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HERBST 2006 AUSGABE 04 LICHT 10 EURO DAYLIGHT & ARCHITECTURE ARCHITEKTURMAGAZIN VON VELUX DAYLIGHT & ARCHITECTURE ARCHITEKTUR- MAGAZIN VON VELUX HERBST 2006 AUSGABE 04 LICHT 10 EURO

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DAYLIGHT & ARCHITECTUREARCHITEKTURMAGAZIN VON VELUXHERBST 2006 AUSGABE 04

HerausgeberMichael K. Rasmussen

VELUX-RedaktionsteamChristine BjørnagerLone FeiferLotte KragelundTorben Thyregod

Redaktionsteam Gesellschaft für Knowhow-TransferThomas GeuderKatja Pfeiff erJakob Schoof

Übersetzungen und KorrektoratTony Wedgwood

BildredaktionTorben EskerodAdam Mørk

Art Direction und LayoutStockholm Design Lab ®Kent NybergSharon Hwangwww.stockholmdesignlab.se

UmschlagbilderDichroic Light Field, New York, NY 1994–1995Photos by ©David Sundberg, James Carpenter Design Associates Inc

Websitewww.velux.de/Architektur

Aufl age90,000 Stück

ISSN 1901-0982

Dieses Werk und seine Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Wiedergabe, auch auszugsweise, bedarf der Zustimmung der VELUX Gruppe.

Die Beiträge in Daylight & Architecture geben die Meinung der Autoren wieder. Sie entsprechen nicht notwendiger-weise den Ansichten von VELUX.

© 2006 VELUX Group. ® VELUX und das VELUX logo sind registrierte Warenzeichen mit Lizenz der VELUX Gruppe.

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Obgleich sich unser Verständnis der visuellen Wahrnehmung heute im Allgemeinen auf die Optik beschränkt, ist eine Betrach-tung der ersten Gedanken zu Vision und Wahrnehmung durch-aus lohnenswert: Die Lehren des Demokrit und später des griechischen Atomisten Epikur besagten laut Lucretius, dass Sehen und Erkennen im Austausch zwischen dem Ich und dem Objekt stattfi nden. Die Beschäftigung mit diesen antiken Inter-pretationen von Wahrnehmung führt mich zu einem modernen Verständnis von Licht als ‚Information’, die sich besonders eff ekt-voll in Verbindung mit Glas manifestiert. Glas, ein extrem wand-lungsfähiges Substrat, ist einerseits lichtdurchlässig und off enbart andererseits Lichtphänomene, die normalerweise unbemerkt bleiben. Vereinfacht gesagt gibt es zwei Ebenen des Lichts als ‘Infor-mation’, die uns unsere Welt erkennen lassen: Zum Einen die be-wusste Beobachtung als Grundlage unserer Erinnerung, zum Anderen die unbewussten visuellen Informationen, die in unsere Träume einfl ießen. Bei dieser Auff assung von Licht, das sowohl in unser Bewusstsein als auch unser Unterbewusstsein dringt, kann Glas die subtilsten Phänomene einfangen und den unbe-wussten Akt des Wahrnehmens und Erkennens sichtbar machen. Jenseits unserer Interpretation der Welt eröff net es uns den Zu-gang zu unseren Erinnerungen und Träumen. Die allgemeine Vorstellung, dass fl üchtige Wahrnehmungen für die Erfahrung eines Ortes von zentraler Bedeutung sein kön-nen, erfordert paradoxerweise die intensive Beschäftigung mit der Materialität dieses Ortes. Dieser Prozess verlangt Präzision quer durch diverse Fachgebiete, so dass Kooperation zum Kern dieses Prozesses wird. Der Schlüssel für erfolgreiche Projektent-wicklung sind konzentriertes Experimentieren, grafi sche Simu-lationen und die Konstruktion materieller Modelle und Nachbildungen. Licht ist schlicht und einfach die sichtbarste Form der Energie, doch es ist eng auch mit anderen Energieformen wie Thermik und Akustik verbunden. Im Grunde genommen geht es bei der Kontrolle von Energie um menschliche Erfahrung; ein funk-tional gestaltetes Umfeld ist notwendigerweise Abbild unserer Lebensbedingungen. Wir streben danach, die typischen Aspekte des Lichts zu hinterfragen, die Art und Weise, wie es von der Oberfl äche eines Bauwerks refl ektiert wird – dunkel oder hell, glänzend oder matt. Durch optische und physikalische Methoden, etwa durch Folien und Beschichtungen auf Glas, die sich auf Trans-parenz, Refl exion und Lichtdurchlässigkeit des Materials auswir-ken, off enbaren wir das Licht selbst, überlagern die Ansichten der Welt mit ihren synthetischen Versionen und enthüllen somit gleichsam den Akt der Wahrnehmung als solchen.

DISKURS VONJAMES CARPENTER

Porträtfoto: Adam Mørk.

Mehr über die Arbeit von James Carpenter erfahren Sie im Beitrag Ein Leben mit Licht ab Seite 20.

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Tageslicht und Architektur sind naturgemäß eng miteinander verbunden. Schon seit den Anfängen der Architekturgeschichte spielt Tageslicht eine wichtige Rolle bei der Belichtung von Gebäuden. Es ist nicht nur für unser Sehvermögen essentiell, sondern wirkt sich auch nachhaltig auf unsere Ar-beits- und Lebensweise aus. Biologisch betrach-tet, ist Tageslicht notwendige Voraussetzung für die Existenz jeder Lebensform. Wir Menschen sind tagaktiv, unser biologischer Lebensrhythmus wird durch den Wechsel zwischen Tag und Nacht be-stimmt. In unserer Wachphase ermöglicht uns das Licht, zu sehen, zu lesen, zu arbeiten – also unser normales Leben zu führen. Neuere Erkenntnisse be-legen aber auch die weniger off ensichtliche Aus-wirkung des Lichtes auf unsere körperliche und geistige Gesundheit.

Maler, Fotografen und Architekten nutzen seit jeher die Lichteff ekte, die durch Fensteröff nungen in einem Raum hervorgerufen werden; als Arbeits-mittel und als Werkzeug . Nur wenige Elemente

eines Gebäudes sind für dessen funktionale Ge-staltung so unverzichtbar wie Fenster. Aufgabe der Architektur ist es, mit Hilfe von Fenstern sowohl vi-suelle als auch biologische Anforderungen zu erfül-len und gleichzeitig Wege zu fi nden, den Lichteinfall und die Wärmestrahlung in einem Gebäude zu regu-lieren, ohne den Ausblick zu beeinträchtigen.

Aus diesem Grundprinzip entstand die Disziplin der Tageslichtplanung. Um sie weiterzuentwickeln, bedarf es einer gemeinsamen Sprache, die von allen am Bauprozess beteiligten Parteien verstan-den wird. Denn nur so wird es uns gelingen, eine eindeutige Defi nition für qualitativ hochwertige Tageslichtlösungen zu schaff en und einen Maß-stab für ausgewogene Lichtverhältnisse festzule-gen. Seit Gründung unseres Unternehmens im Jahr 1942 lautet unser vorrangiges Ziel, bestmögliche Lösungen für die natürliche Belichtung von Gebäu-den zu fi nden, um optimale Arbeits- und Lebensbe-dingungen in den Innenräumen zu schaff en.

Diese Ausgabe von Daylight & Architecture betrachtet das Thema Licht aus verschiedensten Blickwinkeln. So erläutert Pablo Buonocore die Be-deutung des Tageslichts für die menschliche Kultur

– von der antiken Mythologie über die naturwissen-schaftlichen Erkenntnisse der Renaissance bis hin zum heutigen Bestreben, das Tageslicht zur Ver-

VELUX EDITORIALTAGESLICHT IST LEBENSWICHTIG

JETZT

TAGESLICHT IM DETAILLICHT, GESUNDHEIT UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE ARCHITEKTUR

In James Turrells ‚Skyspaces’ begegnen sich Licht-kunst und Astronomie – jetzt auch im Graubündner Ort Zuoz. Im Stuttgarter Mercedes-Benz Museum glänzen mehr als 100 historische Automobile im Scheinwerferlicht – und die Blechfassade des Bau-werks von UN Studio in der Sonne. Außerdem: Der neue ‚Lichtkubus̀ der Staatsbibliothek Unter den Linden in Berlin und das erste Restaurant von Tadao Ando in New York.

Licht wirkt, vereinfacht gesprochen, auf dreier-lei Weise auf den Menschen: über die Haut, durch die Augen und über das zirkadiane System, das unseren Wach- und Schlafrhythmus reguliert. Peter Boyce erläutert die Einfl üsse des Licht auf Körper und Seele des Menschen und stellt die Frage, welche Konsequenzen die Architektur hier-aus zu ziehen hat.

Diskurs von James CarpenterVELUX EditorialInhaltJetztMensch und ArchitekturLicht als KulturgutLicht EuropasNäsijärvi, Tampere, FinnlandTageslichtJames CarpenterRefl ektionenSchreiben mit LichtTageslicht im DetailLicht, Gesundheit und ihreBedeutung für die ArchitekturVELUX EinblickeVariationen in WeißMogens Dahl Institut in KopenhagenVELUX PanoramaFindling im ReglandMaison Zuff erey in LeytronTradition im neuen GewandHaus “G” in Tokyo VELUX im DialogInterview mit Glenn MurcuttBücherRezensionenBuchempfehlungenVorschau

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HERBST 2006 AUSGABE 04

INHALT

besserung der menschlichen Lebensqualität zu nut-zen. Liz Wells beschäftigt sich mit der Bedeutung des Lichts für die zeitgenössische Fotografi e, wäh-rend sich Peter Boyce mit den Auswirkungen des Lichts auf unsere Gesundheit und unser Wohlbe-fi nden befasst. Im Leitartikel dieser 4. Ausgabe von Daylight & Architecture stellt Ole Bouman das Wir-ken von James Carpenter vor, einem der Wegberei-ter moderner Tageslicht-Architektur. Der Architekt und Bildhauer Carpenter wurde in der Vergangen-heit oftmals als bloßer „Glasspezialist“ bezeichnet, doch dieser Begriff wird seinem Hauptinteresse am Licht als Kommunikationsmittel und Medium menschlicher Wahrnehmung nicht gerecht. Bei seinen neuesten Werken arbeitet James Carpen-ter nicht nur mit namhaften Architekturbüros wie SOM und Foster and Partners zusammen, sondern erweitert seinen künstlerischen Anspruch mehr und mehr zu einem architektonischen: Er schaff t Atmo-sphären, die Tageslicht und künstliche Beleuchtung, aber auch die Beziehung der Räume untereinander sowie deren Temperatur und Belüftung – mit ande-ren Worten: fast alle „Kommunikationswege“ zwi-schen dem Bauwerk, seiner Umgebung und seinen Nutzern – mit einbeziehen.

Bei der Lektüre von Daylight & Architecture wünschen wir Ihnen viel Vergnügen!

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REFLEKTIONENSCHREIBEN MIT LICHT

TAGESLICHTJAMES CARPENTER

VELUX EINBLICKEVARIATIONEN IN WEISS

VELUX PANORAMA

Vom Glas-Spezialisten und Videokünstler hat sich James Carpenter in etwas mehr als drei Jahr-zehnten zu einem der bedeutendsten Grenzgänger zwischen Kunst, Architektur und Ingenieurwesen entwickelt. In seinem Beitrag beschreibt Ole Bou-man einen Mann am Scheideweg zwischen auto-nomer Kunst und Dienstleistung sowie zwischen Spezialistentum und Gesamtkunstwerk.

In mühevoller Kleinarbeit befreiten Frank Maali und Gemma Lalanda eine ehemalige Autowerk-statt in Kopenhagen vom Ballast ihrer einstigen Nutzung, bis die großzügigen Räume und die aus-drucksstarke Holzkonstruktion des Bauwerks wieder zum Vorschein kamen. Jetzt nutzt das Mogens Dahl Institut die renovierten Räume – und profi tiert von dem ausgeklügelten Tagesli-chtkonzept, mit dem die Architekten dem einst düsteren Altbau neues Leben einhauchten.

Zwei monolithische Baukörper, der eine in Japan und der andere im Wallis, die eigenen Gesetzen fol-gen und doch im Dialog mit ihrer Umgebung ste-hen. In Leytron haben Nunatak Architectes eine ‚schräge Kiste‘ aus Holz und Schiefer in den Wein-berg gesetzt, in einem Tokioter Vorort hat Jun Aoki ein Wohnhaus in jungfräulichem Weiß er-richtet. Seine Innenräume dienen vor allem einem Zweck: den Nuancenreichtum des Tageslichts jeden Tag aufs Neue erlebbar zu machen.

Ohne Licht keine Fotografi e – dieser Grundsatz gilt auch nach der digitalen Revolution unverändert. Liz Wells erläutert, wie zeitgenössische Fotografen mit dem Stoff , aus dem ihre Bilder sind, arbeiten und welche Bedeutung sie ihm beimessen.

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D&A HERBST 2006 AUSGABE 04

Was Architektur bewegt: Veranstaltungen, Wettbewerbe und ausgewählte Neuentwicklungen aus der Welt des Tageslichts.

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Zum siebten Mal seit 1995 wird im kommenden Jahr der Europäische Architekturfotografi e-Preis verlie-hen. Der Wettbewerb, der seit 2003 durch den eingetragenen Verein ‚ar-chitekturbild e.V.‘ ausgelobt wird, erfreut sich ständig steigender Teil-nehmerzahlen: 2003 stellten sich 663 Fotografen aus 19 Ländern dem Urteil der Jury aus Fotografen, Archi-tekturjournalisten und Ausstellungs-machern. Traditionell müssen sich die Teilnehmer mit einem von den Aus-lobern vorgegebenen Thema ausei-nander setzen. Nach ‚Arbeitsplätze‘

EUROPÄISCHER ARCHITEKTUR-FOTOGRAFIE-PREIS AUSGELOBT

im Jahr 2005 (unser Bild zeigt eine Aufnahme des Drittplatzierten, An-drea Botto aus Rapallo/Italien) lautet das Motto diesmal ‚Lieblingsplätze

– My Favourite Places‘. Das Wort ‚Platz‘ sollte dabei nicht zu eng ver-standen werden: Der Lieblingsplatz kann ein Haus sein oder auch nur ein bestimmter Raum darin, er kann eine Straße, ein Platz oder Hof oder eine ganze Stadt sein. Einige Einschrän-kungen bestehen jedoch: Die Fotogra-fi en sollten nicht älter als drei Jahre sein und zeitgenössische Architektur (bis 50 Jahre alt) zeigen. Erwartet

werden von den Teilnehmern Se-rien aus maximal vier Einzelaufnah-men (Aufsichtsvorlagen, Größe bis 40 x 40 cm). Der Teilnahmeschluss ist der 26. Januar 2007. Die Teilnah-megebühr beträgt 50 Euro; verge-ben werden ein erster Preis (4000 Euro) und zwei Anerkennungen (je-weils 1000 Euro). Detaillierte Infor-mationen und Auslobungsunterlagen in Deutsch und Englisch sind auf der Website www.architekturbild-ev.de zu fi nden.

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Die ,Skyspaces‘ des amerikanischen Lichtkünstlers James Turrell sind Himmels-Observatorien, Räume von meist kreisrundem oder ellip-tischem Grundriss, in denen sich der Betrachter dem Himmel ganz nah wähnen kann: Die geschlossenen und meist nackten Betonwände der Räume blenden die umliegende (ir-dische) Landschaft vollständig aus und konzentrieren den Blick ganz auf die runde Deckenöff nung, durch die je nach Tageszeit und Wetterlage fahl graues oder stahlblaues Tages-licht, Mond- oder Sternenlicht in den Raum fällt. Nach Einbruch der Dun-kelheit lassen Leuchtstoff röhren, die hinter den hohen Lehnen der Sitz-bänke angebracht sind, den Raum in einem geradezu magischen Licht erstrahlen. Nicht nur die Gewölbe-decke, sondern auch (durch Simul-tankontrast) das Himmelsgewölbe im Deckenausschnitt scheint dann die Farbe zu wechseln Für James Tur-rell liegt in eben diesem Wechsel zwi-schen ,jungem‘ Kunstlicht und dem teils Milliarden Jahre alten Licht der Sterne einer der wesentlichen Reize seiner ,Skyspaces‘. Berühmt wurden die Himmelsobservatorien durch Tur-rells gigantisches Land Art-Projekt ,Roden Crater‘, einen erloschenen Vulkankegel in der Wüste von Ari-zona. Er kann seit seiner Fertigstel-lung täglich von 14 Personen besucht

DEM HIMMEL EIN STÜCK NÄHER

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„Erst dieses Jahrtausende alte Licht der Sterne zu sehen und dann das junge, nur achteinhalb Minuten alte Licht der Sonne

– das ist, als ob man erst einen Beaujolais trinkt und dann eine feine, gut gelagerte Auslese.“James Turrell

werden; entsprechend lang sind die Wartelisten. Kunstliebhaber können seit dem vergangenen Sommer indes auch in Europa ein Exemplar der Him-melsräume erleben: Unweit des von UN Studio umgebauten Hotel Ca-stell in Zuoz im Engadin wurde der kreisrunde ,Skyspace Piz Uter‘ ein-geweiht. Sein Namensgeber ist der Piz Uter, der ,Altarberg‘ bei Zuoz, der sich exakt in der Flucht des Ein-gangs erhebt und das Bauwerk damit auch von innen sichtbar in der Land-schaft verortet. Entstanden ist der ,Skyspace‘ auf Betreiben der Schwei-zer Walter A. Bechtler-Stiftung, des-sen Präsident Roedi Bechtler zugleich Hauptaktionär des Hotel Castell ist. Dessen Kunstausstattung, zu der bis-lang ein Felsenbad von Tadashi Kawa-mata, die so genannte ,Rote Bar‘ von Gabriele Hächler und Pipilotti Rist sowie Arbeiten von Peter Fischli / David Weiss, Roman Signer, Carsten Höller und anderen zeitgenössischen Künstlern gehören, hat damit buch-stäblich ein weiteres Highlight erhal-ten. Eingebunden ist der ,Skyspace‘ außerdem in das Kunstprojekt ,Art Public Plaiv‘, in dessen Rahmen die Bechtler Stiftung gemeinsam mit der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich bereits ein gutes Dutzend öf-fentlich zugängliche Kunstwerke in Zuoz und seinen Nachbargemeinden realisiert hat.

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D&A HERBST 2006 AUSGABE 04

Mit einer tiefblau schimmernden Glasfassade zieht seit September 2005 das neue Zentrum der mus-limischen Gemeinde im oberbay-rischen Penzberg die Blicke auf sich. Der Bau des 32-jährigen, aus Bos-nien stammenden Architekten Alen Jasarevic wirkt mit seinem kubischen Äußeren und dem fi ligranen Stahlmi-narett auf den ersten Blick nicht wie eine klassische Moschee, und das soll er nach dem Willen der Bauherren auch nicht. Vielmehr sollte in Penz-berg ein Forum entstehen, das Be-gegnungen zwischen Christen und Muslimen ermöglicht. Für die Fas-sade vor dem Gebetsraum konzi-pierte Jasarevic eine Konstruktion aus blauen Flaschenscherben, die den dahinter liegenden Raum in ein tief-blaues Licht taucht. Die Anregung hierzu gab eine durch das Glaskon-tor Erfurt entwickelte Glasskulptur in Form eines Obelisken aus punkt-gehaltenen Glastrapezen, die mit blauen Flaschenscherben beklebt sind und der bei Nacht, wenn er hin-terleuchtet wird, blau schimmert. Um diese Technik für den Fassaden-bau einzusetzen, mussten jedoch für den Glasaufbau und die Verklebung der Glasscheiben neue Lösungen ge-funden werden. Die Flaschen wur-

den von Hand zerkleinert, gesiebt und gewaschen. Um den gewünsch-ten Lichteff ekt zu erzeugen, wurden die Scherben ebenfalls von Hand im Mischungsverhältnis 80 Prozent blau, 20 Prozent weiß sowie je Qua-dratmeter eine Handvoll rot auf Ein-scheiben-Sicherheitsglas geklebt, bis sie eine undurchsichtige Fläche bildeten. Mit Spiegelrohglas auf der Innen- und einem Wärmeschutzglas auf der Außenseite wurden die Glase-lemente dann zu einem Dreifach-Iso-lierglas aufgebaut.

Mit dem neuen Mercedes-Museum in Stuttgart haben DaimlerChrysler und Ben van Berkels Architekturbüro UN Studio einen neuen Höhepunkt in der deutschen Architekturland-schaft hinterlassen. Schon während der Bauzeit zog der in sich versch-lungene Bau mit seinen nach dem Prinzip einer Doppelhelix angeord-neten Ausstellungsräumen die Auf-merksamkeit auf sich. Der enorme Zeitdruck, die komplexen, aus Beton gegossenen Formen und daraus re-sultierenden, schwierig zu lösenden Details machten die Konstruktion des Museums zu einem Medienereignis.

Heute erhebt sich der 80 Meter breite und 55 Meter hohe Koloss mit seiner gewundenen, einer Karosse-rie nicht unähnlichen Blechverklei-dung und den ein- und auswärts geknickten Glasfl ächen am Ufer des Neckar. Der Zugang zum Museum führt einen künstlichen Hügel empor, unter dessen Grasnarbe die Neben-räume und Lagerfl ächen verbor-gen sind. Im Inneren des Gebäudes sind Ausstellungskonzeption, Licht-regie sowie Sichtbeziehungen nach innen und außen zu einem untrenn-baren Ganzen verwoben. Drei Auf-züge bringen den Besucher durch das fast 50 Meter hohe, off ene Atrium

hinauf ins oberste Geschoss, wo die-ser zwischen zwei Wegen durch die von hg merz architekten gestaltete Ausstellung wählen kann. Innen, dem Atrium zugewandt, führt der Rund-gang durch die zweigeschossigen ‚Mythosräume‘, in denen die Unter-nehmensgeschichte mit Bezug zum jeweiligen Zeitgeschehen präsentiert wird. Außen, mit Panoramablick auf Stadt und Umland, liegen dagegen die eingeschossigen, über 33 Meter stützenfreien ‚Collections‘-Räume. Hier werden die einzelnen Automo-bile, weitgehend ohne mediale Unter-stützung, bei Tageslicht präsentiert. In der amorph geformten Fassade gleicht keine Glasscheibe der ande-ren, und auch die Paneele der Blech-verkleidung wurden durchweg in computergestützten Herstellungs-verfahren gefertigt. Wer genau hin-sieht, kann erkennen, wie die Fassade im Sonnenlicht Funken zu sprühen scheint: Stellenweise wurde ein fei-nes, unregelmäßiges Punktmuster in die Bleche eingeprägt, das den anson-sten eher stumpf wirkenden Flächen nicht nur Prägnanz und Wiederer-kennungswert verleiht, sondern auch hilft, Blendungen durch Lichtrefl exe auf der Fassade zu vermeiden.

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„A man with a book goes to the light. That’s the way a library begins.” Diese Maxime von Louis Kahn diente dem Stuttgarter Büro hg merz ar-chitekten als Leitgedanke für den Entwurf des neuen Lesesaals der Staatsbibliothek Unter den Linden in Berlin. Die von Ernst von Ihne in den Jahren 1903 bis 1914 erbaute Staatsbibliothek ist mit ihren 107 Metern Breite, 170 Metern Länge und 13 Etagen der größte histo-rische Gebäudekomplex in Ber-lin-Mitte. Im Rahmen einer vor 13 Jahren begonnenen Instandsetzung wird im Zentrum des Gebäudes nun ein neuer Lesesaal errichtet. Er wird den im Zweiten Weltkrieg beschä-digten und 1975 abgerissenen, alten Kuppelsaal ersetzen. Den internati-onale Wettbewerb um den Neubau hatten hg merz architekten bereits 2000 gewonnen.

Im Innenhof des Gebäudekom-plexes, dem Standort des einstigen Lesesaals, nimmt ein kubischer Glas-körper dessen Proportionen auf und setzt als leuchtender Kubus auch in der Außenansicht einen entschei-denden Akzent. Der Entwurf der Architekten greift die bestehende Hauptachse des Gebäudes auf. Sie führt von der Lindenhalle über den

STRAHLENDER LICHTKUBUS

Brunnenhof, die große Treppenhalle und über das Vestibül zum neuen Le-sesaal, der den Höhepunkt des Kom-plexes bildet. Nach einem Wechsel von hellen und dunklen Räumen ge-langt der Besucher in den lichten und weiten Raum. Eine über drei Ge-schosse reichende Bücherwand aus Holz, die den Freihandbestand auf-nimmt, bildet die Basis des Saales. Darüber erhebt sich der transluzente Glaskörper, auf dessen Galerieebe-nen die Lese- und Arbeitsplätze zum Teil zwischen den beiden Fassaden-schichten angebracht sind. Die zwei-schalige Glasfassade des Lichtkubus besteht aus großformatigen, ther-misch verformten Gläsern und einem semitransparenten, PTFE-beschich-teten Glasfasergewebe. Ihre Beson-derheit besteht in der Verformung des Glases, welches das Tageslicht bricht und gleichmäßig im Raum verteilt. Die transluzente Hülle regu-liert am Tag das einfallende Licht und lässt den Lesesaal nachts als weithin strahlenden Lichtkubus erscheinen, der der Bibliothek ihre verloren ge-gangene Mitte wiedergibt.

Tadao Ando ist bislang vor allem durch seine eindrucksvollen Kirchen und Museen bekannt geworden. Jetzt hat sich der japanische Pritzker-Preisträger einer durch und durch weltlichen Bauaufgabe gewidmet

– und dabei ein ungewohntes Ma-terialexperiment gewagt: Für den in Philadelphia ansässigen Restau-rantbetreiber Stephen Starr ent-warf Ando das Japan-Restaurant Morimoto an der New Yorker Tenth Avenue, zwischen 15. und 16. Straße. Die Fassade des zweistöckigen, 160 Sitzplätze umfassenden Restau-rants besteht aus einem riesigen, mit galvanisiertem Stahl verklei-deten Bogen, der mit einem ,noren‘, einem scharlachroten, japanischen Vorhang, verhangen ist. Im Inneren des Restaurants kombinierte Ando die aus seiner Architektur bekannten, nackten Sichtbetonwände mit wei-chen, schallschluckenden Materi-alien: Die Decke besteht aus einem gewellten, mit Glasfasern verstärk-ten Gewebe, das an Ketten unterhalb der bestehenden Decke aufgehängt wurde. Blickfang des Innenraums ist jedoch eine sechs Meter hohe, neun Tonnen schwere Installation aus 17400 gefüllten ,Ty Nant‘-Wasser-fl aschen, die, von der Decke des Re-

staurants abgehängt, im Luftraum des Treppenhauses sachte hin- und herschwingt. In gewisser, wenn auch stark verfremdeter Weise greift Ando auch hier das Wasser-Motiv auf, das viele seiner Bauten prägt. Die Flaschen brechen nicht nur das in den Raum fallende Licht in My-riaden einzelner Facetten, sondern leuchten auch von innen heraus: Zwi-schen zwei Lagen Flaschen wurden kalt- und warmweiße LEDs so ver-teilt, dass das von der Flaschenwand abgestrahlte Licht an die Lichtfl e-cken auf einer leicht gekräuselten Seeoberfl äche erinnert.

