfluß auf das Gemüt des Königs gewonnenhatte. Die Markgräfin von Baireuth schreibt: »Dieser Geistlichemachte die unschuldigsten Dinge zur Gewissenssache, er verwarfalle Vergnügungen als verdammlich, selbst die Musik und dieJagd, man sollte nur vom Worte Gottes sprechen, alles andre warverboten.« Grumbkow und Seckendorf legten dem König immerwieder die Hindernisse dar, die sich seiner Abdankungentgegensetzten, und wie er einen solchen Schritt später bereuenwürde. Aber der König versank nur noch tiefer in seineGrübeleien, und man durfte in seiner Nähe nicht mehr lachen. Danun alle Worte vergeblich waren, verfielen Grumbkow undSeckendorf auf ein anderes Mittel. Sie überredeten den König,dem sächsischen Hof einen Besuch abzustatten, der damals derglänzendste in Deutschland war. Politische Gründe bestimmten

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 173

Page 174: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Friedrich Wilhelm, den Vorschlag anzunehmen. Sobald er nachDresden kam, wurde er von Fest zu Fest fortgerissen, dieFreuden der Tafel wurden nicht vergessen, der Ungarwein nichtgespart, und die Freundschaft der beiden Könige war dieinnigste. Eines Tages, als man weidlich geschmaust hatte, führteder König von Polen seinen Gastfreund im Domino auf eineRedute. Immerfort schwatzend, gingen sie von einem Zimmer indas andere, wobei die Hofleute und der Kronprinz Friedrichfolgten. Endlich gelangten sie in einen schön verzierten Raum,und während Friedrich Wilhelm das prächtige Gerät bewunderte,sank eine Tapetenwand nieder, und ein seltsames Schauspiel botsich den Blicken dar. Ein Mädchen von vollendeter Schönheitlag nachlässig auf einem Ruhebette, nackt wie sie Gotterschaffen, mit einem Körper wie die mediceische Venus. DasKabinett, worin sie sich befand, war von so vielen Kerzen erhellt,daß sie das Tageslicht überstrahlten. Der König von Polensowohl als Grumbkow glaubten, daß Friedrich Wilhelm einersolchen Verlockung nicht werde widerstehen können; allein eskam anders. Bei dem ersten Blick nahm Friedrich Wilhelmseinen Hut, hielt ihn dem Kronprinzen vor das Gesicht undbefahl ihm, sich zu entfernen. Er selbst wandte sich zum Königvon Polen, sagte trocken: »Sie ist recht schön,« und ging fort. AnSeckendorf schrieb er ein paar Tage später: »Ich gehe zukommendem Mittwoche nach Hause, fatigieret von allen gutenTagen und Wohlleben; ist gewiß nit christlich leben hier, aberGott ist Mein Zeuge, daß Ich kein Pläsier daran gefunden undnoch so rein bin als Ich von Hause hergekommen und mit GottesHilfe beharren werde bis an Mein Ende.«

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 174

Page 175: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Schon im Winter 1735 hatte der König an der Wassersuchtgelitten, und sein Leben war in großer Gefahr gewesen. In demstrengen Winter des Jahres 1740 erkrankte er von neuem. Er ließden lutherischen Propst Roloff kommen, der ihn zum Todvorbereiten sollte. Er verzieh allen seinen Feinden, schließlichsogar seinem Schwager, dem König von England, der ihm doch,wie er sagte, alles gebrannte Herzeleid angetan habe. Er bereuteseine Sünden und zählte sie in Gegenwart vieler Umstehenden soausführlich auf, daß Roloff ihn bitten mußte, es zu unterlassen.Worauf Roloff drang, war Sinnesänderung, dazu aber war derHerr lange nicht zu bewegen. Er führte auf, daß er dieGeistlichkeit immer respektiert, Gottes Wort immer fleißiggehört habe und seiner Frau immer unverbrüchlich treu gewesensei; er behauptete, immer recht gehandelt und alles zu GottesEhre getan zu haben. Roloff widersprach dem und erinnerte ihnan die Verschärfungen der Todesurteile, an die ungerechtenHinrichtungen, an das erzwungene Häuserbauen in Berlin, zurgroßen Bedrückung seiner Untertanen, und des KönigsVerantwortung wollte er als vor Gott genügend nicht geltenlassen. Da sagte der König: »Er schont Meiner nicht. Er sprichtals ein guter Geist und ein ehrlicher Mann mit Mir. Ich dankeihm dafür und erkenne nun, daß ich ein großer Sünder bin.« ImApril 1740 konnte er noch nach seinem geliebten Potsdamfahren; er gab Anordnungen für sein Leichenbegängnis, bei demdas Leibregiment feuern sollte. Mitten in seinen Schmerzen ließer sich das Lied vorsingen: Warum sollt ich mich doch grämen?Als die Stelle kam: Nackend werd auch ich hinziehen, unterbracher die Sänger mit den Worten: »Nein, das ist erlogen, ich will in

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 175

Page 176: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

der Montur begraben sein.« Bescheiden stellte ihm derFeldprediger vor, daß es dort oben keine Soldaten gäbe; da riefder König: »Was? Sapperment! Wieso?« Und er schien nun sehrniedergeschlagen.

Am Sterbetage, den 31. Mai, nahm er Abschied von seiner Frau,seinen Söhnen, allen Ministern, Beamten und Offizieren. Er ließsich ans Fenster rücken, von wo er den Marstall überblickenkonnte, und befahl, daß man die Pferde herausführe, denn erwollte dem Fürsten von Dessau und dem General Haake noch einPferd schenken. Als ihm sein Leibarzt auf die Frage, wie lange ernoch zu leben habe, antwortete, ungefähr eine halbe Stunde,forderte er einen Spiegel, schaute hinein und sagte lächelnd: »Ichbin recht verändert, ich werde beim Sterben ein garstiges Gesichtmachen.« Später wiederholte er die Frage an den Arzt. DerLeibmedikus befühlte ihm den Puls, zuckte die Achseln undsagte: »Er steht still.« Da hob der König seinen Arm, schütteltedie Faust und rief: »Er soll nicht stillstehen.«

Friedrich Wilhelm starb im zweiundfünfzigsten Jahre seinesAlters; er starb, wie Friedrich der Große an Voltaire schrieb, mitder Neugierde eines Naturforschers, der beobachten will, was imAugenblick des Hinscheidens geschieht, und mit demHeldenmute eines großen Mannes. Er ward in Potsdam begraben.Bei der Leichenfeier wurden die von ihm selbst ausgewähltenLieder gesungen und beim Trauermahl zwei von ihm eigens dazubestimmte Eimer alten Rheinweins ausgetrunken.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 176

Page 177: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Joachim Nettelbeck

Als Sohn eines Brauers und Branntweinbrenners wurde JoachimNettelbeck am 20. September 1738 zu Kolberg geboren. SeineMutter war aus dem Geschlecht des Schiffers Blanken; seinesVaters Bruder war ebenfalls Schiffer. Seine größte Kinderfreudebestand darin, auf Schiffen herumzuspringen, und sobald erlallen konnte, war sein Sinn auf die Schifferei gestellt. Sein Hangwar so groß, daß er aus jedem Span, aus jedem Stück Baumrinde,das ihm in die Hände fiel, kleine Schiffe schnitzelte, sie mitSegeln von Federn oder Papier ausrüstete und damit aufRinnsteinen und Teichen oder auf der Persante hantierte. Keingrößeres Vergnügen gab es für ihn, als wenn seines OnkelsSchiff im Hafen lag; da hatte er zu Hause keine Ruhe und batimmerfort, man möchte ihn nach der Münde lassen.

Nicht geringere Liebe zeigte er zum Gartenwesen. SeinGroßvater war ein großer Gartenfreund, nahm ihn oft in seinenGarten mit und schenkte ihm sogar ein Fleckchen Land. Da legteer Obstkerne, pflanzte, verpfropfte und okulierte.

[Illustration: Joachim Nettelbeck, nach einer Zeichnung vonLudwig Heine.]

Er mochte etwa sechs Jahre alt sein, da entstand eine Hungersnotim Lande. Es kamen viele arme Leute nach Kolberg, um Korn zuholen, weil man Getreideschiffe im Hafen erwartete. Als endlichein Schiff mit Roggen auf der Reede anlangte, stieß es gegen den

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 177

Page 178: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Hafendamm und sank in den Grund. Um es wiederemporzuwinden wurden zwei Schiffe benutzt, deren eines vonseinem Onkel geführt wurde, und der Knabe war beständigzugegen. Das Fahrzeug wurde gehoben, doch das Korn wardurchnäßt; bald waren alle Straßen mit Laken und Schürzenüberdeckt, auf denen das Getreide der Luft und Sonne ausgesetztwurde. Endlich kam ein zweites Kornschiff, und es konnte derNot gesteuert werden.

Im nächsten Jahre schickte der Große Friedrich von Preußen eineWagenladung mit Kartoffeln nach Kolberg. Diese Früchte warenaber damals noch völlig unbekannt, und die Bürger berieten hinund her, was wohl damit anzufangen sei. Sie warfen sie denHunden vor, die sie beschnupperten und verschmähten. Wassollen uns die Dinger? hieß es; sie riechen nicht, sie schmeckennicht, und nicht einmal die Hunde mögen sie fressen. Manglaubte, sie wüchsen auf den Bäumen und man müsse sieherunterschütteln wie die Äpfel. Alles dieses ward auf demMarkte, vor seiner Eltern Tür, verhandelt. Erst als der König imandern Jahr eine zweite Sendung von einem Landreiter begleitenließ, der des Kartoffelbaues kundig war, gewann die neue Fruchtdas Wohlwollen der Bürger.

Der Knabe war auch ein großer Liebhaber von Tauben, und ersparte sich von seinem Frühstücksgeld so viel ab, daß er sich einpaar Tauben kaufen konnte. Seine Spielereien hielten ihn vomLernen und von der Schule ab, und erst die dringendenErmahnungen seines Paten weckten seinen Ehrgeiz. In seinem

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 178

Page 179: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

achten Jahre schenkte ihm der Pate zu Weihnachten eineAnweisung zur Steuermannskunst, und bald ging sein Eifer fürdiese Sache soweit, daß er oft im Winter bei strenger Kälte desNachts, wenn klarer Himmel war, heimlich auf den Wall gingund mit seinen Instrumenten die Entfernung der Sterne vomHorizont oder vom Zenit maß und danach die Polhöheberechnete. Kam er des Morgens erfroren nach Hause, soverwunderte sich alles, erklärte ihn für einen überstudiertenNarren, und der Vater schlug ihn.

Da ein Seemann sich auf die Kletterkunst gut verstehen mußte,übte er sich in Gemeinschaft mit dem Sohn des Glöckners imBalkenwerk der großen Kirche in dieser Fertigkeit. Sie krochenüberall herum, und oft verirrten sie sich in der gewaltigenVerzimmerung dergestalt, daß einer vom andern nichts mehrwußte, und wenn sie wieder zusammenkamen, war des Erzählenskein Ende, wo sie gewesen waren und was sie gesehen hatten. Indem inwendigen Holzverband krochen sie auch bis zur Spitzedes Turmes hinauf, bis sie sich in dem beengten Raum nichtmehr rühren konnten. Diese Gewandtheit und Ortskenntnis kamihm viele Jahre später wohl zustatten, als ein Wetterstrahl imTurm gezündet hatte und das Feuer gelöscht werden mußte.

Als er elf Jahre alt war, nahm ihn sein Onkel als Kajütenwächtermit auf sein Schiff, und seine erste Fahrt ging nach Amsterdam.Dort sah er die großen Indienfahrer und verspürte eineunbezwingliche Sehnsucht, auf einem solchen Schiff zu dienen.Bei Nacht und Nebel floh er auf einer Jolle, betrat eines der

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 179

Page 180: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Schiffe, das er sonderlich ins Auge gefaßt, und wurde nachvielen Verhandlungen als Seemannsjunge geheuert. Das Schiffwar für den Sklavenhandel nach Guinea bestimmt.Einundzwanzig Monate später kam er nach Amsterdam zurück,schrieb an seine Eltern, die, froh erstaunt, ihn noch am Leben zuwissen, ihn nach Kolberg riefen; dort blieb er nun bis zu seinemvierzehnten Jahr. Länger vermochte er aber seinem Abenteuer-und Tätigkeitstrieb nicht zu widerstehen: er entfloh neuerdingsund verdingte sich auf einem Schiff, das nach Surinam bestimmtwar. Auf der Heimfahrt fiel der Steuermann über Bord undertrank, und Nettelbeck wurde zum Untersteuermann gemacht.

Im Jahre 1756 nahm er Dienst bei seinem Oheim, der eineSchiffsladung mit Holz von Rügenwalde nach Lissabon zubringen hatte. Sein jüngerer Bruder, ein Knabe von vierzehnJahren, und des Oheims junger Sohn waren ebenfalls auf demSchiffe bedienstet. Sie erlitten an der flandrischen KüsteSchiffbruch und wurden von österreichischen Soldaten gerettet.Der Oheim hatte aber eine tödliche Verletzung erlitten und starbin einem Kloster, wohin man ihn in Eile transportiert hatte. AlsKetzer und Preußen verdächtigt und gemieden, mußten sich diedrei jungen Burschen durch das feindliche Land schlagen, underst nach schrecklichen Mühsalen gelangten sie wieder nachKolberg. Kaum hatte sich Nettelbeck von der überstandenenschweren Zeit erholt, so brach der Krieg aus, und die Werber desKönigs kamen in die Stadt, um alle jungen Leute zumSoldatenstand zu pressen. Es war eine wahre Hetzjagd, derSchrecken für alle Eltern jener Zeit und für alles junge Volk, das

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 180

Page 181: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

eine Flinte schleppen konnte und nicht mochte.

Die entschiedene Abneigung des Bürgers gegen denSoldatenstand hatte ihre Rechtfertigung in der unmenschlichenArt, womit die jungen Leute von den Unteroffizieren behandeltwurden; so sagt Nettelbeck selbst, und er fügt hinzu: unter denFenstern der Eltern wurden sie von den rohen Menschen aufsGrausamste mißhandelt, und es war ein kläglicher Anblick, wennbei solchen Auftritten die Mütter in Haufen daneben standen,weinten und schrien und von den rauhen Barbaren abgeführtwurden.

Nettelbeck ergriff die Flucht. Bei Nacht, in Sturm undSchneegestöber wanderte er zu einem Bauern, welcher ihmgenannt worden war, und mußte sich im Stadtholz eines RudelsWölfe erwehren. Endlich erreichte er die Freistatt, hielt sichzwölf Tage dort verborgen, aber er ertrug es nicht, untätig zusitzen, und er begab sich wieder nach der Münde. Eines Nachtserweckte ihn ein Klopfen an den Fensterladen des Kämmerchens,wo er schlief, und die bekannte Stimme einer getreuenFrauensperson rief ihm zu: »Joachim, auf! auf aus den Federn!Die Soldaten sind wieder auf der Münde!« In der Bestürzunggriff er nach einem Bund Kleider, stahl sich im Hemd auf dieStraße und bemerkte, als er sich anziehen wollte, daß erFrauenkleider mitgenommen hatte. Er warf einen roten Friesrocküber die Schultern, da wurde er von den Soldaten gestört, errannte zum Hafen, sprang in ein Boot und ruderte hinaus.Jenseits ging er an Land, wanderte so gut als nackend in der

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 181

Page 182: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

bitterkalten Märznacht vor mehrere Türen, wurde jedesmalabgewiesen und flüchtete endlich in einen alten Schiffsrumpf,der im Sommer als Bierschank benutzt wurde. Er kletterte in dasRauchfangloch und duckte sich vor der Kälte in einen Winkelzusammen. Am Morgen suchte er sein verlassenes Boot wiederauf und ruderte sich zu einem Schiffe heran, das einemKönigsberger Schiffer gehörte. Der Mann nahm ihn auf und hieltihn lange bei sich verborgen. Zwei Wochen später fuhr er miteinem anderen Schiffer nach Danzig, und dort wurde erSteuermann auf einer kleinen Jacht, die eine Ladung Hanf nachWestschottland bringen sollte. Die Schiffahrt in den Gewässernder Hebriden war der Klippen und starken Strömungen wegensehr gefährlich, das Schiff irrte lange herum, geriet im Kanal mitsieben englischen Kapern zusammen, und alle dieseSchnapphähne, so nennt sie Nettelbeck, stiegen an Bord seinesSchiffes und nahmen mit, was nicht niet- und nagelfest war,Kessel und Pfannen, Tauwerk und Segel, Karten und Kompaß.Die Aufregung und das beständige Elend machten Nettelbeckkrank. Er mußte in Metemblick zurückbleiben und begab sich zueinem Kompaßmacher in die Lehre; was er von ihm lernte, warihm in der Folge von großem Nutzen.

Bald darauf rief ihn sein Vater nach Kolberg zurück, und er warnoch nicht vier Wochen in der Heimat, so begann die BelagerungKolbergs durch die Russen. Durch die Entschlossenheit derBürgerwehr blieben die feindlichen Anstrengungen fruchtlos,und nachdem die Russen eine Menge Pulver unnütz verschossenhatten, mußten sie wieder abziehen. Nettelbeck begab sich nach

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 182

Page 183: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Amsterdam, traf dort mit seinem alten Kapitän Blankenzusammen und fuhr mit ihm neuerdings nach Surinam; von dortheimgekehrt, hielt es ihn wieder nicht lange, und er fuhr miteinem andern Schiff nach Sankt Eustaz. Als er dann in seineVaterstadt zurückgekehrt war, wurde diese zum zweitenmal vonden Russen belagert, aber der Notstand dauerte nur drei Wochen.Während der Zeit des Siebenjährigen Krieges blieb denpreußischen Schiffern, wenn sie Erwerb finden wollten, kaumetwas anderes übrig, als unter der neutralen Danziger Flagge zufahren. In solcher Weise ging Nettelbeck von Danzig nachKönigsberg und von Königsberg mit einem Getreideschiff nachAmsterdam.

Es ist nicht erforderlich, alle diese Fahrten und die späteren imeinzelnen zu verfolgen; diese Begegnungen mit Freund undFeind, dieses Hin und Her in allen Zonen der Erde, diese Kämpfemit allen Gefahren und allen Elementen. Sie bilden ein Lebenvoll beständiger Unruhe und beständiger Tätigkeit. DieKaufleute im fremden Land sind listig und verschlagen; ihrerTücke Herr zu werden, gegen ihre Vorteilssucht nicht des eignenVorteils verlustig zu gehen, verlangt viel Klugheit, ja beinaheWeisheit und unendliche Selbstverleugnung. Immer wiederStürme, immer wieder Schiffbruch; kaum ist ein kümmerlicherVerdienst in Sicherheit gebracht, so geht er durch Wagnis oderUnglück wieder verloren. Bei einer Fahrt in der Nordsee wird derKapitän wahnsinnig und trifft Verfügungen, die den Untergangdes Schiffes herbeiführen müssen. Eines Morgens stürzt er vomSteuer in die See und ertrinkt. Nettelbeck nimmt ein Verzeichnis

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 183

Page 184: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

seiner Habseligkeiten auf, versiegelt die eingepackten Waren undwirft vor den Augen der Matrosen das hierzu gebrauchtePetschaft ins Meer. Zu seiner Verwunderung kann er nirgendsdie Gelder und Barschaften des verunglückten Schiffers finden,die Taschenuhr, die silbernen Schuh- und Knieschnallen, diegoldenen und silbernen Galanteriewaren nicht, die er vordem beiihm gesehen. Als er mit dem Schiff in den Hafen gelangt, tauchttrotz eidlicher Erhärtung der Verdacht auf, daß er das Gut desSchiffers veruntreut habe. Lästerung und Verleumdung heftetsich an seine Fersen, und der Kummer, den er darüber empfindet,raubt ihm allen Mut. Erst viele Jahre später wurde das Eigentumdes toten Schiffers zufällig in einem Verschlag der Kajüteentdeckt, die Witwe und die Verwandten leisteten NettelbeckAbbitte, und die ihn geschmäht und bezichtigt hatten, erhobenihn in den Himmel, aber man muß nicht eben Nettelbeck sein,um den von Zufalls Gnaden gereinigten Schild der Ehre mitbitterem Gefühle zu betrachten. Allmählich reifte er in derSchule des Lebens zur Resignation heran; doch seine Kraft, zuhandeln, seine wunderbare Kraft, zu helfen, erlahmte dabeimitnichten. Während des großen Brandes in Königsberg retteteer auf einem Boote viele Menschen vor dem sicheren undschrecklichen Tod. Einige Zeit nachher geriet auf dem Pregel einholländisches Schiff in Brand. Alle Menschen, so viel derenherbeigekommen, waren damit beschäftigt, Löcher in dasVerdeck zu hauen, um von oben Wasser in den brennendenRaum zu gießen. Dadurch gewann aber das Feuer nur um sogrößeren Zug, und Nettelbeck, der ein so widersinnigesVerfahren nicht gelassen mit anschauen konnte, schrie ihnen zu,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 184

Page 185: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

sie arbeiteten sich ja zum Unglück, sie müßten das Schiffversenken. Es lief aber alles verwirrt durcheinander, undniemand wollte auf ihn hören. Da griff er einen von seinenZimmerleuten auf, sprang mit ihm in das Boot, das zumbrennenden Schiff gehörte, und zeigte ihm eine Planke dicht überdem Wasser, wo er ein Loch ins Schiff hauen sollte. Das lasse erwohl bleiben, war die Antwort des Mannes, da könne erschlimmen Lohn dafür haben. Nettelbeck riß ihm die Axt aus denHänden, schlug selber das Loch, eilte spornstreichs auf dasVerdeck, wo sich Hunderte von Menschen drängten, und schrie:»Herunter vom Schiff, was nicht ersaufen will, in der Minutewird's sinken.« Und das Schiff sank. Die holländischenKaufleute aber verklagten ihn bei der Admiralität und fordertenvon ihm den vollen Ersatz des Schadens. Er wurde vor dasKollegium zitiert und sollte sich verantworten.

Seine Rede war die: »Tausend Augen haben es mit angesehen,wie das Schiff in hellem Feuer stand. Hätte das nur noch einehalbe Viertelstunde so gedauert, so nahm die Flamme dergestaltüberhand, daß es kein Mensch auf dem Schiff aushalten konnteund es mitsamt der Ladung preisgegeben werden mußte. Undwie sollte es dann fehlen, daß nicht die Taue mit verbrannten, diees am Bollwerk hielten; daß die flammende Masse stromabwärtsund unter die vielen andern Schiffe trieb und diese mit insVerderben zog? Jetzt ist großes und gewisses Unglück mit um sogeringerem Schaden abgewandt, als Schiff und Ladung wohlwieder zu bergen sein werden. Ich bin daher auch des gutenGlaubens, daß ich in keiner Weise strafbar gehandelt, sondern

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 185

Page 186: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

nur meine Bürgerpflicht erfüllt habe.«

Die Sentenz lautete, daß der Schiffer Nettelbeck vollkommenrecht und löblich gehandelt habe und das Kollegium sichvorbehalte, ihm seine Zufriedenheit und Dankbarkeit durchfeierlichen Handschlag zu bezeugen. Der Kollegiumsdirektorstand von seinem Sitze auf, schüttelte ihm treuherzig die Hand,dankte ihm im Namen aller Schiffer und im Namen der Stadt undhieß ihn einen wackeren Mann. Kaufleute, Schiffer und Advokatsahen einander verlegen an, dann traten sie einer nach demandern zu ihm und gaben ihm ebenfalls die Hand. Der Direktorfragte ihn zum Schluß, ob er nicht, wie er im vorigen Jahr mitdem Bording der Witwe Rollof getan, das versunkene Schiff ausdem Wasser zu heben versuchen wolle. Und Nettelbeck sagte zu.Die Hebung gelang unter großen Schwierigkeiten, und da er vonden holländischen Kaufleuten außer dem Ersatz seiner Auslagennichts annehmen wollte, machten sie ihm ein Geschenk vonhundert preußischen Gulden samt zehn Pfund Kaffee undzwanzig Pfund Zucker. Er seinerseits schenkte davonfünfundzwanzig Gulden den Armen, damit sie auch einmal einenguten Tag haben sollten.

