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Daniel Defoe Robinson Crusoe Vollständige Ausgabe Aus dem Englischen von Karl Altmüller Mit 27 Illustrationen von Grandville Anaconda

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Daniel Defoe

Robinson Crusoe

Vollständige Ausgabe

Aus dem Englischen vonKarl Altmüller

Mit 27 Illustrationen von Grandville

Anaconda

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Robinson Crusoe erschien erstmals 1719 unter dem Titel The Lifeand Strange Surprising Adventures of Robinson Crusoe, of York, Mariner:Who lived Eight and Twenty Years, all alone in an uninhabited Island onthe Coast of America, near the Mouth of the Great River Oroonoque; Having been cast on Shore by Shipwreck, wherein all the Men perished buthimself. With an Account how he was at last as strangely deliver’d by Pyrates. Written by Himself bei Taylor in London. Die deutscheÜbersetzung von Karl Altmüller erschien erstmals 1869 beim Bibliographischen Institut in Hildburghausen.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographischeDaten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieser Band ist Teil der SonderausgabeDie großen Klassiker der Abenteuerliteratur(vier Bände in Kassette)Daniel Defoe: Robinson CrusoeHerman Melville: Moby DickRobert Louis Stevenson: Die SchatzinselMark Twain: Tom Sawyer & Huckleberry Finn

© 2012 Anaconda Verlag GmbH, KölnAlle Rechte vorbehalten.Umschlagmotiv: Howard Davie (f l. 1914–1944), illustrationfor Robinson Crusoe, Private Collection / © Look and Learn /bridgemanart.comUmschlaggestaltung: www.katjaholst.deSatz und Layout: GEM mbH, RatingenPrinted in Czech Republic 2012ISBN [email protected]

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Robinson Crusoe

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Ich bin geboren zu York im Jahre 1632, als Kind angesehenerLeute, die ursprünglich nicht aus jener Gegend stammten.Mein Vater, ein Ausländer, aus Bremen gebürtig, hatte sichzuerst in Hull niedergelassen, war dort als Kaufmann zu hüb-schem Vermögen gekommen und dann, nachdem er sein Ge-schäft aufgegeben hatte, nach York gezogen. Hier heiratete ermeine Mutter, eine geborene Robinson. Nach der geachte-ten Familie, welcher sie angehörte, wurde ich RobinsonKreuznaer genannt. In England aber ist es Mode, die Wortezu verunstalten, und so heißen wir jetzt Crusoe, nennen undschreiben uns sogar selbst so, und diesen Namen habe auchich von jeher unter meinen Bekannten geführt.

Ich hatte zwei ältere Brüder. Der eine von ihnen, welcherals Oberstleutnant bei einem englischen, früher von dem be-rühmten Oberst Lockhart befehligten Infanterieregiment inFlandern diente, fiel in der Schlacht bei Dünkirchen. Was ausdem jüngeren geworden ist, habe ich ebensowenig in Erfah-rung bringen können, als meine Eltern je Kenntnis von mei-nen eigenen Schicksalen erhalten haben.

Schon in meiner frühen Jugend steckte mir der Kopf vollvon Plänen zu einem umherschweifenden Leben. Mein be-reits bejahrter Vater hatte mich so viel lernen lassen, als durchdie Erziehung im Hause und den Besuch einer Freischule aufdem Lande möglich ist. Ich war für das Studium der Rechts-gelehrsamkeit bestimmt. Kein anderer Gedanke aber in bezugauf meinen künftigen Beruf wollte mir behagen als der, See-mann zu werden. Dieses Vorhaben brachte mich in schroffenGegensatz zu den Wünschen und Befehlen meines Vaters unddem Zureden meiner Mutter wie auch sonstiger mir freund-lich gesinnter Menschen. Es schien, als habe das Schicksal inmeine Natur einen unwiderstehlichen Drang gelegt, der michgeradewegs in künftiges Elend treiben sollte.

Mein Vater, der ein verständiger und ernster Mann war,durchschaute meine Pläne und suchte mich durch eindring-

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liche Gegenvorstellungen von denselben abzubringen. EinesMorgens ließ er mich in sein Zimmer, das er wegen der Gichthüten mußte, kommen und sprach sich über jene Angelegen-heit mit großer Wärme gegen mich aus. »Was für andereGründe«, sagte er, »als die bloße Vorliebe für ein unstetes Le-ben können dich bewegen, Vaterhaus und Heimat verlassenzu wollen, wo du dein gutes Unterkommen hast und beiFleiß und Ausdauer in ruhigem und behaglichem Leben deinGlück machen kannst. Nur Leute in verzweifelter Lage, odersolche, die nach großen Dingen streben, gehen außer Landesauf Abenteuer aus, um sich durch Unternehmungen empor-zubringen und berühmt zu machen, die außerhalb der ge-wöhnlichen Bahn liegen. Solche Unternehmungen aber sindfür dich entweder zu hoch oder zu gering. Du gehörst in denMittelstand, in die Sphäre, welche man die höhere Regiondes gemeinen Lebens nennen könnte. Die aber ist, wie michlange Erfahrung gelehrt hat, die beste in der Welt; in ihr ge-langt man am sichersten zu irdischem Glück. Sie ist wederdem Elend und der Mühsal der nur von Händearbeit leben-den Menschenklasse ausgesetzt, noch wird sie von demHochmut, der Üppigkeit, dem Ehrgeiz und dem Neid, die inden höheren Sphären der Menschenwelt zu Hause sind,heimgesucht. Am besten«, fügte er hinzu, »kannst du dieGlückseligkeit des Mittelstandes daraus erkennen, daß er vonallen, die ihm nicht angehören, beneidet wird. Selbst Königehaben oft über die Mißlichkeiten, die ihre hohe Geburt mitsich bringt, geklagt und gewünscht, in die Mitte der Extremezwischen Hohe und Niedrige gestellt zu sein. Auch der Weisebezeugt, daß jener Stand der des wahren Glückes ist, indemer betet: ›Armut und Reichtum gib mir nicht.‹ Habe nur dar-auf acht«, fuhr mein Vater fort, »so wirst du finden, daß dasElend der Menschheit zumeist an die höheren und niederenSchichten der Gesellschaft verteilt ist. Die, welche in dermittleren leben, werden am seltensten vom Mißgeschick ge-

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troffen, sie sind minder den Wechselfällen des Glücks ausge-setzt, sie leiden bei weitem weniger an Mißvergnügen undUnbehagen des Leibes und der Seele wie jene, die durch aus-schweifend üppiges Leben auf der einen, durch harte Arbeit,Mangel am Notwendigen oder schlechten und unzulängli-chen Lebensunterhalt auf der anderen Seite, infolge ihrernatürlichen Lebensstellung geplagt sind. Der Mittelstand istdazu angetan, alle Arten von Tugenden und Freuden gedei-hen zu lassen. Friede und Genügsamkeit sind im Gefolge ei-nes mäßigen Vermögens. Gemütsruhe, Geselligkeit, Gesund-heit, Mäßigkeit, alle wirklich angenehmen Vergnügungenund wünschenswerten Erheiterungen sind die segensreichenGefährten einer mittleren Lebensstellung. Auf der Mittel-straße kommt man still und gemächlich durch die Welt undsanft wieder heraus, ungeplagt von allzu schwerer Hand-oder Kopfarbeit, frei vom Sklavendienst ums tägliche Brot,unbeirrt durch verwickelte Verhältnisse, die der Seele dieRuhe, dem Leib die Rast entziehen, ohne Aufregung durchNeid, oder die im Herzen heimlich glühende Ehrbegierdenach großen Dingen. Dieser Weg führt vielmehr in gelasse-ner Behaglichkeit durch das Dasein, gibt nur dessen Süßigkei-ten, nicht aber auch seine Bitternisse zu kosten, er läßt, die aufihm wandeln, mit jedem Tage mehr erfahren, wie gut es ih-nen geworden ist.«