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MENSCH UND ARCHITEKTUR

Der Mensch als Mittelpunkt der Architektur:Innenansichten einer wechselvollen Beziehung.

Oben Isaac Newton war einer der ersten Wissenschaftler, die Himmels- und Lichtphä-nomene ohne Bezug zur Religion erklärten. Mit seinem gigantischen Entwurf eines ‚Kenotaphs für Newton‘ verlieh der französische Revo-lutionsarchitekt Etienne-Louis Boullée dem britischen Physiker 1784 seinerseits quasi-göttlichen Charakter. Hunderte kleiner Licht-öff nungen machen die mehr als 150 Meter messende Kugel zu einem Abbild der Himmels-sphäre mit Mond und Sternbildern.

LICHT ALS KULTURGUT

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D&A HERBST 2006 AUSGABE 04

Text von Pablo Buonocore.Bildauswahl und Bildtexte von D&A.

Von den Sonnenkulten der alten Ägypter bis zu den Büroarbeitsplätzen heutiger Tage hat das Verhältnis zur Sonne und damit zum Tageslicht die menschliche Kultur bestimmt. In seinem Beitrag macht Pablo Buonocore ein periodisches Hin- und Herschwingen der menschlichen Einstellung zum Tageslicht aus: Während Licht in einigen Epochen als Gottessymbol identifi ziert und inszeniert wurde, diente es in anderen vorwiegend als Mittel zum Zweck, die menschliche Wahrnehmung zu unterstützen.

der mensch braucht tageslicht, um seinen natürlichen Biorhythmus einstellen zu können. Ein kurzer Blick ins Freie genügt, und wir erhalten Unmengen von Hinweisen, die unser Körper und unsere Seele fürs Wohlbefi nden benötigen. Auf den ersten Blick scheinbar banale Dinge wie Tagesstimmung, Sonnenstand, Wettersituation und Jahreszeit übermitteln uns unbewusst unzählige Informationen, die für die Regulierung unserer Körperfunktionen notwendig sind.

Allerdings ist jeder Mensch verschieden, und entsprechend individuell wird Helligkeit und Tonalität einer Lichtstimmung bewusst und unbewusst wahrgenommen. Eher rational ver-anlagte Menschen tendieren dazu, ein helles, weißes Licht zu bevorzugen, während eher gefühlsbetonten Menschen ein schummriges, weiches Licht mit einem leichten Gelbstich lie-ber ist. Hinzu kommen persönliche Erfahrungen mit hellen oder dunklen Orten, die eine ganze Reihe von Stimmun-gen und Assoziationen in uns hervorrufen, noch bevor wir einen Raum richtig wahrgenommen haben. Wahrnehmung ist also nicht nur eine Frage der Lichtstimmung eines Ortes, sondern auch des mitgebrachten, individuellen Erfahrungs-schatzes. Dieser sorgt dafür, dass wir die Stimmung an einem Ort immer subjektiv erleben.

Doch nicht nur innere Erfahrungen lassen uns Licht anders wahrnehmen als unsere Mitmenschen. Kulturelle Unter-schiede sind sicher im Bereich der Religion und deren Inter-pretation bezüglich der Bedeutung der Sonne, des Lichtes oder der Sonnenstrahlen zu fi nden. Selbst im Christentum war die Bedeutung des Tageslichts als Metapher für Gott durch die Jahrhunderte hindurch einem ständigen Wandel unterworfen. Im Alltag hingegen ist die kulturelle Bedeutung der Sonne eher zurückgegangen. Die Sonne als Kalender und Zeitmesser wurde von der Uhr abgelöst und unser Tagesrhythmus richtet sich nicht mehr nach dem Sonnenauf- und -untergang.

Der Einfl uss des Tageslichts ist nicht nur kulturell, son-dern auch geografi sch bedingt. In südlichen Regionen versucht man, den heißen Sonnenstrahlen auszuweichen. Weite Vor-dächer und schattige Hallen sorgen oft für eine angenehme Kühle in der drückenden Mittagshitze. Schattige, abgedun-kelte Orte werden häufi g mit positiven Eigenschaften verbun-den. In den skandinavischen Ländern hingegen herrscht eine regelrechte Manie des ‚Lichteinfangens‘. Dort haben Archi-

tekten seit den Anfängen der Moderne immer wieder versucht, das spärliche nordische Licht mit trichter- oder fächerartigen Gebäudeformen einzufangen, um es optimal in ihren Innen-räumen verwerten zu können.

Ebenso wie die verschiedenen Epochen im europäischen Raum entwickelten die dazugehörigen Architekturstile jeweils eine eigene Haltung zum Tageslicht. Mal ist die Lichtstim-mung, wie in der Romanik, düster und mystisch; mal ist sie, wie in der Renaissance, hell und rational. Die Lichtstimmung und deren kulturelle Bedeutung schwingt, vergleichbar mit dem Pendel einer Uhr, im Verlauf der Jahrhunderte regelmä-ßig zwischen rationalen und emotionalen Interpretationen hin und her. Seit der Postmoderne gehen allerdings viele Stile parallel einher. So haben wir das Glück, in einer Zeit zu leben, in welcher die Tageslichtarchitektur nicht einer bestimmten Modeströmung unterlegen ist, sondern individuell auf die jeweilige Aufgabe zugeschnitten wird.

die kulturgeschichte des tageslichts

Die Schaff ung des Lichts steht ganz am Anfang der christ-lichen Schöpfungsgeschichte. Aber nicht nur im Alten Testa-ment kommt dem Licht eine besondere Bedeutung zu. Mit dem Licht beginnt in vielen Mythen die geordnete und leben-dige Welt. Im Gegensatz dazu wurden der Schatten und die Dunkelheit als Synonym für Chaos und Tod gesehen. Dieser dualistische Ansatz diente in zahlreichen Religionen der Ver-deutlichung des Unterschieds zwischen Gut und Böse. Bereits seit vorgeschichtlichen Zeiten verehren Menschen lichterfüllte Dinge. Die Sonne und das Licht wurden vor allem in den frühen menschlichen Kulturen angebetet. Dabei dienten oft Kultobjekte als Medium zwischen den Menschen und dem Licht. So ist zum Beispiel die Verwendung von lichtdurch-lässigem Bernstein ein augenscheinlicher Träger solcher Sym-bolik. Die Lichtsymbole archaischer Gesellschaften erzählen uns viel über den ‚Hunger‘ der Menschheit nach lichterfüllten Dingen und deren transzendentale Bedeutung.

Als in der jüngeren Steinzeit Licht in Form des Feuers in die Höhlen getragen wurde, änderte sich das Leben drastisch. Erstmals griff der Mensch eigenmächtig in den ewigen Kampf zwischen Hell und Dunkel ein. Die Sonne als ‚Erlöserin‘ vom

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Dunkel der Nacht war nun nicht mehr die einzige Lichtquelle, die er sich nutzbar machte.

Schon in der Bronzezeit kannte man Sonnenbeobach-tungen und die Pfl ege der dazugehörigen Mythen. Ein Beispiel hierfür ist Stonehenge, durch dessen Steintore zu bestimm-ten Sonnenstandzeiten das Licht auf genau defi nierte Punkte im Zentrum des Kreises fi el. Sonnenwagen und verschiedene andere Sonnenmotive sind durch Funde bezeugt. Hans Sedl-mayr schreibt hierzu: „Da ist die große, fl ache, goldene Scheibe selbst, die man schon eher als ein Abbild denn als Symbol der Sonne ansprechen muss. Sie ist mit einer feinen, kreis- und spi-ralförmigen Ornamentik verziert, deren primäres Motiv große Kreisringe sowie Reihungen kleiner Kreise und Spiralen sind. Kreise und Spiralen sind zweifellos Träger solarer Symbolik. Der Bezug zum Licht ist durch das Material, der Bezug zur Sonne durch die Rundform gegeben.“ Es wurde in Stonehenge auch nachgewiesen, dass mit zunehmendem Radius der Stein-kreise die Präzision des Kalenders erhöht wurde – bis zu dem Punkt, an dem die Steinkreise die 13 Mondmonate anzeigen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Stonehenge auch als relativ präzises Zeitmessinstrument benutzt wurde.

Über das Licht und dessen Bedeutung für ein Volk zu spre-chen ist nahezu unmöglich, ohne den Sonnen- und Totenkult der Ägypter zu nennen. Während die Menschen in Europa noch in tiefster Steinzeit lebten, hatte Ägypten den Schritt in die Bronze- und Eisenzeit bereits vollzogen. Der wohl bedeu-tendste Gott des Zweistromlandes war Re: Er verkörperte die Sonne selbst und wurde mit kontinuierlicher Intensität durch alle Dynastien hindurch verehrt. Das Bild von Re, dem Son-nengott, war an die Vorstellung des täglichen Sonnenlaufes geknüpft. Die Sonnenscheibe stellte sein Gesicht oder Auge dar. Die Ägypter gingen von der Vorstellung aus, dass Re all-morgendlich im Osten von der Himmelsgöttin neu geboren wurde und daraufhin am Horizont auftauchte (sein Auge öff nete sich). Als Herr des Himmels überquerte er dann – als Falke dargestellt – in seiner Barke das Himmelsgewässer und bewachte die Erde.

Funde weisen darauf hin, dass die ägyptischen Pyrami-den mit einer polierten Oberfl äche versehen waren, die ihnen den steinern anmutenden Charakter nahm und ins Gegen-teil verwandelte. Sie wurden zu geometrisch genau berech-

neten Spiegeln und damit zu dem Symbol für den Status des verstorbenen Königs: Er war eins mit Re, Sonne, Licht und Universum. Die Spitzen der meisten Pyramiden hatten eine Krone in der Form eines Pyramidions aus Edelmetall. Die-ser Schlussstein fi ng die ersten und letzten Lichtstrahlen des Tages auf und wirkte wie eine lichtgebadete Fackel, die weit über die Erde hinwegstrahlte.

zwischen mystik und ratio: von der antike bis zur renaissance

Sowohl die Griechen als auch die Römer maßen der Verehrung des Lichts eine weit geringere Rolle bei. Es waren die Griechen, die das geozentrische Weltbild entwickelten. Für sie bewegte sich der lebende Mensch auf der Erde in einer Welt aus Licht und Schatten. Als Toter ging er dann ins Reich der Dunkel-heit über. Nicht die Negation der Natur als Gegenwehr, son-dern das Ja zur Natur, die Annahme und Erforschung der Naturgesetze waren das Ziel der Griechen.

Dennoch sind die griechischen Tempel als eine Art Brü-cke zwischen Menschheit und Götterwelt zu verstehen. Ihr Innenraum war nicht mehr durch Wände abgeschlossen, die das Eindringen des Lichts verhinderten, sondern durch Säu-len, die den Übergang von innen nach außen thematisierten. Da die Mehrheit der Tempel nach Osten orientiert war, liegt die Vermutung nahe, dass die tief stehende Sonne die ver-goldeten Götterstatuen in ihrem Inneren bei Dämmerung zwischen den Säulen hindurch aufl euchten ließ und sie so

– ähnlich wie die Tempelstatuen in Ägypten – gleichsam zu neuem Leben erweckte.

Bis ins Hochmittelalter hinein übernahm das Licht, als etwas Abstraktes, die Rolle des Mittlers zwischen Gott und der Welt, oder es wurde sogar zum Symbol für Gott selbst. Wir kennen das Licht als Symbol für den auferstandenen Chri-stus. Seine Worte „Ich bin das Licht der Welt“ haben auch in der orthodoxen Kirche heute noch ihre Gültigkeit. Das materialisierte Licht wurde im Christentum zu einem spiri-tuellen Phänomen, das unabhängig von der Sonne gesehen wurde. Denn am ersten Tag der Schöpfung, so steht es in der Bibel, wurde es Licht – erst später wurden die Sterne und die Sonne geschaff en.

„Aber die Architekten, die heute Räume entwerfen, haben ihren Glauben an das natürliche Licht verloren. Indem sie sich von einem Fingerdruck auf einen Schalter abhän-gig machen, geben sie sich mit statischem Licht zufrieden und vergessen die unendlich sich wandelnden Eigenschaften des natür-lichen Lichts, durch das ein Raum in jeder Sekunde des Tages ein anderer wird.“ Louis I. Kahn (Quelle unbekannt)

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1. Die Bedeutung des bronzezeit-lichen Steinkreises von Stone-henge ist bis heute umstritten. Wahrscheinlich handelte es sich jedoch um eine Stätte der Son-nenverehrung und des Toten-kultes. Dafür spricht, dass die Anlage auf die Sommer- und Winter-Sonnenwende ausge-richtet ist.

3. Obelisken waren symbolhafte Monumente im altägyptischen Sonnenkult. Sie stellen die Stein gewordenen Strahlen des Son-nengottes dar und bilden damit die Verbindung zwischen der irdischen und der Götterwelt. Der Obelisk auf dem Petersplatz wurde bereits unter Caligula (12–41 n. Chr.) nach Rom gebracht.

2. Die 1999 entdeckte Himmels-scheibe von Nebra in Sachsen-Anhalt wird auf ein Alter von etwa 3600 Jahren geschätzt und zeigt die älteste konkrete Himmelsabbildung der Welt. Es gilt als sicher, dass auf ihr Sonne, Mond, 32 Sterne, eine Himmels-barke und ein Horizontbogen abgebildet sind.

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4. In zahlreichen frühen Hoch-kulturen war die Sonne gleich-bedeutend mit der höchsten Gottheit. Auf dem aztekischen Sonnen- oder Kalenderstein ist im Zentrum das Gesicht des Sonnengottes Tonatiuh zu sehen. Er wird von vier Bildern umrahmt, die in der aztekischen Mythologie die vier vorange-gangenen Sonnen (Welten) dar-stellen.

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damalige Glaube –, wurde man von Gott berührt.Die Entmythologisierung des Lichts begann Ende des 13.

Jahrhunderts mit dem Versuch, die Natur zu erklären. Ebenso wie die Architektur durch Proportionen und Ordnungen sollte nun auch das Licht durch Gesetzesmäßigkeiten rational fass-bar werden. Seine Bedeutung wandelte sich in der Renais-sance, zwischen 1420 und 1660, von einer religiösen zu einer repräsentativen, ästhetischen, und verlor damit erheblich an Bedeutung. Licht besaß nur noch die Aufgabe, einen Raum zu beleuchten. Helligkeit und Transparenz wurden zum Syn-onym für fortschrittliches Bauen, die mystische Dämmerung des Mittelalters galt nunmehr als Kennzeichen barbarischer Rückständigkeit. Große Fenster ermöglichten erstmals den Ein- und Ausblick aus einem Gebäude. Licht von oben wurde als neue Qualität angesehen, und Architekten wie Bramante und Michelangelo setzten sich erstmals mit dem Gedanken an Oberlichter auseinander. Kirchen wurden in unterschiedlich gestaltete Lichtbereiche geteilt: das Kirchenschiff als (seitlich beleuchteter) Weg, der Kuppelraum als (von oben beleuch-tete) Mitte und der Chor als (neutral beleuchteter) Abschluss. Dies ist beispielhaft in Andrea Palladios Kirche Il Redentore in Venedig zu erkennen. Die Bedeutung des Lichtes wird auf seine Funktionalität reduziert. Es leuchtet jeden Winkel des Kirchenschiff es genau aus und gibt so einen nüchternen, ent-mystifi zierten Gebetssaal wieder. Die architektonischen Licht-themen der Renaissance werden oft als Neuerfi ndungen der Moderne betrachtet. Vielmehr muss aber von einer Neuin-terpretation die Rede sein, was sich vor allem im Profanbau manifestieren sollte.

überirdisches licht und rationale helligkeit: vom barock zur aufklärung

Zwischen 1560 und 1760 schwang das Pendel der Lichtinter-pretation von der nüchternen Betrachtung der Renaissance wieder zurück in die gefühlsbetonte Haltung des Barock. Das Verhältnis zum Licht wurde intensiver; die sinnliche Sonnener-fahrung stand im Vordergrund. Man suchte wieder das diff use, irreale Licht ohne starke Schlagschatten. Die markantesten Leistungen der Lichtarchitekten waren die Erfi ndung des Lichtkranzes und der darüber befi ndlichen, ‚schwebenden‘

Die Dome in der Romanik (900-1250 n. Chr.) sind die letzten Bauwerke in Europa, die weniger für Menschen gebaut wurden als vielmehr für eine Gottheit, die sichtbare Wun-der vollbrachte. Romanische Sakralbauten, kraftvoll mit dem Boden verbunden, sind Trutzburgen des Glaubens. Sie spie-geln den Zeitgeist der cluniazensischen Reform wider, die sich dem Einfl uss der weltlichen Macht auf kirchliche Angelegen-heiten widersetzte. Die Betrachtungsrichtung der Architektur verläuft dabei von außen nach innen. Das Äußere der Kirche kündete den Menschen von Gottes Macht und Größe. Der Tageslichteinfall im Kircheninnern wurde dagegen knapp gehalten, um eine düstere mystische Stimmung zu erzeugen, die den Betrachter vor Ehrfurcht in Gottes Haus erschauern lassen sollte. Die Kirche bekam, im Gegensatz zu Kulten in der Antike, die Funktion einer Versammlungsstätte und war nicht mehr nur einer kleinen Gruppe von Priestern vorbehalten.

In der Gotik wurden die Kirchen zu einem Versamm-lungsort für immer größere Gemeinden. Mitte des 13. bis Ende des 15. Jahrhunderts entstanden daher Großbauten mit ‚göttlichen‘ Dimensionen, die den Gesetzen der stoffl ichen Schwere zu widersprechen schienen. Seit den ersten christli-chen Kirchen wurde jedes erdenkliche Mittel eingesetzt, um eine Struktur ‚erhebenden Lichts‘ darzustellen und zu bauen. Diese Tendenz erreichte nunmehr ihren Kulminationspunkt. Rippengewölbe und Strebewerk kamen dem Verlangen nach Aufl ösung der raumschließenden Wand entgegen. Der Spitz-bogen entspricht dem auf Vertikalität gerichteten Sinn der Gotik, weil er mit seinen Rippen die aufsteigende Bewegung der Säulen und Dienste fortführt, sammelt und gleichsam ins Unendliche emporsteigen lässt. Am Beispiel der Kathedrale in Chartres ist gut zu erkennen, wie die Kathedralen mit immer größeren, lichtdurchlässigen Membranen aus farbigem Glas versehen wurden. Das gotische Fenster ist nur im Sinne der Konstruktion eine Öff nung. Für den Raumeindruck dagegen wirkt es wie eine Wand, körperlos und ätherisch durchleuch-tet. Durch die Undurchsichtigkeit der Glasfl ächen entsteht der Eindruck, als ob die Wände, zu denen auch die Glasfl ä-chen zu zählen sind, leuchten. Speziell die Fensterrose kann als Abbild der Sonne interpretiert werden. Darin wurde das Gleichnis „Licht gleich Gott und Sonne gleich Abbild von Gott“ baulich umgesetzt. Wurde man vom Licht gestreift – so der

5. Eine kompakte, massive Bauweise, wie hier in der Abtei Montmajour bei Arles, ist typisch für den romanischen Kirchenbau. Konstruktionsbe-dingt gibt es nur minimale Fen-steröff nungen, durch die kaum Tageslicht eindringen kann. Der Kirchenraum erscheint so meist nur im Dämmerlicht.

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Kuppeln, deren Wölbungen derart ausgeleuchtet waren, dass sie vollends entmaterialisiert schienen. Dieser Eff ekt ist beson-ders bei tiefem Sonnenstand in Kapelle des Heiligen Schweiß-tuches im Dom von Turin zu erkennen. Die vollständige Ausleuchtung des Kuppelzenits ist hier einem Fensterturm an der Kuppelspitze zu verdanken, den der Betrachter von innen nicht wahrnehmen kann.

In der profanen Baukunst des Barock wurde Licht hinge-gen immer wieder in Verbindung mit Vernunft, Freiheit und Macht gebracht. Als Beispiel sei der Spiegelsaal von Ludwig XIV. im Schloss von Versailles genannt. Der einseitig großfl ä-chig verglaste Prachtsaal steigert den Einfall des Tageslichts durch zusätzliche Spiegelfl ächen auf der Gegenseite, sodass ein Mehrfaches an Lichtausbeute erreicht werden konnte. Auf diese Weise präsentiert sich das aufwändig bemalte Tonnen-gewölbe dem Besucher in seiner ganzen Pracht. Das Staunen in Gebäuden war fortan nicht mehr nur den Gotteshäusern vorbehalten.

Im Zeitalter der Aufklärung verschoben sich die metaphy-sischen Einstellungen der Menschen zum Licht von Grund auf. Der Gedanke einer göttlichen Überwelt mit verschlei-erndem, ewigem Licht trat langsam zurück und machte einer neuen Rationalität Platz. Dieser Ausleuchtungsprozess, „des-sen epistemologischer Titel ‚Forschung‘ und dessen politisches Programmwort ‚Aufklärung‘ lautet“ (Peter Sloterdijk), hat sei-nen Grund im neuen Glauben an den Menschen und dessen Vermögen, die Welt selbst einzurichten. Im Gegensatz zum Licht-Gott-Prinzip wurde nun auf die eigene, erhellende Tat gesetzt. Das Licht wandelte sich vom Medium zum Instru-ment. Nachdem die Baumeister, vor allem im Dienste der Kir-che, dem Sonnenlicht bis zum Ende des 17. Jahrhunderts alle seine Fähigkeiten entlockt hatten, begann die Lichtgestaltung nunmehr etwas weniger überirdisch zu wirken. In den klassizi-stischen Gebäuden herrschten rationale Helligkeit und Meta-phern kartesianischer Vernunft vor.

Mit den Anfängen der Industrialisierung wurde das Licht im 19. Jahrhundert endgültig entmystifi ziert: Fortan diente es (auch) zur Ausleuchtung so profaner Bauten wie von Gewächs-häusern und Fabriken. In der Architektur manifestierte sich der neu aufkeimende ‚Lichthunger‘ in den Bauten der Welt-ausstellung 1851 in London, insbesondere in Joseph Pax-

tons berühmtem Kristallpalast. Den Besuchern wurde bei der Betrachtung des Stahl- und Glaskolosses bewusst, dass die Regeln, nach denen man bisher die Architektur beur-teilt hatte, ihre Gültigkeit verloren hatten. Die Bedeutung des Kristallpalastes liegt nicht in der Lösung wichtiger statischer Probleme, auch nicht in der Neuartigkeit der bei der Vor-fabrikation angewandten Verfahren und technischen Über-legungen, sondern in der neuen Beziehung, die sich zwischen den technischen Mitteln und dem Repräsentationszweck des Gebäudes herausgebildet hatte. Indessen wurden lichterfüllte Räume mit gläsernen Fassaden vorerst nur in öff entlichen Räumen akzeptiert. Im Wohnungsbau herrschte, etwa in der Zeit des Biedermeier (1815–1848), noch immer sprichwört-liches Dämmerlicht. Dunkle, lichtschluckende Materialien dominierten die Wohnräume. In der bürgerlichen Architek-tur des gesamten 19. Jahrhunderts war die scharfe Trennung von innen und außen ein charakteristisches Merkmal.

sonne, licht, luft und raum: tageslicht in der moderne

Mit der Neuen Sachlichkeit drang das Tageslicht nun auch mit Macht in das Wohnen ein. Helligkeit, die jeden Win-kel auszuleuchten hatte, wurde zum Inbegriff des „befrei-ten Wohnens“. Blankes Glas, möglichst ohne jede Teilung, machte die Wohnung zu einem Appendix der Außenwelt. Der Lichtgedanke gipfelte in der Aufl ösung der Form, die das reine Glashaus bedeutete. Bruno Taut entwarf für die Werk-bundausstellung 1914 in Köln ein Kristallhaus, in dem sich genau diese Ideen manifestierten. Die Wände und das auf-wändig geformte Kuppeldach wurden mehrheitlich aus Glas hergestellt, um dem Betrachter den Eindruck vermitteln zu können, er stünde im reinen Licht.

Glas wurde als Baustoff eingesetzt, um Lebensfreude und Kraft darzustellen. Soziologische und wohnhygienische Gedanken verhalfen der neuen Haltung zum Licht zu jähem Erfolg. Mit der Weißenhofsiedlung in Stuttgart von 1927 wurde der exemplarische Beweis geliefert, dass das theore-tische Gedankengut des befreiten Wohnens praktisch umsetz-bar war. Der Grundstein für die Moderne war gelegt.

Neue industrielle Prozesse und die serielle Herstellung

7. Bei seinen Forschungen ent-deckte der Mathematiker und Physiker Sir Isaac Newton durch die Lichtbrechung am Prisma, wie aus dem ‚weißen‘ Sonnenlicht sieben Spektral-farben erzeugt werden. Eine der Grundlagen der modernen Optik war damit geschaff en und der alleinige Anspruch der Religion auf die Deutung von Lichtphänomenen gebrochen.

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6. Der Kupferstich von Christoph Scheiner (1575–1650) illustriert die wissenschaftliche, gleichsam säkulare Herangehensweise an Lichtphänomene in Renaissance und Barock. Scheiner beobach-tete mit einem selbst konstrui-erten Fernrohr unabhängig von Galileo Galilei erstmals die Son-nenfl ecken.

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gaben jungen Architekten die Möglichkeit, neue Formen für eine zeitgenössische Architektur zu entwickeln: „Sonne, Licht, Luft und Raum“ war Programm. Le Corbusiers Manifest ‚Fünf Punkte einer neuen Architektur‘ sorgten für eine Lösung der Tragstruktur von der Fassade, was fortan ein freies Setzen von Öff nungen an der Gebäudehülle erlaubte. Das Bandfens-ter entstand, und mit ihm die Möglichkeit, Räume vollkom-men gleichmäßig auszuleuchten. Man errichtete die ersten raumhohen Glaswände, und im Zusammenhang mit der som-merlichen Überhitzung wurden die ‚brise soleil‘ entwickelt. Mit Licht konnte von nun an frei komponiert werden. Es ent-standen ständig neue Glastypen, Sonnenfi lter, Steuer- und Umlenkmethoden, die es möglich machten, das natürliche Licht nach Belieben zu modulieren, um die Sonnenstrahlen für die jeweils zugeteilte Aufgabe vorzubereiten.

Auch unter fortschrittlichen Architekten traf das Fünf-Punkte-Programm von Le Corbusier indessen nicht nur auf Anerkennung: Louis Kahns Ablehnung der Trennung von Skelett und Wand hebt sein Werk deutlich von der Transpa-renz der Moderne ab. Die Betonung von Masse durch Struk-tur war Kahns Th ema – und wurde es auch bei vielen seiner Zeitgenossen wie etwa bei Paul Rudolph. Kahn war auf der Suche nach einer Mystik des Raums, den er durch die Ener-gie des natürlichen Lichts zum Leben zu erwecken suchte. Er arbeitete mit Abstufungen und Übergängen von öff entlich zu privat und von außen nach innen, um Tageslicht zu modu-lieren. Ferner diente ihm das Licht zur Unterstützung seiner Grundrisskonzeptionen aus Kern und Umräumen sowie aus ‚dienenden‘ und ‚bedienten‘ Räumen.