Es war das Sonderbare seines Geschicks, daß es ihn immerwieder zwang, gegen die Elemente in den Kampf zu treten und erdem Wasser wie dem Feuer gegenüber stets die gleiche streitbareRolle spielt. Als er nach vielen und gefährlichen Reisen, nachvielen und ermüdenden Versuchen, da und dort seinenLebensunterhalt zu erwerben, als beinahe Vierzigjähriger 1777

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 186

Page 187: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

wieder in seiner Vaterstadt saß, schlug eines Tages im April derBlitz in den Kirchturm, und im Nu brannte der Turm lichterloh.Die helle Flamme spritzte bei der Wetterstange gleich einemfeurigen Springbrunnen empor, aus den Schallöchern sprühtendie Funken wie Schneeflocken und fielen bereits in dieDomstraße hinüber. Nettelbeck, dies sehend, rannte nach derKirche und die Turmtreppe hinan. Im Hinaufsteigen überdachteer, wie groß das Unglück werden müsse, da es wohl schwerlichjemand unternehmen werde, bis in die höchste Spitze zuklimmen, wo er in den finstern Winkeln nicht so bekannt sei wieer selbst, der sie in seiner frühen Jugend oft mit Lebensgefahrdurchkrochen hatte. Er wußte, daß auf dem Glockenboden stetsWasser und Löscheimer bereitstanden, aber an einer Handspritze,die hauptsächlich nottat, mochte es fehlen. Er machte auf derStelle kehrt, drängte sich an den vielen Menschen vorüber, diealle hinauf wollten, eilte ins nächste Haus, dann ins zweite undins dritte, bis er endlich eine Spritze bekam. Jetzt wieder, dieAngst und der Eifer gaben ihm Flügel, zum Turm hinauf. In dersogenannten Kunstpfeiferstube, dicht unter der Spitze, fand ermehrere Maurer und Zimmerleute mit ihren Meistern, aberkeiner wußte, was zu tun sei. »Liebe Leute,« sprach er, unter sietretend, »hier ist nichts zu beginnen, wir müssen höher hinauf.«-- »Leicht gesagt, aber schwer getan,« antwortete einer, »wirhaben es schon versucht, doch es geht nicht. Sobald wir dieFalltür über uns haben, fällt ein Regen von Flammen undglühenden Kohlen herunter und setzt auch hier die Zimmerung inBrand.« Nettelbeck aber ließ sich die Falltür öffnen, stieghindurch, gebot, daß man ihm einen Eimer und die Spritze reiche

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 187

Page 188: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

und die Falltür wieder schließe, denn das Feuer durfte von untenkeinen Zug bekommen. Er mußte sich den Kopf mit Wasser ausdem Eimer anfeuchten, damit seine Haare nicht in Brandgerieten, und um die Hände frei zu bekommen, schnitt er vorn inseinen Rock ein Loch, durch das er die Spritze steckte. DenBügel des Eimers nahm er in den Mund und zwischen die Zähne;so klomm er empor. Die Holzriegel im Innern des Turms mußtenihm als Leitersprossen dienen, allein wohin er griff, um sichemporzuhelfen, fand er alles voll glühender Kohlen, nur hatte ernicht Zeit, an den Schmerz zu denken. Endlich hatte er sich sohoch verstiegen, daß ihm in der engen Verzimmerung kein Raumblieb, sich noch weiter hinauf zu winden, und hier sah er denrechten Mittelpunkt des Feuers acht oder zehn Fuß über sichzischen und sprühen. Er klemmte den Wassereimer zwischen dieSparren fest, sog die Spritze daraus voll und richtete sie gegenden Feuerkern. Wasser, Feuer und Kohlen prasselten ihm insGesicht, aber das Feuer verminderte sich alsbald merklich. Nunwar aber auch der Eimer geleert. Aus Leibeskräften schrie ernach Wasser; einer der Zimmermeister hob die Falltür und rief:»Wasser ist hier, aber wie bekommst du es hinauf?« Er sagte, siesollten es ihm nur bis über den Glockenstuhl schaffen, da wolleer sichs schon selber langen. Jene wagten es, und er kletterteihnen von Zeit zu Zeit entgegen, um die vollen Eimer inEmpfang zu nehmen, von denen er dann auch so fleißigenGebrauch machte, daß er endlich das Glück hatte, den Brand zuüberwältigen und völlig zu löschen. Und es war hohe Zeit, mitjeder Minute wurde ihm übler: das zurückspritzende Wasserhatte ihn bis auf die Haut durchnäßt, und zugleich war eine

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 188

Page 189: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

unerträgliche Hitze im Turm. Er eilte hinunter, und in derschneidenden Luft bei den Schallöchern vergingen ihm dieSinne. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Kirchhof, ihmzur Seite standen zwei Chirurgen, die ihm an beiden Armen dieAdern geöffnet hatten, und eine Menge neugieriger Menschenschaute zu. Seine Hände waren überall verletzt, die Haare aufdem Kopf abgesengt, der Kopf selbst wund und vollerBrandblasen; an diesen Stellen wuchsen die Haare nie wieder,und zwei Finger an der rechten Hand blieben ihm zeitlebensverkrüppelt.

Zehn Jahre lang befuhr er noch die Meere, von Danzig bisLissabon, von Amsterdam bis Norwegen, von London bisWestindien; bald im eignen Interesse, das aber nie ein Gelingenbescherte, bald im Auftrag fremder Reeder. SeineRechtschaffenheit und Aufrichtigkeit, soviel sie ihm auchAchtung und Sympathie erweckten, konnten ihm doch nicht zugroßem Geld und Gut verhelfen. Und er war zu unruhig, zuleidenschaftlich und zu wenig kühler Rechner, um aus geringenVorteilen mit der Zeit und viel Geduld bedeutende zu machen.Um das Jahr 1787 wurde er in Kolberg seßhaft, und seineMitbürger erwiesen ihm die Ehre, ihn als Verwandten desSeglerhauses aufzunehmen, welches ein Kollegium war, vor demalle Schiffahrtssachen in erster Instanz entschieden wurden.Auch ernannten sie ihn zum Schiffsvermesser, dessen Amt eswar, die Tragkraft der Fahrzeuge zu berechnen, und wievielLasten sie laden und über See führen konnten. Es gab auch inKolberg ein Kollegium, die Fünfzehnmänner geheißen, das die

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 189

Page 190: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Gerechtsame der Bürgerschaft beim Magistrat zu vertreten hatte.In dieser Körperschaft waren große Mißstände bemerklichgeworden; die Fünfzehnmänner hatten angefangen, ihr Ansehenmehr zu ihrem Privatnutzen als zum allgemeinen Besten geltendzu machen, und es war eine enge Verbrüderung darausentstanden, die sich einander zu allerlei heimlichen Praktikenverhalf. Da waren Depositenkassen angegriffen, Scheinkäufevorgenommen, Gemeingut widerrechtlich verschleudert undandere Greuel mehr begangen worden. Furchtlos trat Nettelbeckin den Sumpf und machte eine lange Reihe vonUngebührlichkeiten, Veruntreuungen und krummen Schlichenvor Gericht anhängig. Es kam darüber zu einem langen undverwickelten Prozeß, und keine Art von Ränken undRabulistereien blieb gegen ihn unversucht. Beinahe vier Jahrelang schleppte sich der Rechtsstreit hin, und so wie er sich dieSache zu Herzen nahm, hatte er während der ganzen Zeit keineruhige Stunde. Er gesteht, daß er oft mit Feuer und Schwert hättedreinfahren mögen, wenn das heillose Gezücht immer ein neuesMäntelchen für seine aufgedeckte Bosheit zu erhaschen suchte.Endlich kam die unsaubere Geschichte doch zu einem leidlichenSchluß; das Kollegium wurde aufgelöst und durch ein anderesersetzt, und man bewies ihm das Vertrauen, ihn in die Zahl derneuen Repräsentanten zu wählen.

Ergreifend sind die wenigen Seiten seiner von ihm selbsterzählten Lebensgeschichte, wo er von seinen häuslichen undehelichen Verhältnissen erzählt und die Bemerkung macht, daßihm als Ehemann und Vater sein besserer Glücksstern erst spät

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 190

Page 191: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

erschienen sei. Nur der Anschein war günstig, als er sich imJahre 1762 in Königsberg zu heiraten entschloß. Er war einflinker und lebenslustiger Bursche von vier- oderfünfundzwanzig Jahren, sein junges Weib war sechzehn, undsolange er dort lebte und als Schiffer ab- und anfuhr, war die Eheganz glücklich. Von drei Kindern, die ihm die Frau gebar, bliebindessen nur ein Sohn am Leben, der ihn auf seinen letztenSeereisen als unzertrennlicher Gefährte begleitete. Nachsiebenjähriger Ehe entdeckte er, daß ihn die Frau betrog; erverzieh ihr, aber sie zeigte sich unverbesserlich, da ließ er sichvon ihr scheiden, und sie verkam im Elend. Der Sohn, den ersehr liebte, starb ihm in jungen Jahren, und er stand nunverlassen in der Welt und wußte nicht, für wen er sich's nochsauer werden lassen sollte. Es fehlte am festen Kern im innerenHaushalt, und so wollte er es noch einmal mit der Ehe versuchen.Als Fünfzigjähriger warf er seine Augen auf eine Schifferswitwein Stettin, die er als eine ordentliche und rechtliche Frau zukennen glaubte. Die Verbindung kam zustande, aber nun erstgingen ihm die Augen auf. Die fromme Witwe hatte gern ihrRäuschchen und hielt es eifrig mit mancherlei andern Dingen,die den Ehefrieden stören mußten. An ein Zusammenhalten desehrlich Erworbenen war länger nicht zu denken, vielmehr sah erden unvermeidlichen Untergang seines kleinen Wohlstands vorAugen, und was blieb ihm übrig, als eine abermalige Scheidung?Mit trüben Blicken schaute er in die Zukunft. Er gehörte keinemMenschen an, war nachgerade ein alter Mann geworden, undfühlte er gleich sein Herz noch frisch und seinen Geist lebendig,so wollten doch die stumpfgewordenen Knochen nicht mehr gut

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 191

Page 192: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

tun. Die paar Jahre, die noch übrig waren, dachte er wohl nochhinzustümpern, und wenn nur noch der Sarg ehrlich bezahltwerden konnte, mochte man ihn hintun, wo seine Väterschliefen. Jedoch das Geschick meinte es besser mit ihm. Soklang- und trostlos sollte sein Leben nicht enden.

Das Jahr 1806 war herangekommen. Joachim Nettelbeck, demfeurigen Patrioten, der die alten Zeiten und des großen FriedrichsTaten noch im Sinn hatte, blutete gleich so vielen das Herz beider Zeitung von den entsetzlichen Tagen bei Jena und Auerstädtund ihren Folgen. Er hätte kein Preuße und abtrünnig von Königund Vaterland sein müssen, wenn ihm jetzt, wo alleUnglückswellen über sie zusammenschlugen, nicht so zu Sinngewesen wäre, als müßte er Gut und Blut und die letzte Kraftseines Lebens für sie aufbieten. So lautet sein eigenesGeständnis; nicht mit Reden und Schreiben, dachte er, aber mitder Tat sei hier zu helfen; jeder auf seinem Posten, ohne sich erstlange, feig und klug, vor- und rückwärts umzusehen.

Als nun Magdeburg und Stettin gefallen waren und dieungestüme französische Windsbraut sich immer näher unddrohender gegen die Weichsel heranzog, da ließ sich'svoraussehen, daß bald genug auch die Feste Kolberg an dieReihe kommen mochte, und wirklich erschien im November einfranzösischer Offizier als Parlamentär in der Stadt und fordertedie Übergabe. Diese wurde zwar verweigert, allein mit allem,was zu einer rechtschaffenen Verteidigung gehörte, sah estrübselig aus. Wall und Graben waren verfallen, von Palisaden

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 192

Page 193: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

keine Spur. Nur drei Kanonen standen in einer Bastion aufLafetten und dienten bloß zu Lärmschüssen, wenn Ausreißer vonder Besatzung verfolgt werden sollten; alles übrige Geschütz lagam Boden, hoch von Gras überwachsen, und die dazu gehörigenLafetten vermoderten in den Remisen. Die Besatzung war geringan Zahl, entmutigt durch die Unglücksbotschaften, und derKommandant, Oberst von Loucadou, ein alter abgestumpfterMann, der seit dem bayrischen Erbfolgekrieg den Ruf einestüchtigen Offiziers genoß und dessen Geist so blind an altemHerkommen hing, daß er sich in der neuen Zeit und Welt nichtmehr zurechtfinden konnte. Während alles, was Militär hieß, denträgen Schlummer mit ihm zu teilen schien, fühlte sich die ganzeBürgerschaft von der lebhaftesten Unruhe und Besorgnisergriffen, und Nettelbeck wurde als einer der ältesten Bürgerausgewählt, sich mit dem Kommandanten über die Maßregelnzur Verteidigung zu verständigen. Dem Obersten erschien diesanmaßend, und er wußte nicht oder wollte es nicht wissen, daßvon ältester Zeit her die Bürger von Kolberg sich als dienatürlichen und gesetzlich berufenen Verteidiger ihrer Wälle undMauern betrachteten. Vormals hatte jeder seinen Bürgereid mitOber- und Untergewehr geschworen, hatte geschworen, daßdiese Armatur ihm eigen angehöre, geschworen, daß er dieFestung verteidigen helfen wolle mit Gut und Blut. DieBürgerschaft war in fünf Kompanien eingeteilt, mit einemBürgermajor an der Spitze, und wo es im Ernst gegolten, hatteder Kommandant sie nach seiner Einsicht gebraucht undwesentlichen Nutzen von ihrem Dienst gezogen. Nettelbeckeröffnete dem Obersten, daß die Bürger mit Gott entschlossen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 193

Page 194: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

seien, in diesen bedenklichen Zeitläuften mit dem Militär gleicheLast und Gefahr zu bestehen, daß sie sich in ein Bataillon mitvollständiger Rüstung organisieren wollten und bäten, sich vorihm aufstellen zu dürfen, damit er Musterung halte und jedemseinen Posten anweise, sie würden ihre Schuldigkeit tun. Als dieBürgerschaft sich versammelt hatte, kam der alte Oberst undsagte: »Macht dem Spiel ein Ende, ihr guten Leutchen! Geht inGottes Namen nach Hause. Was soll mir's helfen, daß ich euchsehe?« Und da Nettelbeck neuerdings Vorstellungen machte undsich und seine Leute zu den nötigen Arbeiten anbot, erwiderteder Kommandant mit einem höhnischen Lachen: »DieBürgerschaft und immer wieder die Bürgerschaft! Ich brauchedie Bürgerschaft nicht.«

Eine solche Geringschätzung erregte Murren und Unwillen, aberNettelbeck ließ sich nicht abhalten, zu tun, was ihm Pflichtschien. Er machte den Oberst darauf aufmerksam, welch guteDienste in früheren Belagerungen eine Schanze auf dem hohenBerg, eine Viertelmeile außerhalb der Stadt, geleistet hatte, under und seine Freunde seien bereit, die Schanzewiederherzustellen. Der Oberst antwortete, was außerhalb derStadt geschähe, kümmere ihn nicht, die Festung innerhalb werdeer schon zu verteidigen wissen. Und so baute Nettelbeck dieSchanze, und es halfen ihm die Bürger, ihre Gesellen, ihreLehrjungen und Dienstmägde; als die Arbeit noch immer zulangsam vonstatten ging, warb er Leute am Hafen und bezahltesie aus seiner Tasche. Er sorgte für die Anschaffung vonLebensmittelvorräten und nahm bei Bäckern, Bauern und

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 194

Page 195: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Branntweinbrennern ein Verzeichnis der Bestände auf. Er ging indie umliegenden Dörfer und sah nach, was an Korn undSchlachtvieh vorhanden war. Mit all seinen Papieren ging er nunzum Kommandanten, um ihn zu bewegen, daß er die Vorräte indie Stadt schaffen lasse. Der Oberst aber, als hätte die Pest anden Papieren geklebt, drückte sie ihm eilig wieder in die Handund sagte, er brauche den Plunder nicht und damit Gott befohlen.

Der Oberst hatte auch eine alte Köchin, und die war jedesmalzugegen, wenn Nettelbeck kam, und gab ihren Senf mit drein.Auch dieses Mal schimpfte und maulte sie, bis Nettelbeck dieGalle überlief und er dem unverschämten Weibsbild dieMeinung sagte, wodurch er aber den Obersten nur noch mehrgegen sich in Zorn setzte.

Um den Magistrat und seine Anstalten stand es auch kläglich, derUntergang der Stadt schien nicht aufzuhalten, und so entschloßsich Nettelbeck, der winterlichen Jahreszeit zum Trotz, denKönig selbst in Königsberg oder in Memel aufzusuchen und ihmKolbergs Lage und Not vorzustellen. Da traf aber der KriegsratWissening von Treptow in Kolberg ein, ein Mann, der Kopf undHerz auf dem rechten Fleck hatte. Der machte sich gegenNettelbeck erbötig, selber zum König zu gehen und seinmöglichstes zu tun, um den Platz zu retten. Unter den von denTruppen Versprengten, die täglich in Kolberg Zuflucht suchten,befand sich auch der Leutnant von Schill; Nettelbeck gewann ihnbald zum Freund, und der junge Offizier erklärte sich bereit, inKolberg zu bleiben, um bei der Verteidigung zu helfen. Er

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 195

Page 196: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

stimmte mit Nettelbeck darin überein, daß vor allem die Maikule,der Schlüssel zum Hafen, um jeden Preis festgehalten werdenmüsse, und doch war zur Verschanzung dieses entscheidendenPunktes bis jetzt noch keine Schaufel in Bewegung gesetztworden. Es waren keine Hände da, um auch nur einigeErdaufwürfe zustande zu bringen, und Nettelbeck triebunermüdlich in der Geldervorstadt und in allen umliegendenOrtschaften Tagelöhner und Häusler zusammen, versprach undzahlte guten Lohn und verwandte gegen vierhundert Taler ausseiner Tasche. Tag und Nacht arbeiteten etwa sechzig Menschennach dem von Schill entworfenen Plan an den Befestigungen;weder der Kommandant noch sonst jemand fragte und kümmertesich, was da geschafft wurde. Indessen war der KriegsratWissening mit ausgedehnten Vollmachten vom Königzurückgekehrt. Seine Hilfe brachte neues Leben in dieVerwaltung; ganze Herden Schlachtvieh, lange ReihenGetreidewagen zogen zu den Toren ein, und Heu und Stroh imÜberfluß füllte die Futtermagazine. In der Stadt wurdegeschlachtet und eingesalzen und die Böden der Bürgerhäusermit Korn beschüttet.

Um die Mitte März hatten die Franzosen die Umzingelung derFestung beendet. Die Schanze auf dem hohen Berg ging unterblutigen Kämpfen verloren, auch die Anhöhen der Altstadt warenbesetzt. Es war nun dringend geboten, die Überschwemmung desGeländes rings um die Festung zu bewirken, eine Absicht, dieauf den hartnäckigen Widerstand der Grundeigentümer stieß.Auch der Kommandant wollte nichts davon wissen, bei der

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 196

Page 197: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

darüber geführten Unterredung mischte sich wieder die Köchinin ihrer gewohnten Weise ein. Nettelbeck schob sie ohne vielFederlesens zur Türe hinaus, der Oberst geriet in Hitze, griffnach seinem Degen und würde ihn gegen Nettelbeck gezogenhaben, wenn ihm nicht dessen Begleiter, der Hauptmann vonWaldenfels, mit den Worten in den Arm gefallen wäre:»Beruhigen Sie sich, Nettelbeck hat recht getan.«

Die Franzosen schickten indessen einen Parlamentär, den derOberst in aller Freundlichkeit empfing und mit dem er hinterverschlossener Tür verhandelte. Nettelbeck argwöhnte Verrat,und in der Fülle seines beklommenen Herzens schrieb er an denKönig: Wenn Euere Majestät uns nicht bald einen andern undbraven Kommandanten zuschicken, sind wir unglücklich undverloren.

Die Belagerer schritten zum Angriff, die Geldervorstadt geriet inGefahr, Loucadou erteilte den Befehl, sie niederzubrennen, aberSchill stellte ihm das Unnützliche und Übereilte dieser Maßregelmit solchem Gewicht vor, daß er nachzugeben gezwungen war;dadurch konnten Hunderte von Menschen die beweglichenTrümmer ihres Besitzes in Sicherheit bringen, und erst als diesgeschehen war, fand die Zerstörung statt. Der Kommandant aberbezichtigte Schill der Insubordination und ließ ihn in Arrestsetzen. Soldaten und Bürger vernahmen mit Unwillen, was ihremLiebling geschehen war. Es entstand ein Gemurmel, ein Reden,Fragen und Durcheinanderlaufen, das mit jeder Minute lauterund stürmischer wurde. Man wollte Schill mit Gewalt befreien

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 197

Page 198: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

und den Kommandanten zur Rechenschaft ziehen. Nettelbeck,lebhaft bestürzt und das Unselige dieser Volksbewegungerkennend, warf sich unter die Menge, bat sie, Vernunftanzunehmen und vor allen Dingen Schills eigene Meinung zuhören. Dies ward angenommen, und Nettelbeck ging zu Schill.Als der vernahm, wie die Sachen standen, erschrak er heftig, undNettelbeck an beiden Händen ergreifend, rief er: »Freund, ichbitte Sie um alles, stellen Sie die guten Menschen zufrieden.Aufruhr wäre das letzte und größte Unglück, das uns begegnenkönnte. Sagen Sie ihnen, ich sei nicht arretiert, ich sei krank,sagen Sie, was Sie wollen, wenn sich nur die Leute zur Ruhegeben.« Nettelbeck begab sich wieder auf den Markt, hielt eineAnsprache, die Leute kamen zur Besinnung und gingen friedlichauseinander. Schills Arrest blieb ein leeres Wort, dasstillschweigend zurückgenommen wurde.