Hierauf drang mein Vater ernstlich und inständigst inmich, ich solle mich nicht gewaltsam in eine elende Lage stür-zen, vor welcher die Natur, indem sie mich in meine jetzigeLebensstellung gebracht, mich sichtbarlich habe behütenwollen. Ich sei ja nicht gezwungen, meinen Unterhalt zu su-chen. Er habe es gut mit mir vor und werde sich bemühen,mich in bequemer Weise in die Lebensbahn zu bringen, dieer mir soeben gerühmt habe. Wenn es mir nicht wohl ergehein der Welt, so sei das lediglich meine Schuld. Er habe keineVerantwortung dafür, nachdem er mich vor Unternehmun-

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gen gewarnt habe, die, wie er bestimmt wisse, zu meinemVerderben gereichen müßten. Er wolle alles mögliche fürmich tun, wenn ich daheim bliebe und seiner Anweisung ge-mäß meine Existenz begründe. Dagegen werde er sich da-durch nicht zum Mitschuldigen an meinem Mißgeschickmachen, daß er mein Vorhaben, in die Fremde zu gehen, ir-gendwie unterstütze. Schließlich hielt er mir das Beispiel mei-nes älteren Bruders vor. Den habe er auch durch ernstlichesZureden abhalten wollen, in den niederländischen Krieg zugehen. Dennoch sei derselbe seinen Gelüsten gefolgt undhabe darum einen frühen Tod gefunden. »Ich werde zwar«,so endete mein Vater, »nicht aufhören, für dich zu beten, aberdas sage ich dir im voraus: Wenn du deine törichten Pläneverfolgst, wird Gott seinen Segen nicht dazu geben, und duwirst vielleicht einmal Muße genug haben, darüber nachzu-denken, daß du meinen Rat in den Wind geschlagen hast.Dann aber möchte wohl niemand da sein, der dir zur Umkehrbehilflich sein kann.«

Bei diesen letzten Worten, die, was mein Vater wohlselbst kaum ahnte, wahrhaft prophetisch waren, strömtenihm, besonders als er meinen gefallenen Bruder erwähnte,die Tränen reichlich über das Gesicht. Als er von der Zeit derzu späten Reue sprach, geriet er in eine solche Bewegung,daß er nicht weiter reden konnte. Ich war durch seine Wortein innerster Seele ergriffen, und wie hätte das anders seinkönnen! Mein Entschluß stand fest, den Gedanken an dieFremde aufzugeben und mich, den Wünschen meines Vatersgemäß, zu Hause niederzulassen. Aber ach, schon nach we-nigen Tagen waren diese guten Vorsätze verflogen, und umdem peinlichen Zureden meines Vaters zu entgehen, be-schloß ich einige Wochen später, mich heimlich davon zumachen. Indes führte ich diese Absicht nicht in der Hitze desersten Entschlusses aus, sondern nahm eines Tages meineMutter, als sie ungewöhnlich guter Laune schien, beiseite

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und erklärte ihr, mein Verlangen, die Welt zu sehen, gehemir Tag und Nacht so sehr im Kopfe herum, daß ich nichtszu Hause anfangen könnte, wobei ich Ausdauer genug zurDurchführung haben würde. »Mein Vater«, sagte ich, »tätebesser, mich mit seiner Einwilligung gehen zu lassen als ohnesie. Ich bin im neunzehnten Jahre und zu alt, um noch dieKaufmannschaft zu erlernen oder mich auf eine Advokaturvorzubereiten. Wollte ich’s doch versuchen, so würde ichsicherlich nicht die gehörige Zeit aushalten, sondern meinemPrinzipal entlaufen und dann doch zur See gehen.« Ich batdie Mutter, bei dem Vater zu befürworten, daß er mich eineSeereise zum Versuch machen lasse. Käme ich dann wiederund die Sache hätte mir nicht gefallen, so wollte ich nimmerfort und verspräche für diesen Fall, durch doppelten Fleiß dasVersäumte wieder einzuholen.

Meine Mutter geriet über diese Mitteilung in große Be-stürzung. Es würde vergebens sein, erwiderte sie, mit mei-nem Vater darüber zu sprechen, der wisse zu gut, was zumeinem Besten diene, um mir seine Einwilligung zu so ge-fährlichen Unternehmungen zu geben. »Ich wundere mich«,setzte sie hinzu, »daß du nach der Unterredung mit deinemVater und nach seinen Ermahnungen noch an so etwas den-ken kannst. Wenn du dich absolut ins Verderben stürzenwillst, so ist dir eben nicht zu helfen. Darauf aber darfst dudich verlassen, daß ich meine Einwilligung dir nie gebe undan deinem Unglück nicht irgendwelchen Teil haben will.Auch werde ich niemals in etwas einwilligen, was nicht dieZustimmung deines Vaters hat.«

Wie ich später erfuhr, war diese Unterredung von meinerMutter, trotz ihrer Versicherung, dem Vater davon nichtsmitteilen zu wollen, ihm doch von Anfang bis zu Ende erzähltworden. Er war davon sehr betroffen gewesen und hatte seuf-zend geäußert: »Der Junge könnte nun zu Hause sein Glückmachen, geht er aber in die Fremde, wird er der unglücklich-

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ste Mensch von der Welt werden; meine Zustimmung be-kommt er nicht.«

Es währte beinahe noch ein volles Jahr, bis ich dennochmeinen Vorsatz ausführte. In dieser ganzen Zeit aber blieb ichtaub gegen alle Vorschläge, ein Geschäft anzufangen, undmachte meinen Eltern oftmals Vorwürfe darüber, daß sie sichdem, worauf meine ganze Neigung ging, so entschieden wi-dersetzten.

Eines Tages befand ich mich in Hull, wohin ich jedochzufällig und ohne etwa Fluchtgedanken zu hegen, mich be-geben hatte. Ich traf dort einen meiner Kameraden, der imBegriff stand, mit seines Vaters Schiff zur See nach London zugehen. Er drang in mich, ihn zu begleiten, indem er mir diegewöhnliche Lockspeise der Seeleute, nämlich freie Fahrt,anbot. So geschah es, daß ich, ohne Vater oder Mutter umRat zu fragen, ja ohne ihnen auch nur ein Wort zu sagen, un-begleitet von ihrem und Gottes Segen und ohne Rücksichtauf die Umstände und Folgen meiner Handlung, in böserStunde (das weiß Gott!!) am ersten September 1651 an Borddes nach London bestimmten Schiffes ging.