Von der Moderne bis in die Spätmoderne ist immer wie-der deutlich die Bemühung der Architekten zu erkennen, ein-fallende Lichtsituationen exemplarisch und gelegentlich auch gestalterisch überspitzt darzustellen. Der technische Fort-schritt ermöglichte es nunmehr, nahezu allen Wünschen der Architekten nach einem freien Umgang mit Öff nungen in der Gebäudehülle gerecht zu werden. Diese neuen Aspekte brachten allerdings auch statische, energetische und klima-technische Probleme mit sich, deren Lösung dem Einfalls-reichtum der Architekten oftmals ‚hinterherhinkte‘. Es wurde erkannt, dass das reine Glashaus aus den verschiedensten Gründen nicht der Weisheit letzter Schluss war. Die rich-

tige Dosierung des Tageslichts wurde folgerichtig zu einem der meistdiskutierten Punkte in der Architektur des 20. Jahr-hunderts.

Aus heutiger Sicht haben die Lehrjahre Kahns und Le Corbusiers gezeigt, dass weniger intellektuelle Programme als vielmehr maßgeschneiderte Lösungen für optimale Lichtstimmungen gefragt sind. Baustilspezifi sche Tages-licht-Schwerpunkte vergangener Epochen wurden ersetzt durch gebäudespezifi sche Anforderungen an die Beleuch-tung mit Tageslicht. Es verbreitete sich die Erkenntnis, dass die heterogenen Bauaufgaben unserer Zeit nicht einheitlich mit einer einzigen architektonischen Haltung zum Licht gelöst werden können. Unterdessen haben praxisbezogene Problemstellungen dazu geführt, dass für verwandte Bau-aufgaben ähnliche tageslichtbezogene Lösungen entstehen. Natürlich unterliegt dieser pragmatische Vorsatz auch Mode-strömungen: Zum Beispiel sind Ganzglasfassaden gerade in jüngerer Zeit immer wieder als Ausdruck für Transparenz im Firmenwesen interpretiert worden – allen Überhitzungs-problemen zum Trotz. Es ist zwar mit großem technischem Aufwand möglich, sogar Ganzglasgebäude konstruktiv rich-tig umzusetzen, doch bedarf es auch derzeit noch starker ideo-logischer Fundamente, um die Umsetzung hoch technisierter gläserner Körper zu rechtfertigen. Heute wissen wir, dass die Tageslichtausbeute in Gebäuden durch einen Glasanteil an der Fassade von 50% vollends ausreicht, um auch die tiefs-ten Räume auszuleuchten.

In einem übersättigten Konsummarkt werden die Eigen-schaften von Tageslicht vermehrt architektonisch überspitzt thematisiert, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Dieses Bestre-ben treibt Architekten immer wieder aufs Neue dazu, an den Rand des technisch Machbaren zu gehen. Bei den mei-sten Neuentwicklungen kommen die Planer angesichts der heute geltenden Normen und Komfortwerte schnell zur Erkenntnis, dass rein konzeptionelle Ansätze für fehlerfrei funktionierende ‚Lichtarchitektur‘ nicht mehr ausreichen. Bauphysikalische und haustechnische Probleme sowie die immer weiter fortschreitende Glastechnologie verlangen nach Fachwissen von Spezialisten, mit der Konsequenz, dass der Architekt sich immer öfter gezwungen sieht, die Tageslicht-planung mit einem Team von Spezialisten durchzuführen.

8. Das Pantheon wurde in den Jahren 118–125 n. Chr. als Versammlungsstätte in Rom errichtet. Den Raum beherrscht eine 9 Meter große Öff nung im Scheitelpunkt der Kuppel, die die Sonne am Firmament symbolisiert. Bei feuchter oder nebliger Luft verdichtet sich das Sonnenlicht zu einem sichtbaren Strahl, der den Gang unseres Zentralgestirns am Firmament nachvollziehbar macht.

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Pablo Buonocore diplomierte 2000 an der Zürcher Hochschule in Win-terthur im Fach Architektur. Danach arbeitete er mehrere Jahre unter ande-rem bei Antonio Sanches Griñan, Alicante, und Antonakakis Dimitris, Visiting Professor M.I.T., Athen. Zusammen mit Michael A. Critchley schrieb er 2001 das im Niggli-Verlag erschienene Buch „Tageslicht in der Architektur“. 2001 bis 2004 führte er ein eigenes Architekturatelier in Winterthur. Seit 2005 ist er als Bauherrenvertreter/Bautreuhänder tätig. Des Weiteren belegt er den Nachdiplomstudiengang eMBA – Betriebswirtschaft für Architekten und Ingenieure an der Zürcher Hochschule Winterthur.

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Näsijärvi, Tampere, FinnlandFotos von Marja Pirilä

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Wie ein Atmen im Licht

Wenn beim Menschen durch den aufsteigenden Nebel Stimmungen der Melancholie angeregt werden, dann ist es hier so, daß seine Gedanken, damit aber auch sein Gemüt gewisserma-ßen in einer übermenschlichen Freiheit atmen lernen beim Anblicke dieses luziferisch fl utenden Lichtmeeres. Das ist eine besondere Beziehung, die der Mensch zu der Umgebung eingehen kann, denn da kann er tatsächlich bis zu dem Gefühle sich aufschwingen, daß sein Denken ist wie ein Atmen im Lichte. Der Mensch fühlt das Denken wie ein Atmen, aber wie ein Atmen im Lichte.

Rudolf Steiner: ‚Mysteriengestaltungen’

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EIN LEBEN MIT LICHT

Von Ole Bouman.Bilder und Projekttextevon James Carpenter Design Associates.

Als Lichtkünstler und Entwerfer fi ligraner Glaskonstruktionen ist James Carpenter bekannt geworden. Wie nur wenige Zeitgenossen beherrscht er die gesamte Klaviatur der Lichtge-staltung: seine Brechung und Bündelung, seine Absorption und Refl ektion, seine Farbe und Rhythmik. Carpenter entwirft sinnliche Gesamtkunstwerke, die weit mehr sind als nur schmü-ckendes Beiwerk für die Bauten anderer. Der Höhepunkt seiner bisherigen Karriere könnte für Carpenter zugleich ein Wende-punkt sein: Bleibt er der Autor räumlicher Dramen, der er ist, oder wandelt er sich zum hoch professionellen Dienstleister in Sachen Lichtarchitektur?

7 World Trade Center, New York, NY 2002-2006Architekt: Skidmore, Owings & MerrillModell der Sockelverkleidung im Maßstab 1:1

Der Wiederaufbau von 7 World Trade Center, dem ersten neu errichteten Hoch-haus am Standort des ehemaligen World Trade Center, war mit besonderen Herausforderungen verbunden. Die Stromtransformatoren im Sockel des Gebäu-des erfordern 50 Prozent freien Lüftungsquerschnitt in der Fassade. James Carpenter Design Associates schlugen eine aus zwei Schichten dreieckiger Stahl-stäbe bestehende Doppeltrennwand vor. Dabei experimentierten sie mit der Win-kelanordnung der Stäbe und der Möglichkeit, Lichtquellen zwischen die beiden Schichten einzubringen. Tagsüber refl ektiert die äußere Fassadenschicht das direkt einfallende Sonnenlicht und das Streulicht aus der unmittelbaren Umge-bung. Bei Nacht wird die Außenschicht zu einem Streufi lter, durch den hindurch die Innenschicht sichtbar wird. Auf der Rückseite der Außenschicht angebrachte LED-Leuchten strahlen ihr Licht auf die innere Fassadenschicht, die das Licht refl ektiert und zwischen den außen angebrachten Stahlstäben hindurch zurück in den Straßenraum projiziert.

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Dies ist die Geschichte eines Mannes, der zu einem der angesehensten Lichtdesigner der Welt wurde. Er begann seine Laufbahn als Installationskünstler, der von den Mustern der Natur fasziniert war, und wurde zu einem der bekanntesten Entwerfer räumlicher Erfah-rungen, die durch Licht hervorgerufen werden. Zu Beginn seiner Karriere bot er den Menschen Momente der erhöhten Wahrnehmung, spä-ter konzipierte er komplette räumliche und bewohnbare Umgebungen für sie. Aus dem Blickwinkel des berufl ichen Erfolgs erscheint diese Karriere als stetige lineare Entwicklung. Aus dem Blickwinkel des künstlerischen Wir-kens verblüff t vor allem die anhaltende Konzen-tration auf die vielleicht wichtigste Modalität

menschlicher Wahrnehmung, das Licht. Doch was geschieht, wenn der Erfolg den Gegen-stand des künstlerischen Wirkens zu überlagern droht? Verändert der Erfolg diesen Gegen-stand? Beeinfl usst er dessen Wahrnehmung? Eröff net er völlig neue Territorien für Experi-mente? Oder wird es ihn einengen, angesichts der Erwartungen der anderen dahingehend, dass der Künstler ‚seinen Trick‘ immer wieder aufs Neue vorführt?Dies ist die Geschichte eines Mannes, der am Scheideweg steht. Eines Mannes, der mit dem Paradoxon konfrontiert wird, dass man ihm einerseits für seine vergangenen Errungen-schaften Respekt zollt, während er andererseits die Notwendigkeit verspürt, neue Herausfor-

derungen zu nehmen. Wird er seiner Begabung, das Licht einzufangen, treu bleiben?Historisch gesehen, steht dieser Mann nicht allein mit seinem Kampf um diese Art von Auf-richtigkeit. Als ich meinen ersten Artikel über-haupt über ein konkretes Gebäude verfasste

– die von Johannes Duiker, dem Meister der klas-sischen Moderne, entworfene Freiluftschule in der Amsterdamer Cliostraat (1928) – ließ ich mich beinahe täuschen von seinem Argument hinsichtlich des Eingangsbauwerks gegenüber dem Haupgebäude der Schule. Letzteres steht im hinteren Teil des Innenhofes eines typischen Gebäudeblocks von Berlage. Duiker erklärte, dass er eine Etage des Eingangsgebäudes ent-fernt habe, um das Sonnenlicht direkt zum

1–3 Dichroic Light Field, New York, NY 1994-1995

Das Dichroic Light Field ist eine Installation aus Glasscheiben auf der Ostseite des Millennium Tower in 160 Columbus Avenue, New York. Ziel des Projekts war, den monolithischen Charak-ter der Ziegelfassade, die sich über den gesamten Block hinweg erstreckt, durch eine Illusion von Tiefe aufzulösen. Tagsüber liegt die Columbus Avenue oft im Schatten der angrenzenden hohen Gebäude. In diesem Umfeld bildet die Installation von JCDA einen kinematischen Rahmen, in dem sich den Passanten eine Projektion aus Bildern und Licht darbietet. Die Glas-schwerter des Dichroic Light Field zeichnen den Sonnenverlauf nach und machen ihn aus der Fußgängerperspektive erlebbar. Durch seine Umwandlung bringen sie das Licht als Phäno-men ins Bewusstsein, während sie den Straßenraum zugleich durch Lichtrefl exion so weit wie möglich erhellen. Die dichrotische Beschichtung spaltet das Lichtspektrum auf und refl ektiert die Farben aus der einen Hälfte des Spektrums, während sie die andere Hälfte weiterleitet. Aus nördlicher Richtung betrachtet, erscheint das Feld daher in hellgrünen bis indigoblauben Tönen; von Süden aus gesehen, reicht das Farbspektrum von Goldgrün bis Magenta.

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Hauptgebäude der Schule gelangen zu lassen, selbst im Winter, wenn die Sonne nicht allzu hoch am Himmel steht. Bei näherer Betrach-tung wurde jedoch ersichtlich, dass diese Maß-nahme nicht viel dazu beitrug, mehr Licht in das Schulgebäude zu bringen. Vielmehr bewirkte sie eine Monumentalisierung der Schule, indem sie eine gerade, auf sie zulaufende Sichtachse entstehen ließ. Das Argument, für mehr Licht zu sorgen, diente nur als Alibi, um dem Gebäude mehr Größe und Würde zu verleihen.Dieser Fall ist ein beredtes Beispiel dafür, wie Licht – neben einem Wert, der die Inspiration fördert – zum Teil einer auf die ‚Verkaufsförde-rung‘ abzielenden Überredungsstrategie wer-den kann, selbst wenn diese auf schöpferischen

Argumenten oder einfach nur auf Humbug beruht. Licht wird seit jeher – in allen Kulturen und zu jeder Zeit – mit positiven Gefühlen und Werten assoziiert. Die Menschen werden einem viel schneller Glauben schenken, wenn man ihnen verheißt, sie in das Licht zu führen. (Nicht, wie Plato berichtet, indem man dies tatsächlich tut, aber das ist eine andere Geschichte.) Also muss der Mann, von dem ich berichte, die Auf-richtigkeit in sich selbst fi nden. Er ist umgeben von einem abgrundtiefen Positivismus, er ist der Verwalter eines existenziellen Bedürfnisses, und niemand wird sein wichtigstes Attribut in Frage stellen: die Fähigkeit, uns Licht zu geben.An dieser Stelle müssen wir vom mythischen Argument zum wahren Wert des Lichts über-

gehen. Dabei geht es nicht darum, das Licht zu glorifi zieren, damit sich die Menschen besser fühlen; dies lässt sich vielmehr auch dadurch bewirken, dass Licht erzeugt, refl ektiert und als das Kernstück eines Entwurfs zur Geltung gebracht wird. Nicht nur die Geschichte des Lichts und die unzähligen Bezugnahmen darauf, sondern auch das Licht als physikalische Rea-lität kann hochgradig positive Gefühle begrün-den. Seit nunmehr einem Jahrhundert haben Architekten in einer sekulären Gesellschaft die Macht des Lichts zelebriert, indem sie ihm einen maßgeblichen Platz in der architekto-nischen Erfahrung einräumen. Die Anhänger der Moderne, mit ihrer Betonung von Hygiene und funktionaler Rationalität, haben dem Gebäude

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seine obskure Innerlichkeit genommen und den Raum für den Blick von außen geöff net, indem sie das Innere mit ungehindert einfallendem Licht erhellten. Neoplatonische Geister über-trugen diese wissenschaftlich ausgerichtete Herangehensweise in eine spirituellere Dimen-sion: Licht, das aus einer physikalischen Realität in eine immaterielle Spiritualität, einen allge-genwärtigen Geist transzendiert, der unsere Seelen erhebt. Das Licht in der Architektur kann also nicht nur gesund machen, sondern es besitzt auch eine reinigende Wirkung. Mens sana in corpore sano. Doch wie kann jemand aufrichtig bleiben, wenn die Menschen dazu nei-gen, ihn als einen Propheten anzusehen?An dieser Stelle wird es interessant, die Palette

dieses Mannes, dieses Architekten, näher zu untersuchen. Mit welchen Mitteln macht er das Licht zu einem Teil seines schöpferischen Wirkens? Welche Techniken nutzt er, um die Wirkung des Lichts zu maximieren und es zu manipulieren? Das Problem besteht darin, dass wir uns auf einen ausgesprochen technischen Diskurs verlegen müssen, um sein Schaff en angemessen zu beschreiben. Es gibt so gut wie keine ausgereifte Debatte in der Architek-tur über Licht als kulturelles Phänomen, die es mit den wesentlichen Konzepten unserer Zeit verknüpft, ohne dabei auf die quasi-religiösen Beschreibungen zu verfallen, die wir aus der Vergangenheit kennen. Obgleich Architekten überaus gern mit Licht arbeiten, um ihre Ent-

würfe zu animieren oder zu dramatisieren, ist die kritische Rezeption von Architektur oft-mals mit intellektuellen Intentionen oder mit einer übermäßigen Betonung der Form behaf-tet. Auch wenn Licht als Ausgangspunkt wesentlich ist, um verstehen zu können, wie Architektur wirkt, wie sie die Menschen emoti-onal anzusprechen vermag und wie sie in einen größeren räumlichen Kontext eingebettet ist, ist der überwiegende Teil des Diskurses über Architektur weder umfassend noch off en in Bezug auf die Art und Weise, wie Licht ein Gebäude transzendiert, um ihm Bedeutung und Emotion zu verleihen. Möglicherweise ist das Wissen – vielleicht sogar unter den Archi-tekten selbst – zu begrenzt, als dass man

4–5 Periscope Window, 1995–1997, Minneapolis, MN

Im Treppenhaus eines privaten Wohnhauses, mit einem Ausblick, der – kaum einen Meter entfernt – durch einen Zaun und das dahinterliegende Nachbarhaus begrenzt wird, erzeugt das Periscope Window (Periskop-Fenster) eine reichhaltig strukturierte Aussicht, bei der sich unterschiedlich skalierte Darstellungen der Außenwelt überlagern. Das Periskop-Fenster lässt die Außenwelt in Form von Schatten auf seiner Oberfl äche aus Mattglas erscheinen. Gleichzeitig projizieren die Linsen im Scheibenzwischenraum ein zweites, seitenverkehrtes Bild des Außenraums auf die Scheibe. Morgens wird das Sonnenlicht durch den Baum gefi ltert, und ein Schattenriss der Zweige und Blätter auf der Fensterscheibe entsteht. Die Bewegung der Blätter verleiht der Gegenwart des Baumes eine aktive Komponente. Im weiteren Tagesverlauf (Abb. 4) erreicht immer mehr direktes Licht das geätzte Glas und tilgt alle anderen Abbilder außer demjenigen der Sonne, deren Licht sich in den Linsen bündelt.

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Worte dafür fi nden könnte. Und wahrschein-lich fehlt es zudem in hohem Maße an Expertise, was die Phänomenologie des Lichts anbelangt. Obgleich Architekten bei jedem einzelnen ihrer Projekte mit Licht arbeiten, denken sie dabei meist an die Lösung grundlegend anderer Pro-bleme. Das Licht tritt als eine Nebenwirkung in Erscheinung, als Resultat, nicht als Partner beim Streben nach dem Höchsten. Mit anderen Worten: der Mann, über den ich spreche, ist ein einsamer Mann.Er ist einsam, weil er ein Spezialist ist. Und als Spezialist des Lichts triff t man nicht nur auf viele Menschen, die einen nicht verstehen, son-dern auch auf viele Menschen, die einen auf das Gebiet reduzieren wollen, in dem sie sich aus-

kennen. Und dadurch, dass sie einen auf dieses Gebiet reduzieren, können sie sich um das Ver-ständnis eben dieses Gebiets herumdrücken. Wie in vergleichbaren Alltagssituationen auch, kann Fachwissen der allgemeinen Erkenntnis abträglich sein. Die Menschen sehen in einem nur noch ‘den Spezialisten’. Sie respektieren ihn, doch sie kapseln ihn in seinem Spezialgebiet gleichsam ein. An diesem Punkt gilt es, aufzu-begehren und die eigenen Faszinationen zu hin-terfragen – oder man gibt sich damit zufrieden, der Spitzenspieler in einer bestimmten Nische zu bleiben.Nach meinem Dafürhalten ist in der Laufbahn dieses Mannes genau dieser Punkt gekommen. Es steht außer Zweifel, dass er ein Spezialist ist.

Licht ist für ihn nicht mehr nur das Ergebnis sei-ner Entwurfsarbeit. Es ist der Ausgangspunkt. Auf der geballten Erfahrung von mehr als drei Jahrzehnten aufbauend, ist das Licht für ihn nicht länger ein mysteriöses Wesen, dem es zu huldigen gilt. Es ist vielmehr die Substanz, mit-tels derer man, wenn man sie richtig modelliert, ganze Atmosphären entsprechend einem sehr präzisen programmatischen Szenario erzeugen kann. Nachdem er einen enormen Wissensfun-dus zur Wissenschaft des Lichts und zu seinen Auswirkungen auf die Psyche erworben hat, hat er nunmehr eine Stufe erreicht, auf der er nicht mehr nur eigenständige Werke präsentiert, die als Kunst zu genießen sind, und auf der er sich auch nicht mehr damit begnügt, vorhandene

6–7 Double Cable Net Wall, 1999–2004, New York, NYArchitekten: Skidmore, Owings & Merrill

Gemeinsam mit SOM entwickelten James Carpenter Design Associates eine Konstruktion für die Atriumsverglasung des Time Warner Building auf dem New Yorker Columbus Circle. Angesichts der enormen Aus-maße des Gebäudes und des angrenzenden Straßenraums entwarfen JCDA die größte Seilnetzkonstruktion für eine Glasfassade, die je errich-tet wurde. Die Breite der Vorhangfassade entspricht derjenigen der 59. Straße, wodurch diese optisch in das Gebäude hinein verlängert wird. Die Außenseite der Fassade bildet eine homogene und glatte, transpa-rente Glasfl äche. Die innere, schräg stehende Seilnetzfassade isoliert den Konzertsaal ‚Jazz at Lincoln Center‘ akustisch von der Außenwelt, während sie den Besuchern gleichzeitig den Blick auf den Central Park und die 59. Straße freihält.

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Architektur mit Lichteff ekten zu bereichern. Er ist nunmehr bereit, komplette Raumkon-zepte zu schaff en. Seine jüngsten Arbeiten sind ausgereifte Werke der Architektur und werden in zunehmendem Maße an umfassenden archi-tektonischen, also nicht mehr rein ästhetischen Kriterien gemessen.Dieser Mann ist James Carpenter. Seit er Berühmtheit erlangt hat, haben Sie vermut-lich schon das eine oder andere seiner Werke bewundern können. Vielleicht haben Sie sein Werk ‘Diochroic Light Field’ (1994) auf der Columbus Avenue in New York gesehen, eine Installation aus Glas, bei der mittels Refl exion und Brechung eine Illusion von Tiefe entlang einer ausgesprochen nüchternen Straßenfas-

sade erzeugt wird. Oder vielleicht haben Sie das deutsche Außenministerium in Berlin besich-tigt und waren fasziniert von dem gigantischen Atrium, das den Wunsch des Auftraggebers nach zum Ausdruck bringt, sich auf transpa-rente Weise darzustellen. Oder Sie waren zum Shopping im Time Warner Building am Colum-bus Circle und haben von einem der hinter der gigantischen Glasfassade liegenden Stock-werke die Aussicht auf das geschäftige Trei-ben von New York genossen. Diese und weitere große Projekte sind Meilensteine in James Car-penters Entwicklung hin zum vollwertigen Entwerfer. Um ein schöpferisches Dilemma verstehen zu können, ist es wichtig, zwischen Wissen und

Ambitionen zu unterscheiden. Wenn es darum geht, James Carpenters Fähigkeiten und das Können zu beurteilen, mit dem er die Wirkungen des Lichts zum Nutzen architektonischer Schönheit optimiert, ist er eine herausragende, auf diesem Gebiet unübertroff ene Persönlich-keit. Einige Architekten sind gut darin, Licht zu absorbieren und zu fi ltern; andere verste-hen sich gut auf Refl exion und Lichtbrechung; und wiederum andere haben sich auf Metho-den zur Abstrahlung von Licht spezialisiert, um Gebäude Geschichten erzählen zu lassen – Car-penter hingegen tut all diese Dinge, mitunter sogar bei ein und demselben Projekt. In dem unlängst erschienenen Buch ‘James Carpenter; Environmental Refractions’ von Sandro Mar-

8 Ice Falls, 2001–2006, Hearst Tower, New York, NYArchitekten: Foster & Partners

Die ‚Ice Falls‘ von JCDA gestalten den Übergang von der auf Straßenhöhe gelegenen, auf drei Seiten von Läden begrenzten Eingangslobby des Hearst Tower zur ausla-denden oberen Lobby. Letztere ist ein vom Tageslicht durchfl uteter Bereich, in dem Mitarbeiter und Besucher zusammenkommen und essen. Sie reicht über fünf Etagen und erstreckt sich über die gesamte Länge und Breite des ursprünglichen Gebäudes. Um das Umgebungslicht in diesem Bereich lebendig zu gestalten, entwarfen JCDA ein 23 Meter breites und 9 Meter hohes Feld aus seitlich versetzten Prismen aus Gussglas, die von Wasser überströmt werden. Über die Obergeschossverglasung und das Ober-licht fallen Sonnenstrahlen in den Raum, brechen sich in den facettierten Glasprismen und heben so die Klarheit und Energie des Wassers hervor. Die kristalline Schönheit von Glas und Wasser in diesem Entwurf ist das Ergebnis einer Reihe von Refl exionen und Brechungen in den Prismen, die Helligkeit und optischen Glanz erzeugen.

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9 Moiré Stair Tower, 1999–2002 Treppenturm des Post-Tower, BonnArchitekten: Murphy Jahn Architects

Die am Bonner Rheinufer gelegene, neue Konzern-zentrale der Deutschen Post besteht aus einem 240 Meter hohen Büroturm und einem dreistö-ckigen Sockelgebäude mit Gitterschalendach. James Carpenter Design Associates erhielten den Auftrag, ein Treppenhaus für den Sockelbau zu entwerfen. Entscheidend für den völlig ver-glasten Raum ist seine Sichtbeziehung zum Fluss und zur angrenzenden Rheinaue. JCDA konzi-pierten die Treppe als Aussichtsplattform, auf der sich Ausblicke in die umliegende Landschaft mit den durch die bedruckten Glasscheiben erzeugten Moiré-Eff ekten überlagern.

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pillero wird das Schaff en Carpenters anhand zahlreicher Diagramme veranschaulicht, die die vielgestaltigen Möglichkeiten, Licht zu manipu-lieren, verdeutlichen, von einem bescheidenen Filtern bis hin zu megalomanischen Transforma-tionen des Lichts zu grundlegend neuen, künst-lich erzeugten Erscheinungsformen. Wenn man bei der Betrachtung seiner Karri-ere von einem Projekt zum nächsten übergeht, kommt man nicht umhin, von der Subtilität (und Verspieltheit!) seiner Arbeiten mit Licht beeindruckt zu sein, die über den Bereich bloßer Dekoration hinausgehen und Erlebnisse beinhal-ten. Bei ihm dient Licht nicht nur dazu, Objekte, Linien und Oberfl ächen auszuleuchten, sondern er erschaff t darüber hinaus imaginäre Objekte,

Linien und Flächen, er unterteilt und verzerrt sie, und er lässt den Betrachter gleichsam zum Choreographen eines Balletts aus Licht wer-den. Bei seinem Schaff en geht es nicht um das Wechselspiel zwischen Hell und Dunkel. Erha-bene Dialektik dieser Art ist für ihn nicht von Interesse. Er geht großzügiger mit Licht um, maximiert es durch Refl exion und Verstärkung, durch Nutzung lichtdurchlässiger Membranen und spezieller Beschichtungen, bricht und bün-delt es mit Hilfe dichroitischer Gläser oder Lin-sen und erhöht Architektur zu einer simplen, zeitorientierten Kunstform, bei der die Zyklen der Sonne dazu genutzt werden, einen Dialog zwischen Kunst und Natur einzuleiten.