Die feindlichen Granaten schlugen in die Stadt, und der Oberstbefahl, daß die Dächer mit Dünger belegt und das Pflasteraufgerissen werden sollte, um die Geschosse unschädlicher zumachen. Nettelbeck äußerte Zweifel über das Förderliche diesesBefehls; da die Dächer eine Neigung von mehr alsfünfundvierzig Grad besaßen, meinte er, der Dünger werde wohlnicht haften bleiben, auch würden die Bomben vor den sobedeckten Dächern nicht sonderlich viel Respekt zeigen; dasAufreißen des Pflasters sei aber bei den engen Gassen sogargefährlich, weil dann bei entstandener Feuersgefahr wederSpritzen noch Wasserkufen einen Weg durch die Steinhaufenund den umgewühlten Boden finden würden. Während des

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 198

Page 199: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Gesprächs fuhr in der Nähe eine Bombe nieder und zersprang.Der Oberst sah sich mit etwas verwirrten Blicken um undstotterte: »Meine Herren, wenn das so fort geht, so werden wirmüssen doch noch zu Kreuze kriechen.« Mehr konnte er nichthervorbringen. Nettelbeck, alle Selbstbeherrschung verlierend,fuhr auf und schrie: »Halt! Der erste, wer er auch sei, der dasverdammte Wort wieder ausspricht, von zu Kreuze kriechen,stirbt des Todes von meiner Hand.« Dabei riß er den Degen ausder Scheide, sein Nebenmann faßte ihn von hinten und zog ihnvon Loucadou zurück. »Arretieren,« knirschte der Oberst mitschäumendem Mund, »gleich arretieren! In Ketten und Banden.«Alles drängte sich um den Oberst zusammen; NettelbecksFreunde schoben ihn zurück, und er ging, wenig zufrieden mitsich selbst und seinem Zorneifer, still nach Hause. Nachmittagsberief der Kommandant den Landrat zu sich und teilte ihm mit,er werde Nettelbeck vor ein Kriegsgericht stellen und auf demGlacis der Festung erschießen lassen. Der Landrat erschrak,machte eindringliche Vorstellungen, jedoch der Oberst beharrteauf seinem Sinn. Als die Bürger vernahmen, was im Werke war,geriet alles in die größte Bewegung, alles ergriff NettelbecksPartei; der Haufen sammelte sich und ward mit jeder Minutegrößer, wälzte sich zu Loucadous Wohnung, umringte ihn, unddie Wortführer bestürmten ihn so lange im guten und im bösen,bis sie seine Entrüstung einigermaßen milderten oder vielleichtihn ahnen ließen, daß er kein so leichtes Spiel haben werde.»Gut, gut,« sagte er endlich, »so mag der alte Bursche diesmallaufen. Hüt er sich nur, daß ich ihn nicht wieder fasse.«Nettelbeck hatte von seinem Fenster aus den Auflauf des Volkes

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 199

Page 200: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

bemerkt, hatte aber kein Arg, daß es ihn so nahe angehen könne.Erst andern Tags erfuhr er, wie schlimm es auf ihn und seinLeben gemünzt gewesen.

Die Belagerung nahm ihren Fortgang, und Not und Elend stiegenvon Woche zu Woche. Es war am 1. Juli, als die Franzosenendlich letzten Ernst zu machen schienen. In den Morgenstundeneröffneten sie ein furchtbares Bombardement auf die Stadt. Baldgab es nirgends ein Plätzchen mehr, wo die zagende Menge vordem drohenden Verderben sich hätte bergen können. Überallzerschmetterte Gewölbe, einstürzende Böden, krachende Wändeund aufwirbelnde Säulen von Dampf und Feuer; überall dieGassen wimmelnd von ratlos umherirrenden Flüchtlingen, die ihrEigentum preisgegeben hatten und unter dem Gezisch derkreisenden Feuerbälle sich verfolgt sahen von Tod undVerstümmelung. Geschrei von Wehklagenden, Geschrei vonSäuglingen und Kindern, Geschrei von Verirrten, die ihreAngehörigen verloren hatten, Geschrei der Menschen, die mitdem Löschen der Flammen beschäftigt waren, Lärm derTrommeln, Rasseln der Fuhrwerke, Geklirr der Waffen, es warherz- und ohrenzerreißend. Im Laufe des Tages erstürmten dieFranzosen die Maikule, und mit dem Verlust dieses wichtigenPunktes war die Verteidigung gelähmt, und das Münderfort warnun zur Beschützung des Hafens nicht mehr ausreichend, wassich zeigte, als das englische Schiff, das den Belagerten zu Hilfegekommen war, beim Vordringen der Franzosen die Ankertauekappte, um wieder das offene Meer zu gewinnen.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 200

Page 201: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Zu spät hatte der König Unterstützungsmannschaften geschickt,zu spät den unfähigen Kommandanten durch den Major vonGneisenau ersetzt; es schien, daß die Stadt nicht mehr zu rettenwar. Inmitten der ringsum drohenden Gefahr erzeugte sichallmählich eine Gleichgültigkeit bei vielen, die nichts mehr zuHerzen nahmen. War auch nicht der Mut, so war doch die Naturerschöpft; Anstrengung, Schlaflosigkeit, immerwährendeSpannung des Gemüts und Sorgen für Weib und Kind undEigentum fielen auf die meisten mit einem solchen Gewichte,daß sie sich in den Trümmern ihrer Wohnungen ein noch irgenderhaltenes Plätzchen ersahen, um den bis in den Tod ermattetenGliedern einige Ruhe zu gönnen.

Da geschah es, daß eine Bombe, verderblicher als alle andern, indas Rathaus fuhr, und ein hell aufflackerndes Feuer war dieFolge ihres Zerspringens. Als naher Nachbar sprang Nettelbeckhin, um schnelle Anstalten zur Brandlöschung zu betreiben, aberringsum regte sich keine menschliche Seele. Er lief zuBekannten, braven und wackeren Männern, um sie zur Hilfeaufzurufen, doch schlaftrunken und ohne Gefühl beachteten siesein Bitten und Ermuntern ebensowenig, wie sein Toben undSchelten. In steigender Angst rannte er auf die Brandstättezurück und packte jeden an, der ihm begegnete. Einvierschrötiger Kerl, dem er einen gefüllten Löscheimeraufdrängte, nahm ihn und schlug das Gefäß mit seinem nichteben sauberen Inhalt Nettelbeck geradezu um die Ohren, so daßer fast die Besinnung verlor und von Schmutz und Ruß bedeckteine jämmerliche Figur machte. Ohne sich darum zu kümmern

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 201

Page 202: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

eilte er in das nächste Wachhaus auf dem Walle und stürmte wildin das halbdunkle Wachzimmer. Auf der hölzernen Pritsche regtesich eine Gestalt. »Bester Mann, zu Hilfe, das Rathaus steht inFlammen!« schrie Nettelbeck. Der Offizier erhob sich, schlug dieHände zusammen und rief aus: »Ach, du armer Nettelbeck!«Jetzt erst erkannte ihn Nettelbeck; es war Gneisenau. Nun wurdedie Lärmtrommel gerührt, die Soldaten erschienen, Patrouillendurchzogen die Stadt, und die Löschanstalten kamen inBewegung. Zu gleicher Zeit hatten die Gefangenen im Stockhausdie allgemeine Verwirrung benutzt, um auszubrechen, und hattenin den Häusern zu plündern begonnen; auch Nettelbecks Hauswurde von diesem Schicksal betroffen. Durch den tätigen Eiferdes Militärs wurde die Rotte wieder eingefangen undunschädlich gemacht.

So besonnen, wo es zu handeln galt, so allgegenwärtiggleichsam, wo eine Gefahr nahte, und so beharrlich, wo nur dieunabgespannte Kraft zum Ziele führen konnte, hatte sich derKommandant Gneisenau immer und überall seit dem erstenAugenblick seines Auftretens erwiesen. Wochen hindurch war erso wenig in ein Bett als aus den Kleidern gekommen. Vater undFreund des Soldaten wie des Bürgers, hielt er beider Herzendurch den milden Ernst seines Wesens und durch teilnehmendeFreundlichkeit gefesselt. Jeder seiner Anordnungen folgte dasunbedingteste Zutrauen.

Der Morgen des 2. Juli brach an. Not und Elend, Jammergeschreiund Auftritte der blutigsten Art, einstürzende Gebäude und

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 202

Page 203: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

prasselnde Flammen, das war das einzige, was bei jedem Schrittden entsetzten Sinnen sich darstellte. Gneisenaus scharfes Augehatte mitten im gräßlichsten Tumult erkannt, daß der FeindVorbereitungen traf, sich von der Wolfsschanze aus über dasMünderfort herzustürzen. Es war drei Uhr nachmittags.Gegenanstalten wurden getroffen, Befehle flogen, alles war inder lebendigsten Spannung, plötzlich schwieg das feindlicheGeschütz auf allen Batterien. Auf das Krachen eines Donners wieam Tage des Weltgerichts folgte eine lange, öde Stille. JederAtem stockte, niemand begriff den schnellen Wechsel, dasschauerliche Erstarren so gewaltiger losgelassener Kräfte. Danahte ein feindlicher Parlamentär, neben ihm ein preußischerOffizier, und alsbald stürzte dieser mit den atemloshervorgestoßenen Worten in den Kreis seiner Bekannten:»Friede! Kolberg ist gerettet.«

* * * * *

Als im Jahre 1809 der König von Memel nach Berlinzurückkehrte, hieß es zuerst, er werde seinen Weg über Kolbergnehmen; aber die Strenge der Jahreszeit gebot die kürzesteRichtung, und da es bekannt wurde, daß das königliche Paareinen Rasttag in Stargard machen wollte, schlug Nettelbeck denKolbergern vor, eine Abordnung der Bürgerschaft dorthin zusenden. Alles war seiner Meinung, aber alles glaubte auch, daßes dafür zu spät sei, denn um rechtzeitig an Ort und Stelle zukommen hätte man sich noch den nämlichen Abend auf den Wegmachen müssen. »Und warum nicht schon in der nämlichen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 203

Page 204: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Stunde?« fragte Nettelbeck. »Ich bin dazu bereit, aber ich bedarfnoch eines Gefährten. Wer begleitet mich?« Schweigen undKopfschütteln ringsherum, und schon wollte der Alte im feurigenUnmut auflodern, als ihm der Kaufmann Gölckel die Handreichte, sich ihm zum Gefährten erbot und in einer Stundereisefertig zu sein versprach. Sie kamen nach Stargard so früh amMorgen, daß sie noch alles in Finsternis und Schlaf begrabenfanden. An einem Haus stiegen sie ab, klopften an undverlangten Herberge. Die Antwort lautete, alles sei dicht besetztund kein Unterkommen mehr möglich. »Aber liebe Leute, denalten Nettelbeck werdet ihr doch nicht auf der Straße stehenlassen!« »Nein, wahrhaftig nicht,« scholl eine weibliche Stimmedagegen, »tausendmal willkommen! Da muß sich schon einWinkelchen finden.«

Im königlichen Quartier wurde Nettelbeck von einem Generalerkannt und in das Empfangszimmer geführt. Der große Raumwar voll von Offizieren, Damen und Standespersonen. Allesblitzte von Ordenszeichen, und es gab eine feierliche Stille, alsder König und die Königin eintraten.

Vor Nettelbeck und seinem Begleiter stehend, sagte der Königgegen die glänzende Versammlung hin mit bewegter Stimme:»Wenn jeder so seine Pflicht getan hätte wie die Kolberger, dannwäre es uns nicht so unglücklich ergangen.«

Nach einiger Wechselrede brach aus des alten NettelbecksMunde das glühende Wort: »Verflucht sei, wer seinem König

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 204

Page 205: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

und Vaterland nicht treu ist.« Und dann: »Wir hoffen, EureMajestät werden uns nicht sinken lassen.« Der König antworteteund streckte Nettelbeck die Hand entgegen: »Nein, nicht sinkenlassen, nicht sinken lasse ich euch.«

Diese Stunde war vielleicht die schönste in Nettelbecks Leben,und keine empfand er dankbarer als Lohn für alle Opfer undMühen. Er begann nun seine Hantierung wieder und fand auchein notdürftiges Auskommen. Doch fiel es ihm immer schwereraufs Herz, daß er so abgesondert und verlassen dastand. Er warnun fünfundsiebzig Jahre alt und sorgte sich doch noch um dieZukunft. Zuerst lachend, dann in wohlgemeintem Ernst rietenihm seine Freunde, es noch einmal mit dem Ehestand zuversuchen, und nach vielem Bedenken und Zögern folgte erihrem Rat und heiratete eine uckermärkische Pfarrerstochter, anderen Seite er noch ein spätes Glück fand und die ihm sogar imnächsten Jahr eine Tochter schenkte.

Sein rastloser Geist konnte nicht ruhen. Am Abend seinesLebens beschäftigte ihn noch ein Projekt, das er schon Jahrzehntezuvor gehegt, der Lieblingswunsch, Preußen auch jenseits derWeltmeere groß, geachtet und blühend zu sehen. Er verfaßte eineDenkschrift, worin er den Lenkern des Staats den Vorteilauseinandersetzte, der mit dem Erwerb von Kolonien verbundenwar, ja, er machte sich trotz seiner sechsundsiebzig Jahre erbötig,das erste preußische Schiff, das solchem Zweck dienen würde,selbst zu führen. Aber wie leicht zu denken, erweckte seinVorschlag zu jener Zeit keine ernstliche Beachtung.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 205

Page 206: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Im Jahre 1824, sechsundachtzig Jahre alt, endete der wunderbareMann sein reiches Leben.

Christian Holzwart

Am 29. Dezember 1845, in der Morgenfrühe, kam ein Mann vonder Sudenburg, einer Vorstadt Magdeburgs außerhalb derRingmauern, und passierte in Eile durch das eben geöffnete Tor.Er war sonderbar anzusehen; ein Schlafrock hing über seinemKörper, er war ohne Stiefel, ohne Strümpfe, ohneKopfbedeckung, und Haar und Bart waren von Flammenversengt. Seine Schritte waren ungleich und zeugten von großerErmattung. Bei einem Hause an der Johanniskirche, wo derWundarzt Koch wohnte, machte er endlich halt und zog hastigdie Klingel. Die Straßen waren noch leer, die Leute schliefennoch, und erst auf sein wiederholtes Klingeln wurde ihm das Toraufgemacht. Er taumelte in das Wohnzimmer und fielohnmächtig auf das Sofa nieder. Der Chirurgus Koch und seineFrau, die ihm beide erschrocken entgegengetreten waren, fragtengleichzeitig, was geschehen sei und von wo er in einem solchenAufzug herkomme. Der Wundarzt nahm das Licht vom Tisch,beleuchtete ihn und sah, daß nicht nur sein sonst wohlgepflegterBart verkohlt war, sondern daß auch seine Hände blutig waren.»Um Gottes willen, Holzwart, was ist geschehen?« fragte erentsetzt, doch der Mann stammelte nur verworrene Antworten,sprach von Flammen und daß seine Familie, die Frau und seinefünf Kinder wohl erstickt seien. Der Wundarzt schickte seinen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 206

Page 207: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Sohn und den Lehrer Zimmermann sofort nach der Sudenburghinaus, und sie kamen mit der Unglücksbotschaft zurück, daßman dorten sechs Leichen aus dem Schutt des niedergebranntenHauses geschafft habe. Es war auch schon eine amtliche Anzeigeeingegangen, und die Kriminaldeputation fand sich bei demWundarzt Koch ein, um von Holzwart Auskunft über diefurchtbare Katastrophe zu erhalten.

Sie trafen Holzwart krank und hinfällig durch den erlittenenBlutverlust, aber doch imstande, ihren Fragen Genüge zu leisten.Er erzählte, daß ihm in der Nacht ein Mensch in seinenVerkaufsladen eingetreten sei und ihm zwei Stiche in die Brustversetzt habe; er sei mit dem Menschen ins Ringen gekommen,habe ihn verfolgt, habe neue Stiche erhalten, sei dann umgekehrtund habe sein Haus in Flammen stehend gefunden. Er seizurückgewichen und fast ohne Besinnung in die Stadt gelaufen,und da sei er vor dem Kochschen Hause angelangt.

Das alles klang weniger wie Lüge, als wie dieunzusammenhängenden Reden eines Fiebernden. DieKleidungsstücke, die Holzwart am Leibe hatte, waren nichtdurchstochen, und die Schnitte am Hals sprachen eher für einenSelbstmordversuch als für Verwundungen von fremder Hand.Das Haus war nicht nieder-, sondern ausgebrannt; Türen undFenster boten den Anblick einer gewaltsamen Zerstörung. Dieverkohlten und verstümmelten Leichname der Frau, des Sohnesund der vier Töchter wurden in dem Zimmer neben dem Ladengefunden, und es erwies sich bald, daß an ihnen ein zwiefaches

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 207

Page 208: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Verbrechen begangen worden war. Die Körper zeigten deutlicheSpuren der Ermordung; ihr Blut färbte die Dielen der Zimmer,tränkte die Polster des Sofas, hing in schweren Tropfen nochungetrocknet an den Stühlen, hatte die Geschenke desChristabends, die Spielereien der unschuldigen Kleinenüberspritzt.

Sollte also der Vater dieser schönen, gesunden undwohlgeratenen Kinder ihr Mörder sein? Aus welchem Grund?Aus Haß? Aus Habsucht? Aus Not? Hätte er sie gehaßt, so wärees ja leichter gewesen, sich von ihnen zu entfernen. Die Welt istgroß, und es hat schon mancher die ihm lästig gewordenenFamilienbande abgeschüttelt, seine Kinder der Willkür desGeschicks preisgegeben und mit leichtsinnigem Mut in derFremde Vergessenheit seiner Pflichten gesucht. Auch waren dieKinder schon über die Hilflosigkeit der ersten Jugend hinaus; dieälteste Tochter war sechzehn, die zweite vierzehn, die drittezehn, der Sohn neun Jahre, und nur das jüngste Kind, einMädchen im Alter von vier Jahren, stand in der ersten, ganzhilfsbedürftigen Jugend. Das Gerücht, daß die Kinder hättenerben sollen, erwies sich als falsch. Sie waren arm, hatten nieetwas besessen und auch keine Hoffnung auf Besitz. Daß sich dieFamilie in Not befand, war gewiß. Man wußte, daß HolzwartsVerhältnisse von Jahr zu Jahr zurückgegangen seien, ja daß erein vollständig ruinierter Mann und sozusagen am Ende seinerBahn angekommen war. Dies konnte aber keinen ausreichendenAnlaß bilden, fünf Kinder und eine Frau zu ermorden und zuverbrennen. Schon nach den ersten Tagen nannte man ihn

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 208

Page 209: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Mörder und Mordbrenner, und daß er selbst tödlich verwundetim Gefängnisse lag und nach den Berichten der Ärzte einemVerhör noch nicht ausgesetzt werden durfte, glaubte niemand.Woher sollten ihm die Wunden gekommen sein? Sie hätten ihnin ein tragisches Licht gestellt, und man wollte von ihm nur alsvon einem verworfenen Mörder wissen. Was er gelitten und nochzu leiden hatte, darum kümmerte sich kein Mensch. Aber der Tagkam, wo viele in sich gingen.

Am Morgen des sechsten Tages begab sich derUntersuchungsrichter zu ihm ins Gefängnis. Der Arzt hatteseinen Zustand soweit gebessert gefunden, daß eine schonendeVernehmung möglich war. Doch lag er noch im Bette, seinÄußeres zeigte große Erschöpfung. Nachdem ihn der Richter miteinigen Fragen über sein körperliches Befinden hingeleitet hatte,erkundigte er sich, ob er sich zu erinnern vermöge, was fürAussagen er am Morgen seiner Verhaftung gemacht. OhneZögern bejahte Holzwart, fügte aber sogleich hinzu, daß manihm noch einige Tage Zeit gönnen möge, dann würde er sichvollständig über die ganze Begebenheit aussprechen. Der Richterwendete ein, es wäre besser, wenn er sich sogleich ausspräche,namentlich wenn er etwas auf dem Herzen hätte, und machte ihmbemerklich, daß er in seinem Richter nicht den kalten Menschensuchen solle, der mit Nichtachtung auf den Gesunkenenherabblicke, sondern einen Teilnehmenden, der mitschmerzlichem Gefühl die Herzen der Verbrecher auszuforschenbeflissen sei. Ganz ruhig richtete er daran die einfache Frage:»Haben Sie sich vergangen?« Holzwart richtete sich von seinem

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 209

Page 210: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Lager auf, stützte sich auf den rechten Arm und sah den Richterstumm an. »Sind Sie schuldig?« setzte der Richter hastig hinzu.Holzwart legte sich zurück, sein Auge ruhte fest auf dem Gesichtdes Richters, und eine tiefe Bewegung malte sich in seinenMienen, als er antwortete: »Ja, ich bin schuldig.«

Mit dieser Erklärung mußte sich der Richter vorerst begnügen,wenn er das Leben des Gefangenen nicht in Gefahr bringenwollte, und erst nach mehreren Tagen schritt er zu einereindringlicheren Forschung. Holzwart zeigte von der Stunde abein unbedingtes Vertrauen zu seinem Richter, und seineAussagen stimmten so völlig mit allen Ermittlungen überein, daßman seine Wahrhaftigkeit nirgends in Zweifel ziehen konnte.

»Ja, ich bin schuldig,« sagte er mit festem und ruhigem Ton; »esist aber mein Verbrechen nicht das Werk eines augenblicklichenEinfalls. Jahrelang hatte ich erfahren müssen, daß einUnglücksstern über mir und meiner Familie war. DieseÜberzeugung hat mich geleitet, als ich die Hand gegen dieMeinen erhob. Kein andrer Grund als die Liebe hätte michveranlassen können, eine so schreckliche Tat zu begehen. DieLiebe gab mir die Kraft, sie alle, die nach meiner Einsicht baldhilflos und erniedrigt dastehen würden, auf die schnellste undschmerzloseste Weise aus der Welt zu schaffen. Sie habenunbewußt und froh die letzten Minuten ihres Daseins herannahensehen. Ich begann die Tat mit meiner Frau und endete sie mitmeiner jüngsten Tochter.« Bei dieser Erklärung durchzuckte einfurchtbarer Krampf den unglücklichen Mann, er preßte die

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 210

Page 211: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Augen zu und war unfähig, seine innerliche Erregung mit derKraft zu bewältigen, die er bis dahin gezeigt hatte. Erst amnächsten Tage konnte man das Verhör fortsetzen.

»Ich bin an Entbehrungen gewöhnt,« sagte er, »aber zurNiedrigkeit bin ich nie hinabgesunken, habe mich nach meinerDenkungsweise immer fern von Gemeinem gehalten, und da eszuletzt mit mir so schlecht stand, daß nur Wohltaten undAlmosen mir und meiner Familie das Dasein fristen konnten, sahich keinen anderen Ausweg. Wenn mir auch nur der entferntesteHoffnungsstrahl geleuchtet hätte, würde ich nicht die Kraft zuder Tat gefunden haben. Mit dem ersten Januar trat der Zeitpunktein, wo wir als Bettler vor der Welt dastanden; der Entschluß,den ich schon lange in mir trug, mußte also vor dem erstenJanuar ausgeführt werden. Je näher mir die schauerlicheNotwendigkeit trat, desto mutloser wurde ich, bis endlich beimAnblick des letzten Talers, den ich vor mir liegen sah, die Gewaltder Not entschied. Jetzt mußte ich.«

Dieser letzte Taler, von dem er sprach, war in dem Schutt derverbrannten Wohnung wirklich gefunden worden. Er wargeschwärzt und als Münze kaum zu erkennen.