Niemals, glaube ich, haben die Mißgeschicke eines jungenAbenteurers rascher ihren Anfang genommen und länger an-gehalten als die meinigen. Unser Schiff war kaum aus demHumberfluß, als der Wind sich erhob und die See anfing,fürchterlich hoch zu gehen. Ich war früher nie auf demMeere gewesen und wurde daher leiblich unaussprechlichelend und im Gemüt von furchtbarem Schrecken erfüllt. Jetztbegann ich ernstlich darüber nachzudenken, was ich unter-nommen, und wie die gerechte Strafe des Himmels meinerböswilligen Entfernung vom Vaterhaus und meiner Pflicht-vergessenheit alsbald auf dem Fuße gefolgt sei. Alle gutenRatschläge meiner Eltern, die Tränen des Vaters und derMutter Bitten traten mir wieder vor die Seele, und mein da-mals noch nicht wie später abgehärtetes Gewissen machte mir

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bittere Vorwürfe über meine Pflichtwidrigkeit gegen Gottund die Eltern.

Inzwischen steigerte sich der Sturm, und das Meer schwollstark, wenn auch bei weitem nicht so hoch, wie ich es späteroft erlebt und schon einige Tage nachher gesehen habe.Doch reichte es hin, mich, als einen Neuling zur See und daich völlig unerfahren in solchen Dingen war, zu entsetzen.Von jeder Woge meinte ich, sie würde uns verschlingen, undso oft das Schiff sich in einem Wellental befand war mir, alskämen wir nimmer wieder auf die Höhe. In dieser Seelen-angst tat ich Gelübde in Menge und faßte die besten Ent-schlüsse. Wenn es Gott gefalle, mir das Leben auf dieser Reisezu erhalten, wenn ich jemals wieder den Fuß auf festes Landsetzen dürfe, so wollte ich alsbald heim zu meinem Vater ge-hen und nie im Leben wieder ein Schiff betreten. Dannwollte ich den väterlichen Rat befolgen und mich nicht wie-der in ein ähnliches Elend begeben. Jetzt erkannte ich klar dieRichtigkeit der Bemerkungen über die goldene Mittelstraßedes Lebens. Wie ruhig und behaglich hatte mein Vater seinLeben lang sich befunden, der sich nie den Stürmen des Mee-res und den Kümmernissen zu Lande ausgesetzt hatte. Kurz,ich beschloß fest, mich aufzumachen gleich dem verlorenenSohne und reuig zu meinem Vater zurückzukehren.

Diese weisen und verständigen Gedanken hielten jedochnur stand, solange der Sturm währte und noch ein wenigesdarüber. Am nächsten Tage legte sich der Wind, die See gingruhiger, und ich ward die Sache ein wenig gewohnt. Dochblieb ich den ganzen Tag still und ernst und litt noch immeretwas an der Seekrankheit. Am Nachmittag aber klärte sichdas Wetter auf, der Wind legte sich völlig, und es folgte einköstlicher Abend. Die Sonne ging leuchtend unter und amnächsten Morgen ebenso schön auf. Wir hatten wenig odergar keinen Wind, die See war glatt, die Sonne strahlte darauf,und ich hatte einen Anblick so herrlich wie nie zuvor.

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Mark Twain

Tom Sawyer und

Huckleberry Finn

Vollständige Ausgabe

Aus dem amerikanischenEnglisch von Lore Krüger und

Barbara Cramer-Neuhaus

Anaconda

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Titel der Originalausgaben:The Adventures of Tom Sawyer (London 1876). Die vorliegende Übersetzungerschien erstmals 1962 unter dem TitelTom Sawyers Abenteuer im Aufbau-Verlag. Deutsche Übersetzung von LoreKrüger.Adventures of Huckleberry Finn (London 1884, New York 1885).Die vorliegende Übersetzung erschien erstmals 1956 unter demTitel Huckleberry Finns Abenteuer als Band 194 der SammlungDieterich, Leipzig; Sammlung Dieterich ist eine Marke derAufbau Verlag GmbH & Co. KG. Deutsche Übersetzung vonBarbara Cramer-Neuhaus.

Beide Romane sind ungekürzte Lizenzausgaben derAnaconda Verlag GmbH© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 1962, 2008(für Tom Sawyer)© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 1956, 2008(für Huckleberry Finn)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographischeDaten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieser Band ist Teil der SonderausgabeDie großen Klassiker der Abenteuerliteratur (vier Bände in Kassette)Daniel Defoe: Robinson CrusoeHerman Melville: Moby DickRobert Louis Stevenson: Die SchatzinselMark Twain: Tom Sawyer & Huckleberry Finn

© dieser Ausgabe 2012 Anaconda Verlag GmbH, KölnAlle Rechte vorbehalten.Umschlagmotiv: Maria Konstantinova Bashkirtseva (1860–1884), »TheMeeting« (1884), Musée d’Orsay, Paris / Giraudon / bridgemanart.comUmschlaggestaltung: www.katjaholst.deSatz und Layout: GEM mbH, RatingenPrinted in Czech Republic 2012ISBN [email protected]

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Inhalt

Tom Sawyers Abenteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Die Abenteuer des Huckleberry Finn . . . . . . . . . 261

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Tom SawyersAbenteuer

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Dieses Buch widme ich liebevoll meiner Frau

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Vorwort

Die meisten der in diesem Buch festgehaltenen Abenteuer sindwirklich geschehen; ein oder zwei erlebte ich selbst, die übrigenbegegneten Jungen, die mit mir in die Schule gingen. HuckFinn ist nach dem Leben gezeichnet, Tom Sawyer ebenfalls, je-doch nicht nach einem einzelnen; er ist die Verbindung derCharaktereigentümlichkeiten dreier Jungen, die ich kannte,und gehört deshalb zur architektonischen Säulenordnung mitKompositkapitell.

Die beiläuf ig erwähnten, eigenartigen abergläubischenVorstellungen herrschten sämtlich zur Zeit dieser Begebenhei-ten, das heißt vor dreißig, vierzig Jahren, bei Kindern und Skla-ven im Westen.

Obgleich mein Buch vor allem für die Unterhaltung vonJungen und Mädchen bestimmt ist, hoffe ich doch, daß Män-ner und Frauen es deshalb nicht meiden werden, denn meineAbsicht war zum Teil, Erwachsene auf angenehme Weisedaran zu erinnern, wie sie einst selbst waren, wie sie empfan-den, dachten und redeten und in was für seltsame Unterneh-mungen sie sich zuweilen einließen.

Hartford, 1876 Der Verfasser

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1 . Kapitel

»Tom!«Keine Antwort.»Tom!«Keine Antwort.»Was ist bloß wieder los mit dem Jungen, möcht ich wissen!

Huhu, Tom!«Die alte Dame schob ihre Brille hinunter und blickte darüber

hinweg im Zimmer umher; dann schob sie sie hinauf undblickte darunter hervor. Selten oder nie blickte sie hindurch, umnach einem so kleinen Gegenstand wie einem Jungen Ausschauzu halten, denn es war ihre Staatsbrille, der Stolz ihres Herzens,geschaffen, um »elegant« zu wirken, und nicht, um ihr zu die-nen; ebensogut hätte sie auch durch ein Paar Herdringe blickenkönnen. Einen Augenblick schien sie verblüfft, dann sagte sie,nicht gerade zornig, aber doch laut genug, daß es die Möbel hören konnten: »Na warte, wenn ich dich erwische, dann …«

Sie beendete den Satz nicht, denn sie hatte sich bereits gebückt und stieß mit einem Besen unter dem Bett herum –daher brauchte sie ihren Atem, um den Stößen Nachdruck zuverleihen. Sie förderte nur die Katze ans Licht.