Hier berühren wir die andere Dimension. Wenn sein Wissen, wie man mit Licht arbeitet, und seine Fähigkeiten, dieses Wissen umzuset-zen, herausragend sind, bleibt die Frage, was er damit anfangen wird. Und erneut hat es den Anschein, als stünde seine Laufbahn am Schei-deweg. Welche Ambitionen verfolgt er? Wird er sich als Lichtspezialist unter Vertrag neh-men lassen, oder wird er darum ringen, Werke zu vollbringen, die ihn zum Meisterarchitekten machen? Wird er zu einem ‘Profi ’, der Dienstlei-stungen von herausragender Qualität erbringt, oder wird er der Autor ganz besonderer räum-licher Dramen bleiben, der er seit jeher war? Wird er zu jemandem, der seine Fachkenntnisse auf clevere Weise vermarktet, um Licht als den

10–11 Solar Refl ector Shell, 2004–, Fulton Street Transit Center, New York, NYArchitekten: Nicholas Grimshaw & Partners

Für den Wettbewerbsbeitrag von Grimshaw & Partners zum Fulton Street Transit Center in New York entwickelten JCDA eine Verkleidung aus perforierten Metallpaneelen, die von der Glaskuppel oberhalb des Bahnhofs abgehängt wird. Sie nimmt die nördliche Hälfte der Kuppel ein und refl ektiert Tageslicht in die darunter gelegenen Tunnel, während der Okulus der Kuppel den Verlauf der Sonne sichtbar macht. Außerdem erfüllt die Installation die Forderung von Grimshaw & Partners nach einer vertikalen Verbindung zwischen der Straßenebene und den Fußgängerunterführungen.

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großen Neutralisator zu verkaufen, als gemein-samen Nenner, der unsere Welt in einer Zeit der Angst gesunden lassen soll, oder wird er damit fortfahren, die Erlebniswelt der Menschen mit unerwarteten Animationen des architekto-nischen Raumes zu vertiefen, vielleicht gar bis hin zum Unheimlichen? Wird er der Mann sein, der unser Leben in vorhersehbaren Formaten einrahmt, dabei den festen Spielregeln der Ein-kaufsmeilen und Airport-Lounges folgend, oder wird er auch künftig Wege fi nden, unsere Wahr-nehmung zu verzerren und uns unserer Umge-bung gewahr werden zu lassen?Es ist nicht schwierig, an dieser Stelle einen Diskurs über die anhaltende Abstraktion der Architektur im Zeitalter der Globalisierung zu

beginnen. James Carpenters Werk (und Erfolg) könnten ohne Weiteres als Ausdruck des zuneh-mend stärker werdenden Bedürfnisses von Auf-traggebern gewertet werden, sich in einem globalen Wettstreit der Großstädte und schöp-ferischen Branchen zu manifestieren. Darüber hinaus repräsentieren seine Räume eine Tendenz hin zur Schaff ung starker, in hohem Maße kontroverser Ikonen. Seine sym-bolische Ordnung ist extrem kraftvoll und macht dennoch jedermann glücklich. Im Rah-men dieses Diskurses und dieser Tendenz stellt sich die Frage, ob Carpenter einen Plan dahinge-hend hat, wie er dieser Tendenz mit seinem ein-zigartigen Intellekt begegnen will, oder nicht.Doch hier begeben wir uns in das Reich der Psy-

12 Luminous Threshold, 1998–2000, Sydney, Australien

Die Luminous Threshold (‚leuchtende Schwelle‘) wurde anlässlich der Olympischen Som-merspiele 2000 als Tor zum Olympischen Komplex in Sydney entworfen. Eine ‚Schwelle‘ aus Licht kreuzt den nördlichen Zugang zum Park im rechten Winkel und verläuft paral-lel zu einem Fluss, der zwischen mangrovenbewachsenen Uferböschungen dahinfl ießt. Sie wird erzeugt von fünf 23 Meter hohen Masten, an deren Spitze einzigartige und in stetiger Veränderung befi ndliche Lichteff ekte sichtbar werden. Verursacht werden diese durch eine Reihe von Düsen in der Spitze jedes Masts, die einen feinen Sprühnebel absondern. Die wegziehende Nebelwolke wird von einem auf einem sechsten Mast ange-brachten Spiegelsystem mit gebündeltem Sonnenlicht beschienen. Dieser Heliostat ist so programmiert, dass er im Tagesverlauf der Sonnenbahn folgt.

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von einem Menschen ergreifen kann, um ihn zu zwingen, fortan derselbe zu bleiben. Oder schlimmer noch, in die Bequemlichkeit und Ste-rilität des eigenen Spezialgebiets zurückzuver-fallen.Wenn man James Carpenters Schaff en wäh-rend der letzten Jahre Revue passieren lässt, kommen einem zuerst die Herausforderungen in den Sinn, die damit einhergehen: die Hinterfra-gung des Objekts und des Raumes als vorherr-schende Kategorie der Architektur, der in Stein gemeißelten unverrückbaren Bedeutung und so weiter. Seine Arbeiten mit Licht, wie kurzlebig oder fragil sie auch erscheinen mögen, waren stets einfallsreiche Zerrbilder der Realität; sie haben dem Betrachter die Architektur zurück-

13–15 Structural Glass Prisms, 1985–1987, Indianapolis, INArchitekt: Edward Larrabee Barnes

chologie, das meine kritische Reichweite über-steigt. Konzentrieren wir uns daher lieber auf einen stärker disziplinär bezogenen Aspekt – einen, der als Parameter von Kreativität oder von Stagnation gesehen werden kann. Konzen-trieren wir uns auf die Frage, ob sein Schaff en – bei seinen letzten großangelegten Projekten und Kooperationen mit großen Architektur-büros – das Potenzial besitzt, das architekto-nische Objekt und dessen Integrität mit den Techniken des Verwischens und Verzerrens in Frage zu stellen, wie wir es von seinen früheren Arbeiten kennen. Hier gelangen wir erneut zur Problematik des Scheidewegs bei der eigenen schöpferischen Entwicklung. Ich spreche von dem Moment, an dem der Erfolg mental Besitz

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Die Fensterinstallation ‚Structural Glass Prisms‘ (Strukturglasprismen) entstand für die Sweeney Chapel des Christlich-Theologischen Seminars in Indianapolis. Im Einklang mit der kargen Strenge des Gebäudes von Edward Larrabee Barnes vereint der Entwurf von James Carpenter Design Associates fi ligrane Struktur mit optischer Wirkung. Die vertikalen, 9,75 Meter hohen Glasscheiben werden durch horizontale Scheiben aus dichrotischem Glas sta-bilisiert. Es entsteht eine Ganzglasstruktur ohne Stahlteile, die die Sicht behindern könnten. Jeden Tag um die Mittagszeit projizieren die Structural Glass Prisms Licht in die Taufnische an der gegenüberliegenden Wand. Außerdem treff en von jeder Horizontalscheibe ein refl ek-tiertes und ein weitergeleitetes Bündel farbigen Lichts auf die Altarwand. Dort überkreu-zen sich die Lichtbündel und bilden Muster von bemerkenswerter Komplexität, die sich abhängig vom Sonnenstand stetig verändern. Einige Abbilder der Außenwelt werden auf die Wand und den Fußboden der Kapelle projiziert: Wenn etwa das direkte Sonnenlicht von draußen vorbeiziehenden Wolken oder Vögeln unterbrochen wird, werden die dadurch erzeugten Schatten durch die nach oben geneigten Lichtbündel in den Raum hinein weiter-geleitet. Gleichzeitig sind die Blätter der in der Nähe stehenden Bäume, die sich im Wind bewegen, in den nach unten geneigten Strahlen aus blauem Licht zu erkennen.

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gegeben und haben eine großartige Geschichte des Lichts zu ihrem logischen Schluss geführt. Wie bei so vielen anderen großen Talenten in der Kultur, die den Punkt der allgemeinen Aner-kennung erreicht haben, ist nun der Zeitpunkt der Entscheidung gekommen. Entweder wird Carpenters Schaff en auf seiner derzeitigen Höhe der Perfektion und Eleganz verbleiben, und er wird enormen Erfolg dabei haben, die überzeugenden Verkaufsargumente zum rich-tigen Zeitpunkt zu präsentieren. Oder aber er vermag es, der Künstler zu bleiben, der in ihm ist, unangepasst, unzufrieden mit dem Glanz des Objekts, der Glattheit des Diskurses und der Glückseligkeit des Lebensstils, der damit ein-hergeht. Wie immer der nächste Schritt auch

aussehen mag, es wird die Dimension des Lichts sein, die uns das Theater bietet, um Zeugen des schöpferische Dramas zu werden.

16–17, und folgende Doppelseite (S.32–33)7 World Trade Center, New York, NY 2002–2006Architekten: Skidmore, Owings & MerrillSockelverkleidung and Curtain-Wall-Fassade.

7 World Trade Center war das dritte Gebäude, das am 11. September 2001 in sich zusam-menstürzte, und es ist das erste Gebäude, das wiederaufgebaut wurde. Es umfasst 42 Büroetagen sowie eine acht Geschosse hohe Sockelzone mit Stromtransformatoren in großen Betongewölben auf Straßenniveau. Die für den Sockelbau konzipierte Edelstrahl-struktur (siehe S. 16/17 und 28/29), führte zur Entwicklung der einzigartigen ‚linear über-lappten‘ Verglasung durch JCDA und SOM. Dabei überlappt das Glas der Fassade ein vor der Stirnseite jeder Geschossebene angebrachtes, gewölbtes Edelstahlblech mit inte-griertem Refl ektor und schwebt gleichsam vor ihm. Die Bleche sind mit einer gerippten, spiegelnden Struktur versehen, die sie Farbe und Licht refl ektieren lässt und diese durch den überlappten Abschnitt der Glasfassade nach draußen projiziert.

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SCHREIBEN MIT LICHT Hiroshi Sugimoto, Union City Drive-In, 1993. Mit einer Großfor-matkamera fotografi ert der japa-nische Fotograf Hiroshi Sugimoto seit den 70er-Jahren Kinos und Autokinos. Die einzige Lichtquelle ist der Film selbst; der Verschluss der Kamera bleibt von der ersten bis zur letzten Szene off en.

REFLEKTIONEN Neue Perspektiven:Ideen abseits der Alltagsarchitektur.

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Von Liz Wells.

Ohne Licht keine Fotografi e – diese Erkenntnis lässt sich bereits aus der etymologischen Bedeu-tung des Wortes ‚Fotografi e‘ gewinnen. In ihrem Beitrag analysiert Liz Wells die Rolle des Lichts als ‚Arbeitsmaterial‘ zeitgenössischer Fotografen: Licht macht Dinge sichtbar, erzeugt Bildstimmung und Dramatik, gibt über Tages- und Jahreszeit Aufschluss und lässt Rückschlüsse auf den Ort der Aufnahme zu.

„Licht in der Fotografie“ ist natürlich eine tautologische Formulierung, denn schließlich bedeutet ‚Fotografi e‘ im wört-lichen Sinne ‚Schreiben mit Licht‘ – Photo-Graphie. Natürlich kann der Fotograf auch nicht auf Kameras als Arbeitsmittel und auf Filmmaterial oder Digitaldiscs als Medium verzichten, aber grundsätzlich gilt: Ohne Licht kein Bild. Selbst neuere Tech-nologien wie Röntgenstrahlen, Holografi e und Computergra-fi ken haben die Fotografi e nicht ersetzt. So bereitete nicht etwa die Nutzung des Lichts den Forschern im frühen 19. Jahrhun-dert Kopfzerbrechen, denn schon Plato hatte das Prinzip der Camera Obscura begriff en, und in Europa waren Linsen bereits im Mittelalter bekannt. Vielmehr bereiteten die Fixierung und das permanente Festhalten der Bilder Probleme. Als 1849 Louis Daguerre in Frankreich und Henry Fox Talbot in England ihre Erfi ndungen vorstellten und Fox Talbot die Fotografi e als ‚den Stift der Natur‘ bezeichnete, war es ihnen gelungen, (relativ) permanente und portable Bilder zu erzeugen. Die Idee wurde weiterentwickelt – der Rest ist Geschichte.

zwischen dokumentation und dramatik: der fotograf und das licht

In diesem Artikel geht es um den Umgang zeitgenössischer Foto-grafen mit dem Licht, um spezielle Bildeff ekte zu erzielen. Die Künstler, deren Projekte hier besprochen werden, präsentieren ihre Werke in erster Linie in Galerien und Bildbänden, nur wenige übernehmen hin und wieder auch Auftragsarbeiten. Das Licht verleiht den Details dokumentarischer Aufnahmen for-male Gestalt, setzt aber auch dramatische Eff ekte in Szene. Das Verhältnis zwischen Bildinhalt und metaphorischem Gehalt ist nicht nur bewusster Ausdruck eines individuellen Stils, sondern auch vom Zweck und Kontext der jeweiligen Fotografi e oder Fotoserie abhängig. Die Fotografen der Moderne an der West-küste der USA wie Edward Weston oder Imogen Cunningham waren berühmt für ihre fotografi schen Studien mit dem Ziel, die Grenzen des Realen zu überschreiten und eine Poesie der Form zu schaff en. Allerdings nimmt die Qualität des verfügbaren Lichts

– natürlicher oder künstlicher Art – entscheidenden Einfl uss auf die Möglichkeiten der bildlichen Darstellung. Nordisches Licht produziert eine andere Wirkung als das konzentrierte ,heiße‘ Licht tropischer Breitengrade. Natürlich lassen sich zahlreiche

Eff ekte durch digitale Studioüberarbeitung erzielen (obgleich die Pixelmaltechnik äußerst aufwendig ist), und Landschafts-fotografen können heute mit digitalen Rückenteilen für Groß-formatkameras arbeiten, einer teuren, aber durchaus möglichen Lösung. Gleichgültig jedoch, ob sie auf neue oder ältere Tech-niken zurückgreifen – sie arbeiten stets vor Ort, erspüren die Besonderheiten einer Umgebung und bevorzugen die Eff ekte des natürlichen Lichts für ihre Aufnahmen.

Tageszeit, Jahreszeit, Klima und Wetter beeinfl ussen den Winkel, die Farbe und die Intensität des natürlichen Lichts. In Probeaufnahmen schätzen die Fotografen die ästhetischen Möglichkeiten spezieller Lichteigenschaften ein. Viele Künst-ler sind vor allem von der Wirkung des Sonnenlichts fasziniert, sie fangen die erste Andeutung des Morgengrauens ein oder den Horizont kurz vor der Abenddämmerung. Legendär ist Ansel Adams Schilderung, wie er im Jahr 1941 eine Straße entlang fährt, den Mondaufgang über Hernandez in New Mexico wahr-nimmt, das Auto anhält, zu seiner Kamera und einem Spezi-alfi lter greift und die letzten Sonnenstrahlen einfängt, die die Grabsteine vor einer kleinen Kirche in sanftes Licht tauchen. Solche „Heldentaten“ fi ndet man immer wieder, insbesondere in der Landschaftsfotografi e, die nach derart glücklichen Zufäl-len geradezu verlangt.

Seit jeher ist die Erforschung der Topografi e von großem Inte-resse. Mit Hilfe des Lichts werden Einzelheiten in den Vorder-grund gerückt, die den dokumentarischen Charakter betonen. Zu den bekanntesten Pionieren dieser Fotokunst gehörten die Fotografen, die die geografi schen Konturen des Amerikanischen Westens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast wie auf Karten festhielten, häufi g im Auftrag der Regierung oder zu kommerziellen Forschungszwecken. Seit den 70er Jahren suchen Mark Klett und Partner (www.thirdview.org) dieselben Orte auf und fotografi eren die gleichen Landschaft erneut von den ori-ginalen Standpunkten aus, um die Probleme der Zugänglich-keit, der Lichtbewegung und der Klima- und Wetterverhältnisse zu erforschen, durch welche die Aufnahmen ihrer Vorgänger eventuell beeinfl usst oder beeinträchtigt wurden. Ihre Arbeit zeugt von dem neu aufkeimenden Interesse an alten Verfahren und Techniken. Der Aufwand ist allerdings gewaltig, schließ-lich muss man unter Umständen lange warten, bevor das Licht- und Schattenspiel die ,korrekte‘ Tageszeit repliziert.

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faktor zeit: licht im tages- und jahresverlauf

Refotografi e ist auch die bevorzugte Arbeitsmethode des eng-lischen Fotografen Jem Southam, der immer wieder gerne zu Orten zurückkehrt, die er schon vormals in Bildern festhielt. In der Regel dokumentiert er dieselben Orte zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten oder in einem Abstand mehrerer Jahre. Die Besonderheiten dieser Örtlichkeiten vor dem Hintergrund des jahreszeitlichen Wechsels sind ihm daher bestens vertraut.

Eine Fotoserie, in der er die Veränderungen an den bröckelnden Klippen bei Sidmouth an der Südostküste Devons festhielt, erfor-derte regelmäßige Reisen über einen Zeitraum von 18 Monaten (Dezember 1995 – Mai 1997). Hier off enbaren sich botanische und geologische Einzelheiten ebenso wie die Wirkung von Jah-reszeit, Licht und Wetter. Üblicherweise fotografi ert Sidmouth kurz nach der Morgendämmerung und vermeidet das grelle Sommerlicht. Am stimmungsvollen Schattenspiel zeigt er keiner-lei Interesse; seine Aufnahmen mögen gewisse Metaphorismen implizieren, sind aber kein Schauspiel. Seine unter gleichmä-ßigem Licht aufgenommenen Bilder halten vielmehr die Umge-bung in all ihren Einzelheiten fest.

Dieses Interesse und sein methodischer Ansatz werden von vielen geteilt. So erstellt zum Beispiel der dänische Künstler Ola-fur Eliasson, bekannt für seine kinetischen Lichtskulpturen und

beeindruckenden Lichtinstallationen (siehe Ausgabe 1 von Day-light & Architecture) auch Fotoserien, in welchen er ähnlich wie Southam das Mittel der Wiederholung einsetzt, um Änderungen und Unterschiede hervorzuheben. In Galerien werden die einzeln gerahmten Bilder zusammen ausgestellt. Eine dieser Fotoserien zeigt eine Bilderreihe von Häuserfronten in Reykjavik (Island), angefangen von Weitwinkel-Landschaftsaufnahmen auf der lin-ken Seite bis zu Rahmenaufnahmen im Porträtformat rechts. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird nicht nur auf die indivi-

duellen Fassaden gelenkt, sondern auch auf den geometrischen Unterschied, da der Rahmen des Bildes die Form jedes Hauses aufgreift. Die Gleichmäßigkeit des Lichts betont die formalen Ähnlichkeiten und Unterschiede. Eine ebenfalls in Island auf-genommene Serie von Landschaftspanoramen in Schwarz-Weiß und gedeckten Farben besticht durch ihre Außergewöhnlichkeit; die feine Veränderung lässt geringe Unterschiede deutlicher zu Tage treten. Beide Fotografen setzen das verfügbare Licht äußerst sorgfältig ein, ohne es in den Mittelpunkt zu rücken.

Im Gegensatz hierzu sind zahlreiche andere Fotografen vor allem an dramatischen Lichteff ekten interessiert. In Modernis-tic Journey (Modernistische Reise; 2002) hielt die norwegische Fotografi n Ane Hjort Guttu die Auswirkung der Lichtbewe-gung sowohl auf die natürliche Umgebung (in den Bergen oder an der Küste) als auch auf die moderne Architektur in Bildern

Unten Uta Barth, Ohne Titel (aot 7) aus der Serie

“... and of time”, 2000. In ihren häufi g verschwommenen Foto-grafi en von Straßen und leeren Räumen vermeidet Uta Barth jeden Hinweis auf Ort und Ent-stehungsgeschichte der

Aufnahme. Die fast greifbare Leere ihrer Bilder animiert den Betrachter zu verweilen und feine Nuancen aufzuspüren wie in diesem Fall den Wech-sel von Licht und Schatten auf dem Sofa und der Rückwand des Raumes.

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fest und erforschte gewissermaßen das Zusammenspiel zwischen Natur und Kultur. In einem Bild fällt das Licht auf ein erdfar-benes Apartmenthaus, in einem anderen aus ähnlichem Winkel und ähnlicher Richtung seitlich auf einen ebenfalls erdfarbenen Berg. Der Lichteinfall lässt beides gleichermaßen monumental erscheinen. Ein weiteres Foto fängt die Spiegelung eines weißen Wohnblocks in einem davor liegenden See ein. Als Beobach-ter ist die Fotografi n keine Angehörige der Moderne im eigent-lichen Sinne; ihre Werke weisen vielmehr auch postmoderne Züge auf und zeigen, wie sich die Natur ständig neu organisiert, um die Kultur einzubeziehen. Der Betrachter deutet die Was-serspiegelung metaphorisch, erfreut sich jedoch gleichzeitig am tatsächlichen Inhalt des Fotos und dessen bildhafter Wirkung. Dies führt uns vor Augen, dass uns Landschaftsbilder – seien sie auch noch so abstrakt und symbolisch – immer etwas über die natürlichen Gegebenheiten und die Auswirkungen mensch-lichen Tuns erzählen.

meditationen über licht und farbe

Andere Fotografen hingegen konzentrieren sich vorwiegend auf die Wirkung des Lichts selbst. So fotografi ert Uta Barth men-schenleere Außenszenen und Innenräume. Ihr Augenmerk gilt weniger dem eigentlichen Bildgegenstand, sondern vielmehr den Lichteff ekten in einem Szenarium sowie dem Beobachtungs- und Wahrnehmungsprozess. Sie scheint gewissermaßen Büh-nen als Kulisse für die Auff ührung eines Dramas zu suchen, das noch nicht gespielt wird. Die fi nnische Künstlerin Marja Pirilä (Seite 16-19 in dieser Ausgabe) ist ebenso an den Eff ekten des Lichts und der Sichterfahrung interessiert. Mit einer Lochka-mera auf dem Schoß sitzt sie am Ufer eines Sees, den Blick nord-wärts gerichtet, off en für das elementare Licht- und Farbenspiel. Jede Aufnahme verlangt langes Ausharren, bewegt nur durch ihre Atemzüge. Der Titel der Serie Like a Breath in Light (Wie ein Atmen im Licht) mutet zunächst rätselhaft an, beschreibt tatsäch-lich aber einen Denkprozess. Jedes Foto ist nur mit einem Datum versehen, die ganze Serie ist in vertikalen Bildblöcken angeord-net und wirkt wegen der rahmenlosen Glasverkleidung, gehal-ten durch fast unsichtbare vom Boden bis zur Decke gespannte Angelschnüre, geradezu ätherisch. Die wechselnden Lichteff ekte off enbaren sich in der räumlichen Wahrnehmung und erzeu-

gen eine skulpturale Wirkung; der symbolischen Interpretation sind keine Grenzen gesetzt. Eine mögliche Reaktion wäre, unser Lebensumfeld zu betrachten und zu überdenken, wie wir unsere Umgebung beanspruchen, uns diese zu eigen machen bzw. unbe-achtet lassen. Wichtig ist das reine Dasein. Eine andere Serie mit dem Titel Interior/Exterior (Innen/Außen) symbolisiert das Ausmaß, in dem die Natur tagtäglich Eingang ins menschliche Bewusstsein fi ndet. Bei dieser Serie mit langen Belichtungszeiten wird der Camera Obscura-Eff ekt refl ektierter äußerer Szenarien in Innenräumen genutzt, wobei die Projektion das häusliche Umfeld überlagert. Der Eff ekt ist unvorhersehbar, die endgül-tige Aufnahme nicht abzuschätzen, so dass die bildliche Darstel-lung unerwartete oder unbewusste Mischverbindungen aufweist. Um die Künstlerin zu zitieren: „Die Fotografi en nahmen nicht nur als Abbild des Lebensumfelds eines Menschen Gestalt an, sondern auch als Bildnisse sinnlicher Landschaften: Refl exionen von Gedanken, Träumen, Ängsten und Fantasien.“

Andere Fotografen wiederum erforschen die Wirkung künstlichen Lichts im Sinne eines dramatischen Eff ekts. Die Straßenaufnahmen von Brassaï in den 30er Jahren unter dem Motto Paris by Night loten die Intensität künstlich erzeugten Lichts und geworfener Schattenbilder aus. Philip Lorca di Cor-cia platzierte Blitzlichtauslöser auf öff entlichen Plätzen, um die Mimik und Gestik der Passanten einzufangen. Hiroshi Sugimoto verwirklicht seine dunklen und meditativen Meer-ansichten durch lange Belichtungszeiten und gleichmäßiges Licht, um das Zusammenspiel von Licht, Zeit und Raum zu erforschen. Vor allem seine im Jahr 1978 begonnene Fotoserie Th eatres ist bemerkenswert: Bei Besuchen alter Lichtspielhäu-ser und Autokinos in den USA belichtete er den Film für die Dauer des gezeigten Spielfi lms nur mit dem Filmprojektor als einziger Lichtquelle. Durch die überlange Belichtung werden sämtliche Bilddetails ausgelöscht; in der Mitte eines schwar-zen Rahmens leuchtet nur ein weißes Viereck (das Gebäude, die Sitzreihen und die Umgebung sind in der Dunkelheit ver-schwunden) – eine abstrakte Landschaft! Zudem experimen-tierte er mit den Eff ekten von Kerzenlicht, indem er Kerzen vor einem schwarzen Hintergrund fotografi erte oder, wie bei sei-ner größten Ausstellung in der Serpentine Galerie in London im Jahr 2004, eine Kerze so in einem Raum positionierte, dass der fl ackernde Schein die Dunkelheit ringsherum belebt.

„Die einfachsten Formen besitzen Autorität – wie zum Beispiel ein reines weißes Licht. Doch wie fotografiert man das? Man benö-tigt einen Rahmen, um es sichtbar zu machen. Aber hier handelt es sich nicht einfach um weißes Licht, sondern um das Ergebnis von zu viel Information. Zu viel ist also gleichbe-deutend mit Nichts.”

Hiroshi Sugimoto über die Serie ‚Theaters‘ (s.S. 34)

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heimat-licht? ortsbezug und atmosphäre

Die Serie Imaginary Homecoming (Imaginäre Heimkehr) des fi n-nischen Fotografen Jorma Puranen besteht ähnlich wie bei Sugi-moto aus Schwarz-Weiß-Aufnahmen in Anlehnung an die Fotografi e im 19. Jahrhundert. Er refotografi erte ethnografi sche Porträts des lappischen Sami-Volks aus den Archiven des Musée de l’Homme in Paris, druckte die Bilder auf Acrylpapier aus und trans-portierte sie in die nördlichen Senken Norwegens und Schwedens, wo er sie zwecks Refotografi e physisch in ihrer ‚Heimat‘ in Szene setzte. Auch dieses Projekt war sehr aufwendig: Nachdem er die Bilder ‚installiert‘ hatte, musste er warten, bis das Tageslicht die für die Aufnahmen notwendige Intensität erreichte und der Schnee-fall nachließ. Gelegentlich musste er einen ganzen Tag ausharren, bis der Sonnenuntergang den weich gewordenen Schnee wieder überfrieren ließ und er die Bilder wieder einsammeln konnte. Für Puranen ist die Erfahrung des Wartens, der Kontemplation und des Lauschens auf die Geräusche der Natur im hohen Norden Teil des Fotoprozesses. Andere seiner Serien sind farbig gestaltet, so zum Beispiel die Serie Language is a Foreign Country, die ebenfalls in der Polargegend aufgenommen wurde. Hier erzeugt das grelle Licht extreme Blau- und Weißtöne, die er als Hintergrund für die Inszenierung von Bildern nutzte, die von Sprache und Verschie-denheit erzählen. Er installierte weiße, rote, schwarze oder blaue Flaggen, auf die einzelne Wörter (meist in der Sprache der Sami) geschrieben sind. Die scharfen Farbkontraste betonen die von ihm bewusst dargestellte Fremdheit und ‚Andersartigkeit‘.