Der Richter wendete ein, daß er doch willens gewesen sei, nachMagdeburg zu ziehen und sogar schon ein Quartier fürhundertdreißig Taler gemietet habe; wie das mit seinem Vorsatz,die Seinen durch Mord gegen Not zu schützen, zu vereinen sei.Er antwortete, dies sei nur zur Beruhigung seiner Frau

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 211

Page 212: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

geschehen; er habe nie geglaubt und nie die Absicht gehabt, dasQuartier wirklich zu beziehen. »Meine Existenzmittel warenverbraucht, ich sollte bedeutende Zahlungen leisten, und es lagennur noch drei Tage vor mir, der Sonntag, der Montag, und derDienstag. Mein Entschluß schwankte schon seit demWeihnachtsfeste; von einem Tag zum anderen schob ich dieAusführung hinaus. Ich hatte schon überlegt, ob ich nicht alleinaus der Welt gehen sollte; mir war dann wohl nach demfürchterlichen Kampf, aber ihnen? Ich sah sie in der Armut, derGemeinheit und dem Laster verfallen. Nein, zusammen aus derWelt, zusammen in den Frieden. Am Sonntag erhob sich derGedanke in mir in seiner ganzen Stärke. Um neun Uhr machteich den Verkaufsladen zu. Meine Familie hielt sich gewöhnlichin dem Zimmer hinter dem Laden auf, ich hatte meine Wohnungdaneben. Ich ging aus meiner Kammer durch den Laden und riefmeine Frau. Sie folgte mir in mein Zimmer, und dort gab ich ihreinen Brief meines Bruders zu lesen. Sie saß mit dem Rückengegen mich gewendet, ich ergriff die Axt, die ich mirbereitgestellt hatte, und schlug ihr den Schädel und die Schläfenein. Sie war augenblicklich tot und hatte auch nicht die leisesteAhnung ihres nahen Endes gehabt. Ich legte die Leiche auf meinSofa, wo schon mein Bett gerichtet war, doch so, daß es denKindern nicht auffallen konnte. Dann ging ich wieder hinüberund holte meine älteste Tochter. Unter dem Vorwand, daß ich ihretwas diktieren müsse, was sie mir aus der Apotheke holensollte, gebot ich ihr, sich auf denselben Stuhl zu setzen, auf demihre Mutter gesessen war. Ich diktierte ihr, ich weiß nicht obKremortartari oder sonst so etwas; in dem Augenblick, wo sie

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 212

Page 213: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

sich über den Tisch bückte, schlug ich ihr ebenfalls den Schädelein. Sie endete wie ihre Mutter ohne ein Schmerzgefühl. Ich trugdie Leiche über den Flur in die Küche, und zur Sicherheit schnittich mit meinem Rasiermesser die Halsmuskeln durch. Dann riefich die zweite Tochter und tötete sie auf dieselbe Weise, aufdemselben Stuhl, mit demselben Beil. Die übrigen drei Kindererschlug ich in ihrer Schlafkammer, wo sie in ihren Betten lagenund schliefen. Allen schnitt ich die Kehle zur Vorsicht durch,damit sie auf keine Weise noch einen Lebensfunken in sichspüren und Schmerz empfinden sollten. Jetzt war das Werkvollbracht und mir war leicht. Nur ich fehlte noch, nur ich undalles war gut.«

Er erzählte nun, wie er die Betten angezündet, sich danebenhingesetzt und seinen Hals durchschnitten habe. Aber er starbnicht, er atmete weiter. Sein Arm erschien ihm plötzlich wiegelähmt und zurückgehalten. An Mut und Entschlossenheit habees ihm nie gefehlt; hatte er bis dahin Kraft bewiesen, so mußte esihm doch auch gelingen, sein eigenes Leben zu zerstören. Erversetzte sich noch zwei Stiche in die Brust; es war umsonst.Sein Blut floß, aber das Leben fühlte er nicht schwinden. Vondiesem Moment trat ein Zustand bei ihm ein, über den er keineRechenschaft geben konnte. Er wußte nicht, wie lange er bei denLeichen gewesen, der Qualm, der sich verbreitete, trieb ihnschließlich auf und hinaus. Es war ihm, als fliehe ihn der Tod, alsmüsse er den Tod verfolgen. Du stirbst nicht, rief es in ihm, dukannst nicht sterben. Er lief fort, weg- und steglos, irrte langedurch einen Garten und kam endlich an das Haus des Wundarztes

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 213

Page 214: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Koch.

Der Richter fragte: »Was erwarten Sie denn nach einer solchenTat?« Holzwart schaute mit einem heiteren Blick empor undantwortete ohne Zaudern: »Den Tod erwarte ich. Mit Freudenerwarte ich ihn, ich wollte ihn mir selbst geben, aber es ist mirleider nicht gelungen.«

Der Richter nennt Holzwart einen ungewöhnlichen Menschen,der sich meist gewählt ausdrückte und bisweilen sogar in eingewisses Pathos verfiel. Er war groß und von stattlichemKörperbau. Sein Gesicht war voll Ruhe, sein Blick frei,sprechend und sanft.

Im Publikum erhoben sich Stimmen, die die Liebe zu denSeinigen in Zweifel stellten. Es wurde gesagt, er habe seineKinder mit großer Strenge behandelt und barbarischeZüchtigungen über sie verhängt. Bei näherer Beleuchtungverschwanden diese Anklagen. Was den Schein von Härte hatte,war Konsequenz gewesen, und es erwies sich auch, daß Holzwartvon den Pflichten eines Vaters ganz andere Begriffe gehabt hatteals mancher ehrbare Bürger. Man erinnerte sich eines Aufsatzes,den er viele Jahre vorher in der Magdeburger Zeitung hattedrucken lassen und worin er die Unerläßlichkeit und heilsameFolge strenger Zucht betont hatte. Darüber waren alle Zeugeneinig, daß es keine artigeren und besseren Kinder gegeben habeals Holzwarts Kinder, insbesondere das jüngste sei ein höchstanmutiges Geschöpf gewesen, der Liebling des Vaters, wurde

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 214

Page 215: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

gesagt. Dies erklärte auch die tiefe und mächtige Bewegung, dieihn durchzittert hatte, als er bekannte: »Das jüngste Kind war dasletzte, das ich tötete.«

Der Fleischer Wothge, der Holzwart oft Beistand in seinemGeschäftsbetrieb gewesen ist, bekundete die bemerkenswerteTatsache, daß Holzwart nicht fähig gewesen sei, ein Schwein zuschlachten. Wenn er dabei behilflich sein sollte, so bebte er vorinnerer Aufregung und Beklemmung. »Er war überhaupt einsonderbarer Mann,« äußerte sich dieser Zeuge; »ich kann michdarüber nicht so ausdrücken, wie ich möchte, aber es scheint mir,als hätte er sich Vorbilder nach Büchern zum Muster aufgestellt.Ich habe ihn von Abd-el-Kadr, von Faust, von Ibrahim Paschamit Lebendigkeit und Begeisterung sprechen hören. Das warenseine Leute. Er meinte immer: Großartig sterben müsse derMensch.«

Und weiter erzählte Wothge: »Im vergangenen Jahre, als dasfürchterliche Gewitter über uns stand, schlachtete ich einesAbends um elf Uhr bei ihm. Mitten unter dem schauerlichenDonner sagte er zu mir: 'Ich wollte, alles wäre hin; was ich auchanfange, das Unglück ist immer hinter mir her.' Es war eineoftmals wiederholte Rede von ihm: 'Man muß nie müssen,sondern nur wollen. Aber alle im Staate müssen, nur einer will,das ist der König.' Ein andermal fragte er mich überGlaubenssachen, und als ich ihm entgegnete, ich glaubte das,was im Katechismus stehe, rief er: 'Dann sind Sie ein Tor!' undging von mir fort. Er war übrigens ein sehr reeller Mann, wußte

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 215

Page 216: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

sich in Respekt zu setzen und führte immer durch, was er sichvorgenommen hatte. 'Bricht's, so bricht's', pflegte er zu sagen.Seine Lieblingsbeschäftigung war das Schachspielen. DreiFreunde aus Magdeburg haben ihn öfters besucht, bloß um mitihm Schach zu spielen. Eines Tages kam er auf sein Elternhauszu sprechen, und da erzählte er mir, daß zwischen ihm undseinem Vater oft wilde Szenen vorgekommen seien. Einmal beieinem Streit habe sein Vater ihm geflucht, und von diesemAugenblick an sei sein Glücksstern untergegangen.«

Holzwarts Bruder erklärte dessen Vermögensverfall ausunglücklichen Konjunkturen und bekräftigte, daß er mitredlichem Willen und unermüdlichem Eifer stets danach gestrebthabe, sich und seine Familie zu ernähren. Er sei niemalsarbeitsscheu gewesen, sondern es habe immer den Anscheingehabt, als solle seine Tätigkeit vergeblich sein. Er schrieb ihmeine Anlage zum Tiefsinn zu, die er vom Vater ererbt hatte. Essei ihm nicht möglich gewesen, sich an einen Menschenzutraulich anzuschließen. In Güte hätte man aber alles von ihmerlangen können; wenn er aber Widerstand gefunden, wo er imRecht zu sein geglaubt, oder wenn er sich verkannt gesehen, habeihn der heftigste Zorn ergriffen.

»Er hatte einen streng rechtlichen Sinn und ein feines Gefühl,«äußerte sich weiterhin der Bruder bei einer Zeugenvernehmung.»Es lag ein Stolz in seinem Charakter, der es ihm unerträglichmachte, die Hilfe anderer in Anspruch nehmen zu müssen.Ebenso unerträglich war ihm der Gedanke, seine Kinder, die er

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 216

Page 217: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

sehr liebte, nach seinem Tode dem Mitleid fremder Leutepreisgegeben zu sehen. Außerdem hatte er die Idee gefaßt, daßseinen Sohn ein ebenso unglückliches Dasein erwarte, wie erselbst es geführt. Wie großmütig und redlich seine Denkungsartwar, zeigte sein Benehmen, als er vor einigen Jahren in derLotterie spielte. Bei der Klasseneinzahlung bot er in einerAnwandlung froher Laune und gewiß in der Überzeugung, daß ernichts gewinnen werde, seiner Schwägerin die Hälfte desGewinnes an. Das Los kam in der letzten Ziehung mit einemGewinn von tausend Talern heraus. Holzwart hielt sich seinemVersprechen gemäß für verpflichtet, der Schwägerin die Hälftedavon zu zahlen, obgleich sie kein Recht geltend machen und dieAbmachung nur für Scherz angesehen werden konnte. Er bliebdabei, er müsse das Geld teilen, weil er es versprochen habe, under bräche niemals sein Wort. Als ich ihm vor Jahresfrist aus einerVerlegenheit half, sagte er bewegt zu mir: »Glaube mir, es wirdmir schwerer, dein Geld zu nehmen, als es dir vielleicht ist, es zugeben.«

Die Geschichte seines Lebens, die Holzwart vor dem Richtererzählte, trug das unverkennbare Gepräge der Wahrheit und folgthier mit seinen eigenen Worten.

»Mein Vater hatte mich zum Seifensieder bestimmt, und da ichnun einmal nicht studieren sollte und durfte, war mir das recht.Mein Vater hatte mich so sehr an Gehorsam gewöhnt, daß es mirnicht eingefallen wäre, mich gegen seinen Befehl zu sträuben.Die Wahl des Meisters war nicht günstig für mich. Ich merkte

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 217

Page 218: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

bald, daß ich unter solcher Anleitung nichts vom Geschäftbegreifen würde. Ich klagte es meinem Vater, daß mich derLehrherr mehr zu Hausarbeiten als zum Seifensieden verwende,doch dies wurde nicht von ihm beachtet. Auch meine Mutterhörte nicht eher auf diese Klagen, als bis es zu spät war. DasLehrgeld war weggeworfen, und nach dreijähriger Lehrzeit gingich als Geselle aus diesem Geschäft nicht um ein Haar klüger, alsich hingekommen war. Ich trat die Wanderschaft an, fandnatürlich wegen meiner Unbrauchbarkeit nirgends lange Arbeit,und um nicht in Not zu geraten, kehrte ich in die Heimat zurück.Fürs erste blieb ich im elterlichen Hause, wo man einewünschenswerte Unterstützung an mir fand. Dann versuchte iches noch einmal in Eisleben als Volontär in einemSeifensiedergeschäft, doch wurde dies meinen Eltern mit der Zeitzu kostspielig, ich gab die Seifensiederei für immer auf und bliebnun fünf Jahre in meines Vaters Geschäft. Ich lebte dort indrückenden, sehr unangenehmen Verhältnissen, die vornehmlichdurch meines Vaters Schwäche, mit den Dienstmädchen allzuvertraulich umzugehen, herbeigeführt wurden. Mein Vaterbehandelte mich sehr nachlässig, was bei meinem ohnehinreizbaren Ehrgefühl eine bedeutende Wirkung auf mich ausübte.Im Hause meiner Eltern befand sich auch meine nachherige Frau;nicht eigentlich als Ladenmamsell, sondern mehr ausGefälligkeit gegen meine Mutter, die die ganze Last desausgebreiteten Schmälzergeschäfts allein zu tragen hatte. Ichgewann das Mädchen lieb und wünschte sie zu heiraten. ImGrunde meines Herzens trieb mich mehr die Unerträglichkeitmeiner Lage als die Sehnsucht nach der Ehe zu dem Eifer, womit

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 218

Page 219: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

ich meine Eltern um Gründung eines Haushalts für mich anging.Lange sträubten sie sich gegen die Verbindung, endlich willigtensie ein und gaben mir hundert Taler Gold zur Errichtung einesMaterialladens; meine Frau brachte mir ungefähr ebensovieldazu, und mit diesem Kapital begann ich voller Hoffnung meinselbständiges Leben und meine Ehe. Die Kaufleute gewährtenmir willig und gern Kredit, so sah ich trotz des geringenVermögens einer günstigen Schicksalswendung entgegen.

Aber wenn früher meine Verhältnisse drückend waren, soverfolgte mich jetzt ein Unglück nach dem andern. Mit dembesten Willen ging ich an mein Geschäft, doch schon im erstenJahre wurde meine Frau nach der Entbindung krank und bliebvolle fünf Vierteljahre in ärztlicher Behandlung. Sie mußte teureBäder nehmen, und die Rechnungen für den Doktor und denApotheker beliefen sich auf hundertzweiunddreißig Taler. Ichmußte Schulden machen und erkannte bald die Unmöglichkeit,mich in der Neustadt zu halten. Ehe noch ein Konkursverfahreneingeleitet werden konnte, wurde ich mit Hilfe meiner Mutterden Gläubigern gerecht und gab das Geschäft auf. Ich übernahmnun auf den Vorschlag meiner Eltern den Laden im BonteschenHaus auf dem Markt, worin neben einem Schenklokal ein Handelmit Schmälzerwaren betrieben wurde. Ich sah gleich, daß dieseArt von Wirtschaft nichts für mich war; zu einer Schenkstubegehörte ein anderes Wesen als das meine. Die Fleischwarenbekam ich aus dem elterlichen Geschäft und verkaufte sieeigentlich auf Rechnung meines Vaters, wobei mir nur der kleineGewinn zufiel, den ich in der Schenkstube machte. Steuern für

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 219

Page 220: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

das Gewerbe, sowie Ladenmiete mußte ich aber bezahlen. Dazukam, daß bei dem Laden keine Wohnung war und ich dieWohnung für meine Familie apart halten mußte. Es brach zujener Zeit die Cholera in Magdeburg aus und raffte sogleicheinen der beliebtesten Gäste meines Lokals, den GoldschmiedSchladen, hinweg, die übrigen Männer bekamen Furcht undmieden meine Schenkstube, sie stand verödet, und ich mußteneue Gäste anzuwerben suchen. Es schlug fehl, und nachabermals zwei Jahren mußte ich das Geschäft mit einer barenEinbuße von sechshundertsechzig Talern auflösen.

Viele haben den Verfall meines Hauswesens meiner Vorliebe fürwissenschaftliche Beschäftigung zugeschrieben, aber damit hatman mir unrecht getan. Ich hatte allerdings großes Interesse ander Literatur, las gerne historische und naturwissenschaftlicheWerke, begann auch zur damaligen Zeit ein Tagebuch, worin icheigene Ideen und gute aufgefundene Gedanken verzeichnete,muß auch gestehen, daß ich nach der Erzählung von Alvensleben»Der Racheschwur« ein Drama zu arbeiten anfing; aber alles diesfüllte nur meine Mußestunden aus, die von anderen Männernbeim Kartenspiel und Biertrinken verbracht wurden.

Ich versank nun in große Not, und meine Mutter unterstütztemich ein wenig. Ich faßte den Plan, in die weite Welt zu gehenund zu versuchen, ob nicht irgendein Platz für mich zu findensei, wo ich meinen Lebensunterhalt gewinnen konnte. MeinBlick richtete sich auf Prag, wo ein Bruder meiner Mutter, derWeißgerber Grosse, in guten Umständen lebte. Ich trennte mich

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 220

Page 221: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

von meiner Familie. Es war ein schmerzlicher Abschied, aber ichging nicht eher von ihnen, als bis mir meine Mutter in Gegenwartmeines Bruders das Versprechen geleistet hatte, mütterlich fürsie zu sorgen. Man schlug mir vor, die französischeHandschuhmacherei zu erlernen, und wirklich schien mir dies einErwerbszweig, der einträglich zu werden versprach. Mein Onkelin Prag gab das Lehrgeld her, und obwohl ich nicht mehr in denJahren war, wo man als Lehrling in einen neuen Beruf tritt undmir die Sache sehr sauer wurde, stärkte mich doch der Gedankean meine Familie soweit, daß ich meinen Vorsatz glücklichdurchführte. Nach zehn Monaten war ich Gehilfe des Meisters,der sich redlich Mühe mit mir gegeben hatte. Wieder in derHeimat angelangt, setzte ich alles daran, einHandschuhmachergeschäft zu gründen. Mit etwas Geldmittelnwäre es mir wohl gelungen, allein ich hatte kein Geld, meinVater wollte mir keins geben, die Mutter gab mir fünfzig Taler.Davon mußte ich die Hälfte für Arbeitszeug verwenden, und esblieb mir nicht einmal soviel, wie zum Ledereinkauf notwendigwar. Dennoch versuchte ich mein Heil und hielt mich wirklicheinige Zeit. Aber schließlich ging es bergab, und mein Ruin wartäglich zu erwarten. Da starb mein Vater, und ich trat jetzt in daselterliche Geschäft als Pächter ein. Anfangs machte ich guteGeschäfte, aber bald wurde der Verdienst geschmälert durch dievielen neuerrichteten Schmälzerläden. Es trat noch dasMißgeschick hinzu, daß die Schweine plötzlich sehr teuerwurden, und dies ist ein harter Schlag für den Schmälzer, da dieWaren noch eine Zeitlang in den alten Preisen bleiben, also beijedem Schlachten zugesetzt werden muß. Ich blieb mit der Miete

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 221

Page 222: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

an meine Mutter rückständig, der Magistrat erhöhte die Pacht desLadens unter dem Rathaus von sechzig auf hundert Taler, und imdritten Jahre wurde ich bankrott. Ich übergab meiner Mutter ihrEigentum wieder, sie verkaufte das Haus und ließ mir unterAnrechnung auf mein späteres Erbteil fünfhundert Taler zumKauf eines kleinen Hauses in der Junkerstraße, wo ich vonneuem eine Schmälzerei anlegte. Ich mußte viel Geld verbauen;es wäre aber doch gegangen, wenn nicht ein Gläubiger derzweiten Hypothek mir sein Kapital gekündigt und ich einenneuen hätte erhalten können. Ich mußte wieder verkaufen undhabe großen Schaden erlitten.

Jetzt war ich vollkommen herunter. Meine Mutter konnte nichtmehr helfen, mein Bruder hatte ein Gut in Lendorf gekauft undbot mir eine Freistatt. Ich ging zu ihm, als Arbeitsmann imwahren Sinn des Wortes. Fünf Monate hielt ich es aus, da triebmich die Sehnsucht nach den Meinigen wieder zurück. MeineFrau hatte sich mit dem Schmälzerladen im Rathaus, der unsnoch verblieben war, kümmerlich durchgebracht. Ich versuchtenun in Magdeburg einen neuen Erwerb und erlernte dasOblatenbacken. Meine Mutter schoß mir fünfzig Taler vor, undich begann dies Geschäft. Aber es war, als hätte das Schicksalnur darauf gewartet, bis ich wieder Hoffnung gefaßt hatte. Kaumhatte ich einigen Vorrat liegen, so kamen die neuen Blättchen mitder Namenchiffre auf, meine Oblaten blieben als altmodischunverkauft, und ich war wieder fertig. Da ging ich mit meinerganzen Familie nach Lendorf zurück, und wir blieben dortungefähr ein Jahr. Um diese Zeit verkaufte mein Bruder das Gut,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 222

Page 223: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

und meine Mutter starb. Jetzt hatte ich freilich ein Erbteil zuerwarten, mit dem sich etwas beschaffen ließ. Ich bekam tausendTaler. Mit diesem Gelde kaufte ich ein Gehöft in Gommern, woGastwirtschaft betrieben wurde. Während meines Aufenthaltes inLendorf hatte ich mich als Landwirt tüchtig geübt und Lust zumFeldbau bekommen. Die Frequenz des Gasthofs war gering, dasFeld bestand nur aus zehn Morgen Ackerland, ich sah, daß nichtviel zu gewinnen sei, und da ich nach einem Jahre vorteilhaftverkaufen konnte, entledigte ich mich der Wirtschaft früh genug,um keinen Schaden zu erleiden. Damals gewann ich auchtausend Taler in der Lotterie, von denen ich die Hälfte meinerSchwägerin gab. Ich wollte mir nun ein kleines Gütchen kaufen,dazu reichten die Mittel nicht. Obwohl ungern, entschloß ichmich endlich, wieder eine Schmälzerei zu errichten, und zwar inder Sudenburg.