»So was wie diesen Bengel hab ich noch nicht gesehn!«Sie trat an die offene Haustür, blieb stehen und ließ den

Blick über die Tomatenstöcke und »Steckapfelbüsche« schwei-fen, aus denen der Garten bestand. Weit und breit kein Tom.Sie hob daher die Stimme zu einer für die Ferne berechnetenLautstärke und rief: »Hu-h-u-u, Tom!«

Hinter ihr war ein leises Geräusch zu vernehmen, und siewandte sich um, gerade noch rechtzeitig, um einen kleinenJungen beim Jackenzipfel zu erwischen und seine Flucht zuvereiteln. »Da bist du ja! An den Wandschrank hätt ich auchdenken können! Was hast du denn da drin getan?«

»Nichts.«»Nichts! Guck dir doch deine Hände an, und guck dir dei-

nen Mund an. Was ist das für Zeug?«

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»Weiß ich doch nicht, Tante.«»Na, ich weiß es aber. Marmelade ist’s! Hundertmal hab ich

dir gesagt, bleib mir von der Marmelade, sonst gerb ich dir dasFell. Reich mir mal die Rute her.«

Die Rute schwebte in der Luft. Es bestand höchste Gefahr.»O herrje! Guck dich um, Tante!«Die alte Dame fuhr herum und raffte mit einem Griff ihre

Röcke hoch, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen; imgleichen Augenblick entfloh der Junge, erkletterte den hohenBretterzaun und verschwand darüber. Tante Polly stand einenAugenblick verdutzt da und brach dann in leises Lachen aus.

»Zum Kuckuck mit dem Bengel! Werd ich’s denn nie ler-nen? Hat er mir nicht genug solche Streiche gespielt, daß ichmich endlich vor ihm in acht nehmen könnte? Aber die altenNarren sind die schlimmsten. Ein alter Pudel lernt keine neuenKunststücke mehr, sagt das Sprichwort. Aber, du liebe Güte,keine zweimal spielt er sie mir auf die gleiche Art, und wohersoll ein Mensch wissen, was das nächste Mal kommt? Anschei-nend weiß er genau, wie weit er’s mit mir treiben kann, bismich der Zorn packt, und er weiß, wenn er mich auch nur ei-nen Augenblick irremachen oder mich zum Lachen bringenkann, dann ist’s wieder vorbei, und ich kann ihm nicht eineneinzigen Schlag verabreichen. Ich tu meine Pflicht nicht an demJungen, wahrhaftig nicht, das weiß der liebe Himmel. ›Wer seinKind liebt, der züchtigt es‹, so steht’s in der Heiligen Schrift.Sünde und Leid bring ich über uns beide, das weiß ich. Er stecktvoller Teufeleien, aber du lieber Gott! Er ist ja schließlich derJunge meiner leiblichen verstorbenen Schwester, der Ärmsten,und irgendwie hab ich nicht das Herz, ihn zu prügeln. Jedesmal,wenn ich ihn so davonkommen lasse, setzt mir das Gewissen argzu, und jedesmal, wenn ich ihn schlage, bricht mir fast das alteHerz. Ach ja, der Mensch, der vom Weibe geboren ist, hat nurein paar Tage, und die sind voller Sorgen, wie die Bibel sagt,und so ist’s wohl. Heut nachmittag wird er die Schule schwän-zen, und da bin ich einfach gezwungen, ihm zur Strafe morgeneine Arbeit aufzubrummen. Es fällt mir mächtig schwer, ihn

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sonnabends an die Arbeit zu setzen, wenn alle Jungs ihren freienTag haben, aber Arbeit haßt er mehr als alles andere, und ichmuß ja wenigstens einigermaßen meine Pflicht an ihm tun,sonst bin ich das Verderben des Kindes.«

Tom schwänzte tatsächlich die Schule, und er verbrachtedie Zeit auf sehr angenehme Weise. Er kam noch gerade recht-zeitig nach Hause, um Jim, dem kleinen Negerjungen, vor demAbendbrot das Feuerholz für den nächsten Tag sägen undschleißen zu helfen – zumindest war er noch früh genug da, umJim seine Abenteuer zu berichten, während dieser dreiviertelder Arbeit tat. Toms jüngerer Bruder (oder vielmehr Halbbru-der) Sid war mit seinem Teil (dem Aufsammeln der Späne) be-reits fertig; er war ein stiller Junge und hatte nichts Abenteuer-liches, Unruhe Stiftendes an sich. Während Tom sein Abend-brot aß und, sobald sich die Gelegenheit bot, Zuckerstückchenstibitzte, stellte ihm Tante Polly sehr arglistige, verfänglicheFragen – denn sie wollte, daß er in die Falle ginge und bela-stende Enthüllungen mache. Wie manch andere arglose Seelewiegte sie sich voller Eitelkeit in dem Glauben, sie habe ein be-sonderes Talent für die dunkle und geheimnisvolle Kunst derDiplomatie, und es bereitete ihr Freude, ihre durchsichtigstenFinten als Wunder an Tücke und Verschlagenheit zu betrach-ten. Sie sagte also: »Tom, ’s war einigermaßen warm in derSchule, nicht?«

»Freilich, Tante.«»Mächtig warm, was?«»Freilich, Tante.«»Hast du nicht Lust gehabt, schwimmen zu gehn, Tom?«Ein leichter Schreck durchzuckte ihn – ein leiser unbehag-

licher Verdacht. Er forschte in Tante Pollys Gesicht, aber esverriet nichts. Deshalb sagte er: »Nein, Tante – wenigstensnicht allzu große.«

Die alte Dame streckte die Hand aus und befühlte TomsHemd, dann sagte sie: »Jetzt ist dir aber nicht allzu heiß.«

Es schmeichelte ihrem Stolz, entdeckt zu haben, daß dasHemd trocken war, ohne daß irgend jemand ahnte, worauf sie

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hinauswollte. Trotz ihrer List wußte Tom aber nun, woher derWind wehte. Darum kam er einem Schachzug zuvor, der wo-möglich ihr nächster sein mochte: »’n paar von uns haben sichWasser über den Kopf gepumpt – meiner ist noch feucht.Siehst du?«

Tante Polly ärgerte sich bei dem Gedanken, daß sie diesenIndizienbeweis übersehen und sich so einen Schlich hatte ent-gehen lassen. Dann kam ihr eine neue Eingebung: »Tom, duhast dir doch den Kragen nicht aufmachen müssen, wo ich ihnzugenäht hab, um dir Wasser über den Kopf zu pumpen, wie?Knöpf dir mal den Rock auf.«

Aus Toms Gesicht schwand alle Unruhe. Er öffnete denRock. Sein Hemdkragen war fest zugenäht.

»Verflixt noch mal! Na, geh schon. Ich war sicher, daß dudie Schule geschwänzt hattst und schwimmen gegangen warst.Aber lassen wir’s gut sein. Dir geht’s wohl so ähnlich wie ’nerKatze, die zu nah ans Feuer geraten ist, Tom, wie man so sagt –du bist besser, als du aussiehst. Diesmal wenigstens.«

Halb tat es ihr leid, daß ihr Scharfsinn versagt hatte, undhalb freute es sie, daß Tom wenigstens dieses eine Mal auf denWeg des Gehorsams gestolpert war.