Die Lichtqualität als wesentlicher Faktor zur Erzielung eines bildhaften Eff ekts diff eriert natürlich von Ort zu Ort, teils auf-grund gegebener Umweltbedingungen, teils aber auch bedingt durch den jeweiligen Breitengrad und somit durch die Nähe zum Äquator. Es besteht ein auff älliger Kontrast zwischen dem kühlen, weißen Licht im Norden und in Nordkanada und den eher bern-steinfarbenen Lichttönen im Mittelmeerraum oder in Mexiko. Wärmere Intensität verleiht nicht nur Farbe, sondern kann auch einen dramatischen Bildeff ekt erzielen. Der mexikanische Fotograf Gerardo Montiel arbeitet mit einer Kombination aus natürlichem und künstlichem Licht und Farbfi ltern, um Bilder zu inszenieren, die – häufi g in Anlehnung an berühmte Gemälde – Funktionen der Erzählkunst aufweisen, die einst den feinen Künsten zuge-schrieben wurden. Ebenso wie Puranens Arbeiten sind die Bilder

stark manipuliert. In jedem Falle aber trägt die unterschiedliche Lichtqualität viel zur Erzielung diverser visueller Eff ekte bei, wel-che die Wahrnehmung des Bildbetrachters beeinfl ussen.

sonne, mond und stroboskope: experimente mit lichtquellen

Licht muss nicht zwangsläufi g Sonnenlicht sein. Susan Derges kreiert Bilder durch Verschmelzung fl üchtigen Lichts und spe-zieller künstlicher Lichtquellen und schaff t hierdurch mehr oder weniger abstrakte Landschaften. In der frühen Serie Th e Observer and the Observed scheinen ihre eigenen durch das Wasser refl ek-tierten Augen unter der Wasseroberfl äche zu liegen, teilweise wie von Glasperlen umkränzt. In Wirklichkeit sind dies durch die Schallschwingungen eines Strobolights erzeugte Tröpfchen, die wie winzige Linsen wirken. Bei konstantem Licht scheint dieses Wasser zu fl ießen, da die Beleuchtung die Bewegung betont. Die Serie Shore line (Küstenlinie) wurde an der Südküste Englands in Devon aufgenommen. Die Bilder erinnern an die Kraft der sieb-ten Welle im Mondschein – allerdings nicht bei Vollmond, denn dessen Licht wäre zu hell. Die Fotografi n wählte eine direkte Foto-technik ohne Nutzung spezieller Kameratechnik. Die Abzüge auf chemisch vorbeschichtetem Papier mit Aluminiumträgern als Unterlage wurden am Strand unter Wasser belichtet, wo sie auf die Eff ekte des Umgebungslichts und einer Reihe von posi-tionierten Blitzlichtern reagierten. Das lichtempfi ndliche Papier wurde geprägt durch die Spuren von Wellen, Meerschaum, Kiesel und Sand. Das endgültige Bild versinnbildlicht die Gezeiten von Ebbe und Flut. Auf ähnliche Weise erzeugt bei Th e Streens (2002) das Mondlicht die Refl exion von Pfl anzen und Bäumen und den Eindruck einer bildlich festgehaltenen Wasserbewegung.

Die vorangegangenen Beispiele machen deutlich, dass Tages-licht, Mondlicht und auch künstliches Licht wirkungsvoll ein-gesetzt werden können, um spezielle Eff ekte zu erzielen und die Rhetorik eines Fotos zu unterstützen. Der Fotograf betrachtet das Licht als wichtigen Bestandteil seines Arbeitsmaterials. Wir als Betrachter werden mehr oder weniger der Weise gewahr, wie das Licht die Fotografi e beeinfl usst – in jedem Falle aber wird unsere Reaktion auf ein bestimmtes Bild vielfach durch die Wirkung des Lichts gesteuert. Die Doppelbedeutung des Begriff s ‚Illumination‘

– Licht und Erleuchtung – ist sicherlich kein Zufall.

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Liz Wells verfasste zahlreiche Texte zum Thema Fotografi e. Sie ist Kurato-rin der Ausstellung Ungewohnte Räume mit Fotografi en und Videoarbeiten von 19 Künstlern britischer Herkunft (geplant in New York, September 2006) und redigierte Eine Reise in den Osten: Moderne Landschaftsfoto-grafi e im Baltikgebiet (UK-Tour 2004 – 2007). Sie ist Herausgeberin von The Photography Reader (2003) und der dritten Ausgabe von Photogra-phy: A Critical Introduction (2004). Liz Wells ist außerordentliche Dozentin für Fotografi sche Theorie an der Akademie für Medien und Fotografi e der Universität Plymouth und Leiterin einer Forschungsgruppe für Land/Was-ser und Visuelle Künste an der dortigen Kunstfakultät.

Unten Jorma Puranen, Imagi-nary Homecoming #2, 1990.In seinen Schwarzweiß-Aufnah-men überblendet der fi nnische Künstler Jorma Puranen meh-rere Zeit- und Realitätsebenen: Historische Sami-Porträts wer-den in der verschneiten Land-schaft Nordfi nnlands installiert und refotografi ert. Licht und Schatten in der Landschaft sowie auf den Porträts treten in Dialog miteinander.

Gegenüberliegende Seite Ane Hjort Guttu, (links) Untitled (Bunes) (rechts) Untitled (Ammerud) aus der Serie Modernistic Journey. Nur scheinbar gilt Ane Hjort Guttus Hauptaugenmerk der Dokumentation des Gesehenen. In Wirklichkeit werden Archi-tektur- und Naturelemente zu Mitspielern auf einer Bühne, auf der die eigentlichen Haupt-akteure – Licht und Schatten – ihr Wechselspiel entfalten.

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TAGESLICHT IM DETAIL

Genauer hingesehen: Wie Tageslichtin Gebäude gelangt.

LICHT, GESUNDHEIT UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE ARCHITEKTUR

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Von Peter R. Boyce.

Licht kann positive und negative Auswirkungen für die menschliche Gesundheit haben. Das bedeutet auch, dass die Beleuchtung von Gebäuden nicht mehr einzig dem besseren Sehen dient. Wichtig ist vielmehr auch die Frage, wie die richtige Beleuchtung die Gesundheit der Bewohner unterstützen kann. Für welche Form dieser Unterstützung man sich entschei-det, hängt von der Verfügbarkeit des Tageslichtes und dem Zugang der Menschen zu diesem Licht ab.

Der Mensch ist eine tagaktive Spezies und damit vom Seh-vermögen abhängig. Licht ist lebenswichtig für den Menschen, um seine Rolle effi zient ausfüllen zu können. Mit Licht können wir sehen, ohne können wir es nicht. Aber das ist nicht die ein-zige Funktion des Lichtes. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich immer deutlicher gezeigt, dass Licht positive und negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben kann – Auswirkungen, die sich sofort zeigen können oder aber erst viele Jahre später. Die bisher bekannten Auswirkungen des Lichtes auf die mensch-liche Gesundheit lassen sich in drei Kategorien einteilen. Die erste von ihnen betriff t die Eff ekte des Lichts als optische Strahlung. In zu hoher Dosierung kann Licht durch thermische und foto-chemische Mechanismen Schäden am Auge und an der Haut bewirken. Ultraviolette Strahlung kann kurzfristig eine Entzün-dung der Hornhaut (Fotokeratitis) und eine Rötung der Haut (Erythem) herbeiführen. Die längere Bestrahlung mit ultravio-lettem Licht kann zu grauem Star (einer Eintrübung der Linse des Auges) sowie zur Alterung der Haut und zu Hautkrebs füh-ren. Sichtbare Strahlung kann eine Schädigung der Netzhaut (Fotoretinitis) verursachen. Sichtbare und kurzwellige Infrarot-strahlung kann Wärmeschäden an der Netzhaut und Verbren-nungen an der Haut bewirken; bei längerer Exposition gegenüber Infrarotlicht droht ebenfalls grauer Star.

Neben all diesen negativen Eff ekten kann optische Strahlung jedoch auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben. So kann die kontrollierte Exposition gegenüber Licht als Behand-lung bei Hyperbilirubinämie (Gelbsucht bei Neugeborenen), bestimmten Funktionsstörungen der Haut und bestimmten Tumoren eingesetzt werden. Die Einstrahlung von Sonnenlicht ist außerdem mit der Bildung von Vitamin D verknüpft, einem Vitamin, das für gesunde Knochen benötigt wird und Einfl uss auf viele andere Aspekte der Gesundheit hat.

Die zweite Kategorie betriff t Licht, das durch das visuelle System wirkt. Beleuchtungsbedingungen, die ein visuelles Unbe-hagen hervorrufen, führen oftmals zur Überlastung der Augen, und um die Gesundheit von Menschen, die häufi g unter Über-anstrengung der Augen leiden, ist es oft nicht zum Besten bestellt. Die Beleuchtungsbedingungen, die visuelles Unbehagen verur-sachen, sind weithin bekannt und prinzipiell leicht zu vermeiden, auch wenn dies in der Praxis nicht immer möglich ist.

Die dritte Kategorie betriff t Licht, das auf das zirkadiane System des Menschen einwirkt. Der Schlaf-Wach-Zyklus ist einer der off ensichtlichsten zirkadianen Rhythmen. Daher über-rascht es kaum, dass helles Licht geeignet ist, um bestimmte Störungen des Schlafrhythmus und der Schlafdauer zu behan-deln. Helles Licht ist auch ein nützliches Mittel, um den Ruhe-Aktivitäts-Zyklus von Menschen mit Alzheimer zu stabilisieren und Depressionen in Verbindung mit jahreszeitlich bedingter aff ektiver Psychose zu mildern. Andererseits wird die Exposition gegenüber hellem Licht bei Nacht auch mit der schnelleren Ent-wicklung von Brustkrebs in Verbindung gebracht.

Zusammengefasst kann man Licht mit Feuer vergleichen: es ist ein guter Diener, aber ein schlechter Meister. Licht ist wichtig für die Funktion des visuellen Systems, wünschenswert als Zeit-geber für das zirkadiane System und wertvoll für die Behandlung bestimmter medizinischer Leiden, aber ein Zuviel der falschen Wellenlängen über eine zu lange Zeit kann zu Schädigungen und Verletzungen führen.

grenzen des derzeitigen kenntnisstands

Die Einfl üsse von Licht als optische Strahlung und bei Wir-kung über das visuelle System sind hinlänglich bekannt. Das kann man für Licht, das über das zirkadiane System wirkt, nicht behaupten. Teilweise liegt dies daran, dass das Th ema Licht und das menschliche zirkadiane System erst seit relativ kurzer Zeit erforscht werden, und teilweise daran, dass die Ergebnisse kom-plex sind. Präziser ausgedrückt: Das Licht, das in das Auge ein-tritt, wird von Fotorezeptoren in der Netzhaut absorbiert und als Signal von der Netzhaut an die Nuclei suprachiasmatici (SCN) weitergeleitet. Von dort wird es über den Nucleus paraventricu-laris (PVN) und über das Ganglion cervicale superius an die Zir-beldrüse geleitet (Abbildung 1). Im Dunkeln synthetisiert die Zirbeldrüse das Hormon Melatonin, das mit dem Blutstrom als Zeitmarker durch den Körper geleitet wird. Anatomische Stu-dien haben gezeigt, dass die SCN, die man als zentrale Uhr des Körpers betrachtet, mit vielen anderen Teilen des Gehirns ver-bunden sind, die die Hormonproduktion steuern und viele ver-schiedene physiologische Funktionen beeinfl ussen. Unterstützt wird diese Th ese durch Studien, die nachwiesen, dass über die Netzhaut empfangenes Licht die Herzfrequenz, die Produktion

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des Hormons Cortisol sowie die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit beeinfl usst. Angesichts dieser Vielfalt an Auswirkungen entsteht der Eindruck, dass wir eben erst begonnen haben, uns eine erste Vorstellung ein Bild der nicht visuellen Auswirkungen von Licht, das auf das Auge triff t, zu machen.

Messungen der spektralen Empfi ndlichkeit, bei denen die Unterdrückung (Suppression) des Schlafhormons Melatonin als Marker herangezogen wurde, haben eine starke Empfi ndlichkeit gegenüber kurzwelliger optischer Strahlung mit einer Spitzen-empfi ndlichkeit bei etwa 465 nm ergeben, die sich deutlich von der Spitzenempfi ndlichkeit bei 507 nm und 555 nm des skoto-pen und fotopen visuellen Systems unterscheidet (Abbildung 2). Das impliziert, dass Lichtquellen, die den Stimulus für das visu-elle System maximieren sollen, nicht notwendigerweise bei der Stimulation des zirkadianen Systems wirksam sein müssen.

Eine andere Studie hat ergeben, dass die untere Hälfte der Netzhaut bei derselben Lichtexposition eine stärkere Melato-ninsuppression bewirkt als die obere Hälfte. Wenn dies tatsäch-lich der Fall ist, bedingt eine wirksame Stimulation zirkadianen Systems, dass Licht vorzugsweise auf den oberen Teil des Blick-feldes verteilt wird. Wo der obere Teil des Blickfeldes liegt, hängt jedoch von der Blickrichtung ab. Wenn der Blick vorwiegend nach unten auf einen Tisch gerichtet ist, wird der obere Teil des Blickfeldes in einem Raum durch die Wände gebildet. Wenn der Blick gerade nach vorn auf einen Bildschirm gerichtet ist, wird der obere Teil des Blickfeldes durch die Wände und die Decke gebildet.

Eine weitere Frage lautet, ob es ein Element der Adaption bei der zikadianen Stimulation gibt oder nicht. Der Zyklus des Wechsels von Helligkeit und Dunkelheit dient als Zeitgeber für das zirkadiane System. Wie aber setzen sich Helligkeit und Dunkelheit zusammen? Gibt es eine absolute retinale Strah-lungsintensität, unterhalb derer grundsätzlich Dunkelheit und oberhalb derer grundsätzlich Helligkeit herrscht, oder geht es bei der Wirksamkeit lediglich um das Verhältnis zwischen Hel-ligkeit und Dunkelheit? Wenn die erste Möglichkeit zutriff t, ist eine gewisse minimale retinale Strahlungsintensität für die effi ziente zirkadiane Stimulation erforderlich. Wenn die zweite Möglichkeit zutriff t, könnte eine zirkadiane Stimulation durch Anwendung einer niedrigen Lichtintensität für ‚hell’ und kom-pletter Dunkelheit für ‚dunkel’ möglich sein.

Ein weiteres Merkmal, durch das sich das zirkadiane System vom visuellen System unterscheidet, ist seine Zeitkonstante. Das visuelle System ist ein bildverarbeitendes System, das auf einer Zeitskala von Bruchteilen einer Sekunde arbeitet. Das zirkadi-ane System ist kein bildverarbeitendes System, sondern funk-tioniert eher wie eine einfache Fotozelle mit einer sehr langen Zeitkonstante von Teilen einer Stunde. Dies impliziert Integra-tion über die Zeit, wodurch die Dosis (Strahlungsintensität x Strahlungsdauer) zum aussagekräftigen Maß für die zirkadiane Stimulation wird. Dabei kann eine höhere retinale Strahlungs-intensität durch eine geringere Strahlungsdauer ausgeglichen werden. Das Problem liegt in diesem Fall darin, dass diese Rezi-prozität an einem bestimmten Punkt aufgehoben wird. Wo die-ser Punkt im menschlichen zirkadianen System liegen könnte, ist nicht bekannt.

Schließlich muss auch die zeitliche Abfolge der Lichtein-strahlung berücksichtigt werden. Dass der Rhythmus eine Rolle spielen kann, ergibt sich aus der Tatsache, dass helles Licht am Nachmittag, wenn überhaupt, nur einen sehr geringen Einfl uss auf den Zirkadianzyklus der folgenden 24 Stunden hat. Helles Licht zu Beginn der Nacht verzögert hingegen in der Regel den Zirkadianzyklus, während helles Licht gegen Ende der Nacht den Zyklus eher beschleunigt. Diese Wirkung der Phasenver-schiebung wurde als Mittel für eine schnellere Anpassung vor und nach Nachtschichtarbeit sowie für die Überwindung des Jetlag eingesetzt.

auswirkungen und anwendungen

Es gibt nach wie vor zahlreiche unerforschte Aspekte bei den nicht visuellen Auswirkungen von Licht. Dennoch lassen sich bereits heute zwei allgemeine Schlussfolgerungen für die Beleuchtungspraxis ziehen. Die erste lautet, dass die Beleuch-tung von Gebäuden nicht mehr ausschließlich auf das bessere Sehvermögen ausgerichtet sein sollte, sondern auch die oben erörterten Auswirkungen von Licht berücksichtigen muss. Die zweite Folgerung resultiert aus dem Umstand, dass sich vor allem die spektrale Zusammensetzung des Tageslichts sehr gut zur Stimulation des visuellen und des zirkadianen Systems eignet. Beide Systeme haben sich schließlich unter der Einwir-kung von Tageslicht entwickelt Die alternativen elektrischen

Gegenüber Licht ist nicht nur im physikalischen Sinne ein Energiespender. Die Dauer, Intensität und spektrale Zusammensetzung des Lichts hat auch entscheidenden Einfl uss auf das zirkadiane System, also den Schlaf- und Wachrhythmus des Menschen.

Abbildung 1. Vereinfachte Dar-stellung der Bahnen von der Netzhaut des Auges zum visu-ellen Kortex und zur Zirbel-drüse.

Abbildung 2. Gemessene rela-tive Effi zienz von elektro-magnetischer Strahlung bei verschiedenen Wellenlän-gen für die Stimulation des menschlichen zirkadianen Systems, unter Verwendung der Melatoninsuppression als Marker.

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tung in Erwägung gezogen werden. Dies ist möglich, da viele Lichtquellen bei der Stimulation des menschlichen zirkadianen Systems eff ektiv sein können, wenn auch nicht immer so eff ektiv wie Tageslicht. Das zirkadiane System funktioniert unabhängig davon, aus welcher Quelle die an der Netzhaut aufgenommene Strahlung stammt. Es geht allein darum, um welche Strahlung es sich handelt. Somit steht ein großes Sortiment an Lichtquel-len zur Wahl, einschließlich einiger Systeme, die die Ultravio-lettstrahlung liefern, die für die Bildung von Vitamin D benötigt wird.

Für die dazwischen liegenden Breitengrade ist ein langer täglicher Aufenthalt im Freien erforderlich, damit die Lichtein-strahlung gesundheitliche Wirkung zeitigt. Gesellschaftliche Beschränkungen machen dies jedoch oftmals schwierig. Daher spielt in diesen Breiten die umfangreiche Tageslichtbeleuchtung in Gebäuden eine wichtige Rolle für die Gesundheit der Bewoh-ner, insbesondere derjenigen mit einem anfälligen zirkadianen System. Dies sollte durch sorgfältige Planung möglich sein. Wo der Standort jedoch eine ausreichende natürliche Beleuchtung nicht zulässt, sollte zumindest ein ‚Sonnenraum’ eingeplant wer-den, in dem die Bewohner ohne visuelles oder thermisches Unbe-hagen im Tageslicht ‚sonnenbaden’ können.

In welchen Gebäuden eine umfangreiche Tageslichtbeleuch-tung oder die eben angesprochenen ‚Sonnenräume’ gerechtfer-tigt sein könnten, hängt von einer anderen Frage ab, nämlich ob sich die Auswirkungen der Lichtexposition auf die Gesundheit auf kranke Menschen beschränken, oder ob Licht für jedermann, auch für den Gesunden, einen Wert hat. Es besteht kein Zweifel, dass Licht als Behandlung für eine Reihe klinischer Zustände eingesetzt werden kann. Die Auswirkungen von Licht auf den gesunden Menschen sind hingegen weniger eindeutig. Bekannt ist, dass die Exposition gegenüber hellem Licht bei Nacht beim gesunden Menschen ein stärkeres Gefühl der Aufmerksamkeit hervorrufen kann, und dass gesunde Menschen von gesteiger-ter Vitalität, höherer Aufmerksamkeit und besserer Stimmung berichten, nachdem sie einer stärkeren Lichtintensität ausgesetzt waren. Wenn jedoch nachgewiesen werden kann, dass die nicht visuellen Auswirkungen von Licht auch für gesunde Menschen gelten, werden Licht und Gesundheit zu Aspekten, die bei allen Gebäudetypen zu berücksichtigen sind, nicht nur bei Gebäu-den, die speziell für Kranke gebaut werden.

Dr. Peter Boyce beschäftigte sich während des größten Teils seiner Lauf-bahn mit der Beleuchtungsforschung. Von 1966-90 arbeitete er als Research Offi cer am Electricity Council Research Centre in Capenhurst, England, und von 1990–2004 als Leiter der Abteilung für Humanfaktoren am Lighting Research Center des Rensselaer Polytechnic Institute in New York. Heute lebt Peter Boyce in Großbritannien und arbeitet als Berater für Beleuchtungsfragen. Er gilt als anerkannte Autorität in Fragen der Inter-aktion zwischen Menschen und Beleuchtung, war Autor des Texts ‚Human Factors in Lighting’ und zahlreicher weiterer Fachartikel.

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Lichtquellen stehen erst seit etwa 100 Jahren zur Verfügung, einer äußerst kurzen Zeitspanne in der Evolution.

Bei der Berücksichtigung der Auswirkungen von Licht auf die Gesundheit ist vor allem der Breitengrad des Standortes maß-geblich. In niedrigen Breiten stimuliert bereits ein kurzer Aufent-halt im Freien das zirkadiane System stimuliert und liefert das notwendige Vitamin D. In solchen Breiten ist der Schutz gegen Gewebeschädigungen das größte Problem. Daher geht es vor-wiegend um die zeitliche Begrenzung der Lichteinstrahlung.

In hohen Breiten, wo eventuell über Monate nur äußerst wenig Tageslicht zur Verfügung steht, sollte die Herstellung eines eindeutigen Hell-Dunkel-Zyklus durch elektrische Beleuch-

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VELUX EINBLICKE Architektur für den Menschen – Bauen mit VELUX.

VARIATIONEN IN WEISSMogens Dahl Institut in Kopenhagen

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Kopenhagen entdeckt derzeit wie viele Groß-städte Europas seine Uferzonen wieder. Vor allem Islands Brygge, das ehemalige Vier-tel der Hafenarbeiter östlich der Innenstadt, hat sich zu einem der Brennpunkte neue-rer dänischer Architektur entwickelt. Damit einher ging ein sozialer Wandel des Stadt-teils: In den Wohnhäusern aus der Gründer-zeit folgten auf die Arbeiter zunächst die Jungen, Kreativen und schließlich die Wohl-habenden, während in den über das ganze Viertel verstreuten Industrieanlagen eine fi eberhafte Bautätigkeit einsetzte: Lager-häuser wurden zu Lofts, eine Bleistiftfabrik beherbergt nun Fotoateliers und ein Fitness-Studio, ein ehemaliges Kasernengelände die Büros der Wirtschaftsprüfer von Deloitte. Zum Wahrzeichen des Stadtumbaus wurde das ‚Gemini’-Gebäude: zwei ehemalige Silos direkt am Wasser, die die niederländischen Architekten MVRDV zu veritablen Apart-ment-Türmen für zahlungskräftige Kunden umfunktionierten.

Die Snorresgade gehört zu den weni-gen Flecken in Islands Brygge, die sich ihren ursprünglichen, leicht chaotisch anmutenden Charakter bewahrt haben. Der Wechsel von

temporären und auf Dauer angelegten Bau-ten verleiht der Gegend einen Hauch von Klondyke. Gegenüber der alten Kirche des Viertels steht ein neuer Kindergarten, dane-ben der Backsteinbau einer Reederei und ganz am Ende der Straße eine wagenburgar-tige Ansiedlung von Holzhütten, deren Besit-zer Pferdekutschen vermietet.

In dieser bunt durchmischten Häu-sergemeinschaft springt das Anwesen in der Snorresgade 22 durch sein gepfl egtes Äußeres ins Auge. Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete Hauptgebäude beherbergte zunächst eine Druckerei. Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofs ent-stand zur gleichen Zeit ein Nebengebäude mit Pförtnerwohnung, Wagenschuppen und Pferdestall. Es diente später jahrzehn-telang als Autowerkstatt.

Heute prägen zwei schlichte, aber unübersehbare schwarze Schriftzüge die gebrochen-weiß verputzten Straßen-fassaden der beiden Gebäude: ‚vipp’ und ‚Mogens Dahl Koncertsal’. Vipp stellt Sei-fenspender, Toilettenbürsten und vor allem Papierkörbe her, die sich in Dänemark zu Design-Klassikern entwickelt haben. Nun

hat das Unternehmen von Mette Egelund, der Ehefrau Mogens Dahls, seine Bürorä-ume in der alten Druckerei bezogen; Dahls Institut kam im ehemaligen Stall unter. Mogens Dahl erläutert seine Motivation, ein Institut für Musik, Chor und Dirigieren zu gründen: „Lange Zeit habe ich an Uni-versitäten, Konservatorien und Opern gear-beitet – alten, ‚schweren’ Institutionen also, in denen es oftmals schwierig ist, Systeme zu ändern und neue Entscheidungen her-beizuführen. Nach all den Jahren fühlte ich mich bereit, den Schritt in die Freiheit und Selbstständigkeit zu wagen.“ Die Ideen für die Inhalte, mit denen das neue Insti-tut gefüllt werden sollte, hatte Dahl teils bereits vor dem Umbau, teils entstanden sie im Lauf der eineinhalbjährigen Bauarbei-ten in vielen Gesprächen mit Besuchern und Kollegen. Heute bietet das Institut eine in Kopenhagen bislang einzigartige Mischung aus Meisterkursen für Gesang, Klavier und Dirigenten sowie Jazz-, Chor- und Kammer-konzerten an.

Der ehemalige Wagenschuppen ist ein lang gestrecktes Gebäude mit Pultdach, das sich an die Brandmauer des wesent-

Von Jakob Schoof.Fotos von Adam Mørk.

Im ehemaligen Kopenhagener Hafenarbeiterviertel Islands Brygge ist ein neues Zentrum für klassische und zeitgenös-sische Musik entstanden. Anfang 2006 zog das ‚Mogens Dahl Institut für Musik, Chor und Dirigieren’ in eine umgebaute Autowerkstatt ein. Seine lichterfüllten, großzügigen und doch intimen Räume sind das Ergebnis eines mühevollen Prozesses archäologischen Freilegens und Konservierens, in dem die Architekten Frank Maali und Gemma Lalanda Regie führten.

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lich höheren Nachbargebäudes anlehnt. Durch eine hinter die Gebäudefront zurück-gesetzte Glaswand gelangt man in das Ein-gangsfoyer, einen Durchgangs- eher denn einen Aufenthaltsraum, mit Kopfsteinpfl as-ter (neu, aber farblich angeglichen an den Belag im Hof) und unverputzter Rückwand aus Ziegeln. Linker Hand folgt eine off ene Garderobe, dann der rund 100 Quadrat-meter große ‚kleine’ Saal mit Bar, der für kleinere Musikauff ührungen, Musiktheater und Empfänge genutzt wird.