Ich hatte tausend Taler im Besitz. Die Herstellung des Ladensund die Anschaffung der Utensilien kosteten hundertsechzigTaler. Verdient wurde wenig. Die Schweine waren in dem Jahresehr wohlfeil. Der Bauer hatte kein Futter für das Vieh undmußte verkaufen. Ich glaubte richtig zu spekulieren, wenn ichSchweine kaufte und steckte zweihundert Taler in den Handel,um einen ordentlichen Wintervorrat zu haben. Ich hatte michleider verrechnet. Alle Leute hatten selbst Schweine gekauft undgeschlachtet. Man holte mir nichts ab. Das Geschäft geriet ganzund gar ins Stocken. Schinken und Schlackwürste bewahrte ichfür den Sommer auf. Eine entsetzliche Hitze kam und verdarbmir die Vorräte. Im nächsten Jahre stiegen die Schweine zu

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 223

Page 224: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

einem ungeheuren Preis, aber unsre Ware blieb auf dem altenFuß. Ich hatte jetzt nur noch hundertvierzig Taler. Die Einnahmewar erbärmlich; der tägliche Erlös betrug oft nur fünfzehnSilbergroschen. Wir mußten vom Kapital leben. Beim Ablauf desJahres war ich dem Viehhändler hundertsechzig Taler schuldig.Mein Bruder erbot sich, mir vierhundert Taler zu leihen, undeiner von meinen Bekannten legte hundert Taler dazu. Vondiesem Gelde lebte ich mit meiner Familie, nachdem ich denViehhändler bezahlt hatte. Ich schlachtete immer weniger. ImJahre 1845 war alles Geld rein aufgezehrt. Es nahte der Winter,und die Not wurde bedrohlich. Abermals mußte ich meinenarmen Bruder um Hilfe ansprechen. Er sendete mir zwanzigTaler, und dann wieder zwanzig Taler, und gegen Weihnachtenaus freien Stücken fünf Taler zu Geschenken für meine Kinder.Meine Schuld beim Viehhändler war wieder auf anderthalbhundert Taler gestiegen.

Jetzt trat der Gedanke immer unwiderstehlicher an mich heran,mich und meine Familie schmerzlos aus der Welt zu schaffen,wo unserer nur Elend wartete, ich hatte keine Aussicht, keineHoffnung mehr. Es blieb nur das Verhungern übrig. Ich waraußerstande, die Meinen vor dem Untergang zu retten. DieseGedanken machten mich fast krank, aber ich verriet sie nicht,und sie kehrten wie im Kreise immer wieder auf den Punktzurück: Du bist dem Bettelstab verfallen. Vorwürfe über meinLeben und meine Geschäftstätigkeit konnte ich mir nichtmachen. Ich habe immer geglaubt, richtige Maßregeln zurVerbesserung meiner Lage ergriffen zu haben, aber meine

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 224

Page 225: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Bemühungen sind stets fehlgeschlagen. Verlust über Verlust, wasich angriff, mißlang. Bei der Erinnerung an all dies Leiden wurdemein Entschluß fester, und mein Gemüt stählte sich. DieNotwendigkeit trieb mich zur Tat.«

Bei gebessertem Gesundheitszustand konnte Holzwart nacheiniger Zeit in das Verhörzimmer geführt werden. SeineErscheinung war jetzt die eines zufriedenen und ergebenenMannes. Es schien, als betrachte er das ihm neugeschenkteLeben mit einem mitleidigen Lächeln, als wollte er fragen:wozu? Er wiederholte sein Geständnis, und es war ersichtlich,daß die Schilderung der Mordnacht ihm eine unaussprechlichePein verursachte. Und wieder behauptete er feierlich, seine Tatsei das letzte Werk der Liebe gewesen. Auf den Einwand,weshalb er bei seiner ersten Vernehmung im Kochschen Hausenicht sogleich offen bekannt, sondern eine Lüge angegeben habe,erwiderte er, es sei diese Lüge die einzige in seinem ganzenLeben. Er habe nur den Fragen genügen, lästiges Zudringenabwehren wollen, weiter nichts. Daß er verhaftet und vor demGesetz verantwortlich gemacht werden könnte, daran hatte ernicht gedacht. Nach seiner Meinung war er niemand auf der Erdeeine Auskunft zu geben verpflichtet, und seine Tat mußte vorGott allein verantwortet werden.

Eine Tat, straf- und todeswürdig vom Standpunkte des Rechtes,verworfen und abscheulich von dem der Moral. Der fürchterlicheIrrtum, eine Familie verloren zu glauben, wenn die Hilfsquellender Existenz versiegen, beruhte hier auf Charakterfehlern nicht

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 225

Page 226: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

allein, sondern auf Gemütsanlagen, die mit tragischer LiebeBande des Blutes als unauflöslich betrachten. Der Gedanke, daßdie geliebten Menschen einzeln ihre Nahrung suchen sollten,überstieg die Geisteskraft des Vaters; bis dahin im Schoße derFamilie vor dem Unheil geborgen, sollte er sie jetzt derVerführung und der Verderbnis preisgeben? Die älteste Tochterwar schön, vorzeitig entwickelt, blühend in Gesundheit undreizend durch freundliches Betragen. »Sie würde ihre Käuferschon gefunden haben,« warf Holzwart einst im Gespräch mitbitterem Hohne hin, »aber ich habe ihre Unschuld bewahrt undgerettet.« Der Richter wandte ein, das Mädchen hätte ja beiseiner Schönheit eine günstige Wendung des Geschickes erlebenkönnen. Da antwortete Holzwart: »Die Möglichkeit lag ferne,denn sie war arm; jetzt ist ihr Schicksal gesicherter.«

Im Dezember des Jahres 1846 wurde Holzwart verurteilt, nachdem Richtplatze geschleift, um mit dem Rade von unten heraufvom Leben zum Tode gebracht zu werden. Mit derselbenFassung und Haltung, die er bisher gezeigt, vernahm er dasUrteil. Als ihm mitgeteilt wurde, daß ihm das Rechtsmittel derAppellation zustehe, erwiderte er ohne Besinnen, er habe dieStrafe erwartet und durchaus nichts dagegen einzuwenden; erwünsche in kürzester Frist zu seinem Ziele zu kommen undwolle auch nicht von seinem Rechte Gebrauch machen, desKönigs Gnade um Milderung der Strafe anzurufen, um denVollzug des Verdikts nicht zu verzögern. Bei dieser Erklärungblieb er, trotzdem sein Verteidiger ihn zu anderer Ansicht zubringen suchte. Es blieb diesem nichts weiter übrig, als seinem

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 226

Page 227: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Willen entgegen zu handeln und aus eigenerMachtvollkommenheit sich an den König zu wenden. Damitverging Tag um Tag, Woche um Woche, und Holzwart erwartetevergeblich das Ende eines Lebens, das für ihn allen Wert undReiz eingebüßt hatte. Er glaubte, durch seine Verzichtleistungauf jeden Einspruch alle Hindernisse am besten beseitigt zuhaben, und es gewann den Anschein, als siege wieder sein altesböses Schicksal, das immer seine Hoffnungen durchkreuzt hatte.Durch die seltene Verzichtleistung wurde ein Bericht nach demanderen nötig, eine Formalität nach der anderen; bis zumSeptember zogen sich die Verhandlungen hin, bevor man endlichdem König das Todesurteil vorzulegen bereit war.

Während der Zeit saß Holzwart geduldig im Gefängnis undharrte auf seinen Tod. Man gestattete ihm zu lesen, zu schreibenund Schach zu spielen. Er verfertigte die Schachfiguren aus Brotund malte mit Tinte ein Schachbrett auf Pappe. Es gehörte zuseiner größten Freude, wenn der Aufseher Zeit gewann, mit ihmSchach zu spielen.

Unter den Aufzeichnungen, die er zu Papier brachte, fanden sichGedichte wie dieses:

Ich bin belohnt, daß ich euch glücklich wähne, Euch überhobenweiß alljeder Erdenträne. Gibt's ein Elysium, so ist's für eucherrungen, Durch euer Blut hab ich es euch erzwungen. Nichtslastete auf euch, und schuldlos, schön und rein Gingt ihr verklärtzur ewigen Ruhe ein. Ich bin belohnt.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 227

Page 228: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Dann Tagebuchblätter.

Am 10. März.

O könnt ich dem Zauber Worte geben, der wie ein Glück meinenSchlaf durchzieht. Nicht gaukelnd beschleicht mich der TräumeSpiel -- nein, göttlich beglückend -- o, welche Wonne, wennmein Bruder, wenn meine Kinder, die Mutter, die Elternerscheinen. -- Vor den Richterblicken der Welt mag esunverdient heißen, doch in Träumen liegt mein Glück. Meinliebstes Kind saß mir auf meinen Knien -- so war es mir heute,ich saß mit ihr bei allen Meinen. Das Kind umschlang mich süßund dicht, die andern schmiegten sich an mich -- von ferne sahdie Mutter dieser Teuern auf uns und sprach: »Ach, daß du dieseTat hast tun können -- wie schwer muß sie dir geworden sein!«

Im April.

Bedarf es denn vor jenem Weltenrichter des Eingeständnisses derTat? Nein! Nein! Er wußt sie ja, er braucht nun nicht zu fragen,er sah sie, kennt sie also schon genug. Rechtfertgen soll ich sie?Es blieb den Meinen nur Schmach und Elend -- damitrechtfertige ich mich in Ewigkeit. Verkündet nur bald, wenn allesvollbracht, dem Lebensmüden die ewige Nacht.

Im April.

Ich will nichts glauben, will nichts denken, was die Vernunftnicht faßt. Annehmen und feststellen nichts, was gegen die Natur

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 228

Page 229: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

verstößt. Und doch komme ich immer darauf zurück -- es gibtnoch ein Etwas, nach welchem der Blick der Sterblichenvergeblich forschend sich richtet.

Im August.

Fünf Monate nach dem verkündeten Spruche. Himmel, dieseUmstände um einen einzigen Menschen. Ich weiß nicht, ob manbei einer Frage von Krieg und Frieden so viel Zeit gebraucht,und daran hängt das Leben von Tausenden!

Es gibt ein Etwas im großen Weltenraume, das unheilvoll seinWesen treibt, und eine dunkle Ahnung sagt mir nur: es waltetgegen dich! Es waltet unsichtbar, es waltet stumm und grausig,dies dämonische Wesen des Geisterreichs.

* * * * *

Das Jahr ging zu Ende, ohne das vom König bestätigte Urteil zubringen. Das Gerücht von der Freigeisterei des seltsamenVerbrechers drang in die höheren Kreise und füllte manchesgläubige Herz mit Entsetzen. Die entschiedene WeigerungHolzwarts, den Geistlichen zu empfangen, seine ebensoentschiedene Ablehnung einer geistlichen Begleitung zumRichtplatz, und das finstere und verschlossene Wesen, das erzeigte, wenn der Gefangenenprediger bei ihm eintrat, verbreiteteein wahres Grauen vor ihm. Es wurden Versuche gemacht, ihn zuerleuchten, aber man stieß auf klare und festgegründete

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 229

Page 230: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Überzeugungen statt auf bösen Willen und dumpfeVerstocktheit, die man vorausgesetzt, und dagegen war allerfromme Bekehrungseifer machtlos.

Das Jahr 1848 regte seine gewaltigen Schwingen. Die Unruhenwurden stürmisch. Im Februar unterzeichnete der König dasTodesurteil, und endlich wurden Anstalten zur Hinrichtunggetroffen. Es gab bei Magdeburg einen Anger, wo manchesblutige Haupt gesunken, mancher menschliche Leib von denRädern zerstampft worden war. Hier sollte auch für Holzwart dasSchafott errichtet werden; die königliche Gnade hatte die Strafedes Räderns in die der Enthauptung verwandelt. Der Tag wurdeanberaumt, eine Truppenabteilung war schon kommandiert.Noch wußte Holzwart nichts von den Veranstaltungen zu seinemnahen Ende, aber ihm ahnte etwas. Die Nachgiebigkeit desWärters verriet ihm zuerst die Nähe seines Endes. Aber er fragtenicht, er zagte nicht; sein Auge blieb ruhig und sein Herz stark.Alles war bereit, der Scharfrichter bestellt, da brach derVolksaufstand los. Die Bande des Gesetzes waren gelöst, und dieBehörde scheute sich, eine Hinrichtung vollziehen zu lassen. DerTermin wurde vertagt.

Vielleicht war dem Gefangenen doch manches Wort zu Ohrengedrungen, das ihm den Stand der Dinge verraten hatte, undwieder wie ehedem rief es in ihm: du stirbst nicht, kannst nichtsterben. Es bemächtigte sich seiner eine schmerzliche Unruhe;seine Geduld wich zuzeiten einer kurzen aber tiefen Erregung,und seine Papiere bezeugen es, daß ihm davor bangte, das Leben

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 230

Page 231: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

noch lange ertragen zu sollen.

Im Mai 1848.

Ein Mann, der edlen Trotz besitzt, sollte der voll ruhigenGleichmuts nicht in Freude und Leid die Grenzen wissen? Welchewiges Schwanken zwischen Leben und Tod, von heute zumorgen, von morgen noch weiter. Armer König, immer Schach!Immer Schach! Schach bis zum matt.

Im Juni.

Sie zögern. Und ich grüble. Was hält mich? Was möchte ichnoch? Das Grab der Meinen sehen, die Erde küssen, wo dieSchlummernden ruhen. Unbegreiflich, daß ich mich bis jetzt ließvertrösten.

* * * * *

Es findet sich die amtliche Anzeige des Gefängnisinspektors anden Richter, daß Holzwart seit fünf Tagen die Speisenunangerührt lasse und auf alle Vorwürfe die Antwort erteilt habe,er werde sein Ziel zu erreichen wissen. Der Richter stellte ihnernstlich zur Rede, und Holzwart scheint Reue empfunden zuhaben, denn er schrieb am 4. Juli:

»Genug, genug! Ich will alles ertragen. Der Ernst in seinemAuge; das harte Wort: Wenn Sie sich der verdienten Strafeentziehen, muß ich Sie für einen Feigling halten! Ich beuge mich.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 231

Page 232: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Mein Leben sei ein tributpflichtiges Opfer.«

Er kehrte zu der geduldigen Gelassenheit zurück, nachdem ervergeblich den Kampf mit seinem Geschick gewagt hatte. Als impreußischen Staate die Ordnung wiederhergestellt war, wurde dasTodesurteil Holzwarts in lebenswierige Zuchthausstrafeverwandelt. Es muß ihn ein ungeheurer Schrecken bei derVerkündigung dieses neuen Urteils erfaßt haben; eine mitflüchtiger Schrift gemachte Aufzeichnung, die letzte, dieüberhaupt vorhanden ist, lautet: Am Leben bleiben, solcheGnade! Gezüchtigt durch Zuchthaus für eine solche Tat! Es kannnicht sein, es darf nicht sein!

Seit der Gewißheit seines Schicksals sprach er überhaupt nichtmehr. Eine kalte Entschlossenheit lag auf seinem Gesicht, unddie freundliche Ruhe seiner Mienen war düsterem Ernstgewichen. Im Zuchthaus fügte er sich streng der Ordnung undzeigte sich im Benehmen und im Fleiß exemplarisch. Daß er stillund abgeschlossen seinen Weg verfolgte, schien jedermannnatürlich. Man hatte nicht verfehlt, der Direktion desZuchthauses die Selbstmordversuche Holzwarts selbstmitzuteilen, um sich bei den jetzt vermehrten Gründen zu solcherTat der Verantwortung zu entheben. Die Furcht schien unnütz.Ein Monat nach dem andern verlief, ohne der gesteigertenAufmerksamkeit den geringsten Verdacht zu geben. Um sounerwarteter wirkte die amtliche Nachricht von Halle:

Der von dem Königlichen Kreis- und Stadtgericht hier

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 232

Page 233: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

eingelieferte Christian Holzwart aus Magdeburg stürzte sich amSonntag, den 28. Januar 1850 nachmittags um drei Uhr beiAusgang aus der Kirche von der Verbindungsbrücke des Flügels#B# und blieb auf der Stelle tot liegen, indem er sich denHirnschädel gespalten und fast alle Glieder zerschmettert hatte.

So war der unglückliche Mann zur ersehnten Ruhe gekommen.Mit welchen Gefühlen mag er die acht Monate im Zuchthaus inGemeinschaft mit Menschen erlebt haben, die er als dasVerächtlichste im weiten Weltenraum bezeichnet hat? Mitwelchen Gefühlen mag er die Tiefe des Abgrunds ermessenhaben, bevor er sich hinunterstürzte? Den Tod zu zwingen, daswar vielleicht seine stärkste Regung.

Karl August von Weimar

Die siebzehnjährige Vormundschaft der Herzogin-Mutter Amaliabedeutet ein unvergängliches Ruhmesblatt in der deutschenGeschichte, denn unter ihr wurde Weimar der Sammelpunktjener Genien, denen die Unsterblichkeit sicher ist und durch dieder Hof von Weimar einen stillen, aber hohen Glanz erhielt, wieer von keinem andern deutschen Hof jemals ausgegangen ist.

Amalie von Braunschweig war, als sie die Regierung antrat, erstachtzehn Jahre alt; fünf Jahre des siebenjährigen Krieges fielennoch unter ihre Herrschaft. Die Männer, die sie im Hof- undZivildienst vorfand, waren alle noch aus der alten Schule; desto

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 233

Page 234: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

neuer war ihre Persönlichkeit, und mit dieser setzte sie es durch,daß man sie ihre eigenen Wege gehen ließ. Die Erziehung, diesie ihrem Sohne, dem künftigen Herzog, gab, machte Epoche inder deutschen Prinzenerziehung; sie wagte es, ihn sich in vollerFreiheit entwickeln zu lassen, ja sie berief sogar einen Poeten zuseinem Erzieher, den heitern Wieland, der damals Professor inErfurt war und eben den goldenen Spiegel geschrieben hatte,einen Fürstenspiegel, der auf den jungen Kaiser Josef gerichtetwar.

Ein ungenannter Turist des achtzehnten Jahrhunderts, der inWeimar zum Hofball geladen war, schildert die Herzogin wiefolgt: »Sie ist klein von Statur, sieht wohl aus, hat eine spirituellePhysiognomie, eine braunschweigische Nase, schöne Hände undFüße, einen leichten und doch majestätischen Gang, spricht sehrschön, aber geschwind, und ihr ganzes Wesen ist angenehm. Eswar auch ein Pharaotisch da, der geringste Einsatz war ein halberGulden. Die Herzogin spielte sehr generös und verlor einigeLouisdor; da sie aber gern tanzte, blieb sie nicht lange beimSpiel. Sie tanzte mit jeder Maske, die ihr entgegenkam, und gingnicht eher fort als bis um drei Uhr früh, da alles aus war.«

Gouverneur der Prinzen Karl August und Konstantin war derGraf von Schlitz-Görtz, ein ernster, gravitätischer undformenstrenger Herr, der mit Nachdruck auf Etikette hielt, aberdoch im privaten Kreis allerlei Kurzweil zuließ. Friedrich derGroße hatte ihn während des bayrischen Erbfolgekrieges zu einerdiplomatischen Mission in München verwendet, später war er

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 234

Page 235: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Gesandter beim Reichstag zu Regensburg, wo er das deutscheReich begraben sah. Daß er ein Mann von Geist war, bezeugt derUmstand, daß er Wieland an die Herzogin empfahl. Wieland zogwieder Knebel als Erzieher des Prinzen Konstantin nach Weimar,und Knebel war es, der dem jungen Karl August Goethezuführte. Goethe berief Herder, und Herder wurde der Magnetfür Schiller.

Karl Ludwig von Knebel war ein gebürtiger Franke; er warMajor unter Friedrich dem Großen und stand in Potsdam inGarnison. Interessant durch seine barocke Genialität, war erzugleich ein tiefer Hypochonder. Durch eine krankhafteEmpfänglichkeit für unangenehme äußere Eindrücke war er vonihnen abhängig und durch sie gestört. Wieland war sein Intimus,Lucrez, den er ins Deutsche übersetzte, sein langjährigesStudium. Herder nannte ihn seinen lieben alten Mönch und denmenschenfreundlichen Timon. Es war am 11. Februar 1774, alsKnebel seinem Herzog den Verfasser des Götz und des Werthervorstellte. Auf die Einladung des Grafen Görtz kam Goethe indas rote Haus in Frankfurt, und in seiner jugendlichen Schönheitund Liebenswürdigkeit schien er dem Herzog wie geschaffen,der Genosse bei einem lustigen Genieleben zu werden, wie esihm damals im Sinne stand. 1775 wurde Goethe förmlich nachWeimar eingeladen. Der in Karlsruhe zurückgebliebeneKammerjunker von Kalb hatte den Befehl, Goethe in einem vonStraßburg erwarteten Staatswagen nach Weimar zu bringen. DerWagen blieb lange aus, Goethes fürstenfeindlicher Vater hatteihm schon mit dem spottenden Zuruf: »Nah bei Hof, nah bei der

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 235

Page 236: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Höll« die Furcht in die Seele geworfen, er könne nur derSpielball einer fürstlichen Laune gewesen sein; er hatte bereitsdie Flucht angetreten und befand sich in Heidelberg, als er dortnoch aufgehalten wurde. So hing es an einem Faden, daß Goethenicht nach Weimar kam; noch in späten Jahren hat er sich deswahrhaft Dämonischen dieser Situation erinnert.

»Goethe ging wie ein Stern in Weimar auf, der sich eine Zeitlangin Wolken und Nebel verhüllte,« schreibt Knebel; »jeder hing anihm, sonderlich die Damen. Er hatte noch die WertherscheMontierung an, und viele kleideten sich danach. Er hatte nochvon dem Geist und Sitten des Romans an sich, und dieses zog an.Sonderlich den jungen Herzog, der sich dadurch inGeistesverwandtschaft seines Helden zu setzen glaubte. MancheExzentrizitäten gingen zur selbigen Zeit vor, die ich nicht zubeschreiben Lust habe, die uns aber auswärts nicht in den bestenRuf setzten. Goethes Geist wußte ihnen indessen einenSchimmer von Genie zu geben.«

Die Gerüchte über die Zustände in Weimar mußten von rechtschlimmer Art gewesen sein, da sogar Klopstock denauffallenden Schritt tat, sich als Mentor und Warnereinzumischen. Goethe wies ihn mit Entschiedenheit zurück, undes kam zum Bruch zwischen beiden.