Sidney aber sagte: »Komisch, ich dachte, du hättst seinenKragen mit weißem Garn genäht, aber’s ist schwarz.«

»Freilich hab ich ihn mit weißem genäht. Tom!«Tom wartete jedoch nicht weiter ab. Als er zur Tür hinaus-

lief, rief er: »Siddy, dafür kriegste ’ne Tracht!«Nachdem Tom an einem sicheren Ort angelangt war, be-

sah er sich zwei große Nähnadeln, die in seinen Rockauf-schlägen steckten und mit Faden umwickelt waren – die einemit schwarzem, die andere mit weißem. Er sagte: »Nie hättsie’s gemerkt, wenn Sid nicht gewesen wär. Verdammt nochmal, manchmal näht sie’s mit Schwarz und manchmal mitWeiß. Ich wünschte, sie würde zum Kuckuck bei einer Sortebleiben – wie soll ich das denn behalten? Den Sid verdreschich aber dafür, da kannste Gift drauf nehmen, oder ich freß’nen Besen.«

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Robert Louis Stevenson

Die Schatzinsel

Vollständige Ausgabe

Aus dem Englischen vonHeinrich Conrad

Anaconda

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Die Originalausgabe erschien 1883 unter dem Titel Treasure Islandbei Cassells in London. Die deutsche Übersetzung von HeinrichConrad folgt der Ausgabe München: Goldmann 1963.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographischeDaten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieser Band ist Teil der SonderausgabeDie großen Klassiker der Abenteuerliteratur(vier Bände in Kassette)Daniel Defoe: Robinson CrusoeHerman Melville: Moby DickRobert Louis Stevenson: Die SchatzinselMark Twain: Tom Sawyer & Huckleberry Finn

© 2012 Anaconda Verlag GmbH, KölnAlle Rechte vorbehalten.Umschlagmotiv: Howard Pyle (1853–1911), »Pirate WilliamKidd burying treasure on Oak Island«, Private Collection /Peter Newark Pictures / bridgemanart.comUmschlaggestaltung: www.katjaholst.deSatz und Layout: GEM mbH, RatingenPrinted in Czech Republic 2012ISBN [email protected]

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Inhalt

I Der alte Freibeuter

1. Der alte Seehund im »Admiral Benbow« . . . . 72. Der Schwarze Hund erscheint und ver-

schwindet wieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183. Der schwarze Fleck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294. Die Schifferkiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405. Der Tod des Blinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506. Des Kapteins Papiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

II Der Schiffskoch

7. Ich gehe nach Bristol . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718. Die Wirtschaft »Zum Fernrohr« . . . . . . . . . . 809. Pulver und Waffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9010. Die Seefahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9911. Was ich in der Apfeltonne hörte . . . . . . . . . . 10912. Kriegsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

III Mein Abenteuer an Land

13. Der Anfang meines Landabenteuers . . . . . . . 12914. Der erste Schlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13815. Der Inselmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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IV Das Blockhaus

16. Wie das Schiff aufgegeben wurde . . . . . . . . . 15917. Die letzte Fahrt der Jolle . . . . . . . . . . . . . . . 16818. Der Ausgang des Gefechtes am ersten Tage . . . 17619. Die Garnison im Pfahlwerk . . . . . . . . . . . . . 18420. Silver als Parlamentär . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19421. Der Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

V Mein Seeabenteuer

22. Der Beginn meines Seeabenteuers . . . . . . . . 21523. Die Ebbströmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22524. Die Irrfahrt des Korakels . . . . . . . . . . . . . . . 23325. Ich hole den Jolly Roger herunter . . . . . . . . 24226. Israel Hands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25127. »Piaster!« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

VI Kapitän Silver

28. Im feindlichen Lager . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27629. Noch einmal der schwarze Fleck . . . . . . . . . 28930. Auf mein Ehrenwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30031. Die Schatzsuche; Flints Wegweiser . . . . . . . . 31132. Die Schatzsuche; die Stimme in den

Bäumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32333. Der Sturz eines Piratenhäuptlings . . . . . . . . . 33334. Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

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I Der al te Freibeuter

ERSTES KAPITEL

Der alte Seehund im »Admiral Benbow«

Gutsherr Trelawney, Dr. Livesey und die übrigenHerren haben mich gebeten, unsere Fahrt nach derSchatzinsel vom Anfang bis zum Ende zu beschrei-ben und dabei nichts zu verschweigen als die genaueLage der Insel, und zwar auch dies nur deshalb, weilnoch jetzt ungehobene Schätze dort vorhandenseien. So ergreife ich die Feder in diesem Jahre desHeils 17.. und versetze mich zurück in die Zeit, alsmein Vater den Gasthof zum »Admiral Benbow« be-wirtschaftete und als ein braungebrannter alter See-mann mit der Säbelnarbe im Gesicht unter unseremDache Wohnung nahm.

Ich erinnere mich dieses Mannes, wie wenn es ge-stern gewesen wäre: wie er in die Tür unseres Hau-ses trat, während seine Schifferkiste ihm auf einemSchiebkarren nachgefahren wurde – ein großer, star-ker, schwerer, nußbrauner Mann. Sein teeriger Zopfhing ihm im Nacken über seinen fleckigen blauenRock herunter, seine Hände waren schwielig undrissig mit abgebrochenen, schwarzen Fingernägeln,und der Säbelschmiß, der sich über die eine Wange

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hinzog, war von schmutzig-weißer Farbe. Er sah sichin der Schankstube um und pfiff dabei vor sich hin,und dann stimmte er das alte Schifferlied an, das erspäter so oft sang:

Johoho, und ’ne Buddel, Buddel Rum!Johoho, und ’ne Buddel, Buddel Rum!

in der zittrigen, hohen Stimme, die so klang, wiewenn eine Ankerwinde gedreht würde. Dann schluger mit einem Knüppel, so dick wie eine Handspei-che, gegen die Tür, und als mein Vater erschien, ver-langte er barsch ein Glas Rum. Als ihm der Rumgebracht worden war, trank er ihn langsam aus, wieein Kenner mit der Zunge den Geschmack nachprü-fend, und dabei sah er sich durch das Fenster dieStrandklippen und unser Wirtsschild an. Schließlichsagte er:

»Das ist ’ne nette Bucht und ’ne günstig gelegeneGrogkneipe. Viel Gesellschaft, Maat?«

Mein Vater sagte ihm, Gesellschaft käme leidernur sehr wenig.

»So? Na, dann ist das die richtige Stelle für mich.Heda, Ihr, Mann!« rief er dem Mann zu, der denHandkarren schob: »Ladet mal meine Kiste ab undbringt sie nach oben! Hier will ich ein bißchen blei-ben! Ich bin ein einfacher Mann – Rum und Speckund Eier, weiter brauche ich nichts und außerdem

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die Klippe da draußen, um die Schiffe zu beobach-ten. Wie Sie mich nennen könnten? Kaptein könnenSie mich nennen. Ach so – ich sehe schon, woraufSie hinauswollen – da!« und er warf drei oder vierGoldstücke auf den Tisch. »Wenn ich das verzehrthabe, können Sie mir Bescheid sagen!« rief er, unddabei sah er so stolz aus wie ein Admiral.