Zur Rechten des Foyers schließt sich der 130 Quadratmeter große Musiksaal mit Galerie an. Letztere dient als ‚zweite Ebene’ bei Chorauff ührungen, aber auch als Zuschauerempore bei Konzerten. „Es war die ganze Zeit geplant gewesen, den hohen Raum so gut wie möglich auszunut-zen – auch den Umstand, dass die zwei sehr schweren Stahlträger, die Überbleibsel aus der Werkstattzeit sind, dort belassen wur-den und als Widerlager für diese längliche ‚Brücke’ dienen“, sagt Frank Maali, der Archi-tekt des Umbaus.

Der große Saal ist ein Multifunktions-raum; hier fi ndet Gesangsunterricht ebenso

statt wie Proben oder Kammerkonzerte. Entsprechend häufi g wird der Raum neu möbliert; eine starre Bestuhlung gibt es nicht. Für einen Konzertsaal ist der Raum äußerst intim. Diese Nähe war Mogens Dahl wichtig: „Normalerweise sitzt man in Konzertsälen weit von den Musikern ent-fernt. Hier sieht der Konzertgast dagegen alle Details, er riecht den Duft der Holzins-trumente, hört den Atem der Musiker und das Umblättern der Seiten in der Partitur. Andererseits spüren auch die Musiker jede Regung der Zuhörer. Diese Art der direkten Rückkopplung ist enorm wichtig.“

Mit Ausnahme des Foyers und seiner überdimensioniert wirkenden Treppe mit ihren hohen Stahlwangen sind die Räume des Instituts nahezu komplett in Weiß gehalten: Die Ziegelwände wurden verputzt, lassen aber noch die Struktur des Mauer-werks erkennen. Das Holzgebälk des Dachs und die schweren Stahlträger der Galerie wurden weiß gestrichen; selbst die neuen, drei Zentimeter starken Holzdielen der Fuß-böden sind weiß lasiert. Einen Kontrast zum monochromen Inneren bilden lediglich die schwarzen, schlanken Stahlrahmen der

Fenster und Glastüren, mit denen sich der Saal zum Hof öff net.

Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als hätte der Umbau an dem alten Stallge-bäude nur wenig verändert – und als läge gerade darin seine besondere Stärke. Doch das ist ein Irrtum:

Das Erdgeschoss diente bis vor weni-gen Jahren als Autolackiererei – inklusive aller hierfür notwendiger Gerätschaften. Das Obergeschoss war durch zahlreiche Zwischenwände in kleine Kammern unter-teilt und vollgestopft mit Ersatzteilen. Noch vor der eigentlichen Planungsphase stand daher die totale Räumung des Gebäudes, bei der erst nach und nach die erhaltens-werten Bauteile zum Vorschein kamen. Mogens Dahl vergleicht diesen Prozess des Freilegens mit ‚moderner Archäologie’: Das eindrucksvolle Dachgebälk wurde sichtbar gelassen und die notwendige, zusätzliche Wärmedämmung außen aufgebracht. Auch über die notwendigen akustischen Maßnah-men entschieden der Bauherr und seine Architekten erst während des Umbaus. Unterstützt wurden sie dabei durch den versierten Akustikplaner Jan Voetmann.

S.44–45 Alle Oberfl ächen im großen Saal sind weiß gestri-chen: die Ziegelwand zum Nach-barhaus, das Holztragwerk und die Akustikpaneele. Die Dach-oberlichter erzeugen an der Rückwand einen sanft an- und abschwellenden Hell-Dunkel-Rhythmus.

Gegenüber (im Uhrzeigersinn von oben) Querschnitt mit Tages-lichtkonzept. Längsschnitt.Ansicht vom Hof.

Rechts Im Gegensatz zu vielen anderen Konzertsälen wurde das Mogens Dahl Institut nicht als ‚black box‘ konzipiert, sondern öff net sich zum Hof mit großen Glasfl ächen. Das wird beson-ders nachts deutlich, wenn die großen Oberlichtaufsätze auf dem Dach riesigen Leuchtkör-pern gleich in die Dunkelheit strahlen.

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Er beschloss auch nach eingehenden Tests die Installation gelochter Akustikpaneele an der Rückwand des großen Saals. Sie waren angesichts der vorwiegend harten Oberfl ächenmaterialien wie Stahl, Holz und Glas notwendig und sollen die die Nachhall-zeit im Raum auf ein Optimum reduzieren.

Mehr Klarheit bestand bei Frank Maali und Gemma Lalanda vor dem Umbau hin-sichtlich der gewünschten Lichtwirkung: An Stelle des schummrigen, durch wenige Vertikalfenster einfallenden Tageslichts setzten sie auf großzügiges, aber stets blendfreies Licht von oben. Auf dem großen Saal wurden hierzu vier neue Dachaufsätze installiert, durch die von beiden Seiten Tageslicht in den Raum gelangt. Dabei wird das direkte Südlicht durch große Milchg-lasscheiben gestreut, während das indi-rekte, von der benachbarten Brandmauer refl ektierte Nordlicht durch kleinere Fens-terscheiben aus Klarglas hereinfällt. Beson-ders um die Mittagszeit, wenn die Sonne am höchsten steht, ist der große Saal dadurch von einem weichen und doch akzentuier-ten Licht erfüllt. Der scharfe Rhythmus der Wandpfeiler, Holzbalken und Akustik-

paneele an der Rückseite des Raums wird dann von einem ab- und anschwellenden Vibrato aus gebrochenem Licht und Halb-schatten überlagert, das der Position der Fensteröff nungen folgt.

Die ehemalige Pförtnerwohnung an der Straße hat mit dem Umbau zwei neue Nut-zungen erhalten: Im Erdgeschoss liegt das Verwaltungsbüro des Instituts, während das Obergeschoss wahlweise als Gäste-wohnung, Besprechungsraum oder Ruhe-bereich für die Musiker dient. Ursprünglich herrschte auch hier Schummerlicht, das die beiden zur Straße hin orientierten Fenster hereinbrachten. Nun sind mehr als ein halbes Dutzend neue Tageslichtöff nungen im Dach hinzugekommen. Auf der Nordseite wur-den große Schwingfenster installiert, im Süden kleinere Fenster mit dunklen Rund-bogenrahmen, die speziell für den Einbau in denkmalgeschützten Altbauten entwi-ckelt wurden. Bis hin zur charakteristischen Feststellstange, die das Fenster in geöff -neter Stellung arretiert, wurden sie dem historischen Vorbild nachempfunden. Frank Maali wird nicht müde, die Bedeutung des Tageslichts für seinen Entwurf zu betonen:

Links Auch im Garderoben-raum und im kleinen Saal entstanden zusätzliche Öff -nungen im Dach, die Tageslicht in die ehemals düsteren Werk-statträume bringen.

„Der Lichteinfall ist eminent wichtig, und es zeigt sich jetzt, nach der Fertigstellung des Gebäudes, dass wir beim Umbau die rich-tige Richtung eingeschlagen haben, indem wir die ehemals dunklen Räume mit Ober-lichtkästen oder hoch angebrachten Seiten-leuchten ausgestattet wurden. Ohne diese Maßnahmen würde das Gebäude nicht als Musikschule funktionieren.“

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Snorresgade 22, KopenhagenMusikinstitut mit Kammermusiksaal und GästewohnungMogens Dahl, KopenhagenMaali & Lalanda A/S, Kopenhagen2005

FaktenStandortGebäudetyp

BauherrArchitektenFertigstellung

Links Vielleicht am deutlichsten wird die neue Lichtqualität in der Wohnung im Obergeschoss des Vorderhauses spürbar. Zahl-reiche neue Dachfenster öff nen die früher nur durch die Fassade belichteten Räume den Blicken nach draußen und dem Tages-licht.

Unten Das Hauptgebäude der ehemaligen Druckerei (links im Bild) und die ehemaligen Stal-lungen erstrahlen, frisch ver-putzt, in makellosem Weiß. Für den zentral in der dänischen Hauptstadt gelegenen Standort besitzen die Bauten einen eher kleinstädtischen Charakter.

S.49 Von drei Seiten und auf zwei Ebenen fällt Tageslicht in den großen Kammermusiksaal. Die beiden ehemals getrennten Ebenen wurden zu einem großen Raum zusammengefasst und durch vier neue Oberlichtauf-sätze zusätzlich von oben belichtet.

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Es ist Sonntagmorgen, der dritte Tag des mittlerweile berühmten Kopenhagener Jazz-Festivals mit mehr als 900 Konzerten und Musikveranstaltungen in der ganzen Stadt. Auf dem Programm steht Musik im neuen Rahmen und mit intimer Atmosphäre genie-ßen, ein Konzert im Mogens Dahl Institut am Kopenhagener Hafen.

,Weiß auf Weiß in Weiß’, eine Lilie auf jedem Tisch: Bei einem leckeren Brunch war-ten zahlreiche Besucher, mit Sommershorts bekleidet und häufi g schon leicht ergraut, auf den Auftritt des Duos Christina und Carsten Dahl – auf seinem Weg zu internationalem Ruhm. Das charmante und ausdrucksstarke Duo betritt nahezu bescheiden die Bühne und beginnt seine Darbietung mit ‚Signs’, einer modalen Komposition mit meditativen Klän-gen unter dem Motto: „Lies die Zeichen, die du empfängst, und höre einfach zu.“ Der reife und gehaltvolle Klang von Christinas Tenorsaxo-phon erfüllt den Raum, begleitet und ergänzt vom gefälligen Pianospiel ihres Ehemanns. Das Publikum lauscht gebannt, während die beiden Musiker zunehmend ein Gespür für die Aku-stik und Atmosphäre des Raumes entwickeln. Gegen Mittag gehen die beiden zu jazzigeren

Standardnummern und Eigenkompositionen über. Ein Stück mit dem Titel ‚Softly As In the Morning Sunrise‘ wird mitreißend, voller Inbrunst und mit einer gewissen Portion Humor intoniert.

Ein Kommentar des Duos während der Pause seines Gastspiel: „Von dem Ort, an dem man spielt, hängt vieles ab. Die Musik sendet uns in kleinen und funkigen Clubs, in großen Konzerthallen oder auch in Kirchen ihre Bot-schaft. Dieser Ort hier mit seiner großartigen Akustik und Atmosphäre inspiriert uns sehr”, sagt Carsten Dahl und schaut seine Frau fra-gend an. Zustimmend ergänzt sie: „Die lockere Stimmung lässt die Nervosität rasch abklin-gen. Dies liegt vielleicht auch daran, dass man nicht nur gesehen wird, sondern auch selbst das Publikum sieht.“

Jazz und Architektur waren im gesamten 20. Jahrhundert eng miteinander verwoben. In den 30er Jahren reiste Le Corbusier zu Louis Armstrong nach Harlem, die Bauhaus-Vertre-ter schwärmten für den frühen Jazz, und zahl-reiche Künstler und Architekten waren von Coleman Hawkins, Sonny Rollins, Duke Elling-ton, Thelonious Monk, Errol Garner und Charlie Parker fasziniert. Mit ihrer Musik im Hinter-grund ließen und lassen sie sich in den Zeichen-ateliers inspirieren. Jazz wurde häufi g mit der New Yorker Skyline, dröhnenden Bands und hohen Trompetenklängen assoziiert. Der bekannte dänische Lichtdesigner und Archi-tekt Poul Henningsen war ein großer Jazzfan, und Max Brüel schuf in den Fünfzigern und Sechzigern nicht nur beachtliche Bauwerke, sondern wusste auch gekonnt ein merkwür-dig modern anmutendes B-Saxhorn zu spie-len. Zu weiteren Anhängern des Jazz zählten Mogens Breien und Anders Dyrup. Letzterer erbaute 1958 den famosen Montmartre Club in Kopenhagen mit Unterstützung von fünf Malern und Bildhauern.

Der erfrischende Jazz der Westküste gegen Ende der 50er-Jahre wurde wegen seiner logischen Linienfolge und seiner freien

Harmoniestruktur teilweise auch als „Archi-tekturjazz” betitelt, was allerdings nicht immer als Kompliment zu verstehen war.

Im Dahl Place fühlt sich die Musik zuhause. Dies off enbart sich bei den Auftritten des Dahl-Duos (dessen Namensverwandtschaft mit dem Institutsgründer rein zufällig ist), sobald sie Arlens „Over The Rainbow” anstimmen und eindrucksvoll interpretieren, um dann nahtlos in das Originalstück „Too Early To Wake Up” überzuleiten. Die Inspiration dieser Melodie beruht auf der Erfahrung der jungen Eltern: Eines ihrer Kinder wachte grundsätzlich nur wenige Stunden später auf, nachdem die musi-kalischen Eltern von Gigs und Konzerten heim-gekommen waren. Dies lässt sich heraushören: Ein Schlafl ied für das Kind, die Herzlichkeit, die Verzweifl ung, die Morgenmüdigkeit und – end-lich – der Frieden. Jeder im Raum nickt wissend, die Botschaft des funkigen und schnörkellosen Stücks ist angekommen.

Carsten Dahl, der nächstes Jahr sein größ-tes Projekt angehen wird – eine vollständige Aufzeichnung von Bachs Goldberg-Variationen für die Deutsche Grammophon, die er nicht vom Blatt, sondern aus dem Gedächtnis spie-len wird – intoniert die Stücke tief konzentriert mit einem sympathischen Lächeln. Bei einer Nummer lässt er in einem Takt Errol Garner anklingen und erhält hierfür allgemein aner-kennendes Lächeln aus dem Publikum zurück. Er versteht es, die Zuhörer in den Bann seiner musikalischen Welt zu ziehen. Christina Dahl hat sich zu einer Vollblutmusikerin in der Tra-dition von Don Byas, Ben Webster und Lucky Thompson entwickelt, wobei sie John Coltrane elegant umschiff t – einen Trend, dem so viele Tenöre in Europa erliegen.

Die Lilien scheinen begeistert mit den Köp-fen zu nicken, der Beifall wird zu brausendem Applaus, es ist Mittag, das Sonnenlicht durch-fl utet den Raum, und es ist Zeit, sich zum näch-sten Schauplatz zu begeben – auch wenn es schwierig sein dürfte, diesen einzigartigen musikalischen Genuss zu überbieten.

STIMMUNGSVOLLES CLUBKONZERT DER DAHLS

Ein neuer eleganter Jazzclub in Kopenhagen fi ndet großen Zulauf

Von Henrik Wolsgaard-Iversen

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Christina und Carsten Dahls Auftritt im Mogens Dahl Institut. Foto: Gorm Valentin

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Der Weinbauort Leytron liegt am nördlichen Rhôneufer zwischen Sion und Martigny und ist eigent-lich kein Fall für Reiseführer. Es gibt zahlreiche Dörfer in der Region, die ihr Ortsbild pittoresker und touris-tenverträglicher konserviert haben. Dafür lässt sich in Leytron beob-achten, wie die Zeitläufe ein Wein-bauerndorf verändern: Im Ortskern erinnern noch uralte Scheunen mit verwitterten Schiefermauern an die Zeit, als Leytron komplett vom Weinbau abhängig war. Die dazu ge-hörigen Wohnhäuser wurden meist Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts durch Neubauten mit französischem Einschlag ersetzt. An den Ortsrändern, oft mitten in den einstigen Weingärten, hat schließ-lich die Generation der Erben ihre Häuser errichtet. Sie betreiben kei-nen Weinbau mehr und lassen sich doch am Ort ihrer Vorfahren nieder – aus Heimatverbundenheit oder auch nur, weil ihre Eltern ihnen ein Bau-grundstück vererbt haben.

Zu ihnen gehört auch das Ehepaar Zuff erey. Ihr Haus ist das letzte am östlichen Ortsrand; es steht etwa 50 Meter von der Straße entfernt und springt dem Vorüberfahrenden doch sofort ins Auge. Wie mit dem Kamm gezogen, erstrecken sich die Wein-reben bergwärts. In ihrer Mitte ragt unvermittelt eine Kiste aus grauem Schiefer auf – einem Frachtcontai-ner nicht unähnlich, der aus Versehen durch die Ladeluke eines Flugzeugs gepurzelt ist. Roland Vassaux, Part-ner im Büro Nunatak Architectes, hält eine andere Erklärung für seine Ent-wurfsidee bereit: „Der Berg kreißt und gebiert ... ein Haus!“ Tatsäch-lich lässt sich die Maison Zuff erey mit etwas Fantasie als begradigtes Abbild des dahinter aufragenden Bergmassivs L’Ardévaz interpre-tieren – eine Mimesis, die laut Vas-saux „überhaupt nur an diesem Ort einen Sinn ergibt“. Die Ähnlichkeit

beschränkt sich keineswegs auf for-male Aspekte. Auch die Struktur der Felsformationen stand Pate für die samtig schimmernde Schieferver-kleidung der Wohnschachtel. Der regionale Naturstein, der der tradi-tionellen Walliser Architektur noch ihren leicht ruppigen Charakter ver-lieh, wird hier, industriell verarbeitet, zum hauchfeinen Kleid für einen per-fekt proportionierten Neubau.

Das Haus Zuff erey bricht nicht nur formal mit der örtlichen Bau-tradition, sondern auch in der Aus-richtung des Hauses: Üblicherweise öff nen sich die Bauten im Rhônetal nach Südwesten – zur Nachmittags-sonne, aber eben auch zu den oft un-gemütlichen Winden, die besonders nachmittags das Tal emporwehen. Dagegen liegt die Terrasse der Mai-son Zuff erey windgeschützt und schattig im Osten. Unter dem hoch-geklappten Westende befi nden sich der Carport und der Zugang zum Haus. Die Eingangswand funkelt in einem überirdischen Gelbgrün, als gelte es, auch hierdurch die Außer-gewöhnlichkeit des Entwurfs zu be-weisen.

Janick Zuff erey, selbst Bauzeich-nerin im Büro Nunatak Architectes, blieb lange Zeit im Ungewissen über die Gestalt ihres Hauses. Wochen-lang war ihr während der Planungs-zeit der Zutritt zum Büro von Roland Vassaux verwehrt gewesen. „Er wollte mich mit dem Entwurf über-raschen. Jeder im Büro kannte die Pläne, nur ich nicht – und alle mach-ten Andeutungen wie: ‚Du wirst schon sehen, der Entwurf ist etwas ... speziell.‘“ Bei der Entwurfspräsenta-tion zeigte Vassaux seiner Bauherrin zunächst die Grundrisse: ein Erdge-schoss mit Küche, Wohn- und Esszim-mer, Gäste-WC und Abstellkammer, ein Obergeschoss mit drei Zimmern und zwei kleinen Bädern und ein of-fenes Dachgeschoss mit Arbeits- und Fernsehzimmer – kurz: funktionale

VELUX PANORAMA Architektur mit VELUX aus aller Welt.

FINDLING IM REBLANDMAISON ZUFFEREY IN LEYTRON

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Rechteckgrundrisse ohne gestalte-rische Extravaganz. Dann erst zog Vassaux eine Perspektivzeichnung des Hauses aus der Schublade. Die Überraschung war gelungen.

Mit rund 500 000 Schweizer Franken Planungs- und Baukosten war das 185 Quadratmeter große Haus relativ günstig. Verantwortlich hierfür war nicht zuletzt die Holzbau-weise, die eine weitgehende Vorferti-gung erlaubte. Lediglich Fundamente und Bodenplatte des Hauses beste-hen aus Stahlbeton; die ‚schräge Kiste’ ist eine Konstruktion aus Tannen-Brettschichtholz. Die Innenwände (auch die der Sanitärräume) wurden mit teils wasserfest gestrichenen OSB-Platten verkleidet; die Böden und Decken der Obergeschosse be-stehen aus Tannenbrettern. Das Erd-geschoss erhielt aus Kostengründen einen gegossenen Betonfußbo-den, der auch die Wasserrohre der Fußbodenheizung enthält. An eini-gen Stellen, wo die Bauherren zwar Licht, aber keine Blickverbindungen wünschten, wie etwa zwischen den beiden Bädern im Obergeschoss, wurden weiße, transluzente Doppel-stegplatten aus Acrylglas installiert. Die Fenster – von außen gesehen die einzigen Elemente, die den Eindruck der ‚gekippten Kiste’ durch ihre Hori-zontalität konterkarieren – folgen der Raumaufteilung im Inneren, doch sie zeichnen diese nicht sklavisch nach. Alle sind unterschiedlich groß und auf unterschiedlichen Höhen angebracht, so dass auch die Kinder am Ausblick auf das Tal, die Reben und die Berg-welt ringsum teilhaben. Besonders eindrucksvoll lässt sich dieser ‚Bild-wechsel’ entlang der Haupterschlie-ßung des Hauses erleben, die entlang der Nordfassade aus dem Wohnraum über zwei einläufi ge Treppen bis hi-nauf ins Fernsehzimmer führt. Wenn die Hausherren schließlich bei tief stehender Sonne die grau lackierten Jalousien herunter lassen, wird das

Haus äußerlich zum Steinmonolithen von Menschenhand: Ton in Ton mit der Bergwelt ringsum, und doch ein Fremdling im Alpenpanorama. Ein Außerirdischer mit Tarnkappe, die ihn in seiner Umgebung etwas weni-ger auff allen lässt, ohne seine Gegen-wart ganz zu verbergen.

Ihr Wohnhaus, sagt Jannick Zuf-ferey, war nicht zuletzt eine Pionier-leistung. Vergleichbare, moderne Architektur gab es in Leytron vorher nicht. Einen Bebauungsplan, der das Gebiet vor architektonischem Wild-wuchs schützen sollte, ebensowe-nig. Dass ihr Baugesuch letztendlich reibungslos bewilligt wurde, ist vor allem dem ehemaligen Gemeindeprä-sidenten zu verdanken, den Jannick Zuff erey als großen Architekturlieb-haber schildert. Stand das Haus der Zuff ereys anfangs noch allein auf weiter Flur, so haben die Nachbarn inzwischen nachgezogen: Nebenan ist rustikales Blockhaus entstan-den, wenig weiter entfernt leuchtet eine sonnenblumengelbe Putzfas-sade zwischen den Reben hindurch. Nachdenklich geworden durch die rege Bautätigkeit, hat der Gemeinde-rat inzwischen einen Bebauungsplan verabschiedet, der alle weiteren Neu-bauten in den Weinfeldern ringsum verbietet. Die Familie Zuff erey wird also auch weiterhin den unverbauten Ausblick auf den L’Ardévaz genießen können.

Leytron, Wallis, CHEinfamilienhausJanick und Guy-Claude Zuff erey, LeytronNunatak Architectes Sàrl – Chervaz & Vassaux, Fully, CH2003

FaktenStandortGebäudetypBauherrenArchitekten

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1. Der Blick von der Straße aus und zwischen den Reben hin-durch gibt die Entwurfsidee des Hauses zu erkennen: Ver-kleinert und stark abstrahiert, aber deutlich sichtbar, spiegelt die Maison Zuff erey Form und Struktur des dahinter liegenden Bergmassivs wider.

2. Im Westen des Oberge-schosses, direkt über dem Carport, liegt das Elternschlaf-zimmer. Zwei Dachfenster las-sen die Nachmittags- und Abendsonne tief in den Raum.

3. Der Erschließungsgang im Norden führt als ‚prome-nade architecturale‘ durch alle Geschosse des Hauses. Unter-schiedlich hohe und große Fen-ster bieten allen Bewohnern, ob klein oder groß, Ausblicke Rich-tung L’Ardévaz, den Hausberg von Leytron.

4. Die Schrägstellung des Bau-werks hat auch funktionale Gründe: Unter dem westlichen, hochgeklappten Ende ist ein überdachter Carport entstanden. Außerdem liegt hier der wetter-geschützte Eingang ins Haus.

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Die Wohngegend rund um das Haus „G“ im Tokioter Stadtteil Meguro ist mit ihren frei stehenden und den-noch dicht gedrängten Einfamili-enhäusern durchaus typisch für die Außenbezirke japanischer Groß-städte. Aufgrund seiner erdbe-bengefährdeten Lage musste das Wohnhaus zur Nachbarbebauung allseitig einen Mindestabstand von fünf Metern einhalten. Dieser Ab-stand defi niert auch annähernd den unbebauten Außenraum, denn die Parzellen sind klein und Gartenfl ä-chen rar. Der geringen Grundstücks-fl äche von etwa 107 Quadratmetern steht eine Wohnfl äche von ungefähr 155 Quadratmetern gegenüber, die auf drei Geschosse verteilt wurde.

Das Gebäude zeichnet sich nicht nur durch seine klare, wenngleich un-gewöhnliche Form, durch großzügige Innenräume und durch den Verzicht auf beinahe jegliche Art von Dekor aus, sondern auch durch eine außer-gewöhnliche Konstruktion. Es ist in konventioneller japanischer Holzbau-weise errichtet, wobei die Holzkon-struktion auf einen eingeschossigen Stahlbetonsockel aufgesetzt wurde. Der Beton ist im Erdgeschoss außen wie innen sichtbar und verdeutlicht so die beiden unterschiedlichen Bau-prinzipien. Den Wechsel zwischen Holz und Beton markiert eine 77 Zentimeter hohe, horizontale Fuge, die die Konstruktionen optisch von-einander löst.

Der nahtlose Übergang von Au-ßenwänden zu Dachfl ächen lässt das Gebäude als große, minimalistische Bauskulptur erscheinen. Dieser Ein-druck wird verstärkt durch die ein-heitliche, weiße Putzfassade und die unregelmäßig über die Wand- und Dachfl ächen verteilten Fenster, die nach außen keinerlei Aufschluss über die Raumaufteilung geben. Le-diglich im Eingangsbereich wurde ein geschosshoher Kubus aus dem Ge-bäudevolumen ausgeschnitten, um

trotz der geringen Grundstücksfl ä-che einen Stellplatz für das Auto des Bauherrn zu schaff en.

Großzügige, teils zweigeschos-sige Lufträume verfl echten die un-terschiedlichen Ebenen miteinander und ermöglichen vielfältige Blickbe-ziehungen im Innenraum. Durch eine geschickte Verteilung der Nutzfl ä-chen bleibt viel freier Raum, um be-sonders das Erdgeschoss durch die unregelmäßigen Fensteröff nungen und deren Lichteinfall in Szene zu setzen.

Bis auf wenige Ausnahmen wur-den in alle Fensteröff nungen Dach-fenster mit Holzrahmen eingebaut. Charakteristisch ist hierbei eine leichte Ausstülpung der Rahmen, den einzigen Elementen, die aus der ansonsten vollkommen planen Fas-sade geringfügig hervorspringen. Sie sollen so an den vertikalen und den horizontalen Außenfl ächen die Was-serdichtigkeit gewährleisten.

Bei den Materialien herrschen Sichtbeton und Holz vor und die Farbgestaltung ist reduziert auf un-terschiedliche Weißabstufungen, die die Lichtwirkung im Innenraum gezielt unterstützen. Die einzigen dekorativen Elemente, die Jun Aoki für die Innenräume verwendet, sind die Seiden- und Spitzenvorhänge des Schlafzimmers (ein Material, aus dem sonst Kimonos gefertigt wer-den) sowie eine Flockfasertapete als Wandbekleidung im Koch- und Ess-bereich des Erdgeschosses.

TRADITION IM NEUEN GEWANDHAUS „G“ IN TOKIO

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Meguro, Tokio, JPEinfamilienhausanonymJun Aoki & Associates, Tokio, JP2004

FaktenStandortGebäudetypBauherrArchitektFertigstellung

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1. Das Erdgeschoss des Hauses kann durch ein Schiebetor vor den Blicken der Passanten geschützt werden. Der Innen-raum ist dann lediglich noch durch die leicht aus der Fassade vorstehenden Holzrahmenfen-ster einsehbar.