Einen besondern Hof neben dem des Herzogs, dem regierendenHof, wie er hieß, bildete der sogenannte verwitwete Hof derHerzogin Amalie. Wieland nennt die Herzogin eines der

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 236

Page 237: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

liebenswürdigsten Gemische von Menschheit, Weiblichkeit undFürstlichkeit; sie hatte nicht wenig Gefallen an dem Leben, dasihr Sohn mit Goethe führte, und nahm selbst daran teil. Schon alsRegentin hatte sie wie ein halber Student gelebt; einmal war sieauf einem Heuwagen mit acht Personen von Tieffurt nachTennstädt gefahren, es kam ein Gewitter mit einem heftigenRegenguß, und die Herzogin, die wie die andern Damen in ganzleichtem Kleide war, zog Wielands Oberrock an. Sie faßte allesmit Enthusiasmus an und auf. So lernte sie Griechisch, und zwarso gut, daß sie nach kurzer Zeit den Aristophanes in derUrsprache lesen konnte. Am begeistertsten trieb sie Musik, malteauch und schwärmte für Italien und die italienische Literatur, inder ihr Führer der Rat Jagemann war, ein aus Konstanzentflohener Mönch. Die theatralischen Feste Amalies wurdenentweder in der Stadt abgehalten oder in den Sommersitzen derHerzogin, in Tieffurt oder in Ettersburg. Namentlich im Park vonEttersburg wurden vor dem vertrauten Kreise der Fürstin vielelustige Gelegenheitsstücke gegeben, so 1778 Goethes Jahrmarktin Plundersweilen, und 1779, zur Feier von Karl AugustsGeburtstag, eine derbe Parodie der Wielandschen Alceste. DieArie: »Weine nicht, du Abgott meines Lebens« wurde auf dielächerlichste Art mit dem Posthorn begleitet, und auf den Reimschnuppe ein unendlich langer Triller gesungen. Nach dem Stückfolgte die sogenannte Kreuzerhöhungsgeschichte mit einemüblen Buch von Jacoby; Merck nagelte das Buch mit demEinband an einen Baum, so daß die Blätter im Winde flatterten,Goethe stieg in den belaubten Wipfel und hielt von dort herab einhochnotpeinliches Halsgericht über die Scharteke.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 237

Page 238: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Neunzehn Jahre war Karl August alt, als er die berühmteErklärung gab, die den in sein Konseil einberufenen Dichterbetrifft. Sie lautet: »Einsichtsvolle wünschen mir Glück, diesenMann zu besitzen. Sein Kopf, sein Genie ist bekannt. EinenMann von Genie an einem andern Orte gebrauchen, als wo erselbst seine außerordentlichen Gaben gebrauchen kann, heißt ihnmißbrauchen. Was aber den Einwand betrifft, daß dadurch vieleLeute sich für zurückgesetzt erachten würden, so kenne icherstens niemand in meiner Dienerschaft, der meines Wissens aufdasselbe hoffte, und zweitens werde ich nie einen Platz, welcherin so genauer Verbindung mit mir, mit dem Wohl und Wehemeiner gesamten Untertanen steht, nach der Anciennität, sondernich werde ihn immer nur nach Vertrauen geben. Das Urteil derWelt, welches vielleicht mißbilligt, daß ich den Doktor Goethe inmein wichtigstes Kollegium setzte, ohne daß er zuvor Amtmann,Professor, Kammerrat und Regierungsrat war, ändert gar nichts.Die Welt urteilt nach Vorurteilen. Ich aber sorge und arbeite wiejeder andere, nicht um des Ruhmes, um des Beifalls der Weltwillen, sondern um mich vor Gott und meinem Gewissenrechtfertigen zu können.«

Er war eher klein als groß von Gestalt, aber in seinerErscheinung lag von der Jugend bis in das späteste Alter etwasSelbständiges und Energisches in sehr ungebundener und freier,fast studentischer Form; man pflegte ihn auch den Studenten vonJena zu nennen. Dem Major Knebel gegenüber legte dervierundzwanzigjährige Fürst einmal folgendes Selbstbekenntnisab: »Ich muß erstaunlich wehren, meinem Herzen und den

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 238

Page 239: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Leidenschaften nicht die Zügel schießen zu lassen; es ist gar zuschwer, sich wieder in den unnatürlichen Zustand zu fügen, indem unsereiner leben muß und an den man so langsam sichgewöhnt zu haben glaubt.«

[Illustration: Karl August von Weimar, nach einem Steindruckvon C. A. Schwerdgeburth; 1824.]

Merck, Goethes wunderbarer Freund, ließ sich, als alle Welt überdie Streiche, die Karl August nach seiner Bekanntschaft mitGoethe machte, die Köpfe schüttelte, nicht beirren und vertratnachdrücklich den Wert des seltenen Fürsten. Am 3. November1777 schrieb er aus Darmstadt an den Buchhändler Nikolai inBerlin: »Ich hab Goethe neuerlich auf der Wartburg besucht, undwir haben zehn Tage zusammen wie die Kinder gelebt. Michfreuts, daß ich von Angesicht gesehen habe, was an seinerSituation ist. Das Beste von allem ist der Herzog, den die Esel zueinem schwachen Menschen gebrandmarkt haben und der eineisenfester Charakter ist. Ich würde aus Liebe zu ihm eben dastun, was Goethe tut. Die Märchen kommen alle von Leuten, dieohngefähr so viel Auge haben, zu sehen, wie die Bedienten, diehinterm Stuhle stehen, von ihren Herrn und deren Gesprächbeurteilen können. Dazu mischt sich die scheußlicheAnekdotensucht unbedeutender, negligierter, intriganterMenschen, oder die Bosheit anderer, die noch mehr Vorteilhaben, falsch zu sehen. Ich sage Ihnen aufrichtig, der Herzog isteiner der respektabelsten und gescheitesten Menschen, die ichgesehen habe.«

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 239

Page 240: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Wie Goethe, liebte es Karl August, sich nach den Aufregungendes Weltlebens in die Einsamkeit zu begeben. Er suchte dann dieBorkenhütte im Park auf und konnte, während Goethe in seinemGartenhaus am Stern weilte, mit dem Freund durch verabredeteZeichen eine telegraphische Konversation über das Tal der Ilmhinweg herstellen. Im Sommer 1780 schrieb er aus diesem Retiroan Knebel: »Es hat neun Uhr geschlagen, und ich sitze hier inmeinem Kloster mit einem Licht am Fenster. Der Tag waraußerordentlich schön, ich war so ganz in der Schöpfung, und soweit vom Erdentreiben. Der Mensch ist doch nicht zu derelenden Philisterei des Geschäftslebens bestimmt; es ist einem janicht größer zumute, als wenn man so die Sonne untergehen, dieSterne aufgehen, es kühl werden sieht und fühlt, und das alles sofür sich, so wenig der Menschen halber; und doch genießen sie's,und so hoch, daß sie glauben, es sei für sie. Ich will mich badenmit dem Abendstern und neu Leben schöpfen, der ersteAugenblick darauf sei dein. Lebewohl solange.« Nach dem Badin der Ilm fährt er fort: »Das Wasser war kalt, denn die Nacht lagschon in seinem Schoß. Als ich den ersten Schritt hineintat, war'sso rein, so nächtlich dunkel; über den Berg hinter Oberweimarkam der volle rote Mond. Es war so ganz still. WedelsWaldhörner hörte man nur von weitem, und die stille Fernemachte mich reinere Töne hören, als vielleicht die Lufterreichten.«

In den achtziger und neunziger Jahren hatte sich der Charakterdes Herzogs zu seiner Reife ausgebildet; der junge Wein hattesich geklärt, er stand jetzt goldrein im Pokale. »Täglich wächst

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 240

Page 241: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

der Herzog und ist mein bester Trost,« schrieb Goethe 1780 anLavater. Aber in den Briefen an die Frau von Stein findet sichauch manches schärfere Urteil über Karl August, das freilichspäter immer wieder gemildert wurde. Einmal äußerte er sich:»Mich wundert nun gar nicht mehr, daß Fürsten meist so dumm,toll und albern sind, nicht leicht hat einer so gute Anlagen als derHerzog, nicht leicht hat einer so gute und verständige Menschenum sich und zu Freunden als er, und doch will's nicht nachProportion vom Flecke, und das Kind und der Fischschwanzgucken, eh man sich's versieht, wieder hervor.« Vielleicht beirrtees Goethe und machte ihn ein wenig bitter, daß der Herzoghäufig sehr mutwillige Neckerei mit seiner Beziehung zu Frauvon Stein trieb. Einmal enthielt er ihm einen ihrer Briefe vor undschickte ihn dann durch einen Husaren in zehn übereinandergesiegelten Kuwerten mit folgenden Verszeilen:

Es ist doch nichts so zart und klein So wird's doch jemandplagen. Zum Beispiel macht dein Briefelein Husaren sehr vielklagen. Heut sagte der, der's Goethen bracht Und schwur's beiseinem Barte, Viel lieber ging ich in die Schlacht Als trüg soBrieflein zarte. Denn wie im Hui ist das Papier Aus meinerweiten Tasche, Und wer, wer stehet mir dafür, Daß ich es wiederhasche. Unheimlich sagt er, es ihm sei, Wenn er so etwas trage,Denn Billetdoux und Zauberei Ist gleich, nach alter Sage. Drumschreibe Du, nach altem Brauch, Auf Groß-Royal-Papiere, Damitder Träger künftig auch Ja nichts vom Teufel spüre.«

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 241

Page 242: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Der Herzog hatte aber auch seine Herzensfreundin, und das wardie Gräfin Werthern. Mit seiner Frau vertrug er sich schlecht. DieHerzogin Luise war eine formenstrenge Dame und hielt so starkauf Zeremoniell, daß es Mühe kostete, Goethe zur Spielpartie beiihr einzuschmuggeln. Im September 1776, vor der Fahrt nachIlmenau, schrieb Goethe an Charlotte von Stein: »Es ist mir lieb,daß wir wieder auf eine abenteuerliche Wirtschaft ausziehen,denn ich halt's nicht aus. So viel Liebe, so viel Teilnahme, soviele treffliche Menschen, und so viel Herzensdruck.«

Die Herzogin war im höchsten Grade schwerblütig undschwerlebig, einsam in der Welt, ohne Freund, sogar Frau vonStein und Herder waren ihr zu leicht. Bei der Gräfin Werthernwar der unruhige Herzog noch am ehesten festzuhalten. 1782schreibt er an Knebel: »Auf Ostern besuche ich die Gräfin,welche doch die beste aller Gräfinnen ist, die ich kenne.« Umdieselbe Zeit schreibt Goethe: »Der Herzog ist vergnügt, dochmacht ihn die Liebe nicht glücklich, sein armer Schatz ist gar zuübel dran, an den leidigsten Narren geschmiedet, krank und fürdies Leben verloren. Sie sieht aus und ist wie eine schöne Seele,die aus den letzten Flammenspitzen eines nicht verdientenFegefeuers scheidet und sich nach dem Himmel sehnend erhebt.«Der Graf Werthern war nämlich ein hocharistokratischerSonderling, zuzeiten verschwenderisch, zuzeiten geizig wie einFilz. Er hatte eine seltsame, spanisch zeremonielle Hausordnungeingeführt; kamen vornehme Gäste, so ließ er Bauernjungen, dieals Neger geschwärzt und kostümiert waren, bei Tisch aufwarten.Die Gräfin war zwar eine kleine Dame, hatte aber die größten

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 242

Page 243: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Manieren, und Goethe gestand, daß er alles, was er von Weltbesaß, von ihr gelernt hatte.

Der Herzog gab sehr viel Geld für Jagd und Tafelfreuden aus,und oft finden sich unwillige Äußerungen Goethes über dieSchmarotzer bei Hof und ihre Unersättlichkeit. In einem Brief anKnebel heißt es: »Selbst der Bauersmann, der der Erde dasNotdürftige abfordert, hätte ein behaglich Auskommen, wenn ernur für sich schwitzte. Du weißt aber, wenn die Blattläuse aufden Rosen sitzen und sich hübsch dick und grün gesogen haben,dann kommen die Ameisen und saugen ihnen den filtrierten Saftaus den Leibern, und so geht's weiter, und wir haben's so weitgebracht, daß oben immer an einem Tage mehr verzehrt wird, alsunten in einem beigebracht werden kann.«

So großmütig und freigebig der Herzog sein konnte, so fehltenihm doch häufig die Mittel, um diejenigen, die der Hilfe würdigwaren, in würdiger Weise von Not zu befreien; deshalb mußteauch Schiller am Hof zu Weimar ein gar trauriges und bedrücktesLeben führen. Es war nicht so viel Geld für ihn da wie fürirgendeinen Kammerjunker, und wie Beethoven durchenglisches, wurde Schiller schließlich durch dänisches Geld derschlimmsten Sorgen überhoben. Um Charlotte Lengefeldheiraten zu können mußte er sich um die Professur in Jenabewerben, die zweihundert Taler trug, aber Schiller war von soedler und vornehmer Art, daß er dem Herzog selbst für dasWenige, das er für ihn tat oder tun konnte, Dankbarkeitbewahrte. Karl Augusts Finanzen waren eben zeit seines Lebens

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 243

Page 244: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

in Unordnung. Fast unmöglich hielt es, ihn zu gewöhnen, daß erseine Ausgaben in das richtige Verhältnis zu seinen Einnahmensetzte. In späteren Jahren machte er alle seine Geschäfte mitRothschild; wenn er in Geldverlegenheit war, ließ er seinenWagen anspannen und fuhr nach Frankfurt.

Sonderbar waren in ihm die Eigenschaften gemischt, leichterSinn und burschikose Laune, und dann wieder sittlicher Ernstund Tiefe des Gemüts. Von diesem Ernst und dieser Tiefe legtein überaus herrlicher Brief Zeugnis ab, den er am 4. Oktober1781 an Knebel schrieb. Als der Prinz Konstantin mit demMathematiker und Physiker Albrecht auf Reisen ging, warKnebel, der bisher der Erzieher des Prinzen gewesen war,pensioniert worden. Im Unmut darüber hatte er den Plan gefaßt,wieder in preußische Dienste zu treten; von diesem Entschlußbrachte ihn der Herzog durch folgenden Brief ab.

»Sind denn die, die sich Deiner Freundschaft, Deines Umgangsfreuen, so sklavisch, so sinnlicher Bedürfnisse voll, daß Du nurdurch Graben, Hacken, Ausmisten und Aktenverschmieren ihnennützen kannst? Ist denn das Rezeptakulum ihrer Seelen sogering, daß Du nirgends ein Plätzchen findest, wo Du irgendetwas von dem, was die Deine Schönes, Gutes und Großes, dieinnere Existenz der Edlen bessernd und veredelnd, gesammelthat, ausfüllen kannst? Sind wir denn so hungrig, daß Du fürunser Brot, so furchtsam und unstet, daß Du für unsere Sicherheitarbeiten mußt? Sind wir nicht mehrerer Freuden als der desTisches und der der Ruhe fähig, können wir keinen Genuß

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 244

Page 245: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

finden, wenn Du, von dem Schmutz und dem Gestank desWeltgetriebes Reiner, Deine volle Zeit zur Schmückung desGeistes anwendend, uns, die wir nicht Zeit zum Sammeln haben,den Strauß von den Blumen des Lebens gebunden vorhältst?Sind unsre Klüfte so quellenlos, daß wir nicht eines schönenBrunnens brauchen, uns selbst unsrer Ausflüsse freuend, wennsie schön in demselben aufgefaßt sind? Sind wir bloß zuAmbossen der Zeit und des Schicksals gut genug, und könnenwir nichts neben uns leiden als Klötze, die uns gleichen und nurvon harter, anhaltender Masse sind? Ist's denn ein so geringesLos, die Hebamme guter Gedanken und in der Mutterzusammengelegter Begriffe zu sein? Ist das Kind dieserWohltäterin fast nicht ebenso sehr sein Dasein schuldig als derMutter, die es gebar? Die Seelen der Menschen sind wie immergepflügtes Land; ist's erniedrigend, der vorsichtige Gärtner zusein, der seine Zeit damit zubringt, aus fremden LandenSämereien holen zu lassen, sie auszulesen und zu säen? Muß ernicht etwa daneben auch das Schmiedehandwerk treiben, umseine Existenz recht auszufüllen? Bist Du nun so im Bösen, soüber Dich selbst erblindet, daß Du Dir einbilden könntest, Duhabest uns nie dergleichen Nutzen verschafft, und achtest Du unsgering genug, daß Du glauben könntest, wir würden Dich solieben wie wir tun, wärest Du uns hierin unnütz und überflüssigoder entbehrlich gewesen? Willst Du nun dieses schöneGeschäft, diese würdige Laufbahn aufgeben, alleeingewachsenen Bande ausreißen, gleich einem Anfänger eineneue Existenz ergreifen und Dich, Gott weiß wohin, unterMenschen, die Dich nichts mehr angehen und mit denen Du kein

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 245

Page 246: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

reines und Dir gewohntes Verhältnis hast, hinwerfen? NeuenAnteil ergreifen oder Dir machen, mehr Gute, mehr Böse kennenlernen, sehen, wie die Abscheulichkeiten so überall zu Hause,das Gute überall so befleckt ist? Und warum? Um etwa einigenKanzlistenseelen aus dem Wege zu gehen, die Dir DeineSemmel, die Du mehr hast als sie, beneiden, weil Du nicht gleichihnen Maultierhandwerk treibst? Und wohin willst Du Dichflüchten? Nimmst Du nicht überall Deine paar Semmeln mit, dieDu mehr und leichter hast als andere? Sind nicht überallKnechte, die es entbehren und Dich darum beneiden werden?Wirst Du deren Neid besser aushalten? Dich, weil Du dort einpaar Monate fremd bist, von ihnen mehr geachtet halten, als Dues hier sein möchtest? Siehst Du etwas Erreichbares vor Dir, dasDir das, was Du entbehrst, ersetze? Ist dieses Erreichbare sogewiß? Schlägt's fehl, kann es Deine Existenz dann ertragen,immer neue Zwecke zu machen, oft abgeschlagen zu werden undso herumzuirren? Willst Du also das Beständige für dasUnbeständige hingeben? Laß uns die Sache nicht so feierlichnehmen und das Übel nicht für so unheilbar halten. Ist's DeinerNatur gut, sich zu verändern, so reise. Warum sich immerersäufen wollen, wenn's mit einem schönen Bade getan ist?«

Es ging damals eine wohltätige Umwandlung mit dem Herzogvor; gleich Goethe gab er sich mehr und mehr dem Studium derNatur hin, um 1784 schrieb er an Knebel: »DieNaturwissenschaft ist so menschlich, so wahr, daß ich jedemGlück wünsche, der sich ihr auch nur etwas ergibt ... Sie beweistund lehrt so bündig, daß das Größte, das Geheimnisvollste, das

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 246

Page 247: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Zauberhafteste so ordentlich, einfach, öffentlich, unmagischzugeht; sie muß doch endlich die armen unwissenden Menschenvon dem Durst nach dem Außerordentlichen heilen, da sie ihnenzeigt, daß das Außerordentliche so nahe, so deutlich, sounaußerordentlich, so bestimmt nahe ist.«

Das Jahr 1789 brachte auch für den Weimarer HofVeränderungen mit sich, besonders im Hinblick auf sparsamereWirtschaft. Herder schreibt an Knebel: »Der Hof ist wieder hierund die Tafel an demselben abgeschafft. Die Herren Mitesserbekommen Kostgeld, die Damen speisen mit dem fürstlichenEhepaar auf des Herzogs Zimmer, und jedesmal wird einFremder dazu gebeten. Sie können denken, was die Hofdamendazu sagen, und es ist unbegreiflich, daß sie nicht schon ausFurcht vor zukünftiger langen Weile zum vorausverschmachten.«

Über die französische Revolution äußerte sich der Herzog am 13.Januar 1793, eine Woche vor der Hinrichtung Ludwigs XVI., wiefolgt: »Wer die Franzosen in der Nähe sieht, muß einen wahrenEkel für sie fassen; sie sind alle sehr unterrichtet, aber jede Spureines moralischen Gefühls ist bei ihnen ausgelöscht ... DerMensch war nie, die Zone, unter der er lebte, mag sein wie siewolle, er war nie, sage ich, zur Treibhauspflanze bestimmt.Sobald er diese Kultur erhält, geht er zugrunde; auch beurteiltman die Franzosen falsch, wenn man glaubt, ihre Reife habe sieauf den jetzigen Punkt gebracht. Eines unterdrückte das andereim Reich, und nun unterdrücken die Unterdrücker selbst ihre

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 247

Page 248: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

alten Beherrscher, weil diese nachlässig und stupid waren. Nichtdas mindeste Moralische liegt dabei zum Grunde, sondern manhat jetzt eine Art Moralität oder eine philosophische Zunft zumWerkzeug gebraucht.«

Die Abneigung Karl Augusts gegen die Franzosen hatte ihreUrsache darin, daß er sich ihnen gegenüber ganz und gar alsDeutscher fühlte. Karoline von Wolzogen schrieb darüber einmalan Schiller: »Ich dankte auch dem Himmel beim Lesen desMirabeau, daß alles, was mir lieb ist, nichts mit der Politik zu tunhat. An wie armseligen Fäden hängen diese Weltbegebenheiten!Es muß ein unsichtbares Gewebe das Menschengeschlechtumstricken und so zusammenhalten wie es hält; was dieseMenschen dabei zu tun wähnen, kann nicht viel sein. So kleinund eng sind sie, keine Spur eines bessern Wesens, das sichselbst an die allgemeine Glückseligkeit hingäbe, jeder denkt nuran einen bequemen Platz für sich, um darauf zuzusehen; siehaben nicht einmal die Energie, um herrschen zu wollen. DesMirabeau Nationalstolz ist kindisch und ärgerlich, man könnteaus Depit deutsch sein wollen, wie der Tempelherr im NathanChrist sein wollte, wenn man anders mit ihm zu tun hätte, glaubich. Ich will dem Herzog von Weimar wohl darum, daß erMirabeau übel begegnet hat.«

Im übrigen wurde das stille Weimar durch die großenWeltereignisse wenig berührt. Der Herzog, der zu GoethesMißvergnügen eine wachsende Kriegslust an den Tag gelegthatte, nahm 1794 an dem Feldzug in der Champagne teil; Goethe

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 248

Page 249: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

begleitete ihn, und wie man weiß, hat er dieses kriegerischeZwischenspiel wahr und meisterlich beschrieben. Es war in KarlAugust ein unstillbarer Drang, sich zu betätigen und auszuleben.So liebte er auch in seinen Herzensbeziehungen dieAbwechslung. Als die Leidenschaft zur Gräfin Werthern vorüberwar, wurde die reizende Sängerin und Schauspielerin CarolineJagemann seine Favoritin. Für sie schrieb Goethe die Eugenie inder natürlichen Tochter. Sie war sehr schön und sehr ehrgeizigund stand den Werbungen Karl Augusts anfangs kühl gegenüber,denn eben ihres künstlerischen Ehrgeizes wegen hatte es nichtsVerlockendes für sie, in einer kleinen Stadt und an einer kleinenBühne die Mätresse eines Herzogs zu sein. Ihr Widerstrebensteigerte die Leidenschaft Karl Augusts bis zur Verzweiflung.Endlich gab sie nach; sie blieb beim Theater, wurde aber zurFrau von Heygendorff erhoben. Es wird berichtet, daß sie noch inihrem hohen Alter, als schon graue Locken das Gesichtumrahmten, von bezauberndem Reiz gewesen sei, besondershabe ihre Stimme etwas unvergleichlich Angenehmes gehabt.Frisch an Körper und Geist, war sie dem Herzog wiezugeschaffen, seinem innersten Bedürfnis entsprechend, selbstihre Art sich auszudrücken war der seinen gemäß. Ihr Einflußwar groß und dauerte bis zum Tode des Herzogs. IhreHauptfeindin am Hof war die Gemahlin des Erbprinzen, dierussische Großfürstin Marie, und es kam wohl vor, daß sie imGefühl ihrer Überlegenheit diese der Zarentochter zu fühlen gab.Einmal hatte die Erbprinzessin bei einem Gang durch den Parkihre Freude an einer schönen Baumpartie ausgesprochen; als sienach ein paar Tagen wieder vorüber kam, waren die schönen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 249

Page 250: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Bäume abgehauen. Frau von Heygendorff hatte den Herzogbestimmt, hierzu den Befehl zu geben. Weil Karl Augustfürchtete, daß seiner geliebten Freundin nach seinem Tod einübles Schicksal widerfahren könnte, hatte er seinen Adjutantenunterwiesen, für den Fall, daß er außerhalb Weimars sterbensollte, den Kurier mit der Todesnachricht zuallererst zu Frau vonHeygendorff zu schicken. Dieser Fall trat auch ein, und demBefehl wurde buchstäblich Folge geleistet. Als die fürstlicheFamilie die Kunde von dem Tod des Herzogs bekam, hatte Frauvon Heygendorff bereits ihren Wagen anspannen lassen undbefand sich auf der Fahrt nach Mannheim, wo sie vordem, beiIffland, ihre Ausbildung genossen hatte.