Und in der Tat – so schlecht seine Kleider warenund so ungepflegt seine Sprechweise, er sah durch-aus nicht wie ein Mann aus, der vor dem Mast fuhr,sondern war of fenbar ein Steuermann oder einSchiffer, der gewohnt war, daß man ihm gehorchte.Sonst gab’s Prügel. Der Mann, der den Schiebkarrengefahren hatte, sagte uns, die Postkutsche hätte denGast am Tag vorher am Royal George abgesetzt; erhätte sich erkundigt, was für Gasthöfe an der Küstewären, und als er gehört hätte, daß man unser Hauslobte – und besonders, so vermute ich wenigstens,als man es ihm als einsam gelegen beschrieb – hätteer beschlossen, bei uns Aufenthalt zu nehmen. Unddas war alles, was wir über unseren Gast erfahrenkonnten.

Er war ein schweigsamer Mann. Den ganzen Taglungerte er an der Bucht oder auf den Klippen herumund sah durch sein Messingfernrohr über See undStrand; den ganzen Abend aber saß er in einer Eckeder Schankstube ganz dicht am Feuer und trankRum und Wasser, und zwar eine sehr steife Mi-

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schung. Wenn jemand ihn anredete, antwortete ergewöhnlich nicht, sondern sah nur plötzlich mit ei-nem wütenden Blick auf und blies durch seine Nasewie durch ein Nebelhorn. Wir und unsere Besuchermerkten bald, daß man ihn dann in Ruhe lassenmußte. Jeden Tag, wenn er von seinen Gängen zu-rückkam, fragte er, ob Seeleute auf der Landstraßevorübergekommen wären. Anfangs dachten wir, erfrage, weil er sich nach Gesellschaft von Kameradensehnte; schließlich aber merkten wir, daß er im Ge-genteil diese zu vermeiden wünschte. Wenn ein See-mann im »Admiral Benbow« einkehrte – wie es abund zu geschah, wenn Leute auf der Küstenstraßenach Bristol gingen – so sah er sich ihn durch das ver-hängte Fensterchen der Tür an, bevor er die Schenk-stube betrat. Wenn solch ein Seemann anwesendwar, verhielt er sich immer mäuschenstill. Vor mirsuchte er auch kein Geheimnis aus der Sache zu ma-chen, sondern er ließ mich im Gegenteil an seinerUnruhe teilhaben. Er hatte mich nämlich eines Ta-ges beiseite genommen und mir versprochen: erwolle mir am Ersten jeden Monats ein silbernes Vier-Penny-Stück geben, wenn ich bloß »mein Wetter-auge offenhalten wollte nach einem Seemann mitnur einem Bein« und wenn ich ihm, sobald der auf-tauchte, augenblicklich Bescheid geben wollte.Wenn nun der Monatserste da war und ich meinenLohn von ihm verlangte, dann kam es oft vor, daß er

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durch die Nase blies und mich mit einem wütendenBlick ansah; aber bevor die Woche zu Ende war,hatte er es sich jedesmal besser überlegt: er brachtemir das Vier-Penny-Stück und wiederholte seinenBefehl, »nach dem Seemann mit dem einen BeinAusguck zu halten«.

Wie dieser Seemann mich in meinen Träumenverfolgte, brauche ich kaum zu sagen. In stürmischenNächten, wenn der Wind die vier Ecken unseresHauses schüttelte und die Brandung in der Bucht ge-gen die Klippen donnerte, sah ich ihn in tausend Ge-stalten und mit tausend teuflischen Gesichtern. Baldwar das Bein am Knie abgenommen, bald dicht ander Hüfte; dann wieder war er ein unheimliches Ge-schöpf, das immer nur ein einziges Bein gehabt hatte,und zwar mitten unter dem Rumpf. Ihn zu sehen,wie er sprang und lief und mich über Gräben undHecken verfolgte, das war für mich der fürchterlich-ste Nachtmahr. So mußte ich eigentlich mein mo-natliches Vier-Penny-Stück recht teuer bezahlen,denn ich wurde dafür von gräßlichen Traumgesich-ten verfolgt.

Wenn ich vor dem einbeinigen Seemann eineschreckliche Angst hatte, so hatte ich dafür vor demKaptein selber weniger Furcht als andere, die ihnkannten. An manchen Abenden nahm er mehr Rumund Wasser zu sich, als sein Kopf vertragen konnte;dann saß er zuweilen da, ohne sich um irgendeinen

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Menschen zu kümmern, und sang seine alten wildenSchifferlieder; zuweilen aber bestellte er Rundenund zwang die ganze zitternde Gesellschaft, seineGeschichten anzuhören oder als Chor in seine Liedereinzustimmen. Oft zitterte das Haus von dem »Jo-hoho, und ’ne Buddel, Buddel Rum«; alle Nachbarnstimmten aus voller Kehle ein, mit einer Todesangstim Leibe, und einer sang noch lauter als der andere,damit nur der Kaptein keine Bemerkungen machte.Denn wenn er Anfälle hatte, war er der ungemüt-lichste Gesellschafter von der Welt; dann schlug ermit der Faust auf den Tisch und gebot Ruhe; wennirgendeine Zwischenfrage gestellt wurde, regte ersich fürchterlich auf – manchmal aber noch mehr,wenn keine Frage gestellt wurde, weil er dannglaubte, die Gesellschaft höre nicht auf seine Ge-schichte. An solchen Abenden durfte keiner dieSchankstube verlassen, bis er selber vom Trinkenschläfrig geworden war und ins Bett taumelte.

Am meisten Angst machte er den Leuten mit sei-nen Geschichten. Und fürchterliche Geschichtenwaren es allerdings: vom Henken, über die Plankegehen lassen, von Stürmen auf hoher See, von denSchildkröteninseln, von wilden Gefechten und Ta-ten und von Häfen in den westindischen Gewässern.Nach seinen eigenen Berichten mußte er unter dengrößten Verbrechern gelebt haben, die Gott jemalszur See gehen ließ. Die Worte, in denen er diese Ge-

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schichten erzählte, entsetzten unsere guten Landleutebeinahe ebensosehr wie die Verbrechen, von denensie handelten. Mein Vater sagte fortwährend: unserGasthof werde zugrunde gerichtet werden, denn dieLeute würden bald nicht mehr kommen, um sich an-schnauzen und niederducken zu lassen und dann mitzitternden Gebeinen zu Bett zu gehen. Aber ichglaube, daß in Wirklichkeit seine Anwesenheit unsVorteil brachte. Die Leute graulten sich zwar; aber inder Erinnerung hatten sie die Geschichten eigentlichgern. Es war eine angenehme Aufregung in ihremstillen Landleben. Unter den jüngeren Leuten gab essogar eine Partei, die voll Bewunderung von ihmsprach. Sie nannten ihn »einen echten Seehund« und»eine richtige alte Teerjacke« und so ähnlich und sag-ten, so seien die Leute, die England zur See so ge-fürchtet machten. In einer Beziehung richtete uns al-lerdings der Kaptein zugrunde: er blieb eine Wochenach der anderen, so daß die Goldstücke, die er aufden Tisch geworfen hatte, längst verzehrt waren.Aber mein Vater konnte sich niemals ein Herz fassenund mehr Geld von ihm verlangen. Sobald er eineleichte Anspielung machte, blies der Kaptein so lautdurch die Nase, daß es beinahe ein Brüllen war, undsah meinen Vater so wütend an, daß dieser dieSchankstube verließ. Ich habe ihn nach solcher Ab-weisung die Hände ringen sehen, ich bin überzeugt,daß der Verdruß über diesen Gast und die Angst, in