2. Von der Schlafempore im Obergeschoss ist eine kleine Dachterrasse zugänglich. Rechts fällt der Blick auf den großzügigen, zweigeschossigen Luftraum über der Treppe.

3. Über dem Essbereich im Erd-geschoss wird der Konstruktions-wechsel zwischen Stahlbeton und Holzbauweise sichtbar. Eine 77 Zentimeter hohe, horizontale Fuge akzentuiert den Übergang.

4.Das Haus „G“ steht inmitten eines dicht bebauten Wohn-gebiets. Im Gegensatz zu den Architekten der Nachbarbauten verzichtete Jun Aoki auf die Insignien klassischer Einfami-lienhäuser wie Ziegeldächer, Erker und Balkone.

Querschnitt

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Ansicht Süd Ansicht Ost

Ansicht Nord Ansicht West

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“Die Nähe zum Himmel auf

solidem Fundament – daswar unsere Inspiration fürdiese außergewöhnlicheTextilarchitektur.”

Ein neuer Ausblick mit VELUX.Realisiert von Ostermann ArchitektenAuf dem Dach des Hamburger Medienbunkers entstand eine einmalige Location: die VELUX Lounge

anlässlich der Fußball-WM 2006. Hoch über dem größten offiziellen Public Viewing in der Hansestadt

konnten Journalisten und Repräsentanten das WM-Geschehen verfolgen – in einer Zeltkonstruktion,

die einen Ausblick nach unten sowie den Blick nach oben zum Horizont zusammenfasste. Wir unter-

stützen auch Sie bei der Entwicklung besonderer Ideen und Projekte, z.B. mit hochwertigen Tageslicht-

lösungen wie dem neuen Klima Komfort System von VELUX.

velux.de/architektur

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Glenn Murcutt gehört zu den besten und eigen-willigsten Architekten der Welt. Der Pritzker-Preis-träger von 2002 ist bekannt für seine humane Archi-tektur, die aus dem Material- und Formenschatz der Moderne schöpft und zugleich ein schier unfehlbares Gespür für die Besonderheiten des australischen Klimas und Tageslichts zeigt. Im Rahmen einer Ausstellungseröff nung in Zagreb hat sich Glenn Murcutt den Fragen von D&A gestellt.

INTERVIEW MIT GLENN MURCUTT

VELUX DIALOG Architekten im Gespräch mit VELUX.

Zagreb, zwei Uhr nachmittags an einem warmen Dienstag im April. Das ‘Haus der kroatischen Künstler‘, 1938 nach Plänen von Ivan Meštrović errichtet, ist ein monumentaler und doch fein proportionierter, neok-lassizistischer Rundbau. Seine im-posanten, fast feierlichen Räume haben auf den ersten Blick wenig mit der Architektur Glenn Murcutts gemein. Und doch ließe sich kaum ein geeigneterer Ausstellungsort für dessen Werke fi nden als die Galerie im Obergeschoss der Rotunde: Tag-eslicht fällt durch eine Kuppel aus Hunderten kleiner Glasbausteine ein und erfüllt den Raum mit einem magischen Leuchten.

In sechs Stunden soll hier die Ausstellung über das Walsh House in New South Wales eröff net wer-den, Murcutts jüngstes Meisterwerk. Zuvor wird der Pritzker-Preisträger wenige Straßenblocks entfernt vor den voll besetzten Rängen eines Zagreber Kinos einen mehr als zwei Stunden langen, mitreißenden Vor-trag halten und dafür von seinem überwiegend jungen Publikum fre-netisch gefeiert werden. Ausstellung und Vortrag sind von Oris, der füh-renden Architekturzeitschrift des Landes, organisiert und von VELUX Kroatien unterstützt worden.

Das ‘Haus der kroatischen Künst-ler‘ beginnt sich mit Menschen zu füllen; es herrscht geschäftige Be-triebsamkeit und deutlich spür-bare, gespannte Vorfreude. Auf der Galerie im Obergeschoss steht Glenn Murcutt und gibt zwei Hel-fern kurze, präzise Anweisungen

für die Hängung der Exponate. Ei-gentlich stünde jetzt eine Presse-konferenz auf Murcutts Terminplan, doch die Präsentation seiner Arbeit hat Vorrang. Mehr als dreißig Fo-tografi en, Skizzen und Werkpläne wollen in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht werden. Murcutt zeichnet noch immer alles mit Hand, selbst die Ausführungspläne. Es ist dies vielleicht nicht die einzig mögliche, aber eine überaus logische Art der Darstellung für einen großen Ent-werfer, der sich seit über 35 Jahren auf der Suche nach dem perfekten Detail und nach der bestmöglichen Fügung der Baumaterialien befi ndet. Auch heute, in Zagreb, hält Murcutt oft inne und erläutert den Umstehen-den ein Detail oder eine Skizze. Der große Architekt erscheint nahbar, er nimmt sich die Zeit, seine Architek-tur jedermann zu erklären, der zuhö-ren will. Dieser Eindruck setzt sich auch während der Pressekonferenz fort, die bald darauf doch noch be-ginnt. Murcutt nimmt sich Zeit für jeden Einzelnen; jede Frage ist es ihm wert, ausführlich diskutiert zu wer-den. Seine Antworten sind präzise und nahezu druckreif formuliert. Sie lassen seine langjährige Erfahrung im Umgang mit der Öff entlichkeit erahnen und wirken doch nie einstu-diert. Stattdessen wird darin auch heute noch die Begeisterung spür-bar, die Glenn Murcutt für seine Ar-beit empfi ndet – eine Begeisterung, die bereits Tausende von Zuhörern seiner Vorträge und Hunderte sei-ner Studenten in aller Welt ange-steckt hat. FO

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D&A Herr Murcutt, wir treff en uns hier in der kroatischen Hauptstadt Zagreb. Sie haben diesen Teil Euro-pas bereits früher kennen gelernt. Was waren damals Ihre Eindrücke?

GM Meine Reise entlang der dal-matischen Küste im Jahr 1963 hat meine Denkweise nachhaltig ge-prägt, insbesondere durch die Unver-fälschtheit der dortigen Architektur. Was mich damals so beeindruckte, lässt sich vortreffl ich mit dem alt-modischen Ausdruck „Authentizität“ beschreiben: Es ist eine Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und ein Gefühl für das Material – allesamt in unserer heutigen Zeit sehr wichtige As-pekte. Das eigentliche Problem vor allem für junge Architekten besteht heute darin, diese fantastische Ar-chitektur quasi vor der Tür zu haben und sie dennoch nicht wirklich zu kennen. Ich denke, man muss über den Tellerrand hinausschauen, um das eigene Lebensumfeld besser be-urteilen zu können. Verständlicher-weise suchen viele junge Architekten weltweit nach Anregung und Inspi-ration. Wichtiger aber ist, zunächst seines eigenen Umfelds gewahr zu werden, bevor man eine individuelle Richtung einschlägt. Und diese muss nicht zwangsläufi g mit der allgemei-nen Bewegung konform gehen.

D&A Ihre Arbeit wird häufi g als modernistisch, humanistisch und zugleich als höchst individuell be-zeichnet, obschon die Moderne nor-malerweise mit dem Begriff des Kollektivismus verbunden wird. Wie

schätzen Sie die Moderne des 20. Jahrhunderts heutzutage ein?

GM Ich bin mit den frühen Arbeiten von Frank Lloyd Wright groß gewor-den, die vor dem eigentlichen Beginn der klassischen Moderne entstanden sind. Ich wuchs in einer Familie auf, die mich im Alter von 13 Jahren mit den Werken Mies van der Rohes be-kannt machte und mir Philip John-son näher brachte – vor allem seine frühen Arbeiten wie das Haus in New Canaan. Ich sah die herausragenden Werke von Craig Ellwood, die heut-zutage leider nur noch wenige Ar-chitekten in Kalifornien kennen. All dies entfachte in mir ein großes In-teresse für die moderne Bewegung in der Architektur. Leider wurde die Moderne dann sehr rasch dogma-tisiert. Sobald eine Bewegung zum Dogma wird, ist sie zum Untergang verurteilt. Dogma bedeutet, nicht weiter zu denken, sondern Vorgege-benes ohne Denken zu akzeptieren. Daher war für mich ab einem gewis-sen Zeitpunkt der Beginn einer neuen Bewegung absehbar, die schließlich als Postmoderne bekannt wurde. Diese Bewegung habe ich von dem Moment an abgelehnt, als ich zum er-sten Mal von ihr hörte. Stattdessen bewegte ich mich auf den Nebenwe-gen abseits der Mainstream- Archi-tektur und stellte mir Fragen: Was ist für mich relevant? (Die Moderne, ich erwähnte es schon). Was ist ir-relevant, weil es nicht funktioniert? Was ist in meiner Heimat umsetz-bar, und wie lässt sich die moderne Architektur ihrerseits hierdurch be-

einfl ussen? Ich wurde gewisserma-ßen zu einem Paria in der eigenen Gesellschaft, denn schließlich be-wegten sich alle in die gleiche Rich-tung, nur ich schwamm gegen den Strom. Erst vor 15 Jahren tauchte meine Arbeit unvermittelt wieder auf, als die Welt mitten in einer En-ergiekrise steckte. In dieser Krise wurden meine Entwürfe plötzlich so-wohl als Teil der Moderne wie auch als wegweisend für das 21. Jahrhun-dert anerkannt. Die Fähigkeit, Dinge so zu konstruieren, dass sie ohne Ver-lust an Nutzwert wieder in einzelne Teile zerlegt und wiederverwendet werden können, ist von hohem öko-logischem Wert. Die wesentlichen Materialkosten entstehen bei der Erstverwendung, die Wiederver-wertung ist deutlich kostengünstiger. Schließlich ist die Architektur keine statische Wissenschaft, sondern un-terliegt einem stetigem Wandel und ist für alle Neuerungen off en – vo-rausgesetzt, unser eigenes Architek-turverständnis wird hierdurch nicht beeinträchtigt.

D&A Würden Sie sich als „Neotradi-tionalisten” bezeichnen?

GM Nein, denn ich bin kein Tradi-tionalist. Traditionen interessieren mich zwar sehr, weil ich sie für einen wichtigen Bestandteil unserer Ge-genwart und Zukunft halte und sie als integrative Kräfte in der Vergan-genheit sicherlich ihre Berechtigung haben. Wenn Sie beispielsweise die Werke eines Architekten wie Sverre Fehn betrachten, werden Sie fest-

stellen, dass wir beide eine ähnliche Auff assung von Altem und Neuem haben. Man kann auf Altes zurück-greifen, um Neues zu schaff en, aber man kann Neues auch ‚noch neuer’ gestalten, ohne Vergangenes zu ko-pieren. Die Vergangenheit im neo-traditionalistischen Sinne aufl eben zu lassen, liegt mir fern; ich orien-tiere mich vielmehr an der Zukunft. Nichtsdestotrotz befürworte ich eine gewisse Geradlinigkeit in der Architektur, die häufi g mit der Ver-gangenheit verbunden ist, da in der traditionellen Architektur klare und direkte Lösungen vorherrschten. Wir sollten die Dinge nicht verkomplizie-ren, sondern vereinfachen. Schließ-lich ist Vereinfachung das andere Gesicht der Komplexität. Vereinfa-chung – im Gegensatz zu ‘Simplizi-tät’ – beinhaltet Komplexität. Ein Neotraditionalist kann durchaus auch Neo-Simplizist sein. Mich hin-gegen interessieren die Komplexität der Vergangenheit und der Gegen-wart und die Frage, wie man die-ser Komplexität durch Schlichtheit Ausdruck verleihen kann. Traditio-nell denkende Architekten und Men-schen in der Vergangenheit trugen das Off ensichtliche und Logische in ihrem Körper und ihrem Geist. Zei-gen Sie mir ein modernes Bauwerk in diesem Teil der Welt, das an die Anmut der Mauern von Dubrovnik heranreicht. Nennen Sie mir einen modernen Architekten, dessen Gebäude die Qualität Trogirs err-reichen! Diese fantastischen Bau-werke beeindrucken allein durch ihre Schönheit. Sie off enbaren eine

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nahezu poetische Logik und reprä-sentieren den Fortbestand einer Tradition, in der Logik und Poesie harmonisch zusammenklingen. Und genau diese Verbindung von ratio-nalen und poetischen Aspekten ist es, die mich fasziniert. Um also auf Ihre Frage zurückzu-kommen: Ich sehe mich nicht als Neo-traditionalisten, ich richte mein Au-genmerk vielmehr auf Gegenwart und Zukunft. Andererseits interes-siert mich natürlich der in der Ver-gangenheit bewiesene Sinn für Vernunft. Ich achte den mensch-lichen Verstand sehr, stupide Denk-spiele hingegen gefallen mir gar nicht. Und meines Erachtens werden in der zeitgenössischen Architektur zu häu-fi g Denkspiele betrieben, die in kei-nerlei Verbindung zu unserem Geist, unserem Dasein, unserer Landschaft und unserer Umgebung stehen.

D&A Sie arbeiten am liebsten al-lein, lehren jedoch an Universitäten in aller Welt. Wie vermitteln Sie an-deren Ihre Erfahrungen, und welche Erfahrungen haben Sie bislang mit Studenten gemacht?

GM Seit 35 Jahren arbeite ich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – völlig allein. Nur bei größeren Auf-trägen habe ich gelegentlich mit anderen zusammengearbeitet, so zum Beispiel bei dem Projekt des Arthur and Yvonne Boyd Centers, das ich damals aus Zeitmangel nicht allein übernehmen konnte. In die-sem Fall war meine Frau, die auch Architektin ist und ebenfalls keine

Angestellten beschäftigt, meine gleichberechtigte Proektpartnerin. Natürlich ist es schwierig, eigenes Wissen oder eigene Wertvorstel-lungen zu vermitteln, wenn man keine Studenten im Büro beschäf-tigt. Aber durch internationale Lehr-aufträge unterhalte ich jedes Jahr zu etwa 60 Studenten regen Kontakt. Bei jährlich 60 Studenten im Laufe von 30 Jahren ergibt sich zwangs-läufi g ein gewisser Einfl uss. Ein anderer wichtiger Aspekt ist, dass ich keine Großaufträge über-nehme. Ich denke, dass die meisten Großaufträge von Kunden erteilt werden, auf die man verzichten kann. Zu Beginn meiner Karriere sagte mein Vater einmal zu mir: “Mit dem Einstieg ins Berufsleben solltest du von Anfang an deinen Prinzipien treu bleiben. So gut wie jeder Kom-promiss, den du wissentlich bei dei-ner Arbeit eingehst, und so gut wie das hieraus resultierende Endergeb-nis wird dein jeweils nächster Kunde sein.” Diese Binsenweisheit trägt viel Wahres in sich und hat, so fi nde ich, nichts mit Ego oder Arroganz zu tun: Einen Kompromiss einzuge-hen bedeutet, bewusst etwas zu tun, von dem man weiß, das man es ei-gentlich nicht tun möchte. Das heißt aber nicht, dass man eine Arbeit, mit der ein Kunde unzufrieden ist, nicht überdenken und umgestalten sollte. Im Gegenteil, diesem Wunsch habe ich schon oft gerne entsprochen und werde dies auch künftig tun. Grund-sätzlich sollte aber das Folgeresultat die Qualität der ersten Arbeit über-treff en.

Ein beständiger Austausch und die Weitergabe meines Wissens an Studenten sind daher durchaus ge-geben. Neben meiner außerordent-lichen Professur an der Universität von New South Wales werde ich demnächst eine zweite Professur an der Universität Sydney wahrneh-men. Abgesehen davon bin ich Frei-berufl er. Ich arbeite rund um die Uhr, sogar während der Flüge, und die ar-beitsfreie Zeit in den Morgenstunden widme ich meinen Lehraufträgen. Ich verbringe sehr viel Zeit mit mei-nen Studenten, unter anderem auf Exkursionen in Australien.

D&A Ein herausragendes Merkmal Ihrer Architektur ist deren Leichtig-keit, durch die sie sich sehr von den traditionellen Bauten subtropischer Regionen unterscheidet. Wie begeg-nen Sie dem Bedarf nach Wärmespei-cherung in Ihren Gebäuden?

GM Führen Sie sich einmal die Größe Australiens vor Augen: Die Ausdeh-nung unseres Kontinents entspricht in der Länge ungefähr der Entfer-nung zwischen der fi nnischen Stadt Oulu und Tunis, in der Breite in etwa der Distanz zwischen der spanischen Westküste und Tel Aviv. Bei einer Reise durch Australien triff t man daher auf unterschiedlichste Klima-zonen: Monsunregenwälder und tro-pische Feuchtgebiete, subtropisches Klima, Warm- und Kaltzonen mit ge-mäßigten Temperaturen und heiße Trockengebiete. Hier bei uns sind also alle erdenklichen Klimaverhältnisse vertreten.

90 % der australischen Bevölkerung leben an der Hauptwasserscheide oder in einer Entfernung von maxi-mal 100 km zur Küste. Von diesen wiederum besiedeln 70% die Ost-küste Australiens. Bei Projekten in den Monsungebieten sorge ich für extreme Leichtigkeit der Häuser, da sich die dortigen Temperatur-werte zwischen 26 und 33 Grad be-wegen und die Luftfeuchtigkeit von 30 Prozent im Winter bis 95 Pro-zent im Sommer reicht. Diese klima-tischen Verhältnisse erfordern eine außergewöhnlich effi ziente Belüf-tung. Die naturbelassenen Häuser haben off ene Böden, halbhohe Au-ßenwände und eine off ene Dachkon-struktion mit Abluftsystem. In den Monsungebieten ist eine leichte Kon-struktion ohne thermisch wirksame Masse absolut unerlässlich. Ein Stück weiter südlich an der Küste stoßen wir auf die subtropischen Re-gionen von Brisbane, wo ich bisher noch nicht gearbeitet habe, auch wenn einige meiner Gebäude wie das Short House ganz in ihrer Nähe liegen. Noch weiter südlich baue ich meine Häuser ebenerdig, mit Be-tonböden, Innenwänden aus Ziegel-stein und Außenwänden aus Holz. Dank der Holz- oder Metallverklei-dung sind diese Häuser sehr gut isoliert und stets Richtung Norden orientiert, was bei Ihnen dem Süden entspricht – nur sehr wenigen Leu-ten ist bewusst, dass die Sonne auf der Südhalbkugel am Nordhimmel steht. Dies sorgt für optimale Licht-verhältnisse. Schließlich gilt es zu bedenken, dass die Sonne im Winter

S.63 In einem mehr als zweiein-halbstündigen ‚Marathon‘-Vor-trag im Cinema Europa in Zagreb erläuterte Glenn Murcutt dem meist jungen kroatischen Publi-kum seine Arbeitsphilosophie und seine jüngsten Projekte.

Gegenüber und links Das Besu-cherzentrum für den Kakadu-Nationalpark in Nordaustralien entwarf Glenn Murcutt 1992–1994 gemeinsam mit Troppo Architects. Typisch für Murcutts Bauten in tropischen Regionen ist die leichte Bauweise und das weit überstehende, Schatten spendende Dach, unter dem die kühlende Brise ungehindert hin-durchstreicht.

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bei 25 Grad im Nordosten aufgeht und mittags nur einen Einfallwinkel von 31 Grad erreicht. Bei der Tag-undnachtgleiche geht die Sonne genau im Osten auf und steigt mit-tags auf 55 Grad. Im Sommer geht die Sonne bei 25 Grad im Südos-ten auf, erreicht einen Höchststand von 78 Grad und geht dann erneut in 25 Grad südwestlicher Richtung unter. Dies verlangt Konstruktionen, die durch Dachvorsprünge vor der Sommersonne geschützt sind, um zu dieser Jahreszeit jede Wirkung der thermischen Masse zu unterbin-den. Im Winter hingegen, wenn die Sonne einen Höchststand von nur 31 Grad erreicht, fällt das Licht tief ins Haus hinein und erwärmt das innere Mauerwerk. Die thermisch wirksame Masse wird warm, und die Isolierung speichert die Wärme in den Innen-räumen. Um fünf Uhr nachmittags werden die Außenwände geschlos-sen, und das Mauerwerk sorgt für eine angenehme Wärme im Hausin-neren während der ganzen Nacht. Um Ihre Frage zu beantworten: Ich befolge ein konkretes Konzept der Wärmespeicherung. Meine Ge-bäude in den heißen Trockenzonen

– wie beispielsweise ein von mir ent-worfenes Museum in Broken Hill

– besitzen auf der Nordseite eine Wandstärke von 800 Millimetern und auf der Südseite von 600 Mil-limetern, um die täglichen Tempera-turschwankungen zwischen 40° C bei Tag und 18° C bei Nacht zu kom-pensieren. Sie sehen also, dass ich in der Tat bei meinen Konstruktionen die klimatischen Verhältnisse in ähn-

licher Weise berücksichtige, wie dies in bestimmten Teilen Europas oder in Nordafrika üblich ist.

D&A Wie überprüfen Sie die Wirkung des Tageslichts in Ihren Projekten? Bauen Sie Modelle?

GM Nein. Ich habe ein natürliches Gespür dafür, das es mir erlaubt, die Lichtverhältnisse im Vorhinein ein-zuschätzen.

D&A Und vermutlich eine Menge Er-fahrung im Umgang mit Tageslicht?

GM Selbstverständlich. Wenn Sie mit 70 Jahren noch keine Erfah-rungen gesammelt haben, haben Sie ein Problem.

D&A Muss die Lage eines Grund-stücks Sie inspirieren, damit Sie einen Auftrag annehmen?

GM Nein. Der wichtigste Aspekt bei der Annahme eines Auftrags ist ein guter Bauherr. Gute Bauherren sind Gold wert. Daher habe ich eine ge-wisse Arbeitsweise entwickelt – zu-nächst willkürlich, nunmehr aber bewusst -, die bedeutet, dass jeder, der mich darum bittet, ein Haus für seine Familie in Australien zu pla-nen, drei bis vier Jahre warten muss, bevor ich das Bauvorhaben in An-griff nehme. Da ich stets bis zu 13-14 Projekte vor mir habe, muss sich jeder zwangsläufi g in diese Warte-schlange einreihen. So trennt sich die Spreu sehr schnell vom Weizen, da nur die besten Kunden diese Warte-

zeit in Kauf nehmen. Und wenn ich mich dann endlich ihrem Projekt widme, sind sie derart erleichtert und dankbar, dass die Zusammen-arbeit eine wahre Freude ist. Nicht umsonst zählen die meisten meiner Kunden heute zu meinen Freunden.

D&A Sie bauen also ein enges Ver-hältnis zu Ihren Bauherren auf?

GM Durch die zahlreichen Bespre-chungen – vom Zeitpunkt meiner Zu-sage bis zu dem Moment, wenn ich drei bis vier Jahre später das Projekt tatsächlich in Angriff nehme – baut sich in der Tat ein inniges Verhältnis auf. Wir treff en uns häufi g, auch um den Standort zu besuchen und die Wünsche der Bauherren zu bespre-chen. Interessanterweise weichen die ersten Vorstellungen der Bauherren meist enorm vom letztendlichen Er-gebnis ab. Anfänglich stehen eher die Wünsche als die Bedürfnisse im Vor-dergrund. Nach drei Jahren Warte-zeit aber, wenn die Kinder nicht mehr sechzehn, sondern neunzehn sind, wandeln sich die Ansprüche, und das ursprünglich geplante Kinderzimmer soll nun ein (kleineres) Gästezimmer werden, da die Kinder mittlerweile an einer auswärtigen Universität stu-dieren. Das Warten bringt also auch deutliche Einsparungen. Derartiges erlebe ich immer wieder, so dass sich das Arbeiten mit einer Warteliste durchaus rentiert – und die Kunden warten!Ich möchte Ihnen eine kurze Ge-schichte über meine Beziehungen zu den Bauherren erzählen: Es war bei

meiner ersten Begegnung mit Ken-neth Frampton. Ich lehrte damals an der Kunstakademie der Universi-tät Pennsylvania, als er vor einem Pu-blikum von 400-500 Zuhörern zu mir aufs Podium gebeten wurde, um mich zu interviewen. Das Interview verlief sehr gut, da Kent immer äußerst prä-zise Fragen stellt. Acht Jahre später – also vor fünf Jahren – stellte er mich an der Universität Columbia vor. Er erklärte dem Publikum, wann und wie wir uns kennen lernten, und fuhr dann fort: „Nur bei ein oder zwei Fra-gen während dieses Interviews zwei-felte ich den Wahrheitsgehalt von Glenns Antworten an und hakte des-halb nach.” Eine der Fragen betraf die Auswahl meiner Projekte: Wie wähle ich meine Kunden aus? Wähle ich sie oder wählten sie mich aus, oder hielt sich das in der Waage? „Wir sprachen damals über diese Warteliste, und ich äußerte meine Zweifel über die Exi-stenz einer solchen Liste”, sagte Kent, um als echter englischer Gentleman hinzuzufügen: „Wir Briten achten die Australier durchweg als off enes, herz-liches und kreatives Volk mit Ecken und Kanten – aber halten sie ja ehr-lich gesagt auch für ein bisschen un-zivilisiert. Meine Nachforschungen in Australien bestätigten allerdings, dass Glenn die Wahrheit sagte – er hat tatsächlich eine Warteliste! Als ich das erfuhr, musste ich mein Ur-teil über Australien grundlegend re-vidieren: Eine Gesellschaft, in der man bereit ist, drei Jahre lang auf einen Architekten zu warten, gehört mit Sicherheit zu den zivilisiertesten Na-tionen der Welt!”

Links Blick in die Galerie im ‚Haus der kroatischen Künst-ler‘, den Schauplatz der Ausstel-lung. Eine Kuppel aus Hunderten kleiner Glasbausteine erhellt die zentrale Rotunde.

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Guggenheim Museum BilbaoHost of the award event for

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JAMES CARPENTER – ENVIRONMENTAL REFRACTIONS

Autor: Sandro MarpilleroBirkhäuser Verlag ISBN 3-7643-6249-9

Der amerikanische Künstler James Carpenter, der zuerst kurz Architek-tur und dann Bildhauerei an der Rhode Island School of Design studierte, er-hielt seine entscheidende Prägung während der zehn Jahre, die er als Berater des amerikanischen Glas-herstellers Corning arbeitete. Noch heute wird Carpenter gelegentlich als ‚Glaskünstler‘ apostrophiert – eine Bezeichnung, die ihm eigentlich nicht gerecht wird, denn „Carpenters kreative Laufbahn hat sich […] wäh-rend der letzten 25 Jahre immer wei-ter vom selbstreferenziellen Bereich künstlerischer Glasobjekte zu einer engeren Integration in architekto-nische Entwurfsprozesse hin entwi-ckelt“, wie Sandro Marpillero in der Einleitung zu seinem Buch bemerkt. Marpillero, selbst Architekt und Do-zent an der Harvard University, stellt in den drei Kapiteln von ‚Environmen-tal Refractions’ insgesamt 23 Werke des Künstlers vor. Der erste Ab-

schnitt, ‚Refractions’ (Brechungen) handelt von Carpenters Arbeit mit Licht und Glas. Bewusst bricht Car-penter mit der Mies’schen Tradition des idealen, weil total durchsichtigen Glaskörpers, indem er dichroitische, geätzte oder geschliff ene Spezialglä-ser nutzt, die das Licht spiegeln und brechen und den Betrachter so den Gang der Sonne um das Gebäude er-leben lassen.