Karl August hatte auch für die Literatur der #Ars amandi# vielübrig und legte sich eine #Bibliotheca erotica# an, welche dieseltensten Exemplare der Gattung enthielt. Er schenkte sie späterseiner guten Freundin, der Gräfin Henckel, die sich sehr für dasgeheime Fach interessierte.

Die Verheiratung des Erbprinzen mit der Großfürstin verändertealle Lebensverhältnisse in Weimar. »Sie können kaum einenBegriff haben von dem Glanz, der uns neuerlich umgibt,«schreibt Fräulein von Göchhausen im September 1804, »derHerzog ist mit drei russischen ganz von Juwelen strahlendenOrden geziert. Meine gute Fürstin strahlt nicht weniger ...Überhaupt reden wir jetzt von Gold, Silber und Edelsteinen wiesonst von Quarz, Gneis und Glimmer. Die wilden Völker, dienoch mehr dergleichen bringen sollen, werden in diesen Tagen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 250

Page 251: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

erwartet.« Die wilden Völker, das waren die Russen. ZweiMonate später schreibt das Fräulein: »Der Einzug war prächtigdurch die unglaubliche Volksmenge, die in geordneten Wagen,zu Pferd und zu Fuß festlich entgegenwallten ... Es erschien allesruhig und würdig, ich möchte es die frohe Teilnahme einesgebildeten Volks nennen. Am Montag kam die Großfürstin zumerstenmal ins Theater. Sie können sich den klatschenden Jubelkaum denken. Ein Vorspiel von Schiller wurde gegeben, hierauffolgte Mitridat. Diese Prinzessin ist ein Engel an Geist, Güte undLiebenswürdigkeit; auch habe ich noch nie in Weimar einensolchen Einklang aus allen Herzen über alle Zungen ergehenhören, als seit sie der Gegenstand aller Gespräche geworden. Sietut wirklich Wunder; auch unser Vater Wieland ist begeistert undmacht wieder Verse.«

Ein Jahr später kam der Kaiser Alexander nach Weimar zumBesuch seiner Schwester. Er wurde sehr gefeiert und bezaubertejedermann. Nach seiner Abreise schrieb Fräulein vonGöchhausen an Böttiger: »Nächst dem Andenken im Herzen anden liebenswürdigen Kaiser hinterließ er auch blitzendeAndenken in edlen Steinen. Sogar alle Hofdamen, woruntermeine Wenigkeit sich auch befindet, erhielten reiche Geschenkean blitzenden Halsbändern, Kämmen und Gürtelschnallen. DerKaiser, #le comte du Nord,# schickte Visitenkarten an dieDamen vom ersten Rang und auch an Wieland. KünftigenDonnerstag kommt das erste preußische Regiment hier an; baldwird es wie in Wallensteins Lager hier aussehen. UnserLändchen fühlt die schützende Nachbarschaft schwer. Die

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 251

Page 252: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

aufzubringenden Getreidelieferungen und die ins Landkommenden sechs- bis achttausend Mann lassen uns ängstlicheBlicke in die Zukunft tun.«

Während der Einquartierung unterhielten sich einmal einigepreußische Offiziere in einem Weinhaus über die Wohnungen,die sie gefunden hatten. Ein alter, dickbäuchiger Major sagte:»Ich stehe da bei einem gewissen Gothe oder Goethe, weiß derTeufel, wie der Kerl heißt.« Man machte ihn aufmerksam, es seider berühmte Dichter Goethe, wo er stehe, da antwortete er:»Kann sein, ja ja, nu nu, das kann wohl sein, ich habe dem Kerlauf den Zahn gefühlt, und er scheint mir Mucken im Kopfe zuhaben.«

Es kam nun die furchtbare Katastrophe der Schlacht von Jenaund Auerstädt. Am 4. Oktober fuhren der König und die Königinvon Preußen auf dem Wege nach Erfurt durch Weimar. DerHerzog befand sich bei dem preußischen Heere, das sein Oheim,der Herzog von Braunschweig, kommandierte. DieHerzogin-Mutter Amalie war nach Eutin geflohen, und inWeimar blieb nur die Herzogin Luise. Schon am Abend desSchlachttags trafen die gefürchteten Chasseurs ein, in der Nachtbrach Feuer in der Nähe des Schlosses aus. Die Stadt wurde vonden Franzosen drei Tage lang geplündert, manche Familie verlorHab und Gut. Da sich Napoleon sehr ungehalten darüber zeigte,daß der Herzog von seiner Residenz abwesend und bei derpreußischen Armee war, wurden zwei seiner treuesten Diener,der Oberforstmeister von Stein und der Leutnant von Seebach,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 252

Page 253: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

abgeschickt, ihn zu suchen und zu eiliger Rückkehr aufzufordern.Ihr Unternehmen blieb ohne Erfolg, und in der Not verfiel manauf den jungen Regierungsrat Müller und betraute ihn mit derschwierigen Aufgabe, den Herzog vom Heeresdienst abzurufenund heimzuholen. Nach vielen Abenteuern und Irrfahrten trafMüller den Herzog in Berlin, aber Karl August war durchausnicht geneigt, den gewünschten Fußfall vor dem Kaiser zu tun.Napoleon, obwohl höchst ungnädig gegen den Herzog gestimmt,ließ ihn doch nicht fallen und verwirklichte keine seinerDrohungen, denn er brauchte ihn zur Vermittlung beim KaiserAlexander. Das kleine Land aber wurde durch dieKriegskontributionen in schwere Drangsale gestürzt, und nichtimmer gelang es dem klugen und diplomatisch geschicktenFriedrich von Müller, das größte Elend abzuwenden. DieUnnachgiebigkeit Karl Augusts, der es immer wiederverweigerte, vor Napoleon in Audienz zu erscheinen, trug auchnicht dazu bei, den Kaiser milder zu stimmen, wenngleich er derHerzogin Luise gegenüber eine große, vielleicht empfundeneHochschätzung an den Tag legte.

An den Festlichkeiten des Kongresses zu Erfurt nahm auchWeimar seinen Anteil. Napoleon hatte gewünscht, dem KaiserAlexander das Schlachtfeld von Jena zu zeigen; dazu sollte einegroße Jagd am Ettersberg und auf den Hügeln gegen Jena hindienen. Friedrich von Müller berichtet darüber in seinenMemoiren:

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 253

Page 254: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

»Am 6. Oktober war der Weg von Erfurt nach dem Ettersbergvon früh an mit unzähligen Wagen, Reitern und Fußgängernbedeckt. Es war der schönste, klarste Herbsttag, kein Wölkchenam ganzen Himmel. In der Nacht vorher waren mehrere hundertHirsche und Rehe aus dem Ettersburger Walde gegen einengroßen freien Rasenplatz zusammengetrieben und umzäuntworden. In der Mitte dieses freien Platzes hatte man einenungeheuren Jagdpavillon errichtet, 450 Schritte lang und 50Schritte breit, mit drei Abteilungen, wovon die mittlere für diebeiden Kaiser und für die Könige bestimmt war. Der Pavillonruhte auf mit Blumen und Zweigen umschmückten Säulen. Dichtdabei sah man große, freistehende Balkone, von denen bequemdas Ganze überschaut werden konnte. Ringsumher liefen Budenund Zelte mit Erfrischungen. An der Waldgrenze gruppiertensich um große Feuer zur Bereitung von warmen Speisen undGetränken eine Unzahl von Landleuten, die dasZusammentreiben des Wildes die ganze Nacht hindurch ermüdethatte. Dazwischen ertönten muntere Jagdhörner und Gesänge.Die Monarchen, an der Landesgrenze von dem Herzog und derganzen Jägerei zu Pferde empfangen, langten mit ihrem Gefolgeunter dem Schalle der Jagdfanfaren gegen ein Uhr mittags an.Nun wurde in einzelnen Abteilungen das Wild aus demumzäunten Walde heraus und so getrieben, daß es am großenPavillon in Schußweite vorüber mußte. Napoleon ergötzte sichungemein an diesem Schauspiel und schien überhaupt sehrvergnügt. Um vier Uhr endigte die Jagd; nicht der geringsteUnfall hatte sie getrübt. Ich war in Erfurt zurückgeblieben undbeauftragt, dem Kaiser Napoleon noch vor seiner Abfahrt

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 254

Page 255: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

aufzuwarten, worauf ich mich eiligst nach Weimar verfügensollte. Es war fünf Uhr, als die Monarchen unter dem Geläutealler Glocken in Weimar einzogen. Wie Napoleon sich in die fürihn bereiteten Zimmer begab, war ich zufällig der erste, auf denseine Blicke im Vorzimmer trafen. Er ging sehr freundlich aufmich zu, tat mir mehrere Fragen, und ich mußte ihm einigeumstehende, ihm noch nicht bekannte Personen vorstellen. EineStunde darauf ging es zur kaiserlichen Tafel. Unfern davon warin einer großen Galerie die Marschallstafel von mehr alshundertfünfzig Personen bereitet. Ich hatte dem Minister,Staatssekretär Maret und dem Marschall Soult die Honneurs zumachen, bei denen ich saß. Aber wir waren noch kaum bis zurHälfte des Diners gekommen, als gemeldet wurde, daß dieMonarchen im Begriff seien, sich von ihrer Tafel zu erheben.Nun strömte alles dahin. Napoleon liebte bekanntlich sehr raschzu speisen, doch hatte er sich dabei lebhaft mit seiner Nachbarin,der Herzogin von Weimar unterhalten. Nach kurzer Pause fuhrman in das Theater, wohin der Wagen der beiden Kaiser vonweimarischen Husaren eskortiert wurde. Vor dem Schlosse standein sechzig Fuß hoher Obelisk, geschmackvoll erleuchtet, aufdessen Spitze eine helle Flamme loderte. Das ganze Schloß undseine Umgebungen sowie alle Straßen bis zum Schauspielhausewaren illuminiert, die innere Einrichtung und Verteilung derSitze im Theater ganz wie die zu Erfurt. Die französischenSchauspieler führten, wie ich schon oben erwähnt, #La mort deCésar# von Voltaire auf. Unbeschreiblich war der Eindruck.Talma als Brutus übertraf sich selbst. Bei der Stelle am Schlussedes ersten Aktes, wo Cäsar dem Antonius, der ihn vor den

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 255

Page 256: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Senatoren warnt, antwortet:

#»Je les aurais punis, si je les pouvais craindre; Ne me conseillezpoint de me faire hair. Je sais combattre, vaincre et ne sais pointpunir, Allons, n'écoutons point ni soupçons ni vengeance, Surl'univers soumis régnons sans violence,«#

war es, als ob ein elektrischer Funke mächtig alle Zuschauerdurchzuckte.

»Hatte die Aufführung des Trauerspiels #La mort de César#immerhin etwas seltsam Ominöses gehabt, so mußte es aufdiejenigen, die diesen Abend miterlebt hatten, noch langenachher einen erschütternden Eindruck machen, als sie erfuhren,wie wenig gefehlt hatte, daß diese Aufführung wirklich zumgrößten Trauerspiel der neueren Weltgeschichte geworden wäre.Es hatte sich nämlich eine kleine Anzahl verwegener preußischerOffiziere, das Unglück und den trostlosen Zustand ihresVaterlandes tief empfindend und von glühendem Haß gegendessen Unterdrücker erfüllt, verschworen, den Kaiser Napoleonbei seinem Heraustreten aus dem Theater zu erschießen. Siehatten die Lokalität aufs genaueste erkundet, Voranstalten zuihrer eiligen Flucht nach vollbrachter Tat getroffen und sich zumgrößten Teil in Weimar unbemerkt versammelt, als noch imletzten Moment einer der Mitverschworenen ausblieb. Sei es, daßdieser Umstand die übrigen abschreckte, oder daß sie Reueempfanden, genug, das Vorhaben unterblieb. WelcheVerwirrung, welche Greuel das Gelingen so grausiger Tat

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 256

Page 257: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

unmittelbar und zunächst für Weimar nach sich gezogen hätte, istkaum zu ermessen.«

Die Befreiung Deutschlands wäre durch einen Pistolenschußerfolgt; die Hunderttausende von Opfern der nächstenKriegsjahre hätten nicht geblutet, aber es hätte auch kein 1813,keine Erhebung des ganzen Volks gegeben, und so sehen wirwieder das Schicksal abseits von dem Willen der Menschenseinen ehernen Weg gehen.

Karl August trat mit den übrigen Fürsten des ernestinischenHauses dem Rheinbund bei. 1815 besuchte er den WienerKongreß persönlich. Graf Nostiz notiert über ihn in seinemTagebuch: »Der alte Herzog von Weimar lebt so burschikos fort,wie er es immer getrieben. Die Welt gefällt ihm, und er ist ihrimmer durch Lebenslust verbunden, wenn auch die Jahre seineBeweglichkeit schwächen.«

Er trat als erster Großherzog zum deutschen Bund. 1825 feierteer sein fünfzigjähriges Regierungsjubiläum und seine goldeneHochzeit. Im Mai 1827 hatte sich seine Enkelin mit dem PrinzenKarl von Preußen verheiratet, im Frühjahr darauf reiste KarlAugust zum Besuche des jungen Paares nach Berlin, und auf derRückreise starb er auf dem Gestüt zu Graditz bei Torgau am 14.Juli 1828, 71 Jahre alt. Er ward beigesetzt in der Fürstengruft aufdem Friedhof der Jakobskirche zu Weimar, wohin er wenigeMonate früher Schillers sterbliche Reste hatte bringen lassen undwo vier Jahre später auch Goethe begraben wurde.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 257

Page 258: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Die letzten Tage vor seinem Tode hatte er in fast beständigerGesellschaft Alexanders von Humboldt verbracht, und Humboldtbeschrieb diese Tage in einem Brief an den Kanzler Müller, derseinerseits wieder Goethe davon Mitteilung machte. In demunvergleichlich schönen Gespräch, das Eckermann unterm 23.Oktober 1828 aufzeichnet, ist darüber eingehend zu lesen, und esmöge, auch wegen des profunden und ewig gültigen Urteils, dasGoethe über seinen Herzog fällt, zum Abschluß hier folgen.

»Es war nicht ohne höhere günstige Einwirkung,« sagt Goethe,»daß einer der größten Fürsten, die Deutschland je besessen,einen Mann wie Humboldt zum Zeugen seiner letzten Tage undStunden hatte. Ich habe mir von seinem Brief eine Abschriftnehmen lassen und will Ihnen doch einiges daraus mitteilen.«

Goethe stand auf und ging zu seinem Pult, wo er den Brief nahmund sich wieder zu mir an den Tisch setzte. Er las eine Weile imstillen. Ich sah Tränen in seinen Augen. »Lesen Sie es für sich,«sagte er dann, indem er mir den Brief zureichte. Er stand auf undging im Zimmer auf und ab, während ich las.

»Wer konnte mehr durch das schnelle Hinscheiden desVerewigten erschüttert werden,« schreibt Humboldt, »als ich,den er seit dreißig Jahren mit so wohlwollender Auszeichnung,ich darf sagen, mit so aufrichtiger Vorliebe behandelt hatte. Auchhier wollte er mich fast zu jeder Stunde um sich haben; und, alssei eine solche Luzidität wie bei den erhabenen schneebedecktenAlpen der Vorbote des scheidenden Lichtes, nie habe ich den

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 258

Page 259: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

großen, menschlichen Fürsten lebendiger, geistreicher, milderund an aller ferneren Entwicklung des Volkslebensteilnehmender gesehen als in den letzten Tagen, die wir ihn hierbesaßen.

Ich sagte mehrmals zu meinen Freunden ahnungsvoll undbeängstigt, daß diese Lebendigkeit, diese geheimnisvolleKlarheit des Geistes, bei so viel körperlicher Schwäche, mir einschreckhaftes Phänomen sei. Er selbst oszillierte sichtbarzwischen Hoffnung der Genesung und Erwartung der großenKatastrophe.

Als ich ihn vierundzwanzig Stunden vor dieser sah, beimFrühstück, krank und ohne Neigung, etwas zu genießen, fragte ernoch lebendig nach den von Schweden herübergekommenenGranitgeschieben baltischer Länder, nach Kometschweifen,welche sich unsrer Atmosphäre trübend einmischen könnten,nach der Ursache der großen Winterkälte an allen östlichenKüsten.

Als ich ihn zuletzt sah, drückte er mir zum Abschied die Handmit den heiteren Worten: 'Sie glauben, Humboldt, Töplitz undalle warmen Quellen seien wie Wasser, die man künstlicherwärmt? Das ist nicht Küchenfeuer! Darüber streiten wir inTöplitz, wenn Sie mit dem Könige kommen. Sie sollen sehen, Ihraltes Küchenfeuer wird mich doch noch einmalzusammenhalten.' Sonderbar! Denn alles wird bedeutend bei soeinem Manne.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 259

Page 260: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

In Potsdam saß ich mehrere Stunden allein mit ihm auf demKanapee; er trank und schlief abwechselnd, trank wieder, standauf, um an seine Gemahlin zu schreiben, dann schlief er wieder.Er war heiter, aber sehr erschöpft. In den Intervallen bedrängte ermich mit den schwierigsten Fragen: über Physik, Astronomie,Meteorologie und Geognosie, über Durchsichtigkeit einesKometenkerns, über Mondatmosphäre, über die farbigenDoppelsterne, über Einfluß der Sonnenflecke auf Temperatur,Erscheinen der organischen Formen in der Urwelt, innereErdwärme. Er schlief mitten in seiner und meiner Rede ein,wurde oft unruhig und sagte dann, über seine scheinbareUnaufmerksamkeit milde und freundlich um Verzeihung bittend:'Sie sehen, Humboldt, es ist aus mit mir!'

Auf einmal ging er desultorisch in religiöse Gespräche über. Erklagte über den einreißenden Pietismus und den Zusammenhangdieser Schwärmerei mit politischen Tendenzen nachAbsolutismus und Niederschlagen aller freieren Geistesregungen.'Dazu sind es unwahre, Bursche,' rief er aus, 'die sich dadurchden Fürsten angenehm zu machen glauben, um Stellen undBänder zu erhalten! -- Mit der poetischen Vorliebe zumMittelalter haben sie sich eingeschlichen.'

Bald legte sich sein Zorn und er sagte, wie er jetzt vielTröstliches in der christlichen Religion finde. 'Das ist einemenschenfreundliche Lehre,' sagte er, 'aber von Anfang an hatman sie verunstaltet. Die ersten Christen waren die Freigesinntenunter den Ultras.'«

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 260

Page 261: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Ich gab Goethe über diesen herrlichen Brief meine innige Freudezu erkennen. »Sie sehen,« sagte Goethe, »was für einbedeutender Mensch er war. Aber wie gut ist es von Humboldt,daß er diese wenigen letzten Züge aufgefaßt, die wirklich alsSymbol gelten können, worin die ganze Natur des vorzüglichenFürsten sich spiegelt. Ja, so war er! -- Ich kann es am bestensagen, denn es kannte ihn im Grunde niemand so durch unddurch wie ich selber. Ist es aber nicht ein Jammer, daß keinUnterschied ist und daß auch ein solcher Mensch so früh dahinmuß! -- Nur ein lumpiges Jahrhundert länger, und wie würde eran so hoher Stelle seine Zeit vorwärts gebracht haben! -- Aberwissen Sie was? Die Welt soll nicht so rasch zum Ziele, als wirdenken und wünschen. Immer sind die retardierenden Dämonenda, die überall dazwischen und überall entgegentreten, so daß eszwar im ganzen vorwärts geht, aber sehr langsam. Leben Sie nurfort und Sie werden schon finden, daß ich recht habe.«

Die Entwicklung der Menschheit scheint auf Jahrtausendeangelegt, sagte ich.

»Wer weiß,« erwiderte Goethe, »-- vielleicht auf Millionen! Aberlaß die Menschheit dauern, so lange sie will, es wird ihr nie anHindernissen fehlen, die ihr zu schaffen machen, und nie anallerlei Not, damit sie ihre Kräfte entwickle. Klüger undeinsichtiger wird sie werden, aber besser, glücklicher undtatkräftiger nicht, oder doch nur auf Epochen. Ich sehe die Zeitkommen, wo Gott keine Freude mehr an ihr hat und er abermalsalles zusammenschlagen muß zu einer verjüngten Schöpfung. Ich

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 261

Page 262: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

bin gewiß, es ist alles danach angelegt und es steht in der fernenZukunft schon Zeit und Stunde fest, wann dieVerjüngungsepoche eintritt. Aber bis dahin hat es sicher nochgute Weile, und wir können noch Jahrtausende und aberJahrtausende auf dieser lieben, alten Fläche, wie sie ist, allerleiSpaß haben.«

Goethe war in besonders guter erhöhter Stimmung. Er ließ eineFlasche Wein kommen, wovon er sich und mir einschenkte.Unser Gespräch ging wieder auf den Großherzog Karl Augustzurück.

»Sie sehen,« sagte Goethe, »wie sein außerordentlicher Geist dasganze Reich der Natur umfaßte. Physik, Astronomie, Geognosie,Meteorologie, Pflanzen- und Tierformen der Umwelt und wassonst dazu gehört, er hatte für alles Sinn und für alles Interesse.Er war achtzehn Jahre alt, als ich nach Weimar kam; aber schondamals zeigten seine Keime und Knospen, was einst der Baumsein würde. Er schloß sich bald auf das innigste an mich an undnahm an allem, was ich trieb, gründlichen Anteil. Daß ich fastzehn Jahre älter war als er, kam unserm Verhältnis zugute. Er saßganze Abende bei mir in tiefen Gesprächen über Gegenständeder Kunst und Natur und was sonst allerlei Gutes vorkam. Wirsaßen oft tief in die Nacht hinein, und es war nicht selten, daßwir nebeneinander auf meinem Sofa einschliefen. Fünfzig Jahrehaben wir es miteinander fort getrieben, und es wäre keinWunder, wenn wir es endlich zu etwas gebracht hätten.«

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 262

Page 263: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Eine so gründliche Bildung, sagte ich, wie sie der Großherzoggehabt zu haben scheint, mag bei fürstlichen Personen seltenvorkommen.

»Sehr selten,« erwiderte Goethe. »Es gibt zwar viele, die fähigsind, über alles sehr geschickt mitzureden; aber sie haben esnicht im Innern und krabbeln nur an den Oberflächen. Und es istkein Wunder, wenn man die entsetzlichen Zerstreuungen undZerstückelungen bedenkt, die das Hofleben mit sich führt unddenen ein junger Fürst ausgesetzt ist. Von allem soll er Notiznehmen. Er soll ein bißchen Das kennen und ein bißchen Das,und dann ein bißchen Das und wieder ein bißchen Das. Dabeikann sich aber nichts setzen und Wurzel schlagen, und es gehörtder Fonds einer gewaltigen Natur dazu, um bei solchenAnforderungen nicht in Rauch aufzugehen. Der Großherzog warfreilich ein geborener großer Mensch, womit alles gesagt undalles getan ist.«

Bei allen seinen höheren wissenschaftlichen und geistigenRichtungen, sagte ich, scheint er doch auch das Regierenverstanden zu haben.