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Herman Melville

Moby Dickoder

Der weißeWalAus dem Amerikanischen übersetzt und bearbeitetvon Wilhelm Strüver

Anaconda

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Titel der amerikanischen Originalausgabe: Moby-Dick; or, The Whale (NewYork 1851). Der deutsche Text folgt der Ausgabe Moby Dick oder Der weißeWal. Roman von Herman Melville. Berlin: Verlag von Th. Knaur Nachfol-ger o. J. [1927], erschienen in der Reihe »Romane der Welt«, hrsg. von Tho-mas Mann und H. G. Scheffauer. Orthografie und Interpunktion wurdenden Regeln und Empfehlungen der neuen deutschen Rechtschreibung an-gepasst, der Text an mehreren Stellen behutsam überarbeitet, das unter-schiedliche Genus der Schiffsnamen jedoch beibehalten.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieser Band ist Teil der SonderausgabeDie großen Klassiker der Abenteuerliteratur (vier Bände in Kassette)Daniel Defoe: Robinson CrusoeHerman Melville: Moby DickRobert Louis Stevenson: Die SchatzinselMark Twain: Tom Sawyer & Huckleberry Finn

© 2012 Anaconda Verlag GmbH, KölnAlle Rechte vorbehalten.Umschlagmotiv: Mead Schaeffer (1898–1980), »There she blows«, illustration from Moby Dick by Herman Melville, Private Collection /bridgemanart.comUmschlaggestaltung: www.katjaholst.deSatz und Layout: Andreas Paqué, www.paque.dePrinted in Czech Republic 2012ISBN [email protected]

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1. Kapitel

Als ich vor einigen Jahren – wie lange es genau her ist, tutwenig zur Sache – so gut wie nichts in der Tasche hatte undvon einem weiteren Aufenthalt auf dem Lande nichts mehrwissen wollte, kam ich auf den Gedanken, ein wenig zurSee zu fahren, um die Welt des Meeres kennenzulernen.Man verliert auf diese Weise seinen verrückten Spleen, unddann ist es auch gut für die Blutzirkulation. Wenn man denscheußlichen Geschmack auf der Zunge nicht loswerdenkann; wenn man das Frostgefühl eines feuchten und kaltenNovembers auf der Seele hat; wenn man unwillkürlich vorjedem Sargmagazin stehen bleibt und jedem Leichenzugnachsieht; wenn man sich der Schwermut nicht mehr er-wehren kann, dass man auf die Straße stürzen und vorsätz-lich den Leuten den Hut vom Kopfe schlagen müsste, dannist es allerhöchste Zeit, auf See zu gehen. Das ist für michErsatz für Pistole und Kugel.

Cato stürzte sich mit einer philosophischen Geste in seinSchwert. Ich entscheide mich in aller Ruhe für das Schiff.Das ist durchaus nichts Besonderes! Wenn sie es wüssten, sowürden mit der Zeit mehr oder weniger alle dem Ozeanmit denselben Gefühlen begegnen wie ich.

Da liegt, von langen Kais eingefasst wie die Indianerin-seln von Korallenriffen, unsere Inselstadt der Manhattoes.Über die brandende See nimmt der Handel seinen Weg.Rechts und links laufen die Straßen nach dem Meer zu. Be-trachte dir die Massen von Menschen, die ins Wasser star-ren! Mache an einem langweiligen Sonntagnachmittag ei-nen Bummel durch die Stadt! Wenn du von Corlears Hooknach Coenties Slip und von da über Whitehall nach Nor-den gehst, siehst du nichts als Tausende von Menschen, diewie schweigsame Posten dastehen und traumverloren in dasMeer hinausstarren. Sie haben sich gegen die Holzpflöcke

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gelegt, sie sitzen auf den Molenköpfen, sie sehen über dieBollwerke der Schiffe, die von China kommen, und wiederandere sehen hoch über die Takelage hinweg, um einenmöglichst weiten Blick auf das Meer zu haben.

Alle sind Landratten. Wochentags haben sie mit Holz undMörtel zu tun, da sind sie an Ladentische gebunden, an Bän-ke genagelt oder an Pulten befestigt. Was soll das bedeuten?Sind denn die grünen Felder nicht mehr da? Was tun sie hier?

Aber es kommen noch mehr Menschen. Sie gehen dichtan das Wasser heran, als wollten sie hineintauchen. Seltsam!Keiner begnügt sich mit einem Platz, wenn es nicht die äu-ßerste Landseite ist; im Schutz der schattenspendenden Wa-renspeicher zu hocken würde ihnen nicht gefallen. Sie müs-sen so nahe wie möglich an das Wasser heran, nur gerade,dass sie nicht hineinfallen. Von Straße und Promenade, vonGasse und Allee kommen sie von allen Himmelsgegendenherangeströmt. Hier versammelt sich alles. Bewirkt das diemagnetische Anziehung der Kompassnadel auf den Schiffen,oder woher kommt es?

Noch einen Augenblick. Stelle dir vor, du bist auf demLande, im Gebirge, wo es Bergseen gibt. Schlage irgendei-nen Weg ein, und zehn gegen eins treibt es dich in ein Tal,wo es Wasser gibt. Das ist etwas Wunderbares! Nimm einenin seine tiefsten Träume versenkten Menschen, stelle ihn aufdie Beine, und bringe ihn zum Gehen, so wird er dich un-fehlbar dorthin führen, wo Wasser ist. Sollte dich in der gro-ßen amerikanischen Wüste dürsten, so mache dies Experi-ment, wenn zufällig bei deiner Karawane ein Professor derMetaphysik ist!

Alle Welt weiß, dass, wo gedacht wird, allemal Wasser da-mit verbunden ist. Aber lassen wir einen Maler zu Wortkommen!

Er will dich in der träumerischsten, stillsten und wunder-barsten Landschaft mit dem schönsten Schatten in dem Tal

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des Saco malen. Was braucht er dazu? Da sind Bäume, jederdavon ist hohl, als ob ein Klausner mitsamt dem Kreuz da-rin verborgen wäre. Dann eine Weide in aller Ruhe und ei-ne Herde darauf im Schlummer. Und von der Hütte imHintergrund steigt ein träumerischer Rauch auf. Hintendurch den Wald windet sich ein verschlungener Pfad, der zuden Ausläufern der in Blau getauchten Berge hinaufführt.Wenn auch das Bild so stimmungsvoll genug ist und wennauch die Kiefer ihre Nadeln wie Seufzer über den Kopf desHirten fallen lässt, so würde doch viel fehlen, wenn das Au-ge des Hirten nicht auf den magischen Wasserlauf gerichtetwäre.

Mach einen Ausflug in die Prärien im Juni! Wenn du aufzwanzig Meilen Weite bis an die Knie durch Tigerlilien wa-test, was ist da das Einzige, was fehlt? Wasser! Nicht einTropfen ist da zu finden!