Im Mittelpunkt des zweiten Kapi-tels ‚Constructions‘ (Konstruktionen) steht das im Frühjahr 2006 vollen-dete Bürohochhaus ‚7 World Trade Center‘ in New York, bei dem Carpen-ter gemeinsam mit den Architekten SOM – Skidmore Owings & Mer-rill ein Fassaden- und Lichtkonzept entwickelte. Bei diesem Projekt do-kumentiert Marpillero bewusst den gesamten Entwurfs- und Bauprozess und illustriert damit, wie nahtlos die Arbeit der Architekten, der Künstler (Carpenter und die Lichtkünstlerin Jenny Holzer) sowie der Ingenieure (Schlaich Bergermann und Partner) ineinander griff en.

Das dritte Kapitel ‚Apparatuses’ (Apparate) schließlich zeigt frühe Vi-deoarbeiten Carpenters neben zeit-genössischen Architekturentwürfen. Beiden gemein ist die Interaktion mit der Wahrnehmung des Besuchers. Für die Tulane University in New Or-leans etwa konzipierte Carpenter gemeinsam mit Vincent James As-sociates Architects und den Ingeni-euren von Transsolar den Umbau des ehedem von der Außenwelt abge-kapselten, künstlich klimatisierten Universitätszentrums in einen ‚at-menden‘, transparenten Skelettbau vom Typ des traditionellen Veranda-hauses. An die Stelle der Klimaanlage tritt nun ein System sichtbarer und leicht verständlicher Verschattungs-, Kühlungs- und Lüftungselemente, die die Reaktion des Bauwerks auf das Außenklima für jedermann nachvoll-ziehbar machen.

Sandro Marpillero ist an seine Aufgabe als Autor von ‚Environmen-tal Refractions’ mit wissenschaft-lichem Ernst herangegangen. Mit bloßem Staunen über die optischen Eff ekte in Carpenters Arbeiten gibt er sich nie zufrieden; immer will er den Leser auch über deren Konstruktion und Funktion aufklären. Seine Ana-lysetexte sind scharfsinnig, aber nur für Carpenter-Kenner auf Anhieb ver-ständlich. Als Einstieg geeignet sind daher am ehesten die Projektdoku-mentationen, die Marpillero und seine Mitarbeiter mit zahlreichen, eigens für das Buch neu gezeichneten Dia-grammen illustriert haben. Im Zusam-menspiel mit dem recht kleinteiligen Layout geben sie dem Band einen sehr technischen, fast lehrbuchhaften Charakter, aber auch einen hohen In-formationswert.

Angesichts des großen medialen Interesses, das andere Grenzgänger zwischen Architektur, Kunst und In-genieurwesen derzeit erfahren, er-scheint ‚Environmental Refractions’ als erste ausführliche Carpenter-Mo-nografi e eigentlich recht spät. Um so erfreulicher ist das Bestreben des Au-tors nach Logik, Klarheit und Nach-vollziehbarkeit – nach Tugenden also, die Kunst- und Architekturbüchern in der Regel eine über den Tag hinaus rei-chende Halbwertszeit verleihen.

MADE OF LIGHTThe Art of Light and Architecture

Autoren: Mark Major, Jonathan Speirs, Anthony TischhauserBirkhäuser Verlag ISBN 3-7643-6860-8

Licht ist die Grundlage unserer visu-ellen Wahrnehmung – und diese wie-derum zeichnet für 80 Prozent aller Sinnesreize verantwortlich, die in unserem Gehirn verarbeitet werden.

Architektur ist ihrerseits eine Kunst, die sich dem Menschen ganz über-wiegend auf visuellem Wege mitteilt. Es war daher nur folgerichtig, dass im Zuge einer wachsenden Speziali-sierung in der Architektur in den ver-gangenen 20 Jahren auch der Beruf des ‚Lichtarchitekten‘ entstand. Zu den bekanntesten Vertretern dieses Genres gehören die Briten Jonathan Speirs und Mark Major. Gemeinsam zeichneten sie für so bekannte Pro-jekte wie das Burj Al Arab in Dubai, die Gateshead Millennium Bridge oder die neue Oper in Kopenhagen verantwortlich. In ihrem Buch ‚Made of Light‘versuchen Speirs und Major gemeinsam mit dem Architekturkri-tiker Anthony Tischhauser, das Me-dium, mit dem sie arbeiten, und seine Eigenschaften zu analysieren.

Die Kapitelüberschriften wie Source (Quelle), Contrast (Kontrast), Surface (Oberfl äche), Colour (Farbe), Movement (Bewegung), Boundary (Grenze) und Magic (Magie) deuten bereits an, dass die reine Licht-Tech-nik in diesem Band nur eine unter-geordnete Rolle spielt. Nach einem kurzen Abriss über die Geschichte der Architekturbeleuchtung wid-men sich die drei Autoren der Unter-suchung einzelner Lichtphänomene. Die Problematik dieses Vorhabens wird rasch erkennbar: Wie zum Beispiel lässt sich die Wechselwir-kung von Licht und Oberfl ächen be-schreiben, ohne dabei in Platitüden abzugleiten oder tief in die Details der optischen Physik vorzudringen? Major, Speirs und Tischhauser bedie-nen sich vor allem unzähliger inspirie-render, aber auf den Seiten oftmals zu dicht gedränger Fotografi en von Lichteff ekten und Beleuchtungssi-tuationen. Im Gegensatz hierzu über-zeugen die relativ langen Texte nur selten; es handelt sich meist um eine lose Aufzählung von Lichtphäno-menen oder Beispielen aus der (Licht-)Architektur, ohne rechten Fluss und

BÜCHERREZENSIONENZum Weiterlesen: Aktuelle Bücher,präsentiert von D&A.

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bei der Betrachtung des Ozeans (die Welle, als Sinnbild der Bewegung und zugleich Erscheinungsform des Lichts, nimmt in Eliassons Werk eine zentrale Rolle ein). Unbedingt lesens-wert ist auch ‚The Hegemony of TiO²’, ein Gespräch zwischen Olafur Eli-asson, Daniel Birnbaum und Mark Wigley über die Farbe Weiß und ihre Bedeutung in der modernen Ar-chitektur, speziell im Museumsbau. Wigley, der mit ‚White Walls and De-signer Dresses’ Mitte der 90er Jahre ein wegweisendes Buch zum Thema verfasst hat, unternimmt darin eine eloquente und kritische Bestands-aufnahme der klassisch-modernen Architektur. Sie war nach seiner Dar-stellung ursprünglich ebenso wenig weiß wie Weiß in der Architektur als ‚neutrale’ Farbe gelten kann.

Konstruiert Eliasson mit den Textbeiträgen gleichsam den philo-sophisch-naturwissenschaftlichen Referenzrahmen seines Werks, so beeindrucken die Fotografi en von Jens Ziehe im vorliegenden Buch auch ohne Worte. Was Eliasson in den zumeist nachtschwarzen Räu-men aus Licht und Materie (zumeist Wasser und Dampf, Metalle und ver-schiedene Gläser) ‚zaubert’, macht staunen und regt zugleich zum Nach-denken und Nachvollziehen an. Denn Eliasson hat es sich zum Prinzip ge-macht, dem Betrachter stets das ganze Geheimnis seiner Installatio-nen zu enthüllen – jeden Projektor, jeden Spiegel und jeden Farbfi lter. Dass mit so wenig Materialeinsatz so viel Wirkung erzeugt werden kann, überrascht dennoch immer wieder aufs Neue. Dem zeitgenössischen, an das ‚anything goes’ digitaler Bildme-dien gewohnten Kunstkonsumenten fällt es off enbar zusehends schwer, der Authentizität von Eliassons Ar-beiten Glauben zu schenken.

werken ist das Chichu Art Museum eine sehr ausgesuchte, aber ein-drucksvolle Sammlung.

YOUR ENGAGEMENT HAS CONSEQUENCES

Herausgeber: Olafur EliassonLars Müller PublishersISBN 3–03778–075–4

Über mangelnde Medienresonanz kann sich der dänisch-isländische Licht- und Installationskünstler Ola-fur Eliasson gewiss nicht beklagen. Glaubt man dem Anhang des vorlie-genden Buches, so sind allein seit der Jahrtausendwende 24 Bücher von ihm oder über ihn erschienen – und es werden beinahe monatlich mehr. Mit ‚Your Engagement Has Conse-quences’ scheint Eliasson nunmehr der ausufernden Publikationsfl ut Einhalt gebieten zu wollen: Der gut 300 Seiten starke Katalog dokumen-tiert gleich drei Ausstellungen auf einmal, in ausdrucksstarken Farbfo-tos, nebst vier Texten über wichtige Themen, die Eliasson derzeit beschäf-tigen. Den Auftakt macht der recht langatmige Aufsatz ‚Vibrations‘, in dem der Künstler die Dimensionen seiner Arbeit erörtert: den Raum, die Zeit und – gleichsam als ‚fünfte Di-mension‘ - die Wahrnehmung des Be-suchers. Sein Credo fasst er gleich im ersten Satz zusammen: „Ich glaube, dass alles in einen Prozess einge-bunden ist – alles ist in Bewegung, schneller oder langsamer, und alles ist durch Absichten gefärbt.“

Wie sich auch über Naturphä-nomene schreiben lässt – nämlich knapp, konzentriert und beinahe meditativ – demonstriert im dar-auf folgenden Kapitel Italo Calvi-nos wunderbarer Text ‚Reading a Wave‘. Darin beschreibt der italieni-sche Schriftsteller seine Eindrücke

Turrell und Walter De Maria. An der Küste der nur per Fähre erreichbaren Insel Naoshima im westjapanischen Seto-Binnenmeer verwirklichte Tadao Ando in enger Zusammen-arbeit mit den beiden Künstlern diesen Traum. Es entstand ein un-terirdisches, ausschließlich von oben belichtetes Gebäude aus ge-ometrischen Grundformen. Jedem der drei Künstler steht ein unabhän-giger Ausstellungsraum zur Verfü-gung, dessen Maße zunächst auf 10 mal 10 Meter festgelegt waren, sich dann jedoch entsprechend der Ent-wicklung der Kunstwerke zu ver-ändern begannen. Die Räume sind durch Korridore verbunden, die so windungsreich wie möglich ange-legt sind und bewusste Gehpausen zwischen dem Kunstgenuss der ein-zelnen Werke entstehen lassen. Zwei off ene Lichthöfe komplettieren den Museumsrundgang. Einer von ihnen ist quadratisch und grasbewachsen, der andere hat die Form eines gleich-seitigen Dreiecks und wurde mit gro-bem Schotter gefüllt. Das Museum gewährt ausschließlich Ausblicke nach oben. An Stelle der Öff nung zur Landschaft treten eine nahezu meditative Introvertiertheit und die Konzentration auf die ausgestell-ten Kunstwerke und die Lichtstim-mungen in den Räumen.

Das 2005 erschienene Buch zeigt auf 208 Seiten neben Farbauf-nahmen der Museumsarchitektur und der ausgestellten Kunstwerke auch Skizzen Tadao Andos, Modell-fotos und Schwarzweiß- Fotografi en aus der Bauzeit. Bei den Abbildungen wird gänzlich auf Bildunterschrif-ten und erklärende Grundrisse und Schnitte verzichtet. So sucht der Leser vergeblich detaillierte Informa-tionen über Funktions- und Raumzu-ordnungen. Die Stimmung des Ortes, die Atmosphäre der Räume und die Kunst stehen im Mittelpunkt des In-teresses. Mit seinen ‚nur‘ neun Kunst-

oft auch ohne erkennbaren Zusam-menhang. ‚Made of Light‘ ist mithin kein Buch für die einmalige, geradli-nige Lektüre, eher ein Bildband zum Blättern und Sich-Treibenlassen. Seine Qualitäten hat es ganz überwie-gend den Illustrationen sowie den ge-legentlichen (und beinahe zu seltenen) Exkursen in architekturferne Gefi lde zu verdanken. Zwischen die Kapitel eingestreut sind immer wieder Zitate von Vertretern unterschiedlichster Berufsgruppen zum Thema ‚Licht‘: von Minenarbeitern, Piloten, einer sehbehinderten Künstlerin, einem Schauspieler und einer Zahnärz-tin. Sie und einige lichtkünstlerische Statements – etwa aus der Fotogra-fi e oder der Installationskunst – sind eine ungemeine Bereicherung für das Buch. Nicht von ungefähr beto-nen auch Speirs und Major in einem Interview ganz am Ende von ‚Made Of Light‘, dass sie immer wieder von anderen Disziplinen – etwa der Thea-terbeleuchtung – lernen.

CHICHU ART MUSEUMTadao Ando builds for Walter De Maria, James Turrell and Claude Monet

Herausgeber: Naoshima Fukutake Art Museum FoundationHatje Cantz Verlag 2005ISBN 3-7757-1460-X

Das im Jahr 2004 eröff nete Chi-chu Art Museum geht auf die Initi-ative des japanischen Verlegers und Kunstsammlers Soichiro Fukutake zurück. Als Besitzer einer der größ-ten Sammlungen von Monets See-rosenbildern wollte er seine Bilder in einem neuen Museum zeitgemäß präsentieren, ergänzt durch eigens für diesen Ort geschaff ene Arbeiten der amerikanischen Künstler James

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EMPFEHLEN

Cabinets of Curiosities Autor: Patrick MaurièsThames & Hudson 2002ISBN 0–500–51091–1

Kuriositätenkabinette, jene merk-wür-digen und meist unwissenschaft-lichen Sammlungen kleiner ‚Wunder‘ aus aller Herren Länder, waren ein ty-pisches Attribut barocker Herrscher-häuser. Darin wurde alles aufbewahrt, was kostbar, exotisch oder auch nur kurios war: ausgestopfte Tiere, Kunst-gewerbe fremder Völker, Wachsfi -guren und Totenmasken. Nachdem der Raumtypus mit Beginn der Auf-klärung nahezu in Vergessenheit ge-raten war, ist er in den vergangenen Jahren wieder in den Mittelpunkt des Interesses von Kunsthistorikern und Innenarchitekten gerückt. In seinem Buch dokumentiert Patrick Mauriès, was von den Kabinetten erhalten blieb und rekonstruiert, was verschwun-den ist, er porträtiert die Sammler, die sich in ihnen zu verewigen wünschten, und untersucht die Faktoren, die zum Revival der Kuriositätenkabinette bei-getragen haben.

The Good LifeA Guided Visit to the Houses of ModernityAutor: Iñaki AbalosEditorial Gustavo Gili 2001ISBN 84–252–1830–6

In seinem Essay entführt der spa-nische Architekt Iñaki Abalos seine Leser auf sieben ‚Spaziergänge‘ zu archetypischen Wohnhäusern des 20. Jahrhunderts. Darunter ist je-doch keines der üblicherweise in den Geschichtsbüchern kommen-tierten Bauwerke zu fi nden – also keine Villa Tugendhat, keine Villa Savoye und kein Fallingwater – son-dern vielmehr imaginäre Bauten, an denen der Autor die Wesenszüge der Architektur des 20. Jahrhunderts in konzentrierter Form erläutert. Die Ausfl üge ins Reich der Fantasie sol-len nach Angaben des Verlags „nicht nur die Vielfalt des Wohnhauses im 20. Jahrhundert würdigen, sondern auch die Freude am intensiven Den-ken, Planen und Wohnen stimulieren und zum Entstehen eines Hauses bei-tragen, das bislang noch nicht exi-stiert.“

L‘Invention du ChicThérèse Bonney et le Paris moderneAutorin: Lisa Schlansker KolosekÉditions Norma 2002ISBN 2–909283–72–0

Dieses Buch lässt den Leser das Paris der Zwischenkriegszeit wie-derentdecken. Gezeigt wird das Ar-chiv der Journalistin und Fotografi n Thérèse Bonney (1894–1978), das heute im Cooper-Hewitt National Design Museum in New York lagert. Bonney gilt als Gründerin der ersten amerikanischen Fotoagentur, die sich auf Architektur- und Innenar-chitekturaufnahmen spezialisiert hatte. Durch ihr Werk kamen zahl-reiche ihrer Landsleute erstmals mit den Werken von Eileen Gray, Pierre Chareau, René Herbst und anderen bedeutenden europäischen Innenar-chitekten in Kontakt. Einen besonde-ren Schwerpunkt in Bonneys Arbeit

– und in diesem Buch – bilden jedoch Robert Mallet-Stevens‘ Villa der Fa-milie Noailles in Hyères sowie das von Jean-Michel Frank gestaltete Privathaus der gleichen Auftragge-ber in Paris.

Sense of the CityAn Alternative Approach to UrbanismHerausgeber: Mirko ZardiniLars Müller Publishers 2005ISBN 3–03778–060–6

Der Katalog ‚Sense of the City‘ ent-stand anlässlich der Ausstellung glei-chen Namens im Canadian Centre for Architecture in Montreal. Das Buch stellt die Dominanz des Visuellen in der heutigen Stadtlandschaft infrage und rückt dagegen eine komplexere Analyse der Qualitäten, Kommunika-tionssysteme und sensorischen Ei-genschaften unserer Städte in den Vordergrund. Die Themen reichen von der (heute oftmals verschwundenen) nächtlichen Dunkelheit über die Ge-räuschkulisse der Stadt bis zur Luft-qualität und zum Stadtklima – ganz im Sinne von Cedric Price, der einmal anmerkte, dass in unseren Städten

„mentales, physisches und senso-risches Wohlbefi nden notwendig sind“. Fotos aus der Ausstellung illus-trieren die Textbeiträge im Buch, die unter anderem von Constance Clas-sen, David Howes, Emily Thompson und Mirko Zardini stammen.

BÜCHEREMPFEHLUNGENEuropäische Architekten empfehlen ihre Lieblingsbücher in D&A.

The Architecture of Ralph Erskine Autoren: Ralph Erskine, Peter CollymoreJohn Wiley & SonsISBN 1854903845

Der 1914 in London geborene und 1939 nach Schweden ausgewan-derte Peter Erskine gehört zu den großen Humanisten unter den Ar-chitekten der Moderne. Nach dem Zweiten Weltkrieg unternahm der überzeugte Pazifi st Erskine mit sei-nen Gesinnungsgenossen des ‚Team Ten‘ den Versuch, dem in seinen Augen allzu steril gewordenen Funk-tionalismus ein humaneres Antlitz zu verleihen. Auch wenn er in seiner Hei-mat England mit einzelnen Projekten wie der berühmten ‚Byker Wall‘ Spu-ren hinterließ, lebte und arbeitete er bis zu seinem Tod 2005 in Schweden. Peter Collymores erstmals 1982 er-schienenes und 1995 nochmals ak-tualisiertes Buch gehört zu en ersten Versuchen, Erskines umfassendes Werk in einem Buch zu vereinen. Es hat bis heute nichts an Aktualität verloren.

EMPFIEHLT

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FRANCINE HOUBEN

HENNING THOMSEN

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EMPFIEHLT

New Sacred Architecture Autorin: Phyllis Richardson Laurence King Publishers 2004ISBN: 1856693848

In ihrem Buch gibt Phyllis Richardson einen Überblick über die derzeitigen Entwicklungen in der weltweiten Sa-kralarchitektur. 41 Kirchen, Synago-gen, Moscheen und Tempel, allesamt jüngeren Datums, beantworten die Frage, wie sich Glauben heute in ge-bauter Form ausdrückt. Richardson hat die durch Pläne und großfor-matige Farbtafeln dokumentierten Bauten nach rein architektonischen Gesichtspunkten in fünf Kapitel ein-geteilt. Im Vordergrund stehen dabei Fragen nach dem Standort, der Größe und dem Repräsentationsanspruch der Bauten, weniger nach Glaubens-inhalten und damit zusammenhän-genden Nutzungsarten. Rückgriff e auf mögliche historische Vorbilder der Bauten liefert das Buch kaum. Den-noch dürfte es schwer fallen, derzeit einen zweiten, ähnlich ‘interkulturell’ angelegten Überblick über die welt-weite Sakralarchitektur zu fi nden.

Modern Architecture: A Critical History 3rd Edition Autor: Kenneth Frampton Thames & Hudson 1992ISBN 0500202575

Seit ihrer Erstaufl age in den 80er Jahren ist diese Rückschau auf die Architekturmoderne zum Klassiker geworden. Das oft als ‚Verteidigungs-rede‘ auf die moderne Bewegung apo-strophierte Buch beeindruckt durch inhaltliche Dichte und den Kennt-nisreichtum des Autors. Es gelingt Frampton, die vielfältigen Entwick-lungsstränge der Architektur des 20. Jahrhunderts in eine stringente Erzählreihenfolge zu bringen. Seine Art der Darstellung ist gerade für Laien nicht immer leicht verständ-lich, zumal er neben den wichtigsten Bauten und ihren Baumeistern auch das Gedankengut zu vermitteln sucht, das die Moderne ‚im Innersten zusam-menhielt’. In der dritten, 1992 erschie-nenen Aufl age des Buchs schreibt Frampton die Geschichte bis Anfang der 90er Jahre fort und ordnet auch jüngere Bewegungen wie den Dekon-struktivismus historisch ein.

Delirious New York: A Retroactive Manifesto for ManhattanAutor: Rem KoolhaasMonacelli 1997ISBN 1885254008

Das Buch, das Rem Koolhaas schlag-artig berühmt machte, ist eine Ana-lyse und Hommage an seine einstige Heimat New York. Zugleich legte er damit bereits die Grundlage für spä-tere Veröff entlichungen seines Büros OMA: Sprache und Darstellung sind ebenso fakten- und bildreich wie as-soziativ; der Leser erfährt unend-lich viel Wissenswertes über den ‚Big Apple‘ und wird durch Koolhaas‘ stets provokante Thesen genötigt, eigene Überlegungen zu Vergangen-heit und Zukunft der Metropolen der Welt anzustellen. Denn obwohl Ko-olhaas sich New York zum Thema macht und die Stadt an einer Stelle im Buch als ‚Stein von Rosetta‘ be-zeichnet, der es erlaube, das 20. Jahrhundert zu dechiff rieren, gilt ‚Delirious New York‘ als urbanes Ma-nifest, dessen Wirkungsradius weit über die Riesenstadt am Hudson River hinausreicht.

EMPFIEHLT

Ecological Refl ections in Architecture Autor: Claus Bech-DanielsenThe Danish Architectural PressISBN 87-7407-340-0

Nahezu die Hälfte der in der west-lichen Welt verbrauchten Energie fl ießt in den Bau und Betrieb von Gebäuden. Nicht von ungefähr sind ‘Nachhaltigkeit’ und ‘Energieeffi zienz’ daher zu zwei der meistgebrauchten Schlagworte auch in der Architek-turdebatte geworden. In seinem Buch, das im Wesentlichen auf sei-ner Doktorarbeit am Danish Building Institute und der Technischen Uni-versität Berlin basiert, untersucht Claus Bech Danielsen die soziokultu-rellen und philosophischen Aspekte unserer Einstellung zur Umwelt. Er plädiert dafür, Ökologie und gute Gestaltung nicht länger als zwei wi-derstrebende Faktoren in der Archi-tektur aufzufassen, sondern beide zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden.

Techtonic Visions – in Architecture Autorin: Anne BeimThe Danish Architectural PressISBN: 87-87136-59-7

‚Tektonik und die Ethik der Konstruk-tion‘ lautet der Untertitel des vorlie-genden Buches. Tektonik hat mit dem Entwurf formgebender Elemente und deren Verbindung zu einem großen Ganzen zu tun. Sie wirkt sich jedoch – so die These von Anne Beim – auch auf die ethische Dimension unserer gebauten Umwelt aus. Wie die beiden Faktoren miteinander zusammenhän-gen, erläutert die Autorin ganz am Ende ihres Buchs. Zuvor zeigt sie die Wechselwirkung von Idee, Form, Bau-technik und Struktur anhand der Mei-sterwerke einschlägiger Klassiker auf

– von Mies van der Rohe über Le Cor-busier, Charles und Ray Eames bis zu Louis Kahn und den Smithsons.

Great European Gardens Autoren: Margrethe Floryan, Sven-Ivar Andersson The Danish Architectural PressISBN: 87-7407-339-7

Das Wort ‚great‘ ist bei diesem Buch im doppelten Sinne zu verstehen. Mit ihrem großformatigen (35 x 35 cm) Werk haben Margrethe Floryan und Sven-Icar Andersson eine 50 Jahre alte Idee des großen dänischen Land-schaftsarchitekten C.Th. Sørensen realisiert: die Dokumentation der größten europäischen Landschafts-gärten mit ihren historischen Original-plänen in einem Sammelband. Anhand der Zeichnungen kann der Leser nun die Historie der europäischen Gar-tenbaukunst vom berühmten St. Gal-lener Klosterplan über die maurische Gartenbaukunst und die englischen Landschaftsgärten bis in die Mo-derne nachvollziehen. Mindestens ebensoviel wie über die Gärten selbst verrät der opulente Band auch über die Entwicklung der Architektur- und Landschaftsdarstellung im Wandel der Zeiten.

A Pattern Language: Towns, Buildings, Construction Autor: Christopher W. Alexander Oxford University Press 1977ISBN 0195019199

Mit ihrer wegweisenden, mehr als 1000 Seiten starken Darstellung einer ‘Muster-Sprache’ für Städtebau und Architektur vermitteln Christo-pher Alexander und seine Mitautoren zahllose Anregungen für die Gestal-tung eines menschengerechten Le-bensumfelds. Die rund 250 Kapitel reichen von der Organisation ganzer Staaten bis zur idealen Anordnung von Fenstern in Wohnräumen. Man-che der Ideen sind eher spekulativ und andere schlichtweg utopisch. Was bleibt, ist eine schier überbordende Fülle von Denkanstößen zu allen As-pekten unserer gebauten Umwelt – mit Ausnahme der rein ästhetischen. Seine vom Menschen ausgehenden Betrachtungsweise und sein Rück-bezug auf zeitlose Werte des Bauens haben ‘A Pattern Language’ zu einem der wichtigsten Architekturbücher des 20. Jahrhunderts gemacht.

P.V. Jensen-Klint Autor: Thomas Bo JensenThe Danish Architectural PressISBN: 87-87136-69-4

Peder Vilhelm Jensen-Klint (1853-1930) gehörte zu den großen All-roundtalenten in Architektur und Kunst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Sein Lebenswerk umfasst Möbel und Gebrauchsgrafi k, Keramikobjekte und Gemälde ebenso wie Sakralbauten – allen voran die Grundtvigskirke in Kopenhagen, ein expressiver, mystisch anmutender und doch eleganter Backsteinbau, der gemeinsam mit den ihn umge-benden Wohnbauten aus den 20er Jahren ein einzigartiges Ensemble in der dänischen Hauptstadt bildet. In seinem Buch zeichnet Thomas Bo Jensen ein einfühlsames Porträt des großen, lange Zeit fast vergessenen und im Ausland bis heute weitge-hend unentdeckten Genies Jensen-Klint.

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DAYLIGHT & ARCHITECTUREAUSGABE 052007

TEXTUR & LICHT

White Flowers von Thea Bjerg.Seidenstoff mit elastischem Trägermaterial.www.theabjerg.comFoto: Roberto Fortuna

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