»Es war ein Mensch aus dem Ganzen,« erwiderte Goethe, »undes kam bei ihm alles aus einer einzigen großen Quelle. Und wiedas Ganze gut war, so war das Einzelne gut, er mochte tun undtreiben, was er wollte. Übrigens kamen ihm zur Führung desRegiments besonders drei Dinge zustatten. Er hatte die Gabe,Geister und Charaktere zu unterscheiden und jeden an seinen

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 263

Page 264: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Platz zu stellen. Das war sehr viel. Dann hatte er noch etwas, wasebensoviel war, wo nicht noch mehr: Er war beseelt von demedelsten Wohlwollen, von der reinsten Menschenliebe und wolltemit ganzer Seele nur das Beste. Er dachte immer zuerst an dasGlück des Landes und ganz zuletzt erst ein wenig an sich selber.Edlen Menschen entgegenzukommen, gute Zwecke befördern zuhelfen war seine Hand immer bereit und offen. Es war in ihmviel Göttliches. Er hätte die ganze Menschheit beglücken mögen.Liebe aber erzeugt Liebe. Wer aber geliebt ist, hat leichtregieren.

Und drittens: Er war größer als seine Umgebung. Neben zehnStimmen, die ihm über einen gewissen Fall zu Ohren kamen,vernahm er die elfte, bessere, in sich selber. FremdeZuflüsterungen glitten an ihm ab, und er kam nicht leicht in denFall, etwas Unfürstliches zu begehen, indem er das zweideutiggemachte Verdienst zurücksetzte und empfohlene Lumpe inSchutz nahm. Er sah überall selber, urteilte selber, und hatte inallen Fällen in sich selber die sicherste Basis. Dabei war erschweigsamer Natur, und seinen Worten folgte die Handlung.«

Wie leid tut es mir, sagte ich, daß ich nicht viel mehr von ihmgekannt habe als sein Äußeres; doch das hat sich mir tiefeingeprägt. Ich sehe ihn noch immer auf seiner alten Droschke,im abgetragenen, grauen Mantel und Militärmütze und eineZigarre rauchend, wie er auf die Jagd fuhr, seine Lieblingshundenebenher. Ich habe ihn nie anders fahren sehen als auf dieserunansehnlichen alten Droschke. Auch nie anders als

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 264

Page 265: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

zweispännig. Ein Gepränge mit sechs Pferden und Röcke mitOrdenssternen scheint nicht sehr nach seinem Geschmackgewesen zu sein.

»Das ist,« erwiderte Goethe, »bei Fürsten überhaupt kaum mehran der Zeit. Es kommt jetzt darauf an, was einer auf der Wageder Menschheit wiegt; alles übrige ist eitel. Ein Rock mit demStern und ein Wagen mit sechs Pferden imponiert nur nochallenfalls der rohesten Masse und kaum dieser. Übrigens hing diealte Droschke des Großherzogs kaum in Federn. Wer mit ihmfuhr, hatte verzweifelte Stöße auszuhalten. Aber das war ihmeben recht. Er liebte das Derbe und Unbequeme und war einFeind aller Verweichlichung.«

Spuren davon, sagte ich, sieht man schon in Ihrem GedichtIlmenau, wo sie ihn nach dem Leben gezeichnet zu habenscheinen.

»Er war damals sehr jung,« erwiderte Goethe, »doch ging es mituns freilich etwas toll her. Er war wie ein edler Wein, aber nochin gewaltiger Gärung. Er wußte mit seinen Kräften nicht wohinaus, und wir waren oft sehr nahe am Halsbrechen. AufParforcepferden über Hecken, Gräben und durch Flüsse, undbergauf, bergein sich tagelang abarbeiten, und dann nachts unterfreiem Himmel kampieren, etwa bei einem Feuer im Walde: daswar nach seinem Sinne. Ein Herzogtum geerbt zu haben war ihmnichts, aber hätte er sich eines erringen, erjagen und erstürmenkönnen, das wäre ihm etwas gewesen.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 265

Page 266: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Das Ilmenauer Gedicht,« fuhr Goethe fort, »enthält als Episodeeine Epoche, die im Jahre 1783, als ich es schrieb, bereitsmehrere Jahre hinter uns lag, so daß ich mich selber darin alseine historische Figur zeichnen und mit meinem eigenen Ichfrüherer Jahre eine Unterhaltung führen konnte. Es ist darin, wieSie wissen, eine nächtliche Szene vorgeführt, etwa nach einersolchen halsbrecherischen Jagd im Gebirge. Wir hatten uns amFuße eines Felsens kleine Hütten gebaut und mit Tannenreiserngedeckt, um darin auf trockenem Boden zu übernachten. Vor denHütten brannten mehrere Feuer, und wir kochten und brieten,was die Jagd gegeben hatte. Knebel, dem schon damals dieTabakspfeife nicht kalt wurde, saß dem Feuer zunächst undergötzte die Gesellschaft mit allerlei trockenen Späßen, währenddie Weinflasche von Hand zu Hand ging. Seckendorf, derschlanke, mit den langen, feinen Gliedern, hatte sich behaglicham Stamm eines Baumes hingestreckt und summte allerleiPoetisches. Abseits, in einer ähnlichen, kleinen Hütte, lag derHerzog im tiefen Schlaf. Ich selber saß davor, bei glimmendenKohlen, in allerlei schweren Gedanken, auch in Anwandlungenvon Bedauern über mancherlei Unheil, das meine Schriftenangerichtet. Knebel und Seckendorf erscheinen mir noch jetzt garnicht schlecht gezeichnet, und auch der junge Fürst nicht, indiesem düstern Ungestüm seines zwanzigsten Jahres.

Der Vorwitz lockt ihn in die Weite, Kein Fels ist ihm zu schroff,kein Steg zu schmal; Der Unfall lauert an der Seite Und stürztihn in den Arm der Qual. Dann treibt die schmerzlichüberspannte Regung Gewaltsam ihn bald da bald dort hinaus,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 266

Page 267: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Und von unmutiger Bewegung Ruht er unmutig wieder aus. Unddüster wild an heitern Tagen, Unbändig, ohne froh zu sein,Schläft er, an Seel und Leib verwundet und zerschlagen, Aufeinem harten Lager ein.

So war er ganz und gar. Es ist darin nicht der kleinste Zugübertrieben. Doch aus dieser Sturm- und Drangperiode hatte sichder Herzog bald zu wohltätiger Klarheit durchgearbeitet, so daßich ihn zu seinem Geburtstage im Jahre 1783 an diese Gestaltseiner früheren Jahre sehr wohl erinnern mochte.

Ich leugne nicht, er hat mir anfänglich manche Not und Sorgegemacht. Doch seine tüchtige Natur reinigte sich bald und bildetesich bald zum besten, so daß es eine Freude wurde, mit ihm zuleben und zu wirken.«

Sie machten, bemerkte ich, in dieser ersten Zeit mit ihm eineeinsame Reise durch die Schweiz.

»Er liebte überhaupt das Reisen,« erwiderte Goethe, »doch wares nicht sowohl, um sich zu amüsieren und zu zerstreuen, als umüberall die Augen und Ohren offen zu haben und auf allerleiGutes und Nützliches zu achten, das er in seinem Landeeinführen könnte. Ackerbau, Viehzucht und Industrie sind ihmauf diese Weise unendlich viel schuldig geworden. Überhauptwaren seine Tendenzen nicht persönlich egoistisch, sondern reinproduktiver Art, und zwar produktiv für das allgemeine Beste.Dadurch hat er sich denn auch einen Namen gemacht, der über

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 267

Page 268: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

dieses kleine Land weit hinausgeht.«

Sein sorgloses einfaches Äußere, sagte ich, schien anzudeuten,daß er den Ruhm nicht suche und daß er sich wenig aus ihmmache. Es schien, als sei er berühmt geworden ohne seinweiteres Zutun, bloß wegen seiner stillen Tüchtigkeit.

»Es ist damit ein eigenes Ding,« erwiderte Goethe. »Ein Holzbrennt, weil es Stoff dazu in sich hat, und ein Mensch wirdberühmt, weil der Stoff dazu in ihm vorhanden. Suchen läßt sichder Ruhm nicht, und alles Jagen danach ist eitel. Es kann sichwohl jemand durch kluges Benehmen und allerlei künstlicheMittel eine Art von Namen machen. Fehlt aber dabei das innereJuwel, so ist es eitel und hält nicht auf den andern Tag.

Ebenso ist es mit der Gunst des Volkes. Er suchte sie nicht undtat den Leuten keineswegs schön; aber das Volk liebte ihn, weiles fühlte, daß er ein Herz für sie habe.«

Werke von Jakob Wassermann

Die Juden von Zirndorf. Roman. Neubearbeitete Ausgabe. VierteAuflage.

Die Geschichte der jungen Renate Fuchs. Roman. DreizehnteAuflage.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 268

Page 269: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Der Moloch. Roman. Neubearbeitete Ausgabe. Vierte Auflage.

Der niegeküßte Mund -- Hilperich. Novellen.

Alexander in Babylon. Roman. Neubearbeitete Ausgabe. FünfteAuflage.

Die Schwestern. Drei Novellen. Dritte Auflage.

Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens. Roman. Neuewohlfeile Ausgabe. Neunte Auflage.

Die Masken Erwin Reiners. Roman. Achte Auflage.

Der goldene Spiegel. Erzählungen in einem Rahmen. AchteAuflage.

Die ungleichen Schalen. Fünf einaktige Dramen.

Faustina. Ein Gespräch über die Liebe. Zweite Auflage.

Der Mann von vierzig Jahren. Roman. Zehnte Auflage.

S. Fischer, Verlag, Berlin

Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 269

Page 270: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

[Anmerkungen zur Transkription: Dieses elektronische Buchwurde auf Grundlage der 1915 bei S. Fischer erschienenenErstausgabe erstellt. Die nachfolgende Tabelle enthält eineAuflistung aller gegenüber dem Originaltext vorgenommenenKorrekturen.

p 039: die kleinen, aufs feinste und schönste gemalten Figuren ->bemalten p 032: [Illustration] Joh. Friedr. Böttger -> Böttiger p113: [Illustration] Leonhard Thurneysser -> Thurneyßer p 123:erhielt sich Turneyßer -> Thurneyßer p 159: Wer einemMenschen stiehlet -> einen p 160: Der Tischer legte sich ->Tischler p 189: hielt ihm dem Kronprinzen -> ihn p 195: ImJahre 1656 -> 1756 p 207: sauer lassen werden sollte -> werdenlassen p 234: [Punkt ergänzt] wie er selbst es geführt. p 274:[Punkt ergänzt] alle Zuschauer durchzuckte.

Die Originalschreibweise wurde prinzipiell beibehalten,insbesondere bei folgenden Wörtern:

Inful: Stirnbinde, Bischofsmütze Gelahrtheit:veraltet/dichterisch: Gelehrtheit

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.Textauszeichnungen wurden folgendermaßen ersezt:

Sperrung: gesperrter Text Antiquaschrift: #Antiquatext# ]

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 270

Page 271: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

[Transcriber's Note: This ebook has been prepared from the firstprint edition published in 1915 by S. Fischer. The table belowlists all corrections applied to the original text.

p 039: die kleinen, aufs feinste und schönste gemalten Figuren ->bemalten p 032: [Illustration] Joh. Friedr. Böttger -> Böttiger p113: [Illustration] Leonhard Thurneysser -> Thurneyßer p 123:erhielt sich Turneyßer -> Thurneyßer p 159: Wer einemMenschen stiehlet -> einen p 160: Der Tischer legte sich ->Tischler p 189: hielt ihm dem Kronprinzen -> ihn p 195: ImJahre 1656 -> 1756 p 207: sauer lassen werden sollte -> werdenlassen p 234: [added period] wie er selbst es geführt. p 274:[added period] alle Zuschauer durchzuckte.

The original spelling has been maintained throughout the book.

The original book is printed in Fraktur font. Marked-up text hasbeen replaced by:

Spaced-out: spaced out text Antiqua: #text in Antiqua font# ]

End of the Project Gutenberg EBook of Deutsche Charaktere undBegebenheiten, by Jakob Wassermann

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOKDEUTSCH CHARAKTERE ***

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 271

Page 272: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

***** This file should be named 18258-8.txt or 18258-8.zip***** This and all associated files of various formats will befound in: http://www.gutenberg.org/1/8/2/5/18258/

Produced by Markus Brenner and the Online DistributedProofreading Team at http://dp.rastko.net

Updated editions will replace the previous one--the old editionswill be renamed.

Creating the works from public domain print editions means thatno one owns a United States copyright in these works, so theFoundation (and you!) can copy and distribute it in the UnitedStates without permission and without paying copyrightroyalties. Special rules, set forth in the General Terms of Usepart of this license, apply to copying and distributing ProjectGutenberg-tm electronic works to protect the PROJECTGUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is aregistered trademark, and may not be used if you charge for theeBooks, unless you receive specific permission. If you do notcharge anything for copies of this eBook, complying with therules is very easy. You may use this eBook for nearly anypurpose such as creation of derivative works, reports,performances and research. They may be modified and printedand given away--you may do practically ANYTHING withpublic domain eBooks. Redistribution is subject to the trademarklicense, especially commercial redistribution.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 272

Page 273: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASEREAD THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THISWORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting thefree distribution of electronic works, by using or distributing thiswork (or any other work associated in any way with the phrase"Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms ofthe Full Project Gutenberg-tm License (available with this file oronline at http://gutenberg.org/license).

Section 1. General Terms of Use and Redistributing ProjectGutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tmelectronic work, you indicate that you have read, understand,agree to and accept all the terms of this license and intellectualproperty (trademark/copyright) agreement. If you do not agree toabide by all the terms of this agreement, you must cease usingand return or destroy all copies of Project Gutenberg-tmelectronic works in your possession. If you paid a fee forobtaining a copy of or access to a Project Gutenberg-tmelectronic work and you do not agree to be bound by the terms ofthis agreement, you may obtain a refund from the person orentity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 273

Page 274: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may onlybe used on or associated in any way with an electronic work bypeople who agree to be bound by the terms of this agreement.There are a few things that you can do with most ProjectGutenberg-tm electronic works even without complying with thefull terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There area lot of things you can do with Project Gutenberg-tm electronicworks if you follow the terms of this agreement and helppreserve free future access to Project Gutenberg-tm electronicworks. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("theFoundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in thecollection of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly allthe individual works in the collection are in the public domain inthe United States. If an individual work is in the public domain inthe United States and you are located in the United States, we donot claim a right to prevent you from copying, distributing,performing, displaying or creating derivative works based on thework as long as all references to Project Gutenberg are removed.Of course, we hope that you will support the ProjectGutenberg-tm mission of promoting free access to electronicworks by freely sharing Project Gutenberg-tm works incompliance with the terms of this agreement for keeping theProject Gutenberg-tm name associated with the work. You caneasily comply with the terms of this agreement by keeping thiswork in the same format with its attached full ProjectGutenberg-tm License when you share it without charge with

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 274

Page 275: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located alsogovern what you can do with this work. Copyright laws in mostcountries are in a constant state of change. If you are outside theUnited States, check the laws of your country in addition to theterms of this agreement before downloading, copying,displaying, performing, distributing or creating derivative worksbased on this work or any other Project Gutenberg-tm work. TheFoundation makes no representations concerning the copyrightstatus of any work in any country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to ProjectGutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or otherimmediate access to, the full Project Gutenberg-tm License mustappear prominently whenever any copy of a ProjectGutenberg-tm work (any work on which the phrase "ProjectGutenberg" appears, or with which the phrase "ProjectGutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed,viewed, copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it awayor re-use it under the terms of the Project Gutenberg Licenseincluded with this eBook or online at www.gutenberg.org

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 275

Page 276: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work isderived from the public domain (does not contain a noticeindicating that it is posted with permission of the copyrightholder), the work can be copied and distributed to anyone in theUnited States without paying any fees or charges. If you areredistributing or providing access to a work with the phrase"Project Gutenberg" associated with or appearing on the work,you must comply either with the requirements of paragraphs1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the workand the Project Gutenberg-tm trademark as set forth inparagraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work isposted with the permission of the copyright holder, your use anddistribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder.Additional terms will be linked to the Project Gutenberg-tmLicense for all works posted with the permission of the copyrightholder found at the beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full ProjectGutenberg-tm License terms from this work, or any filescontaining a part of this work or any other work associated withProject Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistributethis electronic work, or any part of this electronic work, withoutprominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 276

Page 277: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

with active links or immediate access to the full terms of theProject Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form,including any word processing or hypertext form. However, ifyou provide access to or distribute copies of a ProjectGutenberg-tm work in a format other than "Plain Vanilla ASCII"or other format used in the official version posted on the officialProject Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org), you must,at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, ameans of exporting a copy, or a means of obtaining a copy uponrequest, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or otherform. Any alternate format must include the full ProjectGutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tmworks unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of orproviding access to or distributing Project Gutenberg-tmelectronic works provided that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derivefrom the use of Project Gutenberg-tm works calculated using themethod you already use to calculate your applicable taxes. Thefee is owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark,

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 277

Page 278: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

but he has agreed to donate royalties under this paragraph to theProject Gutenberg Literary Archive Foundation. Royaltypayments must be paid within 60 days following each date onwhich you prepare (or are legally required to prepare) yourperiodic tax returns. Royalty payments should be clearly markedas such and sent to the Project Gutenberg Literary ArchiveFoundation at the address specified in Section 4, "Informationabout donations to the Project Gutenberg Literary ArchiveFoundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user whonotifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receiptthat s/he does not agree to the terms of the full ProjectGutenberg-tm License. You must require such a user to return ordestroy all copies of the works possessed in a physical mediumand discontinue all use of and all access to other copies ofProject Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refundof any money paid for a work or a replacement copy, if a defectin the electronic work is discovered and reported to you within90 days of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for freedistribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a ProjectGutenberg-tm electronic work or group of works on different

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 278

Page 279: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

terms than are set forth in this agreement, you must obtainpermission in writing from both the Project Gutenberg LiteraryArchive Foundation and Michael Hart, the owner of the ProjectGutenberg-tm trademark. Contact the Foundation as set forth inSection 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expendconsiderable effort to identify, do copyright research on,transcribe and proofread public domain works in creating theProject Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, ProjectGutenberg-tm electronic works, and the medium on which theymay be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to,incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, acopyright or other intellectual property infringement, a defectiveor damaged disk or other medium, a computer virus, or computercodes that damage or cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES- Except for the "Right of Replacement or Refund" described inparagraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary ArchiveFoundation, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark,and any other party distributing a Project Gutenberg-tmelectronic work under this agreement, disclaim all liability to youfor damages, costs and expenses, including legal fees. YOUAGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FORNEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 279

Page 280: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPTTHOSE PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREETHAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER,AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENTWILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT,INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE ORINCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OFTHE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND -If you discover a defect in this electronic work within 90 days ofreceiving it, you can receive a refund of the money (if any) youpaid for it by sending a written explanation to the person youreceived the work from. If you received the work on a physicalmedium, you must return the medium with your writtenexplanation. The person or entity that provided you with thedefective work may elect to provide a replacement copy in lieuof a refund. If you received the work electronically, the person orentity providing it to you may choose to give you a secondopportunity to receive the work electronically in lieu of a refund.If the second copy is also defective, you may demand a refund inwriting without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund setforth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS'WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESSOR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TOWARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 280

Page 281: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain impliedwarranties or the exclusion or limitation of certain types ofdamages. If any disclaimer or limitation set forth in thisagreement violates the law of the state applicable to thisagreement, the agreement shall be interpreted to make themaximum disclaimer or limitation permitted by the applicablestate law. The invalidity or unenforceability of any provision ofthis agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY

- You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademarkowner, any agent or employee of the Foundation, anyoneproviding copies of Project Gutenberg-tm electronic works inaccordance with this agreement, and any volunteers associatedwith the production, promotion and distribution of ProjectGutenberg-tm electronic works, harmless from all liability, costsand expenses, including legal fees, that arise directly or indirectlyfrom any of the following which you do or cause to occur: (a)distribution of this or any Project Gutenberg-tm work, (b)alteration, modification, or additions or deletions to any ProjectGutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of ProjectGutenberg-tm

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 281

Page 282: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution ofelectronic works in formats readable by the widest variety ofcomputers including obsolete, old, middle-aged and newcomputers. It exists because of the efforts of hundreds ofvolunteers and donations from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with theassistance they need, is critical to reaching ProjectGutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tmcollection will remain freely available for generations to come. In2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation wascreated to provide a secure and permanent future for ProjectGutenberg-tm and future generations. To learn more about theProject Gutenberg Literary Archive Foundation and how yourefforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and theFoundation web page at http://www.pglaf.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg LiteraryArchive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a nonprofit 501(c)(3) educational corporation organized under the lawsof the state of Mississippi and granted tax exempt status by theInternal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal taxidentification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is postedat http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the ProjectGutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to thefull extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 282

Page 283: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees arescattered throughout numerous locations. Its business office islocated at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116,(801) 596-1887, email [email protected]. Email contact linksand up to date contact information can be found at theFoundation's web site and official page at http://pglaf.org

For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby ChiefExecutive and Director [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project GutenbergLiterary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive withoutwide spread public support and donations to carry out its missionof increasing the number of public domain and licensed worksthat can be freely distributed in machine readable form accessibleby the widest array of equipment including outdated equipment.Many small donations ($1 to $5,000) are particularly importantto maintaining tax exempt status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the lawsregulating charities and charitable donations in all 50 states ofthe United States. Compliance requirements are not uniform andit takes a considerable effort, much paperwork and many fees tomeet and keep up with these requirements. We do not solicitdonations in locations where we have not received written

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 283

Page 284: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

confirmation of compliance. To SEND DONATIONS ordetermine the status of compliance for any particular state visithttp://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from stateswhere we have not met the solicitation requirements, we know ofno prohibition against accepting unsolicited donations fromdonors in such states who approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannotmake any statements concerning tax treatment of donationsreceived from outside the United States. U.S. laws alone swampour small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for currentdonation methods and addresses. Donations are accepted in anumber of other ways including checks, online payments andcredit card donations. To donate, please visit:http://pglaf.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tmelectronic works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the ProjectGutenberg-tm concept of a library of electronic works that couldbe freely shared with anyone. For thirty years, he produced anddistributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loosenetwork of volunteer support.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 284

Page 285: Deutsche Charaktere Und Begebenheiten

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from severalprinted editions, all of which are confirmed as Public Domain inthe U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do notnecessarily keep eBooks in compliance with any particular paperedition.

Most people start at our Web site which has the main PG searchfacility:

http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,including how to make donations to the Project GutenbergLiterary Archive Foundation, how to help produce our neweBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hearabout new eBooks.

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by

A free ebook from http://manybooks.net/

Deutsche Charaktere und Begebenheiten, by 285