Wenn die Niagarafälle nur ein Fall von herabstürzendenSandmassen wären, würde man dann tausend Meilen weitherkommen, um ihn zu sehen?

Warum überlegte es sich der arme Dichter aus Tennessee,der plötzlich eine Handvoll Silberstücke bekam, ob er sicheinen neuen Rock kaufen sollte, den er so bitter nötig hat-te, oder ob er das Geld für eine Fußreise nach RockwayBeach anlegen sollte?

Warum treibt es den gesunden Menschen mit gesunderSeele nach dem Meer? Warum empfindet man auf der ers-ten Seereise eine geheimnisvolle Erschütterung, wenn manvon dem Schiff aus das Land nicht mehr sieht? Warum warden alten Persern das Meer heilig? Warum schufen dieGriechen einen besonderen Gott des Meeres und ließenihn den Bruder von Zeus sein? Das hatte einen tiefen Sinn!Und noch tiefer ist der Sinn in der Sage von Narzissus, derdas wunderschöne Antlitz im Brunnen nicht umarmenkonnte, deshalb hineintauchte und ertrank.

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Wir alle sehen in den Flüssen und Meeren dasselbe Bild.Es ist das geheimnisvolle Bild des Lebens, das wir nicht fas-sen können.

Wenn ich nun sage, dass ich nicht als Passagier, wenn ichauch um Augen und Lungen anfange besorgt zu werden,zur See gehe, so habe ich dafür meine Gründe. Schon weilman als Passagier Geld braucht und ich keins habe. Was sindauch Passagiere, die seekrank werden, leicht die Haltungverlieren, des Nachts nicht schlafen können und mit der Seenicht viel anzufangen wissen!

Ich möchte auch nicht als Kommandant, als Kapitän oderals Schiffskoch gehen. Ich überlasse den Ruhm und die mithohen Ämtern verbundenen Ehrungen denen, die daraufWert legen. Als Koch könnte ich mir ja viel Lob erwerben.Aber ich kann aus irgendwelchen Gründen dem Braten vonGeflügel nicht viel Geschmack abgewinnen. Nicht dass ichfür das gebratene Geflügel, wenn es mit Butter geschmortund anständig gesalzen und gepfeffert ist, nicht zu habenwäre! Es gibt niemand, der vor einem gebratenen StückGeflügel größeren Respekt, ja größere Ehrfurcht hätte alsich! Wie müssen die alten Ägypter in ihre gekochten Ibis-vögel und gerösteten Flusspferde vernarrt gewesen sein, dassman die Mumien dieser Tiere als Zeichen der Verehrung inihren kolossalen Backhäusern, den Pyramiden, vorfindet!

Wenn ich nun zur See gehe, so will ich einfacher Matro-se sein, der seinen Platz am Mast hat, sich in die Vorderka-jüte fallen lässt und von da bis zum Oberbramsegel empor-steigt. Natürlich werden sie mich wie eine Heuschrecke aufder Wiese von Spiere zu Spiere springen lassen. Selbstver-ständlich ist solch ein Leben alles andere als angenehm. Eswird einem schwer, wenn man von den van Renselears, denRandolphs oder den Hardicanutes, alten, ehrwürdigen Fa-milien, abstammt. Und mit der Hand, die jetzt Teereimeranfasst, hat man sich vor den längsten Bengels, als man noch

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zu Lande Lehrer war, Respekt verschafft. Es ist ein Über-gang, der wohl zu merken ist. Man muss viel von einem Se-neca und den Stoikern mitgekriegt haben, wenn man nichtmit der Wimper zuckt. Aber auch dieser Vorrat geht mit derZeit drauf!

Was soll man tun, wenn ein alter Knacker von Kapitänmir befiehlt, einen Besen anzufassen und das Deck abzufe-gen? Was bedeutet diese Würdelosigkeit an dem Maßstabdes Neuen Testamentes gemessen? Glaubst du etwa, dass derErzengel Gabriel eine geringere Meinung von mir hat, weilich dem alten Knacker auf der Stelle und ehrerbietig ge-horcht habe? Wer ist kein Sklave? Nenne mir einen! Nun,was die alten Kapitäne mir auch befehlen mögen, wie sehrsie mich auch knuffen und zurechtstauchen, ich weiß, dassalles seinen Sinn hat. Ich weiß, dass jeder auf die eine oderdie andere Weise vom physischen oder vom metaphysischenStandpunkte aus den gleichen Dienst leisten muss und dassder Knuff im Weltall weitergegeben wird. Alle sollten sichdaher gegenseitig die Schulter reiben und den Mund hal-ten!

Wenn ich Matrose werde, so geschieht es, weil ich fürmeine Mühe bezahlt werde. Hast du schon mal gehört, dassman Passagieren einen Pfennig gibt, im Gegenteil, Passagie-re haben zu zahlen. Das ist es ja gerade, ob man zahlt oderbezahlt wird. Und das Zahlen ist das Peinlichste, was uns diebeiden Apfeldiebe aus dem Paradies eingebrockt haben!

Aber das Bezahltwerden ist ein vornehmes und wunder-volles Gefühl. Besonders wenn man bedenkt, dass das Gelddie Wurzel allen Übels ist und kein Reicher in das Him-melreich kommt.

Und zu guter Letzt gehe ich als Matrose wegen der ge-sunden Beschäftigung und der reinen Luft, die auf dem Vor-derkajütendeck weht. Du weißt wohl, dass Winde vom Vor-derdeck häufiger sind als Winde vom Achterdeck. Und so-

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mit bekommt der Kommandant die Winde am Achterdeckerst aus zweiter Hand, wenn sie an den Matrosen auf Vor-derdeck vorbeigestrichen sind. Er glaubt, er atmet sie zuerst,aber weit gefehlt.

Aber weshalb mache ich ausgerechnet eine Walfischfahrtmit, da ich doch schon öfter auf einem Handelsschiff dieSee durchquert habe?

Da war als Haupttriebkraft der große Wal vorneweg. Diesurgewaltige und geheimnisvolle Ungeheuer zog meineFantasie von jeher in seinen Bann. Dann waren es die wil-den und fernen Meere, wo sein Riesenleib, diese schwim-mende Insel, trieb. Ich hatte ein Verlangen nach den nichtauszudenkenden und namenlosen Gefahren, die um denWal lauern. Diese und die Wunderwelt des Feuerlandes mitihren tausend neuen Bildern und Klängen gaben meinemVerlangen neue Nahrung.

Anderen Menschen hätten diese Dinge nichts bedeutet.Aber ich habe nun mal eine unauslöschliche Sehnsuchtnach den entlegenen Dingen! Ich schwärme davon, auf un-erschlossenen Meeren herumzufahren und an der Küste derBarbaren zu landen. Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist.Aber ich möchte mich herzlich gern mit den Wilden he-rumschlagen, wenn es nicht geboten wäre, mit ihnen gutauszukommen, weil man nun mal auf ihre Gastfreundschaftangewiesen ist.

Ich habe nun Gründe genug angeführt und es verständ-lich gemacht, dass mir die Walfischfahrt sehr willkommenwar. Die großen Schleusentore der Wunderwelt sprangenauf, und unter den wilden Visionen schwammen endloseReihen von Walen, je zu zweien, auf mich zu. Und in ihrerMitte ragte ein Riesenphantom mit einem großen Höckerwie ein Schneeberg in die Luft.

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